Als Christopher am Nachmittag anrief, um zu sa-gen, dass er länger in Flensburg bleiben musste und ob Sven seinen Termin mit der Kinokette überneh-men könnte, hatte ihm das zunächst nicht in den Kram gepasst. Er stand kurz vor der Vollendung der Pläne für ein neues Bürohaus. Diese fertig zu haben, gab ihm drei oder vier Tage Luft. Zeit für seine Familie, auf die er sich schon gefreut hatte. Andererseits konnte er, wenn er erst noch ins Büro fuhr, den ersten Teil dieser Pläne schon ausdrucken lassen und die Erstellung der Präsentation besprechen, so dass er nicht wirklich Zeit verlor. Also sagte er, er würde es tun.
„Fein, dann muss ich sie nicht vertrösten. Fairerweise muss ich dir sagen, dass sich das Treffen hinziehen kann. Die Jungs finden immer schwer ein Ende. Richte dich besser darauf ein, nicht mehr nach Hause zu fahren. Und iss vorher was Fettes, sie saufen dich sonst im Handumdrehen unter den Tisch. Noch ein Grund, in Kiel zu bleiben, Alter. Wenn sie mit unseren Vorschlägen zufrieden sind, könnten wir leicht auch die anderen Kinos an der Küste kriegen. Die Unterlagen findest du in meinem Büro. Viel Glück, und wir sehen uns nächste Woche! Ich muss wieder rein.“
Sven packte rasch zusammen, was er für sein Bürohausprojekt und die Nacht brauchte. Als er im
‚Glashaus‟ anrief, war dort besetzt. Also schrieb er rasch einen Zettel. Er würde Julia später anrufen. Dass er nicht mehr dazu kam, lag an dem leichten Chaos, das im Büro herrschte – das fast jedes Mal ausbrach, wenn er sich blicken ließ. Keiner wollte die Gelegenheit verpassen, ihm persönlich Bericht zu erstatten, Fragen zu stellen, Vorschläge zu machen. Mit knapper Not schaffte er es, sich Christophers Pläne anzusehen, bevor er zu dem Termin aufbrach. Auf dem Weg zum Lift traf er Monika.
„Svennie – was machst du heute hier?“ rief sie überrascht. „Wie geht es deinem Sohn?“ Sie fragte immer nur nach Daniel, nie nach Julia.
Er sagte, er habe keine Zeit, sich zu unterhalten, weil bereits sein Taxi nach Schützendorf unten wartete.
„Dann ist Christopher doch nicht zurück und du gehst für ihn zu den Kinofritzen? Fein, dann nichts wie los. Ich begleite dich. War so abgemacht, dass wir als Paar auftreten.“ Sie hängte sich bei ihm ein. „Christopher und ich, natürlich. Schau nicht so.“
„Davon hat er mir gar nichts gesagt.“ Das hatte ihm gerade noch gefehlt!
„Macht das einen Unterschied? Hättest du uns hängen lassen, wenn er es gesagt hätte?“
„Quatsch. Ich wollte damit nur sagen, dass ich nicht wusste, dass du mitkommst.“
„Ich bin nur das Alibi. Die Jungs kommen gern auf die Idee, eine erfolgreiche Besprechung im nächsten Edelpuff zu beschließen. Deshalb hat Christopher mich gebeten, ihn zu begleiten.“
„Mich hat er vor exzessivem Alkoholgenuss gewarnt. Das andere hätte er ruhig auch verraten
können. Glaubt er vielleicht, ich hätte Interesse an solchen Spielereien? Oder denkt er, mir würde eher eine Ausrede einfallen als ihm?“
„Hast du keinen Nachholbedarf? Daniel ist jetzt – drei, nein vier Monate, nicht? Dein Sexleben norma-lisiert sich offenbar wieder.“
„Ich bin immer noch der Meinung, dass dich mein Sexleben nichts angeht, Monika. Frag ich dich vielleicht?“
„Tu es; ich werde dir ehrlich antworten.“
„Es interessiert mich aber nicht.“ Inzwischen standen sie vor dem Taxi. „Wenn ich es mir recht überlege, ist es auch überflüssig, dass du mich begleitest. Bei Christopher magst du ja deine Alibi-funktion erfüllen – bei mir sicher nicht. Mir fällt schon was ein.“
„Oh, ich kann durchaus so tun, als sei ich deine Frau.“ Bevor Sven reagieren konnte, saß Monika schon im Taxi, so dass ihm nichts anderes übrig blieb, als ebenfalls einzusteigen.
„Das lass getrost meine Sorge sein, Svennie. Ich hab mich schon so auf den Abend gefreut. Jetzt noch mehr. Endlich unternehmen wir beide wieder etwas zusammen.“
„Punkt eins: ich möchte nicht, dass du so tust, als wärst du meine Frau. Punkt zwei: ich will auch nicht, dass du den Eindruck erweckst, wir wären in irgendeiner Form – also über die Geschäftsbeziehung hinaus – du weißt genau, was ich meine.“
„Du fehlst mir immer noch, Svennie.“ Monika leg-te ihre perfekt manikürte Hand auf seinen Oberschenkel.
„Lass das, Monika. Nimm deine Hände von mir. Und hör bitte auf, mich ‚Svennie‟ zu nennen. Du weißt, dass ich das nicht mag. Vor allem nicht während des Termins.“
„Das brauchst du mir nicht extra zu sagen. Es gab eine Zeit ...“
„Das ist lange her“, unterbrach er sie mit zusammengebissenen Zähnen und sah sie von der Seite an.
„Leider wahr. Denkst du manchmal daran? Ich erinnere mich gern an gewisse Dinge. Den Whirlpool, diesen Hängesessel auf deinem Balkon, vor allem aber den Tag auf dem Segelboot.“ Monika warf ihm einen lasziven Blick zu und wie unabsichtlich ließ sie ihre Hand über seinen Schritt gleiten, als sie seiner Aufforderung, ihre Hände von ihm zu lassen, endlich nachkam.
„Sicher hast du in der Zwischenzeit jemand anderen gefunden, der mit dir segeln geht.“ Musste sie ihn unbedingt daran erinnern? Ausgerechnet daran?
„Ich bin sehr wählerisch, wie du weißt. Christopher könnte mich rund um die Uhr beschatten lassen – ohne auch nur den Hauch eines ungebührlichen Verhaltens meinerseits nachweisen zu können.“
„Das ist schön für ihn. Bleib dabei. Etwas anderes hat er nicht verdient. – Stellen sie mir bitte einen Beleg aus“, wandte er sich dann an den Taxifahrer.
Tatsächlich flossen Cocktails und Champagner reichlich, und Sven konnte sich kaum dagegen verwahren, dass sein Glas immer wieder nachgefüllt oder ausgetauscht wurde, kaum dass er es halb
geleert hatte. Schließlich boten ihnen die beiden Kinobesitzer nach Abschluss der Verhandlungen tatsächlich den Besuch eines Etablissements an, das auch etwas für ‚anspruchsvolle Damen‟ zu bieten hätte.
„Kann auch eine funktionierende Beziehung ungeheuer aufpeppen – von jeder anderen ganz zu schweigen. Ist absolut sicher. Sonst würden wir nicht hingehen“, sagten sie. „Sie wissen ja selbst sehr gut, dass Qualität ihren Preis hat. Das ist ein Bonus, der nicht durch die Bücher geht – weder durch Ihre, noch durch unsere.“
„Danke“, sagte Sven höflich, „wir wissen Ihr Angebot durchaus zu schätzen. Vielleicht kommen wir ein andermal darauf zurück. Noch sind die Verträge nicht rechtskräftig. Ich hätte kein gutes Gefühl dabei, schon jetzt einen Bonus in Anspruch zu nehmen.“
„Machen sie sich deswegen keine Gedanken. Unsere Anwälte sind fixe Jungs. Ich sagte doch, unser kleines Arrangement wird nirgends auftauchen. Was sagen Sie, Madame?“
„Ein leider sehr ungünstiger Zeitpunkt“, sagte Monika bedauernd. Tatsächlich hatte sie anderes im Sinn. Leicht beschwipst wie Sven war, sollte es ihr ein Leichtes sein, ihn endlich dahin zu bringen, wo sie ihn schon so lange haben wollte. Reagierte er nicht schon auf die eine oder andere Anspielung, die nur sie beide verstanden?
„Dann machen Sie uns wenigstens die Freude, mit uns im Rolls in die Stadt zurück zu fahren. Wir können Sie ohne größeren Umweg absetzen, kom-men sowieso am Park vorbei.“
Sven hatte im Verlauf des Abends erwähnt, dass er eine Wohnung dort hatte. Nun wünschte er, auch das verschwiegen zu haben, denn das Angebot ließ sich nicht so leicht ablehnen.
„Sagen Sie unserem Chauffeur, zu welcher Seite des Parks er fahren soll. Und Lars, geben Sie Herrn Borg gleich Ihre Karte. Vielleicht werden er und Madame Ihre Dienste demnächst doch in Anspruch nehmen. – Wir lassen Lars jeweils die Vereinbarungen treffen. Er ist viel mehr als nur unser Chauffeur. Sie können sich bedenkenlos auf seine Diskretion verlassen.“
Lars. Sven sah nicht den diskreten Chauffeur, der ihm lächelnd – anzüglich lächelnd, wie es ihm vorkam – seine Karte überreichte; er sah einen anderen Lars, der vielleicht auch mehr war als ein Freund. Einen Lars, der Julia in den Armen hielt, der seine Frau küsste, während er ihm versicherte, sein Freund zu sein. Ob es beim Küssen blieb? Ob sie wirklich nur harmlose Gespräche führten, wenn er nicht zu Hause war, wie er es die ganze Zeit geglaubt hatte; vorausgesetzt hatte, dass von Lars keine Gefahr drohte, dass Julia niemals mit einem anderen ... Genau, wie er es jahrelang mit Christopher getan hatte, wenn er dessen Frau noch überdeutlich in Erinnerung hatte. Die nicht einmal gesagt hatte, dass sie ihn immer lieben würde. ‚Zu viele Cocktails, Sven, da ist nichts, rede dir nichts ein‟, versuchte er, diese destruktiven Gedanken von sich zu weisen. Dennoch war er sich plötzlich fast zu sehr der Frau bewusst, die auf Tuchfühlung neben ihm saß.
Tag der Veröffentlichung: 08.11.2010
Alle Rechte vorbehalten