Die Arme der Armen oder
viele Arme machen den Reichen reich
Sie bewegen sich, sie arbeiten, diese Arme; aber es bringt ihnen nichts. Denn sie sind den Armen gewachsen.
Im Uterus kommen Ei und Samenzelle zusammen und beginnen ihren wunderbaren Lebenstanz.
Das Wesen, das entsteht, hat alle Möglichkeiten in sich, aber bei weitem nicht alle Möglichkeiten vor sich. Das Schicksal, der Zufall: Sie halten für dieses Wesen die große Unterscheidung parat: Wird es in Armut hineingeboren oder liegt es in der goldenen Wiege?
Auch der Reiche hat zwei Arme. Er muss sie aber kaum noch nutzen, er faltet die Hände. Er arbeitet mit dem Kopf, mit seinem Hirn, das sich zu einem gigantischen Rechner spezialisiert hat. Die Moral in seinem Frontalhirn ist längst ausgehungert und vertrocknet.
Damit sich seine Investitionen – ob materiell oder ausbeuterisch – rechnen, müssen viele arme Arme arbeiten. Und damit sie am Arbeiten gehalten werden können, müssen diese Armen arm gehalten werden.
Es ist im Kleinen wie im Großen.
Wir haben eine erste und eine zweite - auf jeden Fall aber eine dritte Welt. Damit die Menschen in der ersten und der zweiten Welt ihren Wohlstand und ihr Wachstum halten können, muss die dritte Welt auf alles verzichten. Sie darf die Rohstoffe liefern, auch den Rohstoff ‚Mensch’. Krankheit, Tod, Analphabetismus, Krieg und Mord werden bewusst in Kauf genommen, ja sogar angestiftet und geschürt. Der Waffenhandel spült Geld in die Kassen der Reichen und hält in ihren Ländern die Konjunktur aufrecht und am Laufen.
In den vergangenen Jahrhunderten (und übrigens auch noch heute, denn sie sind noch nicht gestorben) wurde von Seiten der Kirchen hingebungsvoll missioniert in den armen Ländern dieser Welt. Hier werden die Versprechungen noch geglaubt, die von einem Paradies erzählen, Hauptsache es ist himmlisch und auf Erden unerreichbar. Das Delirium aus Hunger wird mit Heilsversprechen getriggert. Auf Erden ändert sich nichts.
Heute marodieren immer mehr Rebellenbanden durch diese Lande. Auch sie folgen einem Weg in’s Paradies, in dem siebzig Jungfrauen ihrer warten.
Ein Zufall?
Nun gibt es in den reichen Ländern so etwas wie ‚Entwicklungshilfe’, sogar ein Ministerium ist – brillant besetzt – dafür eingerichtet.
Betrachtet man wachen Auges die Zusammensetzung der Delegationen bei Auslandsbesuchen, so fallen die Horden und Herden von Wirtschaftsvertretern auf, die sich sogleich des besuchten Landes annehmen, um sich Rohstoffe unter den Nagel zu reissen oder aber ihre Produkte an den Mann zu bringen. Potentaten werden bestochen, ihre Expertise im Unterdrücken wird mit Freuden unterstützt. Am letzten Abend sitzen sie beim Mahl: der Diktator mit Sonnenbrille und Leopordenhütchen und die krawattengewürgten Herren im feinen Zwirn; manchmal ist eine Dame unter ihnen, auf drei Löchern zugeknöpft.
(Ach ja: die Quote.)
Europaweit, europanah
In Europa, in unser aller Lebensraum, gibt es Länder, in denen mit dem Geld ihrer Bürger so umgegangen wurde, dass es in der Sonne hinweggeschmolzen ist. Die Mühe zu untersuchen, in welchen Taschen es gelandet ist, kann sich keiner mehr leisten.
Hierzulande brennt die Sonne nicht so stark vom Himmel; das Geld ist zwar genauso verschwunden, aber eben nicht so spektakulär. Die Schmelze ist uns allen allgegenwärtig.
Die Jugend der Pleiteländer muss die Zeche der Alten – der alten Regierenden - bezahlen. Es herrscht unter der Jugend Arbeitslosigkeit, in manchen Ländern bis zu 50 %. Die Jugend ist dort gut ausgebildet, hat aber keine Perspektive. Das bedeutet: Man hat in Bildung investiert und es rechnet sich nicht. Nicht für den Staat und nicht für das junge Individuum.
Es wächst – mitten im Wohlstandsgebiet – eine prekäre Jugend heran, die keine Chance auf ein würdiges Leben und vernünftige Arbeit hat. Es ist ein Zeichen für Blindheit: Man sieht, dass dies Niemanden wirklich beschäftigt.
Die Jugend ist unsere Zukunft. Nicht nur in Heller und Pfennig (oder heute: in Euro und Cent), aber auch. Diese jungen Menschen werden uns mit Fug und Recht den Vorwurf machen, dass wir ihr Leben vermasselt und verschleudert haben.
Kein Land kann sich eine wütende Jugend leisten. Oder haben wir es genau darauf angelegt?
In den 60er Jahren wurde viel von Revolution schwadroniert; jetzt sind die Diskutierer an der Macht und haben der folgenden Generation verbrannte Erde hinterlassen.
Das schnelle Geld hat alles verkohlt. Es hat sich emanzipiert, sozusagen: von wirtschaftlichen Werten unabhängig gemacht; es agiert menschenverachtend in seinem eigenen, selbstgeschaffenen Universum, das von Keinem mehr kontrollierbar ist. Es ist zum Selbstzweck geworden.
Die Jugend und ihre Möglichkeiten wird diesem Moloch geopfert. Das kann nicht gut gehen. Es wird keine sanfte Revolution sein, und wir werden alle am Kragen gepackt und am Hintern aufgeknüpft werden.
Texte: Copyright bei der Autorin
Bildmaterialien: Cover Annegret Pohlmann
Tag der Veröffentlichung: 26.10.2012
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