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Interpunktion der Liebe

Zuerst wenige Ausrufezeichen; dann kommt nach vielen Fragezeichen in der Liebe der Punkt, wo man mit Semi-Kolons vorlieb nehmen muss.

Der Verlust des „Du

„Gehen wir heute vormittag einkaufen – heute abend kommen doch unsere Freunde.“

 

„Wie?“

 

„Ja, habe ich dir doch vor fünf Tagen erzählt.“

 

„Ach.“

 

„Also, gehen wir.“

 

„Haben wir alles Benötigte auf dem Zettel?“

 

„Den Einkaufszettel habe ich geschrieben.“

 

„Ja.“

 

*

 

Abends sitzen sie mit den Freunden am Tisch.

 

„Also, ich habe jetzt doch eine Solaranlage für das Haus bestellt.“

 

„Du? Ich hatte die Idee – es war nicht einfach, dich davon zu überzeugen.Und dann haben wir sie endlich bestellt.“

Küsse

„Die Küsse werden mit der Zeit immer kürzer. Früher gab es lange Küsse, so wie bei den Beiden, die da auf der Brücke stehen.“

 

„Früher. Es ist ja auch viel Wasser die Donau hinuntergelaufen.“

Fata Morgana

„Ich glaube, ich habe meine Fata Morgana verlegt. Ich kann  sie nicht mehr finden. Hast du sie vielleicht gesehen?“

 

„Du immer mit deiner Schusseligkeit!“

 

„Tut mir ja leid. Ich vermisse sie so.“

 

„Ja, ich habe sie gesehen. Guck mal nach, dort drüben liegt sie, bretterlbreit.“

 

„Wenn ich dich nicht hätte….!“

 

„Jaja, da wärest du verloren…“

 

Schmatz, schmatz. „Du bist doch der Beste, der Größte, der Einzige.“

 

„Darf ich mir dafür etwas wünschen?“

 

„Aber klar.“

 

„Also: Ich möchte mit meinen Skatkumpels zum Champions-League-Spiel nach Barcelona fliegen.“

 

„Ich frage nicht, was das wieder kostet.“

 

„Darf ich oder darf ich nicht?“

 

„Jaaaaa.“

 

„Also, geht doch.“

 

„Hm.“

 

....

 

„Wo liegt jetzt meine Fata Morgana?“

 

„Na, da auf dem Tisch.“

 

„Da liegt nichts.“

 

„Setz die Brille auf, wenn du nichts siehst.“

 

„Ich habe die Brille auf; es liegt nichts auf dem Tisch, auch nicht die Fata Morgana.“

 

„Stimmt, ich sehe sie auch nicht mehr. Sie war aber vorhin da, das schwöre ich. Dein ewiger Aufräumfimmel!“

 

„Also, nichts Champions-League.“

Sie

Der alte Herr war in der letzten Zeit richtig rammdösig geworden; seine Vergesslichkeit war zwar schon seit vielen Jahren sprichwörtlich, aber er schien nun immer mehr in die Vergangenheit zurückzugehen – in seinen Erzählungen und Erinnerungen, aber auch körperlich und in seinen Gewohnheiten und seiner Hilfsbedürftigkeit.

 

Seine Frau, die die Herausforderung, ‚zusammen alt zu werden‘, mit Humor und wenigen heimlich zerdrückten Tränen gemeistert hatte, war immer an seiner Seite, heute mehr denn je.

 

Sie sieht ihn an. „Woran denkst du? Du schaust so glücklich aus!“

 

„Ich denke an meine große Liebe.“

 

„So?“

 

„Sie ist schon lange aus meinen Gedanken verschwunden, wer weiß, wohin. Jetzt schaut sie wieder um die Ecke.“

 

„Erzähle.“

 

„Sie war ein wunderschönes Mädchen, so zart und gleichzeitig stark. Sie hatte zwei blitzende blaue Augen, manchmal voller Schalk, manchmal abgründig wie die See. Sie hatte eine Stimme, so sanft wie ein Lufthauch, so fest wie der Fels, der vom Wind geschliffen wird. Sie hatte weiche Wangen und eine stolze Stirn.  Sie hatte Haare, schwarz wie Ebenholz, die glänzten wie Seide. Sie konnte lachen wie ein gluckerndes Bächlein.

 

Sie hatte Mut, genau wie du.“

Ohne Worte

Worte fliegen hin und her, wie Federn, wie Bälle. Sie sind ein Hauch, verheißen Glück; sie können aber auch schwer werden wie Blei, scharf wie Messerspitzen, hart wie ein Hammer.

Das junge Liebespaar hat der Worte nicht genug; sie reichen nicht aus, um das Gefühl und die Sehnsucht zu beschreiben, der Hoffnung Ausdruck zu geben. Das Herz legt sie auf die Zungenspitze, sie fliegen auf und davon. Beide erfinden neue Worte, die so alt sind wie die Menschheit.

Das Brautpaar steckt mit Worten den Horizont der neuen Lebensphase ab. Der Inhalt ihrer Kommunikation wird praktischer. Auseinandersetzungen sind notwendig, Streit-Worte werden geschliffen, Worte der Versöhnung hervorgewürgt. Reue und so manches Eingeständnis kleiden sich in Worte.

Das alte Ehepaar sitzt im Glück, miteinander zu sein, am Tisch. Beide ohne Worte und im Gleichschlag ihrer Herzen. Es ist alles gesprochen.

Am Anfang war das Wort.

Der Rest ist Schweigen.

Impressum

Texte: Copyright bei der AutorinTitelbild: Auszug aus "Der Garten der Lüste" von Hieronymus Bosch
Tag der Veröffentlichung: 09.03.2011

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