Ich mag seinen Penis. Ihn streicheln, ihn lutschen, ihn in mir spüren. Leider wird es zu letzterem wohl nie kommen. Mein Freund ist nämlich nicht oder nur widerwillig schwul. Er ist in mich verliebt, keine Frage. Aber wir sind jetzt schon seit fast zwei Jahren zusammen und haben es immer noch nicht getan. Natürlich ist das nicht alles, was zählt. Wir haben eine Art Sexleben. Wir machen allerhand Sachen in seinem Bett. Und das auch gar nicht selten. Nur eben nicht …
Dabei bin ich inzwischen achtzehn. Wie lange soll ich denn auf das erste richtige Mal noch warten? Hübscher werde ich auch nicht mehr. Im Gegenteil. Im letzten Jahr bin ich einige Zentimeter gewachsen. Damit bin ich zwar immer noch kleiner als Louis, aber eben nicht mehr so zierlich. Ich habe längere Gliedmaßen bekommen und mein Gesicht ist nicht mehr ganz so weich geschnitten. Würde ich jetzt noch einmal einen Kimono anziehen, sähe es ganz anders aus, als noch vor einem Jahr. Klar, ich wirke darin immer noch androgyn, aber die Tendenz zur männlichen Seite ist inzwischen stärker geworden. Ehrlich gesagt, habe ich aber schon lange keinen Kimono mehr getragen oder mich geschminkt.
Louis und ich sehen uns nur noch an den Wochenenden. Er arbeitet in einer Schule auf dem Land. Ist gar nicht so weit weg. Eigentlich könnte er mich auch unter der Woche besuchen, aber da er erst seit einem Monat richtiger Lehrer ist, hat er sehr viel zu tun. Das Referendariat hat er im letzten Schuljahr abgeschlossen, ebenso das zweite Staatsexamen. Jetzt muss er sich auf jede Stunde einzeln vorbereiten, weil er noch nichts hat, auf das er zurückgreifen kann. Ich finde, er nimmt die Sache ein bisschen zu ernst. Vielleicht vermisse ich ihn auch einfach nur mehr als er mich. Mir reichen die Wochenenden jedenfalls nicht.
Aber heute ist Freitag. Mein Rucksack ist schon gepackt. Er müsste mich gleich abholen. Meinen Eltern habe ich längst gestanden, dass ich schwul bin und einen Freund habe. Für meine Mutter war das wohl ohnehin keine große Überraschung mehr und mein Vater hat es mit Fassung getragen. Sie mögen Louis und haben nichts dagegen, dass ich meine Wochenenden bei ihm verbringe. Louis dagegen hat es seiner Mutter immer noch nicht gestanden. Seine Schwester weiß es immerhin – inzwischen bin ich auch vor meiner Klasse geoutet, da war es nicht schwer für sie eins und eins zusammenzuzählen, als sie uns zwangsläufig häufiger zusammen gesehen hat. Aber ihre Mutter tappt immer noch im Dunkeln.
Das ist also meine Beziehung: Von meiner Seite ist alles klar, nur Louis mag weder mit mir schlafen noch zu mir stehen. Ziemlich verletzend. Ist auch nicht so, als hätten wir darüber nicht schon des Öfteren geredet und gestritten. Er meint, er hätte viele Gründe, nicht mit mir schlafen zu wollen. Allerdings so wirklich kennen, tue ich keinen einzigen. Er hat auch jedes Mal einen anderen. Nicht romantisch genug, schlechter Zeitpunkt, seine Nachbarn könnten etwas hören … Ausreden halt. Keine Gründe. Immer wieder das Argument vom Anfang, auf dem unsere Beziehung aufbaut: sein Tempo. Es geht alles in seinem Tempo und das bedeutet, wir stagnieren.
Mein Handy klingelt. Seine Nummer erscheint auf dem Display. Sofort vergesse ich meine trüben Gedanken und nehme das Gespräch an. „Na endlich! Wann kommst du mich abholen? Ich hab’ solche Sehnsucht nach dir!“
„Hi, ich vermiss dich auch …“, meldet er sich leise.
Oh nein! Ich höre das große Aber schon angerauscht kommen. Das kann doch nicht sein Ernst sein!
„Aber ich kann dich erst morgen abholen“, erklärt er tatsächlich zerknirscht.
Ich knirsche auch – mit den Zähnen. „Und warum?“
„Es tut mir leid, ich habe einen Elternabend, zu dem ich gehen muss. Spontane Sache. Ein Problemkind unter meinen Schülern“, antwortet Louis. „Wirklich, es tut mir leid. Ich komme dich morgen abholen. Um zwei?“
„Hm.“ Was bleibt mir anderes übrig. „Okay, dann eben morgen.“
„Du bist nicht sauer, oder? Ich kann wirklich nichts dafür …“
„Nein, schon gut“, behaupte ich. Natürlich bin ich trotzdem sauer. Wobei, vielleicht nicht direkt sauer, aber sehr enttäuscht. Er hätte mir ja mal früher Bescheid sagen können. Nicht so auf den letzten Drücker. Wenigstens ein paar Stunden früher … Er hat bestimmt nicht eben erst von dem Elternabend erfahren. Arg! Okay, je länger ich darüber nachdenke, desto mehr werde ich tatsächlich sauer.
„Gut.“ Er klingt erleichtert. „Bis morgen also.“
„Ja, bis dann …“ Wenn ich dann noch da bin.
Wir legen auf. Kein ‚ich hab dich lieb‘ am Ende des Gesprächs. Ehrlich gesagt kotzt mich die blöde Phrase inzwischen auch an. Wir sind zwei Jahre zusammen. Langsam sollten wir über das Liebhaben hinweg sein und uns eingestehen, dass wir uns lieben. Ich liebe ihn zumindest. Gut möglich, dass er mich nur lieb hat. Scheiße!
Ich pfeffere das Handy auf mein Bett und schmeiße mich dann daneben. So kann es nicht weitergehen. Wie lange soll ich denn noch warten? Ich will nicht mehr warten! Nicht einmal bis morgen!
Es klopft an meiner Zimmertür. Ich richte mich ein wenig auf und versuche mich zu beruhigen. „Ja?“
„Hat Louis eben angerufen?“, erkundigt sich meine Mutter, als sie die Tür öffnet. „Wann kommt er dich abholen? Bleibt ihr noch zum Abendessen?“
„Nein, Planänderung“, brumme ich. „Er holt mich erst später ab.“
„Ach so … schade. Dann mache ich nur für uns Essen. Gibt’s um sieben“, meint sie und verschwindet wieder.
Ja, verdammt schade. Sie hat gar nicht richtig verstanden wie schade. Nicht später heute Abend, sondern später im Sinn von heute gar nicht mehr. Doch ich verbessere sie nicht. Ich will keine mitleidigen Blicke. Im Selbstmitleid will ich auch nicht versinken. Ich kann mich auch ohne Louis amüsieren.
Kurz entschlossen greife ich erneut nach meinem Handy und texte Lasse eine Nachricht. Den hab’ ich kennen gelernt, als ich mich in der Schule geoutet habe. Er ist eine Klasse über mir, macht also gerade Abitur, und ist auch schwul. Wir treffen uns meistens unter der Woche, weil ich ja am Wochenende bei Louis bin. Aber seit geraumer Zeit liegt er mir in den Ohren, dass Louis und ich doch unbedingt mal mit ihm in einen der Clubs oder Bars der Szene kommen sollen. Das kann er haben. Heute Abend stehe ich ihm zur Verfügung. Ich sehe es nicht ein, Trübsal blasend zu Hause zu sitzen.
‚Hey, gehst du heute Abend weg? Kann ich mitkommen? Louis hat keine Zeit für mich. >.<‘, schreibe ich ihm also und erhalte auch prompt eine Antwort.
‚Super, du erhörst endlich mein Flehen, wenn auch nur als Notlösung. ;) Um 23:00 bei mir. Freu mich!‘, hat er geschrieben.
Ich schicke ihm noch eine Bestätigung und gehe dann zu meiner Mutter in die Küche, um sie über meine geänderten Pläne in Kenntnis zu setzen. Wir haben ein recht offenes Verhältnis seit meinem Coming-Out. Nun blickt sie erstaunt auf.
„Und Louis?“
„Der kann heute Abend nicht“, knurre ich. „Er muss zu so einem Elternabend. Darum gehe ich ja aus.“
„Mit Lasse …“
„Ja.“
„Und Louis weiß das?“, hakt sie behutsam nach.
„Nee, aber wenn er mich fragt, werde ich es ihm sagen.“ Brummig lasse ich mich auf einen der Stühle fallen. „Er hätte mich ja auch noch nach dem Elternabend abholen können, wenn er mich unbedingt hätte sehen wollen. Aber er kann kaum von mir erwarten, dass ich hier dumm herumsitze.“
„Du musst selbst wissen, was du tust“, meint sie neutral. „Aber wenn er arbeiten muss, dann ist er danach vielleicht einfach zu müde, noch mit dem Auto hin und her zu fahren. Sei nicht zu sauer auf ihn, ja?“
„Ich bin nicht sauer, aber auch nicht müde und ich will mich hier nicht langweilen“, behaupte ich ungeduldig.
„Na gut“, sagt sie schlicht. „Dann hilfst du mir jetzt am besten beim Abendbrot machen. Ich nehme an, du wirst danach für die nächsten drei Stunden im Bad verschwinden.“
Ich verdrehe die Augen. „Blödsinn. Eine Stunde brauche ich doch noch, um mir meine Klamotten herauszusuchen …“
Sie lacht und schüttelt den Kopf. „Dann beeilen wir uns lieber.“
Mein Vater ist mal wieder auf Geschäftsreise, also sind wir beide allein. Nach dem Essen verschwinde ich tatsächlich erst einmal im Bad, um mich zu Duschen und sonstige Körperpflege zu betreiben. Ich blende dabei bewusst aus, dass ich mir die Mühe bei Louis nicht gemacht hätte. Aber der wüsste das ja auch gar nicht zu schätzen.
Zurück auf meinem Zimmer erwartet mich eine weitere Textnachricht von Lasse: ‚Wir gehen ins YMCA zur Xdress Night. Wenn du dich als Frau verkleidest, kommst du umsonst rein und bekommst ein Freigetränk. ;p Super schräg. Kinky halt. *g*‘
Die Nachricht zaubert ein Lächeln auf meine Lippen. Allerdings wird Lasse das keineswegs von mir erwarten. Außer Louis und Lei weiß keiner von meinem alten Tick. Naja, in einem braven Kimono werde ich da wohl auch keinen Zutritt haben. Nicht sexy genug. Ein Qipao* schon eher. Allerdings … Ich hatte so etwas wirklich schon lange nicht mehr an. Passen die mir überhaupt noch …?
„Mami?“
Es dauert doch ein wenig länger als geplant, bis ich geschminkt bin und ein passendes Kleid gefunden habe. Die Schuhe sind das größte Problem, da passe ich beim besten Willen nicht mehr rein. Schließlich entscheide ich mich für einen Stilbruch – immerhin will ich auch Tanzen – und ziehe meine roten Sneaker an. Passt irgendwie doch zu dem Qipao aus roter Kunstseide. Der ist verflucht eng und hat einen langen Schlitz an der Seite. Das bisschen Beinbehaarung, das ich habe, muss somit auch noch weichen.
„Du siehst ganz anders aus als früher“, stellt meine Mutter fest, als ich aus dem Bad trete. „Lass das bloß nicht deinen Vater sehen.“
„Wieso nicht?“ Ich grinse und nestle ein wenig an meinem hochgesteckten Haar herum. Das hat auch ewig gedauert. „Bringst du mich mit dem Auto zu Lasse? Ich will nicht allein mit der Bahn fahren.“
Immerhin ist kein Fasching und ich glaube schon, dass man mir den Mann inzwischen deutlicher ansieht. Spätestens wenn ich was sagen muss, wird man es hören. Zum Glück muss ich mir da keine weiteren Gedanken machen. Meine Mutter stimmt mir schnell zu: „Ja, das ist wohl eine gute Idee. Nimm Geld mit fürs Taxi nach Hause!“
„Ich hab’ nicht so viel.“
„Dann gebe ich dir welches, aber wirklich fürs Taxi ausgeben! Nicht zum Trinken!“, ermahnt sie mich streng.
Ich schnaufe leise. „Als würde ich was trinken. Ich vertrag’ doch nichts.“
„Gut!“, sagt sie daraufhin nur und sucht sich die Autoschlüssel.
Lasse wohnt nicht so weit weg. Bevor ich aussteige, drückt sie mir noch mein Taxigeld in die Hand. „Mach keine Dummheiten, hörst du!“
„Ja, ja!“, knurre ich nur und steige dann schleunigst aus. „Danke für das Geld. Gute Nacht! Komm nicht auf die Idee, wach zu bleiben.“
„Wenn ich es tue, kann ich nichts daran ändern“, entgegnet sie. „Viel Spaß.“
„Danke!“, rufe ich noch einmal und schlage die Autotür zu. Durch das ganze Genörgel und Ermahnen habe ich ganz vergessen, wie ich aussehe und was ich anhabe. Das wird mir erst wieder bewusst, als Lasses Mutter die Tür öffnet und mich verblüfft mustert.
„Ja bitte?“, fragt sie ein wenig eingeschüchtert. Sie hat mich, nebenbei bemerkt, schon des Öfteren gesehen. Anscheinend erkennt sie mich aber nicht.
Ich muss lachen. „Hallo, Frau Körner. Ich wollte nur Lasse abholen.“
„P-Paul?“, ächzt sie erschrocken. „Ich hätt’ dich ja im Leben nicht erkannt! So exotisch. Aber schick … Ähm … Lasse ist in seinem Zimmer.“
„Danke.“ Lächelnd schlüpfe ich an ihr vorbei und klopfe bei Lasse.
„Ja?“, erklingt dessen Stimme von innen.
Schmunzelnd öffne ich die Tür. „Fertig?“
„Klar ich warte schon seit–“ Abrupt bricht er ab, als er mich sieht und bekommt kugelrunde Augen. Sein Blick wandert sprachlos an mir runter und wieder hinauf. Er schüttelt leicht den Kopf. „Oh mein Gott!“
„So schlimm?“, frage ich unschuldig.
„Nein, gar nicht … Im Gegenteil. Scheiße! Das ist so heftig! Hat dich deine Mutter so geil geschminkt?“
„Nein, das mache ich allein“, erkläre ich schmunzelnd. „Du hast doch gesagt, der Eintritt wäre frei.“
„Ja, aber … Ich hätte nie gedacht, dass du bei so was mitmachst“, gesteht er. „Ehrlich gesagt dachte ich, dass ich dich damit sogar ein wenig schocken kann. So zur Strafe, weil ich nur der Plan B bin. Aber jetzt bin ich geschockt. Machst du so was etwa öfter?“
„Das war eine Zeit lang quasi mein Hobby“, gebe ich zu. „Lei hat Fotos gemacht und wir haben sie ins Netz gestellt.“
„Und Louis? Steht der darauf?“
„Hm … Nein, nicht direkt. Ich hab’s auch schon lange nicht mehr gemacht“, erkläre ich ausweichend. „Jetzt aber mal ehrlich, was meinst du zu meinem Outfit?“
„Na ja, wow … Atemberaubend aber nicht kinky. Umsonst reinkommen wirst du aber bestimmt, wobei sie vielleicht vorher nachsehen wollen, ob du wirklich ein Junge bist.“
„Ach, ich glaub schon, dass man das inzwischen sieht. Früher war es schwieriger“, behaupte ich selbstsicher und schlage meinen Fächer graziös auf. „Und das Make-up ist kinky. Ich benutze sonst nie so extreme Farben. Sitzen meine Haare noch richtig? Sind eigentlich ein bisschen zu kurz für die Hochsteckfrisur.“
„Sieht sexy aus. Zu sexy für kinky“, beschwört Lasse augenzwinkernd. „Halt dich am besten von allen Bisexuellen und Lesben fern.“
„Haha … Für Schwule bin ich also reizlos?“
„Unsinn! Ich würde dich nehmen, wenn ich nicht so einen Heidenrespekt vor deinem Freund hätte.“ Er lacht unernst und bietet mir seinen Arm an. „Darf ich bitten, Gnädigste. Wir treffen meine Freunde im Club. Ich hab’ übrigens das Auto meiner Eltern. Kannst also Alk trinken, ich krieg dich schon nach Hause.“
Als wir im Auto sitzen und zum Club fahren, nimmt Lasse wieder das Gespräch auf. „Wieso bist du denn heute nicht bei deinem Louis? Ihr seid doch sonst jedes Wochenende unzertrennlich.“
„Er kann mich erst morgen abholen“, antworte ich schlicht. „Heute hat er einen Elternabend oder so …“
„Ätzend, so eine Wochenendbeziehung, oder?“
„Na ja, das ist sie ja erst seit kurzem“, meine ich.
„Läuft es immer noch gut?“
„Die anfängliche Euphorie ist weg, aber ansonsten … ja“, behaupte ich.
„Na ja, das ist wohl ganz normal.“
„Mhm“, murmle ich zustimmend und will die Unterhaltung auf ein anderes Thema lenken, als mein Handy klingelt. Louis Name erscheint auf dem Display. Ich unterdrücke ein Seufzen und beschließe, nicht ranzugehen.
„Wer ist es?“
„Louis.“
„Willst du nicht rangehen?“
„Nein“, antworte ich.
„Wieso nicht?“
„Weil ich ihn jetzt nicht sprechen will!“
„Hä? Ich dachte, es läuft gut!“, wundert sich Lasse verwirrt.
„Tut es ja auch. Abgesehen davon, dass ich sauer auf ihn bin, weil er mir für heute im letzten Moment abgesagt hat, nie unter der Woche Zeit für mich hat und es offensichtlich ein Problem ist, dass ich einen Penis habe!“, fauche ich aufgebracht. So viel hatte ich gar nicht sagen wollen.
Lasse schaut mich überrascht von der Seite an. „Wie bitte? Penis? Wieso?“
„Louis ist nicht wirklich schwul“, erkläre ich schlicht.
„Aber ihr seid doch schon seit zwei Jahren zusammen, hast du gesagt!“ Lasse fährt auf den Parkplatz hinter dem YMCA, macht aber keine Anstalten auszusteigen.
„Ja, und?“
„Welcher heterosexuelle Mann ist zwei Jahre mit einem Jungen zusammen?“
„Ich habe nicht gesagt, dass er sich nicht in mich verliebt hat. Es geht hier nur darum, dass er sich in mich als Mädchen verkleidet verliebt hat und das so sehr, dass er über die Tatsache hinweg sieht, dass ich eigentlich ein Junge bin.“
„Wow … Ich meine, ich verdenke es ihm nicht, du siehst so verkleidet wirklich verwirrend feminin aus“, gesteht Lasse. „Aber … Wie funktioniert das?“
„Gar nicht“, knurre ich und lenke dann ein. „Na schön … Es lief anfangs ganz gut. Ich war total in ihn verschossen, er in mich auch irgendwie. Wir haben uns gerne geküsst, gestreichelt und ich war total happy damit. Es scheint ihm auch nichts auszumachen, mich mit seiner Hand zu befriedigen, einen Blowjob bekomme ich nur zu Weihnachten und zum Geburtstag und ich weiß nicht, was passieren muss, dass er mal richtig mit mir schläft.“
„Ihr hattet noch keinen Sex?“ Lasse blinzelt irritiert.
„Nein.“
„Aber ich habe euch doch schon zusammen gesehen. Ihr turtelt die ganze Zeit!“, empört sich Lasse verwirrt.
„An Gefühlen mangelt es ja auch nicht. Er mag nur einfach meinen Penis nicht.“
„Dann ist er ein ziemlicher Idiot. Habt ihr schon mal darüber geredet?“
„Inzwischen ist es das einzige Thema.“
„Vielleicht setzt du ihn damit zu sehr unter Druck?“, vermutet er vorsichtig.
Ich sehe ihn verblüfft an und überlege kurz, ob er damit recht haben könnte. Allerdings … „Mensch, Lasse, er hatte zwei Jahre Zeit! Ohne Druck wird das überhaupt nichts!“
„Dann braucht er vielleicht eine andere Art von Druck. Nicht Worte sondern Taten“, schlägt Lasse vor. „Vielleicht, indem du ihn verführst …“
„Wie denn? Ist ja nicht so, als hätte ich es nicht schon versucht. Sobald es um meinen Arsch geht, zieht er sich zurück.“
„Dann hat er vielleicht gar keine Probleme mit deinem Penis, sondern mit deinem Arsch?“
„Ich habe einen tollen Arsch“, behaupte ich beleidigt.
„Oh, das bezweifle ich überhaupt nicht“, beschwört er eiligst. „Nur manche Typen – selbst unter uns Schwulen – sind nicht so für Analsex.“
„Aber ich will, verdammt noch mal, endlich Analsex!“, fauche ich.
„Hui … Die Unterhaltung wird mir zu grotesk“, gesteht Lasse und lacht leise. „Tut mir leid, Paul. Es werden dich heute Nacht sicher ein Haufen Typen anmachen, die dir genau das anbieten, aber ich an deiner Stelle, würde mir lieber noch mal deinen Louis zur Brust nehmen.“
„Natürlich. Ich will ja auch Sex mit Louis und nicht mit irgendwem“, gebe ich zu und seufze. „Ist schließlich mein erstes Mal.“
„Gute Einstellung.“ Lasse lächelt mich an. „Und jetzt komm, lassen wir die miese Stimmung im Auto und gehen Tanzen.“
„Okay.“ Ich nicke erleichtert und steige aus. Sofort spüre ich ein paar Blicke auf mir. Ich warte, bis Lasse das Auto umrundet hat und nehme dann wieder seinen Arm an, den er mir galant hinhält.
„Deine Schuhe sind schon ein Stilbruch“, stellt er fest. „Zum Glück wird da kaum einer hinsehen.“
„Na ja, ich hatte keine mehr, die mir noch passen“, erkläre ich. „Und in anderen könnte ich auch nicht tanzen.“
„Wo hast du eigentlich das Kleid her?“
„Von meiner Mutter“, antworte ich noch, bevor wir die Türsteher erreichen.
Einer von ihnen grinst mich breit an. „Echt keine Ahnung, was du bist, Süße, aber herzlich Willkommen. Deinen Perso hätte ich allerdings gerne mal gesehen.“
„Danke“, antworte ich und grinse zurück, ehe ich meinen Perso herausfische und ihm reiche.
„Paul … Also ein Junge und süße Achtzehn“, erklärt der Türsteher seinem stummen Kollegen. Dessen Augenbrauen heben sich kurz, doch dann zuckt er mit den Schultern. Der Gesprächigere wendet sich wieder mir zu und gibt dem Perso zurück. „Behalt den besser gleich draußen.“
Ich grinse nur und folge seinem Rat, als wir weiter zur Kasse gehen. Ähnliches Spiel. Doch schließlich bekomme ich meinen Stempel und einen Chip für ein Freigetränk. Lasse greift nach meiner Hand und zieht mich weiter mit sich. Eine leichte Unsicherheit steigt in mir auf. Immerhin ist es mein erstes Mal auf so einer Party. Überall Typen in Miniröcken und Perücken. Jetzt weiß ich, was Lasse mit kinky gemeint hat. Ich passe doch nicht so gut rein. Naja, es gibt auch Lesben hier, die sich nicht verkleidet haben. Besser gefallen mir jedoch die, die es getan haben. Sie haben sich sogar Schnurbärte aufgeklebt oder -gemalt. Lächelnd sehe ich mich weiter um. Vielleicht passe ich nicht so gut rein, aber ich fühle mich dennoch wohl.
„Ah, da hinten sind sie“, ruft mir Lasse zu und deutet zu einem Bereich mit Stehtischen. Ich kann nicht wirklich ausmachen, wen er mit ‚sie‘ meint, folge ihm aber brav dorthin. Es sind drei Jungs, etwa in unserem Alter, vielleicht ein wenig älter. Einer hat sich auch verkleidet, allerdings sehr amateurhaft. Er ist kleiner als ich und trägt eine blonde, billige Perücke. Die anderen sind mehr mein Geschmack: beide nicht verkleidet, größer als ich und recht attraktiv. Ähnlich wie Lasse.
„Oh lala… Lasse“, meint der eine von ihnen. Blond, Grübchen in den Wangen und ein wirklich süßes Lächeln. „Wen hast du denn da mitgebracht?“
„Hi, das ist P–“, beginnt Lasse, doch ich unterbreche ihn, ehe er es aussprechen kann, indem ich seine Hand mit meiner beinahe zerquetsche.
„Hiromi“, stelle ich mich lächelnd vor. Lasse verdreht die Augen und lacht dann. „Okay, Hiromi. Hiromi geht mit mir auf die gleiche Schule. Und das sind Sasha, Tobias und Andy.“
Tobias ist der mit dem süßen Lächeln. Sasha ist schwarzhaarig und irgendwo habe ich ihn schon mal gesehen. Und Andy mit seiner Perücke würde ich wohl auch nicht wiedererkennen, wenn ich ihn schon mal gesehen hätte. Er sieht darunter sicherlich auch ganz nett aus. Ich lächle gut gelaunt in die Runde. „Hallo.“
„Hilf mir mal“, bittet Sasha an Tobias gewandt. „Männlich oder weiblich?“
„Er ist ein verdammt hübscher Kerl“, entgegnet Tobias und schlägt ihn auf den Arm. „Sieht man doch.“
„Woran?“, erkundigt sich Sasha und sein Blick wandert recht zielstrebig über meine Brust zu meinem Schritt. Ich habe mir die Brust nicht ausgestopft, aber das Kleid würde eine flache Frauenbrust ebenso kaschieren. Und bei meinem Schritt ist auch nichts zu erkennen, es sei denn, ich wäre hart. Davon bin ich weit entfernt, auch wenn ich diesen Tobias echt attraktiv finde.
Dessen Hand streckt sich aus und streicht mir über den Hals. „Adamsapfel.“
Ich zucke unwillkürlich zurück. „Hey.“ Immerhin habe ich ihm nicht erlaubt, mich anzufassen. Da bin ich eigen.
„Sorry“, murmelt Tobias. „Konnte nicht widerstehen. Wie kommt es, dass Lasse uns dich solange vorenthalten hat?“
„Er hat einen besitzergreifenden Freund“, erklärt Lasse augenzwinkernd.
Die Enttäuschung auf Tobias Zügen ist schon schmeichelhaft. „Und heute ist er das mal nicht?“
„Heute muss er arbeiten“, erkläre ich und muss Louis verteidigen. „Und eigentlich bin ich der besitzergreifende Teil in unserer Beziehung.“
„Tatsächlich? Dann muss der Kerl ja blind sein“, meint Tobias und zwinkert mir unverschämt charmant zu. Ich spüre, dass mir das Blut in die Wangen steigt. Ist schon lange her, dass ich so angeflirtet wurde. Eigentlich hat das bisher nur Louis gemacht und auch nur, weil er dachte, ich wäre eine Frau.
„Oh Tobi, bitte. Mach hier niemanden unglücklich. Paul, du musst dich vor ihm in Acht nehmen. Er ist ein furchtbarer Aufreißer.“
Oh, hallo Realität. Willkommen zurück. Ich grinse leicht und versuche, mir mein Bedauern nicht anmerken zu lassen. Frech richte ich mich an Lasse. „Ach wirklich? Wäre mir gar nicht aufgefallen.“
„Hey, ich meinte das sehr ernst!“, behauptet Tobias entrüstet. „Wenn ich mit ihm zusammen wäre, würde ich ihn irgendwo einsperren. Gehört ja verboten, so ein hübsches Gesicht.“
Er kann es anscheinend nicht lassen. Aber nun, da ich weiß, wie ich es einordnen muss, nehme ich es einfach als Kompliment, lasse es aber an mir abperlen. Ich frage Lasse, ob wir uns was zu trinken holen. „Ich muss meinen Chip loswerden, sonst verliere ich ihn.“
„Ja, klar, wieso sagst du mir nicht einfach, was du willst und ich hole es?“, schlägt er freundlich vor.
„Ich hab’ keine Ahnung. Allerdings vertrage ich nicht viel Alkohol“, erkläre ich schlicht. „Bring mir am besten irgendein Biermixgetränk.“
„Desperados?“, schlägt er vor.
Ich nicke einfach.
„Also … Was arbeitet dein Freund denn?“, erkundigt sich Andy bei mir. Wahrscheinlich will er nur nett sein und mir weitere Anmachversuche von Tobias ersparen.
„Er ist Lehrer“, antworte ich.
„Und da muss er abends arbeiten?“, mischt sich Sasha irritiert ein. „Wie alt ist er eigentlich?“
„Er ist sechsundzwanzig und heute ist so ein Elternabend“, erkläre ich und ziehe eine Schnute. „Können wir das Thema wechseln? Erzählt mir doch lieber, was ihr alle macht.“
* Qipao: Das traditionelle chinesische Damenkleid
Er schmollt. So viel ist sicher. Damit hätte ich auch rechnen können. Natürlich ist er beleidigt, wenn ich ihn versetze. In dieser Beziehung unterscheidet sich Hiromi überhaupt nicht von meinen Exfreundinnen. Ich wünschte, er wäre immer so vorhersehbar. Seufzend lege ich das Handy zur Seite und schaue auf die Uhr im Armaturenbrett meines Golfs. Es ist erst halb elf. Also schläft er bestimmt noch nicht. Der Elternabend ist wesentlich schneller und weniger anstrengend über die Bühne gegangen, als ich vermutet hatte. Hätte ich das gewusst, hätte ich Hiromi gar nicht so gegen mich aufbringen müssen.
Vielleicht verzeiht er mir ja, wenn ich jetzt einfach unangekündigt vor der Tür stehe und ihn abhole. Telefonieren wird er wohl nicht mehr mit mir, aber ein persönliches Auftauchen sollte ihn besänftigen. Dann kann er mir direkt die Augen auskratzen. Lächelnd steige ich aus dem Wagen und gehe auf das Wohnhaus zu, in dem Hiromi mit seiner Mutter und gelegentlich auch mal mit seinem Vater wohnt. Letzterer ist zum Glück meist auf Geschäftsreise. So richtig warm bin ich mit ihm noch nicht geworden.
Bei der Klingel zögere ich noch einmal. Ich will seine Mutter eigentlich nicht aufscheuchen. Allerdings bleibt mir ja keine Wahl: Er geht nicht an sein verdammtes Handy. Ich drücke also auf den Knopf. Kurz darauf höre ich die Stimme seiner Mutter aus der Sprechanlage schallen: „Hallo?“
„Hi, hier ist Louis. Ich wollte zu Hiromi.“
„Oh.“ Das klingt nicht begeistert. Also weiß sie wahrscheinlich, dass Hiromi nicht sonderlich gut auf mich zu sprechen ist. Die beiden haben ein recht enges Verhältnis. Ich bin ein wenig neidisch. Ich habe mich immer noch nicht getraut, meiner Mutter reinen Wein über Hiromi und mich einzuschenken. Sie will es auch gar nicht wissen.
Der Summer vibriert und lässt mich in das feine Wohnhaus. Frau Brandt steht in der Tür. Sie trägt bequeme Kleidung und sieht so aus, als würde sie einen netten Abend vor dem Fernseher verbringen. Allerdings zeigt mir ihre Mimik, das irgendetwas nicht stimmt. Vor allem: Wieso steht sie da und nicht Hiromi.
„Hallo Louis“, grüßt sie mich und lächelt auf ihre freundliche Art. „Ich muss dir leider mitteilen, dass Paul nicht da ist.“
„Wie, nicht da?“, echoe ich ein bisschen dumm. Damit erwischt sie mich eiskalt. Aber klar … Eigentlich logisch, dass er nicht trübsinnig herumhockt und auf mich wartet. Das würde nicht zu ihm passen. Ich seufze. „Wo ist er denn?“
„Er ist mit Lasse zu einer Party gegangen“, erklärt sie entschuldigend. „Im YMCA.“
„Oh“, brumme ich. Lasse. Mit dem versteht er sich in letzter Zeit wohl richtig gut. Ich weiß, dass sie nur befreundet sind, dennoch bin ich immer etwas eifersüchtig. Der Kerl ist immerhin schwul und Hiromi ist einfach zu verführerisch. Außerdem ist er … ziemlich experimentierfreudig.
„Warum fährst du nicht einfach auch dort hin?“, schlägt Frau Brandt vor. „Paul war so enttäuscht, als du ihm für heute abgesagt hast.“
„Ja, ich hab’ nicht damit gerechnet, dass ich doch noch einigermaßen rechtzeitig fertig werde“, gestehe ich. Meine Sehnsucht nach Hiromi verschweige ich lieber. „Na gut, dann werde ich ihn mal suchen gehen. Vielen Dank und entschuldigen Sie die späte Störung.“
„Ach, dafür musst du dich nicht entschuldigen. Viel Erfolg“, wünscht sie lächelnd. „Ihr könnt ja heute Nacht hier schlafen.“
„Danke.“ Ich nicke ihr noch einmal zu und mache mich dann auf den Weg in diesen Club. Zum Glück weiß ich, wo das ist, auch wenn ich noch nie drin war. Es ist die größte Attraktion für Homosexuelle in der Stadt. Jeder kennt sie. Und natürlich muss Hiromi den Club jetzt auch unbedingt kennen lernen. Er will immer alles ausprobieren. War eigentlich klar, dass er meine Abwesenheit dafür ausnutzt.
Wir gehen selten zusammen aus. Höchstens mal ins Kino oder mit ein paar guten Freunden was trinken. Bei einer dieser Gelegenheiten habe ich auch Lasse kennen gelernt. Ich mag ihn irgendwie, aber ich traue ihm nicht. Er ist ein ziemlicher Playboy. Offensichtlich mag er Hiromi gerne und ich habe keine Lust, ihn an jemand anderen zu verlieren. Auch wenn wir so unsere Probleme haben.
„Bitte, benimm dich, Hiromi“, flüstere ich leise vor mich hin. Ich weiß, dass es ihm schon lange nicht mehr reicht, was wir machen. Er will mehr. Immer mehr. Und ich bin ein wenig überfordert. Überwiegend ist es Angst, das ist mir klar. Aber genauso groß wie die Angst vor dem nächsten Schritt, ist auch die Angst, Hiromi an jemanden zu verlieren, der weniger Angst hat.
Nach langer Suche finde ich schließlich noch einen freien Parkplatz vor dem Club. Es ist recht viel los. Eigentlich habe ich wirklich kein Bock mehr auf so was. Tanzen und laute Musik. So locker war der Elternabend nun auch wieder nicht. Seufzend fahre ich mir noch einmal durchs Haar und betrachte mich im Spiegel. Meine Güte, ich sehe wirklich nicht so aus, als sollte ich da rein gehen. Überhaupt nicht zurechtgemacht. Hiromi wird bestimmt wieder toll aussehen. Er ist unheimlich auf sein Aussehen bedacht … Ach, scheiß drauf. Ich muss ihn mir ja nur schnappen, besinnungslos küssen und dann mitnehmen. Das klappt schon.
Zehn Schritte vom Auto entfernt fällt mir plötzlich auf, dass es sich anscheinend nicht um eine normale Veranstaltung handelt. Der Typ mit den Strapsen, der vor mir herläuft, hat diesen Gedankengang ausgelöst. Als ich mich umsehe, fallen mir noch ein paar mehr auf … Ist das hier eine Transvestiten-Show? Scheiße. Ich werde ein wenig nervös, als ich weiter gehe. Der Türsteher mustert mich ziemlich skeptisch. „Sicher, dass du heute hier rein willst?“
„Mein Freund ist da drin“, erkläre ich schulterzuckend.
„Ah, gut“, brummt er und winkt mich ein wenig entspannter vorbei. Sicher dachte er, dass ich hetero bin und mich verlaufen habe. Damit hat er ja auch nicht ganz unrecht. Mittlerweile bezeichne ich mich zwar als bi, aber außer Hiromi gab es noch keinen anderen Mann, der mich gereizt hätte. Merkwürdigerweise beunruhigt mich das aber mittlerweile mehr, als dass es mich beruhigt. Was, wenn Hiromi irgendwann beschließt, sich einen unkomplizierten, schwulen Freund zu suchen? Das ist die entscheidende Frage, die mich auch dazu verleitet, ohne zu murren den völlig überteuerten Eintritt zu bezahlen und mich ins schrille Getümmel unter den bunten Lichtern und Technosounds zu mischen. Oh mein Gott, ich hasse solche Musik! Wo bist du, Hiromi? Ich will wieder gehen …
Ich komme mir vor wie ein Alien. Frauen in Anzügen mit aufgeklebten Bärten. Männer in engen Fummeln mit Perücken. Das also macht Hiromi, wenn ich nicht verfügbar bin. Dabei habe ich gedacht, dass er sein Hobby aufgegeben hat. Ich hätte ihn gerne noch einmal im Kimono gesehen. Er sah so süß aus. Jedoch hat er das nie mehr gemacht und ich habe ihn auch nicht darum gebeten. Das war immer unser wunder Punkt. Mühsam kämpfe ich mich weiter durch die Massen und halte nach ihm Ausschau. Gar nicht so einfach, wenn man nicht weiß, wonach ich suchen muss. Vielleicht trägt er ja auch eine Perücke.
Nach etwa fünfzehn Minuten bin ich mir sicher, dass er nicht auf der Tanzfläche ist und auch nicht im vorderen Bereich des Clubs. Nach weiteren zehn Minuten habe ich die Theken abgeklappert und wende mich dem Ruhebereich zu. Hin und wieder hagelt es spöttische Anmachen, von irgendwelchen Gruppen betrunkener Typen. Meine Laune sinkt in den Keller. Vielleicht ist er ja gar nicht hier. Er kann seiner Mutter ja sonst was erzählt haben. Ich bin kurz davor aufzugeben, da sehe ich ihn – sie. Scheiße.
Wie angewurzelt bleibe ich stehen und starre ihn an. Er sieht umwerfend aus in dem roten Kleid. Sein Make-up ist genial. Sieht richtig professionell aus. Aber was mich am meisten beeindruckt, ist das Lächeln auf seinem Gesicht, auch wenn es mich beinahe umbringt, dass es nicht mir gilt, sondern dem blonden Typen neben ihm. Insgesamt stehen dort vier Typen bei Hiromi. Der einzige, den ich kenne, ist Lasse. Oh verdammt, wie lange ist es her, dass Hiromi mich so angelächelt hat?
Ich muss für einen kurzem Moment die Augen schließen, um mich zu beherrschen. Alles in mir schreit danach, mir Hiromi zu schnappen und von hier weg zu bringen. Er gehört mir. Aber wenn ich das tue, versucht mir mein Verstand klar zu machen, wird er noch wütender auf mich sein. Er ist so schon sauer, sonst wäre er gar nicht erst hier. Wenn ich ihm jetzt auch noch etwas vorschreiben will, dann …
Als ich die Augen wieder öffne, sehe ich, wie der Typ über Hiromis Arm streicht. Normalerweise ist Hiromi nicht für derartige Berührungen zu haben. Insbesondere nicht von Fremden. Also müssen die beiden sich ja prima verstehen. Ich sehe wieder rot und es würde mich nicht wundern, wenn ich zudem noch gelb anlaufe vor Eifersucht.
Aber ich halte mich zurück und atme erst einmal tief durch. Ruhig bleiben. Ich habe sie ja nicht in flagranti erwischt. Sie flirten nur. Nur. Ich schmecke Blut. Unbewusst habe ich mir auf die Innenseite meiner Wange gebissen. Ich bin kein bisschen ruhig.
Während ich noch zögere, schnappt sich der blonde Typ Hiromi am Arm und zerrt ihn auf die Tanzfläche. Nur knapp an mir vorbei. Drei Meter. Aber Hiromi sieht mich nicht. Er sieht niemanden, außer diesem Typ, den er jetzt anlacht und irgendetwas zuruft, das ich nicht verstehe. Der Kerl sieht an Hiromi herunter und lacht dann ebenfalls. Ich fühle mich furchtbar ausgeschlossen und habe das Gefühl gleich kotzen zu müssen.
Mein Blick wird plötzlich von Lasse aufgefangen. Er hat mich entdeckt und winkt mir fröhlich, wenngleich überrascht zu. Hat sicherlich nicht mit mir gerechnet. Ich hebe kurz meine Hand und wende mich wieder in Hiromis Richtung. Soll ich die beiden ihren Tanz tanzen lassen? Auf keinen Fall. Zwar werde ich nie erfahren, ob es bei einem Tanz geblieben wäre, jedoch will ich das auch gar nicht wissen. Ich schiebe mich durch die Tanzenden, bis ich hinter Hiromi stehe. Besitzergreifend lege ich meine Hände auf seine schmalen Hüften und ziehe ihn an mich.
„Hey! Anfassen ist n…“ Hiromi wirbelt zu mir herum und stockt dann mitten im Satz. Überrascht sieht er mich an und runzelt dann die Stirn. „Was machst du denn hier?“
„Deine Mutter hat mir gesagt, wo ich dich finde. Ich wollte dich abholen“, erkläre ich und beuge mich vor, um ihn zu küssen. Doch er weicht mir aus.
Entrüstet zieht er eine Schnute. „Jetzt will ich aber nicht mehr abgeholt werden.“
„Brauchst du Hilfe?“, erkundigt sich der blonde Typ bei Hiromi und mustert mich kritisch.
„Ähm nein, das ist Louis, mein Freund“, stellt Hiromi mich hastig vor. „Tobias, ein Freund von Lasse.“
Ich nicke ihm finster zu. „Hi.“
„Oh, hi.“ Der Sunnyboy lacht fröhlich. „Der Lehrer, stimmt’s? Elternabend schon vorbei?“
Ich bin ein kleines bisschen befriedigt, dass er immerhin von meiner Existenz weiß. Also hat Hiromi von mir erzählt. Vielleicht hat er sich auch mehr über mich beschwert. „Ja, hat nicht so lange gedauert, wie ich befürchtet habe, deshalb bin ich doch noch gekommen.“ Dann beuge ich mich zu Hiromi vor, damit dieser Tobias mich nicht hört. „Ich wollte dich sehen.“
„Na, dann sieh mal zu …“, knurrt er böse. „Ich wollte gerade mit Tobias tanzen.“
„Tanz doch mit mir“, schlage ich vor.
„Tobias hat als erstes gefragt“, entgegnet Hiromi schlicht und macht sich von mir los.
Dumm sehe ich dabei zu, wie er wieder zu Tobias herumwirbelt und ihn ein Stück von mir wegzieht. Der lächelt mich kurz an und zuckte mit den Schultern. Als ob er nichts dafür könnte. Wichser. Und jetzt? Ich sehe den beiden bestimmt nicht zu. Ja, meinetwegen habe ich Hiromi verärgert, als ich ihm abgesagt habe. Aber ich kann doch nichts dafür, wenn ich arbeiten muss. Kein Grund, mich bestrafen zu wollen. Und das hier ist eine Bestrafung.
Grimmig wende ich mich ab und gehe in Richtung Ausgang. Das verlangt mein Stolz. Hätte ich wirklich etwas falsch gemacht, könnte ich es ja noch einsehen, hier sichtbar Buße zu tun. Aber einfach nur wegen Hiromis unversöhnlicher Laune wie der letzte Idiot dabei zuzusehen, wie er mit so einem Lackaffen tanzt: niemals.
Doch ich komme nicht weit. Lasse stellt sich mir in den Weg. „Hi, Louis! Cool, dass du doch noch gekommen bist!“
„Ach? Ich glaube, mit der Meinung bist du ziemlich allein“, brumme ich grimmig und will ihn umrunden. Doch er hält mich am Arm fest.
„Unsinn, bleib hier“, fordert er mich auf. „Tobias ist doch kein Gegner für dich.“
„Der Kerl ist mir scheißegal“, behaupte ich knurrend.
„Dann kannst du ja erst recht bleiben. Hiromi kriegt sich schon wieder ein“, meint er und zwinkert mir zu. „Komm, lass uns was trinken.“
„Ich muss fahren“, lehne ich ab.
„Ich auch. Cola?“, schlägt er einnehmend vor und führt mich, ohne mein Widerstreben zu beachten, zur nächsten Bar. „Also … Wo liegt das Problem?“, will er dort wissen.
„Wüsste ich auch gerne“, brumme ich unzugänglich. Ich kenne ihn nicht gut genug, um mit ihm über meine Probleme zu reden. Aber wenn er mir Hiromis Sichtweise präsentieren möchte, sage ich nicht nein. Er klingt nämlich so, als hätte er etwas in der Richtung vor.
„Na ja, sieht so aus, als käme sich Hiromi ein wenig ungeliebt vor“, deutet Lasse vage an und bestellt uns erst einmal die Cola.
„Ungeliebt? Nur weil ich arbeiten musste?“, hake ich stirnrunzelnd nach.
„Das scheint wohl eher der letzte Tropfen gewesen zu sein.“ Lasse sieht sich kurz zu den beiden Tänzer um. Sie halten noch brav Abstand. „Er hat mir erzählt, dass du eigentlich gar nicht schwul bist.“
„Hat er?“ Allmählich werde ich wirklich sauer. Das geht doch keinen was an. Ich tratsche ja auch mit keinem Außenstehenden über meine Beziehung.
„Stimmt das denn?“, will Lasse interessiert wissen. „Du bist hetero?“
„Nein, bi“, brumme ich.
„Ah, und was ist dann dein Problem?“, erkundigt er sich lässig und mustert mich einmal von oben bis unten und wieder zurück. Ich beginne mich wirklich unwohl zu fühlen. Hat Hiromi sich bei ihm ausgeheult? Dass ich noch nicht mit ihm geschlafen habe? Das ist seit Wochen unser Streitthema Nummer eins. Je mehr wir darüber diskutieren, desto weniger mag ich. Gott, es ist ja nicht nur sein erstes Mal. Ich habe das auch noch nie gemacht. Eigentlich sollte das etwas ganz Intimes, Schönes werden. Nichts, worüber ich mit jemand anderem sprechen will. Erst recht nicht mit diesem Lasse.
„Ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht“, meine ich daher und wende mich der Tanzfläche zu.
„Nein, aber Hiromi ist ein guter Freund und vielleicht mache ich mir Sorgen um seine Beziehung zu dir. Ich meine, du weißt, wovon ich rede, oder? Was Hiromi möchte? Wirklich möchte? Vielleicht mag er irgendwann ja nicht mehr auf dich warten.“
Wunderbar, ich stehe ja noch nicht genug unter Druck. Grimmig verziehe ich das Gesicht und sehe Lasse nun doch wieder an. „Ich weiß das.“ Und es macht mir wirklich Angst. Erst recht, wenn Hiromi mit irgend so einem Typen tanzt und ich zugucken muss.
„Na dann, wo liegt dein Problem? Denkst du ernsthaft, es wäre so schlimm? Oder kriegst du keinen hoch dabei?“
„Ich glaube wirklich nicht, dass dich das was angeht.“
„Nein, mich nicht. Aber Paul muss es verstehen.“ Lasse sieht mich immer noch fest an. „Also rede aufrichtig mit ihm.“
Ich seufze ungeduldig und blicke noch einmal zu Hiromi auf die Tanzfläche. Es nervt mich tierisch, dass er immer noch da ist und mit diesem anderen Typen flirtet. Wieso habe ich mich von Lasse aufhalten lassen? Neue Erkenntnisse hat mir seine Einmischung auch nicht gebracht. Es macht mich eher richtig wütend, dass Hiromi mit ihm darüber gesprochen hat. Es ist ein sehr privates Thema. Für mich zumindest.
Und ich weiß, dass ich Hiromi etwas schulde … Eine Erklärung oder eben die Umsetzung. Beides fällt mir sehr schwer. Ich finde nicht einmal vor mir selbst die richtigen Antworten. Es ist so unfair, dass Hiromi mich nun von wirklich allen Seiten unter Druck setzt. Jetzt scheint er mir auch noch vermitteln zu wollen, dass er andere haben könnte. Gott, ich hasse es, ihn mit diesem anderen Typ zu sehen.
Angespannt atme ich aus und stelle die Cola, die ich nicht einmal angerührt habe, zurück auf den Tresen. „Ich warte draußen im Auto, falls Hiromi fragt.“
„Okay, sag ich ihm. Glaub aber nicht, dass er sofort nachkommt. Er wird dich da ziemlich lange schmoren lassen“, gibt Lasse zu Bedenken.
„Ich bin zu müde für den Scheiß hier. Wenn er in zehn Minuten nicht da ist, fahre ich ohne ihn.“
„Oh Mann, macht doch keinen Mist. Wieso wollt ihr es so eskalieren lassen?“
Darauf zucke ich nur mit den Schultern. Letztlich ist es wohl eher mein Stolz, der mir verbietet, noch einmal zu Hiromi zu gehen, um ihn zum Mitkommen zu überreden. Das kann ich einfach nicht tun, nachdem er mich eben so abgebügelt und stehen gelassen hat. Das war einfach respektlos und hat eindeutig darauf abgezielt, mich zu bestrafen oder zu verletzen. Falls ich ihn mit der Absage heute Abend verletzt habe, tut es mir leid, aber das war im Gegensatz zu dem, was er gerade gemacht hat, keine Absicht. Ich zucke also nur mit den Schultern und drehe mich entschlossen um. Diesmal hält mich Lasse nicht auf.
In mir brodelt es, als ich den Club verlasse und den Parkplatz nach meinem Auto suchend überquere. Vermutlich kann ich mir das Warten sparen. Hiromi wird mich entweder nicht suchen oder nicht finden. Zumindest nicht, wenn ich im Auto sitze. Einen Moment ringe ich noch mit mir, aber dann bleibe ich tatsächlich an meine Motorhaube gelehnt stehen. Zehn Minuten, schwöre ich mir stumm. Um meinen guten Willen zu zeigen. Ich bin nicht derjenige, der es ausarten lassen will. Dafür bin ich bestimmt nicht hergekommen.
Die Minuten vergehen wirklich langsam, doch schließlich sind es zehn Minuten. Elf. Zwölf. Ich stöhne leise und stoße mich dann doch von der Motorhaube ab. Dann soll es eben so sein. Frustriert steige ich ins Auto ein und stecke den Schlüssel ins Zündschloss. Genau in diesem Moment vibriert mein Handy.
‚Wo bist du?‘, erkundigt sich Hiromis knappe SMS. Seine unverrauchte Wut schreit mir aus den drei Worten geradezu entgegen. Keins der üblichen Smilies. Allein das ist Zeichen genug.
‚Gleich weg‘, tippe ich böse zurück, doch dann zwinge ich mich zur Vernunft und füge hinzu. ‚Du hast noch drei Minuten, falls du dich wieder einkriegst.‘
Darauf erhalte ich zunächst nichts zurück. Ich starte den Motor und fahre dichter an den Eingang heran, damit er mich sieht, falls er tatsächlich kommt. Und er kommt. Unwirsch stampft er aus dem Club und sieht sich kurz um. Als er mich entdeckt, verhärtet sich seine Haltung noch. Es sieht grotesk aus, in dem Kleid, als er so maskulin wütend auf das Auto zu rennt. Er kommt jedoch nicht zur Beifahrertür, sondern beugt sich an meiner Seite herab und haut mit der flachen Hand gegen das Fenster. Ein Wunder, dass die Scheibe nicht bricht. Ich kurble das Fenster runter. Abwartend und irgendwie auch sehr sauer sehe ich zu ihm auf.
„Willst du mir den Abend gleich zweimal versauen? Gratulation! Das ist dir gelungen!“, bellt er mir wütend entgegen. „Du hättest echt wegbleiben können!“
„Ja, das denke ich mir jetzt auch!“, knurre ich frustriert und verletzt zugleich. „Aber ich konnte ja nicht ahnen, dass ich dich derart stören würde.“
„Du kannst nicht erwarten, dass du auftauchst und gleich ist alles vergeben und vergessen!“
„Ach nein? Ich kann zumindest erwarten, dass ich auftauche und du dich nicht einem anderen Typen an den Hals wirfst, um mich blöd dastehen zu lassen! Und wenn du ein Problem mit mir hast, dann diskutiere es mit mir aus und nicht mit deinen Freunden!“
„Als würdest du mit mir diskutieren! Du schiebst immer irgendwelche dummen Gründe vor!“
„Liegt vielleicht daran, dass man mit dir nicht diskutieren kann, weil du immer alles generalisieren musst!“, spotte ich sarkastisch, obwohl ich weiß, dass es dadurch nur noch schlimmer wird. Wir streiten. Es ist ein dummer Streit. Völlig am eigentlichen Thema vorbei.
„Das muss ich nicht generalisieren, denn das mit dem immer stimmt!“, entgegnet Hiromi spitz. „Wobei, eigentlich ist es sogar eher ein nie, das mich bei dir so ankotzt! Und immerhin habe ich Freunde, mit denen ich über so etwas reden kann! Deine Freunde wissen ja nicht einmal, dass ich existiere!“
„Das stimmt überhaupt nicht!“, knurre ich erzürnt. „Die wichtigsten wissen es.“
„Dann ist dir deine Mutter also nicht wichtig!?“
„Waren wir nicht eben noch bei meinen Freunden!? Das mit meiner Mutter ist etwas ganz anderes! Außerdem solltest du froh sein, dass ich es ihr noch nicht gesagt habe! Damit hab’ ich dir vieles erspart!“ Meine Fingerknöchel sind weiß, so sehr umklammere ich das Lenkrad. „Und überhaupt, ist es besser die Klappe zu halten, als deinen Partner vor deinen Freunden bloßzustellen! Das würde ich niemals tun! Ich versuche nur, dich zu schützen. Dir geht es doch nur um dich selbst dabei!“
„Ich brauche deinen Schutz nicht!“, schreit Hiromi zornig. „Ich bin ein Mann! Finde dich endlich damit ab! Ich kann allein auf mich aufpassen!“
„Du benimmst dich nicht wie ein Mann, sondern wie ein trotziges Kind!“, schreie ich zurück. „Sonst hättest du schon längst bemerkt, dass das überhaupt kein Thema mehr ist!“
„Das glaubst auch nur du! Denkst du ich merke es nicht, dass du immer noch ein Problem mit meinem Schwanz hast?!“
„Ich habe kein Problem mit deinem Schwanz! Du hast Komplexe! Und du bist derjenige, der hier in einem Kleid herumläuft! Heimlich! Ist das der Grund, wieso ich dich vorhin nicht einmal anfassen und mit dir tanzen durfte? Ist es dir peinlich? Vielleicht hast du ja doch mehr Probleme mit deinem Schwanz als ich!“
„So ein Blödsinn! Ich mache das aus Spaß. Aber es macht mit dir keinen Spaß, weil du es lieber hättest, wenn ich immer in Kleidern herumlaufen würde! Du hast mich vorhin angefasst als wäre ich eine Frau!“, unterstellt Hiromi verletzt. „Hätte ich kein Kleid angehabt, hättest du mich nur angetickt, weil es dir peinlich wäre, einen Mann öffentlich so anzufassen!“
„Das ist ein Schwulenclub! Ich hätte dich so oder so von diesem Kerl weggezogen! Das hatte überhaupt nichts mit deinem dämlichen Aufzug zu tun!“
„Das kannst du jetzt jedenfalls vergessen!“, zischt Hiromi. „Ich komme nicht mit dir mit, sondern gehe da rein und tanze weiter mit anderen Männern! Und ich will dich auch morgen und übermorgen nicht sehen! Vielleicht sogar nie mehr!“
„Fein! Wenn es das ist, was du willst. Dann muss ich mir dein Gezicke immerhin nicht noch weiter anhören.“
Darauf zeigt er mir nur den Mittelfinger und wirbelt herum, um wieder zurück in den Club zu stampfen. Ich presse die Kiefer aufeinander, als ich ihm hinterher sehe. Dann gebe ich Gas und fahre davon, ehe ich es mir anders überlegen kann. Eigentlich kann ich gerade überhaupt nichts überlegen, so zornig bin ich. Es kostet mich schon genug Konzentration, vernünftig fahren zu können und nicht das Gaspedal bis zum Anschlag durchzutreten.
Ich war noch nie in meinem Leben so wütend auf eine Person. Er kann so ein selbstgefälliger, egozentrischer Knallkopf sein. Wie eine Frau angefasst! Pah! Wenn er diese Komplexe hat, soll er gefälligst aufhören, Kleider zu tragen! Er hat schon ewig keins mehr angehabt. Vor mir zumindest. Wer weiß, was er zu Hause macht, wenn ich nicht da bin. In mir kocht heiße Wut. Gleichzeitig habe ich ein dumpfes Gefühl darin. Eine Art unbestimmten Schmerz, den ich aber nicht zulassen will. Momentan ist mein Zorn einfach vordergründiger. Hiromi hat überhaupt nicht verstanden, dass es falsch war, seinen Freunden von unserem Problem zu erzählen!
Gott! Eigentlich ging es ihm doch nur darum, oder? Er will Sex! Er denkt schon seit Monaten an nichts anderes mehr! Wie ein notgeiler Teenager, der er wohl noch ist. Irgendwie will ich ja auch, dass er zu seinem ersten Mal kommt. Natürlich. Und es soll schön für ihn sein. Unvergesslich. Eben so, wie er sich das vorstellt. Aber bei den hohen Erwartungen, die er hat, kann es doch nur schief gehen. Natürlich wird er davon enttäuscht sein.
Erst recht bei seiner verqueren Vorstellung davon. Total romantisiert. Wahrscheinlich hat er zu viel Gay Porn geguckt. Als wäre das so viel besser, als das, was wir momentan machen. Er kann doch nicht ernsthaft denken, dass es sich so genial anfühlt, wenn ein dickes, hartes Ding in seinen kleinen Arsch geschoben wird. Das muss doch furchtbar weh tun. Natürlich habe ich mich darüber informiert. Ich weiß, wie man vorgehen soll, mit dem Dehnen, Gleitmittel und so … Dennoch. Auf den Infoseiten im Netz stand eindeutig, dass das erste Mal meist schmerzhaft ist.
Aber es geht nicht mal nur darum, dass ich ihm nicht wehtun möchte. Es ist für mich einfach nicht so sexy. Es ist sein Arsch, verdammt noch mal. Er scheißt damit. Okay, Frauen pinkeln mit ihrer Muschi auch, aber das ist noch mal eine Stufe weniger schlimm. Gegen seinen Schwanz habe ich schließlich wirklich nichts. Ich mag es gerne, ihn da anzufassen und zu streicheln. Aber sein Arsch … Beziehungsweise sein Enddarm … Er hat einen hübschen Hintern. Aber es geht ja um mehr, als nur um seinen Po. Es geht um ein kleines Loch und was dahinter kommt. Mein Arsch zumindest bleibt Einbahnstraße. Punkt.
Mühsam nehme ich den Fuß vom Gaspedal. Das Tacho zeigt hundertvierzig Stundenkilometer an. Dabei ist es eine Landstraße. Ich sollte besser aufpassen, sonst bin ich nicht nur meinen Freund, sondern auch noch meinen Lappen los.
Meinen Freund los sein. Darauf läuft es hinaus, oder? Der Streit eben. Das war kein kleiner Streit. Er hat sich über Wochen aufgestaut. Ich habe doch bemerkt, wie unzufrieden Hiromi mit mir geworden ist. Es geht schon zu lange nach meinem Tempo. Nein, eigentlich nicht. Er versucht ständig, dagegen anzusteuern und setzt mich mehr und mehr unter Druck. Das ist auch für mich unerträglich. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum ich so stur bin. Anders komme ich einfach nicht gegen ihn an. Es würde mich sonst erdrücken. Ausquetschen. Nichts von mir überlassen. Und wer bin ich dann? Hiromis Geschöpf? Sein Handkasper? Sein schwuler Handkasper.
Als ich zurück in den Club komme, braucht Lasse nur einen Blick, um meinen aufgewühlten Zustand zu durchschauen. Er schüttelt den Kopf, schnappt sich meinen Arm und zieht mich in eine ruhige Ecke. Weg von seinen anderen Freunden. „Was ist passiert?“
„Ich habe eben Schluss gemacht“, erkläre ich immer noch zornig, aber inzwischen löst die Wut sich schon ein wenig auf. Das geht immer recht schnell bei mir, nachdem ich einmal alles losgeworden bin. Doch jetzt ist der Schaden angerichtet. Was das bedeutet, ist mir noch nicht so ganz klar. Ich meine, das ist doch nicht endgültig, oder?
„Ernsthaft? Weshalb?“
„Wir haben uns gestritten.“
„Ach nein. Aber seit wann ist das ein Trennungsgrund?“
„Wir drehen uns nur im Kreis. Ich habe genug von ihm und dass er mich nicht so akzeptieren kann, wie ich bin.“
„Wie will er dich denn haben?“
„Na ja, Titten und eine Muschi würden sicher helfen.“
„Zu mir hat er gesagt, er wäre bi. Außerdem, er ist zwei Jahren mit dir zusammen, Paul. Wäre er das noch, wenn er Titten und Muschis wirklich so vermissen würde?“, erkundigt sich Lasse viel sachlicher, als ich es jemals sein könnte. „Oder hat er dich jemals mit einer Frau betrogen?“
„Nein, aber er hat mich auch noch nicht seiner Mutter vorgestellt – nach zwei Jahren. Und wir hatten immer noch keinen Sex – nach zwei Jahren.“
„Und warum nicht?“
„Keine Ahnung! Weil er nicht zu mir steht!“, knurre ich böse.
„Das ist kein Grund. Er ist schließlich auch ein Mann …“, entgegnet Lasse. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er solange auf Sex verzichtet, weil er nicht zu dir steht …“
„Er mag nicht, dass ich einen Penis habe …“
„Unsinn, dann wäre er nicht mit dir zusammen. Dann hätte er Schluss gemacht und nicht du.“
„Aber er liebt nicht mich. Er ist in … keine Ahnung … in das hier …“ Ich deute an meinem Kleid hinunter. „… verliebt.“
„Das da bist du Hiromi“, erklärt Lasse sanft. „Egal was du anhast: Du bist du. Und Louis ist in dich verliebt. Seit zwei Jahren. Er war immer aufrichtig zu dir. Und ich finde, du schuldest ihm, dass du herausfindest, was genau der Grund ist, weshalb er sich nicht auf mehr einlassen will. Wovor er Angst hat.“
„Ich habe ihn das schon zigmal gefragt!“, knurre ich uneinsichtig, aber auch irgendwie verunsichert. Louis und Angst? Das passt doch nicht. Nicht wirklich zumindest.
„Ja, weil du ihn überreden wolltest. Nicht, weil du ihn verstehen wolltest.“
„Hey! Du tust so, als wäre ich der Böse!“, grummle ich und sehe ihn kritisch an. Immerhin ist er mein Kumpel. Er sollte doch auf meiner Seite stehen.
„Nein, will ich gar nicht. Ich versuche nur, dich vor einer Menge Kummer zu bewahren, weil ich weiß, wie sehr du in ihn verliebt bist. Da macht man nicht einfach mal eben Schluss, weil man sich über dumme Dinge streitet!“ Er rollt mit den Augen. „Er ist extra hergekommen, Paul. Nach einem langen Arbeitstag, weshalb er dir eigentlich schon abgesagt hatte … Aber er ist dennoch gekommen und du zeigst ihm die kalte Schulter. Das war nicht nett. Okay, dann habt ihr eben eure Probleme. Nur ist er trotzdem hergefahren, um dich abzuholen, obwohl er sicher wusste, dass du schlecht auf ihn zu sprechen bist.“
Ich atme angespannt aus. Er macht mir ein total schlechtes Gewissen. Wobei ich immer noch nicht glaube, dass ich die Alleinschuld an diesem Streit trage. Louis hätte auch schon früher einlenken können. Außerdem kann er froh sein, dass ich mit Lasse über diese Dinge spreche, statt sich darüber aufzuregen. Immerhin steht Lasse auf seiner Seite. So eine Gemeinheit.
Jetzt ist meine Wut endgültig verpufft. Und plötzlich realisiere ich, was mir bevorsteht: Ein ganz langes Wochenende ohne Louis. Wir haben uns extrem gestritten. Wir haben uns schreckliche Dinge an den Kopf geworfen. Teilweise nur, weil wir wussten, dass wir den anderen damit verletzen. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich daran denke. Erschreckend, wie gut wir wissen, an welchen Schrauben wir drehen müssen, um den anderen zu treffen. Auch Louis. Er hat mir tatsächlich vorgeworfen, ich würde auf diese Verkleidungsspielchen stehen. Oder meinte er, dass ich doch transsexuelle Tendenzen habe? Was zum … Ich kämpfe gegen die neu aufsteigende Wut in mir an. Er weiß wirklich, wie er mich treffen kann.
Lasse sieht mich immer noch abwartend an. „Ich kann dich zu ihm fahren, wenn du willst. Sofort …“
„Keine Ahnung, ob ich das will“, gestehe ich benommen ein. „Wir haben viele blöde Dinge gesagt.“
„Ein Grund mehr, die Sache schnell zu bereinigen. Oder willst du das noch länger zwischen euch stehen lassen?“
„Seit wann bist du eigentlich so ein Experte?“
„Ich bin kein Experte. Ich bin nur besorgt, dass ich mich die nächsten Monate um deinen Liebeskummer kümmern muss“, erklärt Lasse sanft neckend. „Und um die ganze Schokolade, die ich dann mitessen muss, damit du nicht alleine dick wirst.“
Ich sehe ihn schmollend an. „So schnell werde ich nicht dick.“ Aber ich glaube nicht, dass Schokolade mir Louis ersetzen könnte. „Okay, fahren wir zu ihm. Erst will ich mich aber noch umziehen und abschminken.“
„Na gut, fahren wir erst zu dir und dann zu deinem Herzensbrecher …“, meint Louis nachgiebig. „Ich sag’ schnell den anderen Bescheid.“
„Ich kann dir das Geld für den Sprit geben. Meine Mutter hat mir Taxigeld mitgegeben.“
„Das wäre cool“, stimmt er grinsend zu und klopft mir leicht auf die Schulter. „Keine Sorge, das bekommt ihr bestimmt schnell wieder hin. Ich meine, schlecht ist es sicherlich nicht, dass du ihn mal so aufgerüttelt hast und er gesehen hat, dass du auch andere haben könntest. Er war ziemlich eifersüchtig, als du mit Tobi getanzt hast.“
„Echt?“
„Na klar … Deshalb ist er ja auch raus. Es gab nicht so viele Optionen für ihn. Zugucken wollte er offensichtlich nicht und eine Szene machen wohl auch nicht.“
„Oh …“ Ich dachte bis jetzt, er wäre nur raus gegangen, um mich unter Druck zu setzen, ihm zu folgen, damit er mich mitnehmen kann. Nach dem Motto: Ich warte! Verlegen reibe ich mir über die Augenbraue. „Okay … Bis gleich, ich gehe schon mal zu deinem Auto.“
Eine Stunde später hält Lasses Wagen vor Louis’ Wohnhaus. Da er in einem Dorf wohnt, ist seine Wohnung ziemlich groß und dennoch günstig. Das Haus ist ein Backsteingebäude, in dem außer ihm noch zwei weitere Parteien wohnen. Er hat die Wohnung ganz oben im Dachgeschoss mit einer Art großen Dachterrasse vor dem Schlafzimmer. Echt schick.
„Soll ich warten oder meinst du es geht gut?“, erkundigt sich Lasse.
„Hm, keine Ahnung. Vielleicht wartest du zehn Minuten und wenn ich bis dahin nicht wieder angekrochen komme, kannst du fahren?“, schlage ich vor.
„Okay, klingt nach einem Plan.“
„Danke“, murmle ich aufrichtig. „Ohne dich wäre ich ziemlich am Arsch.“
„Ja, aber dafür sind Freunde ja da.“ Lasse grinst breit. „Du schuldest mir was.“
„Aha.“ Ich wusste doch, die Sache hat einen Haken. „Was denn?“
„Abwarten. Ich denk’ mir etwas Schönes aus.“
Darauf schnaufe ich nur leise. Immerhin fühle ich mich jetzt nicht mehr ganz so ausbeuterisch, was unsere Freundschaft angeht. „Dann bis hoffentlich Montag und nicht gleich.“
„Ich drück dir die Daumen. Und immer cool bleiben.“
„Danke.“ Damit steige ich aus und sehe unwohl zu Louis’ Wohnung hinauf. Sie liegt im Dunkeln. Aber es ist mir egal, wenn ich ihn wecken muss. Ich weiß, dass ich heute Nacht kein Auge zu tun kann, ehe wir das nicht bereinigt haben. Also nehme ich all meinen Mut zusammen und gehe zur Tür, um zu klingeln. Eine Weile tut sich nichts, doch dann wird der Summer betätigt. Es gibt keine Sprechanlage, doch ich vermute, Louis kann sich auch so denken, dass ich es bin. Er bekommt sonst wohl kaum noch so spät Besuch. Zumindest nicht, dass ich wüsste.
Entgegen meiner Erwartung scheint Louis überrascht zu sein, mich zu sehen. Verhalten lehnt er in seinen Schlafsachen – Shirt und Shorts – in der Tür und sieht mir entgegen. Ich trage inzwischen Jeans und ebenfalls ein T-Shirt. Ganz normal eben. Nur das ich mich gar nicht normal fühle. Ich habe Bauchschmerzen, weil er mich so kühl mustert. Er ist immer noch wütend auf mich. Gut, ich habe auch noch nicht alles verdaut, was wir uns an den Kopf geworfen haben.
„Hey“, grüße ich ihn leise.
„Hey.“ Er weicht von der Tür so weit zurück, dass ich eintreten kann. „Wer hat dich hergebracht?“
„Lasse“, antworte ich schlicht. „Ich wollte das nicht so stehen lassen…“
„Ich habe keine Lust, weiter zu streiten.“
„Ich will nicht streiten.“
„Was dann?“, will er wissen.
Versöhnen? Mich entschuldigen? Ersteres ja. Zweiteres nur wenn er auch einsieht, dass er nicht unschuldig ist. Ich streife meine Turnschuhe ab, ehe ich ins Wohnzimmer gehe. Mir ist nicht danach, die Angelegenheit im Flur zu klären. „Hast du schon geschlafen?“
„Nein“, brummt Louis. Seine Arme sind immer noch vor der Brust verschränkt. Seine Kiefer verspannt. Vermutlich konnte er nicht schlafen, weil es ihn auch noch beschäftigt. Immerhin etwas.
Unschlüssig lehne ich mich gegen die Rückseite der Couch. Ich weiß nicht so ganz, wo ich anfangen soll. Soweit reicht mein Plan nicht. Die Situation ist so unangenehm. Seufzend atme ich aus. „Das was ich gesagt habe, das meinte ich gar nicht alles so … Besonders das am Ende … Ich war wütend auf dich.“
„Ach nein“, grummelt Louis. „Und das am Anfang war dir ernst?“
Ich versuche mich an den Anfang zu entsinnen, aber eigentlich weiß ich gar nicht, was ich ihm alles gesagt habe. „Ich war die ganze Zeit wütend auf dich. Weil du keine Zeit hast und dann erwartest, ich würde …“ Frustriert breche ich ab. Jetzt geht es doch wieder von vorn los.
„Mir ist klar, dass du enttäuscht warst, weil ich dir erst so spät von dem Elternabend erzählt und dich versetzt habe“, gibt Louis einsichtig zu. „Trotzdem finde ich, dass du überreagiert hast. Du warst gemein zu mir im Club. Absichtlich gemein. Du wolltest mich bestrafen.“
„Ich war sauer“, stimme ich zu. „Aber nicht nur wegen dem Absagen.“
„Weshalb noch?“
„Es ist die ganze Situation. Ich habe das Gefühl … Es ist, als müsste ich ständig auf dich warten. Immer richtet sich alles nach dir. Es ist dir ganz egal, was ich möchte …“
„Ich konnte nichts für den Elternabend. Meine Schüler haben einen anderen Schüler so gemobbt, dass der nicht mehr zur Schule kommen will. Der Junge ist schwul, deshalb … Seine Eltern haben auf einen sofortigen Termin mit mir bestanden. Und natürlich konnte ich ihnen in diesem Fall nicht absagen.“
Jetzt bekomme ich ein wirklich schlechtes Gewissen. Aber ich schiebe das Kinn ein wenig vor. „Das hättest du mir erzählen sollen.“
„Ich weiß. Aber als ich dich angerufen hab, wusste ich noch nichts Genaues …“
„Was hast du seinen Eltern gesagt?“
„Na ja, wir haben über die Situation geredet und ich habe ihnen versprochen, dass ich mich um den Fall kümmern werde. Mich auch mit den Eltern der anderen Schüler zusammensetze“, erklärt Louis. „Wird nicht einfach, Vierzehnjährigen so viel Vernunft einzureden, dass sie ihn akzeptieren.“ Er seufzt. „Und dann muss ich noch mit Markus reden, das ist der Junge. Keine Ahnung, wie ich ihm Mut machen soll. Er ist der einzige offen schwule Junge in der Schule. Die ganze Situation ist recht verfahren.“
„Kann ich mir vorstellen.“ Dass er da keine Zeit für mich hatte, kann ich ihm nun nicht mehr vorwerfen. „Aber es geht auch nicht nur um heute Abend …“, beharre ich. „Es ist ständig so. Du bestimmst immer über alles in unserer Beziehung, wann wir uns sehen, wie lange, wie intensiv, was wir machen …“
„Ob wir Sex haben oder nicht“, fügt er hinzu und klingt leicht entnervt. „Darum geht es doch eigentlich bei der ganzen Geschichte, oder?“
„Nein“, behaupte ich, doch ganz ehrlich fühle ich mich nicht dabei. „Es geht mir wirklich um alles. Aber ja, das ist auch ein Punkt. Ich meine … Natürlich muss das etwas sein, was wir beide wollen. Ich will dich nicht dazu überreden.“
Nein, wirklich nicht. Er soll es verdammt noch mal selbst wollen. Mein Herz zieht sich plötzlich zusammen und dann ist mir so, als würde es mir geradezu auf die Zunge hüpfen. „Findest du mich nicht begehrenswert genug? Daran liegt es wohl: Ich mache dich in der Hinsicht nicht an, oder?“
„Blödsinn.“ Louis schnauft leise. „Ich finde dich sehr begehrenswert und zwar in jeder Hinsicht. Es ist nur …“ Er bricht ab.
„Was?“, hauche ich unsicher. Was ist es? Warum will er nicht mit mir schlafen? Ich muss es wirklich wissen. Beinahe flehend sehe ich ihn an, doch er weicht meinen Blick kleinlaut aus.
„Du versprichst dir zu viel davon“, sagt er schließlich. „Es ist … In erster Linie wird es dir garantiert wehtun und ich glaube nicht, dass ich es genießen kann, wenn du Schmerzen hast.“
„Es wird mir nicht so sehr wehtun“, entgegne ich irritiert. „Wir sind nicht die ersten, die das machen und es wäre wohl kaum so beliebt, wenn es nur mit Schmerzen verbunden wäre.“
„Aber gerade das erste Mal …“ Louis seufzt. „Du solltest das nicht so romantisieren.“
„Okay. Tue ich nicht. Nur …“ Irgendwie ist es unangenehm so sachlich darüber zu sprechen. Peinlich. Dann romantisiere ich eben. Verlegen sehe ich auf den Boden. „Irgendwann müssen wir doch mal anfangen, um das mit dem Genießen hinzubekommen … Ich glaube doch, dass es schön werden wird. Also, warum willst du mich nicht?“
„Das ist es doch gar nicht … Nur… es kostet mich Überwindung. Ich will dich nicht so“, gesteht Louis zerknirscht. „Nicht auf diese Art.“
„Auf welche Art? Willst du mir etwa sagen, dass du doch nur mit mir befreundet sein willst?“
„Nein, ich empfinde wesentlich mehr als nur Freundschaft für dich. Und ich finde dich sexy“, beteuert Louis schnell. „Du erregst mich und ich will mit dir zusammen sein. Auch intim. Aber …“ Er seufzt resigniert. „Nicht unbedingt anal.“
„Aber wenn ich eine Frau wäre, würdest du mit mir schlafen, oder?“
„Klar, dann hättest du eine Vagina, die ist dafür da. Aber du hast keine. Du hast einen Enddarm und der ist nicht dafür da.“
„Der ist schon seit den Griechen unter anderem dafür da“, entgegne ich verdutzt. „Und das Lustempfinden wird dadurch angeregt … Wer sagt, dass er nicht dafür da ist?“
„Die Griechen sind auf viele komische Ideen gekommen“, entgegnet Louis gequält. „Für mich ist ein Arsch Einbahnstraße. Ich muss da total umdenken. In dem Moment hört sexy für mich auf.“
Darauf fällt mir nichts mehr ein. Das Problem ist wirklich grundsätzlich und ich habe keine Ahnung, wie ich ihn da umstimmen soll. „Ekelst du dich davor?“
„Nein, nicht direkt“, brummt er immerhin. „Es ist eben nur eine große Hemmschwelle. Und dann ist da noch die andere, dass ich dir nicht wehtun will. Das könnte ich wirklich nicht ertragen.“ Er sieht mich immer noch nicht an. „Wenn du schon Erfahrungen hättest, wäre es vielleicht etwas anderes. Aber wir sind auf dem Gebiet beide blutige Anfänger.“
Bei dem Wort blutig gerät er sichtlich ins Straucheln. Er hat sogar ein bisschen gestottert und ist blässer geworden. Irgendwie lässt es mich jedenfalls aufhorchen. Ich runzle die Stirn. „Ich bin kein Mädchen. Bei mir wird da kein Blut beim Entjungfern sein.“
„Ich weiß …“ Aber sehr überzeugt klingt er nicht. „Nur kann es dir dennoch wehtun.“
„Na und? Wir können ja ganz langsam anfangen …“ Müssen wir das wirklich so im Detail besprechen? Ich seufze. „Außerdem habe ich da auch schon mal an mir herum gespielt. Ich weiß, worauf ich mich einlasse, okay? Und ich will es … Ich will dich in mir haben … Wirklich sehr. Wieso hast du solche Angst davor?“
„Was, wenn es nicht so toll wird, wie du es dir vorstellst?“
„Ich habe keine genaue Vorstellung davon“, entgegne ich. Zum Teil hatten wir diese Argumente schon. Dass er mir nicht wehtun will und dass er Analsex nicht sexy findet, sind allerdings irgendwie neu. Ein neues Level an Ehrlichkeit. Ich will es nicht verderben, indem ich jetzt wieder in unsere alte, oberflächliche Diskussion zurückfalle. Es geht hier nicht um meine Vorstellung davon, sondern um seine. Ich muss ihn verstehen.
„Was stellst du dir denn vor? Ich meine, an welcher Stelle wird es so unerträglich, dass du es nicht mal probieren willst.“
Louis seufzt unwillig und lässt sich dann auf dem Sofa nieder, an dessen Rückseite ich immer noch lehne. Ich schwinge meine Beine darüber und setze mich oben drauf. Mit gezwungener Geduld warte ich auf seine Antwort und er lässt sich Zeit. Schließlich streicht er sich die Haar aus dem Gesicht und sinkt seufzend in sich zusammen. „Okay … Ich weiß, du bist kein Mädchen und hast kein Jungfernhäutchen, wo ich durch muss.“
Na immerhin … Ich runzle die Stirn und frage mich, worauf er nun hinaus will.
„Dennoch könnte es passieren, dass du dich verkrampfst und ich dir weh tue. Sehr weh tue.“ Er schluckt. „Weißt du, mein erstes Mal war eine Katastrophe … Ich war fünfzehn und das Mädchen auch. Wir waren beide noch nicht bereit dafür, aber ich hatte sie dazu überredet. Gott, meine Mutter hat wirklich keine gute Aufklärungsarbeit geleistet. Sie ist halt auch eine Frau. Ich meine, vielleicht wusste sie einfach nicht, wie sie mit mir über diese Sachen reden sollte. Ich war mehr oder weniger durch die Schule aufgeklärt und durch meine Freunde, die aber auch viel Scheiße erzählt haben. Na ja, jedenfalls wusste ich, wo ich rein musste, aber das war auch schon alles.“ Einen Moment starrt er ins Leere, dann reißt er sich zusammen. „Da war viel Blut und sie hat sich so verkrampft und geweint, ich konnte weder vor noch zurück. Es war der blanke Horror. Schließlich wurde ich weich und konnte immerhin aus ihr raus, aber es war dennoch furchtbar. Wir haben danach nicht mehr miteinander geredet, dabei hatte ich sie wirklich gemocht. Aber sie hat mir das nie verziehen. Und ich weiß nicht, ob und wann sie danach noch mal einen Mann an sich herangelassen hat. Ich hatte mich danach jedenfalls sehr lange nicht mehr an Mädchen heran getraut. Erst nach der Schulzeit wieder.“
Also hat er Angst, dass es sich wiederholt. Es ist eine ähnliche Situation. Wir sind wieder beide Anfänger. Haben es beide noch nicht gemacht. Aber dennoch … Ich rutsche die Sofalehne hinunter und setze mich neben ihn, um ihn in den Arm zu nehmen und die unschönen Erinnerungen zu verjagen.
„Du bist jetzt zehn Jahre älter, Louis“, erinnere ich ihn sanft. „Ich wette, du weißt inzwischen mehr als wo er rein muss. Und ich bin auch kein unschuldiges, kleines Mädchen, dass du überreden musst. Ich habe unzählige Internetseiten zu dem Thema durchwälzt.“
„Ich auch“, gesteht er leise ein. „Und ich weiß, dass meine Sorge irrational ist. Es ist unwahrscheinlich, dass so was noch einmal passiert. Aber es ist nun mal passiert und ich muss daran denken.“
„Wie gesagt, wir können doch langsam anfangen. Du musst ja nicht gleich in mich eindringen …“, schlage ich vor. „Schritt für Schritt. Bisher hast du mich da noch nicht mal angefasst.“
„Ich wollte keine falschen Erwartungen in dir wecken“, seufzt Louis. „Überhaupt … Was wenn es nicht gut ist? Wenn ich nicht so gut bin, wie du denkst.“
„Na ja, dann üben wir halt“, erkläre ich und muss lächeln.
„Du wirst dir keinen anderen suchen? Erst recht, wenn du das erste Mal hinter dir hast? Wirst du dann nicht erst recht experimentierfreudig?“
„Willst du wissen, ob ich dich betrügen würde?“, erkundige ich mich entrüstet. „Natürlich nicht! Ich will mit niemanden schlafen, außer mit dir. Ich …“ Ich beiße mir auf die Zunge. Aber wieso muss ich mich eigentlich immer zum Schweigen zwingen. Es wird doch auch Zeit, dass es endlich einmal jemand ausspricht. Ich habe keine Lust mehr darauf zu warten, dass er es als erstes tut. Es kann nicht immer nur nach seinem Tempo gehen. „Ich liebe dich.“
Da ich immer noch meinen Arm um ihn gelegt habe, spüre ich, wie Louis sich kurz verspannt, doch dann richtet er sich aus seiner versunkenen Haltung auf und sieht mir endlich wieder in die Augen. Er wirkt kleinlaut und erst jetzt bemerke ich mein Herzklopfen und die Angst, mit meinen Gefühlen allein dazustehen. Der eigentliche Grund, weshalb ich bisher noch nichts gesagt habe. Aber im Prinzip müssen wir gar nicht weiter diskutieren, wenn er nicht das Gleiche empfindet. Dann ist diese Beziehung wirklich vorbei.
Plötzlich legt er seine Hand auf meine Wange und seine Lippen berühren meine. Ganz zärtlich. „Ich dich doch auch, Hiromi“, versichert er mich leise.
Erleichterung ist das erste, was ich empfinde. Dann wird mir ganz warm. Er liebt mich. Irgendwie bin ich ja auch davon ausgegangen, sonst hätte er es kaum solange mit mir ausgehalten, aber es jetzt endlich zu hören … Ich schlucke und ziehe ihn fester in meine Arme. Ich war noch nie so glücklich. Eine Weile halten wir uns einfach nur fest. Ich will die Situation auch gar nicht mit dem vorherigen Thema wieder verderben. Am besten sagen wir nie wieder ein Wort. Nichts soll diesen Moment ruinieren.
„Komm mal her“, murmelt er dann aber und zieht mich auf seinen Schoß. So ist es in der Tat bequemer. Ich schmiege mich an ihn und schließe die Augen. Er riecht so gut, nach sich selbst und noch einen Hauch seines Aftershave. Vielleicht brauchen wir doch keinen Sex. Das hier fühlt sich sehr gut an.
„Es ist übrigens nicht so, als würde ich gar nicht mit dem Gedanken spielen“, gesteht er leise. „Ich meine Sex mit dir. Eigentlich denke ich recht häufig daran. Nur … Ich glaube, ich denke einfach zu viel. Mir fallen tausend Gründe ein, es aufzuschieben. Erst wollte ich warten, bis du achtzehn bist und dann …“
„Du bist Weltmeister im Aufschieben“, stimme ich zu.
„Ja, aber ich verspreche dir, es wird passieren“, murmelt er und küsst sanft meine Schläfe. „Nur nicht heute Nacht. Ich bin schrecklich müde. Wartet Lasse eigentlich noch draußen oder bleibst du bei mir?“
„Ich bleib hier … Oder soll ich nicht?“
„Natürlich will ich dich hier haben.“ Seine Lippen berühren meine Nase und wandern dann noch tiefer auf meinen Mund. Sie küssen mich jedoch noch nicht. „Ich wollte nur nicht, dass Lasse da unten steht und wartet.“
„Wir hatten abgemacht, dass er nur zehn Minuten bleibt“, erkläre ich und nippe sacht an seiner Unterlippe, weil ich nicht widerstehen kann. Er trägt seine Haare jetzt ein bisschen kürzer als vor zwei Jahren. Gerade so lang, dass er sie noch in einen Zopf machen kann. Jetzt sind sie jedoch offen und ich fahre mit einer Hand sanft hindurch. „Also musst du dir keine dummen Gedanken machen.“
„Okay … Dann kannst du jetzt gleich mit mir ins Bett kommen.“
„Mhm, ich geh nur noch schnell ins Bad“, gebe ich nach und küsse ihn noch einmal, ehe er mich freigibt und ich aufstehen kann. Vor dem Spiegel im Badezimmer angekommen, betrachte ich mich aufmerksam. Louis liebt mich. Wir haben eben einen enormen Fortschritt gemacht. Er hat mir sogar versprochen, dass wir eines Tages Sex haben. Eigentlich war es vielleicht gar nicht so schlecht, dass wir uns vorher gestritten haben. Allerdings habe ich deswegen immer noch ein drückendes Gefühl, das nicht verschwinden will.
Ich beeile mich mit dem Zähneputzen, um schneller wieder bei Louis zu sein. Abgeschminkt hatte ich mich ja bereits zu Hause, daher bin ich danach fertig und gehe zu Louis ins Schlafzimmer. Er liegt in dem breiten Futonbett, das den Raum aufgrund seiner geringen Größe fast ganz einnimmt. Nachdem ich meine Kleidung ausgezogen und unordentlich auf seinen Stuhl gelegt habe, schlüpfe ich zu ihm.
„Schläfst du schon?“, flüstere ich leise.
„Nein“, brummelt Louis verschlafen und greift nach mir.
Lächelnd lasse ich mich in seine Arme ziehen und schmiege mich an ihn. „Es tut mir übrigens leid, was ich in der Disko gemacht habe und der Streit danach …“
„Schon vergessen“, murmelt er und streichelt sanft über meinen Rücken. „Mir tut es auch leid, was ich gesagt habe. Das mit dem Kleid und so …“
„Hm.“ Ich weiß immer noch nicht, was ich davon halten soll, dass er mich wieder in einem Kleid gesehen hat. Es ist das erste Mal seit dem … Seit dem ersten Mal eigentlich. Ich wollte nicht, dass er mich noch einmal mit einer Frau verwechselt. Vielleicht um sicher zu sein, dass er sich diesmal wirklich in mich verliebt und nicht in die feminine Seite.
„Du hast hübsch ausgesehen“, gesteht er leise.
„Es war eine Verkleidung. Hat mir den Eintritt gespart und ein Getränk verschafft.“
„Ich weiß, dass es nur eine Verkleidung ist“, murmelt er. „Du siehst auch ohne Kleid hübsch aus. Aber es ist … Du siehst jetzt ganz anders aus, als auf den Bildern von früher. Noch schöner. Sehr sexy.“
„Hm …“ Ich weiß nicht recht, was ich dazu sagen soll. „Danke … Aber … du willst nicht, dass ich immer so herumlaufe, oder?“
„Nein, natürlich nicht.“ Louis’ Lippen berühren meine Stirn. „Früher hast du dich gern verkleidet und ich habe das Gefühl, du tust es jetzt wegen mir nicht mehr. Dabei hat es dir Spaß gemacht, oder? Du hattest heute Abend auch Spaß, bis ich aufgetaucht bin.“
„Vielleicht … Ich will nur nicht, dass du dich noch einmal in die Falsche verliebst.“
„Ich habe mich in dich verliebt und es spielt keine Rolle mehr, ob du Kleider oder Hosen trägst“, entgegnet Louis leise. „Wenn es dir Spaß macht, mit deiner Androgynität zu spielen, dann lass dich von mir nicht abhalten. Hättest du es damals nicht gemacht, hätten wir uns nicht kennen gelernt.“
So habe ich das noch gar nicht gesehen. Aber natürlich hat er recht. Nur wenn ich daran zurückdenke, habe ich immer noch ein schlechtes Gewissen. Die Anfangszeit war wirklich nicht leicht. Ich hatte immer das Gefühl, dass Louis viele Kompromisse wegen meinem Geschlecht eingeht. Und Kompromisse sind nichts Positives. Ich seufze und verstecke mein Gesicht an seine Halsbeuge.
„Bereust du es nicht manchmal, dass du dich auf mich eingelassen hast?“
„Unsinn. Ich liebe dich, Hiromi.“
Sofort ist wieder das warme Gefühl in mir da. „Seit wann ist dir das bewusst?“
„Lange.“
„Wieso haben wir es uns dann erst jetzt gesagt?“, hake ich nach.
Er seufzt. „Keine Ahnung … Ich dachte … Es sollte etwas besonderes sein, wenn ich es dir gestehe. Du hast mich heute Nacht ziemlich damit überrascht, dass du es als erstes gesagt hast. Wieso hast du es getan?“
„Weil ich beschlossen habe, dass du nicht in allem das Tempo bestimmen darfst.“
Er schnauft leicht belustigt. „Aha? Auch nicht schlecht.“
„Findest du?“ Ich richte mich etwas auf und stupse mit meiner Nase gegen seine.
„Ja, ich denke, es ist fair, wenn wir uns eine Weile nach deinem Tempo richten“, gibt er zu. „So zwei Jahre …“
„Einigen wir uns darauf, zwei Jahre ein gemeinsames Tempo finden und wenn du dann immer noch nicht in die Gänge gekommen bist, schalte ich den Turbo an“, necke ich ihn lächelnd.
„Klingt nach einen Plan“, stimmt er zu und küsst mich sanft.
Es ist die letzte Stunde. Werte und Normen. Eigentlich nicht mein Fach, aber da es auch niemand anderes machen kann und will, habe ich mich dazu bereit erklärt. Zudem ist es meine Klasse und ich will ihnen gerne noch mehr mit auf den Weg geben, als den üblichen Schulstoff. Gerade diesen Chaoten dort in der letzten Reihe, die bei mir gerade in der ersten Zeit die Grenzen ausgetestet haben. Sie richten ihre jugendlichen Energien gerne darauf aus, anderen das Leben schwer zu machen. Vielleicht lenkt es sie von ihren eigenen Problemen ab. Sie sind Schuld, dass Markus nicht mehr zur Schule kommen will. Heute ist er dennoch erschienen.
Er sitzt mit gesenktem Kopf auf seinem Platz an der Seite des Klassenzimmers und kritzelt auf seinem Block herum. Neben ihn sitzt ein Mädchen. Bis vor kurzem waren sie noch befreundet. Jetzt hat Pia wahrscheinlich Angst, auch unter dem Terrorkommando zu leiden, wenn sie sich offen zu der Freundschaft bekennt. Sie sprechen nicht mehr miteinander. Statt dessen hat sie eben noch mit dem Mädchen auf ihrer anderen Seite geplaudert, als ich die Klasse betreten habe.
Ich hatte bereits eine Stunde bei ihnen, daher entfällt die übliche Begrüßung. Zwinkernd stelle ich mich vor sie. „Ach, ihr schon wieder.“
Ein paar glucksen belustigt. Und einer aus der letzten Reihe äfft vorlaut zurück. „Ach, Sie schon wieder …“
Ich ignoriere ihn großzügig. Das ganze Wochenende habe ich überlegt, wie ich das Thema angehen soll. Mir ist bewusst, dass ich nichts unmittelbar ändern kann. Ich will sie nur zum Nachdenken anregen. Zunächst fange ich allgemein an. „Ich habe mir überlegt, dass ich euch heute mal was über Toleranz beibringe.“
Stöhnen aus der letzten Reihe.
„Ja, das war schon mal nicht sonderlich tolerant. Danke für das schöne Gegenbeispiel“, spotte ich scheinbar unbelastet. Tatsächlich bin ich ziemlich nervös. Ich übergehe es, indem ich an die Tafel schreite und in großen Druckbuchstaben das Wort anschreibe. „Toleranz ist das Geltenlassen von fremden Überzeugungen und Sitten. Kann mir einer ein positives Beispiel dafür nennen.“
Es melden sich tatsächlich ein paar Schüler und es fallen Beispiele wie Ausländer und Behinderte. Sexualität bleibt ungenannt. Ich nicke. „Ja, gute Beispiele. Aber Toleranz fängt schon viel früher an. Zum Beispiel bei den Schuhen von Ingo. Überhaupt nicht mein Geschmack, aber ich würde ihn damit nicht aufziehen.“
„Finde Ihre Schuhe jetzt auch nicht so Hammer …“, gibt er spöttisch zurück.
„Ja, aber sich deshalb zu streiten, macht wenig Sinn, oder?“, hake ich nach. Läuft gut. Ungefähr so hatte ich es mir vorgestellt.
„Nee, über Geschmack lässt sich nicht streiten“, meint Ingo jovial. Seine Freunde grunzen halb spöttisch, halb zustimmend.
„Und warum macht es kein Sinn darüber zu streiten?“, erkundige ich mich.
Es kommt eine kleine Diskussion auf, in der das Für und Wider besprochen wird. Letztlich kommt man zu dem Schluss, dass jeder Mensch eben einen eigenen Geschmack hat und der tut ja niemandem weh. Außerdem kann man daran nun mal nichts ändern. Ich reibe mir innerlich die Hände. „Wo wir gerade beim Thema Geschmack sind, worauf steht ihr denn so?“
„Mädchen“, dröhnt Ingo und erhält wieder beifälliges Gelächter von seinen Kumpels als Bestätigung.
Markus sackt sichtlich ein wenig tiefer auf seinem Stuhl zusammen. Er blickt jedoch nicht auf. Dennoch scheint er die hämischen Blicke zu bemerken, die der ein oder andere Junge ihm zuwirft.
Ehe es zu Kommentaren in der Richtung kommen kann, greife ich wieder nach meiner Kreide. „Okay, dann beschreib doch mal, Ingo, wie muss sie aussehen?“
„Hm, blond“, antwortet er ein wenig wahllos. Er ist ja auch erst vierzehn. Vermutlich hat er sich da noch nicht so festgelegt. Außerdem ist er jetzt auf der Hut. Könnte ja sein, dass sich eines der Mädchen angesprochen fühlt. Er will sich ja nicht blamieren.
„Blond.“ Ich schreibe es an die Tafel. „Noch was?“
„Na ja, hübsch halt…“
„Blond und hübsch.“ Ich notiere auch das zweite Attribut. „Und du Jens. Wie sieht deine Traumfrau aus?“
„Haarfarbe ist mir egal. Titten muss sie haben“, grölt der.
„Ähm ja.“ Ich notiere das mal als Brüste. Die Klasse kichert albern. „Gut. Rene?“
„Ich mag Schwarzhaarige lieber als Blonde. Ist mehr sexy.“ Er lacht verlegen und sein Blick wandert zu seiner Freundin, die darauf knallrot anläuft.
„Okay und die Mädchen, wie sieht euer Traumtyp aus?“
Ich sammle auch hier ein paar Attribute. Es kommt mir vor als würden davon auch ein paar auf mich zutreffen, aber das übersehe ich einfach mal. Schließlich wende ich mich wieder das Klasse zu. „Okay, das sind ganz unterschiedliche Ansichten. Grübchen oder keine Grübchen. Groß, aber nicht zu groß …“ Ich zucke mit den Schultern. „Das ist gut oder? Jeder steht auf etwas anderes und damit ist die Konkurrenz auch nicht so groß.“
„Worauf stehen Sie denn?“, will Ingo wissen.
Darauf habe ich irgendwie gewartet. Ich schmunzle leicht und zucke mit den Schultern. „Ich habe ein Bild dabei, willst du es sehen?“
„Ihre Frau?“
„Na ja, soweit sind wir noch nicht“, gestehe ich und greife nach meiner Tasche. Ich habe das Bild vorbereitet und auf eine Folie gezogen. Es ist eines der Bilder, die Hiromi früher ins Netz gestellt hat. Er trägt darauf ein chinesisches Kleid mit langen Ärmeln. Ich lege es auf dem Projektor und schmeiße ihn an. Aus der letzten Reihe kommt ein beifälliges Pfeifen.
„Hübsche Asiatin“, spottet Ingo. „Sie sind ja ein ganz Schlimmer …“
„Neidisch?“, erkundige ich mich grinsend.
„Nee, gönnen wir Ihnen mal … Aber hat sie noch eine jüngere Schwester?“
„Nicht das ich wüsste. Das ist Hiromi vor zwei Jahren, als wir uns kennen gelernt haben“, erkläre ich schmunzelnd. „Ich dachte mir, dass ich euch die Geschichte erzähle, denn sie hat damit zu tun, wie ich gelernt habe, tolerant zu sein. Sowohl gegenüber Hiromi als auch gegenüber mir selbst.“ Ich mache eine kleine künstlerische Pause und sehe die Klasse gutmütig an. Niemand hat Hiromis Geschlecht enttarnt. Ich habe auch ein extra feminines Bild ausgesucht. „Ich habe Hiromi auf dem Karneval kennengelernt – mit einem Kimono an. Dieses japanische Gewand, wisst ihr? Sah sehr hübsch aus. Sie hat so nett gelächelt, darum hab’ ich es gewagt, die hübsche Geisha zum Kaffee einzuladen. War auch super. Habe mich sofort verliebt und am Ende ihre Telefonnummer bekommen. Leider stellte sich heraus, dass es die falsche Nummer war. Sie hatte einen Zahlendreher. Zum Glück hatte ich Hiromi nach Hause gebracht und wusste also wenigstens die Adresse.“ Ich grinse. „Ich hab’ mich auf die Lauer gelegt und dann kam sie tatsächlich. Sah ganz anders aus, so mit Jacke und Jeans. Dennoch war ich immer noch ziemlich verknallt und habe nichts Ungewöhnliches bemerkt. Wir sind spazieren gegangen und haben uns dabei zum ersten Mal richtig geküsst.“ Ich lache bei der Erinnerung leicht. Es war nicht nur beim Küssen geblieben. „Sie ist sogar ziemlich rangegangen.“
Spätestens jetzt habe ich die volle Aufmerksamkeit der Klasse. Ich zögere bewusst einen Moment. Dann krame ich noch einmal in meiner Tasche. „Es ist ziemlich gut für mich ausgegangen. Wir haben uns zum Kino verabredet. Ich war tierisch glücklich. Und dann hatte meine kleine Schwester Geburtstag und ich musste auf die Partygesellschaft aufpassen. Einen Tag vor dem Date. Was ich nicht wusste: Hiromi war in der gleichen Klasse, wie meine Schwester und auch zu der Party eingeladen. Was ich außerdem nicht wusste …“ Ich lege ein Bild von Hiromi auf den Projektor. Auch zwei Jahre alt, aber er trägt darauf seine normale Kleidung. Kein Aufschrei. Sie sind immer noch der Überzeugung, er wäre ein Mädchen. „Fällt euch nichts auf?“
„Nö? Sieht anders aus ohne Schminke. Schüchterner …“, meint Ingo schulterzuckend. „Aber immer noch ganz nett die Braut.“
„Markus, fällt dir etwas auf?“, frage ich unvermittelt.
Überrascht blickt er auf und fixiert erst mich, dann das Bild. Das vorherige Bild hat er gar nicht beachtet, weil er sich anscheinend wirklich nicht für Mädchen interessiert. Jetzt runzelt er die Stirn.
„Ha, wieso sollte der ausgerechnet etwas bemerken?“, spottet Ingo. „Der hat doch keine Ahnung von Mädchen.“
„Das ist kein Mädchen“, antwortet Markus zurückhaltend und mustert mich verblüfft.
„Richtig“, stimme ich grinsend zu. „Hiromis zweiter Vorname ist Paul. Er hat sich zu Karneval verkleidet und fand es ganz witzig, mich ein wenig an der Nase herumzuführen.“
„Uwah!“, brüllt Ingo. „Das ist ein Kerl? Sie haben einen Kerl geküsst?“
Auch die anderen Jungen brechen in Würggeräusche aus und machen spöttische Kommentare. Ich gebiete ihnen mit einem Handzeichen Ruhe. „Hast du eben nicht noch gesagt, sie wäre hübsch, Ingo?“
Verlegendes Schweigen. Schließlich wird er sogar ein wenig rot. „Sie haben uns hereingelegt!“
„Ja stimmt, ich wollte euch nur zeigen, dass der Schein trügen kann“, erkläre ich. „Bei mir kam die Auflösung erst, als es schon zu spät war. Ich hatte mich bereits verliebt. Er ist einfach sehr hübsch und was seine Art angeht, die ist auch nicht gespielt gewesen.“ Ich hole tief Luft. „Fakt ist und das wollte ich euch mit dieser kleinen Geschichte verdeutlichen: Ihr könnt euch nicht aussuchen, in wen ihr euch verliebt. Wenn ihr Glück habt, werdet ihr zurückgeliebt. Wenn nicht, tut es euch vermutlich sehr weh. Niemand kann euch dazu zwingen, euch in jemand bestimmtes zu verlieben. Nicht einmal ihr selbst. Es passiert oder es passiert nicht. Darum müsst ihr euch auch keine großen Sorgen darum machen. Ihr könnt euch jetzt gerne zurücklehnen und sagen: So etwas wäre mir nie passiert oder das hätte ich sofort durchschaut. Habt ihr aber nicht. Niemand außer Markus, der genauer hingesehen hat.“
„Und was haben Sie gemacht, als Sie herausgefunden haben, dass er ein Kerl ist?“
„Ich war erst mal sehr wütend auf ihn“, gebe ich zu. „Und dann war ich wütend auf mich selbst, weil ich es nicht bemerkt habe, dass Hiromi ein Junge war. Bis dato hatte ich mich für hetero gehalten. Schließlich habe ich aber bemerkt, dass ich uns mit meinem Verhalten nur noch mehr verletzte. Man kann sich gegen seine Gefühle nicht wehren.“
„Also sind Sie tatsächlich mit einem Kerl zusammen?“, ächzt Ingo entsetzt.
„Hiromi und ich sind seit zwei Jahren ein Paar“, bestätige ich nüchtern. „Es ist nicht viel anders, als mit meinen weiblichen Freundinnen davor. Er kann genauso zickig sein. Ich bezeichne mich inzwischen als bisexuell, obwohl ich noch keinen anderen Mann getroffen habe, den ich ähnlich attraktiv finden würde. Hetero, homo, bi… Das sind alles nur Label. Letztlich haben auch sie keinen Einfluss darauf, in wen ihr euch verliebt. Es ist ein wenig so wie mit eurem Geschmack. Den könnt ihr auch nicht beeinflussen. Es tut auch niemandem weh, außer der Person selbst, wenn man sich unglücklich in jemanden verliebt, den man nicht haben kann. Es ist dämlich, jemand anderen aufgrund seiner Präferenzen auszulachen. Und es ist auch nicht tolerant.“
Ingo seufzt abschätzig. „Dann ging es bei dem ganzen Scheiß, doch nur um unsere Tucke da vorn.“
„Nein, es geht auch um dich“, entgegne ich spöttisch. „Du fandest gerade das Bild von einem andere Typen hübsch, Ingo. Vielleicht hättest du ihn auch geküsst, wenn du an meiner Stelle gewesen wärest. Und was hättest du dann gemacht?“
„Ich hätte ihm eine reingehauen?“, schlägt er vor. „Zumindest, wenn ich herausgefunden hätte, dass er mich verarscht hat.“
„Er hat mich aber nicht verarscht. Hat nie behauptet, dass er ein Mädchen ist“, entgegne ich. „Und Gewalt ist da kaum eine Lösung. Erst recht nicht, wenn du die Person schon geküsst hast.“
Er verschränkt abwehrend die Hände vor der Brust. Aber immerhin sagt er nichts mehr. Er denkt nach. Schließlich schüttelt er den Kopf. „Ich würde nie einen Kerl küssen. Komm gar nicht erst auf dumme Ideen, Markus!“
„Ich will dich ganz bestimmt auch nicht küssen!“, entgegnet der kühl. „Du bist nicht mein Typ. Ich stehe auf intelligente Männer.“
Die Mädchen kichern leise. Es ist das erste Mal, dass er sich tatsächlich wehrt. Wenn ich auch sonst nichts mit der Geschichte erreicht habe, so habe ich ihm vielleicht ein bisschen Mut gemacht. Er ist nach meinem Outing zumindest nicht mehr allein auf der Schule. Ich richte mich an die Tafel und füge das Wort noch zu der Traummannvorstellung hinzu. „Intelligent.“ Vielleicht begreifen die Mädchen auch, dass Markus ähnliche Traumvorstellungen hat. Ein neues Gesprächsthema vielleicht, das das Eis brechen könnte.
„Hat noch jemand Fragen zu diesem Thema?“, erkundige ich mich.
„Können Sie Hiromi mal mitbringen und uns vorstellen?“, erkundigt sich eines der Mädchen.
„Hm, ich kann ihn mal fragen, ob er dazu Lust und Zeit hat. Weitere Fragen?“ Als nichts kommt, meine ich: „Okay. Nächste Stunde sprechen wir über Vorurteile. Jetzt haben wir noch fünf Minuten … Wenn ihr ganz leise seid, könnt ihr gehen. Markus bleibt bitte noch kurz da.“
Ein wenig widerwillig kommt er zu mir an den Lehrerpult. Ich mache es kurz. „Wenn du Probleme hast, egal welcher Art, ob mit anderen Schülern, Lehrern oder dir selbst, du kannst immer zu mir kommen und wir finden eine Lösung.“
„Danke“, nuschelt er und mustert mich skeptisch. „Finden Sie es wahrscheinlich, dass sich ein heterosexueller Junge mal in einen anderen Jungen verliebt?“
„Es ist nicht unmöglich, wie du an meinem Beispiel gesehen hast, aber üblich wohl nicht“, gebe ich zu. „Vielleicht habe ich meine Neigung auch einfach nur sehr spät entdeckt. Du bist jedenfalls sehr früh damit.“
Er nickt, als würde er sich bestätigt fühlen.
„Aber du bist kaum der einzige homosexuelle Junge auf dieser Schule“, versichere ich ihm. „Ich bin mir sicher, dass es noch mehr gibt, die sich nur nicht trauen, so offen dazu zu stehen wie du.“
„Dann hoffe ich, dass sie sich bald mal zu Wort melden“, brummt er unwohl. „Wäre cool. Danke, dass Sie es getan haben …“
Nachdem ich meine Hausaufgaben gemacht habe, sprich, mich auf den nächsten Tag vorbereitet, ist es erst drei Uhr. Ich habe heute soviel an Hiromi gedacht, dass ich mich kurzerhand ins Auto setzen und einfach zu ihm fahren muss. Das Wochenende war viel zu kurz. Vor allem nach dem Fehlstart. Wir haben nur Samstagnacht wirklich genießen können, weil ich ihn schon am Sonntag wieder zurückbringen musste. Manchmal würde ich gerne mit ihm zusammenwohnen. Dauerhaft.
‚Bist du schon zu Hause?‘, erkundige ich mich in einer schnellen SMS, damit ich weiß, wo ich ihn suchen muss.
‚Nee, noch in der Schule. Zehn Stunden! Und das Montags! Scheiß Politikkurs!’
Ich muss lachen, als ich die SMS erhalte. Sieht so aus als würde er danach ein bisschen Entspannung gebrauchen können. Kurzerhand fahre ich direkt zu seiner Schule, die auch mal meine gewesen ist. Ich finde auch noch ohne Probleme den Politikraum und warte davor, dass der Unterricht vorbei ist. Lässig lehne ich an der gegenüber liegenden Wand.
Als es klingelt, dauert es einen Moment, bis sich etwas tut. Da merkt man den Unterschied zwischen Unter- und Oberstufe. Meine Klasse kann gar nicht schnell genug nach draußen stürmen. Geduldig warte ich und tatsächlich öffnet sich dann die Tür. Eine Gruppe Mädchen kommt raus. Sie beäugen mich interessiert, sind jedoch weder mit Hiromi noch mit meiner Schwester befreundet. Ich kenne sie daher nicht. Dann kommt eine Jungengruppe. Hiromi ist nicht unter ihnen. Er kommt als nächstes und wirft einen kurzen Blick in meine Richtung, jedoch ohne mit mir dort zu rechnen.
Verdutzt bleibt er stehen und schaut noch einmal, dann grinst er breit und stürmt mit drei Schritten auf mich zu, um mir um den Hals zu fallen. „Was machst du denn hier?“
„Hatte Sehnsucht nach dir“, gestehe ich und schlinge meine Arme um ihn.
„Oh“, haucht er angenehm überrascht. „Wir haben uns doch erst gestern gesehen.“
„Siehst du, schon solange her“, brumme ich und küsse ihn sacht auf die Nase.
Er kraust sie leicht, als er mich angrinst. „Du bist süß.“
„Louis?“, erklingt plötzlich die Stimme meiner Schwester von dem Klassenzimmer her. „Was machst du denn hier?“
„Hi“, grüße ich und blicke auf, ohne Hiromi loszulassen. Es kostet mich ein wenig Überwindung, cool zu bleiben. Immerhin ist es meine kleine Schwester, die mich hier in so romantischer Stimmung ertappt hat. Das ist mir schon immer ein bisschen peinlich gewesen. „Hiromi abholen.“
Julie lächelt und tritt unbeschwert auf uns zu. Als sie das mit uns herausgefunden hat, war sie anfangs nicht so locker. Dass Hiromi schwul ist, hat ihr nichts ausgemacht – er war ja so süß. Aber ihr eigener Bruder – das war etwas ganz anderes. Sie hat es auch noch allein herausgefunden. Ich hatte nicht den Mut, es ihr zu sagen. Inzwischen gehe ich wesentlich offener damit um. Wie man sieht. Ich halte Hiromi immer noch in meinen Armen und habe auch nicht vor, ihn loszulassen.
„Na, du lässt dich ja überhaupt nicht mehr zu Hause blicken“, meint sie. „Mama wundert sich schon, was du an den Wochenenden treibst.“
„Na ja, neuer Job, neue Verantwortung …“, meine ich schulterzuckend.
„Ich vermute eher, dass Paul dich am Wochenende auf Trab hält“, neckt sie uns grinsend. „Aber wenn du nicht willst, dass Mama eure Zweisamkeit unterbricht, solltest du sie mal wieder besuchen, bevor sie auf die Idee kommt, zu dir zu fahren.“
Ich seufze und nicke nur.
„Und wann erzählst du ihr von euch?“, hakt sie nach. „Ich bin es leid, sie anzuflunkern, wenn sie mich fragt, ob ich weiß, ob du endlich wieder eine feste Freundin hast.“
Nun bemerke ich auch Hiromis aufmerksamen Blick. Julie ist nicht die einzige, die darauf wartet. Ich gebe daher nach. „Bald. Bei meinem nächsten Besuch, sage ich es ihr.“
„Echt?“, wundert sich Hiromi. „Du musst dich nicht so stressen …“
„Keine Sorge“, brummle ich und zwinkere ihm zu. „Ich habe mich heute vor einer Klasse Vierzehnjähriger geoutet. Schlimmer kann meine Mutter gar nicht sein.“
„Ist das der Grund für deine Sehnsucht? War es sehr schlimm?“, erkundigt sich Hiromi besorgt.
„Nein, halb so wild“, versichere ich ihm schnell und streiche ihm über den Rücken. „Eben drum. Eigentlich haben sie gut reagiert und der schwule Junge in meiner Klasse schien sich auch etwas selbstsicherer zu fühlen.“
„Du hast dich vor deiner Klasse geoutet? Was, wenn die Eltern durchdrehen?“, erkundigt sich Julie skeptischer.
„Was sollen sie machen?“, erkundige ich mich. „Wir leben in einem freien Land. Ich darf zusammen sein, mit wem ich möchte, solange er nicht mein Schüler ist.“
„Ja aber …“ Sie zuckt mit den Schultern. „Könnte doch Wirbel geben.“
„Es steht ohnehin ein Elternabend vor der Tür“, erkläre ich. „Da kann ich Stellung nehmen, wenn sie wollen.“
„Wird schon nicht so schlimm werden“, meint Hiromi zuversichtlich und schiebt seine Hände in die Gesäßtaschen meiner Hose. „Genug von Outinggesprächen. Was hast du jetzt mit mir vor? Hast du viel Zeit oder nur ein bisschen?“
„Mein Abend gehört dir“, erkläre ich grinsend.
„Uhhh … Sehr fein“, schnurrt Hiromi und schmiegt sich an mich. „Könnte ich mich dran gewöhnen.“
„Na, dann lass ich euch mal schwelgen“, stellt Julie nüchtern fest und verdreht die Augen. „Aber vergiss Mama nicht, Louis!“
„Nein, nein. Mach’s gut“, murmle ich und nicke ihr noch einmal zu, ehe ich endlich Hiromis Lippen suche. Ich will ihn schon die ganze Zeit küssen. Er sieht heute so süß aus. Eigentlich sieht er immer süß aus, aber heute hat er so eine verdammt enge Hose an, wo seine Beine gut zur Geltung kommen. Dazu trägt er ein körperbetontes Shirt mit Aufdruck. Als sich unsere Lippen sacht berühren, streiche ich über seine Seite. Er hat einen schönen, festen Körper. Ich mag es seine warme Haut unter dem dünnen Stoff zu fühlen. Allmählich intensiviere ich den Kuss und kose seine Lippen fester mit meinen. Von Hiromi kommt ein leises Seufzen und seine Hände ziehen mich dichter zu sich.
Schließlich trennt er sich atemlos von mir und sieht sich tatsächlich ein bisschen verlegen um. „Wir sollten …“ Er räuspert sich. „Wir sollten woandershin.“
„Zu mir oder zu dir?“, erkundige ich mich schmunzelnd. Der kleine Kuss hat ihn sichtlich erregt. Mich aber auch irgendwie. Ich finde ihn gerade so anziehend.
Er lächelt mit einem Augenaufschlag zurück. „Was dir lieber ist. Mein Vater ist nicht da, aber meine Mutter bestimmt … Das heißt, nein, ist sie nicht. Jetzt noch, aber heute Abend … Ich glaube, sie wollte mit einer Freundin ins Kino. Es ist Ladys Night.“
„Hm, dann fahren wir zu dir“, schlage ich vor. „Dann haben wir mehr Zeit für uns und ich muss nicht drei Fahren machen, sondern nur heute Nacht zurück.“
„Okay.“ Er reckt sich noch einmal und küsst mich trocken auf den Mund. „Gehen wir vorher noch einen Kaffee trinken oder so … Mag dich noch nicht mit meiner Mutter teilen. Sie wird ohnehin drauf bestehen, dass wir zusammen Abendbrot essen.“
„Hm …“ Eigentlich hätte ich ihn jetzt lieber ganz schnell für mich allein. Aber bei der Wahl zwischen einem öffentlichen Café und höflichen Gesprächen mit seiner Mutter, so nett sie auch ist … „Okay, wie wäre es mit einem Eis?“
„Oh, lädst du mich ein?“
„Ja.“
„Ich werde so verwöhnt heute“, juchzt er und fällt mir noch einmal um den Hals.
Lächelnd wiege ich ihn in meinen Armen und genieße seinen Körper an meinem. Mein Herz schlägt ein wenig schneller, wenn ich ihn so spüre. Wie absurd, dass er dachte, er würde mich in dieser Hinsicht nicht reizen. Es ist wirklich nur der Sex an sich … Und da muss ich mich einfach mal überwinden.
„Na dann, komm … Ich habe auch Lust auf was Kaltes“, meine ich und löse mich sanft von ihm. Kalt muss jetzt sein, sonst überstehe ich es nicht bis heute Abend. „Hast du Hausaufgaben?“
„Ja, aber nichts für morgen“, erklärt er. „Nur ein bisschen Lesen und Zusammenfassen für Deutsch. Das kriege ich im Notfall auch noch morgen früh hin.“
„Ach, die Zeit können wir uns heute ruhig nehmen.“ Ich greife nach seiner Hand und ziehe ihn mit mir. Ein paar skeptische Blicke treffen uns schon, als wir so durchs Gebäude schreiten. Allerdings sind um diese Uhrzeit ohnehin kaum noch Schüler hier. „Was lest ihr denn?“
„Kaspar von Hanke.“ Hiromi stöhnt. „Furchtbar. Kennst du das?“
„Ziegen und Affen! Ziegen und Affen!“, zitiere ich grob, was ich aus dem Werk behalten habe. Ich glaube, das waren die letzten Sätze.
„Ja, genau, so ein Käse“, seufzt Hiromi. „Eigentlich ist es egal, ob ich es lese oder nicht. Es macht ohnehin keinen Sinn.“
„Es ist aber irgendwie lustig zu lesen“, versichere ich ihm.
Skeptisch sieht er zu mir aus, dann grinst er frech. „Du kannst es mir ja vorlesen.“
„Kann ich machen.“
„Cool.“ Er lacht zufrieden. „Also wirklich, ich fange gleich an zu schweben. Wieso bist du heute so lieb zu mir?“
„Darf ich nicht?“
„Doch, aber ich wüsste gerne den Grund.“
„Hm, ich liebe dich?“, schlage ich vor.
Jetzt wird er sogar kurz rot. Sein Grinsen wird selig, verliert aber nicht das Freche. „Und gestern nicht?“
„War ich gestern nicht lieb?“
„Doch, aber nicht so lieb wie heute.“
„Ich weiß auch nicht … Vielleicht hat es doch etwas mit der Klasse zu tun und meinem Outing“, erkläre ich und denke zum ersten Mal darüber nach. „Seitdem kann ich nicht aufhören an dich zu denken und ich … Keine Ahnung, es ist … Vielleicht ist es lächerlich. Es sind nur Kinder, aber irgendwie … So offen zu unserer Beziehung zu stehen, hat mir einen Kick gegeben. Am liebsten würde ich es laut in die Welt hinausschreien.“
Darauf sagt Hiromi nichts. Aber er drückt meine Hand ein wenig fester mit seiner und bringt mich zum Anhalten. Behutsam tritt er auf mich zu und fordert noch einen Kuss. „Ich liebe dich.“
„Ich dich auch.“ Hoffentlich nutzt sich der Klang dieser Worte niemals ab. Ich initiiere einen neuen Kuss und streichle ihn dabei zärtlich. Es ist schön, wie behaglich Hiromi darauf eingeht. Abermals vergesse ich, wo wir uns eigentlich befinden. Die Welt um uns herum verschwindet einfach.
„Oh Gott“, haucht Hiromi in meinen Mund. „Du kannst mich doch nicht so küssen …“
„Warum nicht?“, nuschle ich ohne von seinen Lippen zu lassen.
„Wir stehen mitten auf dem Schulhof, deine Wohnung ist eine halbe Stunde Autofahrt entfernt und meine Mutter ist zu Hause“, erklärt er vernünftig. „Außerdem hast du mir ein Eis versprochen …“
„Und was hat das mit dem Kuss zu tun?“, frage ich amüsiert. Ich kann es mir denken, aber ich will es hören.
„Er macht mich ganz heiß …“, gesteht Hiromi und schlingt die Arme fest um meinen Nacken. Dabei drückt er seinen Schritt an mein Bein. Er ist tatsächlich hart geworden.
„Na gut, Zeit für ein Eis.“ Seufzend löse ich mich von ihm. „Du hast Glück: Ich parke gleich da vorn. Du musst nicht mehr weit laufen.“
Er nickt. „Gut!“
Wir lassen auf dem Weg ins Eiscafé die Finger voneinander. Es ist ein kleiner, italienischer Laden von vielen in der Fußgängerzone. Ich weiß, dass Hiromi das Eis dort besonders liebt. Während wir auf unsere Becher warten, schreibt er seiner Mutter noch schnell eine SMS, dass wir später kommen. Ich bin immer wieder beeindruckt, dass seine Mutter so gut mit Technik umgehen kann. Meine Mutter würde mit ihrem Handy zum Geschäft rennen, um sich die SMS anzeigen zu lassen.
Als er das Handy wegsteckt, sieht er mich lächelnd an. „Also, hast du ihnen tatsächlich das Bild von mir gezeigt, das du herausgesucht hattest?“
„Mhm“, stimme ich zu. Wir haben uns das am Wochenende zusammen ausgedacht. Ich hätte es wohl auch nie getan, wenn ich nicht seine Zustimmung gehabt hätte. „Sie sind voll drauf reingefallen. Genauso wie ich damals.“
„Es beruhigt dich irgendwie, was?“, stichelt er amüsiert.
„Schon.“ Ich lache ertappt. „Komme mir nicht mehr ganz so dumm vor.“
„Und … wie haben sie reagiert, als sie es begriffen haben?“
Der Kellner kommt und bringt uns unsere Bestellung. Als er fort ist, berichte ich ihm die Geschehnisse im Detail, während wir uns über das leckere Eis hermachen. Ich habe mir ein schlichtes Spagettieis bestellt. Hiromis Eisbecher wirkt dagegen ein wenig gewagter.
„Schmeckt dir dein Eis?“, erkundige ich mich, als ich meinen Bericht abgeschlossen habe.
„Mhm, ist lecker“, bestätigt er lächelnd. „Willst du probieren. Das mit Pistazie ist toll …“
Ich nicke und lehne mich etwas zu ihm vor, als er mir seinen Löffel hinhält. Das hier hätte ich noch vor gar nicht langer Zeit, nicht getan. Wieso war mir nur so wichtig, was die anderen von mir denken? Eigentlich ist es völlig gleichgültig. Es ist schön. Gerade habe ich das Gefühl, das es nur einen Menschen auf der Welt gibt, dessen Meinung zählt. Hiromi.
Ich kann gar nicht mehr aufhören zu lächeln. Louis ist heute so süß zu mir. Unglaublich lieb. Und dabei ist Montag. Es gibt nicht mal einen besonderen Grund, weshalb er es heute nicht ohne mich ausgehalten hat. Nachdem Eis überwinden wir uns schließlich doch, zu mir zu fahren. Meine Mutter wartet schon auf uns. Wie immer begrüßt sie Louis freundlich, wenngleich ein wenig zurückhaltend.
„Möchtet ihr heute etwas bestimmtes essen?“
„Mir ist es ganz egal. Ich glaube, Sie können gar nichts kochen, was mir nicht schmeckt, Frau Brandt“, versichert Louis ihr freundlich.
„Schleimer“, necke ich ihn sanft und wende mich dann an meine Mutter. „Ich brauche etwas Herzhaftes. Louis ist heute so süß zu mir, dass ich Angst habe, einen Zuckerschock zu bekommen.“
Sie lacht. „Na gut, mir fällt schon etwas ein.“
„Können wir Ihnen helfen?“, erkundigt sich Louis zuvorkommend.
„Bist du noch zu retten?“, frage ich zurück und schiebe ihn in Richtung meines Zimmers. „Das kann sie allein am besten. Du wolltest mir doch bei meinen Hausaufgaben helfen.“
„Ich wollte nur …“
„Ja, ja, spar dir das Schmeicheln für mich auf.“
Meine Mutter lacht leise. „Ich rufe euch dann, wenn ich fertig bin.“
„Mach das!“, rufe ich zurück und schubse Louis durch meine Tür. Dummerweise habe ich nicht aufgeräumt. Ich konnte ja nicht ahnen, dass er mich heute besuchen kommt. Schnell flitze ich durchs Zimmer und hebe die Klamotten, die hier wild auf dem Boden verteilt herumliegen, auf und schmeiße sie auf einen Stuhl.
„Spar dir die Mühe“, neckt mich Louis und lässt sich lächelnd aufs Bett fallen. „Ich weiß, wie unordentlich du bist.“
Grinsend lege ich mich auch aufs Bett und schmiege mich an ihn. „Ich kann auch ordentlich sein …“
„Nur, wenn du versuchst, Eindruck zu schinden“, brummelt Louis und legt einen Arm um mich. „Also, machen wir deine Hausaufgaben? Ist vielleicht ganz gut, solange deine Mutter noch da ist … Später haben wir vielleicht keine Lust mehr.“
„Hm, wahrscheinlich hast du recht. Du bist so klug, Herr Lehrer.“ Ich gebe ihm einen feuchten Schmatzer, ehe ich mich aufrichte und nach dem kleinen, grünen Heft greife, das auf meinem Nachttisch liegt. „Du wolltest vorlesen, nicht wahr?“
„Machen wir es abwechselnd. Du bist Kaspar und ich bin die Sprecher oder anderen Kaspars.“
„Gott, du hast es ja tatsächlich schon mal gelesen …“
„Ich bin ja auch mal auf deine Schule gegangen“, erinnert er mich schmunzelnd. Er dreht sich auf die Seite und zieht mich so an sich, dass ich mit dem Rücken an seiner Brust liege. So können wir beide in das Heft vor mir schauen und gleichzeitig kuscheln. Perfekt. Nur mit meiner Konzentration ist es nicht weit her und wird zusätzlich erschwert, als er beginnt, meinen Bauch zu streicheln. Wir schaffen es dennoch artig, den nächsten Akt zu lesen, ehe uns meine Mutter zum Essen ruft.
„Wann musst du denn los zum Kino?“, erkundige ich mich während des Essens beiläufig.
Sie schmunzelt wissend. „Du kannst mich wohl gar nicht früh genug loswerden.“
„Hm, nein“, behaupte ich und grinse. „Ich frage nur …“
„Ich verschwinde gleich nach dem Essen“, verspricht sie und sieht auf die Uhr. „Der Film wird wohl bist zehn gehen, aber höchstwahrscheinlich gehen wir danach noch einen Cocktail trinken. Also bin ich vermutlich erst um halb zwölf wieder da.“
„Du verträgst doch gar keinen Alkohol.“
„Meike aber schon und es gibt dort auch alkoholfreie.“
„Na dann … Viel Spaß“, wünsche ich schmunzelnd. „Louis ist dann wahrscheinlich nicht mehr da, wenn du zurückkommst. Er muss ja noch heute Abend zurück, oder?“
„Wahrscheinlich“, bestätigt der. „Ist besser, wenn ich zu Hause schlafe, sonst muss ich so früh raus.“
„Nun, dann wünsche ich euch auch viel Spaß“, meint meine Mutter abschließend. Ein wenig unsicher wirkt sie dabei schon. Eben so wie eine Mutter, die nicht ganz weiß, was sie davon halten soll, dass ihr Kind erwachsen wird.
Nachdem Essen versprechen Louis und ich, das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen, um meiner Mutter Zeit zu geben, sich umzuziehen.
„Was machen wir gleich?“, erkundige ich mich bei Louis leise, während ich die Teller zusammen räume.
„Hm, ich habe eine Idee“, antwortet er schmunzelnd und nimmt mir die Teller ab, als ich zu ihm an die Spülmaschine trete.
„Ach ja? Was für eine?“, hake ich nach.
„Na, was wir gleich machen.“
„Und das wäre?“ Lächelnd schmiege ich mich von hinten an ihn, als er sich wieder von der Spülmaschine aufrichtet. „Willst du ein Geheimnis draus machen?“
„Eigentlich nicht“, antwortet Louis und dreht sich zu mir herum. Kurz späht er hinter mich, durch die Küchentür auf den Flur. Dann lehnt er sich vor und flüstert mir sanft ins Ohr. „Ich dachte, wir könnten mal eure wahnsinnig große Badewanne ausprobieren …“
„Klingt gut“, hauche ich. Wahnsinnig gut. Immerhin sind er und ich dabei nackt. Das ist eine Aktivität ganz nach meinem Geschmack. Kuscheln im heißen Wasser … Das ist ja wunderbar. „Sehr gute Idee.“
„Mhm“, murmelt er und gibt mir einen gemächlichen Kuss. „Finde ich auch.“
Keine Ahnung, was heute mit ihm los ist. Irgendwie ist er so … Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass mir verdammt heiß wird, wenn er mich so ansieht, anfasst und küsst. Es ist anders als sonst. Wenn ich mir vorher nie sicher war, ob er mich wirklich auch auf diese Weise anziehend findet, jetzt bin ich es. Aber was hat die Änderung bewirkt? Egal, Hauptsache, sie ist eingetreten.
„Von den Küssen will ich mehr“, hauche ich und schlinge meine Arme um ihn.
„Später …“, verspricht Louis und lacht erheitert, ehe er sich von mir löst. „Räumen wir erst einmal zu Ende auf.“
Ich grummle unwillig, doch dann gebe ich nach und kehre zu unserer vorherigen Tätigkeit zurück. Es ist zum Glück nicht mehr viel. Gerade als wir die Maschine angeschmissen haben, kommt meine Mutter in die Küche. „Na, wie sehe ich aus?“
„Sehr fein“, lobe ich lächelnd.
„Zu fein?“, skeptisch sieht sie an sich herunter. Sie trägt Jeans und eine hübsche Bluse.
„Nein, ich meinte, du siehst echt toll aus!“, versichere ich. Nicht jede Mutter schafft es noch, sich so modisch anzuziehen. Ich glaube, auf der Straße würde uns niemand für Mutter und Sohn halten.
„Danke.“ Sie strahlt. „Dann mache ich mich jetzt auf den Weg. Habt einen schönen Abend ihr zwei!“
„Danke, Sie auch“, wünscht Louis. Ich verabschiede mich ebenfalls von ihr und kann es kaum erwarten, dass wir die Wohnung für uns haben. Das war ja schon fast Folter. Kaum schließt sich die Wohnungstür hinter ihr, schnappe ich mir auch schon Louis' Hand und ziehe ihn Richtung Bad.
„Da hat es aber jemand eilig“, spottet er amüsiert, leistet jedoch keinen Widerstand. Im Bad angekommen, macht er seine Hand los und zieht mich stattdessen von hinten in seine Arme. Er brummt zufrieden, als ich mich an ihn schmiege. Zielstrebig wandern seine Hände an meine Hose und öffnen ihren Verschluss.
„Na, wer hat es jetzt eilig?“, necke ich ihn und sehe seinen Händen dabei zu, wie sie mich schnell aus der Hose befreien. Anschließend trete ich mich daraus frei, wozu ich mich von ihm löse. „Womit möchtest du baden? Schaum oder Kräuterbad? Wir haben auch noch so ein komisches …“ Ich suche die Flasche aus dem Sammelsurium meiner Mutter heraus. „Das da riecht nach Rosen …“
„Sehr romantisch.“ Louis lacht leise. „Aber ich glaube, ich möchte nicht nach Rosen riechen. Wirkt komisch auf andere, wenn ein Mann das tut. Wonach riecht das Schaumzeug?“
„Hm, keine Ahnung.“ Nachdem ich die Flasche gefunden habe, klappe ich sie auf und reiche sie ihm, damit er daran riechen kann. „Und?“
„Riecht gut. Machen wir viel Schaum. Dann lohnt es sich erst recht.“
Ich finde, dass es sich so oder so lohnt, doch ich nicke nur artig, lasse das Wasser einlaufen und füge sofort etwas von dem Zeug hinzu, damit sich der Schaum bilden kann. Schmunzelnd wende ich mich zu ihm um und neige meinen Kopf zur Seite. „Kümmert sich jeder um seine eigenen Klamotten oder soll ich dich ausziehen?“
„Was ist dir lieber?“, erkundigt sich Louis zuvorkommend.
Das ist eine schwere Entscheidung. Ich mag ihn gerne ausziehen, aber ich sehe ihm auch sehr gerne dabei zu. „Zieh dich aus! Aber langsam.“
Louis grinst breit. „Ich ziehe dich aber lieber aus … Also Hände weg von deinen Klamotten.“
„Hab’ meine Hose ja eh schon verloren …“
„Eben.“ Seine Hände wandern gemächlich zu dem Saum seines Hemdes. Er lässt sich tatsächlich Zeit, als er es mit verschränkten Armen nach oben zieht und so Stück für Stück seinen nackten Bauch entblößt. Versonnen beiße ich mir auf die Unterlippe und sehe ihm dabei zu. Mein Atem geht unwillkürlich ein wenig flacher und ich spüre, wie ich in meiner Unterhose hart werde. Dabei ist es erst sein Hemd, verdammt.
Lässig zieht er es sich über den Kopf und schmeißt es auf den Boden. Als nächstes folgen seine Socken. Das gibt mir die Gelegenheit, wieder ein bisschen herunterzukommen. Wobei ich selbst Socken ausziehen bei ihm sexy finde. Bei seiner Hose setzt mein Herz aus. Ich starre ihn gebannt an. Folge mit meinem Blick jeden Zentimeter, den der Bund in seinen Händen tiefer rutscht.
„Hast du keine …“ Ich schlucke hart. Nein, offensichtlich hat er keine Unterwäsche an. Und er ist hart. Ich hab’ ihn nicht einmal angefasst und er ist hart. Heute ist definitiv etwas anders als sonst. Er ist so selten so spitz auf mich.
„Du bist dran“, brummt Louis heiser, als er aus seiner Hose heraus steigt und auf mich zutritt.
Ich nicke nur, weil ich meiner Stimme nicht ganz traue. Mein Herz pocht hart in meiner Brust. Genauso hart wie mein Penis in seinem Gefängnis. Gleichzeitig fühle ich mich beinahe schüchtern. Ich bin mir nicht sicher, was hier passiert. Beinahe behutsam strecke ich meine Hand nach ihm aus und streiche über den feinen Steg aus Härchen, der sich über seinem Bauchnabel nach unten hin ausbreitet. Ich komme nicht weit. Schon hat er mein Shirt ergriffen und zieht es mir unumwunden über den Kopf. Dann geht er vor mir auf die Knie und kümmert sich um meine Socken. Folgsam hebe ich erst den einen, dann den anderen Fuß, um es ihm zu erleichtern. Dabei kann ich immer noch nicht den Blick von ihm wenden.
Als er aufsieht und unsere Blicke einander begegnen, lächelt er unmissverständlich erregt. Seine Finger verhaken sich in meiner Unterhose und ziehen neckend daran. Mir entweicht ein leises Stöhnen, als der Stoff gegen meinen empfindlichen Penis drückt, aber nicht nachgeben will. Erst im zweiten Anlauf rutscht der Bund über meine Lenden. Gebannt sehe ich ihm dabei zu und dann Louis an. Sein Gesicht ist unmittelbar vor … „Oh Gott.“ Er nimmt mich in den Mund. Keuchend greife ich mit beiden Händen nach seinem Kopf. Keine Ahnung, ob ich ihn aufhalten oder an mich ziehen will. Erst einmal halte ich ihn einfach fest und hole tief Luft.
Doch dann ist er auch schon wieder fort. „Die Wanne läuft gleich über, wenn wir nicht aufpassen.“
„Mhm.“ Was interessiert mich jetzt noch die Wanne? Er hat gerade etwas angefangen, das er ruhig bis zu Ende hätte führen können. Ein wenig frustriert gebe ich nach und stelle das Wasser ab. „Oh, ist ziemlich heiß geworden.“
„Ich mag’s gerne heiß“, versichert Louis und schmiegt sich von hinten an mich. Sollte das etwa eine zweideutige Anspielung sein? Ich kann seinen Penis an meinem Rücken spüren. Und mir wird auch heiß dabei.
Schluckend drehe ich zu ihm um und sehe ihn forschend an. „Willst du mich wahnsinnig machen?“
„Was meinst du?“, fragt er unschuldig zurück.
„Du erregst mich total!“, werfe ich ihm vor. „Und dann brichst du wieder ab …“
„Ich breche nicht ab“, entgegnet er und streichelt mir über die Brust. „Ich zögere es nur ein wenig hinaus. Ist das Wasser zu heiß oder warum stehen wir noch hier herum?“
„Willst du in der Wanne schlimme Dinge mit mir anstellen?“, hake ich verspielt nach.
Er grinst hintergründig und ehe ich mich versehe, packt er mich mit beiden Armen um die Körpermitte, hebt mich hoch und stellt mich ins heiße Wasser. Ich keuche leise. „Doch ziemlich heiß.“
„Sollen wir kaltes Wasser nachlaufen lassen?“
„Nein, geht schon“, versichere ich und greife nach seiner Hand, um ihn zu mir in die Wanne zu ziehen. Bei seiner Körpergröße sieht es beinahe elegant aus, als er über den Wannenrand steigt.
„Oh ja, schön warm“, stellt er schmunzelnd fest und lässt sich im heißen Nass nieder. Nun zögere ich auch nicht länger und setze mich den Rücken zu ihm gewandt zwischen seine Beine. So ist es wohl am bequemsten, auch wenn ich nicht sonderlich aktiv werden kann. Sofort umfangen mich Louis Arme und er zieht mich noch etwas dichter zu sich heran. Ich spüre erneut seinen Penis, dem das heiße Wasser gar nichts auszumachen scheint.
Schmunzelnd lehne ich mich gegen seine Brust und lasse mich von seinen Händen verwöhnen, die zärtlich über meinen Bauch und meine Brust streicheln. Vielleicht macht mir das Hinauszögern ja doch Spaß. Ich seufze entspannt und schließe die Augen.
„Fühlt sich gut an …“
„Wird hoffentlich noch besser“, murmelt er und drückt seine Lippen gegen meine Schläfe.
Ich möchte die Zeit anhalten. Mir entweicht ein leises, zufriedenes Seufzen. Dann rutschen seine Hände noch tiefer und beginnen, meine harte Erektion zu liebkosen. Verzagt beiße ich mir auf die Unterlippe. Wenn er das macht, denke ich, dass er meinen Penis vielleicht doch mag. Er ist so zärtlich zu mir und er weiß, was mir gefällt. Das weiß er sogar sehr genau. Zittrig stoße ich die Luft aus meinen Lungen und drücke mich dichter an seinen Körper. Ich will ihn jetzt auch anfassen und ihm etwas zurückgeben. Aber dafür müsste ich mich ja umdrehen …
Eine seiner Hände krault meine Hoden, während die andere träge über meine Länge streicht und dabei mit der Handfläche immer wieder über meine Eichel reibt. Von wegen hinauszögern. Wenn er so weiter macht, komme ich gleich. Gerade als ich das denke, wandert seine Hand an meinen Hoden noch abwärts und tastet behutsam über meinen Anus. Empfindsam zucke ich zurück und keuche leise. Oh … Oh … Er … Oh …! Sämtliches Blut sackt aus meinem Gehirn in tiefere Regionen ab. Automatisch spreize ich die Beine für ihn.
Die Hand an meinem Schwanz verschwindet. Stattdessen schlingt er den Arm um meinen Bauch und gibt mir zusätzlichen Halt. Sein Mund ist in der Nähe meines Ohres. Ich höre seinen raschen Atem. Doch eigentlich konzentriere ich mich ganz auf seine andere Hand, deren Finger nun vorsichtig durch meine Pospalte streichen. Auf und ab. Dabei lösen sie immer wieder einen empfindlichen Druck auf meinen Anus aus. Mir wird ganz anders dabei. Ich weiß nicht, was es mit ihm macht, aber mich erregt es sehr. Aber ich bin auch ziemlich nervös. Probiert er nur oder wird es heute endlich passieren? Ist vielleicht mein Geburtstag? Träume ich?
Ich wage nichts Dummes zu fragen und beschließe, einfach nur zu genießen. Was auch immer Louis' Stimmung ausgelöst hat, ich hoffe, es ist nicht nur vorübergehend. Seufzend schließe ich die Augen und versuche, mich zu entspannen. Mir entweichen noch ganz andere Laute, als einer seiner Finger sich langsam vorwagt.
„Sag, wenn ich dir wehtue“, nuschelt er leise. „Ich meine es ernst. Du musst es mir sofort sagen.“
„Versprochen“, hauche ich ebenso leise.
Der Finger drückt sich vorsichtig in mich. Es fühlt sich im ersten Moment ein wenig komisch an, aber soweit war ich auch schon einmal mit meinem eigenen Finger. Ich gewöhne mich rasch daran und dann fühlt es sich viel besser an, als meine eigenen Versuche. Verzagt beiße ich mir auf die Unterlippe und schmiege mein Kopf an seinen Hals. Der Finger sinkt tiefer und krümmt sich suchend. Empfindsam zucke ich zusammen und keuche auf. Meine Beine zittern unkontrolliert.
„Geht's?“, will Louis heiser wissen.
„Ja, hör nicht auf“, murmle ich etwas verlegen, aber auch sehr erregt.
„Hatte ich nicht vor“, versichert Louis, allerdings weicht sein Finger ein wenig aus mir zurück. Jedoch nur, um einem zweiten Platz zu machen. Es zieht ein wenig. Aber nicht genug, damit ich mein Versprechen einlösen muss. Es tut nicht direkt weh. Mir entweicht ein Ächzen und ich drücke mich noch dichter an ihn heran.
„Du reagierst so empfindsam“, flüstert Louis und nun höre ich auch seine Erregung heraus. Es erregt ihn und mich dadurch noch viel mehr. Außerdem fällt damit noch ein Großteil meiner Befangenheit von mir ab.
Nachdem ich mich ein wenig an die beiden Finger in mir gewöhnt habe, fühlt es sich auch wieder richtig gut an. Louis ist ganz sanft, während er mich dehnt. Seine andere Hand hat wieder begonnen mich zu streicheln. Unglaublich wie schön sich das anfühlt. Anders als das, was wir sonst machen und was schon ein wenig zur Routine geworden ist. Das hier ist neuer, aufregender, einfach anders.
Doch dann ziehen sich Louis Finger aus mir zurück. Er richtete sich hinter mir ein wenig auf.
„Was? Wieso hörst du auf?“, will ich leise wissen.
„Ich höre nicht auf. Dreh dich um. Ich will dich küssen und dabei ansehen.“
Oh … Ein bisschen befangen drehe ich mich zu ihm herum und setze mich so auf seinen Schoß. Ich schlinge meine Arme um seinen Hals und lasse mich noch ein wenig dichter an ihn ziehen, als er die Arme um mich schlingt. Er lächelt zärtlich, während er sich vorlehnt und mich dann tatsächlich küsst. Unwillkürlich schließe ich die Augen und gehe versonnen darauf ein. Nun streiche seine beiden Hände über meinen Hintern und spreizen meine Pobacken.
Ich fühle mich gerade echt begehrt von ihm. Ich weiß nicht, wie lange es her ist, dass es sich so angefühlt hat. Er war die letzten Male immer so zögerlich. Vielleicht habe ich ihn wirklich zu sehr unter Druck gesetzt. Nun sage ich gar nichts. Ich warte einfach ab, was mit mir geschieht und lasse ihn machen. Und es fühlt sich auch jetzt schon toll an. Wir müssen gar nicht den ganzen Weg beschreiten. Allein, dass er mich meinen Körper so spüren lässt und mir zeigt, dass er mich begehrt, ist schon genug.
„Ich liebe dich“, hauche ich leise in den Kuss.
„Und ich dich“, flüstert er zurück und wieder streichen seine Finger über meinen Anus.
Ich lasse meine Hand zwischen uns wandern und drücke unsere harten Geschlechter aneinander. Von Louis erhalte ich darauf ein tiefes Ächzen. Er zuckt mir entgegen und seine Lippen rutschen von meinen ab. Statt den Kuss noch weiter fortzusetzen, schmiege ich mich an seine Schulter und fühle weiter in mich hinein. Sein Finger dringt erneut in mich ein und reizt mich inzwischen zielstrebiger. Wieder entweicht mir ein Stöhnen. Es ist so neu.
„Fühlt es sich gut an?“, will Louis wissen.
„Ja, sehr“, murmle ich ein wenig verschämt. Vielleicht ist es gar nicht so sehr die Reizung an sich, die sich so gut anfühlt. Es ist eher das Gefühl, dass er in mir damit hervorruft, die Nähe und Intimität des Augenblicks.
„Du dich auch, um meine Finger.“ Louis lehnt sich ein wenig zurück, um den Abstand zwischen uns zu vergrößern und sucht erneut meine Lippen. Fahrig gehe ich darauf ein. Irgendwie ist das fast zu viel auf einmal, das warme Wasser, seine Finger, der Kuss … Ich treibe nur noch dahin in meinen Empfindungen. Aber ich möchte auch nicht, dass es aufhört. Mich an seinen Schultern festhaltend lasse ich alles mit mir geschehen. Louis presst testend einen dritten Finger an meinem Anus. Es gelingt ihn, damit in mich einzudringen, aber dann ist erst einmal Schluss. Ich krampfe nun doch ein wenig und deute ihm mit einem leisen Ächzen an, vorsichtiger zu sein. Sofort hält er inne.
„Geht's?“, murmelt er leise an meine Lippen.
„Ja, aber erst mal nicht weiter.“
„Okay …“ Er weicht wiederum ein wenig zurück und sieht mir ins Gesicht.
Ich spüre, wie mir das Blut heiß in die Wangen steigt. Er schmunzelt matt und neigt den Kopf zur Seite.
„Was?“, hauche ich unsicher.
„Ich find dich gerade sehr sexy“, gesteht er versonnen.
Mir wird noch heißer. Und ich bin so erregt. Das macht er mit mir. Schluckend schmiege ich mein Gesicht an seine Halsbeuge. „Dann … dann … schläfst du heute mit mir?“
„Vielleicht“, murmelt er. „Zumindest sollten wir aus der Wanne heraus, denke ich …“
„Mhm.“ Ich kann aber nicht aufstehen, da seine Finger immer noch in mir sind. Er zieht sich auch nicht zurück. Stattdessen dringen sie noch ein wenig tiefer in mich ein. Ich keuche erregt und klammere mich an ihn. „Louis.“
„Ich habe nichts dabei“, gesteht er zerknirscht. „Kondome oder Gleitgel. Hab’ das hier nicht so wirklich geplant.“
Das heißt, er folgt einem spontanen Verlangen und macht es nicht nur, weil er es sich mir zuliebe vorgenommen hat? Ich lächle versonnen. „Ich hab’ alles da. In meinem Zimmer.“
„Sieh mal an.“ Seine Lippen tasten über meinen Hals. Er scheint zu zögern, doch dann löst er sich abrupt von mir. „Okay, raus aus der Wanne … Sehen wir mal, wie weit wir’s heute Abend treiben. Aber ohne Druck, okay?“
Ich schüttle den Kopf. Selbst wenn wir jetzt aufhören würden, wäre ich total glücklich. „Überhaupt kein Druck.“
Louis zieht vorsichtig seine Hand zurück und streichelt über meine Schenkel. Erneut initiiert er einen Kuss. Ich schlinge die Arme um ihn und lasse mich wieder darauf ein. Dabei bleibe ich jedoch zurückhaltend, um ihm zu zeigen, dass er die Kontrolle hat. Schließlich weicht er wieder zurück. „Stehen wir auf?“
Ich nicke.
Mit klopfenden Herzen richte ich mich auf. Mein Kopf schwebt irgendwo in den Wolken. Er fühlt sich jedenfalls ganz leicht an. Ich vermag gar nicht recht zu realisieren, was hier gerade geschieht. Louis ist da umsichtiger. Er greift nach einem Handtuch und rubbelt mich damit liebevoll trocken, ehe er mir einen Klaps auf den Hintern gibt. „Ich komm gleich nach … Geh schon mal ins Bett.“
Erneut nicke ich, jedoch schlinge ich dann noch einmal die Arme um ihn und ziehe ihn zu einem Kuss heran. Er lacht leise, geht aber darauf ein, wenn auch zu kurz für meinen Geschmack.
„Jetzt bist du wieder ganz feucht“, stellt er tadelnd fest, ehe er mich mit seinem Handtuch nochmals trocken tupft. Anschließend reiße ich mich zusammen und schwebe in mein Zimmer. Wie schön, dass wir die Wohnung für uns haben.
Außerdem ist es ganz gut, dass ich das Zimmer mit ein wenig Vorsprung vor Louis betrete. So laufe ich schnell zu meinem Schreibtisch, wo ich das Gleitgel und die Kondome vor den Augen meiner Mutter versteckt habe, die sonst doch manchmal an meinen Kleiderschrank geht oder auf die Idee kommt, mein Bett neu beziehen zu müssen. Mein Nachttisch ist außerdem genau das: Ein kleiner Tisch ohne Schublade.
Nach ein wenig Wühlen – immerhin habe ich die Sachen bereits vor einer ganzen Weile gekauft – werde ich fündig. Ich werfe einen prüfenden Blick auf das Haltbarkeitsdatum der Gummis: Sind noch okay. Mit einem dämlichen Grinsen lege ich beides auf meinen Nachttisch und schlüpfe unter die Bettdecke. Erst habe ich noch überlegt, ob ich mich anbiedernd darauf positionieren sollte, doch dafür bin ich zu nervös und ich weiß auch nicht, ob Louis darauf so gut reagieren würde oder ob es ihn eventuell eher verschreckt.
Mein Herz pocht immer noch ganz laut. Ich werde immer nervöser. Louis lässt sich aber auch viel Zeit im Bad. Hoffentlich überlegt er es sich nicht anders. Obwohl, ich kann es ihm kaum verdenken, wenn er ebenso nervös ist wie ich. Hoffentlich wird es gut. Vor allem für ihn. Ich will das mit ihm. Ich will Sex. Nicht mit irgendwem. Nur mit ihm. Ich will wissen, wie es sich anfühlt, was es mit mir macht und ob es mich verändert.
„Hey“, flüstert Louis. Er hat sich ein Handtuch um die Hüften geschlungen, doch es fällt, nachdem er die Tür hinter sich schließt. Mein Herz macht einen Satz, da er immer noch hart ist.
„Hey.“ Meine Stimme klingt ziemlich dünn. Nur ein heiseres Wispern.
Louis lächelt sanft, als er zu mir kommt und ebenfalls unter die Decke schlüpft. Sofort drehe ich mich zu ihm auf die Seite und er schlingt seinen Arm um mich und rückt näher, bis sich unsere Körper berühren. Ebenso nähern sich seine Lippen wieder den meinen. Ich seufze leise, als sie aufeinander treffen und lege meinen Arm ebenfalls um ihn. Wir küssen uns lange und allmählich verschwindet meine Nervosität. Ich werde wieder mutiger und ein bisschen ungeduldig, doch ich will ihn auch nicht drängen.
Louis' Hand streichelt harmlos über meine Seite. Es dauert eine Weile ehe er den Mut aufbringt, seine Finger nochmals über meinen Anus tasten zu lassen. Dennoch reicht die kleine Berührung dafür aus, dass ich erwartungsvoll erbebe. Es erregt mich so sehr. Es kann eigentlich nur wundervoll werden.
„Wo hast du …?“, murmelt er zögernd.
„Nachttisch.“
„Oh …“ Er richtet sich ein wenig auf, um sich umzusehen. Dass er es noch nicht gesehen hat, als er reingekommen ist, ist irgendwie süß. Anscheinend hat er nur Augen für mich gehabt, oder aber, er ist auch nervös. Wahrscheinlich sogar.
Nun greift er zunächst nach dem Gleitmittel und fummelt an dem Verschluss herum, schließlich bekommt er ihn auch auf und drückt sich etwas davon auf Zeige- und Mittelfinger. „Du musst mir sagen, wenn du mehr brauchst.“
„Mach ich“, verspreche ich leise.
Er legt das Fläschchen wieder fort und sieht mich unruhig und nachdenklich an. Ein wenig verlegen murmelt er dann: „Ich hab’ gelesen, es geht am einfachsten, wenn du dich auf den Rücken legst und die Beine anziehst.“
Es klingt ein wenig unsexy, wenn er das so sagt. Doch ich füge mich und trete dabei auch die Decke weg. Zögernd krabbelt Louis vor mich, zwischen meine Beine. Was mich beruhigt, ist, dass er immer noch erregt ist. Meine größte Angst ist wohl, dass er es sich anders überlegt oder sich dazu gezwungen fühlt. Doch das scheint nicht der Fall zu sein.
Behutsam schmiert er das Gel an meinen Anus und drückt einen Finger langsam in mein Inneres. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Es geht so leicht. Leichter als im Bad.
„Geht's?“, erkundigt sich Louis dennoch.
Ich nicke.
„Gut. Anderenfalls muss du sofort etwas sagen oder nach mir treten“, verlangt er, ehe er sich vorbeugt und seine Lippen sacht an meinen Hals drückt. Ich neige den Kopf ein wenig zur Seite, um seiner Liebkosung mehr Raum zu geben. Eigentlich richtet sich meine gesamte Aufmerksamkeit jedoch auf den Finger in mir, der sich nun zu bewegen beginnt und das Gel sorgsam verteilt. Ein Finger ist tatsächlich kein Problem, beim zweiten verspanne ich mich im ersten Moment ein wenig, doch dann drücke ich mich gegen ihn und es geht leichter.
Dabei bleibt es eine ganze Weile. Louis lässt mir und sich selbst viel Zeit. Seine Lippen kosen mich überall, während seine Finger sacht austesten, wie weit sie gehen können und worauf ich empfindlich reagiere. Und ich reagiere auf ihn. Überall. Es fühlt sich so wahnsinnig an, ihn zum ersten Mal so zu spüren. Ich kann es immer weniger erwarten, dass es mehr wird. Nicht nur seine Hände, sondern eben der Teil von ihm, der so empfindsam ist, wie die Stelle, die er in mir berührt.
„Mehr“, hauche ich daher schließlich.
Er schluckt. Ich höre das Geräusch seiner Kehle deutlich an meinem Ohr, an dem er mich gerade zärtlich neckt. Doch er zögert nicht lange und versucht, seinen dritten Finger wieder unter zu bringen. Diesmal geht es leichter als in der Wanne. Alles geht leichter. Dabei habe ich aber auch jegliches Zeitgefühl verloren. Keine Ahnung, wie lange wir das jetzt schon machen.
Als es ihm gelingt die drei Finger recht tief in mich zu versenken, mag ich nicht mehr warten. Ich taste blind nach Packung mit den Kondomen und nehme mir daraus eins heraus. Dann greife ich zögernd zwischen uns und streiche über seinen Bauch tiefer. Er ist immer noch hart und sehr empfindlich. Als ich ihn berühre, zuckt er stöhnend zusammen.
„Louis …“
„Mhm?“ Er blickt zu mir auf.
Wortlos halte ich das Kondom in sein Blickfeld.
Es blitzt in seinen Augen. Er will es genauso sehr wie ich, dennoch zögert er und wird merklich nervöser. Schließlich zieht er sacht seine Finger zurück und richtet sich auf. Sein Adamsapfel hüpft einige Male, ehe er nach dem Kondom greift und es aus seiner Hülle befreit. Er hat das definitiv schon einmal gemacht. Natürlich hat er das. Im Gegensatz zu mir, ist er ja auch keine Jungfrau mehr. Aber das hier ist für uns beide neu.
Mit ein paar Handgriffen streift er sich das Kondom über den Penis und sieht mir dann wieder in die Augen. Er lächelt tapfer und beugt sich wieder zu mir herab, um mich zu küssen. Diesmal auf den Mund. Ich schlinge unwillkürlich die Arme um ihn und will auch nicht, dass er zurückweicht. Er soll ganz dicht bei mir bleiben.
„Ich werde böse mit dir, wenn ich dir wehtue und du mir nichts sagst, ja?“, erinnert er mich abermals leise.
„Mhm“, murmle ich aufgeregt. Gleich … Ich kann nicht mehr klar denken.
Dann spüre ich seine Eichel, wie sie suchend über meine Haut wandert, bis sie ihr Ziel findet und sich leicht dagegen drückt. Ich verspanne mich nun doch, obwohl ich es gar nicht will. Muss die Aufregung sein. Louis küsst mich weiter ohne sich zu bewegen. Allmählich werde ich ruhiger und dann passiert es von ganz allein. Er dringt etwas in mich ein. Mir wird so heiß und mir entweicht ein überraschter, begehrlicher Laut. Es fühlt sich anders an als seine Finger. Irgendwie größer, heißer, echter, einfach richtig.
Louis keucht leise und presst sein Gesicht in meine Halsbeuge. Er zittert merklich, während er sich langsam tiefer in mich schiebt. Als es kurz zieht und ich mich wieder verspanne, greife ich nach seinen Hüften und halte ihn fest. Sofort hält er inne und wartet, bis ich ihn wieder loslasse und er weitermachen kann. Es passiert noch einmal, dass der Schmerz größer wird, als mein Verlangen, doch auch das überwinden wir mit Louis’ Geduld.
„Oh Gott“, keucht er plötzlich und ich spüre im gleichen Moment, wie sich seine Lenden an meinen Hintern schmiegen. Ich seufze und fühle, wie mich ein heißes Gefühl einnimmt. Das ist Louis in mir. Ganz. Er fühlt sich riesig an, es spannt sich um ihn, aber es ist auch total erregend und schön, ihn so zu spüren.
Eine ganze Weile bleiben wir so. Louis gibt mir Zeit, mich an ihn zu gewöhnen und das ist auch gut so. Ich sehe selbst ein, dass wir es langsam angehen müssen. Es ist nicht so, wie ich gedacht habe, dass wir jetzt gleich wilden Sex haben können. Schließlich ist es Louis, der es nicht mehr aushält und sich vorsichtig zu bewegen beginnt. Ich bin im ersten Moment ein wenig überrascht und klammere ich mich fest an ihn. Sofort hält er wieder inne und ächzt angestrengt.
„Tut es sehr weh?“, will er wissen.
„Nein, gar nicht“, gestehe ich verlegen. „Das ist nur etwas viel …“
„Zu viel?“
„Nein.“ Ich schüttle leicht den Kopf. Keine Ahnung, wie ich es beschreiben soll. Letztlich lasse ich ihn los und gebe ihm so die Erlaubnis, sich wieder zu bewegen. Er tut es auch, noch vorsichtiger als zuvor. Plötzlich nehme ich alles sehr intensiv wahr. Auch seinen Geruch. Er riecht so gut und er ist überall. Vor allem aber in mir. Ich muss leise stöhnen, denn sonst halte ich es nicht mehr aus. Ich bin so erregt und finde noch keine Erlösung.
Allmählich wird Louis mutiger und bewegt sich stärker. Dabei richtet er sich ein wenig auf, und schaut auf mich herab. Verlegen erwidere ich seinen Blick und das leichte Lächeln, das auf seinen Lippen liegt. Aber in seinem Blick liegt auch etwas anderes: Lust aber gleichzeitig auch irgendwie Schmerz.
„Alles okay?“, hake ich nach.
Er nickt und presst die Lippen zusammen. Dann schnauft er leise und wirkt irgendwie verlegen. „Ich glaube nicht, dass ich lange durchhalte.“
„Oh …“
„Du fühlst dich so gut an“, gesteht er und küsst mich erneut. Dabei seufzt er leise und seine Bewegungen werden fahriger. Er hält wieder still und sein Körper verspannt sich für einen Moment. Ich kenne das … Er macht das, wenn er kurz davor ist zu kommen, aber noch nicht möchte.
„Du musst dich nicht zurückhalten“, versichere ich ihm zärtlich.
„Ich will aber, dass es für dich auch schön wird“, murmelt er angestrengt.
„Es ist wunderschön.“
Er ächzt versonnen. Seine Hand tastet nach meinem Penis und beginnt mich zu streicheln, während er selbst sich nicht mehr bewegt. Dennoch ist er da, in mir, und es erregt mich zusätzlich zu seiner Hand sehr.
Als Louis sich dann auch noch wieder bewegt, ist es fast zu viel. Ich stöhne verloren auf und weiß kurz darauf nicht mehr, wo oben und unten ist. Verzagt kralle ich mich an Louis fest und verliere endgültig die Kontrolle über mich. Es geht nun sehr schnell, fast zu schnell und dennoch ist es so intensiv, dass ich gar nicht weiß, wie mir geschieht, als mein Körper zu beben anfängt. Ich höre Louis' Stöhnen und spüre, wie er sich zitternd an mich schmiegt. Wir kommen gleichzeitig.
Eine ganze Weile bleiben wir danach reglos liegen. Ich lausche auf unseren schnellen Atem, der allmählich ruhiger wird. In meinem Kopf kann ich immer noch nicht klar denken. Ich bin nur so glücklich und befriedigt wie noch nie. Louis bewegt sich als erster. Ganz vorsichtig zieht er sich aus mir zurück und entledigt sich des Kondoms. Dann schmiegt er sich jedoch sofort wieder an mich und schlingt seine Arme um meinen Körper.
Erst jetzt wird mir das leichte Pochen in meinem Hintern bewusst. Ich glaube, er fand die ungewohnte Akrobatik doch ein wenig anstrengend, aber das werde ich Louis bestimmt nicht sagen. Ich denke, es ist nur eine Frage der Gewöhnung. Außerdem finde ich es irgendwie aufregend, diesen Nachhall zu spüren.
Wir schweigen lange. Schließlich kann ich meine Neugierde nicht mehr zügeln und rolle mich über ihn. „Hat es dir gefallen?“
Er schmunzelt matt und nickt. „Sehr … Und dir?“
„Sehr. Mehr als sehr.“ Ich küsse ihn. Gott, ich hatte gerade Sex mit Louis. Nein, mehr als Sex. Es war … es war unglaublich. Besser als ich es mir vorgestellt habe. Anders. Total anders. Weniger sexy und wild. Aber sehr viel intimer und schöner. Na ja, für sexy und wild können wir uns ja noch viel Zeit lassen. Erst einmal will ich das hier genießen. „Wir machen das noch mal, oder?“
„Mhm“, murmelt er und zwickt mich sanft in die Seite. „Aber nicht jetzt.“
„Nein. Nicht jetzt.“ Aber bald. Am Wochenende. Eigentlich weiß ich nicht, ob ich solange warten kann. Es scheint mir schrecklich lang bis dahin. Ich sehe ihm noch einmal in die Augen. „Und es hat dir wirklich gefallen? Obwohl es mein Hintern war?“
„Ja, eben weil es dein Hintern war.“ Er reckt sich und gibt mir noch einen Kuss. „Und können wir bitte vergessen, dass ich so dumm war und das nicht eher eingesehen habe?“
Ich grinse glücklich. „Okay. Weil ich dich so sehr liebe, werde ich mal nicht so sein.“
Er rollt sich wieder über mich. „Ich denke, ich werde heute Nacht doch bei dir schlafen. Okay?“
„Sehr okay … Will nicht, dass du gehst“, murmle ich und schlinge meine Arme fest um ihn. Eigentlich will ich, dass er gar nicht mehr geht. Ich will jede Nacht bei ihm schlafen. Aber dafür ist es wohl noch zu früh. Außerdem wüsste ich nicht, wie ich noch glücklicher sein könnte als jetzt. Dann müsste ich wohl wirklich zerspringen.
Plötzlich nuschelt Louis leise an mein Ohr. „Ich liebe dich … und das eben … war wunderschön für mich. Ich mag deinen Po.“
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Tag der Veröffentlichung: 03.06.2016
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