Cover

1

 

 

Kein einziger Laut drang durch die Straßen der kleinen Stadt, die verlassen mitten in der Einöde lag. Bis die Stille durch laute Rufe unterbrochen wurde.

„Da hinten laufen sie!, haltet die Diebe! Sie haben mich bestohlen!''. Cole lief so schnell er konnte durch die Straßen der kleinen Stadt in der er lebte. „Ich darf mich bloß nicht erwischen lassen, sonst bin ich, noch ehe ich bis drei zählen kann, im Gefängnis, oder Schlimmeres!'', dachte er sich panisch, während er vor der Meute wütender Menschen davon lief, die ihn brüllend und schimpfend verfolgten.

Dabei konnte er nicht einmal bis drei zählen, denn Cole war ein Straßenkind, das es gewohnt war vor anderen davon zulaufen und zu stehlen, um zu überleben, denn seit er sich erinnern konnte, hatte er auf der Straße gelebt. „Wo seine Eltern waren oder ob sie überhaupt noch lebten, wusste er nicht.

Gerade eben hatte er sich sein Mittagessen „besorgt“, als ihn ein starker, mit Muskeln bepackter, stinkender Ladenbesitzer dabei erwischt hatte. Doch Cole lief ihm geübt und flink wie er war, davon, der Menschenmasse, die sich bei dem lautem Gebrüll des Mannes an der Verfolgungsjagd beteiligt hatten, einfach vorneweg, sprang über eine hohe Mauer, lief über ein großes Feld. Er war es Leid, immer der Beschuldigte zu sein, er wusste sehr wohl, dass er es zwar war, aber konnten die Menschen nicht einfach verstehen, dass er Essen brauchte und kein Geld hatte um sich eines kaufen zu können? Immerhin war er ein armer, kleiner Junge.

Er wagte es, sich umzusehen, da liefen sie immer noch, dicht hinter ihm, wie hungrige Tiere, die etwas zu essen brauchten. Er sprang erneut über einen kleinen Zaun, der das Feld umschloss, danach versteckte er sich so gut es ging, hinter einem Baum im angrenzenden Wald. Sein Atem ging rasend schnell, er fürchtete, diesmal wirklich geschnappt zu werden. Er duckte sich hinter einem großen Ast. Er hörte einen Mann aus der Ferne fluchen: „Verdammt! Jetzt ist uns dieser Junge zum hundertstem Mal entwischt!“ Er drehte sich suchend um. Dann rief er: „Na warte! Dich erwischen wir auch noch! So wie wir jeden von euch erwischt haben.“ Damit kehrten sie enttäuscht in die Stadt zurück. Erst als er sich sicher war , das sie auch tatsächlich fort waren und sich nicht noch einmal umdrehten, rannte er in seine „Behausung'', einem notdürftig aus Ästen zusammengebasteltem kleinem Häuschen am Rande der Stadt.

Keuchend ließ er sich auf die alten Decken fallen, die ihm dort als Bett dienten. “Das war verdammt knapp. Hätte ich nicht die Abkürzung über das Feld genommen, wäre ich jetzt bestimmt im Gefängnis, oder tot'', sagte er zu sich selbst, als er sich in eine Decke wickelte und sein Essen in eine kleine Kiste legte, die gut versteckt unter einem der Äste klemmte. Denn besonders jetzt, wo der Winter kam, musste er vorsorgen, da er im Winter nicht so viele Gelegenheiten hatte, sich Essen zu besorgen. Zähne klappernd ermahnte er sich: “Ich habe es immer geschafft und ich werde es auch diesmal schaffen!''. Das musste er sich immer wieder aufs Neue vorsagen. Doch so richtig glaubte er auch nicht daran, denn dieses Jahr waren die Wachen in der Stadt massivst verstärkt worden, um Diebstähle zu vermeiden. Er wusste sehr wohl, dass das Essen in der kleinen Kiste nicht ewig halten würde, schon gar nicht den ganzen Winter hindurch. Doch es war ihm immer ein Trost zu wissen, dass noch genug zu Essen vorhanden war, selbst wenn es verdarb. Sein Blick wanderte in der kleinen Hütte umher, von den teilweise schon morschen Ästen, die das kleine Dach bildeten, von denen Staubfäden hinab hingen bis zu den zwei kleinen Deckenhaufen die fast den ganzen Platz dort einnahmen.Sicher, es war nicht wasserdicht und schon gar nicht warm darin, aber immerhin, er hatte ein Dach über dem Kopf und er hatte diese Hütte zusammen mit Mark gebaut. Er lächelte. Gut, er musste sich eingestehen, dass Mark die meiste Arbeit getan hatte.

Fröstelnd sah er zur Stadt hinüber, zu dem prächtigen Rathaus in der Mitte mit den zwei gigantischen Türmen, den herrschaftlichen Häusern drumherum in allen möglichen Farben und auf dem Marktplatz davor tummelten sich die verschiedensten Menschen. Cole sah dem geschäftlichen Treiben auf den Straßen gerne zu, wenn ihn nicht gerade ein Wachposten verfolgte. Zwei mal hätte ihn ein Wachmann fast geschnappt, wäre ihm nicht Mark, ein anderes Straßenkind und sein bester Freund,zu Hilfe gekommen. Damals hatte er vorgehabt, sich ein neues Hemd zu „beschaffen“ doch er war unglücklicher weise, dabei erwischt worden. Beim Versuch davon zulaufen war er gegen eine Wache geprallt, die dort zufälligerweise stand. Mark war dazugekommen und hatte ihr einen Deckel irgendeines Kessels über den Kopf geschlagen, somit war Cole wieder frei .

Das zweite Mal war eine ähnliche Situation gewesen. Er fühlte sich einfach sicher bei Mark.

Er hatte ihn 5 Monate zuvor, als er gerade dabei war ein Glas Tunfisch zu stehlen, kennen gelernt. Mark hatte sich für das selbe Glas „interessiert'' und sie hatten sich mitten auf dem Marktplatz einen Zweikampf um das Glas geliefert, doch Cole hatte gegen den viel älteren, großen und kräftigen Mark keine Chance, da er selbst klein ,dürr und zerbrechlich war. Oft hatte er feste Schläge einstecken müssen, bis sein ganzes Gesicht blutig war und der eigentliche Besitzer des Glases dazugekommen war und dem ganzen ein Ende machte.Seitdem waren Er und Mark beste Freunde und unzertrennlich.Cole dachte oft daran, denn das hatte definitiv sein ganzes Leben verändert, er hatte in ihm einen richtigen Freund, fast schon einen Bruder gefunden, den er zuvor noch nie gehabt hatte. Dadurch war er nicht mehr allein.

Er schreckte auf.

Sah sich um, und hielt den Atem an.

Doch, wo war er? Sie waren gemeinsam aus der Stadt gerannt, oder täuschte er sich?“sie werden ihn doch hoffentlich nicht gefangen genommen, oder umgebracht haben?'', dachte er sich ängstlich und stürzte aus der Hütte. Er rief so laut er konnte und so laut er sich traute:“Mark!,bist du da?'', keine Antwort „He,Mark das ist nicht lustig! Sag doch was!,“ aber er bekam wieder keine Antwort. Panik überfiel ihn und er sah sich schluchzend um, doch weit und breit war keine Spur von ihm. Peinlich berührt, dass er sein verschwinden nicht schon eher bemerkt hatte und das als sein bester Freund, rannte er erneut hinaus aufs Feld.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2

 

 

Auf der Suche nach ihm rannte Cole ohne nachzudenken weiter und immer weiter auf das Feld hinaus, fast bis zur Stadt und als er sah das die Wachmänner immer noch nach ihm suchten, lief er schnell wieder zurück. Doch er war schon erleichtert, zu sehen, das sich die Menschenmasse, die ihn zuvor gejagt hatte, bereits zerstreut hatte.

Schließlich glaubte er, das die Luft rein wäre, so nahm er all seinen Mut zusammen und hechtete, obwohl ihm das Herz bis zum Hals schlug, so schnell er konnte bis zum großen Stadttor hinüber.Dort angekommen versteckte er sich hinter einem Fass, um zu verschnaufen. „ Die Leute tun mir nur etwas wenn ich etwas stehle, aber nicht einfach so , wenn ich nur durch die Straßen gehe, wie ein ganz normaler Junge'', dachte er sich, „Hoffentlich!''.

Er hatte schon sehr oft an dieser Erkenntnis festgehalten, doch diese hatte ihm noch nicht sehr viel geholfen, denn selbst wenn er nur so durch die Straßen ging, erkannten ihn manche Leute wieder, da er schon sehr oft etwas gestohlen hatte.

Schon sah er an der nächsten Ecke einen großen Mann in einem giftgrünen Mantel stehen, der in einer Zeitung blätterte. Er nahm all seinen Mut zusammen und sprach ihn an, ohne überhaupt richtig zu wissen, was er erwartete. Das dieser streng aussehende Mann Mark gesehen hatte? Doch es half ihm nichts, irgendwo musste er anfangen. Da schien ihm der Mann gut genug, denn er stand immerhin an dem Ort, an dem er Mark das letzte Mal gesehen hatte.

„Entschuldigen Sie bitte,'' der Mann sah düster von seiner Zeitung auf, sodass Cole anfing leicht zu zittern. „Haben sie vielleicht einen großen blonden Jungen gesehen, der eine kreisförmige Narbe auf der Stirn hat?“.

„Jetzt hör mal zu, Junge! Ich hab besseres zu tun als nach deinen Freunden zu schauen!“Außerdem..., fuhr er zornig fort,... geh am besten weit weg von mir, du stinkst!“ ,er rollte seine Zeitung zusammen und schlug Cole damit so feste auf den Kopf, dass dieser in eine riesige Pfütze auf den Boden fiel und um sich herum lauter Sterne sah.“Verfluchter Straßenbengel!“ Ohne ihn auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen, ging der Mann davon. Am liebsten hätte er ihm eine Reihe übelster Beschimpfungen hinterher gebrüllt, aber wer weiß was dieser Mensch sonst noch alles mit ihm gemacht hätte.

Ohne große Motivation rappelte er sich, immer noch etwas benommen auf und musste sich sogar an einer Laterne festhalten, um nicht wieder um zufallen.Jetzt hätte es nur noch gefehlt, zu regnen, denn bei Regen fühlte er sich noch bemitleidenswerter als ohnehin schon. Er beschloss „Die Fünf“ aufzusuchen, eine Gruppe anderer Straßenkinder, die in einer engen Gasse saßen und um Geld bettelten, dies hätte er vielleicht als erstes tun sollen.Cole hatte zwar bei den wenigen Malen die er schon dort war, noch nie Geld gesehen, aber sie hatten es vermutlich dann schon ausgegeben. Also machte sich Cole auf den Weg, es waren zwar mehr als Fünf, aber da er nicht zählen konnte, nannte er sie so.

 

Er hasste den Weg dorthin, denn er musste durch eine Straße gehen, in der die Leute ihn nicht nur abweisend ansahen, sondern in der, in den Gärten der herrschaftlichen Häuser, auch noch Kinder spielten, mit ihren schönen bunten Spielsachen und es schien ihm so ungerecht, dass sie solche Sachen besaßen und er nicht einmal ein ordentliches Dach über dem Kopf hatte. Immer wenn er dorthin kam, ging er leicht gebeugt, als wollte er vermeiden, dass sie ihn sahen, das taten sie meistens auch nicht, denn er war ja ihrer nicht würdig. Auch kam er immer an einem Waisenhaus vorbei, das wegen dem Lärm von den anderen Häusern etwas abgeschieden lag. Er konnte es aber nicht nachvollziehen, da er noch nie auch nur den geringsten Laut gehört hatte.

Es war ein riesengroßes Haus-nein, fast ein kleines Schloss, das weit über die anderen Gebäude ragte. Cole blieb immer wieder staunend davor stehen und sah zu dem dunklen Monstrum mit den großen Fenstern auf. Aber, so oft er auch schon daran vorbeigegangen war, er hatte noch nie Kinder gehört oder vor dem Haus spielen sehen. Also musste es entweder unbewohnt, oder ein ganz schrecklicher Ort sein.

Während er immer noch da stand und es respektvoll anstarrte, bemerkte er, das die Sonne schon alles in ein tiefes Rot getaucht hatte und er sich beeilen musste um die Gasse noch bevor es dunkel wurde zu erreichen.

Schnell hechtete er durch die feinen Vorgärten der Straße. Er wusste das das verboten war, einfach auf ein fremdes Grundstück zu laufen, doch es war der schnellste Weg.

Einmal wäre er zu früh über einen Zaun gesprungen und hätte beinahe die Wäscheleine, die auf der anderen Seite hing, hinunter gerissen doch er konnte sich gerade noch rechtzeitig abfangen. Nun hing er aber mit einem Bein in der Leine. Fluchend versuchte er sich verzweifelt zu befreien. Da kam auch schon eine dicke Frau mit einem Besen in der Hand, wild schimpfend aus dem Haus gejagt. „Verschwinde aus meinem Garten!“, sie schlug auf ihn ein.“Ja, bin schon dabei!“ Rief er und schützte sein Gesicht mit beiden Händen. Zum Glück riss die Leine und er fiel zu Boden. Schnell rappelte er sich auf und machte sich aus dem Staub. Doch es blieb ihm noch genügend Zeit sich darüber Gedanken zu machen, warum die Frau überhaupt einen Besen in der Hand hatte, wenn sie doch so reich war?

Schließlich angekommen, setzte er sich zu einem kleinen Mädchen , dem ein Arm fehlte, auf den Boden. Es spielte ohne ihn weiter zu beachten mit einer Puppe, der ein Auge fehlte.

Jedem von den Kindern dort fehlte irgendetwas, einige waren blind, den anderen fehlte ein Arm oder ein Bein oder beides. Das war auch der Grund, warum sie in dieser Gasse lebten. Alle waren sie noch schmutziger als er selbst und sie spielten jeder ein Instrument oder sangen um sich ein wenig Geld zu verdienen. Manchmal fragte er sich, wie sie an diese Musikinstrumente gekommen waren, da diese sehr teuer zu schein schienen.

Wegen ihrem Aussehen aber verbrachten sie fast den ganzen Tag in der engen kleinen Seitengasse, die wegen des Gestanks und des Drecks so gut wie nie jemand betrat. Er und Mark hatten sie so gut es ging auch immer gemieden, da jeder der sie betrat von den Leuten die es sahen verachtet wurde, da sie ihn ebenfalls als „Krüppel“ bezeichneten, wenn er sich mit ihnen abgab. Fast kam er sich schon genauso gemein vor, wie die anderen Menschen. Was konnten sie denn dafür, so auszusehen? Gut, er kannte die Gründe nicht, wollte sie aber wenn er ehrlich war, auch nicht wissen. Cole hatte Mitleid mit ihnen, er war zwar auch nicht reicher, aber wenigstens hatte er noch alle Körperteile und sein Augenlicht. „Habt ihr vielleicht Mark gesehen?“, brach er hervor als niemand ihn beachtete, obwohl er sich gleich unheimlich schämte, da die meisten von ihnen ja blind waren. Außerdem konnte er sich Ohrfeigen, denn es gab bestimmt mehrere Marks auf dieser Welt, und er hätte wahrscheinlich auch dumm geschaut, wenn ihn jemand gefragt hätte, ob er irgendeinen Joe gesehen hätte.

Ein kleiner Junge mit drei Fingern fragte zaghaft: „Mark?“. „Ja! Ein großer, blonder Junge mit einer kreisförmigen Narbe auf der Stirn“, erklärte er ihnen. Auf einmal waren alle noch mehr in sich zusammen gesunken, einige knirschten mit den Zähnen andere zitterten und wieder andere weinten sogar. Ziemlich verwirrt saß er neben dem Jungen und blickte um sich. Was hatte diese Reaktion zu bedeuten? Waren sie froh das mal jemand mit ihnen sprach? Doch er verwarf diesen Gedanken schnell wieder.

„Ihr habt ihn wohl gekannt?“, stellte Cole überrascht fest, doch er bekam keine Antwort. Überrascht bemerkte er, wie das kleine Mädchen ihre Nägel in den Hals ihrer Puppe bohrte, kräftig schluckte, zu einem anderen, älteren Jungen sah, die Puppe dann weglegte und sagte: „Gekannt wäre zu viel gesagt, aber ...“, sie schluckte erneut „ wir haben von ihm gehört“.

„Heute waren Er und ich auf der Flucht vor ein paar Wachen und als ich in Sicherheit war, hab ich gemerkt das er nicht mehr hinter mir war, wisst ihr vielleicht wo er ist“, fragte er. Aber er sah nur in ahnungslose Gesichter. Das kleine Mädchen antwortete ihm in einem spöttischen Tonfall: „ Siehst du nicht, dass wir unsere eigenen Probleme haben?!“. „Ja!“, warf ein anderer ein, „Außerdem haben sie ihn bestimmt ins Waisenhaus gebracht, dort bringen sie alle Kinder, die sie einfangen hin!“.Er stand auf und ging auf Cole zu. „ Das Waisenhaus?Aber ich dachte das es unbewohnt ist“.Der Junge setzte sich und verschränkte demonstrativ die Arme „Ist es aber nicht, sei bloß froh, dass du nicht zu den Bewohnern gehörst!“, er schrie ihn förmlich an.

Ehe Cole noch fragen konnte warum, ging ein weiterer Junge auf ihn los und schob ihn, obwohl er nur einen Arm besaß mit solcher Kraft aus der Seitengasse auf die Straße, dass Cole vor Überraschung mit dem Kopf gegen ein Schild stieß. „Hau bloß ab! Das ist unser Platz! Außerdem kann es dir doch egal sein wo dieser Mark ist, oder seit ihr etwa verwandt?“ Und mit diesen Worten verschwand das Kind wieder im Schatten der Häuser.

„Du hättest mich ja wenigstens vor warnen können!“, schimpfte Cole und rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf, „Heute bekomme ich ja ganz schön was auf die Birne!“. Etwas wacklig rannte er durch die Dunkelheit aus der Stadt. Mit der Frage im Kopf, was der Junge mit seiner letzten Aussage nur gemeint hatte? Ob er mit ihm verwandt war? Was hatte es damit zu tun?

 

 

 

 

3

 

 

Wieder an seinem Häuschen angekommen, setzte er sich auf die schon etwas mit Schnee bedeckte Wiese und sah sich die Sterne am Himmel an, denn so konnte er schon immer am besten nachdenken.

Was war nur mit Mark geschehen, war er wirklich im Waisenhaus, diesem unheimlichen Ort?

Das konnte er sich kaum vorstellen. Er war immer der Schnellste gewesen, wie konnte also gerade er gefangen werden?

Lange Zeit saß er ohne richtig etwas zu tun oder zu denken mitten im Schnee, doch da es kalt wurde, stand er auf und holte sich aus seinem Versteck eine Decke und legte sich wieder ins Gras. Auf einmal überkam ihn ein schrecklicher Gedanke, was wenn Mark ihr gemeinsames Versteck verraten würde? Wenn man ihn fragte ob er Komplizen hatte? Allein der Gedanke lies Cole schaudern.Wenn er gefoltert wurde und schon Morgen früh Wachen in Scharen zu ihm gerannt kamen und ihn aus der Hütte zerrten, ihn mitnahmen und ihn dann zusammen mit Mark in eine Zelle sperrten? Nein, er vertraute ihm, Mark wäre der letzte der etwas verraten würde.

Es kam ein eiskalter Windstoß sodass Cole sich fester in die Decke einwickeln musste und anfing zu zittern.

Oft fragte er sich was so ein Leben überhaupt brachte, das er führte? Er hasste diese Stadt, mit ihren piekfeinen Leuten und den vielen Wachen, die nur darauf warteten ihm den Hals um zu drehen und er dachte oft darüber nach, fortzulaufen in eine andere, doch wie konnte er denken das dort alles anders war? Cole träumte sehr oft davon, wie die anderen Kinder die er gesehen hatte zu leben, in einem schönen Haus mit den herrlichen Spielsachen zu spielen und vor allem davon in die Schule zu gehen. Denn dann würde er endlich lesen und schreiben lernen und er würde sich dann nicht mehr wie der letzte Trottel fühlen. Auch hatte er, so vermutete er wenigstens, wenn er lesen und schreiben konnte, bessere Gelegenheiten auf eine Arbeit, dann könnte er sich ehrlich sein Geld verdienen und sich in weiter Zukunft auch ein Haus kaufen! Er lächelte in sich hinein.

 

Er wollte oft wissen, was mit seinen Eltern geschehen war. Ob sie reich waren? Ein eigenes Haus besaßen? Ob sie das Geld gehabt hatten, ihn in die Schule zu schicken. Ob er Geschwister hatte, die vielleicht sogar noch lebten, und, ob seine Eltern selbst noch lebten. Er hatte immer wenn er über all das nachdachte das Gefühl, bald in Ohnmacht zu fallen. Denn er fühlte sich in solchen Momenten immer besonders Schwach und hilflos.

Schließlich fing es an zu schneien und er kroch in sein Lager zurück und rollte sich auf den anderen Decken zusammen. Es war ungewohnt allein in der Hütte zu sein, ohne jemanden, der ihm Witze oder Geschichten erzählte. Vor lauter nachdenken fielen ihm schließlich die Augen zu und er schlief tief und fest ein.

 

Es regnete, ernst blickte er hinauf zum Waisenhaus, dass verlassen auf dem Hügel stand. Es kümmerte ihn nicht, dass er nass wurde, seine Haare hingen ihm wie Fäden ins Gesicht. Er lächelte. Bald war es soweit.

 

Angestrengt versuchte Cole am nächsten morgen die Augen zu öffnen, doch es war so kalt, dass es ihm schwer fiel, auch konnte er sich nur mit großer Mühe auf setzten. Seine Glieder waren steif und schon fast eingefroren. Als er es endlich geschafft hatte, und einigermaßen aufrecht saß, überkam ihn ein großer Hunger und er griff nach der Kiste, die schon ganz zugefroren war. Genauso schmeckte auch das Essen und während er das harte Brot kaute, fiel sein Blick auf seine Fingernägel, die schon ganz blau vor Kälte waren. Er starrte auf sein Essen, genauso gut hätte er auch in eine Eisenplatte oder einem Stück Holz beißen können. Auch der Geschmack konnte nicht viel anders sein.

Plötzlich hörte er draußen schnelle Schritte. Er erschrak fürchterlich. Denn sie schienen genau auf sein Versteck zu zulaufen. „Also doch! Er hat mich verraten!“, dachte Cole sich panisch und enttäuscht. Aber, er hätte wahrscheinlich und mit sehr großer Sicherheit alles schon viel früher preisgegeben. Er sprang auf , sprang in die hinterste Ecke der Hütte und verschluckte dabei sein trockenes Brot. Es kostete ihn sehr viel Kraft und Beherrschung nicht zu husten und zu würgen, er hoffte, dass derjenige der da draußen war, ihn nicht hörte, wie er leise vor sich hin keuchte und somit dachte das es nur ein Ästehaufen war und er seine Zeit damit verschwendete, näher zu kommen. Aber es war schon zu spät, Cole konnte den Atem desjenigen schon deutlich hören und als dieser anfing immer näher durch den Schnee zu stapfen, verkroch Cole sich, trotz der Kälte, fast schweißgebadet unter seine Decke. Obwohl es in der Ecke sicher weiter vom Eingang entfernt gewesen wäre.

Er war sich sicher, dass man seinen Herzschlag über einige Entfernung noch klar hören konnte, so viel Angst hatte er. Der Mensch stand nun direkt vor der kleinen Hütte und starrte hinein. „Co?“, fragte er, „Bist du da?“. Cole wäre vor Überraschung fast gegen den untersten Ast gestoßen, als er aufsprang und ungläubig rief: „Mark?! Ich dachte du wärst tot! Wie bist du...Wie konntest du... Wo hast du gesteckt?“ vor lauter Freude, konnte er sich gar nicht entscheiden, was er zuerst fragen sollte.Deshalb stammelte er die unverständlichsten Sätze vor sich hin.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

4




Er starrte auf den Jungen, der dort vor ihm stand. Mark lachte, er sah überhaupt nicht gefoltert oder schlecht behandelt aus. Im Gegenteil, er strahlte ihn förmlich an. Erst jetzt bemerkte Cole, das draußen schon heller Tag war, und die Sonne schien. Doch das interessierte ihn wenig. Fast als wäre nichts gewesen, ging Mark auf sein Deckenlager zu und lies sich gemütlich hineinfallen, griff in die Kiste und fing an eines der Brote zu essen.Verzog aber nach ein paar Bissen das Gesicht und Cole merkte amüsiert, dass er nahe dran war, es wieder auszuspucken, doch er aß es tapfer weiter. Während der ganzen Zeit konnte Cole nichts anderes, als ihn unentwegt an zu starren, bis er fragte: „Sag schon, wo warst du? Ich hab fast die ganze Stadt nach dir abgesucht“.Ungeduldig wartete er auf eine ausführliche Antwort, doch er erhielt keine. Obwohl ihn diese Frage brennend interessierte, musste er warten bis Mark zu Ende gegessen hatte, was bei dem harten Brot sehr lange dauerte. Aber erst dann begann er zu erzählen.Lässig an die „ Wand“ gelehnt, fing er endlich an.


„Wir sind doch von diesem Mann beim klauen erwischt worden und zusammen davongelaufen, du vorneweg ich dahinter.“ Er überlegte kurz. „Doch es haben sich immer mehr Leute und auch Wachen an der Jagd beteiligt und, ich dachte das es besser wäre, wenn wir uns aufteilen würden.“ Stolz fügte er hinzu, „Ich will ja nicht angeben, aber es ist schon gut, wenn man so schnell eine gute Idee hat.“

„Jaja, es weiß ja jeder, das du der schlauste hier bist,“ spöttelte Cole. „Erzähl jetzt weiter!“

„Also lief ich in die eine Richtung und du in die andere. Stell dir vor, es hat geklappt, die Menge hat sich gleich aufgeteilt und sie blieb mir für lange Zeit dicht auf den Fersen, erst als ich zum Hafen kam, konnte ich sie abschütteln, indem ich ins Wasser sprang und mich unter einem der Boote versteckt habe.“ Er machte eine kurze Pause, da er vermutlich sah, wie aufgeregt Cole war und sich noch tiefer in seine Decke gewickelt hatte:. „Erzähl weiter!, drängte er „Ich will wissen wie es weiter geht!“. „Na gut“, er holte tief Luft und fuhr fort. „Als ich mir sicher war das keiner der Menschen die mich verfolgten mehr am Hafen stand, bin ich aufgetaucht und wollte sofort zu unserem „Haus“ rennen, doch als ich dann um eine Ecke gebogen bin, hat mich plötzlich ein Mann von hinten gepackt und in so einen komischen Wagen gesteckt.“ Mark knirschte wütend mit den Zähnen und holte sich noch ein Brot aus der Kiste. Betrachtete es aber skeptisch. „Ich hab noch versucht, mich zu befreien, aber keine Chance!“ Er fuchtelte Cole mit dem Brot direkt vor der Nase herum, „Wenn du einmal in solch einem Wagen drinnen bist, kommst du nicht mehr raus! Der Wagen brachte mich zu einem großen Haus,“ er machte erneut eine Pause, da er erwartete, das Cole den Satz für ihn beendete. Deshalb war er umso genervter, als dieser nicht verstand, was er sagen sollte. „Maan! Dem Waisenhaus.“ Er schlug ihn leicht mit dem Brot auf den Kopf. Was aber unerwartet schmerzvoller war, denn es war ja tief gefroren.

“Ich bin zunächst ziemlich erschrocken und hab gehofft dass sie noch dran vorbeifahren würden, aber das taten sie eben nicht, also hab ich den restlichen Tag dort verbracht, bis ich fliehen konnte.“ „So, das war alles“, beendete er schmatzend seine Erzählung, die er herunter geleiert hatte, als wäre so etwas das normalste auf der Welt. Cole konnte sich vorstellen wie es für ihn gewesen wäre wenn er an Mark's Stelle gewesen wäre und vor lauter Bewunderung brachte er nur schwer Wörter zustande: „ Ich verstehe das das echt schlimm für dich gewesen sein muss, in dem Waisenhaus und das den ganzen Tag!“.

Erstaunt sah Mark von seinem Brot auf und blickte Cole verständnislos an. Dieser verstand nun gar nichts mehr. Hatte er etwas falsches gesagt? „Schlimm?“, fragte Mark und er lies es fast so klingen als hätte Cole ihn eben beleidigt „Oh, Co!, es ist großartig dort!“ Ich bin zurückgekommen um dich zu holen!“.

Hätte Cole Mark nicht schon vorher gekannt, er hätte ihn glatt für einen totalen Spinner gehalten. „Bist du irre! Um mich zu holen!“, schrie er ganz aufgebracht. „Nie im Leben werde ich mit dir dahin gehen!“. Fast so als wäre Cole ein kleines Kind, versuchte Mark ihn zu beruhigen. „Ich versteh ja das du nicht begeistert bist“, begann er, „aber du kannst dir sicher vorstellen das ich auch nicht gerade sehr erfreut war, als ich dorthin gebracht wurde. Aber dieses Haus ist im Gegensatz zu diesem Haufen hier ein echtes Paradies!“. Cole glaubte immer noch, dass er sich verhört hatte,. Es konnte nicht sein, dass dieses Haus viel besser war, sicher es war bestimmt wärmer und wenn es regnete blieb man trocken, aber das war auch alles positive das er sich denken konnte. Er wollte davon nichts mehr hören und hoffte das Mark nicht weiter versuchen würde ihn zu überzeugen mit ihm dorthin zu gehen., denn er wusste das er irgendwann sicher einwilligen würde. Cole gestand es sich offen ein, er hatte Angst, solche Angst, dass er lieber bereit war für den Rest seines Lebens so weiter zu leben wie bisher. „Hör mal“, bat ihn Mark, „ich weiß, dass es für dich unvorstellbar ist, war es für mich auch, glaub mir, aber es ist wirklich ganz anders als wir es uns dachten. Von außen mag das Gebäude zwar unheimlich und düster wirken, aber innen drin ist es wunderschön, farbenfroh. Es gibt Zimmer, viel größer als das hier“, er wies mit einem verachtenden Kopfnicken auf die Hütte. „ Es sind immer zwei Jungen oder Mädchen in einem Zimmer und stell dir vor, manchmal haben sie auch Einzelzimmer, es gehört einem ganz allein!“

Mark hörte gar nicht mehr auf Cole davon zu berichten was es dort alles gab, warme Mahlzeiten wann immer man Hunger hatte, warme Betten, keine Wachen und man bekam sogar Spielsachen. Doch keines dieser Dinge begeisterten Cole, erst als Mark erwähnte das man dort auch unterrichtet wurde, wurde er neugierig.

„Unterricht? Was für einen?“. „Ach, nur in Musik und so weiter, aber man lernt dort lesen und schreiben ,das was du immer wolltest, Co!“.































5




Die restliche Nacht musste Mark ihm von dem Unterricht erzählen, dass sie dort einen Lehrer hätten und sie könnten nach dem Unterricht tun und lassen was sie wollten und als die Sonne aufging, stand für Cole fest: Sie würden ins Waisenhaus gehen. Er bekam von Mark noch zugesichert, dass wenn es ihm dort nicht gefiele, würde er ihm den Fluchtweg den er benutzt hatte zeigen und Cole könne sich dann ganz einfach aus dem Staub machen.

Voller Vorfreude packten sie all ihre wenigen Sachen zusammen und machten sich auf den Weg.

Doch schon wenige Meter vor ihrem neuen Zuhause, bekam er ganz weiche Knie.,, Du? Mark, was wenn sie deinen Fluchtweg entdeckt haben und ihn versperrt haben od....“,, Jetzt hör endlich auf damit, wir haben das alles schon hundertmal durchgekaut!“, wurde er von ihm unterbrochen.,,die Leute dort sind wirklich total nett!“ Genervt verdrehte Mark die Augen und öffnete das große Tor. Cole blieb vor lauter Angst wie angewurzelt stehen. Er würde viel lieber in seiner kalten kleinen Hütte sein oder von Wachen verfolgt werden, als hier zu stehen und nicht zu wissen was ihn hinter dieser Tür erwartete. ,,Ach was! Ich bin schon aus schlimmeren Situationen herausgekommen und außerdem, hat Mark bestimmt recht. Ich bin wirklich ein Feigling!“. Diese Gedanken betete er sich den ganzen Betonweg entlang vor, als sie auf die große düstere Holztür zugingen.

Alles an und vor diesem Haus sah unheimlich aus, wenn jemand ein Waisenhaus bauen will, sollte es doch farbenfroh und fröhlich sein. Oder nicht? Doch allein schon der Weg auf dem sie gingen war grau und kalt, die Tür groß, ebenfalls düster und erinnerte ihn an ein Schloss, das auf einem Felsen stand und auf dem ein gemeiner und böser König lebte. Wie sollte es dann erst drinnen aussehen?

Er zuckte vor Schreck zusammen, als Mark an die Tür klopfte und er hoffte das niemand da sein würde und sie gleich wieder gehen würden. Doch sie warteten, so lange, dass es ihm wie Stunden vorkam, bis sich endlich die Tür öffnete.,,Ja?!“, ein freundlich aussehender Mann steckte den Kopf durch den Spalt, ,,Was wollt ihr?. Da Cole vor Überraschung der Mund aufgeklappt war, ergriff Mark das Wort, denn er sah wohl das Cole dazu völlig unfähig war. „Entschuldigen Sie bitte, aber wir möchten hier wohnen;“ sagte er, als wäre es ganz normal. „Na dann , kommt mal rein,“ befahl ihnen der Mann und öffnete nun ganz die Tür. Während der Mann voran ging, flüsterte Mark ihm ärgerlich zu: „Musste das sein? Hier sind wirklich alle furchtbar nett und so wie dein Mund offen steht findest du das Haus also nicht so schlimm, was?“

Cole musste sich offen eingestehen das er sehr überrascht davon war, wie hell und freundlich es aussah, als die Tür aufging hätte er dunkle Mauern und Treppen erwartet , außerdem düsteres Licht und Kälte. Aber woher hätte er denn wissen können wie es wirklich war? Er hatte nur nach dem Äußeren geurteilt.

Er konnte sich gar nicht mehr satt sehen, an den Wandmalereien, da waren an der Decke zum Teil Wolken und auf der anderen Seite ein Sternenhimmel, an den Wänden hatten offenbar Kinder mit grellen Farben die unterschiedlichsten Motive gemalt.

Der lange Gang durch den sie gerade gingen war randvoll mit Spielsachen, sodass er aufpassen musste nicht über sie zu stolpern. Er teilte sich zu beiden Seiten in weitere große Gänge auf, an deren Enden immer drei oder vier Zimmer waren. Der Mann beschleunigte seine Schritte und sie durchquerten ein riesiges Zimmer mit vielen bunten Tischen an denen fröhlich schwatzende Kinder saßen. Cole vermutete dass es der Speißesaal war, denn hinter den Tischen gab es eine Riesengroße Auswahl an Essen. Plötzlich blieb der Mann vor einer massiven Holztür stehen und klopfte energisch an.






6




Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete er sie und schubste die beiden hinein. Niemand war im Raum, nur ein Schreibtisch auf dem viele Papiere lagen und davor standen zwei Sessel, die unheimlich bequem wirkten. „Los, setz dich ruhig hin. Ich bin auch in so einem gesessen und sie sind echt saubequem! Mit diesen Worten ließ sich Mark mit einem lauten Plumps hineinfallen. Cole tat es ihm weniger locker nach. An der Wand hing eine große Kuckucksuhr, die, so kam es Cole vor, so laut tickte, dass er meinte die ganze Stadt müsste sie hören. Mit jedem ticken glaubte er, er wäre schon seit Stunden hier und darum war er auch unendlich erleichtert, als Mark anfing sich mit ihm zu unterhalten. „Glaub's mir! Es gibt schlimmeres! Warte erst mal ab bis du dein oder unser Zimmer siehst! Sie sind noch schöner und bunter als das was du bis jetzt gesehen hast!“

Gespannt hörte Cole ihm zu. Er fing langsam an, ihm zu glauben, denn was er bis jetzt gehört hatte war richtig und wenn er daran dachte, dass er auch noch lesen und schreiben lernen konnte, dadurch einen Beruf haben könnte und ein Haus! Er fühlte sich plötzlich furchtbar reich und glücklich. „Wie sind die anderen Kinder?“, begann er zu fragen, denn wenn hier alles so herrlich und perfekt ist, fand er müssten es die Kinder doch auch sein. Mark wandte sich von einem kleinen Ölgemälde ab, das er gerade betrachtet hatte: „Ich weiß nicht, ich hab mich noch nicht großartig mit ihnen unterhalten, aber ich glaube dass sie auch ziemlich nett sind.“Das beruhigte Cole ungemein, was nützte es ihm in einem so (bis jetzt) tollen Haus zu leben, wenn die Kinder die mit ihm dort wohnten, aufgeblasene Schnösel oder unerträgliche Idioten waren? Langsam fing er an sich zu entspannen, er lehnte sich in dem großen und wirklich saubequemen Sessel zurück, streckte die Füße aus und fing an sich genauer im Zimmer umzuschauen. Es war wie alles hier, ein sehr großes Zimmer, in dem sich nur ein Schreibtisch, die zwei Stühle auf denen sie saßen, die Uhr und das Gemälde befanden. Er fühlte sich nun sicher genug um die Augen zu schließen und seine Gedanken über das was geschehen war zu ordnen. Neben sich vernahm er Mark's schwere Atemzüge, die sich schon fast wie ein Schnarchen anhörten.

Immer wieder dachte er, er würde jeden Moment in seiner Hütte aufwachen, mit einem lauten Knurren aus seinem Magen und sich Gedanken darüber machen, wie er Essen beschaffen konnte. Er wusste , dass sich indem er durch dieses Tor gegangen war sein Leben geändert hatte, er hoffte es sogar.

Cole war so tief eingeschlafen, dass er nichts mehr hörte oder sah, was um ihn herum geschah.

Plötzlich ging mit solch einem gewaltigen Ruck die Tür auf, dass er und Mark vor lauter Schreck beinahe aus ihren Sesseln gefallen wären. Cole der mitten aus dem Tiefschlaf gerissen wurde, wusste zuerst nicht einmal wo er war. Erst als er begann sich genauer umzusehen fiel es ihm nach und nach wieder ein.

Die Frau die herein gekommen war, er vermutete das es die Leiterin des Hauses war, trug ein weinrotes Kleid das sie bis zum Hals zugeknöpft hatte und dadurch äußerst streng wirkte. Doch er hoffte sehr das sie es nicht war. Ohne die beiden weiter zu beachten, rückte sie das Bild zurecht und nahm auf dem großen ledernem Stuhl hinter dem Schreibtisch platz. Dort räumte sie ein paar Blätter zur Seite und erst dann sah sie die beiden an.

Minuten vergingen und Cole grübelte darüber, ob er etwas sagen sollte oder nicht, fast war er schon soweit und er merkte wie ihm Worte auf der Zunge lagen, brachte aber nicht den Mut zusammen sie auszusprechen. „Gut! Dich kenne ich ja schon von gestern, aber deinen Freund hier, sie wies mit einem freundlichen Lächeln auf Cole, „den kenne ich noch nicht.“

„Das ist Cole, Mrs. Er und ich leben auf der Straße und als sie mich neulich hierher brachten, beschloss ich, weil es mir hier so gut gefallen hat, ihn zu holen“, erklärte Mark der Frau. „ Gut, gut , gut. Also über dich weiss ich ja schon einiges, du heisst Mark, Nachname weisst du nicht, bist seit du denken kannst auf der Straße , bist 12 Jahre alt und hast nur wenig Schulbildung:“ Nachdem sie sich alles auf einen Zettel geschrieben hatte, wandte sie sich an Cole. „Und du?“ Cole war wie versteinert, tausend Gedanken rasten ihm im Kopf umher. Wozu musste sie das alles wissen? Konnte sie ihnen nicht einfach etwas zu Essen geben und ihnen ihre Zimmer zeigen? Er hätte bestimmt noch Minuten überlegt, als er plötzlich einen kräftigen stoß in die Rippen bekam. „Deinen Namen wirst du ja wohl noch wissen Co! Sag doch endlich was!“, zischte Mark ihm zu. Mit anderen Menschen zu sprechen fiel ihm seit er denken konnte immer schon schwer, besonders nicht in solch einer Situation. Trotzdem nahm er all seinen Mut zusammen und stammelte: „Ich heisse Cole, Nachnamen weiss ich auch nicht, lebe auch immer auf der Straße u...“.

„Und?“, die Frau sah ihn fragend an, „Wie alt bist du?“. Genau vor dieser Frage hatte er sich am meisten gefürchtet,. Er wusste es nicht. Er konnte weder zählen, noch wusste er wann er geboren wurde. „Ich weiss es nicht“, gab er kleinlaut zu.

„Also, ich schätze dich auf...“, sie überlegte kurz, „ zwischen 8 oder 9. Ich nehme mal an das du keine Schulbildung hast, nicht war?“. Cole nickte etwas beschämt. „Ist nicht so schlimm“, sagte sie freundlich, „Du bist nicht der einzige glaub mir!“, sie lachte kurz, „So und ihr wollt also hier wohnen?“

„Ja!“, sagte Mark freudig. „Sehr gut, das gemeinsame Abendbrot hat zwar schon vor einer viertel Stunde begonnen, ich denke das es aber nicht auffällt, wenn ihr euch noch schnell dazu setzt.“ Mit einer kleinen Handbewegung griff sie in eine Schublade und fast im selben Moment kam der Mann von vorhin herein. „Mr. Miggs, wären sie wohl so freundlich unseren neuen Mitbewohnern ihre Zimmer zu zeigen“, sie machte eine kurze Pause, in der sie aus dem Blätterhaufen vor ihr ein gelbes Blatt Papier hervorholte, „Das wäre dann Zimmer Nummer, 23.“






























7





„Natürlich, kommt mit ihr zwei.“ Schon viel mutiger stand Cole von dem Sessel auf und ging zur Tür, dort wartete er kurz um sicherzugehen, dass Mark auch wirklich hinter ihm war.

Die beiden sagten kein einziges Wort, als der Mann, Mr. Miggs, sie durch das Labyrinth von Gängen führte. Hinter jedem dieser Gänge kam Cole aus dem Staunen nicht mehr raus, da waren: Der große Speisesaal mit den lachenden und vergnügten Kindern, der Spielraum, mit allen möglichen Spielsachen , der Sportsaal und noch vieles mehr. Alles war mit Bildern an den Wänden verziert . Er kam sich vor, als wäre er nicht mehr auf der Erde sondern auf irgendeinem fernen Planeten und das war es auch, im Gegensatz zu dem was er davor gewohnt war.

Sie gingen nun eine hohe Treppe hinauf, machten hier und da eine Biegung, bis der Mann vor einer Tür stehen blieb. „Das ist euer Zimmer, wenn ihr es euch angesehen habt, kommt runter in den Speisesaal.“ Mit diesen Worten ging er den langen Weg zurück, bis er um eine Ecke bog und nicht mehr zu sehen war.

Da standen sie nun, allein auf dem weiten Gang und weder Mark noch Cole trauten sich die Tür zu öffnen. Cole starrte sie an, als hoffe er, dass sie sich wenn man sie lange genug betrachtete, von ganz allein öffnen würde. „Wir sind aber echt feige“, sagte Mark laut, so laut dass es an den vielen Wänden hundertmal widerhallte. „Ich weiss, aber das musst du doch verstehen, wir sind unser ganzes Leben lang immer vor etwas davongelaufen und erstens wissen wir nicht was uns hinter dieser Tür erwartet und zweitens hat mich das alles völlig überrumpelt! Das ging alles ziemlich schnell, das mit dem hier wohnen und vor allem das es hier doch völlig unerwartet schön ist,“ erwiderte Cole.

„Also ich bin dafür, dass wir langsam mal anfangen sollten uns das Zimmer anzusehen, du nicht?“ „Denn ich für meinen Teil möchte heute noch etwas essen!“ Mit diesen Worten griff er nach dem Türgriff und riss die Tür förmlich auf. Innerhalb von diesen 2 Sekunden war Cole vor Spannung und Aufregung die Luft weggeblieben, deshalb folgte er Mark nach Luft schnappend ins Zimmer. Darin befanden sich vier Betten, schön ordendlich in einer Reihe aufgestellt, er vermutete, dass sie sich dieses Zimmer mit zwei anderen Jungs teilen mussten. Jedes Bett hatte eine Nummer, die fein säuberlich in den Holzbalken der sich am Fuß des Bettes befand geritzt war.

Der Raum besaß drei große Fenster von denen man über die ganze feine Ortschaft blicken konnte und was das tollste war, vor jedem der Betten standen kleine Kisten mit Spielzeug und Süßigkeiten darin. Es sah bestimmt komisch aus, wie verdattert Cole zwischen den Betten stand und nicht recht wusste, was er machen sollte, während Mark sich zwei Gummibärchen aus der Kiste nahm und mit einem gekonnten Sprung ins Bett hüpfte. Kauend rief er Cole zu: „Was ist jetzt, hast du etwas keinen Hunger?“ „Nein,. Wie kannst du bei dem ganzen nur Hunger haben?“ Er ging zu einem der Fenster und sah hinaus, von dort konnte er genau auf das Dach eines anderen Hauses schauen, dass wie ein riesiges Tuch aussah. Erst jetzt bemerkte er, dass es schon spät am Abend war, denn die Sonne tauchte die Dächer der Straße in ein starkes Orange. Nun, als er so dastand spürte er, wie sein Magen anfing stark vor allem laut zu knurren. Konnte es wirklich sein, dass sie schon den ganzen Tag hier verbracht hatten? Cole hatte bei all den neuen Ereignissen völlig das Zeitgefühl verloren, zwar konnte er noch nie die Uhr lesen, geschweige denn dass er eine gehabt hatte, aber er wusste immer ob es Morgens, Mittags oder Abends war. „Gut, lass uns etwas essen, ich hab auf einmal doch Hunger!“ Ihm fiel es nicht sonderlich schwer, zu lächeln, denn er hatte heute ein neues, tolles Zuhause gefunden indem er auch

noch unterrichtet wurde.

„Endlich“, Mark rappelte sich von dem Bett auf, auf dem er gerade gelegen hatte und ging zur Tür. Er drehte sich um und nickte Cole zu. „Jetzt müssen wir nur noch zum Speisesaal finden, wenn der nicht schon total leer ist.“

Es dauerte eine Weile, bis die beiden sich durch die vielen Gänge des Hauses gewühlt hatten, doch am Ende standen sie vor dem wuchtigen Raum, indem noch vereinzelt Kinder saßen. Cole sah begeistert wie einige sich lachend unterhielten, andere malten etwas, ein paar waren noch beim Essen und wieder andere saßen ganz vertieft an einem Tisch und schrieben etwas auf ein Blatt Papier. „Sie machen Hausaufgaben“, erklärte ihm Mark. „Hausaufgaben?“, Cole hatte noch nie davon gehört. „Was ist das?“

„Das sind Aufgaben die man nach dem Unterricht machen muss, was rechnen, schreiben oder lesen.“

„Macht das Spaß?“

„ Eher nicht!“

Wenn er sich so im Saal umsah und sah was alle machten was er nicht kannte, kam er sich furchtbar klein und dumm vor, obwohl einige der Kinder jünger waren als er. „Hey, Cole! Wie wärs wenn wir uns an diesen Tisch setzten?“

Schnell ging er zu Mark, der sich an einen Tisch der sich am anderen Ende des Zimmers befand, gesetzt hatte. „Gut“, Mark klatschte in die Hände, „was willst du essen?“

„ Ich? Ich weiss nicht, ich kenn mich doch nicht aus.“

„ Ok, dann hol ich uns einfach etwas von da Vorne.“ Mit diesen Worten stand Mark auf und tapste durch den ganzen Raum, zum Essen, dass dort förmlich gestapelt war. Cole rutschte etwas unbeholfen auf seinem Stuhl herum, er war ganz und gar nicht so bequem wie die Stühle in dem Raum der Direktorin. Auf einmal war es still um ihn herum, unerwartet still. Er konnte seinen Atem hören und er meinte nicht atmen zu dürfen um die anderen nicht bei ihren Hausaufgaben zu stören. Ein lautes, „Platsch“, lies ihn erschrocken hochfahren, Mark hatte das Tablet so fest auf den Tisch geknallt, dass die Tischplatte sogar etwas wackelte. „Bitte schön. Ihr essen.“ Er deutete lachend auf das Tablet und setzte sich. Cole konnte nicht so schnell schauen, wie Mark sich einen Teller nahm und ihn auch schon leer gegessen hatte.“Was ist? Noch nie jemanden essen gesehen?“

„Doch doch.“ Er nahm sich auch einen Teller und verschlang ihn, er musste fast aufpassen, nicht auch noch den Teller mit zu essen.



8




Nachdem sie gegessen hatten, lehnten sie sich satt zurück und sahen zwei anderen Kindern dabei zu, wie sie ihre Hefte zusammen packten und kichernd aus dem Speisesaal liefen.

„Ich finde es hier einfach super!“, sagte Cole, „alles hier ist so fröhlich und das Essen ist echt spitze.“

„ Ich weiss, deshalb wollte ich dich ja her holen. Warte erst mal bis du das Spielzimmer siehst. Wir können ja dort ein bisschen Schach spielen.“

„ Gibt es dort viele Spiele?“

„ Ja, klar! Hunderte, und Bücher! Alle halten sich nach dem Essen dort auf.“

„ Oder nach den Hausaufgaben,“ ergänzte ihn Cole.

So standen die beiden auf und Mark zeigte ihm das Spielzimmer. Darin waren aber so viele Kinder, dass sie fast keinen Platz zum Spielen fanden, als sie endlich eine kleine Ecke gefunden hatten, mühte Mark sich vergebens damit ab, Cole das Schachspielen beizubringen, doch ohne großen Erfolg. Gerade als Mark Cole zum dritten mal Schachmatt setzten wollte, läutete eine laute Glocke. „Was ist das?“, fragte Cole erschrocken. Das ist die Glocke, sie läutet zum aufstehen und zum Schlafen gehen. „Also ist es jetzt Zeit zum Schlafen gehen,“ schloss Cole daraus. „Genau.“ Zusammen mit einer Gruppe anderer Mädchen und Jungen machten sie sich auf den Weg durch die vielen Gänge in ihr Zimmer. Cole wusste, dass sie sich ohne die anderen hoffnungslos verirrt hätten.


Vor ihrem Zimmer angekommen , öffneten sie schon mutiger die Tür. Als sie eintraten saßen zwei andere Jungen auf den zwei anderen Betten. Der eine trug eine Kugelrunde Brille und hatte blondes Haar, der andere hatte kohlrabenschwarzes Haar und eine sehr hohe Stirn, beide waren ungefähr in Coles Alter. Anscheinend waren sie nicht sehr gesprächig, sie sagten lediglich nur, „Hallo“, als die beiden zu ihren Betten gingen.

Er und Mark saßen wie begossene Pudel auf ihren Matratzen , während die zwei sich über irgendwelche Ereignisse unterhielten. Cole wollte einige Male etwas sagen, aber er traute sich nicht recht.

So schwiegen sie weiter, bis Mark sich schließlich dazu überwand etwas zu sagen, worüber Cole sehr dankbar war. „Wie heißt ihr eigentlich?“

„ Ich bin Mark und das ist Cole“. Er wies mit einer schnellen Handbewegung auf Cole. „Ich bin Zac“, antwortete der dunkelhaarige Junge ,“Und ich heiße Mason“, sagte der blonde Junge neben Cole.

„Cole ist neu hier und muss sich deshalb noch etwas eingewöhnen“, sagte Mark zu den zwei.

Diese zuckten gelangweilt mit den Schultern, standen der Reihe nach auf und verschwanden nebenan im Badezimmer. Cole hatte zuvor gar nicht bemerkt dass es auch ein Badezimmer gab, er hatte nur das Zimmer beachtet. „Zac und Mason scheinen nicht sehr nett zu sein, oder?“, wandte er sich an Mark. „Keine Sorge, ich bin sicher, dass sie ganz nett sind“, versuchte dieser ihn zu ermutigen, „Sie sind bestimmt nur gestresst von der Schule die sie heute hatten.“

Im selben Moment öffnete sich die Tür und Zac und Mason kamen in tief blauen Schlafanzügen herein, und legten sich ohne ein Wort in ihre Betten. Cole beugte sich zu Mark vor und flüsterte ihm zu: „Wo haben die diese Schlafanzüge her?“

„ Die sind hier Pflicht, schau mal unter dein Kopfkissen, da müsste einer liegen.“ Cole drehte sich um und hob sein Kopfkissen hoch, tatsächlich, auf der Matratze lag sauber gefaltet , ein dunkelblaues Hemd.

„Komm Co! Gehen wir ins Badezimmer.“ Schnell packte Cole seinen Schlafanzug und sprang aus dem Bett um Mark zu folgen, da er zu schnell war, stieß er versehentlich gegen die Bettkante und stieß sich gewaltig den Fuß an. Mit einem lauten Schrei humpelte er hinter Mark hinterher, gerade als er die Tür schließen wollte, hörte er, wie Zac ihm hinterher rief: „Noch lauter ging es wohl nicht?! Es gibt hier Leute die schlafen wollen!“

„ Genau!“, pflichtete ihm Mason lautstark zu, „neu hier und schon denken dass man sich alles erlauben kann!“ Erschrocken schloss er die Tür, bemüht, dies möglichst leise zu tun.

Das Bad war nicht besonders schön, es war gerade groß genug für zwei Personen und enthielt nur eine Toilette und ein Waschbecken, dennoch war es für Cole das reinste Luxusbad, er war ja kein anderes gewohnt.

Sie putzten sich mit zwei Zahnbürsten die an der Wand hingen sie Zähne, wobei Mark ihm zeigen musste wie man das machte. Schnell wuschen sie sich und gingen dann zurück zu den Betten um sich schlafen zu legen.




9

 

 

Als Cole am nächsten Morgen aufwachte, traute er sich nicht die Augen zu öffnen.

Und wenn das alles ein schöner Traum war, und ich,wenn ich die Augen aufmache wieder in meiner schäbigen Hütte bin? Dachte er sich ängstlich. Sein Magen knurrte und er fing an sich , wie jeden Morgen zu überlegen wo er heute sein Frühstück her bekommen sollte. Gedanken verloren rieb er sich den Bauch, doch was war das? Er spürte nicht sein raues Hemd, sondern weichen Stoff.! Auch die Decke schien anders zu sein, weicher. Da er dachte das er noch träumen würde, schlug er sich heftig ins Gesicht. Wach auf! Wach auf Cole!

Doch nach und nach begriff er, dass er schon längst wach war.

Plötzlich vernahm er neben sich ein tiefes gleichmäßiges Atmen. Sogar mehrere. Langsam setzte er sich auf. Da merkte er das er in einem Bett lag und ihm gegenüber lag Mark, Füße und Arme vom Bett hängend. Neben ihm und Mark lagen zwei andere Jungen. Erleichtert ließ er sich in sein Kissen hineifallen. Es war kein Traum! Er war wirklich in diesem herrlichen Haus! Dabei hätte er schwören können dass er, Cole, noch in seinem Versteck war.

Angestrengt versuchte er sich zu erinnern wie die anderen Jungen hießen. Doch es fiel ihm nicht ein. Er wälzte sich hin und her, dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Mason und Zac! Er richtete sich erneut auf und betrachtete sie. Sie sahen gar nicht aus, wie Waisen oder Straßenkinder, er hingegen schon, er wusste nicht einmal wie er wirklich hieß. Den Namen Cole hatte er sich gegeben, als er ein Hemd klauen wollte, den Namen von einer Gruppe Jungen hörte, die sich auf dem Platz versammelt hatten und dort etwas spielten. Es war bis zu diesem Zeitpunkt der einzige Name den er kannte und er benannte sich einfach so, denn er fand, dass jeder einen Namen haben sollte. Auch fragte er sich oft, woher er überhaupt sprechen konnte, da er gehört hatte, dass man es von seinen Eltern oder sonst jemanden lernte. Diese Momente in denen er über all die Dinge nachdachte waren gefährlich, da er immer drohte in Selbstmitleid zu versinken, darum war er sichtlich froh, obwohl er auch fürchterlich erschrak, als die laute Glocke läutete.

Wie auf Knopfdruck sprangen Zac und Mason aus ihren Betten und eilten ins Badezimmer. Einen kurzen Augenblick später kamen sie wieder heraus gerannt, warfen ihren Schlafanzug aufs Bett und gingen aus dem Raum. In der ganzen Zeit hatten sie ihn nicht einmal zur Kenntnis genommen. Er hoffte sehr, dass sie noch gesprächiger werden würden, doch es hatte nicht den geringsten Anschein. Langsam kletterte er aus seinem Bett, streckte sich und sah zu Mark hinüber, der immer noch schlief. Wie konnte er bei dem Lärm den diese Glocke verursachte nur schlafen? Schnell ging er zu ihm und fing an, ihn heftig zu rütteln. „Hallo!“ „Mark?“ „Wach auf“, er rührte sich nicht. „Schnell!“ „Ich glaube, dass wir uns beeilen sollen!“, rief er.

Endlich bewegte er sich und versetzte Cole einen heftigen Schlag ins Gesicht, sodass dieser taumelte und auf den Boden fiel. „Sag mal, hast du sie noch alle!“, brüllte er ihn an, und rieb sich das Gesicht.

„Mmm?“, war Marks einzige Antwort, als er sich gähnend aufsetzte. „Was ist denn los?“

„ Was los ist?“, fragte Cole wütend, „du hast mir eben ins Gesicht geschlagen.“ Mark sah ihn verständnislos an, dann fing er an laut zu lachen. „Was ist daran denn komisch?“

„ Na ja!, dein Gesicht solltest du sehen. Ich hab dir doch gesagt, dass es gefährlich ist mich zu wecken.“ Im Gegensatz zu Mark fand es Cole überhaupt nicht lustig und sein Gesicht tat ihm immer noch gehörig weh.

„Zac und Mason sind, als die Glocke geläutet hat, ganz schnell raus gerannt, vielleicht sollten wir uns auch mal ein bisschen beeilen?“, schlug er ihm genervt vor.

„Jetzt bleib mal locker Co!“. Mark schälte sich gemächlich aus seinen Decken und setzte sich auf die Bettkante. „Ok, tut mir Leid mit deinem Gesicht ich bin nur fürchterlich erschrocken.“, stammelte er. „Ist schon in Ordnung“, sagte Cole, „also, was ist jetzt?“.

„ Na gut“, Mark stand auf und sie gingen ins Bad. Im Gegensatz zu Zac und Mason brauchten sie viel länger, und als sie fertig waren, machten sie vorbildlich ihre Betten. Danach machten sie sich auf den Weg ins Speisezimmer.

 

 

 

 

 

 

10



Es kam Cole so vor, als würden sie diesmal den Weg dorthin schon viel schneller finden, wobei sich hauptsächlich Mark durch die vielen Gänge schlängelte, denn Cole kam nach wie vor jeder Gang gleich vor.

Er musste sich eingestehen, dass er ohne Mark zweifellos verloren wäre, er würde erstens immer noch in dieser kleinen Hütte leben und hätte sich zweitens immer verlaufen, besonders jetzt. Er versuchte sich die Wege die sie nahmen so gut es ging einzuprägen, doch sobald Mark um eine weitere Ecke bog, verlor er die Übersicht. Das war das einzig negative, jedenfalls bis jetzt.

Rasch bogen sie um eine Ecke und schon standen sie vor der wuchtigen Tür des Speisesaals.

Beide zögerten. „Was, wenn sie uns nicht mögen?“, fragte Cole. Mark sah sich um,

„Wieso sollten sie das nicht tun?“, fragte er, „wir haben ihnen nichts getan. Ich glaube dass Mason und Zac einfach müde waren, oder keine große Lust hatten mit uns zu reden.“

„Wenn du meinst“, erwiderte Cole, „wir sehen nun mal auch nicht so aus wie sie“

„Sei doch froh“, lachte Mark.

„Du weißt genau was ich damit meine, so fein“.

„Glaub mir, das taten sie auch nicht, als sie hierher kamen“. Mit diesen Worten öffnete er die Tür und ging vorneweg auf einen freien Tisch zu. Cole nahm all seinen Mut zusammen, von dem es nicht viel gab, und ging ihm hinterher, er hatte erwartet, dass keiner sie weiter beachtete so wie Zac und Mason es getan hatten, doch kaum hatten sie den Saal betreten, sahen alle zu ihnen auf und starrten sie an. Cole fühlte sich schrecklich unwohl, er ging schneller um Mark einzuholen, der sich bereits an einen der Tische gesetzt hatte, und setzte sich ebenfalls. Er sah am anderen Ende, an einem massiven Tisch die Frau sitzen, die sie am vorigen Tag empfangen hatte, sie erhob sich und es wurde augenblicklich still. Mit fester Stimme verkündete sie: „Das sind Mark und Cole, die beiden sind neu hier, seid deshalb nett zu ihnen!“, damit verließ sie mit Mr. Miggs den Raum.

Er war erleichtert, als er sah, dass alle sich wieder ihrem Essen widmeten. Er und Mark standen auf und holten sich etwas zu essen. Sie mussten sich beherrschen, nicht alles zu verschlingen, um nicht ordinär zu wirken, denn alle, oder die meisten aßen doch sehr gesittet. Gerade als er mit Mark in einem Gespräch, oder vielmehr in eine Diskussion vertieft war, räusperte sich jemand über ihm. Als er aufsah, war er sehr überrascht als er das Gesicht von Mason sah. „Können wir uns zu euch setzten?“, fragte er.

„Klar“, sagte Mark, „setzt euch ruhig.“ Mit einem zwinkern beugte er sich zu Cole, „Siehst du Co, jetzt sind sie schon netter.“ In dieser Sekunde fiel ihm ein großer Stein vom Herzen. Denn was brachte es in einem so tollen Haus mit allem drum und dran zu wohnen, wenn alle unfreundlich waren und ihn hassten?

Zuerst war ihr Gespräch nicht sehr spannend und auch nicht sehr viel, biss sie anfingen von dem Unterricht zu sprechen, den sie dort erhielten. Dass Mr. Miggs und noch ein anderer Lehrer, Mr. Clayse, die einzigen Lehrer waren, Mr. Miggs unterrichtete sie in Mathe, wie Cole später erfuhr dass dies rechnen war und er brachte ihnen lesen und schreiben bei, das was er immer lernen wollte. Mr. Clayse unterrichtete sie in Sport und Musik. Zac brauchte eine Weile bis er Cole erklärt hatte, wozu man denn Sportunterricht bräuchte, aber als er es verstanden hatte, freute er sich, denn in Sport so glaubte er, war er sehr gut, da er immer am weglaufen oder am springen war, wenn er auf der Flucht gewesen war. Er konnte es kaum erwarten. Innerlich machte er einen rießen Luftsprung als er hörte das er und Mark mit Mason und Zac in einer Klasse waren. Es stellte sich heraus, dass eine Klasse aus mehreren Kindern bestand, die den selben Unterricht besuchten. Das alles fand er äußerst spannend, auch die Art wie Mason alles erzählte, fast so als mochte er das alles nicht. „Also“, sagte Zac, „wenn die Glocke noch einmal läutet, beginnt unser Sportunterricht, wenn sie noch einmal läutet ist er vorbei und wir haben Musik, ab da ist es immer so, dass wenn sie läutet dass wir dann einen anderen Unterricht haben.“

„ Insgesamt läutet sie vier mal, ohne die zwei mal, wenn wir aufstehen oder schlafen gehen sollen“, schloss Mason.






11



Gemeinsam standen sie auf, und verließen den Speisesaal.

Auf dem Weg zur großen Tür, läutete es erneut. „So, jetzt beginnt der Unterricht“, sagte Zac und schnitt gelangweilt eine Grimasse zu Mason, der laut auflachte. Erstaunt drehte Cole sich zu den beiden um und fragte: „Mögt ihr den keinen Unterricht?“.

Mit einem breiten Lachen antwortete Mason: „Nein, niemand tut das, immer still sein und still sitzen, ausser in Sport. Dann noch Hausaufgaben.“

„ Aber, ihr lernt doch etwas, dass muss doch aufregend und spannend sein“, schloss Cole . Bevor sie weiter diskutieren konnten, unterbrach sie Mark, indem er sich einfach zwischen Cole und Mason stellte.

„So! Co, sieh es einfach ein, niemand mag Unterricht, ich auch nicht.Und es ist außerdem doch total egal!“

Damit war die Sache erledigt. Er wollte sich nicht gleich am Anfang mit den beiden streiten, denn er war froh das überhaupt jemand mit ihnen sprach. Mark öffnete die Tür und Cole ging, diesmal von seinem Mut ganz überrascht, vorneweg hinaus. Doch sein Stolz verschwand in der nächsten Sekunde, denn er war als er weiter ging, mit der Direktorin zusammen gestoßen, die um eine Ecke gebogen war. „Ah! Ich habe auf sie beide gewartet!“, sagte sie und winkte Mark und Cole zu. Mason beugte sich zu ihm vor und flüsterte ihm ins Ohr: „Das gab es noch nie. Gleich am ersten Tag, oder besser gesagt Morgen schon Ärger.“

„ Na gut. Wir treffen uns, wenn es gut geht auf dem Sportplatz.“

Damit gingen Zac und Mason davon. Cole konnte verstehen das sie sich schnell aus dem Staub machen wollten, denn die Frau sah keineswegs freundlich aus. Während Mark zu ihr hinüber trottete, stand er etwas hilflos vor der Tür. Was sollte er jetzt machen? Er konnte sich keinen einzigen Schritt bewegen, er hatte Angst. Was wenn sie ihn nach nur einer Nacht im Waisenhaus schon wieder hinaus warfen? Er schluckte einen dicken Kloß den er im Hals hatte hinunter und ging Mark auf wackeligen Beinen hinterher.

„Habt ihr euch denn schon eingelebt?“, fragte sie, als er angekommen war.

„J...,“ er schluckte, „ja“, sagte er schließlich kleinlaut.

„Uns gefällt es gut“, half ihm Mark mit fester Stimme. Cole sah bewundernd zu ihm auf. Wie konnte er nur so viel Mut aufbringen? Die Frau, die dies vermutlich sah, lächelte vergnügt. „Na, dann kommt mal mit“, forderte sie die zwei auf. Da Cole ein weiteres Mal mutig wirken wollte, ging er ihr als erster hinterher, ertappte sich aber dabei, wie er sich instinktiv nach Mark umsah. Sie führte sie vor eine blaue Holztür, die gar nicht zu der restlichen Einrichtung passte. Als sie eintraten, befanden sie sich in einem kleinen, schwach beleuchteten Raum, der mit Kartons zugestellt war. „So, jetzt sehen wir mal“, murmelte sie, während sie verschiedene Kisten öffnete. Dann übergab sie jedem von ihnen eine davon. „Ihr findet darin zwei Hefte, ein Schulbuch, drei Stifte und ganz wichtig“, sie atmete tief durch. „Eine Schuluniform! Bestimmt habt ihr schon bemerkt dass man hier eine trägt, sagte sie, am besten ihr zieht euch gleich um, denn ihr müsst ja sicher zum Unterricht.“

„Gut, dann lass ich euch am besten wieder allein. Viel spaß an eurem ersten Schultag!“

Fröhlich summend verließ sie den Raum.

„Ach! Ganz wichtig, in der Kiste ist auch euer Stundenplan!“, schallte es von weither zurück. Cole öffnete sie, und fand einen klein zusammengefalteten Zettel, auf dem in kleinen Buchstaben irgendetwas stand, dass er aber nicht lesen konnte. „Na das ist ja sehr schlau!“, donnerte er, „sie geben uns einen Stundenplan damit wir wissen was wir haben und wo wir hin müssen und keiner von uns kann lesen!“

„ Reg dich ab!“, versuchte Mark ihn zu beruhigen, „am besten wir ziehen jetzt unsere Uniformen an und dann sehen wir weiter.“

Gesagt getan. Wenig später hatten sie die ebenfalls blaue Uniformen an.

„Schick!“, lobte Mark, „da kommt man sich ja ganz fein vor, was?“

„ Ich weiß nicht, ich finde sie kratzen ganz schön,“ spöttelte Cole.

„Ich weiß, aber man kann es ihnen nicht über nehmen das sie hier nur raue Sachen haben“, lachte Mark.

„Ich hatte noch nie in meinem Leben so etwas schönes an“, gestand Cole verlegen.

Er konnte sein Glück kaum fassen, sein Leben hatte sich innerhalb eines Tages total verändert, gestern hatte er Lumpen an und schlief in seiner kleinen Hütte und heute trug er diese feinen Sachen und war in einem rießigen Haus.




12

 

 

Doch schon am Anfang des ersten Tages hatten sie ein Problem.

Sie wussten, da sie nicht lesen konnten, nicht wohin sie sollten, noch was ihr erster Unterricht überhaupt war. So standen sie immer noch in dem Zimmer und hofften das sie doch noch schnell lesen lernten, um den Plan zu entziffern. „Oje!“, seufzte Cole, „ich hoffe das wir keinen Ärger dafür bekommen, dass wir zu spät sind.“

„ Wenn wir sagen das wir nicht lesen können, lacht man uns sowieso aus, also ist es egal“, erwiderte Mark.

„Das ist mir wenn ich ehrlich sein soll lieber, als gleich Ärger zu bekommen“. Mitten im Wort stockte er. „Weisst du was?“

„Nein!“, murrte Mark, „was denn jetzt schon wieder?“

„ Na, Zac! Er hatt doch gesagt, dass wir jetzt Sport hätten, sie würden schon mal vor zur Sporthalle gehen!“ Mason hat es außerdem auch gesagt.

„Toll!“, brüllte Mark, „was nützt uns das jetzt?“

„. Ich versteh nur Bahnhof“, gab Cole zu.

„Denk doch mal nach! Kann es sein , dass wir nicht wissen wo das ist? Oder weisst du das?“, fragte Mark. Cole der von seinem Einfall sehr stolz gewesen war, wurde etwas blass. Jetzt waren sie genauso schlau wie zuvor. Oder doch nicht? Er räusperte sich stolz: „So schlimm ist das nicht, ich meine wir können ja jemanden fragen.“ Er konnte ein lachen nicht verkneifen, denn jetzt war er es, der jemandem gut zuredete.

„Ja, genau! Wie stellst du dir das vor?“, spöttelte Mark, „willst du zur Direktorin spazieren und zu ihr sagen: „Entschuldigen Sie, aber wir sind beide zu blöd um den Sportplatz zu finden?“

So hysterisch kannte er Mark gar nicht, er machte einem ja richtig angst.

„Dann bleiben wir eben hier drinnen und verstecken uns“, schlug er verärgert vor. „Das dürfte eh keinem sonderlich auffallen, außer vielleicht Mason oder Zac!“ Nun schien Mark sich etwas zu beruhigen. „He, Co, was schließt du aus dem Wort Sportplatz?“, fragte er.

„Das es ein Platz ist, auf dem man Sport machen kann?“

„ Nein, das er draußen ist, vermutlich. Denn ich glaube kaum dass ein so großer Platz hier rein passt, egal wie groß es hier ist.“

„ Aber draußen ist doch nichts“, widersprach Cole, „da ist doch alles nur grau und hart!“

„ Schon mal auf die Idee gekommen, dass es hinter dem Haus weitergehen könnte?“

„ Los, komm!“

Mark sprintete vorneweg und Cole ihm hinterher. Vor einer dünnen Eisentür blieb er stehen und wartete bis Cole ihn eingeholt hatte. „Ach du meine Güte! Bei dem Tempo hättest du Sport jetzt nötig“, lachte er und stieß die Tür auf. Cole hatte nicht damit gerechnet, dass es hinter dem Haus wirklich weiterging. Doch vor ihm erstreckte sich ein unglaublich großer und breiter Platz aus Kies, auf dem alle möglichen Geräte aufgestellt waren über die verschiedene Jungen und Mädchen sprangen oder kletterten.

„Was jetzt?“, wandte er sich an Mark.

„Ganz einfach, ich schätzte dass, dieser Typ da vorne der Lehrer Mr. Clayse ist“. Er deutete auf einen großen, muskulösen jungen Mann, der neben einem Balken stand und einen Jungen anschrie, da dieser sich vermutlich zu dumm anstellte. Schon ging Mark auf ihn zu. Cole war gar nicht gut, er fand den Mann, Mr. Clayse, unheimlich, auch kam er sich langsam wie ein Hund von Mark vor, da er diesem immer treu hinterher lief und alles tat was dieser ihm sagte. Sollte er schnell davonlaufen? Sich in dem Raum verstecken? Noch hatte er die Gelegenheit dazu.

Gerade wollte er umkehren und das tun, doch es war schon zu spät, Mr. Clayse hatte sie entdeckt und ging mit schnellen Schritten auf sie zu. „So!“, seine kräftige, tiefe Stimme bestätigte Coles Verdacht nur noch und lies ihn schaudern. „Ihr kommt aber reichlich zu spät, was? Wer ich bin wisst ihr ja bereits, wie heißt ihr?“.

„Mark und Cole“, sagte Mark.

„Aha“, Mr. Clayse trug sich die Namen in eine Liste ein und trommelte die übrigen Kinder zusammen. Brav versammelten sich alle im Halbkreis um ihn herum. „Gut! Jetzt mal etwas Anspruchvolleres! Sprinten, und dabei über die Balken hüpfen“. Als alle laut auf atmeten, überzog ein fieses Lachen sein Gesicht. „Na na! Wer wird denn gleich schlapp machen?“, fragte er spöttisch, „freut euch! Denn Mark und Cole waren so nett und haben sich bereit erklärt, den Anfang zu machen“. Er schob Cole zur Startlinie und stellte sich neben ihn.

 

 

 

 

 

 

13



Er war so aufgeregt, dass er im ersten Moment gar nicht mitbekam, was er eigentlich tun sollte. So stolperte er unsicher zu der weißen Linie, die auf den Platz gemalt war.

Da stand er nun, an der Spitzte einer großen Gruppe Kinder, die sichtlich froh darüber zu sein schienen, dass Cole zuerst an der Reihe war. Ein Paar fingen an zu tuscheln, was ihn noch aufgeregter machte. Er wusste nicht einmal was er überhaupt zu tun hatte. „Ruhe!“, brüllte Mr. Clayse und es wurde wieder still.

„Also, die Aufgabe lautet wie folgt“, lachte er finster und machte eine lange Pause. Um ihn herum fingen alle wieder an zu tuscheln. Cole verstand nicht. Sollte er jetzt sagen was sie tun sollten? Er konnte sich erinnern, dass Mr. Calyse etwas zu ihnen gesagt hatte, hatte aber nicht genau zugehört. So antwortete er schüchtern, „ich weiss es nicht, Sir.“ Er erschrak sehr, als die anderen tief einatmeten. Was passierte eigentlich, wenn jemand nicht aufpasste, oder etwas nicht wusste? So wie er eben? Hilfe suchend sah er zu Mark, der nicht sehr besorgt aussah, und versuchte ihm irgendetwas mit den Händen zu erklären. Als er meinte das er es einigermaßen verstanden hätte, fügte er hinzu: „ Wir sollen über diese Balken dort springen, Sir.“

Mr. Clayse lachte laut auf. „Und das hatt jetzt so lange gedauert bis dein Gehirn diese Frage verarbeiten konnte?.“ Peinlich berührt senkte Cole den Kopf.

„Na dann“, Mr. Clayse pfiff in eine Pfeife, die ihm um den Hals hing. Der Pfiff war so laut und so plötzlich ,das Cole zusammen zuckte und sich das Ohr rieb. Aber, nichts geschah.

„Soll das etwa eine Arbeitsverweigerung sein!“, donnerte Mr. Clayse und schlug Cole auf den Kopf. Dieser wusste gar nicht wie ihm geschah, was hätte er denn machen sollen? Fragend sah er seinen Lehrer an, der ihn wütend anfunkelte.

„Du sollst laufen!“, brüllte dieser und gab Cole einen so festen tritt in den Hintern, dass dieser das Gefühl hatte nicht laufen zu müssen, da er eh quer über die ganze Bahn flog. Verschreckt sprintete er los.Was, wenn er zu schlecht war? Was würde dann passieren? Doch er wusste dass er sich darüber keine Gedanken machen musste, er musste sich nur vorstellen, dass eine Horde Menschen die er zuvor beklaut hatte, hinter ihm her waren und er über Hindernisse springen musste, um ihnen zu entkommen.

Das tat er auch, seine neuen Schuhe fegten nur so über die Bahn und wenn er sprang dachte er, er müsste darüber fliegen so leicht ging es. Langsam aber sicher spürte er, wie der Druck von ihm ab zufallen begann und er entspannte sich etwas. Er genoss sogar die kalte Luft die ihm entgegen schoss, denn sie war ihm sehr vertraut. Bei jedem weiteren Hindernis war der Balken etwas höher, so war folglich der letzte der höchste, doch Cole machte sich darüber keine allzu großen Gedanken, er konnte ja springen, und er war schon mehrmals über weitaus höhere Sachen gesprungen. Gerade als er über den vorletzten Balken gesprungen war, nahm er ausreichend Anlauf um genügend Schwung zu bekommen, als er hinter sich die übrigen Kinder hörte wie sie begeistert riefen: „Los! Los! Du schaffst es.“

Diese Rufe brachten ihn so ausser Kontrolle dass er leichtsinnig wurde und vor lauter Stolz viel zu früh vom Boden absprang. Sein Schuh verhakte sich im Balken und er viel mit einem lauten Schrei auf den Boden.

Alle Arme und Beine von sich gestreckt blieb er keuchend liegen, und bekam nur vage mit, wie sich viele Gesichter über ihn beugten.

„Oh!“, hörte er einen Jungen flüstern, „dass gibt ärger!“

„ Ich weiß“, pflichtete ihm ein anderer bei.

Zuerst waren die verschiedenen Gesichter nur schwarz weiß, aber nach und nach wurden sie schärfer und er erkannte Marks Gesicht direkt über ihm. „Hats weh getan?“, erkundigte er sich. Doch Cole konnte ihm nur ein: „Mmmmh“, zur Antwort geben. Schnell wichen alle von ihm zurück und Mark, der noch über ihn gebeugt da stand und sich nach Coles Befinden erkundigte, wurde einfach zur Seite gestoßen.

„Na, so was?, Cole bist ja anscheinend doch nicht so fit?“, höhnte Mr. Clayse. „Sollen beim nächsten Mal die anderen mit dir mitlaufen und dich etwa immer hoch heben?“ , er lachte, dann rief er in die Runde: „Dalli dalli! Macht euch an die Arbeit, nur weil Cole es nicht geschafft hat, heisst das nicht das ihr es auch nicht schafft!.“






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„So!“, er wandte sich mit einem sichtlich aufgezwungenen Lachen wieder Cole zu. „Du denkst also, du könntest hier schlapp machen, was?“, fragte er und zog fragend die Augenbrauen hoch. Cole, der immer noch am Boden lag, merkte dass er begann heftig zu zittern. Was erwartete er? Glaubte Mr. Clayse etwa, er wäre auf anhieb ein super Atlet? Da er merkte das Mr. Clayse offenbar auf eine Antwort wartete, stammelte er schnell verlegen ein paar Entschuldigungen und hoffte, dass dies reichen würde.

Mr. Clayse schien dass nicht so zu sehen, er packte Cole fest am Arm, riss ihn in die Höhe und schleppte ihn zurück zu der Tür, aus der Mark und er zuvor gekommen waren.

„ Lass dich nie wieder bei mir im Sportunterricht blicken! Verstanden!“, rief er zornig, und knallte wütend die Tür hinter sich zu, sodass Cole sich beinahe noch den Arm eingequetscht hätte.

So stand er, wie ein begossener Pudel vor der schweren Tür, und wusste zuerst überhaupt nicht wie ihm geschehen war. Hatte Mr. Clayse nicht etwas über reagiert? Er fühlte sich wie schon so oft, hilflos. Was sollte er nun tun? Einfach zurückgehen? Mr. Clayse würde ihm mit ziemlicher Sicherheit den Hals umdrehen. Weglaufen? Er konnte Mark nicht so einfach im Stich lassen. Obwohl er wusste, dass er eher Mark brauchte, anstatt dieser ihn.

Nach einer kurzen Überlegung beschloss er, sich einfach auf einen dreibeinigen Stuhl, der in einer Ecke stand, zu setzen. Dieser Stuhl war betimmt das einzige, was in diesem Haus nicht perfekt war. So verstrich einige Zeit, und Cole saß immer noch auf dem wackligen Stuhl. Abwechselnd blickte er hinüber zur Tür und von dort um die Gänge, die davor abzweigten, um rechtzeitig zu bemerken, wenn ein Lehrer oder Schüler herumwanderte, denn er wollte so gut es nur ging, vermeiden, dass er sich wieder irgendwelche Erklärungen dafür abwürgen musste, warum er nicht im Unterricht war. Fast war er ein wenig eingenickt, als wieder die Glocke läutete Er würde sich sicher nie an das dröhnende Geräusch gewöhnen. Er stand gerade noch rechzeitig von dem Stuhl auf, als auch schon ein Traube von Kindern ins Haus strömten. Mitten drin, Mark, verschwitzt und müde unterhielt er sich mit Zac und Mason. Als er sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Gesicht wischte, erblickte er Cole , winkte Zac und Mason zu und kam, gefolgt von den beiden, zu ihm herüber.

„Puh! Das hättest du mitmachen müssen“, stöhnte er, „dagegen waren die Balken ja reines Vergnügen!“

„Du kannst echt froh darüber sein, dass du rausgeworfen wurdest“, keuchte Zac. Traurig gab er zurück: „Leider! Ich hätte gern mitgemacht, ich schätzte mich mag hier keiner!“

In diesem Moment rempelte ihn ein vorbeigehender Schüler an und Cole fühlte sich in seinem Verdacht nur bestätigt. Ach was!, versuchte Mason ihn aufzumuntern, bestimmt jeder von uns wurde schon mal von Mr. Clayse rausgeworfen, wenn nicht schon öfter. Außerdem mögen wir dich, wenn auch nicht von anhieb an, ich meine wegen Gestern. He!, schallte es auf einmal aus einem Winkel des Korridors, Zac, Mason! Beeilt euch lieber, wir haben jetzt Musik! Ich würde niemals bei Mr. Clayse zu spät kommen! Cole hatte sich umgesehen, um zu sehen von wem diese Stimme kam. Es war ein dunkelblonder Junge, viel älter als er, vor allem größer, der umringt von kleineren Kindern nun die Treppen hinaufging. Stimmt das?, fragte er und hoffte zugleich, dass es das nicht tat, haben wir wirklich noch einmal Mr. Clayse?, er konnte den Namen schon nicht mehr hören. Ja, stimmt, leider, presste Zac zwischen den Zähnen hervor, ich hasse diesen Mann. Cole hoffte dass die Glocke sich mit dem läuten noch ein bisschen Zeit lassen würde, denn er wollte diesen Mann nicht schon wieder sehen, doch als hätte er es geahnt, läutete sie just in diesem Augenblick. Oh, Nein!, rief Mark durch den schallenden Lärm, der Typ von vorhin hat doch gesagt, dass es schlimm ist wenn man bei Mr. Clayse zu spät kommt. Er machte eine kleine Pause um zu schlucken. Genau das tun wir jetzt grad!





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Er und Mark hatten große Mühe bei Zac und Mason zu bleiben, da diese die einzigen waren, die den Weg durch das Haus zum Musikzimmer kannten. Obwohl Cole schon die Lunge brannte und er hechelte, wurden die beiden immer schneller.

„Wartet!“, rief er ihnen keuchend hinterher, als sie durch einen stinkenden Korridor rannten, „ich kann nicht mehr rennen!“

Doch sie waren schon zu weit weg. Da lehnte er sich einfach gegen eine Wand, die giftgrün gestrichen war und verschnaufte dort. Hinter ihm hielt Mark und tat es ihm nach.

„Co?“, er wischte sich die Stirn, „schon ein gewaltiger Nachteil wenn ein Haus so groß ist, was?“, er lachte gequält.

„Ja, schon“, gab er etwas genervt zu, er wollte jetzt mit niemandem reden.

„Weisst du?“, wandte er sich nun doch an Mark, „alles hier hat gestern so schön ausgesehen und angehört, aber jetzt stellt sich genau das Gegenteil raus“. Er war sich sicher, dass man ihm seine Enttäuschung deutlich ansehen konnte, denn ihm war zum heulen zu mute.

„Warum?“, Mark stand nun kerzengerade mitten im Weg.

„Na, weil uns keiner hier wirklich leiden kann!“, wütend schlug Cole gegen die Wand, tat sich damit aber mehr weh als der Wand.

„Ach was!, denk doch an Zac und Mason?, was ist mit denen?“, kopfschüttelnd drehte Marl sich ein paar mal auf der Stelle.

„Ja, ich weiss nicht recht“, musste Cole zugeben, „was wenn sie sich nur über uns lustig machen wollen? Und Mr. Clayse? Er mag mich auch nicht. Da waren ja selbst die Wachen noch netter.“

„ Ja kar!“, Mark kam auf ihn zu und versetzte ihm einem leichten Schlag gegen die Schulter, „jetzt übertreibst du aber, ich meine sie wollten uns umbringen“, er lachte, „ich glaube nicht, dass Mr. Clayse uns so sehr hasst dass er es auch will!“

In diesem Moment kamen Zac und Mason zurück und scheuchten sie unter lautem Mürren zum Musiksaal.

Dort angekommen erging es ihnen deutlich besser als in Sport, anscheinend hatte Mr. Clayse Cole schon aus seinem Gedächtnis verbannt. Doch Cole musste feststellen, dass Musik total langweilig war. Er musste sich ein Instrument aussuchen, nachdem er Mr. Clayse vorsingen sollte und dabei versagte. Er wählte eine dunkelbraune Flöte, die er schwer in den Händen hin- und her wog.. Den Rest der Stunde konnte er sich damit abmühen ,ordentliche Töne zu erzeugen, doch es gelang ihm nur sehr dürftig.

Danach hatten sie Schreiben, das Fach das er am meisten haben wollte, Mr. Miggs wirkte eindeutig freundlicher gegenüber Cole. Er bewies sehr viel Geduld indem er Cole zum hundersten Mal zeigte wie man nun das I, oder K, schrieb. Insgesamt war Cole am Ende der Stunde sehr zufrieden, denn er hatte es geschafft, dass ganze Alphabet zu schreiben. Und er war besonders Stolz darauf, da Mr. Miggs ihn als Wunderkind, und Naturtalent bezeichnete. Zwar wirkten seine Buchstaben im Gegensatz zu denen von Mason oder Zac noch sehr kindisch und unordendlich, aber immerhin. Danach war Mathematik an der Reihe und während die anderen Aufgaben lösen sollten, nahm Mr. Miggs Cole beiseite, in einen kleinen Raum, und lehrte ihm dort das Einmaleins. Coles Aufmerksamkeit schien immer mehr nachzulassen, sein Blick schweifte mehr und mehr in dem Raum umher, als Mr. Miggs anzusehen.

Der Raum war sehr klein und voll mit Zahlen und verschieden Gerätschaften die wahllos an den Wänden hingen.

„Cole?“, unterbrach ihn Mr. Miggs geduldig, „hast du mir zugehört?“, er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und strahlte Cole förmlich an. „Kannst du mir noch einmal das 10-einmaleins aufsagen?“, fragte er und senkte fragend den Kopf. Cole nickte und begann, „10, 20, 30, 40, 50...“, da läutete erneut die Glocke, zum letzten Mal. Denn da er nun endlich etwas zählen konnte, hatte sie schon viermal geläutet. „Gut“, schloss Mr. Miggs und erhob sich, „du kannst gehen, einen schönen Tag noch“.

Damit war er verschwunden. Insgeheim war Cole sehr erleichtert, dass es gerade in diesem Moment geläutet hatte, denn weiter konnte er nicht zählen. Lächelnd ging er zu den anderen. Hier war es doch nicht so schlimm, er musste sich nur tapfer durchbeissen und nicht bei jeder Kleinigkeit den Kopf in den Sand stecken. Er traf auf Mark, Zac und Mason, die ihre Sachen zusammen räumten.Wahrscheinlich war Mark morgen an der Reihe, die Zahlen zu lernen und auch um das Alphabet schreiben zu können, denn heute hatten alle sich nur um ihn gekümmert.aber als er Mark betrachtete, schloss er daraus, dass es ihm nichts auszumachen schien.




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Nachdem sie ihre Hefte hastig auf ihre Betten geworfen hatten, rannten Mark und Cole mit Zac und Mason hinaus auf den Sportplatz. Dieser wirkte ohne Mr. Clayse gleich viel freundlicher.

„Darf man hier ohne Weiteres überhaupt spielen?“, fragte er besorgt, wie immer hatte er Angst. „Klar!“, entgegnete ihm Zac, er wies auf eine kleine Gruppe anderer Jungen, die auf dem Rasen weiter hinten standen.

„Hey!, kommt sie fangen bald an!“, rief ihnen ein Junge von dort zu. „Mit was?“, warf Cole schnell bevor alle zu der Gruppe hechteten, dazwischen.

„Mit dem Fussballspiel“, sagte Mason, der mitten im rennen stehen geblieben war. „Das machen wir immer nach der Schule.“

„Und was ist mit Hausaufgaben?“, fragte er und drehte sich zu Mark um. „Du bist aber echt naiv!“, spöttelte dieser, „siehst du auch nur einen, der jetzt Hausaufgaben machen will?.“ Damit rannte er den anderen hinterher.

Cole wusste weder was naiv bedeutete, noch was an dem Gedanken Hausaufgaben zu machen so abwegig war. Aber er wollte auch nicht ganz allein zu ihrem Zimmer, so lief er ebenfalls hinüber. Als er ankam, herrschte ein regelrechtes Stimmengewirr, dass er sich gar nicht mehr auskannte, wer etwas sagte. „In Ordnung“, rief ein gut gebauter Junge mit einer Baseball Kappe auf dem Kopf, „stellt euch in einer Reihe auf. Joe und Alec wählen die Mannschaften!“

Erfreut sprangen zwei weitere Jungen aus der Reihe und stellten sich vor alle anderen auf die Wiese. Cole vermutete, dass dies Alec und Joe sein mussten. Doch er wusste nicht, wer wer war. War Joe der dunkelblonde, kleine mit der Brille oder der, mit den Stoppelhaaren und den Sommersprossen.? Zaghaft beugte er sich zu Mason rüber, der direkt neben ihm stand und anscheinend auf etwas wartete. „Du? Was ist wählen? Und wofür?“, flüsterte er ihm ins Ohr. Er kam sich im Vergleich zu allen anderen sehr dumm vor, da er offensichtlich die einfachsten Dinge nicht wusste. Erst sah Mason ihn nur an, dann fing er an wie verrückt los zu lachen. „Mannoman!, dass war gut! Ich wäre fast drauf reingefallen!“

Cole wünschte sich sehr, Mason hätte leiser gelacht, denn dadurch hatten sich fast alle um sie herum zu ihnen umgedreht und starrten sie an, neugierig was so komisch war. Plötzlich hielt Mason inne. „Achso, das war kein Scherz?“, jammerte er und hielt sich den Bauch. „Entschuldige, aber es ist schon lustig wenn jemand so etwas nicht kennt.“

„ Also, wählen für die Mannschaften, die Gegeneinander spielen und die zwei da, wählen in welche Mannschaft du kommst.“ Cole hatte es verstanden, doch er musste schmerzlich mitansehen und vor allem mitanhören, wie die anderen, die nun begriffen hatten warum Mason zuvor so gelacht hatte, schallend anfingen es ihm nachzutun. Er sah, wie alle um sie herum, sich die Bäuche hielten, sich kugelten vor lachen und mit ihren Fingern auf ihn zeigten. Er fühlte sich auf einmal sehr einsam in einer Horde von Wilden, die um sich brüllten. Er, der kleine dumme ,und die anderen, die großen, reifen gebildeten. Sogar Mark kam ihm gebildeter vor als er. Er merkte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen und er anfing zu schluchzen. Er hatte niemanden! Niemanden der ihn auch nur verteidigte, nicht einmal Mark, warum auch? Ihm war es verständlicher Weise peinlich mit ihm in Verbindung gebracht zu werden. Wie konnte er auch ernsthaft glauben dass er in diesem Haus Anschluss an die anderen finden würde? Sie waren schon eine zusammen geschweiste Einheit, in die er sicherlich nie gehören würde. Er spürte, wie ihm die Knie weich wurden und er kurz davor stand, richtig los zuweinen, deshalb rannte, er, ohne sich um die anderen zu kümmern in Richtung Tür, obwohl es sich als sehr schwierig erwies, da er vor lauter Tränen schon gar nichts mehr deutlich sah. Hinter sich hörte er Rufe, doch es waren, so glaubte er, nur der Spott der Jungen, die sich schlapplachten.

Ohne darauf zu achten wohin er lief, schlug er die Tür hinter sich zu, rannte am Speisesaal und dem Spielzimmer vorbei und versteckte sich schließlich in einem Schrank.

Einige Zeit später, als er sich ausgeweint hatte, beschloss er zurück zu gehen, sich von Mark den Fluchtweg zeigen zu lassen, seine Sachen packen und so schnell wie möglich von diesem nun doch schrecklichem Ort zu verschwinden.





17



Ohne Ziel streifte er durch das Haus, es interessierte ihn nicht im geringsten wohin er ging. Er wollte einfach nur so weit wie möglich weg.

So ging er einige Zeit in Selbstmitleid versunken dahin, bis er an ein Fenster kam, und stehen blieb. Als er hinaus sah, sah er auf die feine Straße hinab, auf der er ein paar Tage zuvor gestanden hatte, als er auf dem Weg zu den Fünf war. Da fasste er neuen Mut. „Was bin ich doch blöd!“, dachte er sich beschämt. „Ich bin hier in einem rießen Haus mit Essen so weit das Auge reicht und bekomme Unterricht.“

Er dachte an die anderen Straßenkinder in der dunklen, stinkenden Gasse, die wohl nur von einer solchen Gelegenheit und einem solchen Ort träumen konnten. Bei dem Gedanken bekam er seltsamer Weise ein bisschen Heimweh. Nach seiner kleinen Hütte in die er sich immer verkroch, wenn er verfolgt wurde.


Er stand noch lange Zeit vor dem Fenster und stritt mit sich was er am besten tun sollte. Zurück gehen? Und nichts lernen, er wusste dass er eine solche Gelegenheit nie wieder bekommen würde. Aber andererseits. Wenn er hier blieb um etwas zu lernen, würde er sich weiter von Mr. Clayse ärgern lassen müssen und die anderen würden ihn Aufgrund seiner Unwissenheit auslachen. Es war eine sehr schwere Entscheidung, aber er entschied sich dafür, noch einen Tag hier zu bleiben und wenn er es gar nicht mehr aushielt, konnte er ja immer noch fort. Entschlossen machte er auf dem Absatz kehrt und begab sich schon etwas beherrschter auf den Weg zurück auf den Sportplatz. Zu seiner großen Überraschung fand er ihn auch, zwar nach einigen Umwegen, aber, immerhin. Langsam und mit pochendem Herzen, ging er auf das großflächige Stück Rasen zu, auf dem die Jungen schon eifrig spielten. Mitten drin, Mark, mit einem kugelrunden Jungen um den Ball kämpfend. Das war also Fussball? Cole konnte nichts besonderes an diesem Spiel entdecken, aber wenn die anderen es so liebten, musste es toll sein. Schüchtern setzte er sich am Rand in den noch etwas nassen Rasen und riss einige Grashalme aus. Ob sie genau wie Clayse waren? Der alles sofort wieder vergessen hatte? Er hoffte es sehr, denn er wollte nicht gleich am Anfang zum Gespött der Schule werden, oder des Hauses.

Ihn wunderte es, dass Mark sich so gut auszukennen schien. Er war doch nur einen einzigen Tag lang hier? Wie konnte er dann das alles schon wissen. Wie man sich wo verhielt und so weiter? Einige Schüler sahen ihn, lachten und spielten sofort weiter. Und als er sich anfing zu langweilen, da niemand ihn zum mitspielen einlud, machte er sich auf den Weg zu ihrem Zimmer um seine Hausaufgaben zu machen. Irgendwie würde er schon dorthin finden, und wenn nicht, würde es auch niemanden kümmern, ob er da war oder nicht. Denn Mark hatte offensichtlich in Zac und Mason neue Freunde gefunden. Es war ihm wahrscheinlich auch furchtbar peinlich mit Cole gesehen zu werden, nachdem er so dumme Fragen gestellt hatte.

Er ging mit hängendem Kopf durch die von Sonnenlicht orange gefärbten Gänge, nicht einmal diese schönen, freundlichen Farben konnten ihn aufheitern. Er fühlte sich elend, als ob er etwas falsches gegessen hätte und nun schrecklich krank werden würde. Da dies ihm schon des öfteren passiert war, wusste er wie es sich anfühlte. Er bog erneut um die bunte Ecke, die er langsam schon auswendig kannte und stand vor seiner Zimmertür, der Tür 23. Niedergeschlagen ging er hinein, legte sich auf das Bett und fing an seine Aufgaben zu erledigen. Sollten doch Mark, Zac und Mason am darauf folgenden Tag nur Ärger bekommen, wenn sie ihre Aufgaben nicht hatten.

Die Aufgaben fielen ihm erstaunlich leicht und in ein paar Minuten war er fertig.

Er verspürte einen riesen Hunger, aber dass machte ihm die wenigsten Sorgen. Gelangweilt stand er auf, und ging zum Fenster. Es hatte bereits angefangen zu schneien. Die Schneeflocken tänzelten durch die Luft. Cole nahm an, dass dadurch die übrigen Kinder ins Haus gegangen waren und die anderen Drei bestimmt jeden Moment herein kommen müssten. Er schloss mit sich selbst einen Kompromiss, er würde bis der Winter vorbei war, hier bleiben und etwas lernen, wenn es aufhörte zu schneien würde er wieder gehen. Denn solange es draussen kalt war, konnte er nicht viel tun. Denn er gestand sich ein dass es hier viel wärmer war, als in seiner Hütte.





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Er sah noch eine ganze Weile den Schneeflocken zu, die über die ganze Stadt wirbelten. Allmählich bildeten sie auf den Straßen einen dünnen weißen Teppich. Cole hatte den Beginn des Winters noch nie so schön betrachtet, denn es war auch niemals für ihn ein tolles Ereignis gewesen, denn Winter bedeutete für ihn und die übrigen Straßenkinder, Kälte, Hunger, und eben alles nur erdenklich schlechte. Erleichtert darüber, nun nicht dort draußen zu sein, setzte er sich erneut auf sein Bett, auf dem die fertigen Hausaufgaben lagen, die im Rechnen und die im Schreiben. Cole konnte seinen Stolz nicht verbergen, er war sehr glücklich, dass er anscheinend der einzige in seiner neuen Klasse war, der so schnell schreiben oder rechnen gelernt hatte. Er ließ sich in das Kissen fallen, streckte sich ausgiebig und erinnerte sich an einen Tag, der jeden Winter wieder kehrte, und für ihn der schlimmste Tag im ganzen Jahr war.


Er war gerade auf der Suche nach etwas essbarem gewesen, und hatte sich hinter einem Fass zusammengekauert, damit ihn der Verkäufer nicht bemerkte. Seine Finger und Füße waren steif gefroren und er konnte sie nur mit Mühe bewegen, seine Nägel blau und sein Magen leer. Zitternd rieb er sich die Hände, um sich etwas aufzuwärmen, da sah er, wie ein gut gekleideter Mann und eine Frau aus einer Kutsche stiegen und davor auf etwas warteten. Während er zwischen dem Lebensmittelgeschäft und dem Ehepaar hin- und hersah, stiegen zwei Kinder etwa in seinem Alter aus der Kutsche, ein Junge und ein Mädchen, beide hatten flauschig warme Mäntel an und rote Backen. Freudig rannten sie zu ihren Eltern, Cole vermutete dass es ihre Eltern waren. Alle zusammen gingen Hand in Hand in ein Spielzeuggeschäft. Cole, der das Essen völlig vergessen hatte, wartete frierend vor dem Laden, bis sie endlich wieder herauskamen, mit drei, in buntes Papier gewickelten Packeten. Sie stiegen wieder in die Kutsche und fuhren fort, die große Hauptstraße hinauf.

Ohne auch nur nachzudenken, war er ihr hinterher gelaufen. Sie war in eine feine Straße eingebogen, und hielt vor einen prächtig weißen Haus, gegenüber eines gigantischem grauen Hauses, oder vielmehr Schlosses, dem Waisenhaus.


Er stand auf, und ging hinüber zum Fenster und blickte direkt auf das weiße Haus, dass friedlich vor dem Waisenhaus lag.

Damals hatte er sich hinter der Kutsche versteckt, und darauf gewartet, dass die Familie im Haus verschwunden war. Als er sich sicher gefühlt hatte, kroch er zum nächstbesten Fenster und sah hinein. Darin stand ein herrlich geschmückter Baum, er hatte sich noch gewundert, warum Menschen denn einen Baum im Haus stehen hatten. Darunter legte der Mann gerade die drei Päckchen, und etwas hinter dem Baum stand ein reichlich gedeckter Tisch. Der Mann läutete eine Glocke und die Kinder liefen in den Raum, sie lachten und sprangen umher. Dann packten sie die Packete aus, für den Jungen ein wunderschönes Spielzeugauto, und für das Mädchen eine Puppe. Als sie fertig waren, setzten sie sich an den Tisch und fingen an zu essen. Er war so schnell nachhause gelaufen wie er nur konnte, angekommen, musste er Mark sogleich berichten, was er gesehen hatte. Dieser sagte dass man dies Weihnachten nannte und jeder feierte, die Kinder würden immer Geschenke bekommen und es sei etwas ganz besonderes. Er hatte damals gefragt, warum sie, wenn alle Kinder Geschenke bekamen, nicht auch welche bekamen. Mark hatte ihm versichert, dass er bestimmt auch irgendwann welche bekommen würde, er hatte all die Jahre darauf gewartet, hatte es aber irgendwann aufgegeben, jemals welche zu bekommen. Weinend saß er in ihrer Hütte und musste sich von Mark solche Sachen anhören wie: „Jetzt spiel nicht den Armen kleinen Jungen der sehnsüchtig durch das Fenster schaut und sieht wie gut es anderen geht“. Aber genau so war es doch, er wusste das Mark alles harmlos machen wollte, aber er konnte auch nicht ändern wie es war.


In Gedanken versungen lag er auf seinem Bett und Tränen kullerten ihm in den Mund, er neigte wirklich dazu, schnell in Selbstmitleid zu verfallen. Doch war es etwas Schlechtes?

Er wälzte sich hin- und her, sah zur Decke und auf den Boden, bestimmt war es bald wieder so weit, dann war wieder Weihnachten und er würde diesmal auf die Familie hinabsehen. Er lachte bei dem Gedanken, denn das Waisenhaus lag viel höher als das der Familie.






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„Hey!“, mit einem lauten Krach flog die Zimmertür auf und Mark kam schweißgebadet herein. Er musste ganz schön gerannt sein, denn er keuchte, dass Cole meinte er müsste bald ersticken. Er nahm ein Tuch aus der Kiste und wischte sich damit die Stirn. Dann setzte er sich auf Coles Bett auf die Bettkante und atmete noch ein paar mal tief ein. Cole, der dem ganzen etwas verärgert zugesehen hatte, fragte sich nun, ob es überhaupt etwas gäbe, was nicht in dieser Kiste war, Süßigkeiten, Tücher, was denn noch? Er versuchte sich zusammen zureißen, und legte sich wieder ausgestreckt hin. Doch die Wut überkam ihn und er sprang förmlich auf.

„Ach so ist das?!“

Mark war so erschrocken über diesen unerwarteten Sprung von Cole, dass er mit weit aufgerissenen Augen auf dem Boden landete. Ohne sich weiter darum zu kümmern fuhr Cole fort: „Du hast wohl in Zac und Mason neue Freunde gefunden ,wie? Da brauchst du mich ja nicht mehr, ich saß dumm wie ich eben bin neben dem Feld und ihr habt mich nicht einmal beachtet, geschweige denn gefragt, ob ich nicht mitspielen will?“

Er hatte keine Lust, die Antwort von Mark abzuwarten, da es in diesem Moment sowieso geläutet hatte, stand er schnell auf und verließ zähneknirschend das Zimmer, und Mark, der immer noch auf dem Boden lag.

Cole lief schnurstracks zum Speisesaal, den Weg kannte er bald. Er musste sich bitter eingestehen, dass er ungeheuerliche Angst davor hatte, Mark an Zac und Mason zu verlieren, denn dann wäre er völlig alleine. Dieser Gedanke war der Schlimmste den er sich nur vorstellen konnte. Er, alleine auf dieser Schule? Er blieb in einem der drei Vorräume zum Speisesaal stehen. Andererseits, Mark und er waren schon Jahre befreundet, mehr als befreundet, so etwas wie Brüder, und Mark und die anderen Beiden kannten sich erst seit einem Tag, er hoffte nicht, dass dies ausreichte um nicht mehr sein bester Freund zu sein. Er ging, diesmal ganz allein, in den Saal. Dort saßen schon viele Kinder. Er sah an einem Tisch in der Mitte, Zac und Mason, die ihm zuwinkten. Er wollte sich nicht um jeden Preis der Welt zu ihnen setzten, deshalb suchte er angestrengt nach einem anderen freien Platz möglichst weit weg.

Doch er fand keinen, also blieb ihm nichts anderes übrig und er trottete zu ihnen hinüber. Während er auf den Tisch zukam musste er seine ganze Wut runter schlucken, um nicht gleich auszurasten. „Hallo, wo warst du? Du bist einfach davon gelaufen.“,begrüßte ihn Mason. Cole, der sich ihm gegenüber gesetzt hatte, schloss aus dieser Frage, dass er wohl nicht bemerkt hatte, dass er noch einmal zurückgekommen war. Vielleicht hatte er auch wirklich etwas überreagiert.

„Ich hab meine Hausaufgaben gemacht.“, sagte er knapp.

Nun betrat Mark den Saal und kam sogleich zu ihnen herüber. „Sag mal Co, was sollte das den eben?“, sagte er und legte in seine Stimme sehr viel Besorgnis.

„Ich, hab mich nur geärgert, weil du mich aufgeweckt hast“, log er. Er hoffte sehr, dass Mark nicht weiter darauf eingehen würde, oder Zac und Mason fragen würden, was den passiert sei. Und zu seiner Erleichterung taten sie es auch nicht.

Das Essen lief ganz lustig ab, sie lachten, machten Witze und erzählten, was war, bevor sie hierher gekommen waren. Cole und Mark blühten richtig auf. Cole erzählte groß und breit, wie er aufgewachsen war, und was er alles erlebt hatte, er war sogar stolz darauf, dass er viele aufregende Sachen vorzuweisen hatte, dass er einmal fast ins Gefängnis gesteckt worden war, aber entkommen war, das er die wildesten Verfolgungsjagten hinter sich hatte und ganz wichtig, dass er jemandem das Leben gerettet hatte. Darauf war er besonders Stolz. Damals war er wie immer auf der Flucht und lief zum Hafen um sich dort unter einem Boot zu verstecken, da sah er im Wasser ein kleines Mädchen, dass wild mit den Armen paddelte und immer mehr versank. Mark hatte ihm schwimmen beigebracht, daher war er kurzerhand ins Wasser gesprungen und hatte das Mädchen herausgezogen. Als er nach Luft schnappend am Ufer auftauchte, standen um ihn herum wie er jetzt wusste mindestens Fünf Männer, Wachen, die ihn verhaften oder töten wollten und verfolgt hatten. Cole hatte schon sein ganzes Leben an ihm vorbei rauschen sehen und gedacht, das wars dann, als einer der Männer sagte das sie ihn noch einmal ziehen lassen würden, da er soeben einem Mädchen das Leben gerettet hatte, und sie alle waren mit diesen Worten davon gegangen.


20


Er war sichtlich gespannt darauf, was Mark, der als nächstes an der Reihe war, zu sagen hatte, denn obwohl Cole schon einige Jahre mit ihm zusammenlebte, kannte er seine Geschichte immer noch nicht, Mark hatte darüber geschwiegen wie ein Grab. Mark hatte anscheinend keine große Lust darüber zu sprechen, denn er trank ausgiebig und machte es sich auf dem Stuhl bequem. Das alles tat er so langsam, dass es eindeutig zu sehen war, wie sehr er versuchte, die Sache so lange wie möglich hinauszuzögern. Doch schließlich musste auch er ran. So räusperte er sich noch einmal und fing endlich an.

„Sie ist wirklich nicht besonders Spannend“, entschuldigte er sich im Voraus.

„Das können wir ja dann selbst beurteilen“, krächzte Zac genervt und nahm sich noch eine Hand voll Nüsse, von denen auf jedem der Tische eine Schale voll standen.

„Ok, also, ich und meine Eltern lebten genau in dieser Straße.“

„ Wir hatten ein sehr schönes Haus, orange und sehr groß. Mein Vater arbeitete bei der Bank, meine Mutter als Näherin, doch als sie mich bekam, gab sie ihre Arbeit auf. Als ich zwei Jahre alt war, bekam sie meinen Bruder, Martin. Als ich drei war, meine Schwester, Jasmin. Ich kam in die Schule und sie bekam Drillinge, Matthew Matt und Sasha.“ Er atmete tief ein, und seine Stimme klang leicht weinerlich, „Leider überlebte sie die Geburt nicht, ab diesem Augenblick waren ich und mein Vater und meine Geschwister allein. Da mein Vater viel zu oft arbeiten musste, musste ich mich um sie kümmern. Dadurch hatte ich die Schule vernachlässigt und bin schließlich von ihr verwiesen worden. Ich geb es zu, ich hab mich des öfteren mit den anderen Kindern geprügelt. Doch dass hat meinen Vater nicht interessiert, für ihn gab es nur seine Arbeit. Ich versuchte mich mit einfachen Arbeiten zu beschäftigen, ihr wisst schon“, er machte eine ausholende Handbewegung, „Zeitung austragen oder auf kleine Kinder aufpassen. Eines Tages bin ich spät in der Nacht von der Arbeit nach hause gekommen und ins Wohnzimmer gegangen. Dort fand ich dann Matthew, er lag regungslos auf dem Boden, es hatte sich später herausgestellt, dass er die Treppe heruntergefallen war und sich das Genick gebrochen hatte.“

Cole klappte der Mund auf, er hätte nicht erwartet, dass Mark Geschwister gehabt hatte. In den darauf folgenden drei Jahren, starben Jasmin und Martin, an Krankheiten oder Unfällen.“ Wieder musste er schlucken. Als er sich wieder gefasst hatte, fuhr er mit bebender Stimme fort. „All das hat meinen Vater nicht sonderlich interessiert,.nach einiger Zeit,“ er überlegte kurz, „eigentlich schon immer, hatte ich das Gefühl, das er nicht einmal wusste, das er Kinder hatte, und selbst, wenn er es gewusst hatte, dann sicherlich nicht, wie sie hießen. So war ich am Ende mit Sasha alleine.“ Er machte erneut eine Pause und sah Cole an, der Tränen in den Augen hatte und einen dicken Kloß im Hals. Das hätte er niemals gedacht, dass Mark's Vater so gemein sein konnte, er dachte immer das Eltern ihre Kinder mochten. Er fing von neuem an.

„Von nun an war ich Tag und Nacht für Sasha da, ich brachte ihn zur Schule, holte ihn wieder ab, ich wollte ihn nicht auch noch verlieren. Aber es musste noch schlimmer kommen, die Bank von meinem Vater hatte zu viele Verluste gemacht und er musste sie letzten Endes schließen. Er konnte damit wohl nicht leben und eines Tages kam er nicht mehr nach hause, an sich ja nichts ungewöhnliches, aber da wir wussten das er seine Arbeit verloren hatte. Wir haben eine ganze Woche nichts von ihm gehört oder gesehen. Eines Tages dann hieß es, dass er aus dem Fluss gezogen wurde.

„Das war bestimmt schrecklich“, warf Mason bestürzt ein. Er winkte ab.

„Ach was! Es war uns so ziemlich egal, wenn da nicht die Sache gewesen wäre, dass er das ganze Geld verdient hatte. „Auf jeden Fall,“ er räusperte sich. „Nach diesem Ereignis konnten wir natürlich nicht weiter in unserem Haus leben, es wurde versteigert, so landeten Sasha und ich auf der Straße. Ich arbeitete sehr viel und jede erdenkliche Drecksarbeit, die man sich vorstellen konnte, damit er weiter zur Schule gehen konnte. Eines Morgens, als wir an einer Straßenecke erwachten, verabschiedeten wir uns und ich versprach ihm, dass wir an dem Tag etwas leckeres essen würden, da ich genug Erspartes hatte. Seine Augen verfinsterten sich: „Dann ist er um die Ecke gebogen und ich hab ihn seitdem nicht mehr gesehen.“ Wieder unterbrach er sich, denn ihm kullerten jetzt dicke Tränen über die Wangen, wie jedem am Tisch. „Einige Monate darauf hab ich Cole kennen gelernt. Dass war alles.“

Als er geendet hatte, herrschte betretene Stille. „Und das ist keine besondere Geschichte?“, fragte Cole verwirrt. „Dagegen ist meine ja gleich glücklich“.

„ Nun ja, was soll ich sagen“, entgegnete Mark, und fixierte die Schüssel mit den Nüssen, als glaubte er, sie würde sich von selbst bewegen. „Ich wollte nicht darüber sprechen und hab einfach versucht es zu vergessen, aber manchmal Nachts hoffe ich immer noch, dass Sasha auf einmal an die Tür klopft, oder wenn wir durch die Stadt gehen, dass er dann einfach um die Ecke biegt. Aber ich werde wohl niemals erfahren was mit ihm geschehen ist. Ich will es auch gar nicht wissen. Sagte er bestimmt.“ Er stand auf und ging zur Tür hinaus. „Wo will er jetzt hin?“, fragte Zac. Den Blick zur Tür gewandt sagte Cole: „Am Besten lassen wir ihn in Ruhe, er muss das jetzt erst einmal verdauen.“




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Nach einer Weile, in der die Drei Wortlos am Tisch saßen, kehrte Mark schweigend und mit leichenblassem Gesicht zurück an den Tisch.

„Geht’s dir besser?““, erkundigte sich Cole besorgt und musterte ihn genau. Er nickte leicht und setzte sich. „Nun gut“, sagte er und wandte sich wieder Zac und Mason zu. „Jetzt bist du an der Reihe, deine Geschichte zu erzählen“, sagte er zu Zac und nahm sich noch eine Hand voll Nüsse. Der Speisesaal war bis auf einige Kinder, die nur noch vereinzelt an den Tischen saßen, völlig leer. Als er aus dem Fenster sah, sah er, dass die Sonne schon fast ganz untergegangen war.

„In Ordnung“, sagte Zac, „aber meine Geschichte ist auch nicht viel anders“, er nahm noch einen Schluck Wasser, ehe er anfing zu erzählen.


„Ich und meine Eltern lebten in der Stadt Jechratd, meine Mutter hatte keine Arbeit, also war sie den ganzen Tag zuhause, mein Vater hatte ein kleines Lebensmittelgeschäft.

Wir lebten in einem sehr bescheidenen Haus direkt am Ufer eines Flusses. Ich konnte nie zur Schule gehen, da wir nicht genügend Geld hatten, daher hat meine Mutter mich und meine Schwester Suzie so gut es ging und so viel sie wusste unterrichtet“, erklärte er, „sie bekam noch eine Schwester, Jackie, im Sommer spielten wir drei immer unten am Fluss. Pirat oder Räuber“, er lächelte. „Ich war gerade neun Jahre alt, als wir eines Tages wieder runter zum Fluss rannten, mit Holzschwertern, die wir uns selbst geschnitzt hatten“, er stockte. „Also spielten wir. Ich kämpfte gerade mit Suzie, als wir einen lauten Schrei hörten, wir liefen schnell dorthin, wo er herkam, wir sahen Jackie, die im Wasser trieb und nach Luft schnappte, ich werde dieses Bild niemal vergessen“, er schüttete den Kopf, als könnte er das Erlebte einfach hinausschütteln. „Suzie sollte bei ihr bleiben, denn da niemand von uns schwimmen konnte, lief ich los um unsere Eltern zu holen. Als ich Sekunden später mit ihnen am Ufer ankam, war sie nicht mehr zu sehen.

Wenige Monate später drohte der Krieg auszubrechen und wir packten eines Nachts unsere Sachen und wollten heimlich über die Grenze fliehen.

Wir liefen los, ich hatte Suzie an der Hand, Dad hatte gesagt ich sollte mich, egal was passiert um sie kümmern.

Eine geschlagene Stunde liefen wir durch die Dunkelheit. Plötzlich packte mich mein Dad am Arm und zog mich samt Suzie zurück. Er legte mir die Hand auf den Mund und sagte, das dort vorne der erste Wachposten war, wenn wir es daran vorbei geschafft hätten, würden wir so gut wie in Sicherheit sein. Ich und Suzie sollten hinter einer Kutsche, die dort etwas Abseits stand, warten und uns verstecken, und wenn Dad alles geklärt hätte, sollten wir nachkommen“, zitternd brach er ab. „Doch er sollte nicht weit kommen“, Zac verkrampfte sich und Cole fürchtete, dass das Glas dass er hielt zerbrechen könne.

„Es waren die schlimmsten Minuten meines Lebens, ich wartete, umgeben von völliger Dunkelheit, ohne zu wissen, ob ich in der nächsten Sekunde überhaupt noch leben würde. Ich sah, wie mein Vater auf die Männer zu ging und mit ihnen sprach, dann hörte ich einen Schuss. Ich starrte auf Dad, der sich den Bauch hielt und auf den Boden sank, dann spürte ich, wie Mum mich packte und mit uns so schnell sie konnte auf die Grenze zu lief. Wir hatten es fast geschafft, ich hörte hinter uns die Schritte der Männer, die uns verfolgten, Suzie weinte und schrie nach Dad, da schoss einer der Männer, ich vermute, er wollte die Füße von Mum treffen, damit sie nicht mehr weiter rennen konnte, doch sie stolperte in diesem Moment und er schoss ihr, vermutlich, mitten durch den Oberkörper. Zuerst hatten Suzie und ich nichts bemerkt, wir rannten einfach weiter immer weiter, wir schafften es sogar über die Grenze und waren ausser Sicht, in Sicherheit, da merkten wir erst, dass Mum nicht mehr hinter uns war.“, er nahm noch einen kräftigen Schluck, konnte ihn aber nicht hinunterschlucken, „was wir danach gemacht haben, weiß ich nicht mehr, ich schätzte, dass wir ohne zu wissen wohin, einfach in die Stadt gelaufen sind und uns irgendwo schlafen gelegt haben denn wir wachten mitten in einer Mülltonne auf. Ich weiß noch genau, wie wir dachten, dass wir das alles nur geträumt hatten, doch wir merkten bald das dies nicht der Fall war.

Einige Tage lebten wir also auf der Straße. Eines Tages war sehr viel tummult auf den Straßen und wir kämpften uns durch die Menschenmassen, als ich mich irgendwann umdrehte, um zu sehen, ob sie noch hinter mir war, war auch sie verschwunden, ich hab sie seitdem auch nicht mehr gesehen. Dann bin ich hier gelandet.“

Mark zuckte zusammen, als Zac geendet hatte. Und verbarg sein Gesicht. „Was ist los mit dir?, fragte Cole. „Nichts nichts“, gab Mark zurück, „es ist nur Merkwürdig, was sich alles wiederholt“.




22


Etwas betroffen saßen sie alle einige Zeit schweigend am Tisch. Cole konnte Zac oder Mark nicht mehr in die Augen schauen. Wie konnte er nur so eingenommen sein, und denken das es ihm am schlechtesten ging? Es war offensichtlich, dass die anderen allesamt weitaus schrecklichere Schicksale hinter sich hatten. Er fragte sich, was Mason wohl alles erlebt hatte. Er traute sich fast nicht zu fragen. Da er sie nicht an diese schlimme Zeit erinnern wollte. Gerade als Mason anfangen wollte seine Geschichte zu erzählen, läutete die Glocke, Schlafenszeit. Um möglichst schnell die Geschichte zu hören, standen Zac Mark und er so schnell auf, wie sie konnten und liefen schnurstracks zu ihrem Zimmer, gefolgt von Mason.

Dort angekommen, warfen sie sich auf ihre Betten, nahmen sich aus ihren Kisten eine Hand voll Süßigkeiten und warteten gespannt. Dann fing Mason an.

„Ich und meine Familie, meine Mum und mein Dad, Geschwister hab ich keine, lebten in Jachmaitd, dort wurde ich auch geboren!“, bevor er fortfuhr, legte er sich ausgestreckt auf sein Bett.

„Eines Tages bekam mein Vater eine neue Stelle, hier in Machljik, angeboten.

So sind wir als ich gerade 8 war, auf ein Schiff, auf den Weg hierher.Ich weiß noch genau, wie es hieß, Liana.“, Cole bemerkte, wie sich ein schwaches Lächeln auf Mason's Gesicht stahl.

„ Das Schiff war echt toll, rießig und sehr edel und vornehm, wir konnten es uns leisten, wir waren nicht gerade arm. Zudem waren wir in der Zweiten Klasse untergebracht und freuten uns rießig auf unser neues Heim. Es war toll. Unser Zimmer, genannt Koje, war in wunderschönen hellen Farben gestrichen und hatte sogar ein prächtiges Badezimmer. Ich weiß noch, wie Mom und ich uns immer über einen alten, modernden Mantel amüsierten, der von einem Herrn, der zuvor diesen Raum bewohnte, dort vergessen wurde. Auch der Speisesaal war herrlich. Von ihm konnte man über das ganze Meer blicken. Es war meine Erste Fahrt auf einem Schiff.“ Insgeheim fürchtete er, Mason könne sich nun ganz in dieser Welt, von der er berichtete versinken. Denn gedankenverloren starrte er zur Decke empor, als wäre dort Liana selbst abgebildet. Plötzlich setzte er sich ruckartig auf:

„Wir wussten damals auch noch nicht, dass das Schiff niemals dort ankommen sollte“, zornig schlug er auf die Bettkante, „Wir hatten einige sehr schöne Tage auf dem Schiff. Wir spielten zusammen, Dad erzählte uns, oder besser gesagt mir“, er lächelte, wie die neue Arbeit sein würde, wir hatten auch schon ein Haus gekauft in dem wir hätten leben sollen, ein wunderschönes großes weißes Haus, in dieser Straße“, er nickte abfällig in Richtung Fenster.“

Cole erinnerte sich an das weiße Haus in dem die Familie, der er immer an Weihnachten begegnet war, lebte, dass hätte Mason gehören sollen? Wie hart musste es für ihn sein, jeden Tag das Haus zu sehen, dass einst ihm und seiner Familie gehört hatte?

„ Das Unglück begann damit, dass ich eines Tages ins Bett ging, ich, Mom und Dad hatten verschiedene Zimmer, also schliefen Mom und ich alleine in einem. Dad am anderen Ende des Gangs. An diesem Abend sagte ich ihm Gute Nacht und ging schlafen“, zitternd brach Mason ab. „Das war das letzte Mal das ich meinen Dad gesehen habe.

„Mitten in der Nacht bin ich aufgewacht, weil ich merkte, dass etwas nicht stimmte “, wie in Trance, wedelte er mit den Armen. „Ich sprang aus dem Bett und lief hinaus. Doch, als ich vor unserer Tür stand, sah ich, wie ein sanfter Wasserstrahl unter ihr an meine Füße floss. Da hab ich dann panisch begriffen, dass es Wasser war!

Zuerst wusste ich überhaupt nicht was ich tun sollte, ich stand einfach dumm im Raum herum und hatte angefangen zu weinen. Bis ich schließlich auf dem Gang Schritte hörte, ich bin dann schnell rausgelaufen, das Wasser war inzwischen immer mehr geworden. Ich bin dann Richtung Ausgang, also nach oben auf das Deck gelaufen, oder besser gesagt, geschwommen.

Dort feuerten sie Racketen und Leuchtfeuer ab und ließen schon die Rettungsboote ins Wasser. Es war schrecklich, alles um mich herum war so laut und alles war von Panik erfüllt, alle Leute drängten sich nach vorne zu den Booten. Ich hab während man angefangen hatt, Leute, Frauen und Kinder in die Boote zu setzten, angefangen meine Eltern zu suchen. Als ich gerade über die große Holztreppe zu ihrem Zimmer nach unten laufen wollte, packte mich von hinten ein Mann, einer in Uniform schleifte, und zerrte mich regelrecht ins Boot. Ich hab mich nach Leibeskräften gewehrt und nach ihnen geschrien, hab aber nichts erreicht. Das Boot wurde runtergelassen, das war das letzte Mal das ich Liana gesehen hab. Und meinen Vater. “ Er schloss die Augen, als könnte er es dadurch wieder rückgängig machen. Unerwartet holte er tief Luft und fuhr fort:

„Als wir von einem anderen Schiff einige Tage später hierher gebracht wurden, stand ich also ganz alleine am Hafen und wusste nicht wohin ich sollte. Ich stand nur da, umringt von Leuten sie sich gegenseitig in den Massen suchten. Ohne große Hoffnung setzte ich mich auf einen Balken, der einige Meter vom Hafen entfernt aus dem Boden ragte und starrte in die Menschenmengen.

Es kamen immer vereinzelt Boote an Land. Selbst Stunden nach dem wir angelegt hatten.“, er schreckte auf, dass Cole vor Schreck zusammenzuckte.

„ Als es Abend wurde, stand ich auf und wollte gehen, ich wusste nicht wohin, doch ich wollte fort. Als ich wie durch ein Wunder leuchtend Rote Haare aus einer Gruppe Menschen herausstechen sah. Ihr müsst wissen, das meine Mutter rote Haare hatte. Hoffnungsvoll ging ich auf die Gruppe zu. Und tatsächlich. Sie war es.“. Als wäre es in diesem Augenblick, erhellte sich sein Gesicht.

„Sie hatte sich im letzten Moment noch auf eines der letzten Boote retten können. Sie wusste aber nicht, was aus meinem Dad wurde, ich gehe davon aus, dass er es nicht mehr auf ein Rettungsboot geschafft hat. Seitdem waren ich und meine Mum alleine.“

„Ich weiß noch ganz genau“, sagte er, vertieft in Erinnerungen, „wie wir fast Hand in Hand die nächstbeste Straße hinunter gingen. Wir wussten zuerst überhaupt nicht, wohin wir sollten, da fand meine Mutter in ihrer Tasche, die sie immer noch bei sich hatte, einen Zettel, dort stand unsere neue Adresse. Das war unser Glück, denn sonst wären wir bestimmt auf der Straße geblieben. Er senkte den Kopf, wir liefen also durch die stinkenden Gassen, zu dem besagten Haus, es war toll“, er sah aus dem Fenster“, echt toll. „Wir konnten uns aber nicht freuen. Ich glaube das ich das jetzt auch nicht hätte sagen müssen, oder? Wir konnten es noch immer nicht fassen, das was wir zuvor erlebt hatten und vor allem, das Dad vermutlich tot war. Die ersten Tage, oder Wochen, lebten wir wie in Trance, erst als die ersten Kosten anfielen, die wir nicht mehr zahlen konnten, wurde uns bewusst, das wir noch in diesem Leben waren. Ich erinnere mich noch genau, wie eines Tages meine Mutter am Küchentisch saß und sich bemühte eine Arbeit zu finden indem sie in der Zeitung verschiedene Zeilen anstrich. Sie hatte niemals eine Arbeit gelernt, also tat sie sich besonders schwer, eine geeignete Stelle zu finden, aber sie gab nicht auf, und fand schließlich auch eine. Sie war nicht gut bezahlt, aber sie sagte immer, besser als nichts. Ich konnte die ganze Zeit über zur Schule gehen und lernte auch wahnsinnig gerne, da ich wusste wie wichtig es war, eine gute Schule zu machen“, er sah Cole an, „doch auch dieses Geld reichte nicht auf ewig. Es dauerte nicht lange, da lebten wir nur vom Nötigsten, zwar immer noch in dem Haus, aber mit wenig Essen und wenig, und alter Kleidung. Dann geschah etwas, für mich sehr Schreckliches.

„Deine Mum ist gestorben“, vermutete Cole, da bis jetzt alle in den Geschichten der anderen gestorben waren. „Nein“, sagte Mason, „sie hat einen neuen Mann kennen gelernt.“

Und was ist daran so schlimm? Eigentlich nichts, aber er war gemein und konnte mich bis auf den Tod nicht ausstehen! Zuerst trafen sie sich heimlich, um mich nicht zu überfordern, spöttelte er. Dann brachte sie ihn eines Tages mit zu uns Nach hause. Ab da begann alles. Er kam öfter und ich hatte bald das Gefühl das er schon fast bei uns wohnen würde. Er nistete sich praktisch ein. Meine mum war aber begeistert von ihm, er war ein angesehener Mann und bald begleitete sie ihn schon auf Geschäfte und alle nur erdenklichen Empfänge, und er stellte sie schon als Mrs. Loyds vor!, er hämmerte auf sein Kissen ein, ich verstand die Welt nicht mehr, auf einmal hatte sie keine Zeit mehr für mich, für sie gab es nur noch diesen Mann! Er aber ärgerte mich wann immer er konnte. Es war schrecklich. Dann heirateten sie auch noch. Dann hörte es gar nicht mehr auf. Besonders schlimm war es wenn Mum nicht da war und er getrunken hatte, dann wurde es immer schlimmer, denn Mum war öfter nicht da und er trank immer mehr. Doch Mum glaubte mir nie. Sie dachte ich würde ihn nur raus ekeln wollen und würde ihr ihr Glück nicht gönnen! Ein Jahr war vergangen und sie bekam meine Schwester, oder besser gesagt Halbschwester! Ashton! Ich ab sie gehasst, sie hat sich immer in den Vordergrund gedrängt! Diese hochnäsige Person! Dann ein weiteres Jahr später bekam sie meinen Halbbruder! Jimmy, wie ihr euch denken könnt hab ich ihn genau so geliebt wie Ashton. Beide waren auch gemein zu mir, sie wollten mich aus dem Haus haben, irgendwann hatte ich dann das Gefühl, das selbst Mum das wollte. Also erfüllte ich ihnen diesen Wunsch, ich bin gegangen, mit 10 Jahren! Und wohin?, erkundigte sich Cole. Na, wohin wohl?, gab Mason ärgerlich von sich, hierher. Sollen meine Eltern, oder zumindest ein Elternteil von mir, alleine leben.ist mir egal, so egal wie ich ihnen war, oder bin. So das wars auch von meiner Seite. Er warf sich erleichtert aufs Bett. Es dauerte eine Weile, doch dann verstand Cole, warte mal, soll das etwas heißen, das deine Eltern, oder deine Mum noch immer dort in dem Haus gegenüber wohnen? Er nickte.er lehnte sich zurück. Das hieß, das es die Familie war, die er an Weihnachten beobachtet hatte! Das waren Masons Eltern und Geschwister! Cole versuchte sich auszumalen, wie es für ihn sein musste, direkt neben ihnen zu sein, und jeden Tag zu sehen wie unbeschwehrt sie und seine verhassten Geschwister lebten.


23


Inzwischen war es draußen völlig Dunkel geworden und tausende von Sternen bedeckten den Himmel. Deshalb beschlossen, sie sich schlafen zu legen. Cole war erleichtert, da sich Zac und Mason als äußerst sympathisch erwiesen und sie ihm nach ihren Geschichten freundlicher erschienen. Doch keiner von ihnen konnte so richtig einschlafen, vielleicht wegen den Geschichten, aber vielleicht auch wegen den Ereignissen, die sich zugetragen hatten. Nach einer Weile erhob sich Mark. „Könnt ihr auch nicht schlafen?“, fragte er. „Nein“, antwortete jemand aus der Dunkelheit. Cole konnte noch nicht unterscheiden, ob es Zac war der antwortete oder ob es Mason war.

„Und du?, Co?“, fragte er. Cole nickte, doch dann fiel ihm ein, dass die anderen es ja nicht sehen konnten, da es ja dunkel war. Deshalb gab er ein fast jammerndes, „Ja“, von sich. „Gut, dann können wir ja noch ein bisschen reden, aber über erfreuliche Sachen.“ Cole war zwar totmüde, konnte aber nicht schlafen, also war er sehr froh, dass es den anderen genauso erging.

Es schien ihm, als wären sie fast die ganze Nacht auf ihren Betten gesessen und hätten sich lustige Geschichten erzählt, auch Witze gemacht und sich immer wieder etwas Süßes aus der Kiste genehmigt. Er hatte das Gefühl, sie vier wären die einzigen in diesem Haus, doch er wurde auf sehr unangenehme Weise eines besseren belehrt. Er wollte sich noch eine Tüte Bonbons nehmen, als Mason etwas wahnsinnig lustiges sagte, natürlich war das Gelächter groß und sie gackerten und schrienen förmlich vor lachen, doch nicht lange, denn die Tür flog mit einem so lauten Krach auf, dass er die Tüte fallen ließ und das Lachen sofort verstummte.

In der Tür stand Clayse. Er funkelte sie zornig an. Cole sah Mark an, der sich vor lachen den Bauch hielt, er hatte große Mühe damit, nicht laut los zu lachen, denn , bemerkte Cole erst nach genauerem hinsehen, Mr. Clayse trug nur ein Nachthemd, auf dem ein fetter Kaffeefleck prangte. Cole überkam das lachen so unerwartet, dass er es gerade noch zurückhalten konnte. Er hatte das Gefühl seine Lunge müsse platzten, so angestrengt versuchte er sich zu beherrschen.

„Seid ihr jetzt endlich fertig?“, donnerte er. „N--nein, Sir“, stammelte Zac, „i---ich meine Ja!“

„Gut, da ich jetzt nicht sonderlich Lust habe, das jetzt zu klären, bin ich dafür das wir es morgen noch vor dem Frühstück erledigen. Habt ihr verstanden?.“

Cole wusste nicht warum, aber er konnte Clayse trotz seines hartem Tonfalls nicht ernst nehmen. Ob das am Fleck auf dem Hemd oder daran lag das es mitten in der Nacht war, konnte er nicht sagen. Er wusste nur eins, würde Clayse nicht bald wieder gehen, würde er platzen. Verwirrt sah Mr. Clayse um sich. „Suchen sie etwas bestimmtes?“, erkundigte sich Mason mit übertriebener Höflichkeit.

„Ja“, sagte dieser ebenso Höflich, dich!“. Er packte Mason uns zerrte ihn mit sich.

„Du Freundchen kommst in ein Einzelzimmer, dann kannst du dir überlegen was du eben gesagt hast, merk dir eins, vor mir hat ein jeder Respekt!“

Die Tür viel laut krachend ins Schloss. Cole überlegte warum sich Clayse so darüber aufregte das sie zu laut waren, der Lärm, den er selbst durch seinen unerwarteten Auftritt verursachtet hatte ,war wesentlich lauter.

„Was passiert jetzt mit ihm?“, fragte er an Zac gewandt.

„Weiß nicht, ich glaub mal das er in ein Zimmer neben Mr. Clayse kommt, dort bekommt er die Ohren voll geschimpft und morgen jammert er uns dann damit voll.“

Er sah zu Mark, dieser war immer kleiner geworden und immer tiefer in seine Decken gesunken. Er war blass, zu blass, er glich dem Mond, der schwach in der Ferne zu sehen war.

„Was ist mit dir los?“ Er stand auf und ging zu ihm hinüber.

„Ich fühle mich nur etwas schwach, wahrscheinlich bin ich nur etwas übermüdet.“ Er schälte sich aus dem Bett und tappste ins Bad, dort schlug er die Tür zu und schloss sie ab. Zac sah ihn an, als wollte er Cole aus den Augen ablesen was los war. Doch dieser wusste auch nicht mehr als er.

„Ich vermute, das durch die Geschichten all die Erinnerungen in Mark wieder hochgekommen sind.“ Unsicher zuckte Zac mit den Schultern, „er muss jetzt glaub ich erst mal allein sein.“

Da sie immer noch nicht schlafen konnten und Mark im Bad blieb, machte Zac seine Hausaufgaben und Cole versuchte ihm, so gut es ging, zu helfen. Doch seine Gedanken schweiften immer wieder zu Mason und Mark ab. Was geschah in dieser Sekunde mit Mason? Was tat Mr. Clayse mit ihm.? Warum reagierte Mark auf einmal so empfindlich? Cole kannte ihn nur als selbstbewusst und vorlaut, als starken Charakter, der sich durch nichts erschüttern ließ. Oder doch? Er beschloss es auf sich beruhen zu lassen, er konnte ja doch nichts ändern, und selbst wenn, dann bestimmt nicht vor Morgen früh, denn er war so müde, das er dort wo er stand hätte umfallen können. Deshalb legte er sich schlafen und schlief in der tat wie ein Stein.


24


Völlig ausgeruht schlug er am nächsten Morgen die Augen auf. Er hatte einen schlechten Traum gehabt, darin war er an Zacs Stelle gewesen und war zusammen mit seiner Schwester auf der Flucht, so wie Zac es erzählt hatte, gerade als sie einer der Männer entdeckt hatte, lief er los, von ihnen davon, doch so schnell er auch rannte, er kam nicht von der Stelle. So war er sichtlich froh, das er nun aufgewacht war. Er streckte sich ausgiebig und sah hinauf zum Fenster, die Sonne schien durch das Glas mitten in das Zimmer, das dadurch freundlich und hell wirkte, er betrachtete einen Sonnenstrahl, der auf seine Hand schien. Es hatte zweifellos keinen Sinn sich zu fragen, ob es die richtige Entscheidung war, hier zu bleiben, deshalb versuchte er den Gedanken zu verdrängen, doch es gelang ihm nicht. Er musste darüber nachdenken. Immerhin hatte er einen triftigen Grund dazu. Doch er hielt sich immer vor Augen, das es ihm, egal wo er war, auf der Straße viel, hundertmal schlechter ging. Er fühlte sich, als stünde er in der Mitte, von seinem alten Leben und dem neuen, das, so hoffte er, bald kommen würde. Er erhob sich gähnend und streckte sich abermals. Seltsamer Weise fühlte er sich schon wie zu hause, Zac und Mason waren richtige Freunde geworden. Schneller als er es je gedacht hätte. Sein Blick schweifte umher. Mark, mit

einem Bein vom Bett herabhängend und laut schnarchend, schlief anscheinend noch tief und fest. Und Zac, brav und ordentlich, lag er tief atmend in seinem Bett. Da viel sein Blick auf das leere Bett von Mason., der in der Nacht zuvor von Mr. Clayse in irgendein anderes Zimmer verschleppt worden war. Er tat ihm sehr leid. Was er sich wohl alles anhören musste? Cole schauderte bei dem Gedanken. Er hasste Clayse, vom ersten Tag an, als er ihn sah. Und es bestand kein Zweifel, dass es Clayse ihm gegenüber genauso erging. Er warf seine Decke zurück und stand auf, ging zum Fenster und blickte auf das Haus, das einst Mason gehörte. Für Cole war es unvorstellbar das Mason dort einst mit seiner Familie gewohnt hatte. Zwar wohnte sie immer noch dort, aber ohne Mason. Er fragte sich, was das für eine Mutter sein musste, die sich nicht einmal sorgte, wenn ihr Kind fort lief und in dem Waisenhaus nebenan wohnte? Ob sie geweint hatte? Oder ob sie ihn überhaupt suchten? Wie naiv war er gewesen zu glauben, das diese Reichen Leute keinerlei Probleme hatten? Sie hatten zwar Mengen von Geld, aber was nützte das? Sicher, sie hatten dadurch die schönsten Häuser und genug zu Essen, aber das war doch schon alles. Zumindest bei den meisten. Nach einer Weile beschloss er die anderen zwei zu wecken, bevor die laute Glocke läutete und sie zu Tode erschreckte.

Die Sonne war nun ganz aufgegangen und es versprach ein guter, sonniger Tag zu werden. Sodass er beschloss an diesem Tag mit den anderen Fußball zu spielen. Wenn ihm einer zuvor noch einmal die Regeln erklärte.

Vorsichtig rüttelte er Zac, dieser war sofort hellwach und gähnte laut. Dann stammelte er versclafen: „Morgen“, und machte sich daran, sich aus dem Bett zu quälen. In der Zwischenzeit ging Cole vorsichtig auf Mark zu und ebenso vorsichtig rüttelte er ihn. Dann sprang er hastig einen Schritt zurück, da er angst hatte erneut einen Faustschlag einstecken zu müssen. Doch Mark schien heute friedlich gesinnt. Es dauerte nur etwas, bis er begriff, das ein neuer Tag begonnen hatte. Er stand steif auf und sah ihn aus immer noch sehr müden Augen an. „Oh, morgen“, brummte er, dann stampfte er ins Bad. Coles Magen brummte und auch Zac's Magen war nicht gerade leise.

„Gibt es schon etwas zu Essen?“, fragte er hoffnungsvoll.

„Erst wenn es läutet“, war Zac's Antwort. „Ich hoffe nur, das Mason noch lebt“, er lachte schwach. „Besser ich sag es nicht extra, denn so etwas bringt sicherlich Unglück!“ Das hoffte Cole auch, er war unheimlich froh, das er nicht an seiner Stelle war, und kam sich aber gleichzeitig sehr gemein vor, so etwas zu denken.

Als alle im Bad gewesen waren, saßen sie auf dem Boden und diskutierten darüber, was Mason jetzt wohl tat. Dann läutete es, endlich! Fast als ginge es um ihr Leben, stürmten sie zu dem Speisesaal, setzten sich hin und griffen nach den frischen Broten, die in Körben auf jedem Tisch standen. „Gestern waren sie aber noch nicht da“, stellte Cole mit vollem Mund fest. „Ich weiß“, kam es schmatzend zurück, „vielleicht hatten sie mal Lust etwas zu ändern.“

Er wollte sich noch eine Scheibe genehmigen, da stockte er mitten im essen. „Du? Zac? Ist es normal, das noch niemand hier ist.“ Denn in der Tat waren sie die einzigen die im Speisesaal saßen. „Nein, aber bestimmt schlafen noch alle, oder haben keinen Hunger und sind deshalb im Spielzimmer nebenan.“


25


So ließen sie sich das Essen schmecken, doch Cole kam irgendetwas komisch vor, er konnte nur nicht genau sagen, was es war. Es lag nicht daran das außer ihnen niemand im Raum war, dessen war er sich sicher, aber es musste etwas anderes sein. Nur was? Den anderen schien es sichtlich egal zu sein, denn sie redeten munter weiter. Mit einem unverständlichem Grummeln, stand er auf und verließ die vier. Wohin er ging wusste er nicht, er streifte einfach ohne Ziel im Haus umher. Schließlich kam er an ihrem Zimmer vorbei, er öffnete die Tür. Vielleicht war es etwas das mit diesem Zimmer zu tun hatte? Langsam ging er hinein und sah sich alles ganz genau an. Er sah die Betten, die noch ganz durcheinander waren, die Kisten, die offen standen und völlig leer waren und das Fenster, dort sah er nur, das es schon Mittag sein musste. Hatten sie heute denn überhaupt Schule? Er setzte sich auf sein Bett und sah es genauer an, es hatte die Nummer 123, er sah hinüber zu Marks Bett, dort, so fiel ihm auf, fehlte die Nummer, Zac hatte die Nummer124 und Mason die Nummer 125. Erschrocken hielt er mitten in seiner Bewegung inne. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er wusste nun was anders war. Mason!

Er schämte sich das er Masons Abwesenheit nicht schon früher bemerkt hatte.Ohne auf irgendetwas zu achten, sprang er auf und rannte so schnell er konnte zurück zu den anderen hinunter in den Speisesaal, doch er rannte so schnell und überstürzt, dass er ein paar mal die Treppen hinunter gefallen wäre und sich fast verlaufen hätte! Energisch schlug er die massive

Tür auf und stürmte hinein. „He! Wisst ihr w...“, weiter kam er nicht, denn er sah erstaunt, das der Saal bis auf die Tische und Stühle leer war. Obwohl er starkes Seitenstechen hatte und er sich am liebsten um zu verschnaufen, ausgestreckt auf den Boden gelegt hätte, überkam ihn große Angst. Was wenn sie doch Unterricht hätten? Und er zu spät kam? Noch schlimmer, wenn sie jetzt Mr. Clayse hätten? Ihm wurde schwindelig, zum zweiten Mal zu spät, innerhalb von zwei Tagen, er wettete das dies noch keiner vor ihm geschafft hatte. Nahe am verzweifeln rannte er in den Spielraum. Dort saßen sie zum Glück alle in einer Ecke versammelt und spielten Schach, bei dem Cole so kläglich versagt hatte.Erfreut ging, oder schwebte er schon fast zu ihnen, so erleichtert war er. „Wo bist du gewesen?“, erkundigte sich Mark, ohne auch nur von dem Spielbrett hoch zusehen. „Ich“, er überlegte, „mir ist etwas eingefallen, oder vielmehr aufgefallen!“ Er holte tief Luft, „habt ihr nicht bemerkt das Mason immer noch nicht da ist? Oder habt ihr ihn schon gesehen, heute?“ Als wenn er ihnen gesagt hätte, das das Haus in die Luft fliegen würde, hielten sie inne. „Er hat recht“, stellte Zac an Mark gewandt fest. „Ich hab ihn heute noch nicht gesehen Glaubt ihr, er muss etwas schlimmes bei Mr. Clayse machen?“, fragte Zac unsicher, und Cole spürte, dass er sehr besorgt um seinen Freund war. „Vielleicht ist ihm ja etwas zugestoßen“, überlegte Cole. „Ach was! Das bildest du dir nur ein“, lachte Mark, „er muss bestimmt nur irgendeinen Boden kehren oder was weiß ich, eine Tafel putzen!“, sagte er aufmunternd, doch es klang für Cole eher so, als würde er sich damit selbst überzeugen wollen, das es Mason gut ging. Er sah irritiert zu Zac, doch dieser schien auch nicht recht an Marks Aussage zu glauben. Etwas stimmte nicht mit diesem Haus, das hatte er von der Sekunde an gemerkt, als er es betreten hatte. Sollte sich diese Vermutung nun als war erweisen? Er hoffte es nicht, aber alles sprach leider dafür. Obwohl er große Angst davor hatte, schlug er vor, doch Clayse über das lange verschwinden von Mason zu fragen, schließlich musste er es doch wissen. So fassten sich alle ein Herz und klopften an die Zimmertür von Mr. Clayse. Als dieser schließlich nach langem öffnete, herrschte erst einmal tiefes Schweigen, da niemand darauf vorbereitet war, etwas sagen zu müssen. „Was wollt ihr?“,begann Clayse. Mark antwortete tapfer, „Wir wollten uns erkundigen, was aus Mason geworden ist, nachdem Sie ihn gestern mit genommen haben?“ Er sah Clayse bestimmt, aber auch etwas nervös an. Cole fiel auf das seine Hände komische Bewegungen machten und er von einem Bein auf das andere hüpfte. Clayse sah ihn ebenso verwirrt an, dann nickte er , als habe er die Frage erst jetzt verstanden. Dann wandte er sich Zac und Cole zu.“Wieso wollt ihr das wissen?“, fragte er und zog fragend die Augenbrauen hoch. Diesmal meldete sich Cole zu Wort, was ihn sehr überraschte. „Er ist nun mal unser Zimmer“, er suchte nach dem richtigen Wort, „na er teilt mit uns ein Zimmer“, sagte er schließlich und wir machen uns große Sorgen.“ Er fixierte Clayse. „Ich weiß nicht wo er ist, schimpfte dieser. „Vielleicht ist er draußen und bewundert die Natur oder er macht Hausaufgaben. Was ihr übrigens auch mal tun solltet, jetzt lasst mich in Ruhe, ich hab Mason schon letzte Nacht wieder aus meinem Zimmer gelassen.“

Damit war für ihn die Sache zu ende, und er schlug die Tür hinter sich zu. Cole fragte sich langsam ob es hier üblich war, immer mit den Türen zu knallen.


26


Sie sahen zweifellos alle ein, dass es keinen Sinn hatte noch einmal zu klopfen, denn Mr. Clayse würde ihnen bestimmt nicht mehr sagen. Cole wusste nicht warum, aber er hatte das Gefühl, dass Mr. Clayse nicht mehr wusste, als er ihnen gesagt hatte.


So vergingen die Tage, mit Unterricht und Hausaufgaben. Worauf Cole ganz besonders Stolz war, war, dass er Fußballspielen konnte und sogar im Schach Fortschritte machte.

Aus Tagen wurden Wochen und aus Wochen wiederum Monate. Inzwischen war es Frühling geworden, die Blumen blühten und die Vögel zwitscherten. Sie hatten, so erfuhr er es, jeden Monat einmal Ausgang. Als sie in Coles drittem Monat an der Schule, oder viel besser, dem Waisenhaus, Ausgang hatten, gingen er und Zac natürlich mit Mark im Schlepptau, in die Stadt. Sie hatten dazu von der Direktorin ein jeder eine Hand voll Geld bekommen, um sich in der Stadt etwas kaufen zu können. Sie hatten viel Spaß, aber egal wohin sie auch gingen, was sie auch taten, es überschattete sie immer noch Masons' Verschwinden. Sie hatten sich in der Zeit die vergangen war, zusammen gedichtet, dass er vermutlich nach ihrem Gespräch zurück nach Hause gelaufen sei. Doch, ohne sich zu verabschieden? Dieser Gedanke erwies sich allerdings als falsch, denn sie trafen, als sie aus einem Laden voll gepackt mit Süßigkeiten kamen, auf Masons Familie, die gerade auf ein Restaurant zuging, und Mason konnten sie dabei nicht erkennen. Also saßen sie auf einem Brunnen, dessen Wasser in weichen Tropfen auf sie hinunterprasselte, und aßen.

„Du?“, fragte Cole mit vollem Mund. „Ich glaub nicht, das Mason zurück ist. Ich meine sonst hätten wir ihn doch vorhin gesehen.“ Mark zuckte nur mit den Schultern. Plötzlich fiel Cole etwas ein, was er tun könnte, wenn er schon einmal hier war.Hastig sprang er auf und wedelte wild mit den Armen: „Kommt mit“,übermutig riss er die anderen förmlich vom Brunnen, sodass diese beinahe ihr Essen hätten hineinfallen lassen. Er hatte keine Zeit es ihnen genauer zu erklären, obwohl es sicher nicht so eilig war.

Er kaufte neue Süßigkeiten und machte sich zusammen mit den anderen auf den Weg zu den Fünf. Er ging aus zwei Gründen dorthin. Erstens wollte er endlich wissen wie viele es tatsächlich waren, und zweitens wollte er ihnen eine Freude machen und ihnen die Süßigkeiten schenken.

Es dämmerte, als sie in der engen Seitengasse ankamen. Es war wie jedes Mal, wenn er dort ankam, sehr still und niemand der Kinder, die dort lebten, rührte sich. Cole vermutete, dass dies daher führte, dass die meisten nichts sahen, und deshalb nicht wussten, wer zu ihnen kam. Er sagte schnell wer sie waren und setzte sich. Neben ihm war wieder das Mädchen mit der völlig kaputten Puppe. Lange Zeit herrschte betretenes Schweigen, bis Cole registrierte, dass er wegen der Süßigkeiten gekommen war. Betreten räusperte sich. „Ich habe euch etwas mitgebracht“, sagte er, „ich hoffe es gefällt euch.“ Er griff in seine Taschen und holte eine Hand voll davon heraus. „Ich, Zac und Mark werden sie jetzt verteilen.“ Anweisend blickte zu Mark, der betreten den Blick senkte. „Was ist das?“, fragte der Junge, der ihn damals brutal aus der Gasse geschubst hatte. „Etwas zu Essen“, erwiderte er. Die Gesichter hellten sich auf, den etwas zu Essen konnten sie immer gebrauchen. Das Gesicht des Jungen war nicht zu erkennen, da er im Schatten in einer Ecke saß. Er blickte erneut zu Mark, der hellwach, kerzengerade auf einem Fass saß. Er reichte den zwei jeweils ein paar Süßigkeiten und begann damit sie unter den übrigen Kindern zu verteilen. Dabei fiel ihm zunehmend auf, das einige davon, nichts von Mark annahmen, denn sie zogen schnell die Hände weg oder sie betrachteten ihn zornig. Er fühlte sich immer mehr in seiner Vermutung bestärkt, das irgendetwas hier nicht stimmte, ihm schien es fast, als kenne er Mark überhaupt nicht richtig, doch er war immerhin sein bester Freund. Sweigend, beinahe regungslos saßen sie einige Zeit in der Gasse. Nach einer Weile, schlug Zac zögernd vor, dass sie sich alle einzeln vorstellen sollten.

Der Junge, der im Schatten verborgen saß und das Mädchen mit der Puppe schienen nicht sehr begeistert darüber zu sein. Deshalb fing Zac selbst schließlich an.

„Ich bin Zac“, sagte er, das Mädchen ließ die Puppe fallen. Rätselnd schielte Cole zu ihr, bis Marks dunkle Stimme seine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte.

„Ich bin Mark“, stotterte er, in sich zusammengesunken und blickte schnell weiter zu Cole, um ihm somit anzudeuten, dass dieser an der Reihe war. „Ich bin Cole.“

Neben ihm ging es schließlich weiter.

„Ich heiße Phillipp.“

„ Ich Carl“

„Ich Barry“,

„Liam“,

„Jasmin“,

„Anna“..... So ging es der Reihe nach weiter. Es waren bei weitem mehr Kinder, als Cole angenommen hatte. Als sie bei dem Jungen waren, weigerte sich dieser erst seinen Namen zu nennen, tat es dann aber doch,

„I--- ich heiße Sasha“, sagte er mit zitternder Stimme. Cole fragte sich warum dies für ihn so schlimm gewesen war. Nach Sasha war nun das Mädchen mit der Puppe an der Reihe.

„Ich bin Suzie“, sagte es. Es klang beinahe so, als hätte sie damit ein großes Geheimnis verraten, denn sie klang sehr stolz und erfreut. Zac saß auf seinem Fass, als wäre er zu Eis gefroren. Cole sah verwirrt, wie ihm der Mund aufklappte ehe er nervös aufsprang, sie keines weiteren Blickes würdigte und aus der Gasse, auf die offene Straße lief. „Was ist denn in den gefahren?, fragte er an Mark gewandt, doch dieser wusste auch keine Antwort. Er beschloss kurzerhand, ihm zu folgen. Also rannte er ebenfalls auf die offene Straße hinaus, die herum stehenden Leute, sahen ihn erschrocken an, da er, inzwischen auch sauber angezogen, aus dieser Gasse kam. Er brauchte einen Augenblick um Zac zu finden, doch er fand ihn schließlich, zusammengesunken auf einem kleinen Wagen sitzen, den jemand achtlos am Straßenrand stehen gelassen hatte. Er setze sich zu ihm. Vorsichtig fing er an zu fragen, „Sag mal , was sollte das denn? So schlimm ist es doch dort gar nicht!“, sagte er. Zac hob schluchzend den Kopf, erst da bemerkte Cole, das er geweint hatte.

„Es ist, sie hat es die ganze Zeit seit wir dort saßen, gewusst und nichts gesagt, oder sich nichts anmerken lassen“, er senkte erneut den Kopf. Cole verstand nun überhaupt nichts mehr. Wen meinte er? Er wusste es nicht, aber er wollte auch nicht gleich fragen. Dennoch konnte er es nicht lassen. „Wer denn?“, fragte er zaghaft. Zac hob den Kopf, unfassbar darüber, was er gerade gehört hatte. „Na“, sagte er gereitzt und schüttelte ungläubig den Kopf. „Suzie! Meine Schwester! Die verschwunden ist!“, zitternd wischte er sich mit seinem Handrücken über den Mund.

Wäre an demWagen keine Rückenlehne gewesen, er wäre sicherlich hinterrücks hinunter gefallen, so einen heftigen Schlag hatten ihm die Worte von Zac verpasst. Er fühlte sich wie betäubt. Langsam fand er seine Stimme wieder. „Bist du dir auch ganz sicher?“

„ Ob ich mir sicher bin? Klar bin ich das, sehr sogar, ich meine, sicherlich habe ich sie eine ganze Weile nicht mehr gesehen, aber ich kenne doch meine Schwester!“ Er schlang seine Arme um die Beine. Sein Gesicht nahm einen Nachdenklichen Ausdruck an: „Weißt du, eigentlich bin ich sehr glücklich darüber, dass ich sie wieder gefunden habe, aber“, er machte eine Pause und zuckte mit den Schultern.

„Aber?“, hackte Cole vorsichtig nach.

„Wenn ich sehe wie sie jetzt nur aussieht.“, er schluckte. Sodass Cole befürchtete, er könne erneut in Tränen ausbrechen. Doch Zac schien sich zu beherrschen. „Außerdem, als wir dort ankamen, haben wir unsere Namen gesagt, sie muss mich also gehört haben und hat nichts gesagt, sie hat sich sogar vor mir versteckt, da neben dem Jungen ,der im Schatten saß. Als wollte sie mich nicht sehen und nicht gesehen werden.“

„Vielleicht wegen ihrem Aussehen“, vermutete Cole, der nun auch den Tränen nahe war. Obwohl er großes Verständnis für Zac hatte, fand er es an der Zeit, zu Mark zurück zu gehen, denn dieser wartete mit Sicherheit schon auf sie. Er klopfte Zac behutsam auf die Schulter, er hätte niemals gedacht, dass sie drei im Laufe der Monate so dicke Freunde werden würden. Langsam erhoben sie sich von dem Wagen. „Geht es wieder?“, fragte er.

„Ja“, gab Zac mit immer noch etwas rauer Stimme zurück.

Als sie erneut in der Gasse ankamen, hoffte Cole, Zac würde sich beherrschen können und nicht gleich auf das Mädchen zurennen, wenn er es sah, und ihr Vorwürfe machen. Doch er war sehr erleichtert, als er sah, dass Zac sich zuerst ganz normal setzte, doch es sollte leider nicht so bleiben, denn als Zac schmerzlich mit ansah, wie das Mädchen, Suzie, weiter mit seiner Puppe spielte, platzte es aus ihm heraus. Er sprang auf und lief auf sie zu und riss ihr die Puppe aus den Fingern, die dabei völlig zerrissen wurde. Dann schmiss er sie achtlos auf den Boden. Viele der Kinder, die den Schrei des Mädchens nur gehört hatten, da sie nichts sehen konnten, krümelten sich in ihrer Ecke zusammen und verbargen den Kopf in den Händen. Zac starrte Suzie unentwegt an, sie selbst kauerte geschockt an der Wand und starrte zurück. Für einen kurzen Moment glaubte Cole, das es vielleicht überhaupt nicht Suzie war, so lange und ungläubig starrten sie sich an. Dann, breitete Zac die Arme aus und die beiden umarmten sich, als gäbe es nichts schöneres auf der Welt, er glaubte, dass Zac sie fast erdrücken müsste, so kräftig umarmte er sie. Er sah zu Mark, der lehnte an der Wand und schien von dem ganzen nichts mit zu bekommen, er trommelte mit den Fingern gegen ein Fass. Cole hatte keine Lust zu ihm hinüber zu gehen und ihn zu fragen was mit ihm los war, er wollte diesen wunderschönen Augenblick nicht mit Fragen zerstören. Mark schien das was sich vor seinen Augen abspielte nicht wahrzunehmen, er sah dem ganzen Geschehen wie betäubt zu. Inzwischen hatten sich die anderen Kinder auch wieder zaghaft, aber gelassen, aufrecht zu ihnen gesetzt.

Es wurde Abend, Zac und Suzie saßen abseits in der Ecke und redeten. Cole wusste nicht worüber, da er sie nicht hören konnte, aber er vermutete dass sie sich von der Zeit berichteten, in der sie getrennt waren. Cole unterhielt sich hier und da, mit einem Kind, aber so richtig in ein längeres Gespräch wurde er nicht verwickelt. Er fand, dass es langsam an der Zeit war, zu gehen, denn es wurde schon dunkel und er konnte, wenn er zum Himmel hinauf sah, sogar schon ein paar Sterne sehen. Vorsichtig tippte er Mark an, der, so schien es ihm, eingeschlafen war. Doch er wachte sogleich auf. Er räusperte sich, „ich finde wir sollten langsam gehen“, sagte er und Mark erhob sich, kaum das Cole zu ende gesprochen hatte. „Das finde ich auch, Co.“ Er wandte sich zum gehen. Cole wollte Zac holen und ihm sagen das sie nun gehen sollten, doch er brachte es fast nicht über sich ihn von Suzie zu trennen. Da kam ihm eine glanzvolle Idee. Er ging hinüber und setzte sich direkt neben Zac. Dieser, erzählte gerade eine Geschichte, die er anscheinend erlebt hatte, als er dabei war zu schildern wie er mit einem Fass den Hügel hinunter gerollt war, hielt er inne und sah Cole fragend an. „Ich wollte nur sagen das wir gehen müssen.“, sagte er. Bereute es aber zugleich, denn er sah Suzies trauriges Gesicht. Zac senkte ebenfalls den Kopf. Cole, der dies sah, erzählte ihm von seiner Idee.

„Wie wäre es, wenn sie mit uns mitkommen würde? Sie könnte mit uns im Waisenhaus wohnen?“ Er machte eine Pause, in der er, mächtig Stolz auf seine Einfälle, sah, wie sich die beiden Gesichter erhellten. „Ja“, schrien sie und sprangen gleich auf um zurück zu gehen. Er blickte hinüber zu Mark, der das Gespräch verfolgt hatte, und ihn wütend anfunkelte. Er war darüber sehr erstaunt, denn er hatte erwartet, das er sich für Zac freuen würde und das er stolz auf ihn sein würde, da er eine so gute Idee hatte. Stattdessen stand er nur wütend am Ausgang der Gasse und knirschte mit den Zähnen.

„Na, das war ja ein toller Einfall!“, sagte er als Cole zu ihm ging. Er konnte sich denken, warum Mark so wütend reagierte, er war wahrscheinlich eifersüchtig auf Zac, da dieser seine verschollene Schwester wieder gefunden hatte, und Marks Bruder, immer noch verschollen blieb. Deshalb unterließ er es auch, eine böse Bemerkung zu machen, was er sonst getan hätte.

So ging die ganze Karawane zurück durch die Nacht, die sie mittlerweile umgab. Cole ging mit Mark an der Spitze, und versuchte mit ihm ein halbwegs normales Gespräch zu führen. „Es ist nicht nur, weil er seine Schwester gefunden hat, stimmts?“

„Ja, stimmt!“

„Was denn dann?“ Mark zögerte, er schien seine ganze Wut hinunter zu schlucken. „Was glaubst du wie die reagieren werden? Ich meine wenn sie Susan sehen?“ Cole wusste nicht, was er damit meinte, noch wusste er, ob er Mark darauf hinweisen sollte, dass Zac's Schwester Suzie hieß. Doch er hielt es für unpassend, da er eh schon sehr aufgewühlt war, und dies ihm vermutlich noch den Rest gegeben hätte. Sie gingen zu der wuchtigen Eingangstür hinauf und ihm fiel auf, das Suzie kein bisschen Angst hatte, es gab zwei Möglichkeiten warum, entweder war sie viel mutiger als er, oder etwas stimmte hier nicht. Cole entschied sich für die zweite. Ihm war in der Tat schon so manches Merkwürdige seit er hier war aufgefallen. Zuletzt noch das plötzliche verschwinden Masons. Er öffnete ihnen die Tür und sie gingen hinein. Er erinnerte sich noch genau, wie ihm die Augen ausgefallen sind, als er die vielen Farben gesehen hatte, doch ihr schien das alles nichts auszumachen. Sodass er sich fragte, ob sie nicht auch blind war. Er ging eilig zu Mark.

„Du?“ Er nickte kurz.

„Was meintest du eigentlich vorhin damit, als du gesagt hast, was glaubst du wie die reagieren würden?“

„Ach dass“, er lächelte, beinahe schadenfroh. „Na, sag, was würdest du glauben? Sieh sie dir doch mal an!“ Er sah hinüber, doch ihm fiel nichts absonderliche auf.

„Mann!“,aufgebracht fixierte er ihn und starrte ihn dabei wütend an, ehe er fortfuhr: „ Sie stinkt, sie hat Fetzen an und ihr fehlt ein Arm. Ich glaube kaum, dass sie begeistert sein werden!“

Damit war für ihn die Sache erledigt, er ging die Treppen hinauf. Fassungslos folgte Cole ihm mit den Augen. Unvorstellbar was er gerade gehört hatte. Sie selbst sahen auch nicht besser aus, als sie hierher gekommen waren.

Etwas ratlos standen sie im Flur. Zac hatte Marks benehmen bemerkt und kam auf Cole zu. Dieser drehte sich schnell weg, denn er hatte keine Lust, sich irgendeine Lügengeschichte einfallen zu lassen, damit Zac nicht gekränkt war. Doch Zac kam unbeirrt auf ihn zu. „Was ist eigentlich hier los?“, fragte er ernst. „Freut ihr euch denn gar nicht für mich?“ Er verschränkte die Arme.

„Ich tue das schon, glaub mir, aber bei Mark wäre ich mir da nicht so sicher“. Symbolisch sah er zur Treppe hinauf. Er hatte sich entschlossen, die Wahrheit zu sagen, denn damit war er aus dem Schneider und Mark sollte selbst sehen wie er da wieder raus kam. „Aha!“ War Zacs einzige Antwort. „Das ist mir egal, viel mehr interessiert mich, was wir jetzt machen sollen, ich meine glaubst du, das Suzie einfach mit in unser Zimmer kann? Oder müssen wir sie irgendwo anmelden?“ Er sah ihn durchdringend an.

„Ich weiß auch nicht.“, er schüttelte entschuldigend den Kopf, „Du bist doch derjenige, der länger hier wohnt! Aber falls es dich interessiert“, er deutete auf die Tür zum Zimmer der Direktorin, „ich finde du solltest sie dort anmelden, du kannst nichts falsch machen.“ Damit drehte er sich um, und stieg schon die ersten Stufen hinauf, als er hinter sich Schritte hörte. Er drehte sich um, und blickte Zac genau ins Gesicht. „Was?!“ Doch er kam nicht weit, denn Zac schnitt ihm das Wort ab. „Ich geh da nicht alleine rein!“ Nach langem Hin-und Her standen wenig später drei verängstigte Kinder in einem großen wuchtigen Raum, und sahen sich schüchtern um. Cole wünschte sich, er hätte Zac nicht nachgegeben, doch es war so schön gewesen mal gebraucht zu werden, und nicht immer derjenige zu sein, der sich vor lauter Angst in die Hosen machte, doch im Augenblick fürchtete er, war er der, der am meisten Angst hatte. Die Tür wurde aufgeschlagen und die Direktorin kam herein, beim Anblick von Suzie schreckte sie zurück. Er fühlte sich dadurch nur noch mehr bestätigt das Mark recht hatte, wie immer. Was hätte er auch anderes erwarten können? Mark hatte immer recht. Wie sollte es jetzt anders sein? „Mrs.“,sagte Zac vorsichtig. „D---das ist meine Schwester Suzie. Ich wollte fragen, ob sie hier wohnen kann.“ Er machte eine Pause, in der er hoffte, sie würde etwas sagen, doch sie tat es nicht. „Wie sie sehen können, ist sie in schlechter Körperlicher Verfassung.“ Beinahe musste Cole lachen, obwohl es ganz und gar nicht komisch war, doch es hörte sich lustig an, wie Zac vornehm reden konnte wenn es darauf ankam. Er machte erneut eine Pause. Sie erhob sich, und legte ihre Brille auf den Tisch. „Ich verstehe, aber es tut mir leid wir haben kein Zimmer frei, das heißt, wenn ihr wirklich wollt, dass sie hier bleibt, muss sie bei euch schlafen.“ Zac holte schon Luft um sich bei ihr zu bedanken, doch sie hob den Finger, um ihm zu sagen das er leise sein sollte. „Auch für ihre Verpflegung werden wir nicht sorgen.“ Cole konnte an Zacs Gesicht ablesen, dass er diesen Satz nicht verstanden hatte, denn er sah ziemlich verwirrt aus.

„Ansonsten könnt ihr jetzt gehen, ich habe noch zu tun.“

Als sie hinaus gingen, fielen sich Zac und Suzie in die Arme, doch er konnte sich beim besten Willen nicht mit ihnen freuen. Erstens, konnte er sich nur zu gut vorstellen, wie erfreut Mark darüber sein würde, mit ihr in einem Zimmer zu schlafen und zu wohnen. Zweitens, war er selbst nicht gerade erpicht darauf. Es gab auch noch einen dritten Punkt, den Zac nicht verstanden hatte. Sie bekam nichts zu Essen, noch Kleidung noch sonst etwas, das hieß das sie das anderweitig auftreiben mussten, und das wiederum hieß Geld ausgeben. Nicht das er geizig gewesen wäre, aber wenn er schon Geld besaß, was nicht sehr oft vorkam, dann wollte er es behalten, oder wenigstens für sich ausgeben.

Etwas ratlos stand er neben den anderen, dann entschloss er sich, schon einmal hinauf zu gehen. Erschöpft ging er die vielen Stufen hoch. Er war sich ziemlich sicher, das Zac und Suzie das was er gesagt hatte, nicht einmal gehört hatten. Er öffnete die Tür und setzte sich sogleich auf sein Bett. Völlig in Gedanken zog er seinen blauen Schlafanzug unter dem Kissen hervor und zog ihn an. Dabei wunderte er sich, wie dieser, sauber zusammen gelegt, dorthin gekommen war. Nachdem er fertig war, hob er den Kopf um zu sehen was Mark tat, er saß auf seinem Bett und sah ihn an. „Ist irgendetwas?“, fragte er erstaunt und sah an sich hinunter, da er dachte, er hätte irgendwo auf dem blauen Stoff einen Fleck. Doch er konnte nichts entdecken.

„Nein“, kam die Antwort, „ich bin nur müde. Wo bleibt denn Zac?“

„ Achso, das weißt du ja noch nicht“, verlgen, machte er eine lange Pause, ihm graute es fast davor, ihm die Neuigkeit zu überbringen. Schließlich konnte er sich nur schwer dazu überwinden. „Suzie schläft hier bei uns.“

Marks Augen verengten sich zu Schlitzen. „Na dann. Nacht!“ Er drehte sich um, warf sich seine Decke über und gab keinen Ton mehr von sich.

Cole tat es ihm nach.


27


Er wusste nicht mehr, wann Zac und Suzie gekommen waren, er wusste nur, dass er um diese Zeit schon geschlafen hatte. Er stand als einziger auf und ging, wie jeden Morgen zuerst zum Fenster, es war beinahe schon eine Gewohnheit von ihm geworden. Er sah hinaus. Er genoss es, das alles langsam wieder grün und bunt wurde, denn alles um ihn herum war viel zu lange grau gewesen. Er holte ein paar mal tief Luft, um danach wieder zurück zu gehen und um sich anzuziehen.

Als er fertig war, wachten auch die anderen allmählich auf. Gemeinsam gingen sie hinunter zum Frühstücken, wo Suzie viele Blicke auf sich zog. Wie er, als er neu war, doch er wusste das es nicht nur war, weil sie neu war.

Nach dem Essen, beschlossen sie gemeinsam zum See zu gehen, der hoffentlich schon warm genug war. Die Direktorin hatte ihnen zuvor erklärt, dass für den heutigen Tag der Unterricht entfallen würde, da ein herrlicher Frühlingstag war.

Lustig hüpften sie wenig später den Weg hinunter zum See entlang, Cole kannte sich inzwischen schon einigermaßen aus, er wusste, wo er immer abbiegen musste, wenn er zum Haus wollte und er hatte sich auch einige Wegmarkierungen gemerkt. Fröhlich lachend und schwatzend kamen sie am Ufer an, und breiteten eine Decke aus, die ihnen mitgegeben wurde. Die übrigen Schüler wollten nicht mit ihnen mitkommen, sie bevorzugten es, im Waisenhaus zu bleiben und dort zu spielen oder ihre Hausaufgaben zu machen. Doch Cole wusste, das dies nur eine Ausrede dafür war, das keiner von ihnen richtig schwimmen konnte. Sie hatten sich auch ein paar Brote geschmiert und wollten sie Mittags essen. Bis dahin vertrieben sie sich die Zeit damit, Suzie das schwimmen beizubringen. Doch das war schwieriger als erwartet, als sich heraus stellte, da Zac ebenfalls nicht schwimmen konnte. Nach Stunden harter Arbeit konnte er es einigermaßen und letzendlich war auch Suzie an der Reihe.

Dies stellte sie aber erneut vor ein Problem, denn es gab viele Hindernisse. Wie schwimmt man mit einem Arm? Konnte man das eigentlich? Und, wie bringt man jemandem so etwas bei?


Den ganzen Tag, so schien es, versuchten sie vergebens eine Lösung zu finden und schließlich klappte es, sie konnte sich über Wasser halten und ein wenig vorwerts paddeln.

Erschöpft setzten sie sich auf die Decke und aßen etwas, denn das alles hatte sie ziemlich hungrig gemacht.

„Du bist ein guter Schwimmlehrer“, sagte Zac und zwinkerte ihm zu.

„Danke.“ Er lachte, „wenn das so weitergeht, kannst du ja allen im Haus schwimmen beibringen.“ „Nein danke!“, stieß er hervor, „ich kann nicht noch eine Gruppe, ach was heisst Gruppe, nicht noch hunderte von Kindern brauchen die sich so anstellen wie ihr!“, er lachte. Er wusste aus der Rechenstunde, das Hundert eine sehr hohe Zahl war, deshalb wollte er sich erst

gar nicht darauf einlassen, noch mehr zu „unterrichten“.

Gierig griffen sie nach den Broten, bis keines mehr übrig war. Alle aßen ihr letztes Brot und schwatzten vor sich hin, denn schwimmen machte hungrig. Zac war in eine Unterhaltung mit Suzie vertieft und alberte mit ihr herum. Cole fand es sehr amüsant, den beiden dabei zuzusehen, wie sie sich gegenseitig schubsten und zwickten. Schade das Mark nicht mitkommen wollte, dachte er betrübt und vergaß dabei fast das Kauen. Es war ihm immer noch ein Rätsel, warum er so komisch und wütend darüber war, das Zac Suzie wieder gefunden hatte. Die einzige Erklärung dafür war, das er eifersüchtig oder neidisch war, das sie sich wieder gefunden hatten. Er stockte, dann würgte er, denn er hatte sein Brot verschluckt, ihm war gerade ein fürchterlicher Gedanke gekommen, der leider, besser gesagt, mit Sicherheit richtig war.


Als sie allesamt am vorigen Tag in der Gasse waren und sich vorgestellt hatten, saßen Suzie und ein anderer Junge in einer Ecke im Schatten, sie hatten gar nicht auf sie reagiert. Er schämte sich dafür, dass ihm das erst jetzt aufgefallen war. Aber hätte Mark das nicht merken müssen? Denn der Junge im Schatten, der sich nach langem drängen doch vorstellte, hieß Sasha! Und, hatte Mark nicht gesagt, das sein Bruder Sasha hieß? Oder täuschte er sich?

Er war sich sicher. Das war es. Und Mark hatte es gewusst. Sasha vermutlich auch, denn er hatte sich versteckt und wollte seinen Namen nicht nennen. Dies verstärkte seinen Verdacht endgültig. Etwas stimmte ganz und gar nicht. Es ging sogar soweit, dass er sich fast wünschte, er würde in sein altes Leben zurückkönnen. Einfach wieder in sein kleines Häuschen. Warum eigentlich nicht? Es gab nichts was ihn davon abhielt. Er überlegte. Doch, es gab etwas, die Aussicht Lesen und Schreiben zu lernen, um später einmal arbeiten zu können. Langsam aber sicher hatte er den Punkt erreicht, an dem ihm schon seine eigenen Gedanken langweilten, da er immer das selbe dachte.

Er legte sich auf den Rücken und betrachtete die Sonne. Soweit das möglich war . Zac rutschte zu ihm hinüber und tat es ihm nach.

Lange Zeit sagte keiner etwas. Sie lagen einfach da.

„Wo ist Suzie?“, wollte Cole wissen, da er bemerkt hatte, wie ruhig es um sie herum geworden war. „Sie sagte, das sie noch ein bisschen durch die Gegend gehen will.“ Gab Zac zurück, und gähnte müde. Die Sonne war so heiß, dass sie anfingen ein bisschen zu dösen.

„Ahh!“

Sie schreckten auf. Cole wurde schwindelig, denn er war zu ruckartig aufgestanden. Sie lauschten, da war es wieder.

„Ahh!“

Nun sprangen sie endgültig auf. „Suzie? Bist du das?“ Schrie Zac. Sie hörten etwas, doch sie konnten nicht genau verstehen, was es war, oder was es bedeutete. „Ich glaube schon.“, sagte Cole und er merkte, wie Panik in ihm aufstieg.

„Wo bist du?“ Zac wirbelte ohne zu wissen, wohin und was genau er tun musste, herum. Cole war hinunter zum Fluss gerannt, um dort zu suchen. Er war sich nicht sicher, aber er konnte weit entfernt, eine Welle im Wasser erkennen, die immer wieder aufs neue, erschien. „Suzie!“

„Zac!“ Während er auf die Stelle , an der sie sich befand, zulief, rief er nach Zac. Er hatte keine Zeit sich zu vergewissern, ob dieser ihm folgte, oder ob er ihn überhaupt gehört hatte. Panisch stolperte er das Ufer hinunter und bremste knapp vor dem Wasser. Da die Sonne ihm stark ins Gesicht schien, musste er seine Hand vor die Augen halten um überhaupt etwas zu erkennen. Ja, er war sich sicher, das dort im Wasser war sie, sie hatte fast keine Kraft mehr, zu paddeln und um sich zu schlagen. Mit einem Arm war dies sowieso schwierig. Sein Herz hämmerte so stark und schnell, das er glaubte, er müsste bald ohnmächtig werden. Endlich war Zac zu ihm gerannt, und stand schwer atmend neben ihm, er war sich sicher, dass er sich, obwohl es um seine Schwester ging, nicht traute, selbst ins Wasser zu springen. Doch sie hatten keine Zeit mehr. „Hol du Hilfe!“, rief er Zac zu.

„Wo denn?“ Kam die Antwort und Cole glaubte zu hören, dass Zac einer Ohnmacht wesentlich näher war, als er selbst. Er blickte Zac nach, während dieser loslief um jemanden zu finden, der ihnen half. Cole blickte zu Suzie. Doch!

Sie war völlig untergegangen. Was tat er eigentlich die ganze Zeit? Er stand da, und hoffte, jemand würde kommen. Aber das war zu spät. Hastig begann er damit, seine Schuhe und seine Kleidung auszuziehen, die er achtlos fort warf. Obwohl er schwimmen konnte, zögerte er noch einen kleinen Moment, auch wenn er sehr wohl wusste, das es auf jede Sekunde ankam. Und er hasste sich dafür. Entschlossen atmete tief ein und sprang ins unerwartet, kalte Wasser.

Eine Sekunde lang, konnte er sich nicht bewegen und paddelte, genauso hilflos auf einer Stelle, wie Suzie. Er spürte seinen Körper fast nicht mehr. Da er sehr lange nicht mehr geschwommen, war, musste er sich, als sein Körper sich etwas an die Kälte gewöhnt hatte, ins Gedächtnis rufen, wie das am besten ging, dabei hatte er es zuvor sogar Zac selbst beigebracht. Fast hatte er die Stelle erreicht. Doch, er konnte sie nicht sehen, denn das Wasser war zu trüb und voller Schlamm, das es wie eine klebrige, braune Masse wirkte. Auf gut Glück griff er hinein. Nichts. Noch einmal. Nichts. Seine Gedanken überschlugen sich vor Panik und er hätte heulen können. Noch einmal. Nichts. Hilfe suchend blickte er sich nach Zac um, doch er war noch nicht zu sehen. Ich darf nicht aufgeben! Noch einmal. Er tastete sich durch das Wasser. Da! Er griff nach einem Büschel Haare! Ohne zu überlegen, zog er kräftig, und ihm fiel ein richtiger Felsbrocken vom Herzen, als Suzie zum Vorschein kam ,schwer hustete und dabei ungeheure Mengen an Wasser ausspuckte. Zitternd stand er, mit Suzie in der Hand, im kalten Wasser. Erst dann war ihm aufgefallen, dass er an dieser Stelle fast stehen konnte. Doch das hätte ihr nichts genützt, denn sie war viel kleiner als er. Sie beide brauchten einen Moment, um sich von diesem Schock zu erholen. Als Cole wieder klar denken konnte, beschloss er, Suzie an „Land“ abzusetzen. Und fragte sich, wo Zac nur so lange blieb. War er vor lauter Panik, gestolpert und hatte sich den Kopf angestoßen? Oder war er vor eine Kutsche gelaufen? Er hoffte es nicht. Schweigend saßen sie am Ufer und blickten auf das Wasser. Suzie in die Decke eingewickelt, war eingeschlafen, als Cole sich zu ihr umdrehte. Er begann unruhig zu werden. Er wusste nicht, wie spät es war, denn soweit er wusste, besaßen nur reiche Leute wie Mr. Clayse Uhren. Doch er konnte sehen das es immer dunkler wurde und bald alles in ein tiefes rot getaucht war. Er stand auf, um Zac zu suchen. Doch dies stellte sich als schwieriger heraus, als er dachte, denn seine Beine waren steif und gribbelten gewaltig. Er ging zuerst das ganze Ufer ab, doch keine Spur. Er erweiterte seine Suche, indem er die ganze Gegend ab lief. Die Sonne war schon fast ganz untergegangen, als ihm in den Sinn gekommen war, das Zac schon zurück zum Waisenhaus gegangen sein konnte, und dort auf sie beide wartete. Obwohl ihm dies eher abwegig vorkam, da er niemals einfach zurück gelaufen wäre, wenn seine Schwester kurz vorm ertrinken war. Er lief schnurstracks zu Suzie zurück, um mit ihr nach hause zu gehen. Als er sie aber, noch immer etwas nass, schlafen sah, wollte er sie nicht aufwecken. Aber wie sollte er sie zurück bekommen? Er konnte sie doch unmöglich tragen. Obwohl, er überlegte, eigentlich hatte er sie ja schon getragen, im Wasser. Aber das den ganzen Weg zurück? Er beschloss, es zumindest zu versuchen. Er ging in die Hocke und legte sich ihren Arm um den Kopf. Das alles tat er ziemlich vorsichtig, denn er wollte nicht, das sie wach wurde. Schließlich schaffte er es, und saß in dieser Position erst einmal einen Augenblick bewegunglos da. Aber nicht, weil er befürchtete, er könnte entdeckt werden, oder sie könnte aufwachen, sondern er kam nicht mehr in die Höhe, da sie doch zu schwer war. Er atmete tief durch. Ich schaff das schon, das bisschen Gewicht. Dachte er sich wenig motiviert. Er packte sie fester. Biss sich auf die Lippen und fuhr mit einem Ruck nach oben. Na also, geht doch, er lachte Stolz. Suzie atmete immer noch tief und friedlich, das er am liebsten auch eingeschlafen wäre. So hatte er sich seinen freien Tag sicher nicht vorgestellt.


Angestrengt schleppte er sie den ganzen Weg hinauf zum Waisenhaus.

Endlich angekommen- er wunderte sich, wie er die schwere Tür öffnen konnte- wäre ihm Suzie beinahe aus den Händen gefallen, als er die vielen Treppen hinauf zu ihrem Zimmer sah. Er sank förmlich in sich zusammen. Das konnte er unmöglich schaffen! Hilfe suchend sah er sich um. Dann fiel ihm etwas ein. Er legte sie vorsichtig auf der ersten Stufe ab. Und rannte selbst hinauf. Oben angekommen, riss er die Tür auf und lief zu Marks Bett. Er sah ihn, fest schlafend, eingerollt in seine Decke. Ohne nachzudenken, rüttelte er ihn. „Du?“

„ Mmmmmh? Was ist?“, brummte der ihn an. „Seid ihr endlich zurück?“

„ Ja, siehst du doch!“ Er stockte und blickte sich im Raum um. „Ist Zac noch nicht da?“ Mark setzte sich auf. „Ich dachte, er wäre bei euch?“

„War er auch, aber, Suzie ist fast ertrunken und er sollte Hilfe holen.“ Erklärte er schnell. „Sie ist eingeschlafen und ich hab sie den ganzen Weg hierher getragen! Jetzt liegt sie unten auf der Treppe, und du musst mir jetzt helfen. Ich kann nicht mehr.“

Schläfrig erhob er sich. „Gut.“

Cole rannte voraus. Mark senkte den Kopf und biss sich fest auf die Unterlippe. Dann folgte er ihm langsam. Doch Cole hatte das gar nicht bemerkt, er hüpfte schnell die Treppen hinunter und war bald wider bei ihr angelangt. Er wartete eine Zeit lang, dann war auch Mark bei ihnen. Als wenn sie nichts wiegen würde, nahm er sie auf die Schulter und trug sie flink hinauf. Cole musste fast laufen um ihm zu folgen. Sie kamen an dem Lehrerzimmer vorbei und er hörte Stimmen. Neugierig blieb er stehen. Mark war schon ein Stück weit weg. Er lauschte. Er erkannte angewidert Mr. Clayse's Stimme. „124“. sagte dieser, „und unten“. Dann sagte ein anderer, den er nicht kannte,“bald“, und einen Satz den er nicht verstand. Es war ihm aber auch egal, was die Lehrer sagten. Desinteressiert ging er weiter. Oben, in ihrem Zimmer, legte Mark Suzie auf ihr Bett, drehte sich zu Cole um, und nickte ihm zu, ihm ins Badezimmer zu folgen. Das tat er auch. Kaum das er drinnen war, schloss Mark auch schon die Tür.

„Was ist?“, fragte er verwundert. Mark setzte sich auf den Rand des Waschbeckens, was Coles Meinung nach, sehr komisch aussah.

„Gut, fing er betrübt an.“ Doch Cole fiel ihm ins Wort. „Sag zuerst, was mit dir los ist? Du bist seit wir hier sind so komisch“. Er schluckte und ihm fiel auf, das er es vermied, ihm in die Augen zu sehen. „Ich finde das geht dich nichts an.“ Verteidigte er sich.

„Doch! Tut es! Wir sind Freunde und ich mache mir Sorgen, wenn es das Haus ist, ich muss nicht hier bleiben, es war deine Idee.“ Er machte eine Pause.

„Ich weiß, wir sind Freunde“, er suchte nach den richtigen Worten, „ich mache mir einfach Sorgen um Mason, warum er auf einmal verschwunden ist, und natürlich auch um Zac“. Schloss Mark. Dann sprang er vom Waschbecken auf und wollte gehen. „Ich verstehe dich“, hielt ihn Cole zurück, „ach, warum sind wir nur jemals hierher gekommen? Alles war perfekt, jedenfalls besser, als jetzt, ich kann zwar lesen und schreiben und rechnen, aber dafür ist hier alles seltsam.“ Er fing an zu weinen. „Ich“, er holte erneut Luft und versuchte sich zu beruhigen, „ich denke, es wäre doch möglich, dass die beiden auch die Nase voll hatten, und fortgelaufen sind.“

Mark, lies den Türgriff los, und kam zu ihm zurück. „Bei Mason kann ich es verstehen, das er von allem, also Mr. Clayse und seiner Familie gegenüber, genug hatte. In Ordnung.“ Er beugte sich näher zu ihm und flüsterte, damit Suzie es nicht hören konnte. „Ich kann nicht glauben, das Zac weglaufen würde, wenn seine Schwester am ertrinken ist, und er Hilfe holen muss.“

„ Das selbe hab ich auch gedacht.“ Sagte er.

„Gut.“ Er ging. Einen kurzen Moment überlegte Cole, ob er Mark darauf ansprechen sollte, ob er gewusst hatte, das dieser Junge in der Gasse, sein Bruder war. Doch etwas hielt ihm davon ab. Er ging auch hinüber, blickte noch einmal kurz zu Suzie, die immer noch tief und fest schlief,dann legte auch er sich schlafen. Lange Zeit konnte er nicht einschlafen,. Er musste seine Gedanken und die Ereignisse noch richtig ordnen. Er war sich sicher, das etwas definitiv nicht stimmte. Zac und Mason waren verschwunden. Keiner wusste, wo sie waren, es musste etwas passiert sein.


Mitten in der Nacht, wurde er wach. Er wusste nicht, warum und was ihn geweckt hatte.

Gähnend stand er auf, um sich einen Schluck Wasser aus dem Bad zu holen. Die Tür war einen Spalt breit geöffnet, und er sah, als er sich gerade zum Wasserhahn bücken wollte, einen Schatten an ihm vorüber huschen. Er erschrak fürchterlich, dann dachte er, er hätte sich geirrt, doch das konnte nicht sein.in Gedanken versunken, legte er sein Armband, dass er einmal von Mark bekommen hatte, auf das Waschbecken, er wusste nicht warum, doch er tat es. Er lugte vorsichtig hinaus. Er achtete darauf, das nur seine Nasenspitze zu sehen war, und er nur mit den Augen, gerade weit genug um die Ecke sehen konnte, als nötig war, denn er war noch immer nicht der mutigste der Schule. Er atmete immer schneller, jeden Moment war er darauf gefasst, das eine Gestalt auf ihn zu springen könnte. Hoffte es aber nicht. Sekunden verstrichen, und er war sich sicher, es sich nur eingebildet zu haben. Er drehte sich um, und beugte sich erneut hinab, um etwas zu trinken.

Klick.

Er blieb schwer keuchend gebeugt. Vorsichtig drehte er den Hahn zu. Er hatte Recht gehabt. Jemand war im Raum. Jemand, der nicht gesehen werden wollte. Vielleicht Zac? Aber, warum sollte er sich anschleichen, oder verstecken wollen? So leise er konnte, schlich er wieder zur Tür, obwohl ihm jeder Schritt zu laut vorkam, und er glaubte, er wäre leicht zu hören. Hatten denn Mark oder Suzie nichts gehört? Er fasste Mut, und öffnete nun ganz die Tür. In diesem Moment dachte er an gar nichts, er stand nur völlig regungslos da, wehrlos, völlig hilflos und verloren kam er sich vor, und das war er , wenn er ehrlich war auch. Er spähte aus den Augenwinkeln, zur Tür, die geschlossen war. Daraus schloss er, das derjenige das Zimmer verlassen hatte. Oder dasjenige. Er hatte ja nie an die Schauer Geschichten geglaubt, die Mark ihm fast jeden Abend erzählt hatte, wenn sie in der Hütte saßen und nicht schlafen konnten. Aber jetzt. Wenn er so dastand, umgeben von Dunkelheit und nicht wusste, was möglicherweise vor ihm stand, oder nahe genug bei ihm. Ihn überfiel ein gewaltiger Schüttelfrost. Was wenn? Nein, er durfte nicht denken.er würde jetzt, selbst da hinaus gehen, auf den Gang, und weiter. Er würde Suzie und Mark schlafen lassen, und nachsehen, was oder wer, sich nachts in ihrem Zimmer aufgehalten hatte. Er ging einen Schritt vorwärts. Dann noch einen, und nach langem war er an der Tür angelangt. Seine Hand streckte sich zu dem Griff aus, noch hatte er Zeit sich um zu drehen , in sein Bett zu kriechen, und sich die Decke über den Kopf zu werfen. Er schüttelte den Kopf, und drückte die Klinke mit einem unsicheren Ruck runter. Jeden Augenblick, der verstrich, bis er die Tür vollständig geöffnet hatte, stellte er sich vor, wie hinter ihr, eine grausame Kreatur zum Vorschein kam, mit hässlicher Fratze und stinkendem Atem, wie aus Marks Geschichte. Obwohl ihm der Atem das mindeste ausmachen würde.

In dem Moment, als die Tür offen war, machte sein Herz einen riesigen Sprung, vor Erleichterung. Er dachte sogar darüber nach, was er wohl getan hätte, wenn dort wirklich, jemand, oder etwas, gestanden hätte. Doch das war jetzt Nebensache. Er ging weiter. Natürlich so vorsichtig und leise, wie nur möglich.

Schlotternd kam er zu der Treppe, die nach unten führte, ohne etwas gesehen zu haben. Er ging hinunter. Mit einer Hand hielt er sich am Geländer fest und hob sich praktisch von Stufe zu Stufe, es sah fast schon idiotisch aus. Falls da etwas war, das ihn beobachtete, würde es sich wahrscheinlich totlachen.

Er fand die Stille fast unerträglich. Jetzt hätte nur noch eine dieser Uhren gefehlt, die, wie er zufällig wusste, immer laute, gleichmäßige Geräusche machten, die besonders laut waren, wenn eine Stunde um war. Mark hatte ihm erzähl, dass sie unheimlich waren.

Er selbst war einmal in einem Uhrengeschäft gewesen, aus welchen Gründen auch immer. Und es stimmte, denn sie machten einem wirklich Angst.

Keuchend ging er schleichend weiter, langsam kam das Ende der, plötzlich endlos wirkenden Treppe in Sicht. Er fragte sich, was er überhaupt erwartete? Glaubte er, derjenige würde ihm einfach so über den Weg laufen? Er wusste nicht, wo er suchen sollte, hatte es aber auch nicht wirklich vor. Er könnte am nächsten Tag Mark davon erzählen und dieser würde die Sache dann erledigen. Doch er wollte, und dessen war er sich sicher, einmal selbst Mut beweisen. Ohne Mark, oder irgendjemandem anderen. Er wusste, das er das schaffen konnte. Am Fuße der Treppe blieb erst einmal ratlos stehen. Und jetzt? Fragte er sich. Die Gänge zweigten zu zwei Seiten ab, und er wusste nicht, in welche er gehen sollte. Doch eigentlich war er auch unheimlich froh darüber. Da er nicht gleich wieder hinauf gehen wollte, setzte er sich auf die unterste Treppenstufe. Ihn überkam plötzlich wieder ein heftiger Schüttelfrost, fast eine Art Krampf. Er malte sich, aus, wie sich etwas von hinten an ihn heran schlich und ihn packte. Er sah sich ruckartig um. Doch da war nichts. Er zog die Beine näher an sich heran. Da er sehr müde war, versank er, trotz der großen Angst, bald in einen leichten Schlaf. Oder, es war vielmehr eine Art Trance.

Es war so ruckartig, dass er gleich nach vorne geschleudert wurde. Sein Herz war ihm für einige winzige Sekunden stehen geblieben und er schnappte nach Luft. An seinen Schultern spürte er, auf beiden Seiten, kalte, große Hände, die ihn umklammert hatten. Er hatte nicht den Mut, sich um zu drehen, um wenigstens zu wissen was ihn da festhielt, und wie es aussah. Er beschloss einfach regungslos still zu sitzen und zu hoffen, das er jeden Moment aufwachen würde. Dann meldete sich die „Kreatur“ zu Wort.

„He! Was machst du hier? Mitten in der Nacht?“

Jeder Muskel, den er besaß entspannte sich. Er drehte sich um. „Was machst du hier?“, fragte er anstatt zu antworten.Und war sehr froh, in das müde Gesicht von Mark zu blicken.

„Das selbe könnte ich dich fragen. Komm.“ Er nickte zur Treppe und schleifte ihn praktisch mit sich mit.


Er stand mitten im Speisesaal, umringt von Schülern, die ihn drohend ansahen und Essensreste in den Händen hielten. Jeder bereit, nach ihm zu werfen. Sogar, Mark und Suzie standen unter ihnen. Bewaffnet mit je einer Tomate. „Du hast nie zu uns gepasst,“ rief einer und feuerte seine Tomate. „Genau!“, rief ein anderer und tat es ihm nach. Alles stürmten auf ihn los, doch er schaffte es, ihnen zu entkommen, indem er schnell davon sprang und hinaus Richtung Sportplatz lief. Er stieß die Tür auf, und rannte hinaus ins Freie. Hinter sich hörte er die schnellen Schritte der anderen. Es mussten ganz schön viele sein. Ihm schauderte. Er wollte es gar nicht wissen. Er lief weiter, seine Lungen brannten. Er lief aber trotzdem weiter. Nahe der Rennbahn, war er davon überzeugt sie abgehängt zu haben, da sprang jemand von hinten auf ihn, und hielt ihn fest umklammert fest. „Ich hab ihn Leute!“ Rief derjenige und umklammerte ihn noch fester.

„Lass mich los!“ Er hämmerte mit einer Hand, die er aus dem Griff befreien konnte, auf den Arm, der ihn festhielt, ein. Der Junge lachte, „du kommst nie im Leben gegen mich an! Bist du noch nie, und wirst du auch niemals!“ Er packte ihn noch fester. Nun begann er zu treten, in alle Richtungen, doch es schien dem Jungen nicht das geringste auszumachen. Er hörte, wie die anderen immer näher kamen und schließlich , sah er, als er aufblickte, in lauter böse Gesichter.“ Ok“, sagte einer davon, und trat einen Schritt auf ihn zu. „Du kannst deinen Freund jetzt wieder loslassen.“ Er lachte spöttisch. Langsam drehte er sich um. Hatte er richtig gehört? Deinen Freund? Er sah verständnislos zu Mark. „Du?“, flüsterte er keuchend.

„Ja, ich.“, antwortete er und nahm sich eine Tomate. Nun kam Zac dazu, „wir wussten immer das du komisch bist“. Lachte er.

„Zac? Wo warst du die ganze Zeit?, fragte Cole verständnislos.

„Ich bin voraus gegangen, um das ganze hier vorzubereiten, dann mussten Mark und ich dich nur noch hierher locken und den Rest wirst du gleich sehen. Ach übrigens, er kniete sich neben ihn, danke das du meine Schwester gerettet hast. Zum Zweiten Mal“.

Er erhob sich. „Dann, los Jungs und natürlich auch Mädchen. Feuer!!“

Er sah nur noch, wie über ein Dutzend Tomaten auf ihn zu jagten, dann schreckte er hoch.


Schwer atmend saß er aufrecht in seinem Bett. Was war passiert? Hatten sie ihn beworfen und ihn dann wieder seelenruhig in sein Bett gelegt? Er sah seine Kleidung an. Hatten sie ihn gewaschen? In der Tat, dauerte es eine ganze Weile, bis er merkte, dass er es nur geträumt hatte. Doch, hatte er, die Tatsache, dass er einem Unbekannten Nachts gefolgt war, auch geträumt? Er vermutete es. Er stand auf. Draußen regnete es. Passend zu seiner Stimmung. Denn gut geschlafen hatte er sicherlich nicht. Eine Stimme hallte in seinem Kopf wieder. Zum zweiten Mal. Stimmte das? Er hatte Suzie bereits zum zweiten Mal gerettet? Er blickte zu Zacs Bett. Es war leer. Ein weiterer Beweis dafür, dass er alles nur geträumt haben musste. Er war auch erleichtert darüber, denn es wäre ein großer Schlag gewesen, wenn Mark ihn wirklich verraten hätte. Und auch Zac, denn sie drei waren recht gute Freunde. Er wusste nicht, was er tun sollte, er vermutete, dass es noch sehr früh sein musste, da es noch nicht geläutet hatte, und das Läuten war, wie er inzwischen wusste, nicht zu überhören. Er überlegte: Hatten sie heute überhaupt Unterricht? Er wusste es nicht, woher auch. Rasch blickte er zu Mark, dann zu Suzie, die allmählich begann wach zu werden. Sie gähnte, streckte sich und setzte sich dann aufrecht in ihr Bett.

„Morgen“, murmelte sie verschlafen.

„Morgen“, gab er halbherzig zurück. Der Regen wurde stärker. Er stand auf.

„Wenn Mark aufwacht, sag ihm, das ich schon vorgegangen bin.“

Er drehte sich um, und ging zur Tür hinaus. Vor ein paar Tagen hätte er es für nahezu undenkbar gehalten, jemals zu sagen, oder zu denken, schon einmal vorzugehen.


28


Er hielt inne, mitten auf dem Gang. Ihm begegneten ein paar andere Kinder. Daraus schloss er, dass es nicht zu früh sein musste. Seine Hand streifte seine Hosentasche. Er runzelte die Stirn, dann griff er kurzerhand hinein und zog den Inhalt heraus. Er hielt ein Stück Papier in der Hand, von dem er nicht recht wusste, was es war. Er mühte sich damit ab, es zu entfalten, ohne das es zerriss, denn es war wild zusammengeknüllt. Langsam fing er an zu lesen, was ihn unheimlich Stolz machte. Es war sein Stundenplan. Er suchte das Fach, das sie jetzt als erstes hatten. Zu seinem Bedauern fand er es auch. Sport! Er rümpfte die Nase und stopfte das Papier zurück in seine Tasche. So schön es auch Anfangs gewesen war, sein erstes Urteil hatte recht. Es war ein schrecklicher Ort. Bestimmt nicht für alle, und die Fünf zum Beispiel würden sicher alles geben, um an solch einem Ort zu leben. Dessen war er sich sicher.

Er ging die Stufen hinunter. Dabei merkte er, das ihn jeder Knochen schmerzte, von der Gestrigen Rettungsaktion. Einen anderen Grund konnte er sich nicht vorstellen.

Unten angekommen, rieb er sich die Schulter. Er atmete tief ein. Dann öffnete er die Tür zum Speisesaal.

Darin saßen nur drei Kinder, die, denen er zuvor begegnet war. Er überlegte einen Moment. Sollte er sich zu ihnen setzten? Beinahe wäre er auf ihren Tisch zugegangen, da erinnerte er sich erneut an seinen Traum und beschloss sich doch lieber an einen Einzeltisch zu setzen. Fast lautlos ging er zu einem kleinen Tisch in der Ecke und setze sich. Er faltete die Hände. Was jetzt? Es waren noch keine anderen Kinder gekommen und wann Mark und Suzie kamen, konnte er nicht sagen. Er drehte den Kopf, es war auch noch kein Essen zu sehen. Es war für gewöhnlich auf einer langen Theke aufgereiht und man konnte es sich von dort aus holen.

Betretene Stille herrschte um ihnen, denn die anderen Kinder, das spürte er, sahen ihn an. Es hatte wieder angefangen zu regnen, die Tropfen klatschten auf eine Fensterscheibe, direkt über ihm. Er hörte ein Stühlerücken, dann Schritte.

„Dürfen wir uns zu dir setzen?“, fragte ein Junge, ungefähr in seinem alter. Hinter ihm standen zwei Mädchen, die, so schätze er jünger waren als er. Er hätte mit fast allem gerechnet, aber sicherlich nicht damit, das ihn jemand ansprechen würde. „Ja, sicher.“ Er nickte ihnen zu.

„Danke.“ Sie setzen sich ihm gegenüber. Cole wollte nicht neugierig wirken, aber er musterte sie alle ganz genau.

Der Junge, der sich später als Liam vorstellte, war nicht größer als er, vielleicht genauso groß. Er hatte auch seine Uniform an, die ihm an allen Stellen um den Körper flatterte, er hatte blondes Haar und was ihm erst auffiel als er lachte, er hatte ganz schiefe Zähne.

Die Mädchen, die links und rechts neben ihm saßen, Margie und Rosalie, sahen ihm verblüffend ähnlich. Liam hatte anscheinend sein fragendes Gesicht bemerkt, denn er klärte ihn rasch darüber auf. „Das sind meine Schwestern.unsere Eltern haben uns hierher gegeben, weil sie glaub ich nicht genügend Geld hatten.“ Liam trommelte mit seinen Fingern auf dem Tisch. „Wann gibt es jetzt endlich etwas zu Essen? Ich verhungere!“

Cole hatte noch nie gehört, das Eltern ihre Kinder absichtlich in ein Waisenhaus gaben. Klar, das Eltern entweder tot waren, oder verschwunden, aber so? Seine Geschichte war wesentlich kürzer und weniger ereignisreicher.

Schließlich gab es auch noch etwas zu Essen. Mark und Suzie hatte er die ganze Zeit über nicht gesehen. Sie beschlossen zusammen zu Sport zu gehen. So standen sie auf und machten sich auf den Weg. Kurz vor der Tür nach draußen, blieb er ruckartig stehen. „Oh, wartet einen Moment! Ich hab etwas oben vergessen.“


Schnell rannte er die Treppen hinauf um es zu holen. Er hatte am vorherigen Tag nämlich durch Zufall gesehen, das unter seinem Bett, Schuhe standen, an denen ein Zettel hing auf dem stand. Sport.

In seinem Zimmer angekommen, zog er sie unter dem Bett hervor und zog sie sogleich an. Dann betrachtete er sie. Sie sahen toll aus. Er beschloss noch einen Schluck zu trinken, bevor er eine ganze Stunde lang Mr. Clayse ertragen musste. Er beugte sich zum Waschbecken. Doch zum trinken kam er nicht, er stieß gegen etwas, was sofort hinunter fiel. „Mist!“, fluchte er und bückte sich widerwillig, um es aufzuheben.

Doch! Es war sein Armband! Das auf dem Waschbeckenrand gelegen hatte. Ihm blieb fast das Herz stehen. Sodass er sich setzen musste. Das konnte doch nicht sein. Das er es doch nicht geträumt hatte. Er war wirklich einer Unheimlichen Gestalt gefolgt. Er war so aufgewühlt, er musste Mark suchen und ihm davon erzählen! Schnell hastete er aus der Tür. Und die Treppe hinunter. Er spürte einen stechenden Schmerz in seinem Knöchel, dann wurde um ihn herum alles Schwarz.


Ihm tat jeder Knochen weh, sogar die, von denen er nicht einmal wusste, dass es sie überhaupt gab. Er rieb sich den Kopf. Langsam aber sicher, nahm er leise Stimmen wahr, die immer klarer wurden und in unmittelbarer Nähe sein mussten. Er versuchte die Augen zu öffnen, wenigstens einen Spalt breit. Doch es kostete ihm zu viel Kraft. Dann versuchte er, seinen Kopf zu heben. Doch schon nach einer Sekunde musste er aufgeben. Ihm war etwas übel. Sodas er Angst bekam, sich zu übergeben. Er wollte endlich wissen, wo er war. Er versuchte erneut, seine Augen zu öffnen. Diesmal schaffte er es sogar unter größter Anstrengung. Es nütze ihm aber nichts. Denn er starrte, so vermutete er, zur Decke, die ganz verschwommen war. Ihn überkam Panik. Was wenn er jetzt für immer nur so sehen konnte? Mit einem Satz richtete er sich, einigermaßen gerade auf. Einen Moment lang hielt er inne, da er sich wunderte, wie er dies geschafft hatte, wenn er vorhin nicht einmal gescheit den Kopf heben konnte. Doch diese ruckartige Bewegung hatte ihm ungeheure Schmerzen bereitet. Da war es ihm ein geringer Trost, das das Bild, das er vor Augen hatte, begann immer schärfer und klarer zu werden und er schon bald flüchtig den Raum erkennen konnte, in dem er sich nun befand.

Es war ein sehr hell erleuchteter Raum, mit erstaunlich vielen Betten. Zuerst hatte er geglaubt, das es auch ein Zimmer war, in dem andere Kinder schliefen, doch in diesem Raum standen viel mehr Betten. Und es war sehr ordentlich, die Bettdecke war säuberlich auf den Betten gefaltet und nirgends in dem Zimmer sah man etwas auf dem Boden liegen. Ansonsten war der Raum weiß. Hier und da standen vereinzelt ein paar Blumen oder es hing ein Bild an der Wand. Ansonsten nichts. Absolut nichts. Er fragte sich, wer hier wohl wohnte. „Na mein Junge.“ Die schrille Stimme hätte ihn beinahe kerzengerade aus dem Bett springen lassen. Hastig drehte er sich zu demjenigen, dem sie gehörte. Dabei blickte er geradewegs in das Gesicht einer freundlich aussehenden älteren Frau, die ein paar Bettlacken in der Hand hielt und sie faltete. „Wie ich sehe geht es dir schon besser, oder irre ich mich?“ Sie sah ihn mit durchdringendem Blick an.

„Nun ja.“ Er lehnte sich an sein Kissen. „Ich weiß nicht recht. Was ist denn passiert?“

„ Armer Junge“, sie legte besorgt die Lacken aus der Hand auf den nächstbesten Tisch. Dann setze sie sich auf den Rand seiner Matratze. Und fühlte sie seine Stirn. „Fieber hast du jedenfalls keines. Ich hoffe sehr das du dein Gedächtnis nicht verloren hast! Weißt du noch wie du heißt?“ Cole erstarrte, für einen Moment lang fiel es ihm nicht ein. Doch dann atmete er erleichtert auf. „Cole“, sagte er kurz angebunden.

„Gut“, er sah das auch die Frau erleichtert aufatmete. Dann stand sie auf.

„Ähm, Miss? Was ist denn jetzt genau passiert?“, fragte er., ehe sie aus dem Zimmer ging. Sie seufzte. „Nun mein Lieber, du bist leichtsinnig wie Kinder eben sind“, sie lachte leicht gequält, „und glaub mir, nicht nur Kinder, viel zu schnell die Treppen hinunter gerannt, und das auch noch in viel zu großen Schuhen! Das musste doch in die Hose gehen!“ Sie schüttelte verständnislos den Kopf. „Auf jeden Fall bist du gestolpert, was mich persönlich nicht wundert, und hast dir dabei leider den Fuss gebrochen.“ Sie sah auf sein linkes Bein. Cole tat es ihr nach. Tatsächlich! Erst jetzt sah er, das sein linker Fuss in einem dicken, fetten, weißen Verband gehüllt war. Auch das er ihn nicht bewegen konnte. Erschrocken sah er die Frau an. Er wusste ja nicht was das bedeutete. „Gebrochen?“

„ Ja, aber, keine Angst, es ist nicht schlimm, in ein paar Wochen kannst du wieder laufen. Bis dahin bleibst du aber besser liegen. Wenigstens für die nächsten Tage.“ Sie zwinkerte ihm zu. Dann ging sie aus dem Raum. Im gehen rief sie fast singend. „Ich hol dir jetzt lieber eine Kleinigkeit zu Essen.“ Dann war sie verschwunden. „Uff“, er sank in seine Kissen zurück. Was hatte sie gesagt? Nächsten paar Wochen? Und für die nächsten Tage liegen bleiben? Er boxte in eines der Kissen. Das konnte ja toll werden. Im Moment konnte er sich nicht entscheiden was schlechter war. Das oder die Gewissheit nicht mehr beim Sportunterricht teilnehmen zu können? Er musste lachen. Natürlich das hier. Obwohl, wenn er darüber nachdachte, so traurig über den Verlust des Unterrichts war er auch nicht gerade.

Inzwischen schien draußen die Sonne und durch das große Fenster wurde dadurch alles sommerlich beleuchtet. Cole bemühte sich, es zu vermeiden hinaus zu sehen, da er darüber betrübt war, nicht raus zu können. Die Tür wurde wieder einen kleinen Spalt weit aufgeschoben. Und ein ihm sehr bekanntes Gesicht kam zum Vorschein. „Mark“, rief er freudig darüber, nicht mehr allein zu sein. „Müsstest du jetzt nicht bei unserem geliebten Mr. Clayse sein?“ Spöttelte er. Lachend näherte er sich ihm und setze sich ebenfalls auf seine Matratze. „Ich weiß, aber ich bekam als ich davon erfahren hab, was mit dir passiert ist, auf einmal solche schrecklichen Bauchschmerzen, das ich einfach nicht mehr mitmachen konnte“. Er zwinkerte ihm zu. „Schätze ich hab heute Morgen einfach etwas falsches gegessen“. Er sah sich um. „Ich musste auf dem Weg nur aufpassen, das ich nicht über die Krankenschwester die hier arbeitet stolpere, denn sie hätte mir bestimmt gleich irgend so eine „leckere“ Medizin gegeben.“ Mark blickte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf Coles Bein. „Auweia! Dich hats ja echt ganz schön erwischt.“

„ Ja“, gab er geknickt zurück. „Ich kann jetzt Wochen lang nicht gehen. Und muss noch die nächsten Tage hier liegen bleiben.“

„ Oh“, war Marks einzige Antwort. „Ausgerechnet dann wo wir unseren Ausflug haben. Das ist echt dumm gelaufen.“ Cole horchte auf. „Ausflug?“ Er war es langsam leid, immer der sein zu müssen, der alles als letzter erfuhr. „Ja, in drei Tagen. Wir gehen gemeinsam in die Stadt. Ich weiß auch nicht warum, aber ist auch egal.“ Gelangweilt winkte er ab. „ Ich weiß. Dich scheint es glaub ich nicht zu fesseln, du kennst sie ja wie deine Westentasche. Aber es wird bestimmt lustig. Mal ohne angst haben zu müssen durch die Geschäfte gehen.“

Er nickte zustimmend. Er hatte keine große Lust zu sprechen.von da an herrschte betretenes Schweigen. Bis Cole einfiel warum er überhaupt gestolpert war. Er wollte Mark ja von der gestrigen Nacht erzählen. „Du, das wollte ich dir noch sagen“, begann er vorsichtig, „gestern Nacht, hatte ich Durst, also bin ich ins Bad und hab etwas getrunken, oder, wollte es, aber dann hab ich einen Schatten gesehen. Ich bin ihm dann gefolgt, bis zum Eingang unten. Da hast du mich ja dann gefunden. Ich weiß nicht recht was oder wer es war, aber ich bin mir sicher, das das oder der nicht hier sein darf und nicht gesehen werden wollte weil es oder er sich versteckt hat.“

Mark lachte, „ich glaub du hast einfach nur schlecht geträumt. Ich meine, jemand oder etwas, schleicht heimlich im Waisenhaus umher und versteckt sich? Das glaubst du doch wohl selber nicht.“ Er sah ihn fast spöttisch an.Doch plötzlilch, wurde sein Gesicht hart und sein Blick steinern. „Oder doch?“

„ Ja, ich kann mir denken das es sich verrückt anhört, ich hab zuerst auch gedacht das ich es nur geträumt hab.“

„ Aber?“, unterbrach er ihn.

„ Aber, als ich was trinken wollte habe ich mein Armband auf das Waschbecken gelegt-du weißt schon, das das du mir geschenkt hast- und heute, bevor ich die Treppen runter gefallen bin, bin ich ins Bad und hab dort an der gleichen Stelle etwas gefunden. Rate mal was.“

„ Das Armband?“

„ Ja!“

Furchtbar stolz das er Mark etwas Stichfestes entgegenbringen konnte. Wartete er gespannt seine Antwort ab.

„Vielleicht bist du schlafgewandelt und hast es da hingelegt. Ich weiß auch nicht. Auf jedenfall nicht das was du meinst. Also ich muss dann wieder.“ Er stand auf und hastete zur Tür.

„Typisch!“ Rief er ihm wütend nach. „Wenn du nicht mehr weiter weißt gehst du! Dabei weißt du, das ich recht hab, gibs zu!“ Ohne sich umzudrehen hob er die Hand und ging aus der Tür. „Ich weiß das ich recht hab“. Er versuchte mühevoll sich umzudrehen. Da öffnete sich erneut die Tür.

„Ach! Geh weg! Was willst du?“, brüllte er genervt. „Also, ich will dir noch etwas zu essen bringen“.

„Oh. Ich wusste nicht... „

„Schon gut“, die Frau stellte ein Tablett mit Essen auf den Tisch neben ihm, den er vom Bett aus gut erreichen konnte. „Na dann, guten Appetit. Ich komm dann heute Abend noch mal und bring dir deine Hausaufgaben.“

„ Selbst wenn man im Krankenzimmer liegt und verletzt ist muss man Hausaufgaben machen?“ Er hatte davon noch nie gehört.

„Ja, leider leider entkommt man ihnen nicht.“

Sie ging hinaus. Er musterte sein Tablett. Darauf befand sich nicht viel, aber er hatte auch nicht besonders viel Hunger. Eine Scheibe Brot mit einer Wurst, die er nicht kannte.


Die Frau kam tatsächlich Abends vorbei und brachte ihm seine Hausaufgaben. Danach musste sie ihm helfen aufs Klo zu gehen. Was ihm sehr unangenehm war.


Es war Nacht und er konnte nicht schlafen, wie er sich auch wälzte er fand keine Ruhe. Genervt schloss er zum hundertstem Mal die Augen.


29


Als er sie wieder öffnete war sein Blick direkt auf das große Fenster gerichtet. Er konnte tausende von Sternen erkennen. Auch konnte er genau auf den Hinterhof des Hauses schauen.

So lag er einige Zeit da und starrte auf den Hof hinunter.


Da! Ihm blieb das Herz stehen. Hatte sich da etwas bewegt? Es hatte so ausgesehen, als würde sich eine große Gestalt vom dunklen Boden abheben. Er schreckte auf. Dabei musste er sein gebrochenes Bein irgendwie berührt haben, denn es schmerzte ungemein. Er wollte genauer sehen, was oder wer es war. Diesmal wollte er es wissen. „Mist!“, fluchte er, gerade jetzt konnte er nicht aufstehen. In seiner Verzweiflung rutschte er hin-und her um sein Bett etwas nach vorne zu bewegen. Und er schaffte es sogar um ein paar Millimeter.

Endlich nah genug am Fenster, drückte er sich bei dem Versuch etwas zu sehen, fast die Nase an der Fensterscheibe platt. Da stand sie, die Gestalt von voriger Nacht. Cole war sich ziemlich sicher, das sie es war, denn was sollte es denn sonst sein? Sie drehte sich langsam zu ihm um. Zu seinem Glück schien der Mond hell und er konnte genaueres erkennen, jedoch nicht das Gesicht. Die Gestalt, er vermutete das es ein Mann war, war sehr groß und dünn. Aber muskulös. Er trug einen schwarzen Mantel und einen Hut. Sogar Handschuhe konnte er erkennen. Er atmete ein und drückte sein Gesicht fester an die Scheibe. Ja, er war sich sicher, der Mann hielt etwas in der Hand. Besser gesagt etwas sackähnliches. Auf jeden Fall war es schwarz und an zwei Enden zusammen geschnürt. Hatte aber an einer Stelle ein Loch, fast wie eine Art Luftloch. Ihm schoss ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf. Was wenn in diesem Sack ein toter Mensch war? Und er soeben einen Mord beobachtete? Oder vielmehr die Entsorgung der Leiche. Er wusste, das einem dies, wenn man es nicht meldete, die Todesstrafe einbringen konnte. Der Mann blickte nun genau zum Fenster, an dem er förmlich klebte auf. Schnell wich Cole zurück, in den Schatten. Sodass nur er die Gestalt sehen konnte. Er wusste nicht ob ihn der Mann schon gesehen hatte. Wenn ja, war er dann der nächste? Doch bestimmt bildete er sich das nur ein. Vielleicht war es nur ein Hausmeister der den Müll rausbrachte. Er beugte sich wieder ein Stück vor. So konnte er die Straße sehen. Dort stand eine Kutsche. Der Mann hob den Sack hinein. Fast so, als wäre dieser ein Kind und stieg selbst ein. Dann fuhr sie davon. Nun gut, schloss er, wenn dies wie gesagt nur der Hausmeister war, dann brachte er den Müll aber weit weg. Er legte sich wieder hin. Doch er wusste, das die Nacht für ihn gelaufen war. Denn schlafen konnte er nach dieser Beobachtung sicherlich nicht mehr. Wenn es aber stimmte? Das mit dem Mord? Er schauderte. Andererseits, man bringt jemanden nur um, den man nicht mag, versuchte er sich zu beruhigen, und so wie der Mann den Sack in die Kutsche gelegt hatte, konnte es das nicht sein. Obwohl, es war nicht sehr einleuchtend wenn es dann der Hausmeister war, denn er glaubte kaum,das er den Müll so gerne hatte. Er schloss die Augen. Etwas stimmte ganz und gar nicht . Überhaupt war in seinem Leben alles völlig verdreht. Er ging alles, wie schon so oft im Geiste durch.


Zuerst die Tatsache, dass er auf der Straße lebte und nicht wusste warum und wer er überhaupt war. Dann das er noch nie, ausser Mark und den Fünf, ein anderes Straßenkind gesehen hatte. Drittens, das hier in diesem Haus Kinder verschwanden und sich Nachts heimlich irgendwelche Gestalten herum schlichen. Er hatte sich in dieser kleinen Stadt, eher ein Dorf, immer wie in einem Käfig gefühlt, doch jetzt wusste er, das hier war schlimmer.


Es schien ihm, als würde es niemals morgen werden. Er lag Stunden wach und wusste nicht, wie er sich am besten die Zeit vertreiben konnte. Denn umdrehen ging nicht, wegen seinem Bein. Doch endlich begann es am Himmel zu dämmern und er setze sich auf. Schon wenige Minuten später kam die Krankenschwester mit einem Tablett zu ihm ans Bett : „Hast du gut geschlafen mein Junge?“, fragte sie fröhlich und stellte es ab. Hastig griff er nach dem Brot, ohne erst zu antworten. „Ich verstehe.“, sagte sie schmunzelnd. „Aber ich habe eine Nachricht, die dich sicher aufheitern wird. Du darfst mit auf den Ausflug in die Stadt. Ich habe dir ein paar Krücken besorgt, auf die kannst du dich stützen und wenigstens etwas gehen.“ „Aber“, sie hob den Zeigefinger, „sei bloß vorsichtig, und brech dir nicht auch noch das andere Bein. Oh, fast hatte ich es vergessen.“ Sie hielt mitten im gehen inne. „Du hast Besuch, er wartet draußen, ich schicke sie rein.“ Er schluckte, sie? Hieß das ,das es mehrere waren? Für einen kurzen Moment hoffte er, das es Mark, Mason und Zac waren, die wieder aufgetaucht waren. Doch diese Hoffnung verschwand als er stattdessen, Mark gefolgt von Suzie eintreten sah. „Hallo“, grüßte Mark ihn freundlich. „Hast du dich jetzt wieder etwas beruhigt?“ Er stieß ihm leicht in die Seite.

„Ja“, er versuchte auszuweichen. Mark sah sich um. „Jetzt kommt schon“, er winkte zur Tür.

War dort noch jemand?

Zaghaft kamen nun Liam, Margie und Rosalie zum Vorschein. Schnell gingen sie zu seinem Bett. „Oh, euch habe ich ganz vergessen“, er schlug sich an die Stirn. „Es tut mir Leid.“

„ Ich hab gehört du darfst mit auf den Ausflug.“, sagte Liam, ohne auf seine Entschuldigung weiter einzugehen.

„Ja, aber nur mit Krücken, ich schätze das ich gleich beim ersten Versuch damit zu gehen hinfallen werde.“ Er winkte ab, „aber egal, ich glaub eh, das ich lieber hier bleibe.“

„ Was?“, fragte Mark entsetzt. Er sah sich um. „Ganz alleine in diesem stickigen Raum?“

Cole zuckte mit den Achseln. „So schlimm wird es schon nicht werden.“

„Ach was! Du kommst mit. Und wenn ich dich den ganzen Weg tragen muss.“ Cole hätte ihn am liebsten sofort umarmt, doch er konnte sich gerade noch zurückhalten. „Wann ist eigentlich dieser Ausflug jetzt?“, fragte er stattdessen in die Runde.

„Morgen.“, gab Mark zurück.

„Oh, ich glaube, das ich vor lauter Müdigkeit zusammenbrechen werde.“, seufzte Cole und sank in sein Kissen zurück.

„Wieso?“. Mark starrte ihn entgeistert an.

„ Ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen.“

„Warum nicht?“, fragte Liam erneut.

Er holte tief Luft und fing an die ganzen Geschehnisse der Nacht zu erzählen. Als er geendet hatte, schüttelte Mark den Kopf und sagte genau das, was er befürchtet hatte. „Du hast nur geträumt Co, ich meine, eine geheimnisvolle Gestalt, die irgendwelche krummen Sachen macht. Das gibt es nicht. Jedenfalls nicht hier.“

„ Und wenn er aber recht hat?“, fragte Margie besorgt.

„Hat er nicht“, widersprach Mark. „Ich schätze, ich hab ihm damals zu viele Gruselgeschichten erzählt.“ Coles Meinung änderte sich schlagartig, jetzt hätte er ihn sofort schlagen können, aber auch hier konnte er sich beherrschen.

Den ganzen Tag saßen sie zusammen und redeten. Er hatte sogar versucht, auf den Krücken zu gehen, die ihm die Schwester vorbei brachte. Doch er stellte sich schrecklich dumm an. Einmal wäre er hingefallen und konnte sich gerade noch an Liam festklammern, ehe sie beide hinfielen. Ein weiteres Mal wäre er gegen den Schrank, der am Ende des Zimmers stand gefallen, wenn ihn nicht Mark in letzter Sekunde aufgefangen hätte. Nach einigen weiteren kläglichen Versuchen gab er es schließlich auf.

„Tut mir echt leid mit deinem Fuß“, entschuldigte sich Cole, als sie sich wieder gesetzt hatten. Denn er war Mark aus Versehen mit der Krücke total auf den Fuß gestiegen. Sodass Mark einem lauten Schrei von sich gegeben hatte und den Fuß jetzt fest umklammert hielt .

„Macht nichts“, er rieb sich den Zeh. „Kann doch jedem mal passieren. Für Suzie, Margie und Rosalie war das ganze ein rießen Spaß gewesen, zu sehen wie er immer wieder hinfiel. Es begann zu dämmern. Coles Miene verdunkelte sich. „Ich schätze ihr müsst gleich gehen“, sagte er betrübt. „Ach was“, rief eine Stimme hinter ihnen. Es war die Krankenschwester, die ihnen allen das Abendessen brachte. „Wenn ihr wollt könnt ihr alle hier schlafen, wir haben ja genügend Platz.“

„ Ja! Natürlich wollten wir.“, platze Suzie hervor.

Gesagt getan.

Schnell hatten sie sich in die Betten rings um Cole herum aufgeteilt und schwatzten ununterbrochen vor sich hin.

„Ich hoffe, das morgen nicht dieser Morgan mitkommt“, seufzte Margie.

„Wieso? Wer ist dieser Morgan?“

„Das ist ein Mann, der jedes Halbe Jahr vorbei kommt, ein echt schrecklicher Mann. Nicht das er böse wäre. Aber er sieht unheimlich aus. Er kommt immer her, um zu sehen das es uns Kindern noch gut geht. Zum Beispiel das wir gutes, frisches Essen bekommen, oder saubere Zimmer haben, das alles Kindgerecht eingerichtet ist oder solche Sachen.“

„ Und was ist wenn nicht?“

„ Dann werden die Leute hier bestraft, glaub ich, sie müssen eine hohe Geldstrafe zahlen oder kommen ins Gefängnis.“

„ Ach was!“ Cole verschränkte empört die Hände. „Da kümmern sie sich auf einmal um uns.“ Mark zuckte mit den Achseln. „Ich weiß es auch nicht. Aber wir müssen uns dann alle super gut benehmen um einen gut erzogenen Eindruck zu machen. Es benehmen sich auch alle. Außer bei Mr. Clayse.“ Er lachte. „Da wollen alle, das er ins Gefängnis gesteckt wird.“

Es war schon spät. Deshalb legten sie sich schlafen. Es wurde immer noch ein bisschen geredet und gelacht, aber bald hörte man nur noch tiefes Atmen.


„So ihr lieben. Habt ihr gut geschlafen?“ Weckte sie eine nun schon vertraute Stimme. Cole war als erster wach. „Wie man's nimmt“, sagte er gähnend. „Bei den Geräuschen, die die anderen von sich geben.“ Sie musste lachten. „Gut, hast du noch geübt auf den Dingern da zu gehen?“

„Ja, etwas, aber nicht sehr erfolgreich.“

„ Nun,heute musst du es jedenfalls können. Die Kutschen stehen schon draußen. Ich bringe euch nur schnell das Frühstück und dann könnt ihr los. Weck am besten deine Freunde auf, bis ich wieder komme.“ Kaum hatten die Worte ihren Mund verlassen, machte er sich eifrig daran, Mark und die anderen aufzuwecken.

Wenige Zeit später mühte sich Mark damit ab, Cole die Stufen hinunter zu tragen. Dieser hatte zwar darauf bestanden es mit den Krücken zu versuchen, doch Mark hatte nur Kopfschüttelnd zugesehen und entschieden, dass sie wenn es so weiterging in zwei Jahren noch nicht unten wären. Am Ende der Treppe konnte er aber überraschend gut mit ihnen laufen und sie gingen hinaus auf den Vorplatz, auf dem schon etliche Kinder versammelt waren und sich in die Kutschen drängten.

Es war warm. Die Sonne schien und es war das beste Wetter um in die Stadt zu fahren.

Jede Kutsche, die besetzt war, fuhr schon voraus. Dann rückte die nächste auf. Insgesamt fuhren sie mit zwölf Kutschen und Cole und die anderen befanden sich in der letzten. Es war erschreckend schwer gewesen sich mit den Krücken und dem dicken Gibbsbein durch die Tür zu quetschen. Er hatte keine Lust mit den anderen zu reden. Er sah stattdessen lieber aus dem Fenster. Sie fuhren den ganzen Weg zurück, den er und Mark vor Monaten gegangen waren. Es war erstaunlich, für wie lange Zeit er nicht mehr dort war. Zuletzt an Weihnachten. Er atmete tief ein. Der Geruch weckte Erinnerungen in ihm. Er sah Wiesen und Felder, durch die er immer im Sommer gerannt war. Ihm standen fast Tränen in den Augen. Er hätte sich niemals vorstellen können das er dies so sehr vermissen würde. Im Vergleich zu seinem Vorherigen Leben war er jetzt richtig reich. Doch er vermisste es trotzdem. Er nahm sich vor zu lernen. Und wenn er es getan hatte. Würde er aus dem Waisenhaus fliehen und sich eine Arbeit suchen.

Es kam ihm manchmal vor, als würde er sich selbst in den Feldern rennen sehen, wenn er an einem bekannten vorbei kam. Im Sommer waren sie immer am schönsten gewesen.

Die Kutsche bremste scharf.

„Komm, wir sind da.“ rief Liam und hielt ihm den Arm hin, damit er sich abstützen konnte.

„Danke.“ Sobald er den ersten Schritt auf die Straße getan hatte, fühlte er sich sofort zurück versetzt. Für einen kurzen Moment fragte er sich sogar, warum er für jeden sichtbar hier herum stand. Ohne auf irgendeine Anweisung der Lehrer zu achten, ging er voraus. Sein einziger Gedanke war. Weg von hier. „Halt! Bleib hier!“. schrie einer von ihnen und lief ihm hinterher. Es war die Direktorin. „Junger Mann, du musst dich auch an die Regeln halten. Wir bleiben immer zusammen.“ Anstatt ihn zu packen und zurück zu ziehen. Hielt sie ihn freundlich am Arm fest. Cole sah einen Mann auf sie zukommen. Er kannte ihn nicht. Er blieb neben ihnen stehen. Er hatte einen schwarzen Mantel an, der ihm wie es schien viel zu heiß war. Und er war sehr dünn. „Gibt es ein Problem?“, erkundigte er sich mit kritischem Blick. In der Hand einen Notizblock.

„Nein, nein, alles bestens. Er konnte es nur nicht mehr erwarten.“ Als der Mann fort war, höchstwahrscheinlcih hatte es sich bei ihm um Morgan gehandelt , beugte sie sich etwas vor und flüsterte, gerade für ihn hörbar. „Jetzt benimm dich. Es geht hier um dein Zuhause. Und du willst doch sicher nicht wieder hier auf der Straße leben, oder?“ Es klang fast drohend. Dann ließ sie ihn los und ging zurück. Er blickte zu ihr, bis sich ihre Blicke trafen und schüttelte demonstrierend den Kopf. Überrascht darüber, wie mutig er war, denn es war ja die Direktorin. Wahrscheinlich hatte er die Hoffnung, wenn er sich unmöglich benahm, aus dem Haus geworfen zu werden und auf der Stelle gehen zu dürfen. Das durfte er auch. Aber zurück.

So saß er murrend in einer der Kutschen, die ihn zurück zum Waisenhaus brachte. Kurz vor dem Haus, als er es schon sehen konnte. Hätte er sich übergeben können. Mark hatte darauf bestanden mit zu kommen, doch er hatte sich mit Armen und Beinen dagegen gewehrt. Die Kutsche fuhr den Eingang hinauf. Dort hüpfte er aus hinaus und bis in sein Zimmer hinauf. Er hätte bestimmt zurück ins Krankenzimmer gemusst, wollte es aber auf keinen Fall. Erschöpft lies er sich auf das Bett fallen. Es hatte die Nummer 124. das sah er zufällig. Er drehte sich um und schlief ein.

Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte. Er wusste nur, das er sehr unsanft von Mark geweckt wurde. „He? Müsstest du nicht unten sein?“ Er sah ihn fragend an. Cole hasste das. Noch benommen setze er sich langsam auf. „Ja, ich weiß, ich will aber nicht“, er gähnte. Ein Blick nach draußen verriet ihm, das es schon spät Nachmittag sein musste. „Wie wars?“, fragte er desinteressiert. Mark verschränkte die Arme, „Das wüsstest du, wenn du nicht so frech gewesen wärst.“ Er stand auf. „Und, herzlichen Glückwunsch, deine neuen Freunde sind echt nett“, er lachte. Sie haben mich den ganzen Weg voll gequatscht!“

Damit war er verschwunden. Cole legte sich wieder hin.


Wochen, Monate vergingen. Wochen, die für Cole schrecklich waren. Er konnte schon wider normal laufen und somit leider auch wieder beim Sport mitmachen. Er wurde von den anderen oft gehänselt, da er, laut Mr. Miggs, der beste Schüler in seinem Alter war. Was ihn mit Stolz erfüllte. Wenn die anderen spielten, blieb er im Haus und lernte, was ihn sofort zum Streber machte. Doch die Kinder spielten nur Fussball und wie dieses Spiel gespielt wurde wusste er immer noch nicht. Es war bereits Abend und er saß in seinem Zimmer und murmelte leise vor sich hin. „5 plus 30 macht 35. 100 minus 36 macht 64.“ Ding!! Diesmal schreckte er nicht hoch. Er hatte sich längst an dieses

Geräusch gewöhnt. Er stand auf und räumte seine Sachen in die Kiste. Dann ging er, vorsichtig die Treppen hinunter.

„He! Colilein!“ Er drehte sich nicht um.

„Jetzt warte doch!“ Sie brachen in schallendes Gelächter aus. „Komm schon! Wir haben ein paar Fragen?“

Er ging schnurstracks weiter. Hinter ihm wurden auch die anderen Schritte schneller. Er rannte. Doch noch bevor er auch nur um eine Ecke war, hatten ihn vier andere, ältere Kinder, ungefähr so alt wie Mark, eingeholt. Ein dicker Junge versperrte ihm den Weg. „Wo willst du denn hin? Morgen haben wir keinen Unterricht, und ich bin mir sicher, das die Hausaufgaben noch auf dich warten können.“ Die anderen lachten erneut. „Oder, wartet mal!“ Er machte ein angestrengtes Gesicht. „Nein, ich hab mich geirrt. Ich dachte sie rufen dich schon.“ Sie lachten erneut. Er wollte weiter. Doch der Junge stieß ihn zurück. „Hör mal zu du Oberschlauer. Nach dem Essen wartest du hier auf uns und wir geben dir unsere Hefte mit. Morgen“, er hob drohend den Zeigefinger, „will ich dann unsere fertigen, richtigen Hausaufgaben sehen. In Schönschrift wenn ich bitten darf. Und damit du uns glaubst, geben wir dir einen kleinen Vorgeschmack.“ Er lachte.

Aber, irgendwie hatte Cole es fertig gebracht, den Mund zu öffnen, um ihnen zu widersprechen. Doch er kam nicht weit.

„Was wolltest du da gerade sagen?“ Der Junge ballte seine Faust. Er schluckte.

„Na, warte!“ Er ergriff ihn und sie zerrten ihn unter Protest, in den noch leeren Speisesaal, und von dort aus in die Küche. Sie hielten ihm den Mund zu und schleppten ihn durch den Flur, der von der Küche abzweigte, zu den dort vorhandenen Toiletten. Dort angekommen, schubsten sie ihn in eine Kabine und quetschten sich selbst hinein. „Also? Was ist jetzt? Machst du unsere Hausaufgaben?“ Er hob eine Augenbraue.

„Nun, ja..., ich weiß nicht...“

Der Junge schüttelte den Kopf, „Das war eindeutig die falsche Antwort. Los!“ Er packte seinen Kopf und drückte ihn ohne Vorwarnung tief in die Toilette. Unter Wasser getaucht, konnte er nur dumpf das Gelächter der anderen hören.“Na, bist du anderer Meinung?“ Er ließ ihn für einige Sekunden Luft schnappen, eher er ihn erneut hineindrückte. „He, du kannst froh sein, wenn jemand überhaupt frisches Wasser nachgeschüttet hat.“ Sie lachten. Cole hatte das Gefühl sich gleich übergeben zu müssen. Allein der Gedanke daran... .

Schließlich gab er ihnen das Zeichen das er einverstanden war. Sie holten ihn heraus. „Na also“, sie tätschelten ihm die Schulter, „geht doch.“ Mit diesen Worten verschwanden sie. Nachdem er sich etwas gefangen hatte, ging er langsam zurück. Vorsichtshalber roch er an seiner Hand. Sie roch nach Toilettenwasser. Er rümpfte die Nase. Er wollte es jemandem sagen, der ihm dann half. Doch er traute sich nicht, es jemandem zu sagen, denn wenn er es täte würden sie ihn verprügeln. Und das wollte er nicht, dann doch lieber die Arbeit. Er ging weiter. Mark kam ihm entgegen. „Wo steckst du denn?“, fragte er freundlich.

„Ich?“

„Nein, der Cole hinter dir.“ Sein Gesicht verzog sich zu einem lächeln. „Klar du!“

„Ich hab noch was zu tun gehabt.“, log er.

„Ist ja nicht schlimm.“ Freundschaftlcih legte er ihm den Arm auf die Schulter. Cole war froh, dass er ihn wenigstens nicht fragte, warum er nasse Haare hatte.

„Weißt du was?“ Er schüttelte den Kopf. „Heute nach der Schule spielen wir mal was zusammen.“ „Keine Angst. Nicht Fussball. Ich dachte da an Schach. Das spielst du doch so gerne.“

„Ich versteh es zwar nicht, aber wenn du es mir erklärst geht es schon.“ Dies war wieder ein solcher Moment in dem er ihn umarmen könnte, denn er wusste, wie sehr Mark Schach hasste.

Es war Montag. An diesem Tag hatten sie bis spät in die Nacht Schule. Er wusste nicht warum. Es war einfach so. Sie hatten zwischen dem Mittagessen und dem Abendessen frei und dann wieder Unterricht. Das Essen war schnell vorüber und Cole, der nicht sehr gesprächig auf seinem Stuhl gesessen hatte, überlegte die ganze Zeit über krampfhaft, was er sagen konnte, um die anderen loszuwerden, wenn er sich mit den Jungen treffen konnte um ihr Hausaufgaben zu nehmen. Denn er wusste, das wenn Mark mitgehen würde, dann würde es eine Schlägerei geben.

„Also, ich muss noch mal schnell“, sagte er schließlich, als ihm einfach nichts besseres einfiel.

„Na gut, wir warten vor der Tür auf dich.“

Er nickte kurz, erhob sich und ging. Als er außer Sichtweite war, verlangsamte er seine Schritte. Da, an der Ecke standen sie schon. Mit ihren verschmierten Heften in der Hand. „Jetzt komm schon!“ Riefen sie ihm ungeduldig entgegen. „Wir tun dir schon nichts. Jedenfalls nicht, wenn du unsere Hausaufgaben machen sollst.“ Sie lachten. Er konnte dieses Lachen nicht mehr hören! Trotzdem ging er schneller. „Na also, geht doch. Hier, bis morgen, hast du verstanden?“

„Ja“, gab er leise zurück. Er wartete so lange bis sie verschwunden waren. Erst dann sah er sich die Aufgaben an. Es waren erschreckend viele. Das konnte er unmöglich bis Morgen alles machen! Schnell packte er die Hefte weg und ging geknickt zurück.

„Tut mir Leid“, sagte er wieder am Tisch angelangt, „aber aus dem Schachspiel wird nichts, ich muss noch lernen.“ Damit er nicht noch mehr erklären musste ging er ohne erst eine Antwort abzuwarten. „Was?“ Hörte er Marks Stimme hinter sich. Er rannte davon. „Das glaubst du doch wohl selber nicht, niemand muss heute noch lernen, nicht einmal du!“ Er hörte, das Mark ihm folgte und versuchte schneller zu laufen. „Jetzt warte doch!“Er lief die Treppen hinauf und dann den langen Gang entlang. „Bleib stehen!“ Langsam aber sicher bekam Cole richtig Angst vor den Rufen von Mark, denn er klang wirklich wütend. Große Hoffnungen, dass er ihn nicht einholte brauchte er sich erst gar nicht zu machen, denn es war praktisch ein Gesetzt geworden, das Mark schneller war als er. Kurz vor ihrer Zimmertür war es dann so weit. Er packte ihn energisch an der Schulter und stieß ihn hinein. Dort warf er ihn auf das Bett, da fielen ihm die Hefte aus der Tasche und verstreuten sich über das ganze Bett.

„Was ist das denn? Fragte er nach Luft schnappend, als sein Blick auf die Hefte, die nun auf dem Boden lagen vielen. Cole richtete sich langsam auf. „Nichts. Hausaufgaben, siehst du doch!“ Mark grinste höhnisch. „Klar sehe ich das! Nur von wem?“

„Sie sind aus meiner Tasche gefallen, also sind es meine!“ Er stand auf und hob sie auf.

„Das glaubst du doch selber nicht.“ Er ging neben ihm in die Knie. „Wie lange geht das schon?“

Er schwieg.

„Du kannst es mir sagen.“

Er stand wieder auf. „Ein paar Wochen.“ Mark schlug ihm die Hefte aus der Hand.

„Ein paar Wochen?“, ungläubig funkelte er ihn an.

„Ja.“, unsicher wandte Cole sich von ihm ab.

„Was ist, wenn du sie nicht machst?“, fragte er ebenso hitzig.

„Dann schlagen sie mich, glaub ich“.

„Haben sie das gesagt?“

Er nickte. Mark griff hastig nach seinem Arm und zerrte ihn zur Tür hinaus. „Was machst du denn?“ Rief er, sich ach Leibeskräften wehrend. Doch Mark ließ sich nicht beirren. „Komm mit und zeig sie mir, dann sehen wir ja, wer wem die Hausaufgaben macht!“

„Nein, warte!“ Er schaffte es, sich zu befreien. „Was ist?“

„Ich bin sicher das man das auch anderes lösen kann.“

„Und wie soll das gehen? Willst du etwas hingehen und ihnen sagen, ach entschuldigt, aber ich hab keine Lust mehr euch die Arbeit zu machen? Und glaubst du sie werden dann sagen, ist doch ganz verständlich, danke trotzdem?“

„ Nein! Er zog ihn zurück und schloss die Tür. „Ich glaube, ich weiß was wir machen.“

Die ganze Nacht waren sie damit beschäftigt, die Hausaufgaben zu machen, Cole war erleichtert, das Mark ihm half. Schließlich, als es anfing Tag zu werden, waren sie fertig und legten sich für ein paar Stunden Schlaf hin.

Er hatte unruhig geschlafen, denn er hatte angst. Angst davor, dass sein Plan nicht aufging und auf ihn zurück schlug. Wie hatte er in einem Buch gelesen? Wer anderen eine Grube gräbt fällt selbst hinein. So fühlte er sich. Kurz bevor die Glocke läutete, war er aber so tief und fest eingeschlafen, das Mark ihn wecken musste. Er rappelte sich auf und sah ihn an. Ungelduldig zog Mark ihm die Decke weg. „Wir gehen Frühstücken, komm. Bin gespannt, was die für Gesichter machen, wenn du doch auftauchst. Und dann erst, wenn sie unsere Überraschung sehen.“ Er lachte und ging ins Bad. Ja, das war er auch. Tief in seinem Inneren hatte er das unangenehme Gefühl, diesen Tag nicht zu überleben. Seine tolle Idee schien ihm jetzt idiotisch zu sein. Er ging mit ihm hinunter in die Frühstückshalle. Er sah sich nach den Jungs um, doch er sah sie nicht. Stattdessen sah er etwas anderes. Was sein Gefühl nur noch verstärkte. An einer kleinen Tafel hing ein Zettel, auf dem mit großen Buchstaben, Mischklasse stand. Auf Marks Erklärung hin, wurde ihm schlecht. Es bedeutet, das immer eine Klasse mit einer älteren Klasse zusammen Unterricht hatte.

„Sie sind der Meinung, das in dem Fall wir, die kleineren, mehr lernen würden, wenn wir mit älteren Unterricht hätten.“ Klärte sie Liam kurz vor Unterrichtsbeginn auf. Wenig später saß er ganz klein und zusammengesunken auf seinem Stuhl im Klassenzimmer und hoffte, das wenn die ältere Klasse hereinkäme, die Jungen, die die Hausaufgaben mochten, nicht unter ihnen waren. Aber es hatte nicht sollen sein. Sie waren es. Und kamen, als sie ihn sahen sofort zu ihm. Er gab ihnen ihre Hefte zurück und sie setzen sich. Aus den Augenwinkeln hatte er beobachtet, wie Mark sie wütend musterte, und hoffte, dass er sich zurück halten konnte.

„So Kinder!“ Die feste Stimme des Lehrers lies die Klasse augenblicklich verstummen. „Wie ihr seht, sind wir heute nicht allein. Aber, das ist nicht dazu da, um einen lernfreien Tag zu machen, ich bitte euch darum, das wenn einer der Jüngeren Hilfe braucht, demjenigen auch zu helfen.“

Dann für er fort. „Als nächstes beginnen wir mit der Verbesserung der Hausaufgaben, der Höheren Klasse. Wer will den die Ergebnisse vorlesen?“ Die Jungs meldeten sich.

„Also, ich kann es einfach nicht begreifen, das ihr auf einmal die Hausaufgaben macht, und das immer richtig“, lobte sie der Lehrer. „Na dann, fangt mal an.“ Cole sank in seinen Stuhl. Der erste Junge erhob sich. Räusperte sich und fing an. „260 minus 45 macht.“ Seine Augen weiteten sich ungläubig und er fing an zu stottern. „Ähh, 99.“ Die ganze Klasse lachte. Mark sah ihn zufrieden an.

„Bist du dir sicher? Mach einmal weiter.“ Bat ihn der Lehrer.

„487 plus 47 macht 488.“, er hielt inne. „Tut mir leid Sir. Aber ich hatte da wohl einen schlechten Tag.“

„ Gut, dann schreibe ich die Ergebnisse an die Tafel, schreibt sie bitte vollständig mit. Das gilt für alle.“ Als er sich umgedreht hatte, wanderte Coles Blick auf den Jungen, dieser drehte sich wütend um, zeigte mit dem Finger auf ihn und zerknüllte sein Blatt Papier.

Er schluckte. Er konnte sich eben immer auf sein Gefühl verlassen. Er spührte, wie ihm der Schweiß die Stirn hinunter lief. Und seine Hände waren ganz feucht. Wie ein Stein saß er auf seinem Stuhl. Er wagte es nicht sich zu bewegen. Die ganze weitere Stunde war eine Tortur für ihn. Endlich läutete es. Mark stand auf und kam zu ihm herüber. „Was ist denn los mit dir? Du sitzt ja da, als wenn dich jemand festgeklebt hätte.“

„ Ich wünschte ich wäre es.“, sagte er mit zitternder Stimme.

„Dabei solltest du dich eher freuen. Wir haben jetzt aus!“ Er strahlte ihn an. „Keinen Unterricht mehr, für die nächsten zwei Tage!“

„Mmh.“, abweisend nickte er. Dann stand er auf.

„Treffen wir uns nachher für eine Runde Schach?“

„In Ordnung.“ Er hatte beschlossen, sich für den Rest des Tages immer in Marks Nähe aufzuhalten. Dann konnten die anderen ihm nur schwer etwas antun. Er horchte auf. „Nachher? Fragte er.

„Ja, ich gehe nur schnell rauf in unser Zimmer und hole etwas. Außerdem“, er roch an seinem Hemd, „denke ich, ist es an der Zeit, das ich mich mal wieder wasche.“ Er verzog das Gesicht und begann damit, die Treppen hinauf zu hüpfen. Das konnte jetzt nicht wahr sein? Cole stand wie angewurzelt an der Stelle, an der er ihn zurück gelassen hatte. Mark hasste es, sich zu waschen. Warum also musste er es genau jetzt machen, wenn es um sein Leben ging? Kurzerhand beschloss er, sich dort aufzuhalten, wo sich die meisten Kinder befanden, und das war draußen. Er machte sich also auf den Weg dorthin. Von weitem konnte er schon das große Fenster erkennen. Es war grau und bewölkt, aber das war ihm sichtlich egal. Er begann zu laufen. „He!“ Er spührte, wie ihn jemand während er lief am Kragen seines Hemdes packte und ihn somit, fast erwürgte.

„Wen haben wir denn da?“ Cole hing förmlich an seinem Kragen, den der große blonde Junge festhielt. Nun, ließ er ihn fallen. „Ein Jammer, das wir jetzt ganz alleine sind, nicht wahr? Denn jetzt sieht uns keiner.“ Ein anderer, schwarzhaariger Junge half ihm auf. „Weißt du, es war nicht nett von dir, uns die falschen Ergebnisse zu geben.“ „Genau! Uns vor der ganzen Klasse bloß zu stellen. Du kommst dir jetzt besonders clever vor. Aber, ich kann dich beruhigen. Wir zeigen uns Erkenntlich, es soll ja keiner denken, das wir undankbar sind.“, spöttisch bauten sie sich vor ihm auf.

Was nun geschah, hätte sich selbst Cole nicht vorstellen können. Der blonde Junge schlug ihn derart feste ins Gesicht, das er für einen Moment nur noch Sterne sah.

Ein anderer schlug ihn mit seinem Fuß in den Bauch, das ihm schlecht wurde.

Die nächsten Sekunden, die ihm wie Stunden vorkamen, spührte er nur noch Schläge und Tritte, mal in den Bauch, mal gegen den Kopf. Schließlich konnte er sich nur noch wimmernd auf dem Boden zusammen rollen und hoffen das es bald ein Ende hatte. Endlich sagte ein Junge. „Hört auf, ich glaube es reicht. Wir dürfen ihn nicht gleich umbringen, wer soll dann noch unsere Hausaufgaben machen?“ Sie lachten und gingen. In der Ferne hörte er, wie einer von ihnen rief. „Dem hast dus aber gegeben, Tom!“

Er versuchte, sich aufzusetzen. Tom? Er sackte zusammen. Seine Rippen schmerzten und sein Kopf fühlte sich an, als ob er zerbrochen wäre. Er schmeckte Blut. Ein kurzer Blick auf seine Hände und er dachte, er müsste hier sterben. Sie waren voller Blut von seiner Nase uns seinem Mund. Sollte er das der Direktorin melden? Doch, nachdem wie er sich kürzlich benommen hatte, würde sie ihm bestimmt nicht helfen. Langsam rappelte er sich auf. Er taumelte die Treppen hinauf. Dabei kam ihm jeder Schritt schrecklich vor. Oben angekommen, begegneten ihm einige Kinder, die ihn erschrocken musterten. In seinem Zimmer angekommen, schleppte er sich ins Bad. Dort stand Mark, oben ohne und war dabei, sich abzutrocknen. „Cole!“ Er ließ das Handtuch fallen und stürzte auf ihn zu. „Was ist passiert?“ Er hielt ihn unters Wasser und wusch ihm das Blut vom Gesicht und von den Händen. Als er fertig war. Fragte er ihn ein zweites Mal. „Was ist passiert?“

„Tom“, war das einzige, was er sagen konnte. Langsam konnte er schon wieder einigermaßen stehen. Und seine Bauchschmerzen fingen an, etwas nachzulassen. „Was? Die Jungen von eben?“ Er nickte.

„Was! Mark schnappte sich sein Hemd und stürzte zur Tür hinaus.“

„Warte!“ Er hechtete ihm so gut es ging, hinterher. „Sie werden dich auch zusammenschlagen! Warte doch, du hast keine Chance!“

„ Doch!“ Er warf sich das Hemd über. „Und wenn nicht, dann hab ichs wenigstens Versucht!“ Cole sah, wie Marks Kopf anfing richtig rot zu werden. Sogar die Adern auf seiner Stirn traten hervor. Wenn er ihn so ansah, wollte er nicht in der Haut der anderen Kinder stecken. Mark sah richtig Furcht erregend aus.

Da sahen sie die Gruppe von Jungen, der Blonde vorneweg. Mark steuerte geradewegs auf sie zu. Cole überlegte, ob er nicht doch lieber zurückbleiben sollte, hielt es aber für besser bei ihm zu bleiben. Trotz der Gefahr hin, erneut Schläge zu kassieren.

„Tom!“ Marks Stimme hallte durch den gesamten Raum. Plötzlich wurde Cole ganz mulmig zu Mute. Mark war zwar ein gutes Stück großer als die Jungen, besonders als Tom, aber dafür waren sie mehr. Mark schien das nicht zu stören, er ging immer schneller, schließlich blieb er direkt vor Tom stehen, der erst gar nicht wusste, was er überhaupt von ihm wollte.

„Was ist los?“, fragte er unsicher. Cole musste grinsen, wie klein und ängstlich er dastand. Ohne Vorwarnung schlug Mark ihm mit der Faust ins Gesicht. Tom, fiel wie ein Sack Kartoffeln, zu Boden. Die anderen scharrten sich erschrocken um ihn. Schnell rappelte er sich wieder auf. „He! Was sollte das?“, rief er herausfordernd und versuchte Mark einen Kinnhaken zu verpassen, doch der wich gekonnt aus. Fast ohne sich zu bewegen.

„Hört zu!“, brüllte er sie alle an. „Wenn ihr meinem Bruder noch einmal zu nahe kommt und ihn auch nur einmal anfasst, dann...“, er packte ihn am Kragen und zog ihn zu sich, „dann könnt ihr froh sein, wenn ihr „nur“ eine Faust verpasst bekommt!“.Er stieß ihn von sich fort. Cole musste lachen, wie Tom mit seinem zerrupften Kragen, wie ein Häuflein Elend dastand. Hatte Mark eben wirklich Bruder gesagt? In diesem Moment, hatte er das Gefühl, er und Mark wären eine kleine Familie. Mark drehte sich um und kam zu ihm zurück, während die anderen das Weite suchten. Er lachte, „ich glaube kaum, das sie dir noch einmal etwas tun. Und wenn...“, er ballte übertrieben die Faust. „Ich leg mich erstmal ein bisschen hin.“ erschöpft drehte Cole sich um, und wollte gehen. Doch dann wandte sich noch einmal um. „Danke.“ Dann ging er.


Mark sah ihm lange hinterher. Ob sie ihn Wirklich in Ruhe lassen werden? Er machte sich auf den Weg nach draußen. Das hoffte er wenigstens für sie. Schließlich hatte er schon mehr, und schlimmere Leute verprügelt. Sogar schlimmeres. Ob er deswegen ein schlechtes Gewissen haben sollte? Vielleicht, hatte er aber nicht.

Es regnete, doch er ging trotzdem weiter. Das durfte Cole niemals erfahren, darin war er sich sicher. Von allem durfte er nichts wissen, denn er vertraute ihm und das war es, was zählte, mehr nicht. Ein Blick um die nächste Ecke, und er sah die Gruppe Jungen wieder, die sich vor ihm aufbauten. Diesmal mit mehr Mut, so schien es. Lässig nahm er die Hände aus der Hosentasche.

„Was wollt ihr denn? Habt ihr noch nicht genug?“ Tom, meldete sich zu Wort, „Wir wollten uns nur nicht vor deinem Bruder wehren. Stimmts Jungs?“ Sie nickten zustimmend. „Klar“, Mark lächelte in die Runde, „euer Mitleid ist überwältigend.“ Sie bildeten einen Kreis um ihn. „Oh, ich bekomm Angst.“

„Mach dich lustig über uns, aber ich sag dir“, erhob ein rothaariger Junge das Wort, „dir vergeht das Lachen noch.“

„ In Ordnung, dann fangt mal an.“ Er sah Tom herausfordernd an. Dieser zuckte nicht einmal mit den Wimpern und schlug zu. Mitten im Flug, griff er dessen Faust, hielt sie fest und schlug zurück. „Sag ich doch, ich zittere vor Angst.“ Wie naiv mussten sie nur sein, es mit ihm aufnehmen zu wollen? Er, der sie töten konnte, wenn er wollte? Er gestand sich ein, das ihm diese Idee gar nicht mal so schlecht erschien. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich der rothaarige Junge zum „Angriff“ vorbereitete, ohne das dieser überhaupt eine Bewegung machen konnte, schlug er ihn in den Bauch und warf in zu Boden. Dann kletterte er geschickt über ihn hinweg und drehte sich um. „Tja, hat mich sehr gefreut, aber wie ihr seht, fängt es gleich an zu regnen, und ich möchte ungern nass werden. Bis dann.“ Er winkte übertrieben höflich und ging. Er rannte nicht. Warum auch? Sollte er unnötig Kraft verschwenden? Die wäre er jetzt ein für alle mal los.

Mark beschloss nach Cole zu sehen, ob es dem armen schon wieder besser ging.


Regentropfen prasselten, einer nach dem anderen, immer schneller auf die Fensterscheibe, über ihm. Er fühlte seine Nase. Sie schmerzte immer noch, aber das Gefühl, das Mark die Jungen verhauen hatte, machte einiges wieder gut. Zu gern wollte er auch so sein wie er. Stark, groß und mutig. Er strahlte schon so etwas aus. Die Tür öffnete sich. Es war Mark. „Na, wie geht’s dir?“ „Super!“, er setze sich, wegen seiner Rippe langsam und vorsichtig auf. „Kein Wunder, so wie du mit denen umgesprungen bist!“, er zwinkterte ihm zu.

„Nun ja, ich war aber auch wütend“. Lachend rieb Mark sich die Finger. „Verdammt! Die haben aber auch ein hartes Kinn!“. Während er seine Hand, mit der er zugeschlagen hatte, unentwegt schüttelte, stand er auf. „Wenn du mich brauchst, ich bin im Bad. Ach, was ganz anderes, Suzie ist im Zimmer von Margie und Rosalie, du weißt doch, unter Mädchen.“

„Ja“, Cole drehte sich weg. Er wartete, bis Mark fort war. Dann lachte er.

Er musste jetzt unbedingt etwas schlafen, denn er brauchte Kraft für die heutige Nacht. Er hatte einen Plan entwickelt. Er würde heute Nacht endlich aus dem Haus fliehen, zurück zu seiner Hütte. Er würde sich etwas zu Essen aus der Kiste nehmen und dann das Weite suchen. Gleich würde er Mark fragen, ob dieser mit ihm mitkommen wollte, aber er konnte sich dessen Antwort schon vorstellen. Wieso? Es ist doch toll hier. Doch Cole hatte genug gelernt, er konnte gut rechnen, lesen und schreiben, war sogar im rennen besser und wusste etwas von der Geschichte. Mehr hatte er nie gewollt. Mit dem Gefühl, fliegen zu können, schlief er ein.

Es schien tief in der Nacht zu sein, als er aufwachte. Sofort richtete er sich auf. Es war soweit. Leise stand er auf und zog sich an. Er blickte zu Mark, der tief und fest schlief. Er hatte ihm von seinem Vorhaben erzählt, doch er schien wenig begeistert, doch das war zu erwarten. Cole war froh, das es

nicht regnete, denn er hatte keine große Lust, bei dieser Fluchtaktion auch noch nass zu werden. Ihm war doch ein wenig mulmig, so ganz ohne Mark auszubrechen, denn dieser hatte ihn für verrückt erklärt als er es ihm erzählt hatte und ihm feierlich eröffnet, dass er er hier bleiben würde und das es auch das Beste für ihn war. Das konnte es aber nicht sein, denn er war noch niemals unglücklicher gewesen. Ohne auf seine Versuche ihn zum hier bleiben zu bewegen, hatte er sich schlafen gelegt, und zum Glück hatte Mark dann auch aufgehört zu reden. Leise schnürrte er seine Schuhe zu und schlich aus der Tür. Er achtete darauf, Mark nicht zu wecken, denn er wollte das ganze nicht noch schwerer machen.


Er öffnete die Augen. War es schon soweit? Er blickte auf seine Uhr, die er versteckt hielt. Konnte gut sein. Schnell sprang er auf und vermummte sich. „Auf geht’s“, sagte er zu sich selbst und ging schnellen Schrittes hinaus. Er musste sich beeilen.


Cole schlich zur großen Eingangstür und hielt dort inne. Was , wenn sie verschlossen war? Dann war sein Vorhaben hier beendet. Doch noch hatte er es nicht versucht. Er griff nach dem Griff und zog , schnell - aber nicht laut, daran. Sie knarrte. Ihm lief der Schweiß von der Stirn. Was würden sie wohl mit ihm machen, wenn sie ihn erwischten? Er schüttelte den Kopf. Daran durfte er nicht denken. Sie war offen. Er stieß einen leisen Seufzer aus. Es konnte weiter gehen. Endlich stand er vor der Tür, außerhalb des Hauses, er wusste nicht, fiel ihm ein, wann ein Kind das Haus überhaupt verlassen durfte. Es wurde soweit er sich erinnerte auch nie erwähnt. Doch er glaubte, dass dies erst der Fall war, wenn es erwachsen war. Und so lange wollte er nicht warten.

Er schlich weiter. Nach einer Weile, als niemand ihn hörte. Wurde er sicherer. Sodass er sich traute. Etwas schneller voran zu gehen. Es war nicht mehr allzu weit bis zu dem Tor, das das Haus umgab. Er schätzte darüber hinüber klettern zu müssen. Und dass musste er auch. Doch für ihn kein großes Problem. Langsam begann er damit, sich hochzuziehen.


Er hechtete durch die Gänge, er musste sich beeilen, wenn er zu spät kam, würde er es sich niemals verzeihen. Scharf bog er um eine Ecke, gleich war er da.


Höher und immer höher. Er hatte es fast geschafft. Unter größter Anstrengung hing er nur noch mit den Beinen auf der anderen Seite. Gekonnt schwang er das linke Bein zuerst. Jetzt war es nur noch das Rechte, das ihn von der „Freiheit“ abhielt.


Da! er hatte es geschafft, nur noch ein paar Schritte...


Auf Coles Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Er war frei! Er setze sich mitten auf den Zaun um sich nun vollständig hinüber zu schwingen. „Ahh!“ Es kam ganz unerwartet. Er ließ einen lauten Schrei los. Was war das? Etwas hatte ihn im letzten Moment am Bein gepackt und hielt ihn mit Leichtigkeit fest. Er konnte nicht erkennen, wer es war, doch er wollte es auch nicht. Immer noch klammerte er sich mit ganzer Kraft am Zaun fest. Dieser Jemand würde ihn in der Mitte zereissen ! Denn er zog wie ein Wahnsinniger. „Lass mich los!“, brüllte er. Es war ihm egal, ob ihn andere hörten. Er würde jetzt nicht aufgeben, so kurz davor. Wie ein Tier, das kurz davor war gefressen zu werden, strampelte und zappelte er und hielt sich verzweifelt mit den Händen an dem Zaun fest. Doch schon bald sah er ein, das es um sonst zu sein schien, denn derjenige ließ nicht locker.

„Lass mich doch los! Mark!!!“, er holte tief Luft. „Mark!“ Er brüllte aus Leibeskräften. Doch es rührte sich niemand, der ihm hätte helfen können. „Wer bist du?“- Keine Antwort. Die Hand des Unbekannten bohrten sich tiefer in seinen Knöchel. Er unterdrückte einen Schmerzensschrei. Es fühlte sich an, als ob sich tausende von spitzen Nägeln in seinen Fuß bohrten. „Hör auf!“ Er konnte sich nur vorstellen, dass es einer der Jungen war, die sich rächen wollten, oder Mr. Clayse. Doch Letzteres konnte nicht sein.


Er wusste nicht, wie lange er sich noch an dem Zaun festgehalten hatte. Bestimmt noch eine ganze Weile, doch als er vor ein paar Sekunden erwacht war, befand er sich in einem völlig dunklen Raum. Der durch nichts beleuchtet wurde. Was war geschehen? Und, wo war er überhaupt? Doch diese Fragen konnte er so wie es den Anschein hatte, niemandem stellen, denn er war allein. Er setze sich auf. Sein Rücken schmerzte schrecklich. Stöhnend betastete seine rechte Hand. Sie brannte fürchterlich, und er fühlte Blasen, die sich auf ihr befanden. Wahrscheinlich kamen sie daher, da er sich an den Zaun geklammert hatte. Er seufzte. Was nun? Er wusste nicht, wo er sich befand, noch wie spät es war. Nein, er konnte nicht einmal hoffen, dass ihn jemand vermissen würde und ihn dann suchte. Mark glaubte ja, er sei schon längst über alle Berge. Und das wäre er auch! Er stand auf und versuchte ein paar Schritte zu gehen. Es war ein schreckliches Gefühl, sich vorwärts zu bewegen und nicht zu wissen, ob ihm etwas im Weg stand. Zaghaft streckte er die Arme aus, um sich wenn nötig abzufangen. Schließlich berührten seine Finger eine kalte Wand Er schloss daraus, dass er sich in einem Zimmer befinden musste. Panik überkam ihn. Was , wenn er verrückt würde? In einem Raum eingesperrt zu sein, der vollkommen im dunklen lag? Er schluckte. Vielleicht war es ja nicht dunkel und er war in seinem Zimmer, und er war blind? Aus Reflex hielt er sich die Hand vor die Augen, konnte aber da es Dunkel war, nichts erkennen. Sein Atem beschleunigte sich, und er keuchte schon beinahe. Ohne weiter darauf zu achten, ob er irgendwo gegen stieß, hechtete er von Wand zu Wand. Doch es war zwecklos. Er war eingeschlossen.


Er atmete tief ein. Dann wieder aus. Er musste sich beruhigen. Es hatte ihm sehr viel Kraft gekostet, diesen klein, und schwach wirkenden Jungen, in die Zelle zu bringen, in der er sich jetzt befand. Langsam zog er seine Handschuhe aus und legte sie, sauber gefaltet auf einen Tisch neben ihm. Dann setze er sich. Sollte er einmal nachsehen, wie es ihm ging? Er schüttelte den Kopf. Es war sein Auftrag gewesen. Ein Auftrag wie jeder andere zuvor. Er schloss die Augen und ging den ganzen Ablauf noch einmal genau durch.

Der Junge versuchte über den Zaun zu klettern, von dort aus hatte er ihn am Fuss gepackt. Er wehrte sich verzweifelt. Doch er hielt ihn weiter fest. Dabei hatte er sich das Hemd aufgerissen. Aber das machte nichts-es war egal, die lauten Schreie des Jungen würde niemand hören. Er klammerte sich krampfartig an den Zaun, ohne Erbarmen war er immer weiter Rückwärts gegangen. Und wenn er ihn entzwei riss, es war egal. Nach langem hin- und her, hatte er genug, er ergriff seinen Fuß noch fester und drehte ihn einmal herum. Dann wurde der Junge ohnmächtig, was auch besser war.


„He!“, er schreckte auf. Sehen konnte er immer noch nichts. „Wer ist da?“, wagte er zu fragen. Derjenige Antwortete nicht. Er knallte ihm einen Teller mit irgendeinem Gegenstand, den er nicht sah, nur fühlte, vor die Nase. Dann knallte eine Tür. Es klang Eisern, das hieß das er in einer Zelle war. Hungrig tastete er nach seinem Essen. Es schmeckte nicht, das war ihm aber auch egal. Er drehte sich, sein Bein schmerzte ungeheuerlich, er wusste nicht warum, aber gebrochen war es nicht, das fühlte sich anders an. Es roch nach Schweiß. Angstschweiß vielleicht? War noch jemand hier? Er horchte auf. Er versuchte, nicht zu atmen, was ihm natürlich nicht gelang.

„Hallo?“ Es klang ängstlich und unsicher. Er rief noch einmal. „Hallo?“ Keine Antwort. Innerlich war er sehr froh darüber. Denn der bloße Gedanke, das die ganze Zeit jemand hier gewesen war und ihn heimlich beobachtete, ließ ihn noch mehr schaudern. Er hatte einen schrecklichen Nachgeschmack. Und immer noch Hunger. Verzweifelt senkte er den Kopf. Die Dunkelheit um ihn herum machte ihn beinahe wahnsinnig. Es gab ihm das Gefühl, blind zu sein. Langsam bestand für ihn kein Zweifel mehr darin. Er war es. Es schlich sich das Gefühl ein, verrückt zu werden. Langsam aber sicher konnte er nicht mehr sagen, wo oben und unten war. Geschweige denn rechts oder links. Er tastete nach dem Boden. Er war kalt. Am Besten war es, einfach auf dem Boden liegen zu bleiben, und zu hoffen das es hell wurde. Er streckte sich aus. Und schloss die Augen. Obwohl es keinen Unterschied machte, denn es wurde nicht dunkler. Er hatte das Gefühl zu platzten! Um ihn herum herrschte absolute Stille. In seinem Kopf fing es an schrecklich zu dröhnen. Er konnte sein Herz spüren. „Ich muss mich ablenken.“ Jammerte er zu sich selbst. Er ging das Alphabet durch. Noch einmal. Noch einmal und noch einmal. Doch schließlich gab er es auf. Das konnte es auch nicht sein. Für den Rest seines Lebens das Alphabet aufsagen. Ob es half, wenn er sang? Es konnte ihn doch eh niemand hören. So fing er an. Er wurde unterbrochen. Konnte es wahr sein? Hatte er wirklich Stimmen gehört? Oder hatte er sich das nur eingebildet? Er lauschte. Doch, das war etwas. Er wusste nicht, woher es kam. Ob nah bei ihm, oder weit entfernt. Doch bei genauerem hinhören, klang es fast wie aus einer anderen Welt. Auch konnte er nicht hören, was sie sagten.




Sollte er um Hilfe rufen? Was wenn es diejenigen waren, die ihn hier festhielten? Seine Hoffnung hier herauszukommen verschwand mit einem Schlag. Er drehte sich noch einmal. Da er nicht wusste wie spät es war. Schloss er erneut die Augen und schlief ein. Etwas besseres konnte er im Moment nicht tun.

Ein lauter Knall, riss ihn aus seinem Schlaf. Er setze sich auf. Es war immer noch dunkel. Da konnte er blinzeln, sooft er wollte. „Komm schon!“ Er wurde heftig an der Schulter gepackt und empor gerissen. Er stockte. Die Stimme kannte er. Er lachte. „Mark? Wie hast du mich gefunden?“ Er versuchte ihn anzusehen, doch er sah nichts. „Mark?“ Er bekam keine Antwort. Sein Lachen verflog. War er es überhaupt? Jedenfalls zog ihn die Person über den Boden, hinaus. Als er auf sah, befand er sich jenseits der Dunkelheit, in einem hell erleuchteten Gang. „Ahh“, er hielt die Hände vors Gesicht. Seine Augen schmerzten, denn er war das helle Licht nicht mehr gewohnt. Langsam, ließ er sie wieder sinken. Er atmete tief ein. Das Licht tat ihm gut. Wieder sehen zu können war wie in einer Wüste nach langer Reise etwas zu Trinken zu finden. So stellte er es sich zumindest vor. Er blickte auf. Es gab keine Fenster, aber das war ihm egal. Schnell drehte er sich um. Das war es also. Das Dunkel in dem er gefangen war. Es war eine Art Käfig, nicht besonders groß, eigentlich ziemlich klein. Doch das sah man von drinnen nicht. Wie lange hatte er hier verharrt? Fragend sah er zu demjenigen auf, der ihn befreit hatte. Es war tatsächlich Mark gewesen. Schnell sprang er auf. Freudig strahlte er ihn an. „Ich bin so froh, das du hier bist, ich dachte schon, ich müsste dort sterben!“ Er umarmte ihn.

„Ja, ich weiß“, Mark löste sich aus seiner Umklammerung. Cole sah ihn verwirrt an. „Was ist?“ „Komm mit!“ Mit solch einer Wucht, hätte er niemals gerechnet. Doch er packte ihn so kraftvoll am Arm und rannte los, dass er glaubte, fast zu fliegen. Er verstand. Sie hatten keine Zeit. Mark hatte sich mit größter Wahrscheinlichkeit heimlich eingeschlichen, die Schlüssel oder was auch immer gestohlen und hatte ihn dann in Windeseile befreit. Nun mussten sie fort. Schmerzerfüllt biss er die Zähne zusammen und starrte auf seinen Arm. Dort waren Marks Fingerabdrücke schon deutlich zu erkennen. „Ähm...“, seine Stimme wurde regelrecht vom Gegenwind, den sie hatten verschluckt. „Du tust mir weh!“ Rief er. Fragend drehte Mark sich zu ihm um. Blieb dann ruckartig stehen. „Oh!“ Keuchte er. „Tut mir leid“. Er hob entschuldigend die Arme. „Das wollte ich nicht, aber ich dachte du verstehst das ich nicht sehr darauf achte, wenn ich mich beeilen muss! Komm jetzt“, drängte er. Aus den Augenwinkeln sah er, wie er erneut Anstalten machte, seinen Arm zu greifen, doch er war schneller. „Ich laufe dir lieber so hinterher.“

„Na gut, aber bleib wirklich bei mir.“ Er nickte.

Sie befanden sich nun in dem selben Gang, der nur um vieles breiter war, als der vorige. Es gab immer noch kein Fenster. Die Wände wurden von Kerzen beleuchtet. Fast so, wie in einer Ritterburg. „Wo sind wir?“

„Weißt du das wirklich nicht?“

Nein, woher sollte er es auch wissen.

„Wir sind im Keller.“

„Im Keller?“, wiederholte er ungläubig.

„Jetzt komm!“, drängte Mark

„Ja!“

Sie bogen in einen abzweigenden Gang ein. Dann in noch einen, in einen weiteren. Schließlich kam Cole sich vor wie in einem Labyrinth. Er würde nun nicht mehr zurück finden. Aber das wollte er auch nicht. Bewundert sah er zu Mark, er hatte ihn gefunden. Er hatte ihn gesucht, als ob er es geahnt oder gewusste hätte. Er ließ ihn niemals im Stich. Die Gänge wurden schmäler. Er blieb wie angewurzelt stehen. „Ah!“

„Was ist denn jetzt schon wieder?“, Mark drehte sich genervt um, er wirkte, als stände er auf glühenden Kohlen, so zappelte er. „Ich weiß nicht, aber ist dir noch nicht aufgefallen, das wir immer weiter runter gehen? Ich meine, eigentlich müsste es doch eher umgekehrt sein. Der Keller ist ja unten.“ Mark schüttelte den Kopf, dann lauschte er, als könnte er hören, das sie sich bergab bewegten. Dann schüttelte er ihn erneut. „Das bildest du dir sicher nur ein. Aber wir müssen jetzt weg!“ Unentschlossen stand Cole starr auf der Stelle. Er hatte Hunger. Und bemerkte erst jetzt, das er nicht mehr genug Kraft hatte. „Du?“ Mark blieb schnaubend stehen. „Was?“

„Wie lange war ich eigentlich hier?“

Mark überlegte kurz. „Zwei Tage.“

Ihm klappte der Mund auf. „So lange?“ Er sah zu Boden. Kein Wunder. In diesen Tagen hatte er nur das Bisschen auf dem Teller bekommen. „Kommst du jetzt? Sonst war alles um sonst, die ganze Arbeit!“

„Gleich.“

„Nein, nicht gleich!“ Er stürmte auf ihn zu und riss ihn wieder mit sich mit. Diesmal sogar noch schneller. „Lass mich los!“

„Damit du wieder rumtrödelst? Nein, ganz sicher nicht!“ Er bog scharf um eine Ecke, sodass sie vor einer kleinen Eisentür zum stehen kamen. „Was?“ Cole kam nicht weit. Mit einer raschen Bewegung deutete ihm Mark still zu sein. Er holte tief Luft und trat, mit ihm im Schlepptau, ein. Es war dunkel, sehr spärlich beleuchtet, in einer Ecke war ein Tisch und ein Stuhl, daneben saßen und standen. Mr. Clayse, Mr Miggs und die Direktorin. „Was?“ Regungslos stand er in der Tür. Was sollte er dazu sagen. Er hätte ja mit so ziemlich allem gerechnet, aber sicher nicht damit, seine Lehrer hier anzutreffen. Sie starrten ihn an. Hinter ihm regte sich Mark. Er quetschte sich an ihm vorbei und blieb einige Schritte vor ihm stehen. Er wies mit einer Hand in seine Richtung. Auf Mr. Miggs Blick auf eine Uhr an der Wand hin murmelte er verlegen. „Tut mir Leid, er ist immer wieder stehen geblieben.“

„Schon gut“, Mr. Clayse lächelte, so kannte er ihn gar nicht. „War das alles nur ein Test gewesen?“ Mark ergriff mit starren Fingern seine Schulter, sah ihn aber nicht an. Im Kerzenlicht wirkte er noch furchteinflösender und kräftiger als er ohnehin schon war. Plötzlich ging er vorwärts, ihn fest an sich gedrückt, sodass er sich kaum bewegen konnte. „Lass mich doch endlich los!“ Er versuchte sich aus seinem Griff zu befreien. Schaffte es aber nicht. Sie gingen zu dem Stuhl, der in der Ecke stand. Alle scharrten sich um ihn. Ratlos sah er in ihre Gesichter. Mr. Clayse stieß Mark achtlos beiseite. Dieser stellte sich abseits in die Ecke. Mr. Miggs lächelte ihn an. Wie an dem Tag als er ihm das erste Mal rechnen beigebracht hatte. Cole war sich nicht sicher. Sollte er zurück lachen? „Hallo, Cole, schön dich hier zu sehen.“ Er räusperte sich. „Jetzt sag mal, Junge. Was wäre dir denn lieber?“

Er verstand nicht. „Schreibst du mit der rechten oder der linken Hand?“ Er wusste es nicht. „Äh? Mit der rechten, denk ich. Warum...?“.

„Also“, Mr. Miggs unterbrach ihn rasch. „Ich denke das macht nichts. Ich würde sagen, die Augen, dass kommt immer noch am besten rüber.“ Er sah zu der Direktorin. Cole rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin-und her. Langsam wurde ihm das ganze unheimlich. Wovon redeten sie? Suchend starrte er zu Mark, der sich nun vollständig gegen die Wand gelehnt hatte. Ihre Blicke trafen sich, er machte aber keine Andeutungen, ihm etwas mitteilen zu wollen. Nun kam Mr. Clayse. In der Hand ein Fläschchen mit einer Flüssigkeit. Diese hielt er behutsam in den Händen, als er immer näher kam. „So“, die anderen nickten ihm zu und stellten sich dichter neben ihn. „Die Augen also. Leg mal deinen Kopf nach hinten.“ Es klang mehr wie ein Befehl, als um eine Bitte. Sollte er das tun? „Keine Angst, es brennt nur etwas.“ Er lachte leise. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Mark angewidert die Augen schloss und sein Gesicht gegen die Wand drückte, um nichts zu sehen. Er erstarrte. Ein schrecklicher Gedanke schoss ihm durch den Kopf. War es das, oder irrte er sich? Er schluckte. Mr. Clayse beugte sich immer weiter über ihn. „Was tun sie?!“ Rief er erschrocken. Genervt entfernte er sich etwas. „Mein lieber Junge“, er versuchte zu lächeln, doch es sah nicht sehr überzeugend aus. „Hast du es denn wirklich noch nicht verstanden?“ Er schüttelte den Kopf. Die Frau atmete auf. Dann ergriff sie das Wort. „Hier“, sie wies auf die Flasche. „Das ist ein Säuremittel, welches wir dazu verwenden um...“, sie suchte nach den richtigen Worten. Nach einer Weile fing sie erneut an zu erklären. „Uns fehlt das Geld.“ Sagte sie bestimmt. „Wir waren arm. Sehr arm. Dann kam uns eine Idee, wie wir zu Geld kommen konnten, und das ziemlich schnell und einfach.“ Er schluckte.

„Sieh her. Jetzt kannst du ja zählen. Wie viele Straßenkinder hast du in deinem Leben schon gesehen?“

„Nur Mark und die Fünf.“

„Die Fünf?“ Fragte sie schnippisch und blickte zu Mark. Dieser klärte sie rasch auf. „Eine Gruppe Kinder ohne Beine, Arme oder die Blind sind.“

„Danke.“ Sie wandte sich wieder Cole zu. „Und, was glaubst du wie viele es gibt? In dieser Stadt?“ Er überlegte kurz. Er hatte keine Ahnung. „Na?“

„Viele.“, gab er stotternd zurück.

„Ja! Es sind mehr als 100! fast 1000!“ Cole wusste, das 1000 eine sehr hohe Zahl war. Er war sprachlos. „Und, was würdest du, nur mal angenommen, schätzen was sie alles verdienen würden, wenn sie bettelten?“ Er musste erneut aufgeben.

„Sehr viel.“ Sie holte demonstrativ ihren Geldbeutel aus der Tasche und hielt ihn ihm vor die Nase. Sie lachte. „Siehst du? Wir brauchten das Geld.“

„Wir wollten es.“ Ergänzte Mr. Miggs, der sich bis jetzt kaum zu Wort gemeldet hatte. „Sicherlich fragst du dich jetzt, warum wir ein solch schönes Haus gebaut haben, wenn uns nichts daran liegt, den Kindern ein schönes tolles Zuhause zu bieten?“ Miggs lachte verschmitzt

In der Tat war es ihm ein Rätsel. Aber er würde ja bestimmt gleich die Lösung erfahren. Seine Hände klammerten sich an den Stuhl. Er war froh, das sie damit beschäftigt waren, ihm alles zu erklären, denn es waren vermutlich die letzten Minuten in seinem Leben, in denen er sehen konnte. Er atmete tief ein. Sein Puls ging so schnell das er das Gefühl hatte, jeden Moment umzufallen. „Nun, wie du ja sicher schon erfahren hast“, sie ging einen Schritt auf ihn zu und blickte ihm direkt in die Augen, „werden wir stark kontrolliert, indem die Regierung jedes Jahr unangemeldet einen Beauftragten hierher schickt um nach dem Rechten zu sehen. So waren wir gezwungen, diese „Einrichtung“ als einfaches Waisenhaus zu tarnen. Und, das musst du zugeben, es wirkt ziemlich überzeugend, nicht?“ Sie lächelte Mr. Clayse zu, der nun auch näher kam. Ihm wurde alles klar. Die Fünf, waren alles Kinder, die für sie betteln mussten, und offensichtlich nicht durch einen Unfall verstümmelt waren. Zac und Mason waren es vermutlich jetzt auch. Suzie ebenfalls. Sie alle wurden entführt, so wie er, und auf diese Weise zugerichtet worden. Ihm wurde übel. Er war sich sicher das sein Herz jeden Moment aussetzten würde. Er hatte Angst. Mehr als Angst. Nicht direkt Todesangst, er konnte es nicht beschreiben, aber es war schrecklich. Zu wissen, jeden Moment blind, Arm-oder Beinlos zu werden. Tausende Gedanken schossen ihm durch den Kopf, wie er im Sommer durch die Felder gelaufen war, im Winter im Schnee gespielt hatte. Und, wie er seinen größten Fehler begangen hatte - hierher zu kommen.Er konnte nicht einmal weinen. Obwohl ihm danach zu mute war. „Gut“, wurde er jäh unterbrochen, „ich denke wir haben genug Zeit vertrödelt. Fangen wir an. Du kannst dich sowieso glücklich schätzen, wir haben noch keinem vor dir die ganze Geschichte erzählt.“ Damit drehte sich sich um, und griff nach der Flasche. Cole nutzte die Gelegenheit und blickte verzweifelt zu Mark und formte schnell die Worte: Hilf mir. Doch dieser zuckte nur ratlos mit den Achseln. Was sollte er tun? Cole überlegte. Doch sein Gehirn wollte, konnte nicht denken. Was würde er „normalerweise“ tun? Die Antwort war leicht.

Fast wie in Trance sprang er vom Stuhl, der dabei umfiel, kämpfte sich ohne nachzudenken an Mr. Clayse vorbei, der gar nicht wusste, wie ihm geschah. Panisch stürzte er auf die Tür zu. Gleich hatte er es geschafft! Seine Hand streckte sich nach dem Griff aus. Da sah er einen Schatten flink an ihm vorbei huschen, der direkt vor ihm zum stehen kam, und ihn mit solcher Wucht umklammerte, das er das Gefühl hatte, das dieser Griff ihn jeden Knochen gebrochen haben müsste. Dieser Jemand rührte sich nicht vom Fleck. Cole sah schnaubend zu ihm auf.

Es war Mark! Jetzt war es vorbei, sein Herz hatte vollkommen ausgesetzt. Das war ein zu großer Schock. „w...wie?“, stammelte er. „d..du?“

„Ja“, kalt erwiderte er seinen Blick. „Ich!“

„Bring ihn her!“ Mr. Miggs, winkte ihn zu sich während Mr. Clayse den Stuhl erneut aufstellte. Obwohl er sah, wie er langsam, aber sicher auf den Stuhl zu bewegt wurde, konnte er sich nicht bewegen, oder sich gar wehren.in seinem Kopf war nur ein Gedanke. Mark? War er es wirklich? Sein Freund, Bruder? Ihm war übel. Nun, hätte er auf der Stelle zusammenbrechen und heulen können, doch er riss sich zusammen. Hass breitete sich aus. Hass auf alles und jeden. Gerade eben war ihm mit einer Bewegung, mit einem Atemzug der Mensch genommen worden, den er in seinem Leben hatte. Wie mechanisch sah er zu, wie er erneut auf den Stuhl gesetzt wurde. Was machte es schon, wenn er blind wurde? Es war ihm egal. Eine weitere Flucht würde ihm sicherlich auch nicht mehr gelingen. Mit leerem Blick sah er Mark, der ihn von hinten fest umklammert hielt, damit er nicht noch einmal weglaufen konnte. Ihm schien es nicht das geringste auszumachen, seinen Freund, den er seit Jahren kannte, auf diese Art auszuliefern. In seinem Kopf tauchten Erinnerungsfetzen auf, die sich nach und nach zu einem einleuchtenden Bild zusammenfügten. Da waren zuerst die Fünf, die, als er zum ersten Mal Marks Namen genannt hatte, vor Angst geweint und gezittert hatten. Klar, hatte er es damals nicht verstanden. Doch nun tat er es. Sie hatten Angst. Sie hassten ihn. Offensichtlich hatte er sie auf die gleiche Weise hereingelegt wie ihn.

Steif ruhte sein Blick auf den Händen der Direktorin, die damit begann, das Fläschchen zu öffnen und sie Flüssigkeit auf einen Löffel zu träufeln. Der ganze Ablauf ihrer Bewegungen machte den Eindruck als sei es für sie reine Routine. Das war es auch. Für einen kurzen Moment schloss er die Augen. Er sah vor sich, Mark, der sich daran erfreute, kleine, wehrlose Straßenkinder, in ihr Verderben zu locken. Nichts stimmte. Nichts von dem was er ihm erzählt hatte. Seine Leidensgeschichte. Dann die Lehrer und zum Schluss noch die anderen Kinder, die noch nichts ahnten, für die dieses Haus ein wundervoller Ort war.

War es das? War hier alles zu Ende? Würde er sich davon unterkriegen lassen? Von einem Heuchler und Verräter? Entschlossen schlug er die Augen auf. Nein! Niemals! Solange er noch sehen konnte und fähig war, sich zu bewegen wollte er kämpfen! Er fühlte wie Marks Hände auf seinen Schultern lagen und seine Nägel sich in den Stoff seines Hemdes bohrten. Jetzt oder nie!

Wie elektrisiert sprang er auf. Dabei riss ein Stück Stoff an seinem Rücken, doch das war egal. Panisch stürmte er aufs Neue auf die Tür zu. Hinter sich hörte er die Rufe der anderen. Und wie, vermutlich Mark, ihm fluchend folgte. Konnte er ihn abhängen? Er musste es riskieren, einen weiteren Bogen durch den Raum zu sprinten, denn der Abstand war zu gering, um noch die Tür öffnen zu können. Er musste ihn irgendwie aufhalten. Aber wie? Mark war immer schneller gewesen. Und er hatte drei Komplizen. Er dagegen war allein. Es half nichts, er musste es versuchen. Was hatte er zu verlieren? Mit großer Überwindung drehte er so plötzlich, dass er hoffte, Mark würde vor Verwunderung stehen bleiben. Doch dem war nicht so. Im Gegenteil. Er holte immer mehr auf. So groß konnte doch der Raum nicht sein! Cole gelangte zu dem Stuhl, vor dem alle mit offenen Armen standen, um ihn zu fangen. In seiner Not schloss er die Augen. Kurz bevor er bei ihnen angelangte, öffnete er sie wieder. Als erstes stand fast über den Stuhl gebeugt Mr. Clayse. Cole überlegte nicht lange, er tauchte ihm geschickt unter den Beinen durch. Prallte beim Versuch wieder auf die Beine zu gelangen gegen Mr. Miggs. Dieser versuchte ihn zu umklammern. Doch er trat ihm mit solcher Wucht, gegen das Schienbein, das dieser vor Schmerz fluchend zusammen sank.

Die Direktorin hätte ihn sicher gefangen, wäre nicht Mark, der bei seiner Verfolgung, über Mr Clayse und Mr Miggs gesprungen war, um Cole zu fangen, mit voller Wucht gegen sie prallte gewesen. Für einem winzigen Moment hielt Cole inne und blickte zurück. Er sah, wie Mark gekrümmt neben der Frau lag, daneben kauerte Mr. Miggs und wieder neben ihm lag Mr. Clayse. Warum dieser allerdings umgefallen war, wusste er nicht. Ehe sie sich von dem Zusammenprall erholten, wollte er fort sein. Hastig stürmte er auf den Gang hinaus. Da er nicht wusste, wohin er sollte, beschloss er, zu dem Punkt zurück zu gehen, an dem ihm aufgefallen war, das sie immer weiter hinab gingen. Dort angekommen. Fand er, zu seiner Verwunderung, den richtigen Weg nach draußen.

Befreit trat er in die frische Morgenluft. Er nahm sich die Zeit, tief ein zu atmen. Es war eine Wohltat für seine Augen, wieder Tageslicht zu sehen. Etwas anderes, als immer dieses dunkle Kerzenlicht. Ratlos sah er sich um. Er befand sich in einer Art Innenhof. Nicht auf dem Sportplatz. Es war ein anderer Ort, an dem er noch nie zuvor gewesen war. Er war umgeben von einer Mauer, die sich über den Rasen und die Bäume erhob. Das war kein Wunder, denn die Bäume waren eher große Sträucher. Er begann damit, die Mauer abzulaufen. Es musste doch ein Schlupfloch geben. Gab es aber nicht. Er war verzweifelt. Ein unsicherer Blick zur Tür, durch die er gekommen war, und ihm wurde noch mulmiger. Er musste sich beeilen. Mark war nur hingefallen, er war bestimmt schon in seiner Nähe und würde jederzeit zu ihm in den Hof kommen. Er überlegte. Konnte man über die Mauer klettern? Es fing an zu regnen. Nun musste er sich erst recht beeilen, denn wenn es weiter auf die Mauer regnete, wurde diese glatt und rutschig und er würde dann keinen Halt mehr finden. Einen Versuch war es Wert. Er wandte sich suchend um. Diesmal suchte er einen passenden Vorsprung, oder etwas ähnliches an dem er ein Stück weit hinauf steigen konnte. Überglücklich sah er, ein kleines Loch, in das er seinen Fuß stellen konnte. Gesagt getan. Er schwang sich gekonnt hinauf. Noch ein Stück. Und dann noch eines. Fast war er oben angekommen. Der Regen wurde heftiger. Seine Kleidung war schon völlig durchnässt. Doch das war er gewohnt. Und auch das Klettern, wofür er sehr dankbar war, denn das rettete ihm womöglich jetzt das Leben. Ein Dumpfes Geräusch lies ihn erschaudern. Da war es erneut. Es kam näher. Er fürchtete, richtig gehört zu haben, es war Mark. Der näher kam. Schnell griff er ein Stück weit nach oben, er musste sich beeilen, um vor ihm auf der anderen Seite zu sein, bevor er ihn sah. Dann würde er denken, das er wo anderes hingelaufen sein und dort nicht nach ihm suchen. Er kannte ihn. Zu gut. Er würde niemals aufgeben. Und normalerweise hatte er auch keine Chance gegen ihn. Das da unten im Keller war nur pures Glück gewesen . Mark war stärker und schneller als er jemals sein würde.

Nun saß er oben auf und schaute hinab. Es war ganz schön hoch. Er schluckte. Sollte er auf der anderen Seite nun hinunter springen, oder klettern? Letzteres würde ihm mehr Zeit kosten, andererseits war es sicherer. Die Tür schwang auf. Ihm blieb keine Wahl. Er kniff die Augen zusammen, und lies sich einfach schnell hinunter fallen.



Luft, er brauchte Luft! Keuchend versuchte er sich auf zu setzen. Er war direkt auf dem Rücken gelandet, und bekam nur schwer Luft. Sein Kopf dröhnte. Ob er schwer verletzt war? Es fühlte sich so an. Wenn er ohnmächtig wurde, war alles vorbei. Wenn er laut Luft holte auch. Trotz seines schmerzendem Rückens richtete er sich wacker auf. Ein hinab fallender Stein auf der Innenseite der Maurer an der er sich noch vor wenigen Minuten befunden hatte, machte ihn darauf aufmerksam, das Mark im Begriff war, ebenfalls hinüber zu klettern. Über seine eigenen Beine stolpernd machte er sich daran, davon zu laufen. Einfach den Weg entlang, oder doch lieber durch den angrenzenden Wald? Dort würde er ihn bestimmt nicht suchen. Und er wäre etwas vor dem Regen geschützt. Kurzerhand entschloss sich Cole für den Wald. Der Boden war matschig und er sank leicht ein. Doch es roch herrlich nach nassen Blättern. Wenn er nicht in solch einer Situation wäre, wäre er stehen geblieben und hätte einmal tief eingeatmet.

Zaghaft blickte er über seine Schulter. Er sah gerade, wie Mark auf der anderen Seite, dort wo er gelegen hatte, landete.

Schneller! Er rannte panisch weiter. Da trat er auf einen dicken Ast, der unter seinem Gewicht laut auseinander brach. „Mist!“ Er blieb stehen. Wie ein Stein. Es war erstaunlich, wie Mark's Kopf in seine Richtung geschnellt war, als er es hörte. Wie bei einem Raubtier. Das war er beinahe auch. Langsam und aufmerksam ging er rückwärts. Sein Blick heftete an Mark. Dieser fing an, langsam auf den Wald zuzugehen. Nun wusste er, das Cole hier war. Sein Atem ging schneller. Sollte er rennen? Er beschloss sich genau so schnell zu bewegen, wie Mark es tat. Er wusste nicht warum. Aber er hielt es am besten. Ein dicker Regentropfen klatschte auf seine Stirn und lief ihm weiter die Nase hinunter. Mark fing nun an zu rennen. Das war sein Zeichen. Er lief ebenfalls, ohne zu wissen wohin. Einfach weg. Äste streiften sein Gesicht, seine Hände und seine Beine. Sie brannten. Aber das war ihm lieber, als sein Augenlicht zu verlieren. Einmal war er gestolpert, er konnte sich nicht rechtzeitig abfangen und schlitterte durch den Dreck einen kleinen Abhang hinab. Dort setzte er seine unbeholfene Flucht fort. Nicht gerade leise, aber das war ihm jetzt auch egal. Mark wusste sowieso schon, wo er war. Und verfolgte ihn auf Schritt und Tritt. Zu seinen Glück war er noch soweit von ihm entfernt, dass Cole ihn nur hören konnte, wie er auf Äste trat oder selbst stolperte, aber er konnte ihn noch nicht sehen. Auch konnte er nicht sagen, ob er im Begriff war, aus dem Wald hinaus oder in ihn hineinzulaufen. Mit den Händen schlug er die Äste vor seinem Gesicht fort. Seine Lunge brannte. Er würde nicht mehr lange laufen können. Da war er sicher. Er keuchte , seine Lunge schnappte nach Luft. Wieder blickte er über seine Schulter. Da! Er konnte ihn in weiter Entfernung erkennen. Panisch stürmte er vorwärts. Doch, sein Fuß fasste keinen Boden. Er spürte nichts unter ihnen, sondern nur Leere.

Er wurde so ruckartig hinunter gerissen, das er im ersten Moment gar nicht wusste, was geschehen war. Jede Sekunde war wertvoll. Mit einem lautem Schrei rollte er einen Berg hinab. Und er hatte Anfangs gedacht, es handle sich nur um einen einfachen Wald! Er überschlug sich mehrmals, bis er endlich unten ankam. Mit einem lautem Platsch. Er öffnete die Augen. Sein Hemd, seine Hose und seine Schuhe, alles war durchnässt, aber nicht allein von dem Regen. Um ihn herum konnte er nur Wasser erkennen. Er befand sich in einer Art Fluss, nur nicht tief genug. Worüber er erleichtert war. Aber es hatte zumindest gereicht, um von Kopf bis Fuß nass zu werden. Er saß in einer Grube. Links und rechts von ihm ging es steil hinauf. Cole blickte zaghaft nach oben. War er den ganzen Weg runter gerollt? Die Vorstellung das überlebt zu haben war gewaltig Er schluckte. Wenn er hier bleiben würde, würde Mark vielleicht an ihm vorbei laufen. Ein schneller Blick nach oben verriet ihm, das Mark noch nicht in seiner Nähe war. Möglicherweise war er umgekehrt t um ihn zu suchen. Er beschloss dem Flusslauf zu folgen. So würde er keine Spuren hinterlassen. Aber hauptsächlich hatte er keine große Lust dazu, den ganzen Hang wieder hinaufzuklettern. Zitternd rappelte er sich auf und fing an seinen Weg fortzusetzen.

Die letzten Tage waren nicht spurlos an ihm vorüber gegangen. Er war müde und ausgelaugt. Zu erschöpft. Es war für ihn schon ein Schreck gewesen, zu erfahren, was diese kranken Leute wirklich in diesem Haus trieben. Ihm liefen Tränen übers Gesicht. Sie fielen von seinem Kinn aus ins Wasser des Flusses, dort verschwammen sie mit dem Wasser. Schnell wischte er sie fort. Doch dann auch noch zu erfahren, das Mark, sein bester-, einziger Freund sie alle verraten hatte. Er hatte ihm die ganze Zeit etwas vorgemacht. Belogen. Von wegen anderes Waisenkind! Er warf einen Stein ins Wasser. Vor seinen Augen erschien die Szene in der sie sich zum ersten Mal begegneten. Damals hatten sie gekämpft, um etwas zu Essen. Er lächelte matt. Doch sein Gesicht wurde augenblicklich hart. Er war ein Verräter. Womöglich hatte er ihm über Monate aufgelauert. Um zu wissen wo er wohnte und wohin er immer ging um etwas zu stehlen. Vielleicht hatte er nur auf den richtigen Moment gewartet.

Sein Magen knurrte, doch er ignorierte es. Es war nichts ungewohntes für ihn. Er kannte dieses Gefühl nur zu gut. Cole sah zum Himmel. Er wollte am Ende des Flusses, oder zumindest aus dem Wald heraus sein, bevor es dunkel wurde. Doch wohin sollte er dann? Zurück zu seiner Hütte? Nein, dort würde Mark ihn als Erstes suchen. So leicht wollte er es ihm nicht machen.

Das Wasser wurde tiefer, sodass er nun bis zu seiner Hüfte im schlammigen Fluss stand. Er wollte sein altes Leben zurück! Wenn er es so betrachtete war es immer noch das Beste. Stattdessen war er in eine fürchterliche Geschichte geraten und musste vermutlich um sein Leben rennen.


Es wurde Nacht. Er stieg aus dem Wasser ans Ufer. Er zitterte. Draußen an der Luft waren seine nassen Füße kalt wie Eis. Er kauerte sich im niedrigen Gras zusammen. Es war so kühl geworden, dass er seinen Atem sehen konnte. An den Armen hatte er Gänsehaut. Wahrscheinlich auch den ganzen Rücken entlang. Und, das fürchterlichste, er hatte Angst. Der Wald und das rauschende Wasser, seine Todesangst und das alles auch noch Nachts. Wie ein Tier rollte er sich zusammen, um sich ein wenig zu wärmen. Trotz der beissenden Kälte schlief er nach langem ein.

„He! Wach auf!“

Er streckte sich. „Ja?“ Er gähnte und öffnete die Augen. Vor sich sah er ein breites Lächeln, das ihm sehr vertraut war. „Mark!.“ Er hatte sich über ihn gebeugt und lachte ihn an. Augenblicklich begriff er, was geschehen war. Er hatte ihn gefunden! Mit einem Ruck sprang er auf. Doch, was hätte er anderes erwarten können? Mark hielt ihn fest. „Nein!“, rief er. Es hallte im ganzen Wald wieder. „Ich lasse mich von dir nicht verstümmeln!“ Angestrengt versuchte er sich aus seinem Griff zu befreien. Mit der Gewissheit, das es ihm nichts nützen würde. Er sollte recht behalten. Ohne Rücksicht, begann Mark ihn Richtung Waisenhaus zurück zu ziehen, egal wie heftig Cole auch strampelte. Schließlich gab er es auf. Das einzige was er sagen konnte war. „Warum?“

„Ach wie nett.“ Mark äffte ihn nach. „Warum?“. Doch er hielt inne und lockerte seinen Griff. Einen kurzen Augenblick schien er zu überlegen.dann hob er den Kopf. „Da ich denke das du mir nicht mehr abhanden kommst, erzähl ich es dir.“ Er paqckte ihn wieder fester, zwang ihn zu Boden und setze sich ebenfalls, ohne ihn los zu lassen.

„Also....“

Cole konnte sich nicht mehr beherrschen. Es wollte endlich aus ihm heraus. „Du Lügner! Nichts, Nichts was du mir erzählt hast ist wahr! D …!“

Mark hielt ihm einfach den Mund zu .

„Mmh!“ Angestrengt versuchte er, seine Hand abzuschütteln. Mark stattdessen blieb ganz gelassen. „He!“ Ich wollte es dir ja gerade erzählen. Er lehnte sich zurück. „Also. Falls es dich interessiert, ich habe wirklich die Wahrheit gesagt. Das mit meinen Eltern und Sasha.“ Er begann damit, Grashalme auszureißen. „Mein Vater war wirklich so, wie ich dir von ihm erzählt hab. Auch die Geschichte mit meinen Geschwistern.“ Er blickte etwas nachdenklich auf die Wasseroberfläche , ehe er fortfuhr. „Am besten fange ich dort an, wo es spannend wird. Sasha war plötzlich verschwunden. Ich habe ihn wirklich überall gesucht, aber nicht gefunden. Hätte ich gewusst, dass er auch in diesem Haus war und verstümmelt wurde, um zu betteln.“ Er ballte die Fäuste. „Na gut. Weiter.“ Er packte ihn fester. „Nach einigen Tagen bin ich schließlich zu dem Haus gekommen. Da ich kein Dach über dem Kopf hatte, und es schließlich ein Waisenhaus sein sollte, hab ich gefragt, ob sie mich aufnehmen würden. Ich musste im Gegensatz zu dir einige Tests bestehen, um dort wohnen zu können. Es war zuerst herrlich. Du weißt ja, wie es ist. Ich hatte schon nach wenigen Tagen sehr viele Freunde gefunden. Später sagten sie, ich hätte eine Anziehende Art an mir.“ Er lachte. „Mr. Clayse war der Meinung, das es an meinem Lachen liegt. Warum auch immer. Ich bekam von da an den Auftrag, alle Straßenkinder zu finden, die es in dieser Stadt gab. Denn wenn sie alles bettelten, bekamen die Direktorin und die Lehrer mehr Geld. So einfach ist es.“ Mark kickte einen Stein ins Wasser. „Im Gegenzug versprachen sie mir und einem anderen Jungen. Tom.“ Cole zuckte zusammen. „Das wir heil bleiben würden und wir etwas von dem Geld abekamen. Haben wir aber nie. Er strich sich die Haar aus der Stirn. Tom war schon länger so ein „Lockvogel“ er sollte mich „unterrichten“. Glaub ja nicht, es hat mir Spaß gemacht. Wenn man es genau nimmt, habe ich , bis auf dich, noch nie ein Kind verraten und zum Waisenhaus gelockt. Ich bin nur immer still dabei gestanden, wenn Tom jemanden im Visier hatte. Ich konnte keine Nacht schlafen, immer diese Alpträume. Hätte ich etwas gesagt, wäre ich umgebracht worden. Eines Tages habe ich herausgefunden, das Tom meinen Bruder auch „angelockt“ hat.“ Er hatte Tränen in den Augen.er hielt einige Sekunden inne, um sich zu fassen. „Als Tom bei Mr. Miggs stand bin ich regelrecht ausgeflippt. Ich bin auf ihn zugerannt, und hab ihn, obwohl er älter war und kräftiger als ich, übel zugerichtet. Natürlich hat Mr. Miggs es gleich den anderen erzählt und sie haben Tom „gekündigt“. So hab ich meinen ersten Auftrag bekommen. Nämlich das letzte Straßenkind auf der Straße zu holen.“ Er sah ihn an. „Dich! Falls ich abhauen würde, hätten sie mich und meinen Bruder umgebracht. Ich meine, was hättest du da gemacht?“, fragte er ihn fast vorwurfsvoll. Ich hatte nichts. Niemanden. Außer ihn.“

„Und weiter?“ Jetzt wollte Cole alles wissen.

„So bin ich losgezogen, um dich zu finden. Frag mich nicht, woher sie wussten, das du das letzte warst.“ Er zuckte die Achseln. „Auf jeden Fall hab ich dich nach einiger Zeit gefunden. Dann war der Rest einfach. Ich hab dich bis zum Marktplatz verfolgt und mich dann mit dir geschlagen. Du hast mich dann zu „den Fünf“ wie du sie genannt hast gebracht und als ich dort Sasha gesehen hab, und wie er aussah.“ Er schüttelte den Kopf. „Hab ich beschlossen, dich noch nicht auszuliefern. Ich hab auch bis zu dem Tag, als ich verschwunden war, immer zu ihnen gesagt, das ich dich noch nicht gefunden hatte. Doch schließlich hat Mr.Clayse mich an dem Tag abgefangen, als wir vor der Menschenmasse davon gelaufen sind. Er brachte mich zurück und sie drohten mir, das ich dich endlich finden sollte. Dann hab ich dich hierher gebracht. Anfangs war ich der Meinung, dass es ein Leichtes ist, dich einfach dort abzusetzen , mich umzudrehen und zu gehen.“ Er wischte sich die Tränen aus den Augen. „Doch es war schwieriger als ich dachte. Ich hab dich während der ganzen Zeit als Freund ziemlich lieb gewonnen.

Cole sah ihn an. Er war den Tränen nahe. „Glaub mir“, schluchzte Mark. „Ich hatte mir schon oft gedacht, was wäre, wenn ich Sasha und dich einfach gepackt hätte und mit euch geflohen wäre. Doch es gibt keinen Ausweg. Wenn sie uns nicht finden tut es Tom ganz bestimmt. Ihr seid doch meine Brüder.“ Mit diesem Satz hätte Cole niemals gerechnet. Langsam bekam er Mitleid. Von dem Selbstbewusstsein, das Mark vor wenigen Sekunden noch gehabt hatte, war nun nichts mehr zu sehen. Er hatte den Kopf in seinen Händen verborgen. Schaffte es aber, ihn immer noch fest zu halten. „Und das mit Mason und Zac? Was ist mit ihnen passiert?“ Mark schluckte. „Das war ich nicht. Von nun an war ich nur noch zuständig um die Kinder in das Haus zu bekommen. Für den Rest war immer noch Tom zuständig.“

„ Achso, dann war er es, der mich bei meinem Fluchtversuch gefangen hat!“

„Nein, das war ich.“

Cole stockte. „Warum?“ Es fing erneut an zu regnen.

„Mr. Clayse hat irgendwie bemerkt , dass wir befreundet sind. Da hat er mir bewusst aufgetragen dich zu holen. In den Keller. Glaub mir, ich hatte schon oft die Schlüssel zu deinem „Käfig“ in den Händen und musste mich entscheiden ob ich dich befreie, oder nicht.“ Wieder sah er ihn an. „Es tut mir Leid.“ Cole senkte den Kopf. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er wusste, das er ihn eigentlich abgrundtief hassen müsste. Tat er aber nicht. Er tat ihm zutiefst leid.. Der Regen wurde stärker. Nach einer Weile, meldete Mark sich wieder zu Wort. Er ließ ihn los. Cole sah ihn verwirrt an. „Geh.“ Sagte er mit zitternder Stimme. Er verstand nicht und blieb regungslos sitzen. Mark funkelte ihn finster an. Seine Augen waren rot und völlig verweint. „Muss ich dir denn alles zweimal sagen! Geh!“ Er stieß ihn fort. „Bevor sie kommen und sehen das ich dich gefangen hab.“ Unentschlossen, blieb er wie festgenagelt stehen. Sollte er gehen und Mark seinem Schicksal überlassen? Andererseits hatte dieser es verdient, Ärger zu bekommen, aber wenn das was er gesagt hatte, stimmte? Er rang mit sich. Schließlich hatte er einen Entschluss gefasst. Er stellte sich aufrecht Mark gegenüber. „Nein!“

Er sah zu ihm auf. „Was hast du gesagt?“

„Ich sagte nein.“ Mark klappte der Mund auf. „Was?“, stammelte er übläubig.

„Ich meine, wir sind doch Brüder, oder?“ Mark nickte schwach. „Eben, gut, du hast einen Fehler gemacht, aber die macht man. Und als dein Bruder werde ich dich jetzt nicht im Stich lassen.“ Jetzt war es gesagt. Cole fragte sich, ob er es schon bereuhte, doch er war mächtig stolz auf sich. Sodass er anfing über beide Ohren zu grinsen. In der Hoffnung Mark würde es auch tun. Tat er aber nicht. Stattdessen schüttelte er den Kopf. „Nein, du verstehst nicht.selbst wenn wir jetzt einfach weglaufen, in eine andere Stadt, müssten wir immer Angst haben, gefunden zu werden.“ Aber was liegt ihnen denn an uns?“

„Versteh doch.“ Er wischte sich die Regentropfen aus dem Gesicht. „Sie brauchen uns nicht unbedingt, das wir für sie betteln gehen. Aber, sie haben angst das wenn wir fortlaufen, jemandem von ihren Machenschaften erzählen. Deshalb werden sie uns suchen und wenn sie uns gefunden haben. Töten. Außerdem können wir nicht noch mehr Kinder einfach so ihrem Schicksal überlassen.“ Cole verschränkte demonstrativ die Arme. „Großartig! Und was willst du dagegen tun? Durch die Schule laufen und rufen: Hallo, sie verstümmeln euch kommt aus dem Paradies zurück auf die Straße? Ich bin mir sicher, sie werden dir Reihenweise nachlaufen!“

„Nein“, er winkte ab. „Ich hab eine bessere Idee.“ Geheimnisvoll winkte er ihn näher an sich heran.




Wenig später kämpften sie sich, durch das Geäst, zurück auf die Straße von der sie gekommen waren. Doch diesmal nicht über die Mauer zurück, sondern durch einen Hintereingang. Den er bei seiner Flucht nicht gesehen hatte. Mark hielt ihn fest umklammert. Cole seufzte. Vor sich konnte er schon die mächtigen Umrisse des Hauses erkennen. Dort würde er sich gleich wieder befinden. Gefangen, auf dem kleinen Stuhl. Den Rest des Weges verbrachte er damit, sich noch einmal alle Farben des Waldes und überhaupt alles in seinem Umfeld ganz genau einzuprägen. Wer wusste schon, ob das nicht das Letzte war, was er jemals sehen konnte? Mark schwang die Tür auf, und zerrte ihn hinein. Sofort zurück in den dunklen Keller. Beide waren sie klitschnass. Ihre Kleidung tropfte auf den Steinboden. Er konnte hören wie sie Mr. Clayse und den anderen langsam näher kamen. Mark packte ihn fester. Er hob ihn praktisch in den Raum, in dem alle warteten.

„Endlich.“, atmete Mr. Miggs auf. „Ich dachte schon, ihr beide würdet nie mehr auftauchen.“ Cole verdrehte die Augen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre er sicherlich niemals wieder aufgetaucht. Doch wann ging es denn nach ihm? Grob wurde er auf den Stuhl gedrückt. Mark lachte und ging zurück auf seinen alten Platz an der Wand. „Du Verräter! Ich habe dir immer vertraut, und du? du....?“

„Jetzt ist es genug!“ Die Direktorin band ihm ein Stück Stoff um den Mund. „Ich höre mir das nicht länger mit an.“ Sie nickte Mr. Miggs zu. Dieser warf Mark ein Tuch zu. „Gute Arbeit.“ Dieser fing es auf und wischte sich trocken. Dann legte er es unachtsam in eine Ecke. Er hatte keine Lust mehr, ihn immer zu beobachten. Bald würde er es auch nicht mehr müssen, denn dann würde er nichts mehr sehen. Er konnte ihm noch nicht einmal etwas sagen. Oder rufen. Angewidert bemerkte er, das das Tuch stark nach Fisch roch. Er rümpfte die Nase.sein Kopf arbeitete auf hochturen. Sollte er es noch einmal riskieren und einen Fluchtversuch starten? Er schmeckte Fisch. Ihm wurde schlecht von dem beissendem Geruch. „Gut“, schloss die Frau. „Fangen wir endlich an. Schließlich gibt es bald Abendbrot.“ Sie lachte. „Aber gern.“ Mr. Clayse holte erneut die Flasche und träufelte etwas von der Flüssigkeit auf einen Löffel. Cole schluckte. Es war soweit. Diesmal könnte er gewiss nicht davonlaufen. Doch er wollte es nicht aufgeben. Eine Lücke, in der er entkommen konnte fand sich doch immer. Auch wenn es nur bedeutete, diese widerliche Stück Stoff von seinem Gesicht zu bekommen. Er kam auf ihn zu, schließlich stand er direkt über ihn gebeugt. Schnell stellte sich Mr. Miggs hinter ihn und hielt seinen Kopf fest nach hinten. Nun griff Clayse nach seinem Augenlid und hielt somit sein Auge offen. Wie in Zeitlupe konnte Cole beobachten, wie der Löffel sich langsam kippte und die Flüssigkeit jeden Moment in sein Auge tropfen konnte. Wollten sie ihm seine Augen wegätzen? Er biss die Zähne zusammen. Da geschah es. Im Reflex schnellte sein linkes Bein in die Höhe, genau zwischen die Beine von Mr. Clayse, der schmerzerfüllt zusammen sank. Dabei ließ er den Löffel fallen. Da alle erschrocken um sie herumstanden und Mr. Miggs Griff anfing lockerer zu werden, zog Cole blitzschnell den Kopf zur Seite somit wurde Mr. Miggs Hand, die immer noch an ihm hing mit einem plötzlichen Ruck nach vorne gezogen, dass die Flüssigkeit genau auf dessen Hand tröpfelte. Dieser gab einen schrecklichen Schrei von sich und umklammerte seine Hand. Allein diese Reaktion ließ Cole erahnen, was ihn erwartet hätte. Mark stand immer noch reglos am Ende des Raums. Er hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Er gab auch keine Regung von sich, als Mr. Miggs seine Hand entblöste und diese eine rießiges, blutiges Loch hatte. Cole krümmte sich. Ihm wurde übel. So etwas hatte er noch nie gesehen. Schnell fassten sie sich wieder und stürmten auf ihn zu. Was jetzt? Cole sah sich um. Wo sollte er hin? „Mark, halt ihn fest!“, rief Clayse stöhnend und richtete sich langsam auf. Dieser ging, auf Mr. Clayse's Befehl hin, langsam auf ihn zu. „Schneller!“ Nun fing er an zu laufen. Er sprang. Cole duckte sich und er flog in hohem Bogen über ihn hinweg. Ohne auch nur zu überlegen. Ergriff er die Flasche, die neben ihm stand und rannte auf Mr. Miggs zu. Als dieser protestierend den Mund öffnete um die anderen herbei zurufen, sah er seine einzige Gelegenheit dem ganzen zu entkommen. Er kippte ihm die ganze Flasche in den Mund. Dann blieb er fast wartend stehen. Mr. Miggs würgte und gurgelte. Er fing an sich an den Hals zu fassen und zu taumeln. Schließlich fiel er um, versuchte noch einmal vorwärts zu krabbeln, schaffte es aber nicht mehr. Schließlich blieb er endgültig auf der Stelle liegen und rührte sich nicht mehr. Cole verstand nicht. Konnte man wirklich daran sterben? Doch wenn er seine Hand betrachtete, beantwortete er sich diese Frage eindeutig selbst. Doch, so gestand er sich ein, er hatte es verdient. Er blickte zu Mark. Er stand mit den anderen nur ein paar Schritte hinter ihm. „Kommt!“ Mann konnte in Clayse's Stimme hören, das er geschockt war. „Bringen wir es zuende.“ Er rannte weiter. Der Gedanke zu überleben war stärker als das Gewissen einen Menschen getötet zu haben. Die Frau packte ihn an seinem Ärmel und zog wütend daran. Doch zu seinem Glück riss der Stoff und sie fiel zu Boden.

Im nächsten Zug, wich er geschickt vor Mr. Clayse aus, indem er einfach unter dessen Beinen hindurch tauchte. Doch nun waren sie alle hinter ihm her. In seiner letzten Hoffnung lief er vor ein massives Regal. Das an der Wand lehnte. Er hatte es zuvor gar nicht bemerkt. Es lagerte dicke Holzklötze und sogar Steine. Er wollte überhaupt nicht wissen, wofür es diente. Doch nun saß er in der Falle.

Siegessicher ging Mr. Clayse auf ihn zu. Er ging weiter rückwärts. Doch das konnte er nicht lange. Bald stieß er mit dem Rücken gegen das Regal. Das anfing gefährlich zu wackeln. Bald hatten sie ihn erreicht. Flink wich er zur Seite aus. Gerade in dem Augenblick, in dem die Direktorin nach ihm greifen wollte. Sie rutschte von seinem Hemd und riss sich dabei fast den Nagel aus. „Au!“ Ihr Schrei klang nicht sehr überzeugend. „Timothy machen wir dem ganzen nun endlich ein Ende! Kommen sie her!“

Timothy? Cole schloss daraus, das es höchstwahrscheinlich Mr. Clayse's Name war. Doch nun waren sie wieder zu zweit. „Es ist egal!“, rief ihm die Frau zu. „Auf einen Jungen mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an! Töten sie ihn, er weiß zu viel!“ Clayse nickte freudig und griff sofort nach einem Messer, das auf einem der Holzklötze lag. Er warf es ein paar mal in der Hand auf und ab. Dann setze er zum Wurf an. Schnell duckte er sich und verbarg seinen Kopf unter seinen Händen. Er wollte es „wenigstens“ nicht ins Gesicht bekommen. Doch es geschah nichts. Er hörte ein komisches Geräusch. Er sah auf. Direkt in Mr. Clayse's ängstliches Gesicht. Die Frau sah auch nicht anders aus. Sie alle starrten wie gebannt auf das Regal. Das gefährlich wankte. Für einige Sekunden schien es zu halten, doch dann fiel es doch, samt Holzscheite und den Steinen zu Boden. Cole schaffte es noch einen Schritt nach hinten auszuweichen, doch für Clayse und die Frau kam jede Hilfe zu spät. Sie wurden unter den Massen an Trümmern begraben.




Minuten verstrichen. So kam es ihm vor. Er stand noch immer an der gleichen Stelle und starrte auf den Trümmerhaufen, der sich vor ihm erstreckte. Danach hinüber zu Mr. Miggs. Es war still. Sein Herz pochte. War es wirklich vorbei? Er konnte es kaum fassen.

Was hielt ihn hier noch? Sofort machte er sich daran, aus diesem Haus zu verschwinden. Die Kinder konnten hier bleiben. Dann hatten sie wenigstens ein Dach über dem Kopf. Er aber würde gehen. Für immer.

Als er die Straße , auf der er und Mark vor gut einem Jahr gekommen waren, betrat, fühlte er sich erheblich erleichtert. Er hatte alles erreicht was er wollte. Er hatte lesen und schreiben gelernt. Außerdem konnte er rechnen. Was wenige Menschen konnten. Er rang sich ein Lächeln ab. Das war das beste daran gewesen. Sie mussten den Kindern etwas lehren, da das Haus regelmäßig kontrolliert wurde. Es war absurd. Mit seinem Wissen konnte er eine Arbeit beginnen. In einem Lebensmittelladen oder etwas ähnlichem. Es regnete. Wie immer. Er breitete die Arme aus. Dann drehte er sich auf der Stelle. Er konnte nicht anders. Der Regen wurde heftiger. Er ging die steinige Straße hinab. Zurück zu seiner Hütte. Die so hoffte er, noch stand. Ein großer Schatten tat sich vor ihm auf. Cole blieb stehen. Es war Mark. Er ging auf ihn zu und legte ihm seinen Arm auf die Schulter. „Jetzt wird alles anderes. Ich versprechs dir.“ Er lachte. Dann fügte er leise hinzu. „Ich dachte schon, ich bekomme das verdammte Regal nie zum umfallen.“ Cole lachte. „Das dachte ich auch. Aber zum Glück hat dein Plan geklappt. Ich hatte schon Zweifel.“ Mark schüttelte übertrieben den Kopf. „Also echt, bei so einem Genie wie ich es bin! Da gibt es keinen Zweifel.“

Plötzlich blieb er stehen und packte ihn energisch am Arm. „Du?“ Cole blieb genervt stehen. „Was ist jetzt schon wieder los?“

„ Ich will hier endlich weg!“

„Ich weiß, mir geht es nicht anderes.“

„Aber?“ Ich finde es nicht richtig was wir im Begriff sind zu tun.“ Nun blieb auch Cole stehen. „Was denn?“

„Na, wir gehen einfach. Ich meine es ist nicht gerade nett von uns die anderen Kinder allein zu lassen, mit drei Leichen im Keller!“ Er machte kehrt. Doch Cole widersprach eifrig. „Sie sind nicht allein! Die Krankenschwester ist ja da, und sie werden eh kontrolliert, das heisst für sie ist gesorgt!“ Mark hielt ihn zurück. „Ach ja? Was wenn sie die Leichen nicht finden? Dann faulen sie und …,“ er suchte nach den richtigen Worten. „Auf jeden Fall weißt du was ich damit sagen will.“

Hin- und her gerissen sah er ein, dass Mark recht hatte. Er hatte nun die Wahl. Sollte er gehen,oder zurück und Mark helfen? Er schüttelte den Kopf. „Na gut! Aber“, er hob drohend den Finger, „wenn wir es erledigt haben, machen wir das wir ein für allemal wegkommen“. Mark lachte. „Klar! Glaubst du etwa ich will noch länger hier bleiben? Komm!“ Er nahm seinen Arm, und sie rannten die Straße zurück. Von dort aus direkt in den Keller. Beim Anblick der toten Körper musste er sich beherrschen sich nicht zu übergeben. „Gut“, Mark klatschte in die Hände, „fangen wir als erstes an Mr. Miggs zu vergraben.“ Cole horchte auf. „Vergraben?“

„ Ja, was willst du denn sonst mit ihnen machen? Komm, pack mal mit an!“ Angewidert gehorchte er. Zusammen schafften sie es, ihn hinauszutragen. Danach gingen sie erneut hinab um Mr. Clayse und die Frau zu holen. Das erwies sich allerdings als schwierig, denn sie mussten zuerst den massiven Schrank zur Seite schieben.Unter größter Anstrengung gelang es ihnen. Schließlich versuchten sie schweißgebadet ein einigermaßen annehmbares Loch zu schaufeln, wobei Mark den größten Teil der Arbeit verrichtete, denn Cole war am Ende seiner Kräfte. Außerdem schauderte ihm, in Gegenwart der toten Körper. Nach einiger Zeit, es hatte bereits angefangen zu dämmern , vergruben sie sie schließlich darin. Das ganze war ein Zeitaufwand von Stunden. Doch als sie geendet hatten, betrachteten sie ihr Werk.

„So, jetzt können wir doch gehen.“

„Nicht ganz.“ Mark blickte zu Cole, der den Kopf erschöpft hängen lies. „Wir sagen der Krankenschwester bescheid Wenigstens einer muss es wissen.“

„Was? Das kann nicht dein Ernst sein! Ich meine, sie wird doch als erstes wissen, was passiert ist.“ „Nein, wird sie nicht, sie ist auf unserer Seite, wenn man es so ausdrücken will. Sie wird sich um die anderen Kinder kümmern. Glaub mir, sie schafft es.“

„Gut, dann geh und sag es ihr, ich warte währenddessen unten auf der Straße.

„Abgemacht.“

Während Mark zurücklief, beschlichen Cole große Zweifel. Matt lehnte er sich an eine Mauer und atmete tief ein. Nur zu gut konnte er sich die Reaktion der Krankenschwerster vorstellen, wenn Mark mit seiner Neuigkeit auf sie stieß. Hallo, wir haben die Lehrer umgebracht, die Kinder verstümmeln. Ab jetzt müssen sie sich um alle kümmern. Amüsiert wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Sie würde mit sicherheit begeistert sein.

Wenig später war Mark wieder zurück. „Und? Wie hat sie reagiert?“, wollte Cole sofort wissen. Mark räusperte sich. „Also traurig sieht anders aus. Sie hat gesagt, dass sie den Leuten, die sie immer kontrollieren bescheid sagt, damit sie ihr helfen.“

„Sie hat gar nicht nachgefragt, wie es passiert ist?“, verblüfft starrte er Mark ins Gesicht. Dieser grinste: „Ja schon. Sie hat ziemlich die Augen aufgerissen, und erst mal wirres Zeug gestammelt. Von wegen, wir hätten sie umgebracht und so weiter. Aber sie hat sich widererwartend schnell gefasst. Ich glaube nicht, dass sie sie besonders gut leiden konnte

Cole hatte noch eine Frage. „Du? Warum hatten die im Haus diese Nummern unter den Betten?“ Er blieb stehen und räusperte sich. „Weißt du, normalerweise haben sie die Kinder durchnummeriert um sie ein bisschen zu ordnen“. Er lachte, „doch sie haben dich vorgezogen, weil sie dich damals am Fenster des Krankenzimmers gesehen haben und sie geahnt haben, das du etwas gemerkt hast.“ Er klopfte ihm auf die Schulter. Sie kamen in die Straße mit den feinen Häusern. Mark blieb stehen. „Eines Tages wohnen wir in solch einem Haus. Wart's ab. Ab jetzt geht es nur noch aufwärts.“ Cole lachte. Ja, das ging es.


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Tag der Veröffentlichung: 01.08.2016

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