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Könntest du morden?
Nein?

Wenn jemand dein ganzes Leben in einen Abgrund wirft,
dir alles nimmt, was du liebst,
wenn er dir deine Frau und dein Kind nimmt,
sie vergewaltigt und foltert,
sich an ihrem Schmerz labt und keine Gnade, keine Menschlichkeit zeigt.
Wenn er dich vor Gericht angrinst, dir ins Gesicht sagt, dass er es nur zum Spaß getan hat.
Wenn ihm völlig egal ist, das er nicht nur zwei Leben brutal ausgelöscht hat, sondern deines gleich mit.

Stell dir vor, du würdest ihn nach Jahren der Trauer und des Hasses auf eben diesen Menschen wiedersehen. Er hat dein Leben ruiniert, nichts kann jemals mehr werden wie es einst war.
Er erkennt auch dich, erinnert sich daran, weshalb er so lange im Knast war. Und er grinst dich an, weil ihn die Gedanken wieder erregen.

Könntest du dann morden?

Ich konnte es. Und das ist meine Geschichte.
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Chris J. Blade, 26.05.2010


Kapitel 1.
Der Tag der Justiz



Da saß ich nun.
Auf dem Selben Platz wie Jahre zuvor der Mann, dessen Leben ich ein Ende bereitet hatte.
Auf dem Stuhl des Angeklagten.

Heute sollte Justitia mich richten. Mich, einen Mann, der nichts mehr zu verlieren gehabt hatte.
Es hieß, niemand außer Gott hätte die Macht und das Recht über Leben und Tod zu entscheiden.
Ich hatte meine Rache genommen und es war mir egal, ob Gott dies akzeptierte.
Mein Leben war am Boden gewesen. Tiefer noch, am tiefsten aller Abgründe. Nichts hatte es noch lebenswert gemacht, kein Funke des Glückes wagte es auch nur in meine Nähe.
Jetzt wusste ich immerhin, wie es sich anfühlte, wenn die Rachegelüste erfüllt waren. Und ich bereute nichts.

Die Gerichtsverhandlung glich der damaligen nicht im Geringsten.
Von Anfang an hatte es Proteste dagegen gegeben. Nicht von mir. Mir war sie völlig egal.
Vor allem Frauen bejubelten mich. Mütter, Tanten und Omas, die es toll fanden, dass endlich einmal jemand das Richtige tat.
Auf kaum einem Zeitungstitelblatt war ich nicht zu sehen gewesen. „Der Rächer unserer Kinder

“ wurde ich genannt. Als Sinnbild des Vaters, der die Dinge selbst in die Hand nahm, wurde ich gefeiert.

Und nun war sämtliche Presse angetreten um der Verhandlung beizuwohnen.

Alle erhoben sich zum Startplädoyer und der Staatsanwalt begann vorzulesen.
Chris Jason Blade, geboren am neunten Mai 1971 in Köln, wird angeklagt, am siebten Dezember des Jahres 2009 einen vorsätzlichen Mord mit vorausgegangener Folterung an Richard Owolsky, geboren am dreiundzwanzigsten Januar 1963 in Krakau, begangen zu haben.
Der Angeklagte traf in einer S-Bahn auf sein Opfer und verfolgte es bis zu dessen Wohnort. Dort drang er durch ein Fenster ein, woraufhin er Owolsky überwältigte und an einen Stuhl fesselte.
In einem Zeitraum von etwa einer Stunde folterte Blade sein Opfer durch diverse Schläge in Kopf- und Brustbereich. Des Weiteren trennte er ihm Glied und Hodensack mithilfe eines Brotmessers aus Owolskys Küche vom Körper.
Daraufhin Schnitt er ihm mit demselben Messer die Kehle durch und ließ ihn verbluten.
Das Todesdatum von Owolsky wurde auf 18:34 Uhr datiert.
Gefunden wurde die Leiche zwei Stunden später durch Herrn Thomas Mayer, den Wohnpartner des Opfers.
Blade wurde noch am selben Abend als erster Tatverdächtiger in seiner Wohnung festgenommen, da Owolsky im Jahr 1998 sowohl seine Frau als auch seine Tochter vergewaltigt und auf ähnliche Weise verstümmelt und ermordet hatte, wie im heutigen Fall. Das Motiv ist Rache.
Owolsky wurde damals zu 15 Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt, wurde aber im August 2009 wegen guter Führung vorzeitig entlassen…



Ich hörte nicht zu. Ebenso wenig hatte ich vor zu sprechen.
In den letzten zwölf Jahren hatte ich sowieso nur sehr wenig gesprochen. Alles hatte sich geändert. Voll Trauer, Schmerz und Hass war ich in dieser Zeit durch die Gegend geschweift, eine leblose Hülle. Meine Rachegelüste konnte ich nicht stillen, der Schänder meiner Frau und Tochter saß sicher hinter meterdicken Mauern.
Am Anfang hatte ich gedacht, die Tatsache, dass man dieses Monster für Jahre wegsperrte, würde mich beruhigen.
Doch ich hatte mich geirrt. Es hatte rein gar nichts an der Tatsache geändert, das ich nun für immer einsam und gebrandmarkt war.
In den Jahren, die er im Knast verbrachte, alterte ich schnell. Ich verlor meinen Posten bei der Luftwaffe, wurde wegen meiner Depressivität suspendiert. Ich hatte noch mehr Zeit, nachzudenken.
Jede erste und zweite Sekunde verbrachte ich in Trauer an Frau und Kind, jede dritte in Gedanken daran, was ich mit Owolsky anstellen würde, wenn ich ihm noch einmal begegnete.

Während ich dort vor Gericht und neben meinem Anwalt saß, hielt ich den Kopf aufrecht und verzog keine Mine. Es mochte so aussehen, als wäre ich stark und würde für meine Taten gerade stehen, doch das war nur Fassade. Ich war schwach und meine Gedanken schweiften in weite Ferne, in die Zeit, in der alles begonnen hatte.


Kapitel 2.
Der Moment, in dem alles zusammenbrach



Wie vom Blitz getroffen rannte ich die Treppen zu unserer Wohnung herauf, den Tränen nahe.
Sie hatten mich im Büro angerufen. Mir die Hiobsbotschaft übermittelt.
Als Susanne und ich unsere Tochter Emily erwarteten, hatte ich mich in den militärischen Innendienst versetzen lassen um für sie da zu sein. Die beiden waren mein Leben.

Keine zehn Minuten später war ich daheim eingetroffen und an all den Polizei- und Spurensicherungsfahrzeugen und den zwei Kaffee trinkenden Polizisten vor meiner Haustüre vorbeigerannt.
Die Wohnungstür stand offen und davor lehnte Silvia an der Wand, die beste Freundin meiner Frau. Ihr stand der Schock ins Gesicht geschrieben und die Augen waren von Tränen gefüllt. Eine Polizistin stand neben ihr und stellte Fragen.
Silvia hatte die beiden gefunden. Sie wollte Susanne und die Kleine besuchen, an der Haustüre wäre sie beinahe mit einem blutverschmierten Mann zusammen gestoßen. Verwundert und verstört war sie die Treppen hinauf gegangen und hatte die offen stehende Wohnung betreten.
Als sie mich sah, kam sie einen Schritt auf mich zu. Chris…

Ich stieß sie zur Seite, rannte weiter in die Wohnung.

Schon am Durchgang vom Flur zum ersten Zimmer blieb ich wie angewurzelt stehen. Dort lagen sie, alle beide.
Es war das Kinderzimmer von Emily, nicht groß, nur ein Bett, ein Schreibtisch mit Stuhl, ein Schrank und ein Regal. Sie war gerade sieben geworden, ein hübsches und liebes Kind, dessen Augen immer neugierig waren und voller Lebensfreude strahlten.
Nun blickten sie mich leblos von ihrem Bett aus an. Sie schienen mich zu fragen, warum ich nicht für sie da war. Warum ich ihr nicht geholfen hatte.
Ihr entblößter Körper war voller Einschnitte, überall war Blut.
Ich war dem Zusammenbruch nahe, aller Lebensgeist schien mir zu entweichen. Ich spürte gar nicht, wie mich zwei Beamte stützten, als ich langsam in die Knie sank.

Auf dem Boden vor mir lag meine Frau auf dem Rücken, ihr Kopf mit dem Kastanienbraunen, leicht gewellte Haar und den wundervollen Augen, in die ich mich jedesmal aufs neue verliebt hatte, war grotesk verdreht und auf den Schrank gerichtet.
Auch sie war entblößt und an den markanten Stellen grausam verstümmelt worden. Ein fransiger Ring aus Fleisch und Blut zog sich um ihren ganzen Hals.

Das letzte was ich sah, bevor mir schwarz vor Augen wurde und die Welt um mich herum verschwand, war mein Armeemesser, dass blutverschmiert auf dem Schreibtisch lag. Ich hatte es als Andenken an meine Zeit im Ausland über dem Schlüsselbrett an der Eingangstür hängen gehabt. Jetzt war es zur Mordwaffe meiner Familie geworden.

Ich weiß nicht mehr, ob es der Schmerz über den Verlust und das Schreckliche Bild, das sich mir bot, oder die Selbstvorwürfe darüber waren, dass ich nicht für die beiden da gewesen bin, die mich letztendlich zu Boden rafften.


Kapitel 3.
Wenn er Lebenswill schwindet



Die Tage darauf waren die Hölle. Ich hatte hohes Fieber und versuchte, das geschehene zu realisieren. Das ist mir bis heute nicht gelungen.
Ständig war ich umgeben von Freunden, die mit Trost spenden, sich um mich kümmern wollten und ihr Beileid aussprachen. Das machte Susanne und Emily auch nicht mehr lebendig, am liebsten hätte ich alle fortgejagt.

Ein Psychologe der Polizei besuchte mich regelmäßig, um mir von den Ermittlungsfortschritten zu berichten. Sie hatten den Täter schnell geschnappt, anhand der DNS, der Fingerabdrücke und der Beschreibung von Silvia hatte es dabei keine Probleme gegeben.
Hass grollte in mir auf, ich war drauf und dran, den Mörder in der U-Haft zu besuchen und ihm so lange auf die Fresse zu schlagen, bis sein Körper schlaff zusammengebrochen wäre.
Doch der Psychologe konnte meine Gedanken von den Augen ablesen und hielt mich zurück, versuchte meine Wut zu dämmen. Er meinte, die Haftstrafe, die den Mann namens Owolsky erwartete, wäre eine schlimmere Strafe als der Tod.
Nach einer Weile schenkte ich ihm Glauben und suchte mir einen Anwalt, der den Schänder meiner Liebsten so lange wie möglich hinter Gitter stecken würde.

Schon bald drauf fand der Prozess statt.
Ich taumelte nur noch durchs Leben, aber mein Gang zum Gericht war stark, voller Ehrgeiz, dem Widerling eine gerechte Strafe zu verpassen.
Erstmals sah ich den Menschen persönlich, der mein Leben zerstört hatte. Er schien völlig ruhig und gelassen, hatte ein Allweltgesicht mit dunklen Haaren und Augen und wirkte ungepflegt.
Als er mich, den von Trauer und Schlaflosigkeit gezeichneten Kläger, erblickte, grinste er. Ein widerliches Grinsen von einem widerlichen Monster, das keine Reue zeigte. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich nicht zufrieden wäre, wenn dieser Mensch hinter Gittern säße. Er würde es wegstecken und sich nach der Zeit im Knast über weitere Opfer hermachen. Doch vor allem wäre es keine Strafe, die dem Tod zweier geliebten Menschen nicht gerecht werden.
Mein Körper war verkrampft, als ich auf der Klägerbank saß. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte ihn mit den bloßen Händen erwürgt. Doch stattdessen musste ich den ganzen Gerichtshergang über mich ergehen lassen und alles noch einmal genauestens mit anhören, was am Tag des Verbrechens vorgefallen war. Es war das Grauen für mich. Alleine die Tatsache, dass dieses Schwein lebte, während meine Familie tot war, brachte mich beinahe zum Zusammenbrechen.
Owolsky gestand alles, es schien ihn förmlich aufzugeilen, die ganze Geschichte noch einmal zu erzählen.

Er hatte meine Frau und meine Tochter auf dem Rückweg vom Einkaufen erblickt und war ihnen im Wagen gefolgt. Emily hatte ihm mit ihren langen, blonden Haaren gefallen. Wie ein Engel, sagte er.

Schon jetzt begannen mir Tränen der Trauer und des Hasses auf Owolsky aus den Augen zu fließen, mein Anwalt legte mir die Hand auf die Schulter.

Meine Frau hatte ihr Auto vor der Haustüre geparkt, um den Einkauf hochzutragen. Ihr Mörder hatte sie das Treppenhaus hinauf verfolgt und war ein Stockwerk höher gegangen, bis Susanne die Wohnung wieder verließ, um den Rest des Einkaufes aus dem Wagen zu holen. Diese Zeit nutzte Owolsky, um in die Wohnung einzudringen.
Emily hatte sich an ihren Schreibtisch gesetzt und sich den Hausaufgaben gewidmet, als er sich ihr langsam von hinten genähert hatte. Er schwärmte von ihrem Duft.
Dann hatte er sie gepackt und das schreiende Kind aufs Bett gedrückt, sein Körpergewicht schmiegte sich an sie und er begann, das hilflos um sich schlagende Mädchen auszuziehen.

Wimmernd saß ich da, und hörte dem Mann zu. Jegliche Kraft, die ich in mir vor dem Prozess aufgebaut hatte, verfiel ohne Wiederkehr.

Owolsky erzählte weiter, dass er gerade seine Nase tief in die Haare meiner Tochter gedrückt hatte, um den Duft aufzusaugen, als ihn ein dumpfer Schlag am Hinterkopf traf. Fast schon vorwurfsvoll erklärte er dem Richter, dass meine Frau ihn bei seiner Tat gestört hatte und deshalb sterben musste. Sie hatte über ihm gestanden und mit einem Hölzernen Gegenstand auf ihn eingeschlagen. Er überwältigte sie und brach ihr kurzerhand das Genick, woraufhin sie tot auf dem Boden zusammenbrach. So daliegend gefiel ihm diese Furie doch ganz gut und er beschloss, sich ihrer später anzunehmen.
Zunächst hatte er sich wieder meiner Tochter zugewendet, die weinend auf ihn eingetreten hatte und nun vor Schock über den Tod ihrer Mutter still schluchzend auf dem Bett saß. Er drückte sie wieder aufs Bett und begann mit seiner schrecklichen Tat, sie zu vergewaltigen.

Meine Tränen hatten inzwischen sämtliche Unterlagen und Notizen unleserlich gemacht, die ich mir hergerichtet hatte. Die Ohnmacht und die Welt der Träume schien näher als diese harte, hemmungslose Realität.

Nachdem Owolsky mit meiner Tochter fertig war, machte er sich über meine tote Frau her. Er beschrieb es als besonderen Genuss, da er noch nie Sex mit einer Toten gehabt habe. Um das ganze noch zu steigern, besorgte er sich ein Messer – mein Messer – und schnitt damit tiefe Wunden in die Geschlechts- und Brustbereiche von Susanne und Emily, woraufhin er sie ein weiteres Mal vergewaltigte. Emily war inzwischen vor Schmerzen in Ohnmacht gefallen.

Mir war schlecht, ein Brechreiz bahnte sich an. Der einzige Grund, warum ich sitzen blieb und den Reiz unterdrückte war der, dass ich Owolsky im Auge behalten wollte. Ich wollte ihn durchschauen, seine kranken Gedanken lesen, etwas Menschliches in ihm suchen, das meinen Hass besänftigen würde. Doch alles was ich sah war Leere.

Zuletzt schnitt dieses Monster meiner Frau und meiner Tochter die Kehlen auf, um sicher zu gehen, dass sie ihn nicht verpfeifen würden. Zur Feier des Tages, so sagte er, nahm er noch den Geldbeutel meiner Frau mit, um sich in seiner Stammkneipe zu betrinken.
Voller Blut an Haut und Klamotten verließ er unsere Wohnung ohne sich noch einmal umzusehen.

Mein Anwalt klopfte mir noch einmal aufmunternd auf die Schulter. Als ob das noch etwas ändern würde. Dann wendete er sich dem Angeklagten zu, um seine Fragen zu stellen.

Am Ende des Tages stand ein Gerichtsurteil fest, mit dem ich mich schon in diesen Augenblick nicht anfreunden konnte. Er sollte leiden. Leiden und sterben.
Stattdessen wurde er als nicht zurechnungsfähig erklärt und bekam 15 Jahre und 2 Monate Gefängnis unter psychologischer Betreuung mit anschießendem Sicherheitsgewahrsam. Ich wusste, dass das nichts an seiner Einstellung ändern würde. Noch verzweifelter wäre ich gewesen, wenn ich gewusst hätte, dass die Psychologen ihn nach einigen Jahren für normal erklärt hätten und er vorzeitig aus dem Knast frei gelassen würde.


Kapitel 4.
Jeder Tag ein Albtraum



Wie damals saß ich auch diesmal wieder vor Gericht, nur eben auf der Anklagebank. Mein Anwalt übernahm das Reden vollends, ich schwieg die ganze Zeit über.
Weiter dachte ich über die letzten Jahre nach, Erinnerungen keimten in mir auf.

12 lange Jahre lang tappte ich im Dunkeln. Ich verbrachte Tage und Nächte vor Fotos einer intakten Familie, die nur noch in meinen Erinnerungen existierte. Das Leben schien ohne Sinn zu sein, doch es mir einfach zu nehmen schien mir feige. Ich hatte noch ein Ziel, ich wollte Rache.
Die Bundeswehr suspendierte mich vom Dienst, ich war ein psychologisches Wrack, mit dem sie nichts mehr anfangen konnten. In all den Jahren, in denen Trauer und Hass sich in mir von Tag zu Tag steigerten, verließen mich die meisten meiner Freunde. Sie gaben mich auf, wie ich es selbst schon lange getan hatte. Nur die wenigsten wollten mich nicht alleine lassen und versuchten mich so oft wie möglich raus aus meiner kleinen Wohnung zu locken, in der ich vor mich hin vegetierte. Sie wollten, dass ich Spaß und Freude am Leben habe und etwas Schönes erlebe. Doch nichts machte mich Glücklich. Jeder noch so kleine Stein erinnerte mich an Susanne und Emily und ich verfiel wieder in depressive Trauer.
Nach zehn Jahren sah ich mit Ende dreißig aus wie fünfzig. Tiefe Falten säumten mein Gesicht und die Haare waren ungepflegt und grau. Drogen verabscheute ich dennoch, auch in dieser ausweglosen Situation wäre das Gift mir als letztes in den Sinn gekommen. Ich lebte nur von dem Nötigsten. Dabei blieb viel von dem Geld über, das ich als psychologisch kranker Arbeitsloser bekam. Ein Teil davon floss in die Pflege der Gräber, die ich mehrmals die Woche besuchte. Immerhin kam ich vor die Haustüre, meinten meine Freunde.
Den Rest spendete ich an eine Organisation, die sich um Vergewaltigungsopfer kümmerte. Es war mir wichtig, ich konnte allzugut nachvollziehen, wie es den armen Menschen ging.

So plätscherte mein Leben Tag für Tag dahin, ohne das ich wirklich lebte, bis der Moment kam, an dem ich mit einem Mal wieder völlig klar denken konnte und der Hass in mir überhand nahm. Der Mörder und Schänder, dem ich den Tod seit 12 Jahren mehr als alles andere gewünscht hatte, saß in derselben S-Bahn wie ich, die zum Friedhof fuhr.
Irgendjemand hatte mir erzählt, das Owolsky auf Bewährung aus der Haft entlassen worden war, doch damals hatte ich kaum zugehört. Doch als ich ihn mit eigenen Augen erblickte und er mich mit demselben, widerwärtigen Grinsen anstarrte, das er mir schon vor Gericht entgegengebracht hatte, grollten alle Gedanken in mir auf, wie er zu sterben hatte.
Es bedurfte keiner weiteren Planung. Ohne zu überlegen und als würde ich alten, ursprünglichen Instinkten folgen, stieg ich an derselben Haltestelle wie Owolsky aus.



Kapitel 5.
Vergeltung



Meine Augen verengten sich zu schlitzen, als ich an das letzte Wiedersehen mit Owolsky dachte. Gerade wurde sein Wohnungsgenosse ausgefragt, der vom Auffinden des Toten berichtete. Kurz widmete ich ihm meine Aufmerksamkeit. Doch keines seiner Worte musste meine Erinnerungen untermauern, alles erschien mir auch so, als wäre es gestern gewesen.

Mit ausreichend Abstand verfolgte ich den Mörder meiner Liebsten. Einige Male blickte er sich um, als würde er etwas ahnen, doch ich konnte immer schnell in der Menschenmenge untertauchen, die sich in diesem heruntergekommenen Viertel herumtrieb.
Ich versuchte mir einen Plan auszumahlen, während ich versuchte ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Doch schnell verwarf ich ihn wieder und beschloss, zu improvisieren. Nur das Ziel des Ganzen lag absolut klar auf der Hand. Dieses Monster musste sterben.

Es war ein längerer Fußmarsch, scheinbar war Owolsky nicht in nächster Nähe seiner Wohnung ausgestiegen. Stattdessen, so bemerkte ich, genoss er den Spaziergang durch die Menschen auf seine ganz eigene Art. Jedes Mädchen, das ihm über den Weg lief, betrachtete er mit interessiertem Blick.
Und die Psychologen hatten behauptet, er wäre „geheilt“! Diese Menschen heilten nie!
Meinem Vorhaben sicherer denn je folgte ich ihm weiter, scheinbar hatte er an keinem Kind Gefallen gefunden. Erst, als er ein heruntergekommenes Gebäude betrat, wusste ich, das wir am Ziel der Reise angekommen waren. Am Ort seines Todes.
Ich wartete noch einen Moment, bis im ersten Stock des alten Wohnhauses ein Licht angemacht wurde und auf die dämmernde Straße fiel. Zu meinem Glück stand das Fenster sogar offen.
Ohne lange zu zögern benutzte ich einen Müllcontainer dazu, in alter Bundeswehrmanier durch das Fenster in die kleine Wohnung einzudringen.
Angewidert hatte ich festgestellt, dass es hier schrecklich roch. Alles war ungepflegt. Für einen kurzen Augenblick erinnerte mich das ganze an meine Wohnung und mein Auftreten in den letzten Jahren. Doch ich verwarf den Gedanken. Ab heute würde ich wieder besser leben können, wenn mein Rachedurst endlich gestillt und der Tod von Susanne und Emily gerecht worden war.

Das Menschenleere Zimmer war spartanisch eingerichtet, und ich bewegte mich nicht, um einem möglichen Geräusch zu lauschen.
Da war es, schnell glitt ich in den nächsten Raum, in dem Owolsky gerade fluchend vor einer Mikrowelle stand. Ich ballte die Fäuste, war in einem Schritt bei ihm und schrie ihm ein Schimpfwort entgegen, ehe ich ihm Sekundenbruchteile später meine Faust ins Gesicht krachen ließ.

Als er wieder zu sich kam, saß er völlig nackt und an Händen und Füßen mit schmutzigen Küchenlumpen gefesselt auf einem Stuhl. Der Spüllappen steckte tief in seinem Mund.
Ich wollte nicht hören, was er zu sagen hatte. Mir war inzwischen egal, warum er mein Leben zerstört hat. Ich wollte ihn nur Leiden lassen und meine Rache genießen, auf das endlich wieder alles im Gleichgewicht wäre. Mir war bewusst, dass sein Tod mir niemanden mehr zurück bringen konnte. Aber ich würde wieder ruhig schlafen können. Das erste Mal, nach fast 13 Jahren!

Owolsky kam blinzelnd zu sich, ehe er sich seiner Lage bewusst wurde und mich mit einem Anflug von Panik auf dem gleichgültigen Gesicht anstarrte. Sein widerliches Lächeln würde nie wieder zum Vorschein kommen.
Morgen, Arschloch.

Wieder schlug ich ihm ins Gesicht. Doch diesmal, ohne ihn auszuknocken. Ich beleidigte ihn und ließ allen Frust und Hass ab, den ich in all den Jahren angesammelt hatte. Jedem Wort folgte ein Schlag in Gesicht oder Brust, der ihm die Luft aus den Lungen trieb.
Nach einer guten Stunde schwitzte ich wie ein Tier und lächelte das erste Mal seit Jahren wieder. Ich fühlte mich frei.
Der Kinderschänder vor mir sah aus wie ein Boxer, der ordentlich Schläge hatte einstecken müssen. Überall grüne und blaue Flecken, blutige Wunden und Ergüsse. Mit letzter Kraft schien er sich bei Bewusstsein zu halten.
Ich verließ ihn kurz und kehrte mit einem Brotmesser in sein Sichtfeld zurück. Dann hielt ich es dicht vor seine Nase und betonte jedes meiner Wörter mit einem leichten Messerschwung in seine Richtung.
Das ist für Susanne!

Das Messer rauschte nieder, auf seine Beine zu. Mit der anderen Hand zog ich sein Geschlechtsteil hervor und ließ die Klinge durch seinen Hodensack gleiten. Sein Inhalt und ein ausgefranstes, blutiges Hautstück fielen klatschend zu Boden. Owolskys Schreie durchklangen den Raum durch den Knebel hindurch. Dann fiel er wieder in Ohnmacht.

Ein Glas Wasser brachte das schmerzverzerrte Gesicht wieder in Bewegung. Ich wartete nicht lange.
Das ist für Emily!

Wieder rauschte das Messer nieder, diesmal trennte es das gesamte Geschlechtsteil vom Körper ab. Eine Blutfontäne schoss zwischen seinen Beinen hervor und ich ging angewidert in Deckung.
Owolsky regte sich nicht mehr. Dennoch beugte ich mich seitlich an seinen Kopf heran und flüsterte ihm ins Ohr.
Und das ist für mich! Du nahmst mein Leben, ich nehme deins!

Damit drückte ich das Messer dicht an seine Kehle und beendete alles mit einem festen Zug.
Daraufhin verließ ich die Wohnung auf demselben Weg, wie ich sie betreten hatte.

Ohne Pause lief ich den ganzen Weg bis nach Hause, eine neu gewonnene Kraft schien mich anzutreiben. Und ich lächelte, ich war frei.
Susanne und Emily brachte die Aktion nicht zurück, doch ihr Tod war nun gerecht und ich wusste, dass ich endlich wieder ruhig schlafen könnte, da die beiden endlich ihren Frieden gefunden hatten.

Ich beschloss, einen Neuanfang zu machen und meine Freiheit wieder zu genießen.
Das begann damit, dass ich das erste mal seit langem wieder ausgiebig duschte und daraufhin begann, meine kleine Wohnung aufzuräumen. Bilder meiner Liebsten bekamen Ehrenplätze, nie würde ich sie vergessen. Aber endlich könnte ich wieder leben.
Meine neu gewonnene Freiheit währte nicht lange, noch in derselben Nacht stand die Polizei vor meiner Tür. Ohne mich zu wehren lächelte ich, als sie mich fest nahmen und abführten. Die Beamten sahen sich verwundert an, sie konnten nicht ahnen, dass eine jahrelange Last von meinen Schultern abgefallen war. Kein Gitter und keine Mauer dieser Welt könnte mir dieses Glücksgefühl nehmen.


Ich spürte das Klopfen auf meiner Schulter, das von meinem Anwalt kam.
… Angeklagte hat das letzte Wort.

Vernahm ich noch, als würde es von weit her kommen.
Dann sah ich mich um und bemerkte, dass alle Teilnehmer der Gerichtsverhandlung mich fragend anstarrten.
Kurz dachte ich darüber nach, doch noch irgendetwas zum Thema Kindervergewaltigung zu sagen, doch dann senkte ich wieder den Kopf und lächelte sanft, während die Richter sich zur Urteilsfindung zurückzogen.
Alles war okay.


Und wer der Kleinen einen ärgert, die an mich glauben, dem wäre es besser, daß ihm ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ins Meer geworfen würde.


Jesus Christus (Markus 9,42)

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Tag der Veröffentlichung: 08.06.2010

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