„Ich würde dir wirklich sehr gerne helfen, aber ich habe heute schon Lisa versprochen, ihr mit den Hundebabys zu helfen. Tut mir echt leid.“
„Oh, achso. Ok, trotzdem Danke. Bis dann.“
Tom legte auf. Ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht, er ging in sein Zimmer und holte sein Geld aus der Schublade. Vorher räumte er sein Zimmer auf, damit seine Mutter ihn auch nicht deswegen zuhause hielt. Nach zehn Minuten war er fertig. „Jetzt wird gefeiert“, kicherte er in sich hinein und verlies sein Zimmer.
Er hatte gar keine Lust, seinem besten Freund, Timo, auszuhelfen. Auch wenn er ihn deswegen anlügen musste. Timo brauchte wahrscheinlich wieder Hilfe dabei, die Garage aufzuräumen. Sein Vater gab ihm oft diese Aufgabe. Doch heute war Samstag, da musste man feiern gehen. Auf dem Weg nach draußen, hielt ihn seine Mutter auf.
„Wo gehst du denn jetzt schon wieder hin?“, fragte sie ihn neugierig.
„Timo hat mich gebeten ihm auszuhelfen. Du weißt, er ist mein bester Freund, ich kann ihn nicht stehen lassen.“ Die Wahrheit konnte er ihr nicht sagen. Sie hielt nicht viel davon, dass er immer auf Partys ging. „Ok, aber komm nicht zu spät zurück.“
Seine Mutter glaubte ihm alles, egal was er ihr erzählte. Normalerweise tat es ihm Leid, sie anzulügen, aber manchmal ging es nicht anders. Es war immerhin keine richtige Lüge, denn normalerweise würde er jetzt wirklich zu Timo gehen und ihm helfen.
Was die Mutter nicht weiß, macht sie nicht heiß. Somit war sie nicht sauer, dass er feiern ging und er hatte seinen Spaß, ohne das seine Mutter direkt schimpfte.
Eine viertel Stunde später stand Tom schon in der Menschenmasse. Der heutige Tag konnte nur noch gut laufen, das war für ihn sicher. Wieder dachte er kurz darüber nach, da er seinen besten Freund und seine Mutter angelogen hatte, doch es war für alle Beteiligten das Beste. Wenn er Tom sagen würde, dass er keine Lust hat, würde dieser wieder beleidigt sein, immerhin half er Tom auch immer aus. >Bei mir geht es immerhin nicht um das Aufräumen von Garagen<, war sein letzter Gedanke.
Eine Notlüge konnte einen davor bewahren, einen anderen zu verletzen.
„Hey Tom, du bist ja heut doch noch gekommen!“, rief einer der Jungs vom Tanz Feld zu ihm.
„Hey, Justin! Ja, mein Vater brauchte doch keine Hilfe mehr.“ Tom versuchte sich von Justin und seinen Freunden zu entfernen. Wenn sie weiter reden würden, würde heraus kommen, dass er nie seinem Vater helfen musste. Und nicht nur das.
„Und, wie sieht das neue Auto von deinem Vater aus?“
„Echt super. Ein Prachtexemplar ist es, dass sag ich dir.“ >Wenn die wüssten, dass mein Vater Harz IV Empfänger ist, und den ganzen Tag nur zuhause hockt<, ging es ihm durch den Kopf. Aber das hätte er ihnen nicht erzählen können. Damals in der Schule hatte er im Unterricht behauptet, dass sein Vater Fahrzeugtuner war. Da es jeden begeisterte, beließ er es dabei. Es war immerhin auch nur eine Notlüge gewesen, dieses Mal stand sein Wohl auf dem Spiel. Was hätten die anderen über ihn und seine Familie gedacht, wenn er gesagt hätte, dass sein Vater nur faul in der Couch liegt? „Wir kommen demnächst mal vorbei, wenn es dir recht ist? Wir wollen den so gerne mal kennen lernen.“
„Ok, geht klar, ich sag euch einfach Bescheid. So, ich muss dann mal weiter“, sagte Tom knapp und wollte gerade weiter gehen. Er würde sie nie einladen, das war sicher. Wenn sie die Wahrheit erfuhren, würde er eine Menge Ärger bekommen. Wahrscheinlich müsste er dann die Schule wechseln. Nein, vielleicht sogar die Stadt.
„Tom?“ Dem angesprochenen lief ein Schauer über den Rücken. Diese Stimme kannte er nur zu gut. Langsam drehte er sich um, überlegte schon einmal, was er diesmal sagen sollte. Er blickte in das Gesicht seines besten Freundes, der ihn verwirrt und auch verärgert betrachtete. „Ach, Timo. Du bist ja auch hier, das freut mich echt, ich hab schon nach dir gesucht“, gab er so gelassen wie es ging von sich, doch seine Stimme zitterte leise. Seine einzige Hoffnung war es, dass dies in diesem lauten Raum unterging.
Sein Freund schien über die Begegnung in diesem Club nicht sehr erfreut. „Was machst du hier, ich dachte du hilfst Lisa?“
„Achso, ja das. Es ist etwas schreckliches dazwischen gekommen…Gerade als ich bei ihr angekommen bin, hörte ich sie noch im Garten. Als ich dahin gegangen bin, sah ich sie weinen. Ihre Hunde sind nicht durchgekommen, wieso weiß ich nicht genau, ich wollte sie nicht weiter damit belasten. Also bin ich auf dem Weg nach Hause hier vorbei gegangen, um zu schauen, ob ich hier irgendeinen treffe. Ich wollte auch selber auf andere Gedanken kommen…“
Der Blick von Timo änderte sich schlagartig, er schenkte seinem besten Freund vertrauen. Das er ihn belog, kam ihn nicht in den Sinn, was Tom ein schlechteres Gewissen bereitete. „ Echt? Oh, das tut mir Leid…Ich hoffe das nimmt Lisa nicht zu sehr mit?“
„Geht so. Ich hab gedacht, ich lass sie mal eine Weile in Ruhe.“
„Wir sollten mal nach ihr schauen. Ihr lagen die Hunde sehr am Herzen.“ Damit packte Timo seinen besten Freund schon am Arm und ging mit ihm raus.
>Denk nach, lass dir was einfallen<, ging es Tom durch den Kopf. Sie durften jetzt nicht bei Lisa vorbei gehen, dann würde alles auffliegen. Wie würde Timo dann reagieren? Nicht nur das, was würde Lisa dazu sagen, dass er ihre Tiere als Tod abgestempelt hatte? Das war eine schlechte Idee gewesen, er hätte sich etwas Besseres einfallen lassen müssen. Das die Hunde noch leben wäre eh früher oder später rausgekommen.
„Vielleicht sollten wir sie einfach in Ruhe lassen. Sie möchte bestimmt alleine sein!“, versuchte er sich rauszureden, doch er wurde einfach mitgeschleift. Tom konnte die Sache nicht einmal verzögern. Es waren nur noch zehn Minuten, zehn qualvolle Minuten, bis seine ganze Lüge auffliegen würde.
Unterwegs holte Timo sein Handy raus und rief Lisa an. Tom erfror das Blut in den Adern. Waren doch nur Sekunden von der Wahrheit entfernt? Nervös zupfte er an seiner Jacke rum, wartete darauf, dass Timo ihn an maulte, wieso er ihn angelogen hatte. Nur noch wenige Sekunden waren es, bis er mit ihr redete. „Komisch, ihr Handy ist wohl aus…“ Der schuldige Junge zuckte zusammen, als sein Freund begann zu reden. Eine Weile dauerte es, bis er realisierte, was dieser gesagt hatte. Er atmete tief durch. Es war doch noch etwas Zeit, bis er alles erklären müsste.
Das Lisa nicht ans Handy ging, könnte seine Rettung sein. „Vielleicht ist sie nicht zuhause. Wir sollten es einfach morgen noch einmal versuchen“, begann er, in der Hoffnung seinen besten Freund umzustimmen. Das könnte seine Rettung sein.
Oder auch sein Verderben.
Timo wurde umso angespannter. „Vielleicht ist ihr etwas passiert. Wir müssen nachsehen gehen“, sagte dieser und schaute besorgt zu Tom. „Wir können immer noch ihre Mutter fragen, aber so kriege ich heute Nacht kein Auge mehr zu.
Widerworte waren zwecklos. Trotzdem versuchte es Tom die ganze Zeit über. Immerhin war es mitten in der Nacht, da konnte man doch nicht noch alle stören. Timos Sorge um Lisa ließ ihn hartnäckig bleiben. Letztendlich standen sie vor der Wohnung, in der Lisa wohnte. Timo klingelte, während Tom sich überlegte wegzulaufen. Es konnte ja nicht schlimmer kommen. Die Sekunden kamen ihm wie Stunden vor, doch es tat sich nichts im Haus.
„Siehst du, sie sind wohl schon am schlafen“, versuchte er noch einmal Timo umzustimmen. Dieser blickte noch ein paar Sekunden auf die Tür und klingelte ein weiteres Mal.
„Du hast Recht“, gab er sich geschlagen, wendete den Blick jedoch nicht von der Tür.
Das war seine Chance. Wenn sie jetzt verschwinden würden, wäre er bis mindestens morgen früh davor bewahrt, als Lügner dar zustehen. Zusammen ging er mit Timo wieder, sie waren mehrere Meter von dem Eingang entfernt, Tom atmete erleichtert durch. „Hallo, wer ist denn da?“ Ein Knacken und die Stimme einer Frau, war das nächste, was die beiden wahrnahmen.
Toms Atem beschleunigte sich, am liebsten hätte er laut geschrien, oder wäre einfach weggelaufen. Zu seinem Entsetzen ging Timo zurück zur Tür.
„Tut uns Leid, dass wir sie noch so spät stören, aber wir wollten kurz nach Lisa schauen“, erklärte Timo der Frau freundlich.
Diese schaute nach dieser Erklärung etwas verwirrt. „Lisa ist seit einer Woche im Urlaub, tut mir Leid.“
„Wie?“, kam es von Timo. Tom hielt den Atem an und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ich dachte, sie ist zu Hause. Ich habe gehört, dass ihre Hunde nicht durchgekommen sind, ich mache mir Sorgen um sie.“
„Wie? Nein, den Hunden geht es gut, wer hat dir das denn erzählt?“ Lisas Mutter blickte zu den beiden Jungs. „Wollt ihr mal reinkommen? Ihr könnt euch die kleinen gerne angucken.“
Timos Blicke trafen die von Tom. Dieser traute sich kaum noch zu atmen. Er hatte ihn belogen, er war selber schuld. Wenn er von Anfang an die Wahrheit gesagt hätte, wäre es nie so weit gekommen.
„Schon gut, danke.“ Timo drehte sich um und ging wieder, sein Freund lief ihm hinterher.
Mehrere Minuten liefen beide Jungs schweigend nebeneinander her. Tom überlegte nach den passenden Worten, wie sollte er es ihm jetzt erklären?
„Du hast mich angelogen“, brach Timo nach einer Weile die Stille.
„Es tut mir leid, ich wusste nur nicht…“
„ Es tut dir nicht leid. Es tut dir nur leid, dass ich es herausgefunden habe.“
„Ich…“
„Lass es gut sein. Ich hab dir vertraut, aber das war wohl ein Fehler. Wenn du nicht einmal ehrlich mit mir reden kannst, dann lag dir wohl nichts an unserer Freundschaft.“ Timo ging einfach, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
Seufzend ging Tom nach Hause. Auf dem Weg musste er die ganze Zeit nachdenken. Er hatte soeben seinen besten Freund verloren und das nur, weil er nicht ehrlich war. Nur wegen einer Lüge. Schuldgefühle plagten ihn. Leise ging er in das Haus und legte sich in sein Bett. Morgen würde alles besser werden. Er würde Timo anrufen und um Verzeihung bitten, immerhin war er sein bester Freund. Langsam schlief er ein und träumte von Lügen und Verzweiflung.
„Guten Morgen.“ Timo blinzelte und schaute zu seiner Tür. Seine Mutter blickte zu ihm, ihr Blick strahlte Wut aus. „Gestern Abend hat mich Timos Mutter angerufen und gefragt ob ihr Sohn bei uns sei. Darüber das ihr euch treffen wolltet, wusste sie nichts. Gibt es da etwas, was du mir erklären möchtest?“
Tom blickte schuldbewusst auf seine Decke. Selbst seine Mutter hatte ihn erwischt, selbst sie war jetzt sauer auf ihn.
„Bleib auf deinem Zimmer, du hast Hausarrest. Denk erst einmal darüber nach, was es heißt jemanden zu belügen“, sagte seine Mutter noch knapp, bevor sie aus dem Zimmer ihres Sohnes verschwand.
Er ging zu seiner Tür und schloss diese ab. Schlimmer konnte es gar nicht mehr kommen. Jetzt wollte er keinen mehr bei sich haben. Er nahm sein Handy in die Hand und wollte dieses noch Ausschalten. Zwei Sms. Sie waren von Justin. Ob er wieder fragen wollte, wann sie vorbei kommen können?
‚Hey Tom. Wollte mal fragen ob wir heute vorbei kommen können. Haben nichts zu tun und würden gerne deinen Vater kennen lernen‘ >Ne, danke<, dachte sich Tom, bevor er die zweite Sms öffnete.
‚Wir sind gerade auf dem Weg, schauen einfach mal vorbei. Bis gleich‘
Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Die Sms war vor zehn Minuten gesendet worden.
Sofort wählte er die Nummer von Justin, vielleicht konnte er sie noch abhalten, doch die Stimmen, die er draußen hörte, zeigten, es war zu spät.
Sofort sprang er zu seinem Fenster und riss dieses auf. Unten standen Justin und vier seiner Freunde. Zu seinem Entsetzen war sein Vater gerade dabei sein Auto zu waschen. Geradewegs gingen die Jungs zu diesem.
Er musste sich beeilen und sie abhalten. In Sekunden sprintete er zur Tür, schloss diese auf und rannte die Treppen runter. Seine Mutter rief ihm noch wütend hinterher, dass er Hausarrest habe, doch das war ihm gerade egal. Er musste das Chaos verhindern.
Er riss die Haustür auf, ging zu dem Auto…
„Wenn ihr Tom sucht, er ist oben in seinem Zimmer“, sagte sein Vater zu den Jungs.
„Um ehrlich zu sein wollten wir sie gerne einmal kennen lernen und…“ Skeptisch schauten die Fünf auf das Auto. Das sollte das Auto sein, das Tom als Prachtstück ansah?
„Sie tunen Autos stimmt’s?“
Die verwirrten Blicke des Mannes ließen die Jungs einen Moment schweigen.
Es war zu spät. Tom hatte nicht einmal diese Lüge als Geheimnis bewahren können. Langsam ging er zu den Treppen und setzte sich auf die erste Stufe. Morgen würde ein harter Tag in der Schule werden. Dargestellt als ein Lügner. Ohne den besten Freund.
Und er wusste, er würde nie wieder eine Notlüge benutzen, denn die Wahrheit, hätte ihm alles erspart.
Tag der Veröffentlichung: 03.09.2011
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