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Sheen


RRumms!



Das Geräusch einer in Eisen gerüsteten Faust, die gegen das Tor schlug, zerstörte den Frieden des Klosters.

„“Hörst du das, Bruder Vuchs. Früher klang das lieblicher. Da hatten wir so eine Glocke aus Kupfer. Die war schöner.“

„Wenn du dich beschweren willst, sprich mit Abt Echzel. Der brauchte unbedingt Kupferbänder um seine 16 Bände „Das Leben in der Eiswelt von Zel“ zu binden. Das war ihm wichtiger als so eine blöde Schelle.“

„Aber du, Torsohn! Mit dem Rest hast du einen, wie du das nennst, Streulichtschutz gebaut. Für dein Lieblingsdings. Diese ... diese Fernlinse!“
RRumms!

„Aber du! Ich kann mich noch gut erinnern. Von dem, was dann blieb, basteltest du diese niedlichen Halsketten. Um deine kleinen Feuerdämonen aus der Sektos-Zwischenwelt zu bannen. Im Übrigen kein besonders erfolgreicher Versuch.“


RRumms! Rumms!




„Das nervt mich, Torsohn. Soll Sheen gehen.“

„Sheen ist nicht da, Abt Echzel hat ihn in die Höhle geschickt. Damit er endlich lernt, sich nachts zu wärmen.“

„Hi, hi! Das ist überfällig. Das müsste er bereits lange können.“

RRumms! RRumms!
RRumms!



„Das nervt! Geh schon!“

„Ich hab zu tun!“

„Ich auch!“

Endlich zeigten die Schläge Wirkung.

„Hört auf ihr Nervensägen! In diesem Kloster muss offenbar der Abt selber das Tor öffnen.“

***



Die Nacht hatte den letzten Schnee des Winters mitgebracht und die Wände waren eiskalt. Sheen schob mit klammen Händen den trockenen Zunder in die kalte Asche der Feuerstelle. Es lag noch eine lange Wegstrecke durch den verschneiten Wald vor ihm. Laufen und Klettern würden ihn ausreichend wärmen, wenn er in Bewegung blieb. Er musste sich vorher aufwärmen, um ohne Erfrierungen das Kloster zu erreichen.

Er schwor, im Sommer Brennstoff und Holz in die Höhle zu bringen. Der nächste Novize fände dann genug, um ein Feuer zu entzünden. Woher das knappe Material bei der Ankunft vor drei Tagen stammte, wusste er nicht. Ihm wäre der Aufenthalt leichter gefallen, hätte er Feuerstein oder Zünder darunter gefunden.

***



Lord Sagenbredt setzte sich vorsichtig auf den angebotenen Schemel. Er hoffte, dass das wacklige Möbelstück ihn in seiner Rüstung aushielt. Das Mobiliar bestand aus dieser Sitzgelegenheit, einem Tisch, dem Bett und Regalen mit Büchern.

„Hatten Sie nicht mal `ne Glocke?“

Das Kloster war so eng, dass seine Schar Krieger ihre Pferde draußen anbinden mussten. Die Mönche versorgten im kalten Hof die Soldaten mit wässrigem Tee und Hartbrot. Wenigstens dieser Raum war geheizt.

Sein Gastgeber holte einen ebenfalls altersmüden Schemel aus der Küche und setzte sich ihm gegenüber: „Ich bitte um Entschuldigung für die Wartezeit. Alle waren beschäftigt. Wir haben nur Platz für drei Brüder.“

„Beschäftigt? Ich verstehe, sie meinen Kampfübungen und Hokuspokus.“

„Wir lernen und studieren, eure Lordschaft. Und kümmern uns die vielen Aufgaben, die der Tag für jeden von uns mit sich bringt. Die Übungen halten uns beweglich. Als ein Krieger, eure Lordschaft kennen sie das. Und Hokuspokus? Ein kleiner Teil meiner Mitbrüder hat magische Talente. Bei uns betreibt Bruder Vuchs hin und wieder etwas Dämonenkunde.“
Der Abt beugte sich vertraulich vor und senkte die Stimme: „Seine Erfolge sind eher bescheiden.“


„Ihr Orden besteht aus Mönchskriegern und Kampfmagiern. Das weiß jeder!

Der Abt lehnte sich zurück.
„Sie kommen mit vielen Männern in ruhigen Zeiten, Lord Sagenbredt, und ihr Sergeant gilt als einer der besten Krieger der Region.“

„Vonhagen! Sie haben ihn erkannt? Ich verstehe. Die Narbe im Gesicht. Ein Andenken an einen Kampf mit einem Mönch ihres Ordens. Er hat eine hohe Meinung von Ihnen. Er erzählt, ein Kriegermönch nimmt mit zwei seiner Soldaten auf.“

„Ich hoffe, sie brauchten nicht aus diesem Grund außer dem Sergeant neun Krieger mit.“

„Sie leben zu viert im Kloster, Abt! Ich zähle hier drei Mönche.“

„Wir sind drei Mönche. Sheen ist Novize. Er betreibt Feldstudien im Hügelland.“

„Bei dem Wetter im Hügelland? Er wird erfrieren.“

„Wir werden sehen.“

***



Sheen kam der Gedanke, dass es zu Abt Echzels Plan gehörte, ihn ohne Zünder in die Höhle zu schicken. Er traute seinem Lehrmeister zu, dass er die Studien für die letzte Seite des Buchs als Vorwand nutzte, um seine magischen Kräfte zu prüfen.

Vergeblich suchte er in der Asche nach Resten von Glut. Erst gestern fand er bei der Suche nach Kristallen ein altes Vogelnest, das der Wind im Sommer hinein geweht hatte. Jede Menge trockene, dünne Zweige, die auf einen Funken zu warten schienen.

Nur nicht wieder versagen!

***



„Kommen wir auf den Punkt, Abt! Genug gespielt. Ich will das Pergament.“

„Unsere Bücherei ist klein. Suchen sie sich was aus.“

„Keine Spielchen. Meister Aalbert hielt es für eine gute Idee, ein solches Dokument in einem unbedeuteten Kloster zu verstecken. In einer Gegend, die selbst in der Provinz des Reiches noch als Provinz gilt.“

„Sie sagen es, Lord Sagenbredt. Keine Spielchen!“

„Dann wissen sie, was ich meine.“

„Wie gesagt, keine Spielchen!“

„Geben sie es her!“

„Kommt nicht in Frage!“

***



Keine Glut! Kein Fünkchen. Keine Hoffnung. Er musste sich der Prüfung stellen.

Vorsichtig schob er in der Asche den Zunder, einen trockenen Baumschwamm auf einen Haufen. Mit aller Sorgfalt baute er vor Kälte und Angst zitternd einen kleinen Stapel aus den Teilen des Vogelnestes. Er achtete darauf, dass die dünnsten Holzstücke innen steckten, da sie am leichtesten Feuer fangen würden. Mit viel Geduld legte er ein paar winzige Flaumfedern direkt auf den Schwamm. Den Rest Brennholz schichtete er um das Nest herum.

Jetzt!

Er schloss die Augen und stellte sich den Stapel vor ihm in Gedanken vor. Jedes Mal benötigte er mehrere Anläufe, um deine Flamme zu entzünden. Warum er so viele Versuche brauchte, um ein paar Funken zu erzeugen, blieb ihm rätselhaft. Aus diesem Grund wunderte er sich nicht, dass das Holz nicht sofort Feuer fing.
Es gab Tage, an denen der Zauber trotz aller Mühe nicht wirkte.

Wie heute.

Und heute musste er wirken!

***



„Wie Sie wollen, Abt!“
Lord Sagenbredt hielt nicht viel von Verhandlungen. Er schlug den Mantel zurück und zog sein Schwert: „Auf, Männer. Es geht los!“

***



Sheen verzweifelte. Schon jetzt lähmte ihn die Kälte. Ohne ein Feuer würde er es auf keinen Fall bis zum Kloster schaffen.

Er schloss die Augen. In seiner Vorstellung holte er sich das Bild des Nestes zurück. Die dürren Ästchen. Die Form und Struktur jedes eingebauten Blattes. In Gedanken zog er die feinen Linien des Flaums nach.

Plötzlich entzündete sich der Stapel Holz mit unerwarteter Kraft. Die Flamme war mächtiger als jemals zuvor. Es war kein Funke mehr, sondern ein Feuer. Es setzte augenblicklich den Holzstapel in Brand und bald konnte Sheen sich aufwärmen.

Er hatte verstanden.

***



Der Kampf verlief wie erwartet. Hart und kurz. Die Mönche besaßen keine Chance gegen die Übermacht der Soldaten.

Bruder Torsohn starb als Erster.

Als hartnäckigster Gegner erwies sich der Abt. Vorher wäre Sagenbredt nie der Gedanke gekommen, dass ein Mann mit einem Schemel einem gerüsteten Krieger mit einem Schwert gefährlich werden könnte. Ohne Vonhagens Hilfe, der dem Abt mit seinem Streitkolben den Schädel einschlug, hätte der Lord den Kampf verloren. Jetzt nach dem Sieg schmeckte ihm der dünne Tee des Klosters fast wie Wein.

Vom Hof drang das Geräusch von Schlägen. Der Sergeant verprügelte den einzigen Überlebenden, Bruder Vuchs. Hoffentlich wusste der Mönch, wo sich das Pergament befand. Sagenbredt hasste diesen Teil der Arbeit, aber Folter war die Spezialität seines Untergebenen. Gut, dass er sich damit nicht beschäftigen musste.

Als der dazu überging, den Gefangenen mit Feuer zu quälen, stellte sich der erwartete Erfolg ein. Mit kaum verständlicher Stimme bot der Gequälte an, das Kästchen mit dem Schatz zu zeigen.

***



Der Rest Holz reichte gerademal aus, Sheen für die Rückkehr zum Kloster ausreichend aufzuwärmen. Der Weg würde beschwerlich genug sein.

Der Novize hüllte sorgfältig sein Studienbuch in seinen Rucksack. Darin befand sich eine Abschrift eines Kapitels von „Tarnors Beschreibung der Mineralien im Hügelland“.

Der Abt hatte ihn beauftragt, alle darin aufgeführten Steine zu sammeln und zum Kloster zu bringen. Sheen fand sogar noch einen blauen Kristall, der mit wenig Fantasie wie ein kleiner Bär geformt war. Die Sammlung steckte er zu dem Buch und machte sich auf den Weg.

***



Vonhagen war zu grausam gewesen. Zu ungeduldig und zu sehr aufs Töten versessen. Der Mönch beschrieb nur das Versteck des Kastens unter seinem Bett, dann starb er. Dort war aber zunächst nichts zu finden. Erst als Sagenbredt die Wand dahinter abklopfte, fand er es. Ein loser Ziegel verbarg einen Hohlraum mit einem Kästchen aus dunklem Holz.

Keiner der Soldaten war ohne eine Wunde aus dem Kampf gekommen, selbst Vonhagen blutete aus dem Mund. Der Lord schickte den Sergeanten und seine Männer aus dem Zimmer. Sie sollten die Leichen der Mönche enthaupten und ihre Köpfe auf der Mauer des Klosters stecken. Eine Warnung für alle, die sich wiedersetzen wollten und Futter für die Krähen. In der Zwischenzeit durchsuchte er die Bibliothek nach dem Pergament. Wie erwartet fand er den gesuchten Gegenstand auch dort nicht.

Das Dokument konnte sich nur noch in dem Kasten befinden. Er gab den Befehl, Möbel und Bücher auf dem Hof zu stapeln. Zusammen mit den Leichen steckte Vonhagen den Haufen in Brand.

Lord Sagenbredt legte keinen Wert darauf, dass die Soldaten erfuhren, was in dem Kästchen verborgen war. Deshalb schickte er sie in Richtung der Höhle. Sie erhielten den Auftrag, den letzten Mönch zu finden und zu töten. „Novizen“ korrigierte er sich in Gedanken. Ein ungefährlicher Gegner.In ihrer Abwesenheit würde er das verfluchte Ding aufbrechen. Dabei waren Zeugen nur gefährlich.

***



Sheen kam schnell voran. Die Vorfreude über die Rückkehr in die herzliche Atmosphäre des Klosters gab ihm Kraft. Und nicht zuletzt könnte er sich dort an ein wärmendes Feuer setzen. Die Wirkung des kleinen Lagerfeuers in der Höhle ließ in der Zwischenzeit merkbar nach.

Nicht weit vom Ziel fielen ihm die Krähen auf. Sie schienen sich an einer Stelle zu sammeln. Er verließ den Weg, da er etwas abseits hoffte, eine bessere Sicht zu haben. Ein Schwarm kreiste über dem Klosterhof, von dem Rauch aufstieg.

Dort brannte ein Feuer und vertrieb die Vögel. Er beobachtet, dass die Mutigsten der Aasfresser bereits auf der Mauer landeten. Irgendetwas auf dem Rand weckte ihr Interesse, aber Sheen konnte von seinem Standpunkt nicht erkennen, worum es sich handelte.

Als er zum Weg zurückkehren wollte, hörte er Stimmen. Raue Stimmen und Fluchen.

Hinter einem Baumstamm verborgen beobachtete er Soldaten des Lord. Sie führten auf dem engen Pfad ihre Pferde in Richtung des Gebirges, ihre Rüstung und ihre Kleider zeigten Spuren eines Kampfes. Er konnte sehen, dass eine Handvoll der Krieger frisch verbundene Wunden trugen. Ihr Anführer, ein Sergeant mit einer Narbe im Gesicht, spuckte immer wieder Blut in den Schnee.
Sheen wartete, bis sich der Trupp weit genug entfernt hatte. Die Vorzeichen für eine Rückkehr standen schlecht. Feuer in seinem Kloster, Krähen am Himmel und Soldaten, die aus einem Kampf kamen, deuteten auf ein Unglück hin. Und im Zentrum lag sein Zuhause.

Er ließ den Kriegern ausreichend Vorsprung und näherte sich den brennenden Gebäuden.

Zunächst irritierten ihn die drei dunklen Knäuel auf der Mauer. Beim Näherkommen verwandelten sich die Knäuel in Kugeln und zu seinem größten Schrecken die Kugeln in abgetrennte Köpfe. Aus der Nähe erkannte er die Köpfe, es handelte sich um seine Mitbrüder.

Fassungslos blieb er stehen. Seine Beine wollten nicht weiter. Minutenlang kniete er weinend, bis er alle Kraft zusammennahm und in den Hof trat. Dort brannte ein Feuer aus den Möbeln und Büchern des Klosters. In dem Stapel fand er auch die enthaupteten Körper seiner Brüder.

Er kletterte auf die Mauer, verjagte die Krähen und holte die Schädel herunter. Besonders liebevoll trug er den Kopf des Abts, Echzel. Der Abt war all die Zeit sein väterlicher Freund und Lehrer gewesen. Ein Hieb hatte sein Gesicht entstellt, die Schädeldecke war geöffnet und Sheen konnte bis auf das Gehirn seines Mentors sehen.

„Mein Jahr der Steine ist vorbei, Echzel“, weinte er. „Du hast mir versprochen, jetzt kommt das Jahr des Lebens, des Heilens. Alle Wunder wolltest du mir zeigen. Du sprachst davon, mir beizubringen, wie das Leben funktioniert. Welche Aufgabe Herz, Muskeln haben. Und den Ort, wo der Geist wohnt, der Gedanke, die Vernunft und das Fühlen.“

In seiner Trauer meinte er, die Stimme des Abts zu hören. Leicht spöttisch, wie immer: „Schau mich an, dummer Junge!“ Doch Sheen sah nur einen abgetrennten Schädel und die mäandernden Linien des Gehirns unter einer blutigen Haut.


Er trug alle drei Köpfe in die Küche des leeren Klosters, noch unschlüssig, was er tun sollte. Und so versunken in seine Trauer, dass er die leisen Schritte hinter sich nicht vernahm.

Plötzlich flog ein Gegenstand gegen die Wand, Sheen erschrak, und erkannte einen kleinen Kasten. „Das Schatzkästchen!“ entfuhr es ihm.

„Richtig! So hat er es genannt.“ Der Novize kannte den Krieger, der sich in die Küche geschlichen hatte. Lord Sagenbredt war mehrmals Gast im Kloster gewesen.

„Und weißt du, was drin war, Junge?“

„Backpflaumen. In Honig eingelegt und getrocknet.“

„Nennst du das einen Schatz?“

„Für Bruder Vuchs war es sein Schatz. Der Abt wollte nicht, dass er nascht. Sein Körper vertrug den Zucker nicht. Nur ab und an erlaubte Echzel es ihm. In dem Kasten verwahrte er die Pflaumen und versteckte ihn. Denn Bruder Vuchs war wie wild hinter den Früchten her.“

„Glaubst du, er hat gewusst, wo sie verborgen waren.“

„In der Küche, das war allen klar. Aber nur der Abt wusste, wo genau.“

„Sehr erfinderisch, dein Abt.“

„Er war Vater und Lehrer. Was ist hier passiert. Wer hat das getan?“

Der Lord grinste.

„Ich fürchte, ich bin dafür verantwortlich. Der Abt besaß etwas, was ich suche. Und er wollte es mir nicht geben.“

„Warum so viel töten. Warum .?“

„Unwichtig für einen Novizen. Ich habe es nicht gefunden. Das Schatzkästchen war eine falsche Spur. Du bist noch am Leben und wirst mir weiterhelfen!“

„Aber, ich weiß kein bisschen!“

„Wir werden sehen. Vonhagen ist unterwegs, doch für einen Jungen sollten meine Kenntnisse der Folter wohl ausreichen.“

Für einen gerüsteten Mann war der Lord erstaunlich beweglich. Bevor Sheen flüchten konnte, wurde er gepackt und gegen die Mauer gedrückt. Der Novize war trotz aller Anstrengung nicht in der Lage, sich aus dem harten Griff des Kriegers zu winden. Hilflos blieb er dem Mörder seiner Freunde ausgeliefert.

„Wo ist das Pergament! Und glaube mir, Junge. Ich habe diese Frage heute so häufig gestellt, dass ich keine Lust habe, sie zu wiederholen.“

Sheen überlegte. Welches Pergament? Was war im Kloster so wertvoll, dass es dieses Töten, diese Zerstörung rechtfertigen könnte.

Sagenbredt zog ein Messer und setzte es ihm an die Kehle.

„Finde ich es nicht, steche ich dich ab und brenne das ganze Gebäude nieder. Es reicht, wenn ich sicher sein kann, dass es vernichtet worden ist und niemand den Inhalt kennt. Mit anderen Worten, Novize Sheen, gibst du es mir, lasse ich dich laufen. Anderenfalls töte ich dich, und du verbrennst zusammen mit diesem ärmlichen Kloster.“

Um seiner Drohung Nachdruck zu verleihen, schnitt er leicht in den Hals seines Gefangenen. Der Junge spürte Blut in einem dünnen Rinnsal fließen. Er beobachtete, wie es über die Messerklinge langsam um den Griff herum auf den Handschuh des Lords floss.

Er schaute auf den abgetrennten Kopf seines Lehrers. Er folgte den Maserungen des offen gelegten Gehirns und vermisste Echzels Stimme, die ihm erklärte, was diese Adern und Furchen bedeuteten.

Sheen blickte Sagenbredt an. Direkt ins Gesicht, dann stellte er sich hinter den Augen, das Schädelinnere seines Gegners vor. In Gedanken zog er die feinen Linien, die er jetzt kannte, nach und dachte an Feuer.

Abt Echzel hatte ihm erklärt, dass das Hirn im Kopf wie in einer Schale schwimme. Wie alle anderen Organe bestehe es zu einem großen Teil aus Wasser. Die Wucht der Flamme verdampfte Flüssigkeit und Gehirn mit solcher Gewalt, das es den Hinterkopf des Lords wegsprengte.

Für Sheen blieb nicht viel zu tun. Er steckte den Kasten zu seinem Buch in die Tasche und nahm Abschied. In Gedanken zeichnete er die feinen Linien der Holzbalken im Dach nach und dachte an das Feuer.

Er wartete und beobachtete, wie sein Zuhause verbannte. Sein Vorsprung vor den Soldaten war nicht groß, aber er brauchte die Zeit, um loszulassen.

Der Weg führte jetzt nach Thowerg, wo ein anderes Kloster ihn aufnehmen könnte. Mit Glück fände der dort Antworten auf viele Fragen. Er war entschlossen, seine Studien zu beenden und seine Mitbrüder zu rächen.

Impressum

Texte: Peter Brendt
Bildmaterialien: © Digital-Clipart - Fotolia.com/bearbeitet von p.brendt
Tag der Veröffentlichung: 16.10.2012

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