Dirty Panty Business
von Josefine Kraus
Copyright © Josefine Kraus 2018
All rights reserved.
Für alle, die es ebenfalls hassen, dreckige Unterwäsche zu waschen.
„Miss?“
Mürrisch wehre ich mich gegen das sanfte Rütteln an meiner Schulter. „Kann man denn nicht wenigstens einmal ausschlafen ...“
„Miss, Sie müssen aufstehen. Wir sind vor fünfzehn Minuten gelandet.“
Gelandet?
Schlaftrunken blicke ich in das Gesicht der jungen britischen Flugbegleiterin.
„Oh!“ Ich springe hastig auf und knalle dabei mit dem Kopf an die Gepäckablage. Die Stewardess unterdrückt ein Lachen, was ich an ihrer Stelle bestimmt nicht fertiggebracht hätte.
„’Tschuldigung, ich beeil mich“, nuschle ich verlege und mache mich schleunigst daran, meine Siebensachen aus dem Flieger zu tragen.
Während ich erleichtert aus der stickigen, chemikalienverseuchten Flugzeugluft ins Freie trete, kann ich es kaum erwarten, in das erstaunte Gesicht von Tim zu blicken. Ich habe ihn im Glauben gelassen, mein zweiwöchiger Sprachaufenthalt in England sei erst morgen vorbei. Doch tatsächlich ist mein Flieger schon heute in aller Früh am Flughafen Zürich gelandet.
Tim ist kein Fan von Überraschungen und ich habe mich in den letzten drei Jahren unserer Beziehung brav zurückgehalten. Doch heute mache ich eine Ausnahme und bin mir sicher, er wird sich freuen.
Nach meiner Ankunft gehe ich kurz zu mir nach Hause, pfeffere den Koffer in die Ecke, dusche ausgiebig und schlüpfe in frische Kleider. Da Tim es nicht mag, wenn ich zu viel Make-up trage, schminke ich mich bloß dezent und trage einen Spritzer meines neuen in London erstandenen Parfüms auf. Guilt free pleasure. Ein furchtbarer Name, wie ich finde. Wenn man jedoch am diamantförmigen Flakon schnuppert, überzeugt der Duft sofort. Er riecht schon fast verboten gut. Dangerous oder sinful pleasure wäre treffender. Aber was weiß ich schon von Parfümmarketing, ich bin schließlich gerade erst dabei, meine Ausbildung zur Kauffrau abzuschließen. Der Sprachaufenthalt ist die letzte Station vor der großen Abschlussprüfung gewesen und soll als praxisnahe Vorbereitung auf das Englischexamen dienen.
Ein Blick ins Zimmer meiner Mutter bestätigt mir, dass sie wie üblich gegen Samstagmittag noch tief und fest schläft. Das große Wiedersehen mit ihr kann warten, vermutlich hat sie sowieso vergessen, dass ich heute schon zurück bin, denke ich mir. Versteht mich nicht falsch, sie ist keine Rabenmutter. Beim Preis für die Mutter des Jahres wird sie es dennoch nie aufs Siegertreppchen schaffen. Dafür ist sie einfach zu neurotisch und zu sehr damit beschäftigt, sich um ihr eigenes Leben zu kümmern. Dass sie sich seit der Scheidung von meinem Vater als Alleinerziehende bezeichnen muss, überfordert sie noch mehr. Dabei war ich bei der Trennung bereits 14 Jahre alt und ziemlich selbstständig für mein Alter.
Oft kommt es mir daher so vor, als ob ich den erwachsenen Part in dieser Mutter-Kind-Beziehung übernehmen muss. Trotzdem liebe ich sie über alles und würde sie um nichts in der Welt gegen eine andere Mutter eintauschen wollen.
Tim wohnt nur wenige Blocks von meinem Zuhause entfernt. Er ist ganze vier Jahre älter als ich und hat sein Elternhaus bereits gegen die erste eigene Wohnung eingetauscht. Trotz unseres Altersunterschieds habe ich auch hier häufig das Gefühl, die Erwachsenere zu sein. Dabei sieht man mir meine 21 Jahre gar nicht an. Die meisten Leute schätzen mich auf 18 oder 19.
„Im Alter wirst du dafür noch dankbar sein!“, prophezeit meine Mutter stets. Aber ich habe kein Problem mit dem Alter. Im Gegenteil. Alte Menschen strotzen nur so vor Lebenserfahrung und müssen sich keine Gedanken mehr über die neusten Trends machen. Und wenn etwas schief geht, dürfen sie sich immer der Ausrede bedienen, „dass wir schließlich alt sind, Kindchen“. So zumindest hat meine geliebte Granny mir das Älterwerden beschrieben.
Endlich habe ich das mehrstöckige Gebäude erreicht. Meine Kopfhaut kribbelt und ich spüre meinen Puls steigen. Bin ich etwa nervös? In den letzten drei Jahren waren Tim und ich noch nie länger als eine Woche voneinander getrennt. Ob er mich auch so vermisst hat, wie ich ihn?
Vorsichtig stecke ich den Zweitschlüssel ins Schloss und drehe leise, bis ich den Riegel klicken höre.
Ich öffne die Türe einen Spaltbreit, husche hindurch und verschließe sie behutsam wieder hinter mir. Tim scheint ebenfalls noch zu schlafen.
Perfekt, dann kann ich mich gleich zu ihm unter die Decke kuscheln!
Wie sehr habe ich es vermisst, neben ihm aufzuwachen, ihn kurz am Rücken zu kraulen und nach einem süßen Grunzen, Arm in Arm wieder mit ihm einzuschlafen.
Auf Zehenspitzen schleiche ich in Richtung Schlafzimmer. Doch auf einmal halte ich in meiner Bewegung inne. Was war das?
Ich schüttle den Kopf und tripple weiter. Doch halt! Da ist es schon wieder, dieses dumpfe Gemurmel.
Oh nein! Bitte lass das nicht wahr sein ... Bitte Tim, tu mir das nicht an! Nicht so ...
Leider bestätigt mir das darauf folgende helle Gekicher meine schlimmsten Befürchtungen. Eigentlich sollte ich jetzt gehen. Umdrehen, Schlüssel in den Briefkasten werfen und nie nie wieder mit diesem Scheißkerl auch nur ein Wort wechseln. Aber ich kann es nicht lassen. Ich muss wissen, wer sie ist, die Frau, die durch das Spreizen ihrer Beine die letzten drei Jahre meines Lebens zerstört.
Die Beine sind nicht gespreizt. Doch als ich die angelehnte Schlafzimmertüre aufstoße, blicke ich in das bunt geschminkte, lustverzerrte Gesicht meiner besten Freundin Annie. Auf allen Vieren kniet sie auf dem Bett, Tims Hände von hinten um ihre Brüste gekrallt, der nun mit entsetztem Gesichtsausdruck in seiner rhythmischen Vor- und Rückwärtsbewegung innehält.
„Marie, was tust du denn hier?“
Mein Magen dreht sich um und ich weiß, ich werde jeden Moment kotzen. Die drohende Sintflut an Tränen zurückhaltend, erwidere ich trocken: „Die Frage ist wohl eher, was ihr hier tut.“
Ich will bloß noch weg hier und habe es schon fast aus dem Zimmer geschafft, als ich wie ferngesteuert noch einmal kehrt mache und Annie mein bösartigstes ‚widerliche Fotze’ ins Gesicht schleudere.
Kaum habe ich den Hauseingang erreicht, entleert sich mein Magen ungefragt und mein letztes english breakfast findet sich halb verdaut auf dem regennassen Gehweg wieder.
Klar, ein stilvoller Abgang ist das nicht gewesen. Aber es hat verdammt gut getan.
Ein Jahr später
BigDick: Was krieg ich für 50?
Sarah92: Spitzenunterwäsche, 1 Tag getragen.
BigDick: Foto?
Sarah92: Kostet extra. Nochmals 50.
BigDick: 50 für ’n Foto?
Sarah92: Sorry, aber so läuft das. Kannst ja bei 50 für die Wäsche bleiben, wenn dich das Geld reut.
BigDick zögert einige Sekunden mit der Antwort, aber das Spielchen kenne ich. Gleich wird er einwilligen und womöglich sogar noch was auf den Hunderter drauflegen. Aber bei dem großen Angebot gehört das Feilschen inzwischen dazu. Außerdem finde ich es ganz amüsant, vor allem weil ich schlussendlich immer bekomme, was ich will. Und keinem der Männer hier mangelt es an Geld.
BigDick: 100 für das Höschen und ein Foto. Aber bitte ein Schönes, ja?
Sarah92: Versteht sich von selbst. Welche Farbe für das Höschen?
Schwarz, rot oder weiß, wie üblich, tippe ich.
BigDick: Rot. Rote Spitzenunterwäsche.
Yes, Baby!
Sarah92: Alles klar. Nach 24 h Tragen packe ich es in einen geschmacksneutralen, geruchsbewahrenden Beutel. Sobald du die Überweisung gemacht hast, sende ich das Höschen an die von dir eingetragene Adresse.
BigDick: Und das Foto nicht vergessen!
Sarah92: Keine Sorge, das Foto wird dabei sein. Wenn du mit der Ware zufrieden bist, freue ich mich am Ende unserer Transaktion über eine positive Bewertung auf meinem Profil.
BigDick: Na du wickelst das ja ziemlich geschickt ab. Machst du das schon lange?
Sarah92: Sorry, mein Shopchat ist voll, ich muss zum nächsten Kunden. Wenn du jemanden zum Reden suchst, geh in die Sparte Videochat.
BigDick: Das war’s also schon? Ein bisschen handeln und der Nächste ist dran?
Das ist mal wieder ein ganz hartnäckiger. Vielleicht ist er aber auch noch ganz neu in dem Business.
Dabei ist das Prinzip von SellYourSlip ganz einfach. Schon im eigenen Profil gibt man (oder eigentlich meistens frau) an, welche Arten von Dienstleistungen angeboten werden. Da gibt es alles, vom einfachen Slipverkauf bis hin zum Hardcore-Videochat. Natürlich tummeln sich hier auch etliche Damen, die dieses Portal als eine Art Bühne nutzen. Im Chat kann man sich den Kunden bereits einmal ansehen und Preise aushandeln. Ist man sich einig, kommt’s zu einem Treffen der besonderen Art. So etwas würde mir nie in den Sinn kommen. Und ich habe zwar aufgehört, mich über diese Frauen aufzuregen, aber sie ruinieren den eigentlichen Sinn von SellYourSlip. Klar, einem Fremden dein getragenes Höschen zu schicken im Wissen, dass er sich an dessen Geruch aufgeilen wird, ist nicht jedermanns Sache. Manche nennen es gar den ersten Schritt in Richtung Prostitution. Aber das ist reine Ansichtssache. Für mich ist es nichts anderes, als ein Secondhandshirt auf eBay zu verkaufen. Nur dass hier die Wäsche auf keinen Fall in gewaschenem Zustand verschickt werden darf.
Sarah92: Wie gesagt, wenn du eine Chatpartnerin suchst, geh doch in den Videochat.
BigDick: Bist du dort auch ab und zu anzutreffen?
Sarah92: Nein, selling only. Aber bei sehr guten Stammkunden lass ich mich zwischendurch auf ein längeres Schwätzchen ein.
BigDick: Du weißt, wie man die Geschäfte am Laufen hält. Ich wette, du bist Studentin. Habe gehört, viele Frauen hier tun das, um sich ihr Studium zu finanzieren. Welche Richtung? BWL?
Sarah92: Netter Versuch, vielleicht verrat ich’s dir ein andermal. Vielen Dank für deinen Einkauf!
Ein rascher Klick oben rechts und das Chatfenster ist geschlossen. In Wahrheit habe ich keine anderen Käufer mehr in der Warteschlange, BigDick ist mein Letzter gewesen. Aber das muss er ebenso wenig wissen, wie meinen richtigen Namen. Da ich heute fünf neue Aufträge an Land gezogen habe - BigDick mit eingerechnet - kann ich mein Alter Ego Sarah92 für ein paar Tage ruhen lassen.
Geräuschlos klappe ich den Deckel meines Macbooks zu und in diesem Moment springt mein rot-weiß getigerter Kater Casanova darauf. Schnurrend rollt er sich auf der silbernen Fläche zusammen, genießt sichtlich die vom Laptop ausgehende Wärme und streckt mir seinen flauschigen Bauch entgegen.
„Ja du bist ein ganz feiner Kater du“, gurre ich und kraule ihn am Hals. „Ein ganz feiner. Und das einzige männliche Wesen mit Zutritt zu meinem Schlafzimmer.“
„Hab ich etwa plötzlich Hausverbot?“
Verblüfft drehe ich mich nach der männlichen Stimme um.
„Andi!“
Mit einem lauten Freudenschrei springe ich auf und renne meinem Mitbewohner entgegen.
„Wow, wow – sachte“, bremst er mich kichernd, als ich ihm um den Hals falle.
„Wieso bist du schon hier? Ich wollte dich heute Abend mit großem Trara am Bahnhof in Empfang nehmen!“
„Und ich wollte meine beste Freundin überraschen!“
Andi hat die letzten drei Monate in Paris verbracht und dort ein Modepraktikum absolviert.
„Oh du bist mir vielleicht einer! Allen immer eine Nasenlänge voraus!“
„Tja, so läuft das in unserem Geschäft, Schätzchen. Wenn du die Trends als Letzter entdeckst, kannst du gleich wieder aus der Branche aussteigen. Aber sag mal, hab ich echt Hausverbot oder wie kommt das?“
„Nein du doch nicht, nie und nimmer! Irgendwie zähle ich dich nie richtig zu den Männern.“
„Autsch! Das hat jetzt aber wehgetan.“
Er greift sich theatralisch an die Brust.
„Ach du! Du weißt doch, wie ich’s meine. Du zählst nicht zu der Sorte Männer ... Das war als Kompliment gemeint!“
„Na das hast du ja grad noch so hingekriegt. Besser für dich! Ansonsten hätte ich die Tüten mit den schärfsten Teilen, die Paris zu bieten hatte, nämlich ganz für mich alleine behalten.“
„Du hast Geschenke mitgebracht?!“
„Na klar doch, oder denkst du etwa, ich komme nach drei Monaten in der französischen Hauptstadt mit leeren Händen zurück? Irgendwie muss ich mir meinen Platz in der Wohnung ja zurückerobern.“
Andi zwinkert mir zu. Paris hat ihm gut getan. Zwar ist er schon vorher immer top gekleidet gewesen, doch die Klamotten, die er jetzt trägt, sind einfach der Hammer. Schwarze matt glänzende Jeans, die ihm wie angegossen sitzen, ein blassgraues Shirt, welches ihm am Bauch etwas spannt und die Ärmel des beigefarbenen Cardigans hat er locker hochgekrempelt. Seine hellblonden Haare trägt er oben lang und nach hinten gekämmt, auf der Seite hingegen ganz kurz. Einzig seine dunkle Hornbrille ist noch dieselbe wie bei seiner Abreise.
„Gut gespiesen bei den Frenchmen?“, necke ich ihn und tätschle sein kleines Bäuchlein, ebenfalls ein Souvenir aus Paris.
„Merde! Ist es so auffällig?“
„Nein, halb so wild. Hab dich halt drei Monate nicht gesehen, da fällt jede Kleinigkeit auf. Und so ein angedeutetes Wohlstandsbäuchlein ist momentan doch der letzte Schrei, nicht?“
„Mag sein, aber das Ding kommt sofort wieder weg. Von jetzt an gibt es nur noch Salat, Suppe und Fisch mit einer guten Portion Sport und Schlaf.“
„Och nöö und ich dachte, wir feiern heute noch. Machen uns chic, gehen lecker essen und anschließend in einen Club. Wir müssen doch deine Rückkehr feiern! Allen zeigen, dass du wieder da bist. Es war verdammt langweilig ohne dich. Weißt du, dass ich schon fast brav gewesen bin in deiner Abwesenheit? Arbeiten, Schule, früh zu Bett und all der Kram?“
„Und ich war drei Monate im Dauerrausch, hab die Nächte durchgetanzt und durchgevögelt und mich von morgens bis abends mit Pain au Chocolat vollgestopft, ich muss mich erholen!“
„Ich glaube dir kein Wort!“
„Naja, bis auf Letzteres hab ich wohl etwas übertrieben ... Es gab aber auch ständig irgendwelche Apéros und Vernissagen. Ich hab mich echt am Riemen gerissen, doch es war einfach unmöglich, all diese Köstlichkeiten zu verschmähen.“
„Ich hab eine Idee: Wir gehen ins vegetarische Restaurant um die Ecke, gönnen uns anschließend einen Schlummertrunk, und wenn du dann lieber nach Hause möchtest, als dich ins Nachtleben zu stürzen, gucken wir zusammen noch einen Film und schlafen dabei ein. Was hältst du davon?“
„Klingt nach einem fairen Kompromiss.“
„Super! Na dann zeig mal her deine heißen Teile. Vielleicht ist ja schon was für heute Abend mit dabei?“
„Oh du wirst staunen, Schätzchen, du wirst staunen!“
Als Andi ein figurbetontes Minicocktailkleid aus cremefarbener Spitze hervorholt, fällt mir die Kinnlade herunter. Das Teil ist der absolute Hingucker!
„Na los, anprobieren!“
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Was für ein Glück habe ich, einen angehenden Modedesigner meinen besten Freund zu nennen. Das Kleid schmiegt sich nicht nur wie eine zweite Haut um meinen Körper, es kaschiert sogar meine - meiner Meinung nach - zu breiten Hüften. Und mein Po sieht einfach bombastisch darin aus. Ich drehe mich im Kreis und blicke zu Andi.
„Fabuleuse!“, gibt er quietschend von sich und klatscht in die Hände.
„Warte.“ Er kramt in einer edlen Papiertüte mit dem Aufdruck einer kleinen schwarzen Pudeldame. „Hier, die ist dazu ein Muss.“
Von seiner Auswahl überzeugt, drückt er mir eine kleine Clutch in die Hand. Der altrosa Stoff sieht wie gewoben aus und an der Öffnung sind kleine blitzende Steinchen angebracht.
Mit riesengroßen blassblauen Augen starrt mir mein Spiegelbild entgegen und ich bin von meinem eigenen Anblick hingerissen.
„Komm schon, nicht so schüchtern, zeig mir die Diva in dir!“
Ich wuschle mir verwegen durch meinen glatten, kurzen Blondschopf und werfe Andi über die Schulter hinweg einen aufreizenden Blick zu.
„Ay ay ay! Ich glaube, wir müssen heute doch noch in den Ausgang, das wäre sonst ja die reinste Verschwendung!“
Andi schlüpft ebenfalls in ein partytaugliches Outfit, übt mit mir noch ein paar freche Posen, und nachdem ich dem maunzenden Casanova eine ordentliche Portion Futter in seine Schüssel gefüllt habe, machen wir uns vergnügt auf den Weg ins Restaurant.
Da das Green Beans gleich bei uns um die Ecke liegt und wir beide gerne gut essen, oft aber keine Lust haben zu kochen, sind wir sozusagen Stammgäste in dem Lokal und werden beim Eintreten mit Namen begrüßt.
„Marie-Schatz! Das Tischlein in der Ecke wie immer?“, nimmt mich die rundliche Restaurantbesitzerin namens Claire in Empfang. Als Andi hinter mir ebenfalls durch die Türe tritt, wird ihr Lächeln noch breiter und sie ruft: „Nein so was! Er ist doch tatsächlich zurückgekehrt aus der Hauptstadt der Mode. Ich hatte nämlich die Befürchtung, dass du dem Charme der Franzosen erliegen und gleich dort bleiben würdest. Umso schöner, dich endlich wieder um uns zu haben!“ Sie schlingt ihre massigen Arme um Andi und drückt ihn herzlich an sich.
„An deinen Charme kommt eben nicht mal ein Franzose heran Claire“, lacht Andi. Während er eine kleine Papiertüte hochhebt, fügt er hinzu: „Und auch drüben hab ich dich nicht vergessen. Hier!“
Überrascht nimmt Claire das Geschenk entgegen und blickt neugierig in die weiße Tüte. Beim Anblick der schwarzen Trüffel entfährt ihr ein freudiges Glucksen und sie strahlt Andi mit leuchtenden Augen an.
„Sind noch ganz frisch, heute Morgen auf dem Markt gekauft.“
„Aber das wäre doch nicht nötig gewesen! Die muss ich sofort meinem Mann zeigen, setzt euch, wohin ihr wollt.“
Auch Andi strahlt übers ganze Gesicht und wir suchen uns einen Zweiertisch am Fenster aus. Kaum haben wir uns gesetzt, kommt Claire auch schon wieder aus der Küche gewatschelt.
„Ein Gruß aus der Küche“, flötet sie und stellt einen Teller mit Avocado Mousse und Sesamcrackern zwischen uns.
Ich bestelle das Couscous Marrakesch und Andi eine halbe Portion der Tofu-Gemüse-Platte. Er meint es wohl wirklich ernst mit seinem Diätvorhaben.
„Na los jetzt erzähl endlich mehr von Paris. Ich will alles wissen!“, dränge ich Andi, nachdem Claire unseren Tisch verlassen hat.
„Puh! Wo fange ich bloß an? Also meine Zeit bei Trop Chic war einfach der Hammer. Ich habe nicht nur fachlich unglaublich viel Neues dazugelernt, sondern auch jede Menge wichtige Leute aus der Branche getroffen. Und die Models Marie! Die hättest du sehen sollen. Am Ende meines Praktikums durfte ich sogar ein paar von ihnen selbst einkleiden. Es war einfach fantastisch!“
„Wow! Klingt echt beneidenswert. Und bei so vielen Models um dich herum bist du bei keinem schwach geworden?“
Über Andis Wangen huscht ein Hauch Schamesröte. Er guckt ertappt von seinem Sesamcracker auf.
„Du hast mich natürlich erwischt.“
Nachdem er den Cracker heruntergeschluckt hat, fährt er etwas ausführlicher fort: „Das mit Lucien ist aber nicht einfach nur ein Techtelmechtel oder so. Es war Liebe auf den ersten Blick Marie.“
Oje. In dieser Hinsicht hat Paris Andi also kein Stück verändert. Er ist immer noch derselbe hoffnungslose Romantiker wie zuvor.
„Hast du ein Bild von ihm?“
Noch einmal errötet Andi, zückt sein Handy, und als er die Foto-App geöffnet hat, legt er es zwischen uns auf den Tisch. Die Bilder sind allesamt Profiaufnahmen und dementsprechend hinreißend sieht der Kerl auf ihnen auch aus. Markante Gesichtszüge, muskulöse Figur, dunkle Haare und Augen – genau Andis Typ. Aber etwas an seiner Ausstrahlung stört mich. Sein Blick ist irgendwie ... blasiert trifft es wohl am besten.
„Lucien sagst du, ist sein Name?“
„Ja genau. Er arbeitet seit zwei Jahren als Model für Trop Chic. Davor war er einige Zeit bei der Teen Vogue.“
„Beeindruckend. Und wie habt ihr euch kennengelernt?“
„Er hat mich schon in der ersten Woche während meines Willkommensapéros angequatscht. Von da an aßen wir ab und zu gemeinsam zu Mittag. Als er dann eines der Models war, welches ich einkleiden durfte, sind wir uns noch näher gekommen. Und ab da war es um uns beide geschehen. Ach Marie er ist einfach zum Anbeißen!“
„Und wie geht es jetzt weiter, da du zurück in der Schweiz bist?“
„Wir werden eine Fernbeziehung führen und uns so oft wie möglich besuchen. Lucien hat versprochen, spätestens in einem Monat für ein Wochenende hier herzukommen. Außerdem bewirbt er sich für einen Modelauftrag in Genf. Dann wäre er etwas öfter hier. Und natürlich werden wir täglich skypen. Oh ich kann es kaum erwarten, ihn dir vorzustellen!“
„Na da bin ich aber gespannt. Ich nehme an, er spricht nur französisch?“
„Französisch, Englisch und inzwischen sogar ein paar Brocken Deutsch, die ich ihm beigebracht habe. Er möchte es mir zuliebe lernen. Ist das nicht romantisch?“
Er stützt das Kinn auf seine gefalteten Hände und sieht mich verträumt an. Au Backe! Andi ist mir im Normalzustand manchmal schon fast zu viel mit seiner überdrehten Art, seiner Vorliebe für Kitsch und Klatsch und seinem Putzfimmel, aber ein verliebter Andi ist kaum auszuhalten. Ich kann regelrecht sehen, wie ihm die rosarote Brille langsam von der Stirn auf die Nase rutscht. Und er wird sie jeden Morgen nach dem Aufstehen frisch polieren, da bin ich mir sicher. Na hoffentlich ist dieser Lucien kein Blender und meint es ebenso ernst wie Andi.
„Doch, klingt wahnsinnig romantisch. Cinderella, Vogelgezwitscher, Zuckergussromantik. Beneidenswert“, ziehe ich ihn auf.
„Stimmt das hatte ich beinahe vergessen. Ich teile meine Räumlichkeiten ja mit Miss Untouchable. Nichts bringt sie aus der Fassung, kein Unglück berührt sie und kein Leuchten erwärmt ihr stählernes Herz.“
„Hey jetzt übertreibst du aber, so schlimm bin ich nun auch wieder nicht. Bloß weil ich nichts mit Kerzenlicht und herzförmigen Pralinen anfangen kann, bin ich noch lange kein männerfressender Zombie.“
„Nein, aber manchmal denke ich, du warst in deinem früheren Leben eine Gottesanbeterin und verspürst noch immer den Drang, den Männern ihren Kopf abzubeißen, sobald ihr ... du weißt schon.“
„Na in diese Gefahr hat sich schon lange kein Mann mehr begeben.“
„Nein? Du warst während ich weg war also wirklich so brav, wie du mir eben erzählt hast?“
„Jep. Die Sittsamkeit in Person.“
„Nicht mal ein kleiner Flirt?“
„Nein.“
„Und was ist mit deinem Rechtskundelehrer? Mister Hothothot?“
Ich spüre, wie meine Wangen anfangen zu glühen. Warum muss Andi bloß allen Menschen immer solche doofen englischen Übernamen geben?
„Zum tausendsten Mal, da läuft nichts mit Herrn Wenger. Wir haben einfach die gleiche Art von Humor und schäkern ab und zu etwas rum. Das war’s. Außerdem ist er mein Dozent.“
„Na und? Das ist nicht mehr wie in der Primarschule, ihr seid beide erwachsen. Und vor meiner Abreise hast du ihn mal als rattenscharf bezeichnet.“
„Ja ja, er sieht ganz passabel aus, ist jetzt gut?“
„Das reicht mir bei dir schon als Geständnis“, kichert Andi.
„Aber weißt du was? Wenn du die letzten Wochen tatsächlich so artig warst, dann machen wir heute doch noch einen drauf und flirten um die Wette. Den Schlummertrunk überspringen wir. Lass uns den Wash Club unsicher machen!“
Der Wash Club ist momentan einer der angesagtesten Clubs in der Stadt und das Konzept einfach einmalig. Das Lokal war früher tatsächlich einmal ein Waschsalon im amerikanischen Stil. Der neue Besitzer der Räumlichkeiten hat sich davon direkt inspirieren lassen und sich jede Menge ausrangierter Waschmaschinen besorgt. Diese hat er zu Soundboxen und Lampen umbauen lassen, sodass sich die Maschinen nun links und rechts im Club an den Wänden hochtürmen und die feiernde Meute mit wummernden Bässen und farbigen Lichtern erfreuen. Zudem wird hier im Vergleich zu den meisten anderen Lokalen dieser Art sogar ganz gute Musik gespielt.
„Ziemlich voll für einen Donnerstagabend, was?“, ruft Andi mir über den Kopf von ein paar Partygängern entgegen, während er versucht, unsere Gläser heil durch das Getümmel zu manövrieren.
„Sag bloß die Clubs in Paris waren nicht mindestens so überrannt wie hier?“
„Doch, doch“, erwidert er und drückt mir meinen Himbeermargarita in die Hand, „genau deshalb hatte ich mich auf die weniger klaustrophobischen Zustände in Zürich gefreut.“
„Was für komische Wände?“, frage ich verwirrt, da soeben die Musik noch lauter aufgedreht worden ist und ich Andi kaum mehr verstehen kann. Dieser winkt ab, erhebt sein Glas mit der rosa Flüssigkeit, wir prosten uns lachend zu und nach einem ordentlichen Schluck stürzen wir uns in die Meute.
Die Wochen, in denen ich nicht mehr im Ausgang war, machen sich bemerkbar und ich komme richtig in Fahrt. Das Licht, die Musik, die tanzenden Körper um mich herum – ich lasse mich treiben und genieße das Gefühl von Freiheit. Auch Andi vergnügt sich prächtig, und wenn man uns so zusammen tanzen sieht, hätte man kaum glauben können, dass er schwul ist.
„Wenn du deinen süßen Hintern noch einmal so wackeln lässt, platzt dem Kerl da hinten wohl bald die Hose“, raunt Andi mir zu.
So unauffällig wie möglich drehe ich mich beim Tanzen um ihn herum und suche nach meinem lüsternen Gaffer. Na aber hallo – Volltreffer! Wow, der ist ja heiß. Buschige Augenbrauen, das markante Kinn unter dem Bart gerade noch auszumachen und die hellen Augen verengen sich soeben zu Schlitzen. Er ist ein Jäger auf der Pirsch und glaubt, die perfekte Beute gefunden zu haben. Dann wollen wir doch mal ein wenig spielen, denke ich amüsiert.
Ich lasse meine Hüften in aufreizender Weise in Richtung des Bärtigen kreisen. Dieser folgt meiner tanzenden Aufforderung und wippt sich im Takt der Musik immer näher zu mir – die Augen ständig auf meinen Körper gerichtet. Als er genug nah an mir dran ist, tauchen seine Arme links und rechts von mir auf und ich spüre die Nähe seines Körpers an meiner Rückseite. Eine Weile tanzen wir in dieser Position, dann drehe ich mich um, lege dem schönen Fremden meine Arme auf die Schultern und suche Blickkontakt. Geweitete Pupillen, soeben leckt er sich kaum merklich über die Lippen – der Jäger ist nun der Fisch an meiner Angel.
„Du bist der Hammer!“ Trotz der lauten Musik und des Stimmenwirrwarrs dringt sein tiefer Bass an mein Ohr. Ich lächle und tue so, als hätte ich ihn nicht verstanden. Er legt seine Hände auf meine Taille und ich kann die Erregung in seinem Gesicht erkennen. In dem Moment wechselt der Song und ich ziehe meine Arme zurück.
„Danke für den Tanz!“ Sanft löse ich mich aus seinem Griff und wende mich zum Gehen um.
„Hey warte!“ Er fasst nach meiner Hand und versucht mich zurückzuhalten.
. . o O Weiterlesen auf Wattpad O o . .
Tag der Veröffentlichung: 19.10.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle, die es ebenfalls hassen, dreckige Unterwäsche zu waschen.