Schlaf liegt bleiern auf der Erde.
Das dunkle Tuch der Nacht hat sich über alles gebreitet; verhüllt Schönes und Hässliches gleichermaßen.
Am Firmament ist alles Licht geronnen, die kalten Sterne schweben unerreichbar weit,
Wolken schieben sich gespenstisch über den Himmelsbogen, genährt von Nebelschwaden.
Schwere Träume winden sich durch die samtene Stille, Schreie erstarren in den Kehlen.
Dampfend und schwer stöhnen die Schläfer und wälzen sich.
Liebende retten ihre Träume in den Schlaf, wo sie tropische Blüten treiben. Ihr Duft bleibt hinter den geschlossenen Lidern gefangen. Schnell rotierende Augen entkommen dem Wohlgefallen und können sich vom Zauber befreien.
Unter der Erde, im Geheimen, windet sich Gewürm um Wurzelballen, die sich in ihr Lebenselixier verkrallen. Hier ist Tag und Nacht gleich, Sommer wie Winter. Hier ist der Hort der Kraft, des Werdens und Vergehens. Hier entsteht, hier stirbt und wandelt sich alles. Die Ernährerin gibt Halt. Wir alle sind ihre Kinder.
Der Mond ist aufgegangen.
Noch hält er sich in der Erde fest; allnächtlich wiederholt er seine Geburt, das Herausschleudern aus dem Mutterplaneten.
Ein Kind schaut ihm zu. Das Kind ist noch nicht lange auf Erden. Es ist noch nah bei ihr. Seine Augen sind frisch und werden von allem Wunderbaren angezogen; seine Gehirnwindungen haben sich noch nicht schwer auf die Sehstränge gelegt, das Diktat der Vernunft kann ihm noch nichts anhaben.
Ein Erwachsener sieht dem Kind bei seinem Erstaunen zu.
Leise klingt in seiner Seele die Erinnerung an, die Harfenklänge entschwinden in der Ferne der Himmelskuppel. Lärm kommt auf, Maschinenstampfen, das Geräusch von Fertigungsstraßen, das Tosen des Straßenverkehrs. Das Wunder der Technik.
Er wird gewahr, dass in seinem Denken die Technik alle anderen Wunder unter sich begraben hat. Er sieht nur noch durch Schlitze. Seine Pupillen sind klein und starr. Seine Augen glänzen nicht mehr, seine Tränen sind versiegt, die Träume führen ein Schattendasein.
Die Traurigkeit läßt seine Augen wandern. Er schaut in den ewigen Himmel, in’s Dunkel.
Der Mond ist aufgegangen.
Er schwimmt, von Wolken geschaukelt, durch die samtene Nacht. Bleich beleuchtet er Gerippe von Industrieanlagen, spiegelt sich in den Gleisen und nassen Straßen, beträufelt Nebelwiesen und versinkt im schwarzen Wald.
Er nimmt die Angst mit sich, die er aus jeder Ritze gezogen hat mit seiner Magie.
Die Nacht hat alle Konturen aufgelöst und überlässt die Welt der alten Schwingung. Wir haben wieder Boden unter den Füßen. Den Boden des Lebens.
Texte: Copyright bei der Autorin
Bildmaterialien: Coverfoto: Mario Fuß
Tag der Veröffentlichung: 04.11.2011
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