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"Voi che sapete che cos'è l'amor…" (Cherubino, Le Nozze di Figaro, W.A.Mozart)






La conquistadora oder alte Liebe



Das alte Ehepaar richtet sich her und tappelt in’s Gemeindehaus. Beide sind fast 80 Jahre alt; heute ist Altentreff.

Der Pfarrer steht an der Tür und begrüßt die Gäste, die von Mal zu Mal weniger werden. Auch ein großes Thema für diesen Abend und für seine Ansprache, die er kurz halten möchte.

Die Frau schwirrt in den Raum aus, gleich am ersten Tisch sitzt eine ehemalige Arbeitskollegin.
Sie tauchen ein in die Vergangenheit; der Chef ist bald nach ihrer Pensionierung krepiert (Gott habe ihn selig, denn er war ein fieser Kerl und schwitzt bestimmt noch im Fegefeuer); seine Sekretärin, die ja ohne Zweifel etwas mit ihm gehabt hat, hat einen Millionär gefunden ist lebt nun in Torremolinos. Frau Jettinger, die Putzfrau, soll ja alles geklaut haben, was nicht niet- und nagelfest war, und doch hat man sie weiterbeschäftigt, weil sie dem Vorstand leid tat mit ihren drei unehelichen Kindern. Herr Jauchinger, der Pförtner, ja der ist wenige Tage nach seiner Pensionierung gestorben, vom Schlägle erschlagen, sozusagen. Im Großen und Ganzen muß man feststellen: Die Männer sind fast alle tot („Wo ist Holz? Ich muß klopfen…“), die Frauen leben in Saus und Braus und genießen ihre Rente, so ist’s recht.

Der Ehemann steht zuerst etwas unentschieden unter der Tür, dann gibt er sich einen Stoß, nimmt Elan und Tritt auf und steuert auf den Tisch zu, der diametral dem gegenübersteht, an dem seine Frau sich niedergelassen hat.

Hier sitzen ein paar alte Herren, die er aus seiner Firma und aus dem Münzsammlerverein kennt. Die ehemalige Arbeitsstelle ist schnell abgehandelt, nachdem jeder sich seiner damaligen Stellung gemäß positioniert hat. Die Münzen sind ja auch viel interessanter! Alle sind auf der Jagd nach der seltenen 10 Euro-Münze aus dem Vatikan. Man unterhält sich über eventuelle Quellen, Münzbörsen, Kataloge, auch das Internet ist ein Thema. Die Alten sind gut drauf und mit der weiten Welt vernetzt.

Kaffee und Kuchen munden köstlich, der Pfarrer klopft an die Tasse und hält seine Ansprache, dabei vergißt er nicht, jeden Einzelnen der Lebenden und Anwesenden und jeden Einzelnen der Von-uns-Gegangenen zu erwähnen. Er kennt und nennt sie alle beim Namen, ein erstaunliches Gedächtnis! ‚Vor allem, wo wir so gut wie selten in der Kirche zu sehen sind.‘

Bei Eintritt der Dunkelheit löst sich die Versammlung langsam auf; es wird noch dieses und jenes Wort auf dem Bürgersteig vor der Tür gewechselt, dann hackt sich die Frau bei ihrem Mann unter und sie wackeln gemeinsam nachhause.

Beide sinnen noch über das Erlebte nach: Sie beneidet insgeheim die Sekretärin, er hat eventuell eine neue Quelle für seinen Traum erschlossen: die 10 Euro-Münze.

Abendessen kann heute ausfallen, sie sind noch pappsatt von dem vielen Kuchen: Schwarzwälderkirsch.

Also gleich fernsehen: 19 Uhr-Nachrichten.

Es klingelt das Telefon. Er geht ran.
„Hier Kärrner.“
„Guten Abend.“ Eine Frauenstimme, die er nicht kennt.
„Ja?“
„Ich rufe an… Ich habe Sie heute nachmittag im Gemeindehaus gesehen.“
„Stimmt.“
„Als der Herr Pfarrer Sie mit Ihrem Namen begrüßt hat, habe ich ihn mir gleich gemerkt und nun Ihre Telefonnummer herausgefunden. War ein hartes Stück Arbeit.“
„Ja, und..?“
„Ich bin Frau Kachelmann, Witwe.“
„Hm.“
„Ich bin sehr einsam.“
„Tut mir leid.“
„Deshalb rufe ich Sie an. Sie sind mir sofort aufgefallen, Sie gefallen mir, ich könnte mir eine gemeinsame Zukunft vorstellen. Wissen Sie, ich reise gerne, allein ist das Reisen und das Leben halb so schön. Mir fehlt ein Mann, ein Gegenüber, die Liebe.“

Herr Kärrner, als Solitär ein Juwel, mit seinen achzig Jahren.
Frau Kärrner sieht sich seelenruhig einen Rosamunde Pilcher-Film an.


Krieg und Frieden: weltweit 7 von 10



Tatort Kinderbett, Teppich, Klo, Ehebett, Wald und Wiese, Arztliege, Park und Flüchtlingslager:

Hier tobt alltäglich der Kampf des Stärkeren gegen den Schwachen, die Schwache meistenteils.

Der durch Gewalt erzwungene Geschlechtsakt als Waffe zur Kriegsführung, als Mittel zur ethnischen Rassenerhaltung, als Prothese bei unreifer und beziehungsunfähiger Persönlichkeit, als Machtmittel, als Frustrationsbremse, zur Selbstbestätigung, aus Egoismus und Langeweile – alles Gründe, die längst verstanden sind, aber unverständlich bleiben.

Die Täter sind Subjekte, von denen der von den Klatschmedien eilig befragte Nachbar nicht müde wird zu wiederholen: „Er ist einer von uns, ein ganz unauffälliger Zeitgenosse; macht jeden Samstag brav seine Kehrwoche.“
Einer von uns, einer gegen uns.

Ich kenne eine Familie, vier Töchter, alle in den 50ern.
Erst kürzlich war die Jüngste – im Alter von über 50 Jahren - in der Lage mir zu erzählen, daß sie als Kind von ihrem Hausarzt missbraucht worden war, als sie für ihre Mutter ein Rezept abholen sollte. Die andere Schwester wurde von ihrem Patenonkel, einem Priester, in den Ferien eingeladen und befingert, die Älteste war schon Jahre vorher auf dem Spielplatz Opfer eines Sexualtäters geworden. Jedesmal keine Reaktion der Eltern, der Mutter, außer: „Du bist selbst schuld.“

Eine Freundin hat gerade ihre x-te Beziehung abgebrochen und leidet seit Jahren. Sie kommt auf keinen grünen Zweig, obwohl sie professionelle Hilfe und den Beistand ihrer Töchter und Freundinnen hat, sie befindet sich im Hamsterrad, blickt nicht mehr darüber hinaus. Sie ist als Erstklässlerin von zwei pubertären Schulkameraden vergewaltigt worden.

Jetzt ist sie in den Wechseljahren und fühlt sich seither schuldig, beschmutzt, was Wunder in einem Kulturkreis, in dem Jesus aus einer unbefleckten Empfängnis hervorgegangen ist, sozusagen eine frühe in vitro-Fertilisation in spiritueller Sphäre und unter verächtlicher Umgehung des Körpers.

Viele dieser Frauen können mit niemandem über das Unsägliche sprechen, nicht mit den Eltern, nicht mit dem Partner. Vor einer Therapie haben sie Angst, Angst vor dem Wiedererleben des Schmerzes, vor dem Wiederaufbrechen der Wunde, die noch immer nicht vernarbt ist.

Seit ich erwachsen bin, seit ich denken kann, begleiten solche Lebensgeschichten meiner Freundinnen meinen Weg.

Das christliche Abendland, eine Hochkultur, bringt solche Monster hervor. Im Krieg, aber auch im Frieden, in den gebildetsten Kreisen, in reichen Haushalten – das Gemeinsame ist ein Schwanz und das Y-Chromosom. Männer halt - auch zölibatäre Männer in Priesterseminaren und Internaten, die mit der christlichen Moral, und vor dem Computer Päderasten und virtuelle Kinderschänder aus den höchsten Schichten ohne Moral und Ethik, aber vorderhand mit weißer Weste.

7 von 10 Frauen sind misshandelt worden: Warum machen sie nicht dem Mund auf und tun sich zusammen, um miteinander zu erlernen, wie man zu Xanthippe und Penelope mutiert? Das Matriarchat ist doch noch nicht so lange her, wir haben doch noch Vorbilder aus dieser Zeit und Erfahrungen im Rucksack, die wir unangetastet durch 2000 Jahre Christentum, Inquisition und Aufklärung getragen haben.

Als erstes müssen die Mütter ein Beispiel geben, müssen - bisher eingewickelt und gefesselt durch alltägliche Konventionen und Kompromisse - aus der Puppe schlüpfen, ihre schönen, farbigen Flügel entfalten und zu einem machtvollen Schmetterling werden. Müssen ihre Töchter verteidigen, ihnen ein Ideal sein, ein mutiges und selbstbestimmtes Bild vorleben und prägen, Würde vermitteln. Sie, unsere Gebärerinnen, sind die Quelle für ein lebenswertes Leben.

Eva hat im Paradies nach dem Apfel gegiert, dem Apfel vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen. Nicht Adam war es, der die Erkenntnis suchte. Allerdings wurde er – mitgehangen, mitgefangen – zusammen mit ihr aus dem Paradies vertrieben.

Und wenn Eva und Emma sich heute bemühen, das Gute zu erkennen und das Böse zu bekämpfen: Könnten wir nicht wieder gemeinsam in’s Paradies einziehen, aller kirchlichen Exegese zum Trotz? Und zwar und ausschließlich so: als zwei Seiten derselben Medaille, als Seelenbruchstücke, die sich gefunden haben, die eine als Frau und der andere mit einem Schwanz und einem Y-Chromosom, vulgo: als Mann?

Das Paradies ist nicht für immer verloren, im Ungewissen schwebend; es ist hier auf Erden.

Und unser aller Aufenthalt auf Erden ist kurz und sucht nach Sinn.






Alter, weiblich



Falten im Gesicht und auf der Seele.
Hängende Ohrläppchen, dünn ausgezogen.
Schrunden am Körper und auf dem Herzen.
Die Haut wird uns zu groß und folgt der Schwerkraft.
Die Brüste werden zu leeren Säcken.
Wir folgen den Gesetzen der Natur.
Unser Körper schwindet hin zum Tod.

Die Seele ist leuchtend und gestählt.
Das Herz ist weise und gewachsen.
Das ungerechte Leben macht mir immer weniger Angst.
Der Tod entpuppt sich als Freund.
Ich habe gelernt, bin angefüllt mit dem Reichtum des Erlebten.
Mein Stolz ist nach innen gewandert.
Ich bin aus dem Beuteschema herausgefallen, werde als Mensch wahrgenommen.

Gottseidank bin ich alt.




Einsam in Massen



Mit leicht angewinkelten Knien und tastend großflächig aufgesetzten Fußsohlen sticht er, gesenkten Hauptes und in einem vornübergebeugten Winkel, durch die Gegend. Sein Blick ist auf den Asphalt gerichtet; die vielen Menschen, die ihm entgegenkommen sieht er nicht. Er fühlt und zeigt: Ich bin einsam in der Masse.
Ein anderer sitzt im Café und starrt auf sein Laptop. Die Mine ist abweisend, seine Welt zweidimensional. Und virtuell, die reale Welt sperrt er aus.
Der nächste setzt sich noch nicht einmal mehr, wenn er einen Kaffee trinken möchte: coffee to go, aus dem Plastikbecher, zeitsparend im Laufschritt geschlürft.
Bei Post, Bahn und in den Geschäften werden die Verkäufer, das Servicepersonal, eingespart und durch Maschinen ersetzt.
Computer sollen angeblich intelligent sein; an ihren dummen Menuführungen zerschellen intelligente Menschen. Das höchste Gut ist Geduld und Anpassung an das System der Maschine.
Frauen: Unsere Spiegelneuronen verhungern und gehen unter! Unsere emotionale und soziale Kompetenz, mit deren Beschreibung vor geraumer Zeit noch Bestseller plaziert werden konnten, ist nicht mehr gefragt! Dieses Feld ist abgeerntet.
Laßt uns Netzwerke bilden, in denen wir die Augen aufmachen und unsere Umwelt betrachten, in denen wir eingreifen, in denen wir im Kaffeehaus sitzend und mit unserem Gegenüber plaudernd den Kaffee trinken. Laßt uns Konsumverzicht üben und nicht in Roboter-Geschäften einkaufen.
Es liegt an uns.






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Texte: Copyright beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 28.11.2009

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