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Katastrophen


Warum siedeln sich Menschen immer wieder und wiederholt am Fuße von aktiven Vulkanen an oder bauen Großstädte auf den Rändern auseinanderdriftender Festlandsschelfs oder über Stellen, unter denen sich zwei Erdplatten aufeinanderschieben und regelmäßig die Erde beben lassen? 

Ist es die Herausforderung an die technischen Möglichkeiten, der Anstoß zur Entwicklung immer raffinierterer Kompensationsmechanismen, deren Produkte dann den Härtetest machen sollen?

Haben die Menschen nicht schon selbst genügend Orte geschaffen, an denen das Leben in Gefahr ist?
Gerodete Wälder erleichtern Erdabgänge und Schlammverschüttung, heruntergewirtschaftete Alpenlandschaften erhöhen die Gefahr von Lawinen, begradigte Flüsse rufen alljährlich Überschwemmungen hervor, Massenansiedlungen an Tourismusstränden könnten mit Tsunami-Adventure locken, Slums ohne Hygiene sorgen für hohe Sterblichkeit, Bürgerkriege und marodierende Privatheere jagen ganze Völker in die Flucht und in den Jammer.

Der Mensch sucht die Herausforderung. Sie ist das Ferment, das die Entwicklung weitertreibt. Und wenn die Gefahr aus etwas Größerem als ihm selbst kommt, ist sein Antrieb umso mächtiger.

Trotzdem ist die Frage erlaubt, warum er seine Kreativität nicht dafür einsetzt, unter seinesgleichen gerechtere Bedingungen zu etablieren, Ausbeutung abzuschaffen, jedem seine Chance für ein menschenwürdiges Leben zu geben.

Sollte die Erklärung hierfür sein, daß er dann kritisch mit den Anderen und vor allem selbstkritisch mit sich selbst umgehen, Mut entwickeln und der Wahrheit ins Gesicht sehen müßte, um ihr dann in einem täglichen Klein-Klein-Kampf zum Durchbruch zu verhelfen? Im Grunde einfache Verbesserungsvorschläge, die nichts kosten; die zehn Gebote könnten das Drehbuch dafür sein, das Manual, die Bedienungsanleitung.

Warum werden sie nicht in Betracht gezogen? Warum sind sie nichts wert? Weil sie nichts kosten? Weil wir dafür keinen Kaufvertrag mit Gewährleistung abschließen können und vielleicht die gewohnten zwei Jahre Garantie vermessen sind?

Viele Fragen. Die ersten Schritte sind klein. Die ersten Antworten einfach.

 

 

 

 

 

 




Wachstum

Wir sollen also bloß nicht im Gleichgewicht dümpeln, uns in Frieden unseres Lebens freuen, Yin und Yang werden abgeschafft.

Haie, Heuschrecken, Schlangengruben sollen weiterhin unser Schicksal sein, Streß und Druck uns von innen her aushöhlen: Jeden Tag müssen wir mit ansehen, wie Mitglieder unserer neuen Regierung im Strudel nach einem Rettungsring greifen: Wachstum

.„Ich bin nach wie vor uneingeschränkt der Meinung: Wir brauchen Wachstum, ohne Wachstum können wir die Krise nicht überwinden.“

Wachstum, ein Schlagwort, ein schlagendes Argument?

Ein glattes Wort, nicht griffig, da nicht spezifiziert, nicht in Werte verpackt, ein Allerweltswort.

Dabei gibt es schon, wenn man richtig hinsieht, Wachstum, überschießendes Wachstum: bei Staatsschulden und damit der Belastung der Steuerzahler, bei Krankenkassenbeiträgen, Medikamenten, Energiekosten, Benzinpreisen, die den Steuersäckel füllen, bei faulen Krediten und Wertpapieren ohne Wert.

Die Weltbevölkerung wächst, der Fremdenhaß wächst, die rechte Szene wächst, die Jugendkriminalität wächst, die Anzahl der Übergewichtigen, der chronisch Kranken in unserer Gesellschaft wächst, die Anzahl der Arbeitslosen auch.

Also!

Was im Wunschdenken unserer politischen Elite wachsen soll, sind die Märkte; wir wollen alle mit unseren spätkapitalistischen Segnungen beglücken, man könnte aber auch anders sagen: Wir wollen die Menschen in den „rückständigen Weltgegenden“ zu Konsumenten unserer mitnichten glücklichmachenden Produkte umerziehen. Wir wollen sie umdrehen, ihre Bedürfnisse manipulieren, wollen unsere Finger in ihren schäbigen Geldbeuteln stecken. 

Mit Fug und Recht erhebt sich die Frage: Warum helfen wir ihnen denn nicht dabei, mit ihren wirklichen Schwierigkeiten fertigzuwerden, die ihnen den Hals abdrehen: Hunger und Armut?

Sie haben kein Problem aus der Sphäre des Luxus, das man sich mit Werbung gewinnbringend zueigen machen könnte. Noch unanständiger ist es, bei ihnen wie in einer Petrischale unsere Probleme künstlich anzuzüchten, sie mit unserer Gier zu infizieren, nur damit wir mit dieser Krebsgeschwulst, die bei uns schon metastasiert hat, noch einige Zeit weitervegetieren können. 

Bewahrt man sich den klaren Blick und schaut durch diesen wuchernden Lianenwald hindurch, kann man durchaus noch Inseln ausmachen, die brach liegen.

Eine schöne Insel, deren Baumbestand dahinmickert, ist die Bildung. Hier haben wir bisher nur abgeholzt und gerodet. Pisa und Bologna wurden hier angesiedelt und haben nichts zum Wachstum beigetragen. Die negativen Auswirkungen wurden jahrzehntelang totgeschwiegen, langsam kommt die Wüstenei zutage. Müssen wir warten, bis die Anzahl an Analphabeten die der Analphabeten in den USA, unserer leading nation, erreicht? 

Ist man in der Welt der schriftlichen Äußerungen unterwegs, stößt die erschreckende Rechtschreibschwäche auf und in’s Auge, Legasthenie? Und das bei Menschen, die sich schriftlich äußern wollen, und in Zeiten, in denen der Duden sowieso schon dem Volk auf’s Maul schaut und die Rechtschreibung danach ausrichtet.

Ein weiteres Feld, das beackert werden sollte, ist dasjenige, auf dem die Pflänzlein ‚Respekt‘, ‚Rücksicht‘, ‚Zivilcourage‘ im Dunkeln herumvegetieren.

Holen wir sie an’s Licht, geben wir ihnen Nahrung! Ohne sie kann eine Gesellschaft nicht zusammenhalten.

Zwei Wachstumsbeete von vielen, die man selbst in der eigenen Umgebung ausmachen kann, wenn man sich nur umsieht.

Aber ob dieses ‚Wachstum‘ die Rettung aus der Krise bringt? Haben wir die Politiker mißverstanden? Nicht schwierig, fast zwangsläufig, trotz der Beliebigkeit ihrer Worte.

Die Schule des Lebens

Non scolae, sed vitae discimus.

Bei unserem Erscheinen auf der Welt sind wir neu, unbefleckt, offen und voller Möglichkeiten. Wir sind aber auch in eine bestimmte Familie, in eine klar umrissene Kultur und Gesellschaftsschicht, in eine Welt hineingeboren, die schon lange existiert und sich in ihrem rasenden Lauf weiterdreht. Dadurch erhalten wir unsere ersten Prägungen. Wir werden erzogen. 

Erzogen heißt im besten Sinne: angeleitet und geformt; im schlechtesten verzogen oder gar verformt. Am schlimmsten ist keine Erziehung, laisser faire, weil man keinen Mut, keine Kraft zur Konsequenz hat.

Die ersten Schritte dazu tun unsere Eltern, oft genug ohne Erfahrung und Vorbereitung, aus dem Bauch heraus und nach den Regeln des gesunden Menschenverstandes. Und in der heutigen Gesellschaft oft genug alleingelassen.

Die ersten sozialen Lernprogramme offerieren uns unsere Geschwister und – so nicht vorhanden – die anderen kleinen Pimpfe im Kindergarten.

Es folgt die Schule mit ihren Leistungsprinzipien – non scolae, sed vitae… - , das Studium, die Berufsausbildung. 

Und: Was wir bis dato nicht für’s Leben gelernt haben, lehrt uns das Leben.

Im Verlauf der Jahre werden die Konsequenzen für nicht gemachte Schulaufgaben immer eingreifender, die Proportionen zwischen Lernerfolg und negativem Feed back kehren sich um, das Zuckerbrot wird immer mickriger, die Peitsche immer schneidender. Die anfangs ungeahnten Möglichkeiten schmelzen zusehends, der Ast, auf dem wir sitzen, wird immer dünner. 

Irgendwann taucht die Erkenntnis auf: Die verbleibende Zeit wird zu kurz. Der Ausweg aus dieser Zwickmühle ist der sich immer mehr aufdrängende tröstliche Gedanke an die Reinkarnation oder das Paradies - oder eher, will man nicht vermessen sein, das Fegefeuer. Zeitgewinn eben.

Sinn des Lebens, Schule des Lebens. 

Die Zeit der Ketten

Die Zeit der Broschen ist angebrochen, die der Ketten ist vorbei, der Hals wird langsam faltig. Flockige Tücher und hohe Krägen suchen nonchalant dieses unbarmherzige Zeichen des Alterns zu umschmeicheln, zu umspielen, zu verbergen. 

Die Kettenreaktion der Jahre, in die wir allmählich kommen, birgt am Ende Schlimmeres: Reisestrumpfanzieher, Badewannenlifter, Duschhocker, Greifhilfe, verlängerte Schuhlöffel, Ausziehstäbe für Strümpfe, Toilettensitzerhöhungen.

Ein im Stil etwas umdesigntes prosaisches Krankenbett mit Galgen hält Einzug in unserem Schlafzimmer; aus allem, was weniger hoch ist, könnten wir zwar mit mehr Grazie und weniger Läsionen hinausfallen, wir schaffen es aber nicht mehr, uns daraus zu erheben, mit oder ohne Eleganz.

Sessel und Sofas werden härter, Autos höher und weniger sportlich. Brille, Hörgerät, Stock und Rollator werden zu unvermeidlichen Accessoires.

Unser Gedächtnis tut uns den Gefallen, sich eher an Langvergangenes zu erinnern, als an unmittelbar Erlebtes.

Und da unser Gehirn einen potenten Filter eingebaut hat, der negative Erinnerungen abräumt, erstrahlt die Vergangenheit in perfektem, ungeahntem Lichte. 

Zuerst machte uns unsere Tante Ketten aus Gänseblümchen, die uns zu Prinzessinnen mutieren ließen.

Während der Studienjahre hatten wir kein Geld und keine Lust auf Schmuck.

Allerdings wurden wir Glieder von Ketten: Menschketten gegen Atomkraft. 

Mit dem Rückzug in’s Private und der Rückkehr in’s Bürgerliche hielten Perlenketten bei uns Einzug. Nichts schmückt einen Mädchenhals besser…. Jede Perle eine Träne. 

Dann kam: „Diamonds are a girl’s best friends“; arme girls. 

Von den weiten Reisen brachten wir Berberschmuck mit, große Silberkugeln und bunte Perlen. Darüber konnten die Gesichter ruhig langsam faltiger werden, windgegerbt wie die der Wüstenfrauen. Sie umrahmten unser Pokerface und zogen das Herbe daraus ab. 

Und jetzt also: Broschen. Sic transit gloria mundi. Hierin sind wir noch immer nicht emanzipiert: Ein faltiger Männerhals ist weder schöner noch häßlicher als unser eigener. Aber bisher immer noch weniger peinlich. Und wenn wir die Pushups ablegen und unseren Brüsten den Gang des Unvermeidlichen entlang der Schwerkraft erlauben, gewinnen wir noch etwas Zeit bis zur tröstenden großmütterlichen, weichen und faltigen Brust.

Kleine Tricks der langsamen Annäherung an ‚la condition humaine‘.

Zähne

Die Hai-Mama hat ihre liebe Not, dem kleinen Hailein beizubringen, seine Zähne zu zeigen.

„Was soll noch aus ihm werden? Er zeigt sie noch nicht einmal, geschweige denn, daß er sie mal einsetzt.“

Der Kleine wird in der Haischule bös gehänselt, vor allem wegen seines fliehenden Kinns. Klar, daß der Ausdruck seiner Augen eine Erbarmungslosigkeit entwickelt, die allein einem schon die kalte Angst einjagen könnte. Und sollte….

Als er größer wird, begegnen ihm auf seinen ruhelosen Touren dieser und jener Fisch und Zeitgenosse; und da sie alle früher oder später der Meinung sind: ‚Er kann ja nichts dafür, wie er aussieht‘ oder: ‚Er meint es nicht so‘ und: ‚Man muß ihm eine Chance geben‘ verliert er jedes Selbstbewußtsein und mickert vor lauter Hunger nur so dahin. Ein humaner Hai. 

Die Blätter mancher Pflanzen sind glatt umgrenzt, andere haben Zähne. Sie zeigen sie, fletschen sie im Wind, manch ein Insekt fällt unversehends zwischen ihnen hindurch in den Abgrund. Manchmal unauffällig chlorophyllgrün, ein anderes Mal gerändert und mit eindrucksvollem Farbenspiel im Gegenlicht, spielen die Pflanzen auf der Klaviatur von ‚form does not follow function‘. Diese Formvariante hat keinen anderen Zweck als Variation, Fantasie, Überraschung für den, der Augen hat zu sehen.Zähne.

Der Hai hat sie in Fülle, die Pflanze hat sie manchmal, wir haben zwei Ausstattungen davon. Und häufig zu viel Biß. Die dritten sind dann teuer. 

Billig

„Superbillig! Nur Stehlen ist günstiger!“

Und was ist unanständiger, als dieser Werbespruch, der zur Zeit plakatiert ist?

Die Zeit der Blockflöten. Allüberall wird geflötet: Friede unter den Menschen, Liebe, Besinnlichkeit, Rettung des Klimas: alles gute Themen, aber ein direkter Zusammenhang mit Konsum, eine Anregung der Kauflaune ist nicht unbedingt so ohne weiteres herzustellen. Also muß man uns, denen die Besinnlichkeit ja hoffentlich die Denkqualitäten vernebelt hat, „uggly publicity“ im Großformat in die Augen donnern: ‚Ich bin doch nicht blöd‘…. Ich stehle lieber. 

Die Kraft der Werbung hat sich mittlerweile abgestumpft. Wir sind in den Jahren psychologisch dermaßen infiltriert worden, daß wir Abwehrmechanismen dagegen entwickelt haben.

Die Älteren kommen noch aus einer anderen, werbungspsycho-logisch jungfräulichen Zeit und sind gewohnt, nachzudenken.

Die Jüngeren sind beeinflußbar, und sie sind ja die Zielgruppe: die Käuferschicht der Zukunft, die Käuferschicht ohne Zukunft.

Wie bei jeder Sucht stumpft man ab, wird man resistent, braucht man immer mehr. Diese Dosissteigerung bei Wirkungsverlust beobachten wir heute. Sie geht einher mit der Erkenntnis: Quantität zählt, Qualität interessiert nicht.

Ich ärgere mich darüber, jedes Mal, wenn ich solcher Werbung ausgesetzt bin, und das ist auf Schritt und Tritt.

Und langsam komme ich zu der Erkenntnis, daß dieser Ärger auch vorprogrammiert ist; so wirkt die Werbung global, bei denen, die nicht lange fackeln u n d bei denen, die nachdenken. Wir entkommen ihr also nicht. Aber:

Was hat Barack Obama auf der auch durch ihn gescheiterten Klimakonferenz gesagt? „We have to act, not to speak.“

Tun wir also etwas: Tun wir nicht das, was die Werbung von uns will.

Arbeit.Macht.Frei und Geld.Macht.Liebe

Über dem Eingang zu einem Vernichtungslager der Nazis rankte und bog sich die schmiedeeiserne Inschrift: ARBEIT MACHT FREI. Ein Dokument der Lüge, es handle sich bei diesem Lager um ein Arbeitslager. 

Fast 70 Jahre nachdem die Kamine geraucht haben, beschließen fünf Klein- bis Mittelkriminelle ohne neonazistischen Hintergrund, aber immerhin vor dem geschichtlichen Hintergrund, der auf uns allen lastet, die Inschrift zu stehlen, indem sie sie abmontieren und in handliche Kleinteile zerlegen: Arbeit.Macht.Frei. 

Ging es ihnen um den Schrott? Damit läßt sich Geld machen, China saugt weltweit den Schrottmarkt aus. 

Wenn wir dranbleiben und außer den Instant-Nachrichten auch nachhaltigere Medien konsultieren, werden wir erfahren, was sie, außer kriminell, noch waren: ahnungslos, respektlos, gefühllos, geschichtslos?

Noch nicht einmal die hierfür angestellten Wachleute haben hingesehen, die Überwachungskameras schon, sie konnten aber nicht intervenieren.

„Und nun, liebe Zuschauer, sehen Sie unsere Serie: Geld.Macht.Liebe, das Geschick einer Bänkerfamilie. Wir wünschen Ihnen viel Spaß.“

Querulatorisch-paranoid

Eine neue Facette des vielgesichtigen Krankheitsbildes ‚Schizophrenie‘? 

Nein: eine Ausgeburt böswilliger Vorgesetzter in Beamtenstatus. Die kritische Mitarbeiter als lästig empfinden und damit in die Schublade „Querulant“ schieben, und damit nicht genug: eine Prise Geisteskrankheit muß noch dazu, „paranoid“ eben. 

Hier handelt es sich um eine Übertragung, sonnenklar, denn der Vorgesetzte hat sich offenbar durch die kritischen Mitarbeiter verfolgt gefühlt.

Und sie entsorgt: Mit dieser „Diagnose“ waren sie nicht mehr zu halten, wo kommt man denn da hin?

Soll der Steuerzahler etwa noch den Beamtensold für kritische (Entschuldigung: verrückte) Mitarbeiter zahlen? Wo er doch schon so viele Schulden auf dem Buckel hat, von all den Bänkern, den amerikanischen Autoherstellern, den Oberzockern aus den Chefetagen?

Nein! Es muß wieder Ruhe einkehren, die Füße müssen unter dem Tisch gehalten, der Maulkorb zurechtgerückt werden, damit er luftdicht abschließt und dem Hirn den Sauerstoff drosselt und damit den Gedankenfluß verlangsamt.

Wofür hat man denn selbst ein Beamtenleben lang den Blutfluß in den Hintern umgeleitet und damit seinen Sessel so wohlig angewärmt?

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Texte: Copyright beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 20.12.2009

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