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Wenn das Netz zappelt

Wenn das Netz zappelt ...

 

Nun stehst du hier, eingequetscht mit hunderten von Menschen. Manche kennst du, doch viele nicht. Du weißt, fünfzig Meter links und fünzig Meter rechts von dir wird jede deiner, eurer, Bewegung von der Staatsmacht überwacht und außerhalb dieser Meter sind tausende Menschen gegen dich, gegen euch.

Du verspürst Hunger, doch am Bahnhof ließ man euch nicht essen und die Getränke die du in den letzten Stunden konsumiertes löschten alles, nur nicht den Durst. Du spürst Müdigkeit, doch geschlafen lassen hat man dich nicht.

Es ist nicht so, dass du es machen musst. Nein, du nimmst diese Widrigkeiten freiwillig auf dir. Du hungerst, durstest, bist seit fast 24 Stunden wach und frierst dir hier an einem kalten Februartag freiwillig den Arsch ab.

Vor einigen Jahren, als Jugendlicher, fiel es dir bedeutend einfacher, auf solchen Fahrten alles zu vergessen. Damals baute höchstens die nächste Klassenarbeit bei dir Druck auf.

Doch du bist älter geworden und gewachsen. Leider auch die Probleme.

Dank der Arbeit und deiner Beziehung, konntest du dich schon länger nicht mehr deinem Hobby widmen.

Du kannst nicht loslassen, nicht frei sein. Deine Gedanken schweifen ab.

Die vergangene Woche, sie war nicht die deine.

Erst erhälst du auf deiner Arbeitsstelle eine Abmahnung, die vor dem Arbeitsgericht sicherlich als Schikane eingestuft werden würde.

Der Tod deines Großvaters riss die ganze Familie in tiefe Trauer und auf den Trost deiner geliebten Freundin konntest du verzichten, nachdem du herausgefunden hattest, dass sie in sozialen Netzwerken mit anderen Männern Texte austauschte, die sich nur Liebende schicken.

Plötzlich hörst du von deinem Nebenmann ein hoffnungsvolles Stöhnen. Du blickst wieder nach vorne. Das Spielgerät kommt sehr gut in den sogenannten Strafraum. Du siehst den Spieler in den Farben deines Vereines hochspringen und wie der Ball auf seine Stirn klatscht. In weniger als den Bruchteil einer Sekunde spielt sich die ganze vermaledeite Woche vor deinen Augen erneut ab... ... Dann zappelt das Netz!

 

Nicht nur du, nein auch die hundert anderen Menschen in deiner unmittelbaren Umgebung, lassen einen Aufschrei wie Donnerhall ertönen, der die Heimfans schockt. In diesen Schrei transportierst du all deine Wut, all deine Verzweiflung, all deine Hoffnungen und all deine Wünsche. Du umarmst und klatscht mit dir wildfremden Menschen ab. Egal welche politische Neigung, egal ob Alkoholsüchtiger ohne Job oder Arbeiter, ob armer Schlucker oder reicher Geschäftsmann. An solchen Tagen steht ihr alle eng beisammen und seid gleich.

Er lässt euch eure Wege friedlich kreuzen. Kreuzungen, die der Alltag nie zustande gebracht hätte. Er gibt euch eine Gemeinsamkeit. Die gemeinsame Liebe. Er ist euer Verein. Er besitzt die unvorstellbare Macht, verschiedenste Schicksale zusammen zu bringen.

Er besitzt die Macht, trotz aller Probleme und Hindernisse, die uns täglich begegnen, uns für wenige Stunden frei wie ein Vogel zu fühlen.

Du spürst wie Biertropfen auf dich regnen, welche dich in wenigen Stunden wie einen Betrunkenen stinken lassen. In einer Diskothek oder Bar hättest du dich darüber aufgeregt, doch hier sind diese Biertropfen wie Balsam auf deine vom Alltag geschundene Seele.

Du jubelst und springst, spürst förmlich auf deiner Haut, wie der Alltagsstaub von dir abrieselt. Eine Träne zeichnet eine feuchte Spur auf deiner Wange. Du weißt nicht ob sie aus Freude entstand, oder wegen dem Rauch der bengalischen Lichter.

Du atmest diese giftige Wolke ein, weißt dass es verboten und gefährlich ist. Doch es spiegelt alles wieder: Dein Herz steht in Flammen.

Und dann spürst du es. Du spürst dieses befreiende Gefühl, welches du als Jugendlicher so geliebt und nun so sehr vermisst hast. Du denkst nicht mehr an Morgen, sondern nur noch an die jetzigen Sekunden. Dieser Moment solle nie vergehen, denkst du. Nie.

 

Neun Stunden später, nachdem du und die anderen von übermotivierten jungen Polizisten in die Bahn geknüppelt und dann wie Vieh weggekarrt wurdet und der eine oder andere Veteran die Zustände oft mit "Fast wie die VoPo's", kommentierte, erreichst du deine heimische Wohnungstür. Leise ziehst du sie hinter dir zu.

Mit eisiger Miene wirst du schon von deiner Partnerin erwartet.

"Ich dachte du warst Auswärts? Du riechst eher so, als hättest du an einer Kneipe halt gemacht und dort den ganzen Tag gesoffen! Mach dich fertig und komm ins Bett, du musst Morgen wieder arbeiten!"

Wie immer machst du, wie dir geheißen. In deinen Gedanken lässt du diesen Tag revue passieren, doch wiedereinmal bekommst du nicht deine Ruhe.

"Du kannst auf der Couch schlafen, so wie du stinkst! Übrigens finde ich, sollten wir ab Morgen eine Beziehungspause einlegen."

Sie erwartet eine Antwort, stattdessen legst du dich auf die Couch, schließt die Augen und deine Lippen formen ein stilles Lächeln in die Dunkelheit hinein.

Hat es sich gelohnt? Fragst du dich.

Auch wenn du weißt, dass millionen Menschen da draußen anderer Meinung wären, beantwortest du für dich die Frage mit: Ja, das hat es sich!

Impressum

Bildmaterialien: PurePixel2007 at DeviantArt
Tag der Veröffentlichung: 09.09.2013

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