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Irgendwo in Frankreich an der Westfront im Frühjahr des Jahres 1915.


Die Nacht war schon lange hereingebrochen. Nur der schwache Mondschein konnte ihn durch das Labyrinth des Waldes den Weg weisen. Einen Weg den er fast schon auswendig kannte und liebte. Die Vorfreude auf diese Nacht war unermesslich. Jede Nacht von Donnerstag zu Freitag lenkte ihn von allem Übel dieses Krieges ab. Eine halbe Stunde war er jetzt schon unterwegs. Dabei war der Weg zu seinem Ziel viel kürzer, doch er musste Schleifen und Schlangen laufen, falls ihm jemand folgte. Als er sich sicher war, dass es nicht der Fall war, lief er zielstrebiger auf den Ort zu. Dieses Waldstück war noch nicht den Mörsergranaten zum Opfer gefallen und die Gräbenlinien zogen sich um ihn wie eine Schere auseinander. Langsam traten die Umrisse des Gebäudes in seinen Blickwinkel.
Die Fensterläden waren wie immer geschlossen. Noch einmal blickte er hinter sich, um sich zu vergewissern, dass kein Kamerad ihm gefolgt war. Dort lag nur Stille und Dunkelheit. Mit vorsichtigen Schritten näherte er sich dem kleinen Portal an der Seite des Gebäudes. Es gab auch ein großes Tor um in dieses Gebilde aus Fachwerk zu gelangen. Ein Scheunentor. Doch dieses hatten sie schon vor Monaten verriegelt.
Zu Auffällig wäre das Betreten jedes mal.
Leise knarrt die Tür beim aufdrücken. Im Inneren herrscht Dunkelheit. Der erste Raum schien damals wohl soetwas wie eine Küche gewesen zu sein. Zumindestens ließen der Herd und diverse Gegenstände darauf schließen. Doch hier wollte er nicht hin. Das nächste Areal war bedeutend größer. Hier waren die Tiere früher untergebracht. An der Seite befand sich eine alte hölzerne Treppe mit wackeligen Geländer. Diese war sein Ziel. Er vernahm schon die ersten Stimmen, welche sich fragten, wo er selbst bleiben würde. Die Treppe gibt die selben Geräusche wie das Portal wider, als er sie betritt. Die Stimmen verstummen. Die Tür, die zu seinem Ziel führt, war angelehnt. Vorsichtig schiebt er diese zu Seite.

Vor ihm liegt einer kleiner mit Zigarettenrauch gesättigter Raum, mit einem alten Tisch, der auch zur Scheunenmontur gehörte, an dem vier Stühle standen. Drei von ihnen waren belegt. Zwei Kerzen auf dem Tisch spendeten dem Rauch genügend Licht. Zumindetens wurde der Tisch reichhaltig beleuchtet. Dann blickte er in drei versteifte Gesichter. Das erste war von Hermann einem bayerischen Infanterist. Die Personen mit den zwei anderen Gesichter müsste er auf dem Schlachtfeld normaler weise erschießen.
„Damn Volker! Hör auf mit dem Shit!“ sagte Scott the Schott, wie sie ihn liebevoll nannten und war das zweite Gesicht.
Ein Mann mitte Vierzig der in Glasgow eine Familie hatte und zum britischen Aufgebot der Alliierten gehörte.
„Isch mag deine Anschleichen nischt!“ sprach Henry aus dem französischen Aufgebot auf deutsch. Dieser kommt eigentlich aus der Normandie. Genauer gesagt Brest und war genauso wie er selbst ein junger Hüpfer gewesen. Deutsch lernte er, weil er der Meinung war, dass wenn sie schon diesen Krieg verlieren mögen, er wenigsten dann schon die Sprache beherrschte.
„Viel lieber würde ich dich Preußen erschießen, als Scott!“ witzelte Hermann mit starken bayerischen Akzent. Selbst Volker verstand nicht immer alles, was er sagte.
„Ebenso einen schönen Abend.“ lacht Volker. Er zeigt auf seine Wange, die ein Pflaster zierte und dann auf Henry.
„Beim nächsten mal Ziel auf mich und schieß dann. Da ist die Warscheinlichkeit höher, dass du mich nicht triffst!“
Leises Gelächter von allen vieren ist zu hören. Nun waren sie alle versammelt in ihrem 'European Friendship Refugium' wie sie es nannten. Volker setzte sich zu den dreien an den Tisch.
„Welche Ausrede hattest du diesmal um zu entkommen?“ wollte Hermann neugierig wissen. Volker lächelte und schaute zu Scott.
„Ich hoffe du hast Whiskey bei, ansonsten ist meine Ausrede nichts Wert. Sie denken, dass ich mein Leben für Whiskey aufs Spiel setze.“
Scott zog eine gehässige Grimasse.
„And was ist, wenn i have no Whiskey in mein Tasche?“
Henry, welcher neben Scott saß, haute ihm auf die Schulter.
„Monsieur, du hascht immer etwasch dabei.“
„Dann habe ich ja gerettet Volkers Ass!“ lachte der Schotte.
Wie immer vertieften sie sich dann in das von Scott mitgebrachte Kartenspiel. Dieses nannte sich Rummy und er habe es von Verwandten aus den USA. Dieses Kartenspiel würde irgendwann einmal Begeisterung entfachen, dessen waren sie sich sicher. Während den kurzen Spielpausen schenkte Scott ihnen scottish Whiskey in die Flachmänner ein. Henry brachte immer Zigaretten mit. Volker war für die Nahrungsversogung dieser Abende zuständig und Hermann. Nun ja, Hermann für die absurdesten Gerüchte und Neuigkeiten.
„Hab ihr schon das mit Lenin gehört? Er darf wohl in der Schweiz Exil beziehen. Und dann kam mir noch zu Ohren, dass die OHL seine Rückreise nach Russland plant. Der Kaiser höchst persönlich soll dies sogar angeordnet haben! Damit Frieden mit den Russen gewährt ist!“ erzählte Hermann mit einer leichten Alkoholfahne.
„Was ihr Bayern euch immer ausdenkt! So ein Quatsch! Mir wurde auch letztes Jahr gesagt, dass ich jetzt schon längst Zuhause an meiner Lernbank sei und bald Doktor werde!“ wischte Volker diesen, für ihn, Blödsinn weg. Auch Henry meldete sich etwas gehört zu haben.
„Isch habe gehört, Napoleon soll als Geist in Versailles gesischtet worden sein! Er will euch Allemanen die Hand dorthin schieben, wo esch rischtig weh tut!“ Dieses Gerücht untermauerte er mit einer ernsten Miene.
„Na hoffentlich nimmt er den kurzen Arm! Dann wird es höchstens kitzeln.“ spottete Hermann und Scott verschluckte sich beim Lachen fast an seinem Whiskey.
„So wie für euch die Niederlage an Heiligabend weh tat? 3:2 Henry, 3:2!“ fügte nun Volker grinsend hinzu und Henry wurde rot.
„Das Fußballspiel zählt nischt. Ihr habt uns vorher mit Alkohol betäubt! Zudem hatten wir Schotten in der Mannschaft“ versuchte der sich raus zureden.
Scott gab Henry einen leichten Klapps auf den Hinterkopf.
„Man, with out us hättet ihr das Game 5:0 verloren.“
Vehement schüttelte der Franzose den Kopf.
„Ihr schpielt so, als würdet ihr nur Whischkey trinken! Napoleon hätte eusch den Arm damals sonst wo hinschieben sollen. Dann wärscht ihr Engländer nicht unser Problem!“
Verärgert stand Scott auf, „Don't said Engländer! Im scottish du Frogfresser!“
Es drohte ein ordentlicher Streit zu werden.
„Beruhigt euch wieder!“ fuhr Hermann in die brenzlige Situation und legte dann seine Karten aus seiner Hand auf den Tisch nieder.
„So ihr seid raus! Bayern führt nun in der Partie!“
Scott und Henry waren nun wieder auf das Spiel konzentriert und sie stöhnten, genauso wie Volker. Hermann gewann fast immer.
“Da bringt euch auch nichts der Preuße!” feixte dieser.

Immer weiter verflog die Zeit. Sie alle waren so sehr damit beschäftigt Hermann in Rummy zu schlagen, dass nur Volker das leise Knarren der Holztüren aus den Bereichen untern ihnen hörte.
“Haltet mal für einen Moment den Schnabel.” sagte er und hielt dann den Zeigefinger vor seinen Lippen. Scott und Hermann folgten seiner Aufforderung, während Henry vertieft in sein Kartenblatt war. Dann ging alles ganz schnell. Die letzten morschen Holzstufen polterten und herein in den Raum fielen zwei fremde Gestalten, die sich liebkosten. Beide waren in Offiziersuniformen gekleidet.
Der eine in einer Deutschen, der andere in einer Französischen. Scheinbar war dies hier nicht nur die Spielkammer der vier Freunde, sondern auch das Liebesnest der beiden Offiziere. Scott, Volker und Hermann glotzten verblüfft auf die beiden, die sich in den Armen hielten. Sie blickten ebenso erschrocken zurück. Henry war so vertieft und alkoholisiert, dass er die Situation gar nicht mit bekam. Zu wichtig war jetzt das Kartenspiel. Doch dann erhob sich der Franzose aus der Normandie so plötzlich, dass der Stuhl nach hinten kippte, dann schmiss er die Karten auf den Tisch und schrie, “Sieg! Sieg! Viva la France! Bonerparte wäre Stolz auf misch! Welsch...” dann verstummte er und erblickte ebenso die beiden Offiziere und war scheinbar verwirrt aufgrund dieser Konstellation. Nur ein “Merda..” konnte er noch anhängen.
“Beim Kaiser! Was geht hier vor?!” brüllte der deutsche Offizier mit dem Franzosen im Arm. Dieser richtete ebenso barsche Worte an Henry auf französisch. Erst als die Vier anfingen zu kichern bemerkten die Offiziere ihr Dilemma. Was anderes außer mit einzustimmen in das Lachen konnten sie in ihrer Situation jetzt nicht mehr tun. Jeder wusste nun das Geheimniss des anderen. Nach minutenlangen Lachen sagte der deutsche Offizier nur, “Nun aber alle Raus hier!”

Diese Nacht blieb einen der vier Freunden für immer in Erinnerung, denn es war die letzte Gemeinsame. Drei Tage später fiel auch die Scheune dem Trommelfeuer zum Opfer. Henry erschoss während des ganzen Krieges nur einen einzigen Menschen. Volker. Wie immer hatte er ihn mit Absicht verfehlt, doch eines Tages prallte eine seiner Kugeln an den Helm eines anderen deutschen Soldaten ab und verfing sich in Volkers ungeschützen Gesicht. Henry selbst erlag einem Gasangriff der Deutschen im Graben. Hermann erfror bitterlich im zweiten Weltkrieg bei Stalingrad. Lediglich Scott blieb ein Tod dank des Krieges erspart. So konnte er diese Geschichte seinen Kindern erzählen, und die erzählen es ihren Kindern.


Nachwort:
Ich weiß, der erste Weltkrieg ist mit solcher einer Geschichte nicht zu verunglimpfen oder gar die Ernshaftigkeit herunter zu spielen. Kein Krieg ist das. Doch der Weihnachtsfrieden aus dem Jahre 1914 hat so sehr mein Herz erwärmt, dass ich mich selbst zu dieser fitkiven Erzählung überredete.

Impressum

Texte: David V.
Bildmaterialien: Monirapunzel
Tag der Veröffentlichung: 07.02.2013

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