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Abschnitt 1

Ich bin todmüde. Wirklich. Beinahe tot. Keine Ahnung, wie ich es solange ausgehalten habe. Mit halb geschlossenen Augen stolpere ich neben Lasse und seiner neuen Eroberung her. Eigentlich hätte ich es wissen müssen und früher nach Hause gehen sollen. Hier bin ich eindeutig überflüssig. Es ist ein blödes Gefühl – peinlich irgendwie. Allerdings bin ich zu müde, um mich zu schämen. Wenn ich Glück habe, schlafe ich ein, bevor sie richtig loslegen. Ich will das nicht hören. Wieso bin ich nicht eher heimgegangen? Ich Hohlkopf.

„Niko schläft gleich ein“, stellt Lasse mit seiner tiefen Stimme erheitert fest.

Seine Begleitung, ich habe seinen Namen vergessen – na gut, ich habe aufgegeben mir ihre Namen zu merken – lacht leise und stimmt zu: „Er sieht wirklich so aus, als würde er schlafwandeln.“

„Ich bin wach!“, behaupte ich entrüstet.

„Du darfst das Bad als erstes benutzen, wenn wir zu Hause sind“, verspricht mir Lasse, mein Mitbewohner, freundlich und klopft mit seiner freien Hand aufmunternd auf meine Schulter. Seine andere Hand steckt in der Gesäßtasche des Typen, den er abgeschleppt hat.

Ich falle, wegen dem Klopfen, beinahe auf die Nase und nicke nur als Dank. Als würden sie vorher noch groß etwas im Badezimmer machen. Sicher fallen sie gleich zusammen in Lasses großes Bett und übereinander her. Mühsam unterdrücke ich ein Seufzen. Dabei hatte ich so gehofft, dass Lasse diesmal niemanden mit nach Hause nimmt. Als der Abend immer weiter fortgeschritten ist und er dann immer noch niemanden hatte, habe ich gehofft, er hätte es heute mal nicht auf Sex abgesehen. Ich hatte gehofft, es würde wieder so sein, wie in der einen Nacht, als ich auch mit ihm weg war und als wir danach noch in der Küche geredet haben, bis die Sonne aufgegangen ist.

Dieser verhängnisvolle Morgen, an dem ich, Hohlkopf, mich in diesen schwarzhaarigen Traummann mit Hang zu bedeutungslosen Sex verliebt habe. Das war wirklich sehr dumm. Schließlich wusste ich wie die Dinge liegen: Er ist nicht der Typ für ernste Beziehungen und ich nicht der Typ für bedeutungslosen Sex. Ausgeschlossen, dass daraus etwas wird. Und dennoch kann ich nicht aufhören ihn heimlich anzuschmachten.

Ich sollte mir eine neue WG suchen, aber ich will gar nicht. Momentan ist mir eh nicht nach einer Beziehung. Ich habe zu viel mit der Uni zu tun. Da ist es mir doch wohl erlaubt, jemanden, den ich eh nicht haben kann, ein wenig aus der Ferne anzuhimmeln. Nur leider entpuppt sich die Ferne manchmal als dünne Wand in einer Altbauwohnung. Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als mich unter der Decke zu verstecken und dennoch zuzuhören; das Stöhnen des anderen auszublenden und nur noch Lasse zu lauschen. Zum Verrücktwerden. Seine Stimme ist so erotisch. Und ich bin so armselig.

Plötzlich werde ich der bedeutungsvollen Stille bewusst. Wann haben sie aufgehört zu turteln und angefangen mich anzustarren? Ich zucke zusammen. „Was?“

Lasse lacht dunkel auf: „Du schläfst ja echt schon. Warum bist du solange geblieben? Du weißt doch, dass du es nicht gewohnt bist.“

„Ich hatte Lust drauf.“

„Kevin wollte wissen, was du studierst, aber schlaf ruhig weiter, wenn du dich nicht unterhalten willst“, spottet Lasse und wendet sich an den braunhaarigen Typen mit grünen Katzenaugen – also Kevin. „Er studiert Kulturwissenschaft.“

„Interessant“, meint jener freundlich und lächelt mich an. Er ist nett. Das ist das eigentlich Schlimme. Lasse hat einen guten Geschmack. Wenn er immer nur Vollpfosten abschleppen würde, würde mich das weniger jucken. Aber so jemand wie Kevin … Er sieht gut aus, ist nett und fickt gut – beziehungsweise lässt sich gut ficken. Das ist Lasses Typ. Ein bisschen oberflächlich vielleicht, aber es ist ja nur für eine Nacht. Die Typen sind sich auch alle im Klaren darüber. Lasse macht nie irgendwelche Versprechungen. Das Leben kann so unkompliziert sein. Nur bei mir irgendwie nicht.

Ich zwinge mich zu einem halbherzigen Lächeln in Kevins Richtung. „Und du?“

„Oh, ich studiere nicht“, antwortet der schnell. „Wäre auch nichts für mich. Ich arbeite bei einer Versicherung.“

„Ach so“, murmle ich und konzentriere mich wieder auf die Straße.

Lasse übernimmt das weitere Gespräch. Er ist Meister im Smalltalk. Ich kann mich eigentlich auch ganz gut mit anderen unterhalten, aber nicht wenn ich so müde bin. Herzhaft gähne ich hinter vorgehaltener Hand – ich gehöre wirklich ins Bett.

„Wartet ihr noch bis ich eingeschlafen bin, bevor ihr laut werdet?“, bitte ich quasi im Halbschlaf. Unter normalen Umständen würde ich so etwas nie sagen. Darum guckt mich Lasse nun auch halb erschrocken und halb amüsiert an. „Du kannst es in deinem Zimmer hören, wenn …?“

„Manchmal“, behaupte ich beschwichtigend.

„Warum hast du nicht eher etwas gesagt? Ich hätte Musik anmachen können.“ Lasse lacht verlegen.

Ich zucke mit den Schultern. Beinahe hätte ich ‚eben drum’ gesagt, doch das halte ich gerade noch zurück. „Dann höre ich laute Musik und weiß trotzdem, was los ist. Stell dich nicht so an.“

„Du hast einen sehr netten Mitbewohner“, meint Kevin amüsiert. „Ich bin leise, versprochen.“

„Danke.“ Ich grinse träge. Innerlich sieht es in mir anders aus. Da besteht diese Furcht, dass Lasse eines Tages mal bewusst werden könnte, dass die Typen, die er abschleppt, eigentlich klasse sind und er bei einem von ihnen hängen bleibt. Kevin ist einer dieser Kandidaten. Ich meine, nicht dass ich ihn groß kennen würde, aber er ist doch ein toller Fang. Was, wenn sich Lasse in ihn verliebt?

Endlich erreichen wir unser Wohnhaus. Im zweiten Stock ist unsere WG. Drei Zimmer, Altbau, Einbauküche und Badewanne. Ziemlich perfekt. Wir haben noch eine Mitbewohnerin, Sabine, aber die ist kaum da, weil sie einen Freund hat und die meiste Zeit bei dem schläft.

Die beiden überlassen es mir, die Türen aufzuschließen. Dafür bin ich auch als erstes in der Wohnung, aus den Schuhen und tatsächlich im Badezimmer. Gemächlich suche ich mir meine Zahnbürste und die Zahnpasta zusammen.

„Er ist süß“, flüstert Kevin im Flur.

Ich kann es trotzdem hören. Entweder habe ich ein zu feines Gehör oder es liegt tatsächlich an den dünnen Wänden. Den Geräuschen nach, ziehen sie sich gerade die Jacken und Schuhe aus. Natürlich muss ich lauschen. Zumal ich den Verdacht habe, dass er mich gemeint hat. Ich will wissen – nein, ich muss wissen, was Lasse dazu meint.

„Findest du?“ Seine Tonlage ist nicht sehr aufschlussreich.

„Klar, wenn man Rothaarige mag“, beteuert Kevin leichthin. Ich glaube, darauf gibt er Lasse einen kurzen, versöhnlichen Kuss, um ihn zu versichern, dass er schwarzes Haar lieber mag. „Ich hab gehört, die sollen im Bett sehr heißblütig sein. Er ist doch auch schwul, oder? Wieso fragen wir ihn nicht, ob er auch Lust hat?“

WAS!? Mir läuft die Zahnpasta aus dem offenen Mund. Fassungslos starre ich in den Spiegel. Nun, ich sehe nicht übel aus – vorausgesetzt man mag Rothaarige. Richtig, das ist der Knackpunkt. Im Sommer kann ich mir meine Haut abziehen, im Winter ist sie bleich wie ein Leichentuch. Mein Gesicht, an dem ich eigentlich nichts auszusetzen habe – außer diese langweiligen, graublauen Augen – ist so voller Sommersprossen, dass man es kaum sieht. Aber zurück zum Wesentlichen: EIN DREIER?!

„Ähm, nein, keine gute Idee.“ Lasse gluckst leise. „Niko ist nicht der Typ für so etwas.“

„Nicht? Schade …“

„Ja.“

JA!? Hat Lasse gerade zugegeben, dass es schade ist? Ich kann zusehen, wie ich rot anlaufe. Noch ein Nachteil bei Rothaarigen. Aber das hat er doch nur so dahin gesagt. Vielleicht auch nur um dieses entsetzlich peinliche Gesprächsthema abzuschließen. Trotzdem rast mein Herz. Hilfe. Schnell spüle ich meinen Mund aus und fische mir dann die Kontaktlinsen aus den Augen. Nach einer kurzen Katzenwäsche schiebe ich mich vorsichtig aus dem Bad. Sie sind nicht mehr im Flur. Ich atme unbewusst auf und verschwinde schleunigst in mein Zimmer.

Erleichtert schließe ich die Tür hinter mir und schließe die Augen. Mein Herz klopft immer noch ganz schnell. Warum eigentlich? Nur weil einer von Lasses Typen eine irrsinnige Idee hatte? Oder weil mir die irrsinnige Idee gefallen könnte? Quatsch! Ich bin – wie Lasse ganz richtig meinte – nicht der Typ für so etwas.

Seufzend stoße ich mich von der Tür ab und beginne mich auszuziehen. Nur in Pants schlüpfe ich schließlich unter meine warme Biberbettwäsche. Ich bin immer noch müde, auch wenn der Schock von eben noch ein Weilchen anhält. Eigentlich sollte ich keine Probleme mit dem Einschlafen haben. Habe ich auch nicht. Ich bin kurz davor, als es anfängt. Als ER anfängt. Lasse. Oh nein … Resigniert ziehe ich mir die Decke über den Kopf.

Es hilft nichts. Sein Ächzen und Stöhnen geht mir durch Mark und Bein. Ich spüre dieses heiße Kribbeln in meinen Lenden, als ich ihn mir unwillkürlich dabei vorstelle. Viel Fantasie gehört nicht dazu. Er läuft nach dem Duschen immer nur mit einem Handtuch um die Hüften durch die Wohnung. Oh nein! Jetzt habe ich wirklich die Bilder im Kopf. Dazu diese Geräusche – Kevin ist wirklich nicht zu hören. Anscheinend hält er sich an sein Versprechen. Du lieber Himmel: Das ist erregender als jeder Porno. Dabei will ich es gar nicht. Nüchtern betrachtet ist es einfach nur erbärmlich. Dennoch ende ich mit meiner Hand in der Pants und steigere mich mit Lasse bis zum Orgasmus.

Danach verkrieche ich mich noch tiefer unter meiner Decke und kann mich selbst nicht ausstehen. Das hält meinen verräterischen Körper aber nicht davon ab, sich wohlig zu entspannen und schließlich schlafe ich doch ein.

Abschnitt 2

Wie immer nach dem Ausgehen, komme ich am nächsten Tag, beziehungsweise am gleichen Tag, nicht aus dem Bett. Schließlich falle ich doch heraus, schlüpfe – zerknautscht wie ich bin – in meine uralte Jogginghose und schlurfe in die Küche. Am Tisch sitzt schon Lasse mit einer Tasse vor sich.

„Kaffe’?“, frage ich hoffnungsvoll.

Er nickt amüsiert und hält mir die Tasse hin. Ich nehme einen tiefen Schluck daraus. Keine Ahnung, warum ich das mache: Ich weiß doch, dass er dieses herrliche Getränk immer mit schrecklich viel Zucker und Milch versaut. Es schmeckt wie Bolschenwasser, wie mein Vater zu sagen pflegt. Angewidert verziehe ich das Gesicht und gebe ihm die Tasse zurück, um mich halb blind zur Maschine vorzutasten. Dort ist noch eine halbe Tasse des unverfälschten Kaffees enthalten. Glücklich gieße ich ihn mir ein und drehe mich dann wieder zu Lasse um. „Ist er schon weg?“

„Wer? Kevin?“, fragt Lasse verdutzt. „Ja, klar. Vor zwei Stunden oder so … Warum?“

„Nur so …“ Ich entspanne mich augenblicklich. Also wieder keine Gefahr für mein Gefühlsleben. Wie gesagt, ich habe keine Hoffnung, aber wenn er doch mal jemanden findet, muss ich ihn wohl endgültig aufgeben und ausziehen.

So allerdings kann ich ihn noch eine Weile weiter genießen und träumen. Träumen. Ich will gar nicht, dass es wahr wird. Lasse ist nicht der Typ dafür. Ich habe mich schließlich in ihn verliebt, weil er so ist, wie er ist. Obwohl er eigentlich nichts für mich ist.

Gemeinsam mit meiner Tasse lasse ich mich nun auch am Tisch nieder. Wir schweigen eine Weile einträchtig. Lasse scheint auch noch nicht so richtig wach zu sein. Ich kann es nicht beurteilen, weil ich ihn nicht richtig sehen kann. Ohne Kontaktlinsen bin ich quasi blind und meine Brille setze ich nur dort auf, wo er mich damit nicht sieht. Also in meinem Zimmer hinter verschlossener Tür oder wenn er nicht da ist. Lieber blinzle ich blöde vor mich hin und mustere die verschwommenen Maserungen und Kratzer unseres Küchentisches. Da haben sich schon einige angesammelt.

„Hast du heute etwas vor?“, erkundigt er sich plötzlich.

„Hm?“ Ich schrecke aus meinen Gedanken auf. Ein verschwommenes Grinsen zieht sich über sein Gesicht. Ich sehe seine weißen Zähne aufblitzen. Perfekte Zähne.

„Du schläfst ja echt noch. Oder bist du schwerhörig?“, spottet er sanft. „Ob du etwas vorhast, habe ich gefragt.“

„Ähm, nein, habe ich nicht. Müsste noch eine Hausarbeit schreiben. Wieso?“

„Nur so … Ich dachte, ich lasse es heute Abend mal ruhig angehen. Connie kommt nachher vorbei. Wir wollten zusammen kochen und danach noch einen Film sehen. Bist du dabei?“

„Klar, klingt gut. Was kocht ihr denn?“, frage ich und lächle unwillkürlich. Ich mag Connie. Sie ist seine beste Freundin und total lustig. Wie eigentlich alle weiblichen Bekannten von Lasse. Er hat auch da einen guten Geschmack und zieht sie in Scharen an. Männliche Freund hat er eigentlich nicht. Klar, mit den Schwulen hüpft er nur so ins Bett und bei den Heteros würde er es trotzdem versuchen und sie damit abschrecken. Ich glaube, ich bin der Einzige, den er für unantastbar hält. Keine Ahnung, ob mir das gefallen soll. Er hat noch nie etwas versucht.

„Reispfanne. Connie hat wieder so eine vegetarische Phase“, lästert er und ich nehme an, dass das Weiße, das ich unklar in seinen sonst fast schwarzen Augen erkenne, darauf hin deutet, dass er sie gerade verdreht. „Sie bringt ganz viel Gemüse mit. Reis haben wir doch noch, oder?“

„Mhm, müssten wir noch“, antworte ich und überlege. „Ich glaube sogar auch noch Wildreis. Aber da bin ich mir nicht sicher.“

„Einfacher tut’s auch“, meint Lasse gleichgültig.

Wir schweigen wieder. Es ist aber nie unangenehm. Dafür sind wir schon zu vertraut miteinander. Es ist schön. Völlig zwanglos eben.

„Niko, hast du die Nacht eigentlich wieder etwas gehört?“, erkundigt er sich plötzlich behutsam.

Und da geht die Idylle dahin. Ich runzle unwillig die Stirn. Was soll ich jetzt sagen? Ich finde das Thema sehr peinlich. Nicht nur, weil ich mich für ihn fremdschäme, da er beim Sex gehört wurde, sondern weil ich dabei auch unwillkürlich an das denke, was ich dabei mache. Beides will ich nicht zugeben.

„Nein“, lüge ich also. „Bin sofort eingepennt.“

„Du hast ja auch schon halb geschlafen, als wir hier angekommen sind.“ Er klingt erleichtert. Dabei hätte ich es ihm nicht unbedingt zugetraut, dass er sich um so etwas Gedanken macht. Ich ging davon aus, dass er drüber steht. Sonst geht er doch auch sehr offen mit seiner Sexualität um. Und er ist wirklich nicht leise. Es ist nicht so, als würde er sich irgendwie zurücknehmen.

„Nun mach dir keinen Kopf“, necke ich ihn leicht. „Ob ich dich nun höre oder nicht … Erstens ist es dafür eh zu spät, weil ich es schon getan habe und zweitens ist es ja nicht so, als wüsste ich nicht, was du da mit deinen Übernachtungsgästen treibst. Ich bin aufgeklärt und keine verstockte Jungfrau mehr.“

„Ja, aber trotzdem … Das ist unangenehm. Ich meine, ich will dich auch nicht hören, wie du es in deinem Zimmer mit jemandem treibst. Das ist so ähnlich, als würde man seine Eltern dabei hören.“

„Du vergleichst mich mit deinen Eltern?“ Ich reiße entsetzt meine Augen auf.

„Nein!“, beeilt er sich zu sagen. „So war das nicht … Na ja, es ist doch nur so, dass … Nun ja, es … Es ist etwas ganz anderes, wenn man jemanden dabei hört, als wenn man einfach nur weiß, dass er Sex hat.“

„Ich glaube, ich bin da unkomplizierter“, behaupte ich. „Meine Eltern waren auch nie leise.“

Okay, das stimmt, aber ich habe mir dabei nie einen runtergeholt, sondern mir entsetzt die Ohren zugehalten. Deshalb habe ich mir angewöhnt, immer sehr zeitig ins Bett zu gehen. Sicher verdanke ich meinen Eltern die Hälfte meiner Komplexe, wenn es um Sex und Beziehungen geht.

Lasse sieht mich pikiert an. „Echt?“

„Ja“, bestätige ich und nicke. „Ich meine, ich will es nicht hören, aber ich stelle mich deswegen auch nicht so an. Ist irgendwie normal für mich, dass andere Menschen Sex haben.“ Genug davon. Ich will mich nicht weiter darüber unterhalten und leere meine Tasse. „Vergiss es einfach.“

„Okay …“ Lasse scheint auch keinen Wert auf eine weitere Erörterung dieses Themas zu legen.

Ich erhebe mich gemächlich. „Ich gehe mal duschen, musst du vorher noch ins Bad?“

„Nein, geh nur.“

„Gut.“

Abschnitt 3

Connie kommt um sechs. Ich habe gerade mal eine Seite für meine Hausarbeit geschrieben, also will ich die beiden noch eine Weile reden lassen, ehe ich mich dazu geselle. Doch Connie macht mir da einen Strich durch die Rechnung, als sie fünf Minuten später in mein Zimmer platzt – nach kurzem Anklopfen. Auf meine Antwort hat sie allerdings nicht gewartet.

„Hallo, mein Lieblingsmitbewohner von Lasse!“, begrüßt sie mich gut gelaunt.

Lächelnd stehe ich auf und lasse mich von ihr umarmen. „Hey, wie geht’s?“

„Gut und selbst?“

„Kann nicht klagen“, behaupte ich und sehe über ihre Schulter. Lasse lehnt an meinem Türrahmen und schaut uns abwartend an. Ich sehe noch mal auf die Uhr. „Wollt ihr mit dem Kochen schon anfangen?“

„Ja, es gibt viel Gemüse zu putzen“, sagt Connie lachend. „Lasse meint, du hilfst uns dabei?“

„Klar, kann ich machen.“ Ich speichere meine Hausarbeit ab. Dann schreibe ich sie wohl morgen zu Ende. Notfalls mit Nachtschicht.

„Super.“ Connie lacht und zieht mich mit in die Küche; an Lasse vorbei. „Der da ist ja eh unfähig beim Kochen.“

„Bin ich nicht“, brummt Lasse empört und folgt uns.

„Bei dir bleibt immer nur die Hälfte von dem übrig, was du schälen sollst“, entgegnet Connie spöttisch.

Ich muss lachen. Sie hat recht.

Lasse macht ein beleidigtes Gesicht. „Nur, wenn das Äußere schlecht ist.“

„Erde ist nicht schlecht, die könntest du vorher abwaschen.“ Sie zwinkert ihm amüsiert zu und verteilt an uns dann zwei Sparschäler. Anscheinend bezieht sie sich mit ihren Neckereien auf ein vorheriges Kochereignis. Inzwischen war sie schon so oft bei uns, dass sie sich in der Küche beinahe besser auskennt als wir.

Lasse spart sich eine Antwort und trägt die Karotten erhobenen Hauptes zum Spülbecken. Er ist so süß, wenn er beleidigt ist. Connie und ich grinsen uns an und kümmern uns dann um den Rest des Gemüses auf den Tisch. Ich runzle die Stirn. „Soll ich die Paprika schneiden?“

„Ja, wäre gut“, stimmt Connie zu.

„Okay.“ Schnell tausche ich den Sparschäler gegen ein Messer und drängle mich neben Lasse ans Waschbecken, um die Paprika schnell ab zu spülen. Dabei berühren sich unsere Schultern, weil er sich ein wenig herunter beugen muss. Eigentlich ist er beinahe fünfzehn Zentimeter größer als ich. Einen Meter neunzig in etwa. Leider macht er mir aber gleich Platz und lässt mich vor. So kehre ich als erstes mit meinem sauberen Gemüse zurück. „Ist Paprika eigentlich Gemüse oder Obst?“

„Gemüse, oder? Wie kommst du darauf, dass es Obst ist?“, wundert sich Connie.

„Na ja, man sagt doch auch, dass eine Tomate eigentlich Obst ist. Und Paprika sind doch auch Nachtschattengewächse wie Tomaten, oder?“, erläutere ich meinen Gedanken.

„Hm, interessant“, murmelt Connie ratlos. „Keine Ahnung.“

„Ist das nicht scheißegal?“, fragt Lasse und lässt sich neben mir am Küchentisch nieder. „Hauptsache es schmeckt.“

„Schon, aber es würde mich trotzdem interessieren“, beharre ich darauf.

„Ich guck nachher im Internet für dich nach“, verspricht Lasse spöttisch und kneift mir mit seinen noch nassen Fingern in die Wange. „Dann kannst du noch ein bisschen mehr klugscheißern.“

„Idiot“, sage ich verlegen und trete ihm vors Schienbein. „Kann ja nicht jeder so ein Ignorant sein wie du!“

„Oh Gott, ihr seid so süß, wenn ihr euch streitet“, höhnt Connie amüsiert.

Ich schlage Lasses Hand weg und spüre, dass ich rot werde. Geht’s noch peinlicher? Ich schnaufe und schüttle den Kopf.

„Wir streiten doch gar nicht und süß sind wir sowieso“, erklärt Lasse zu unserer Verteidigung. Er grinst mich verschwörerisch an. Dabei bilden sich diese Grübchen in seiner Wange. Unglaublich süß.

Ich richte meinen Blick schnell auf Connie und nicke bekräftigend. „Genau.“

„Natürlich“, spottet die. „Mein Fehler. Wo ist eigentlich Sabine? Gegen euch zwei komme ich allein nicht an.“

„Die ist bei ihrem Freund, wie jedes Wochenende“, antworte ich schlicht.

„Sind die immer noch zusammen? Das hält diesmal aber lang“, meint Connie und beugt sich etwas vor. „Sonst klammert sie doch immer so, dass die Kerle nach zwei Wochen davon laufen.“

„Lästermaul“, sagt Lasse grinsend. „Soweit ich das beurteilen kann, haben sich da diesmal zwei gefunden. Ihr Freund klammert mindestens ebenso sehr wie sie. Schätze, sie werden bald zusammenziehen und wir müssen uns einen neuen Mitbewohner suchen.“

„Und was wird es diesmal? Ein Mädchen oder ein Junge?“, will Connie wissen.

„Mal gucken, was kommt“, meint Lasse gleichgültig.

„Ich wäre ja für ein Mädchen“, antworte ich gleichzeitig. Es platzt ganz spontan aus mir heraus. Natürlich bin ich für ein Mädchen. Ich will nicht noch mehr Konkurrenz. Die beiden sehen mich überrascht an. Verlegen zucke ich mit den Schultern und bringe schnell eine Ausrede hervor: „Na ja, die sind ruhiger.“

„Spielst du damit wieder auf die Sexsache an?“, hakt Lasse pikiert nach.

„Nein, ich meinte allgemein“, versichere ich schnell.

„Sexsache?“, erkundigt sich Connie hellhörig.

Lasse verdreht die Augen. „Er hat mich beim Sex gehört.“

„Und das stört dich?“ Sie richtet diese Frage an mich.

„Nein, ihn aber anscheinend“, gestehe ich lächelnd. „Zumindest ist er da recht empfindlich.“

„Ich bin nicht empfindlich, aber du hättest ruhig mal eher etwas sagen können.“

„Es hat mich bisher aber noch nicht gestört. Nur gestern war ich müde und wollte schnell einschlafen.“

„Ich bin so laut, dass ich dich vom Schlafen abhalte?“ Lasse klingt entsetzt.

„Na ja, ich könnte auch nicht schlafen, wenn zwei Kerle neben mir Sex haben.“ Connie lacht amüsiert und stellt sich damit auf meine Seite. „Aber stören würde es mich auch nicht.“

Lasse blinzelt sie verstört an. Dann macht es klick und er dreht sich zu mir herum. Ich finde Connies Anspielung alles andere als fair. Unbehaglich ziehe ich die Schultern hoch. „Also mich stört es auch nicht, aber ich würde den zweideutigen Unterton weglassen.“

Auch wenn er da wohl eigentlich hingehört, aber das darf Lasse auf keinen Fall erfahren. Da bin ich etwas befangener als Connie. Auch betroffener, würde ich annehmen.

„Oh Mann“, stöhnt Lasse leise und schüttelt den Kopf. „Lass uns das Thema wechseln. Das ist mir wirklich unangenehm.“

„Tja, dann musst du dich ein bisschen zurückhalten“, neckt Connie ihn weiter. „Ist er so laut, Niki? Ich hatte bisher noch keine wirklich lauten Männer. Für mich ist Stöhnen beim Sex eher etwas für Frauen, die den Herren damit andeuten, ob sie etwas richtig machen. Meinetwegen auch für Bottoms bei schwulen Sex, aber da kenne ich mich nicht so aus.“

„Kein Kommentar.“ Allmählich wird es auch mir unangenehm. Richtig unangenehm.

Doch Connie hat Blut gerochen. „Wieso? Ach, bist du eigentlich eher aktiv oder passiv? Ich meine, dass Lasse Top ist, weiß ich ja.“

„Ich bin da nicht so festgelegt.“ Ich zucke mit den Augenbrauen. „Und wie laut ich bin, geht dich nichts an.“

„Das will ich ja auch gar nicht wissen. Ich will deine Zustimmung für meine Stöhnen-als-Signal-Theorie“, quengelt Connie ungeduldig.

„Ich glaube, du vertauscht da ein wenig die Kausalitäten“, mischt sich Lasse wieder ein. „Wenn es gut ist, stöhnt man automatisch, nicht um dem anderen zu signalisieren, dass es gut ist, was er macht.“

„Also ich neige, bei weniger geschickten Liebhabern, schon mal dazu leichte Treffer mit einem Stöhnen zu belohnen“, gesteht Connie schelmisch. „Steigert ihren Ehrgeiz. Also, Niki? Du hast doch auch schon mal unten gelegen, oder?“

„Ja, aber das hatte ich noch nicht nötig“, meine ich und verziehe das Gesicht. „So ungeschickt war noch keiner, als dass ich zu solchen Mitteln greifen musste.“

So viele hatte ich ja auch noch nicht. Erst drei, ehrlich gesagt. Und nur bei Mark war ich auch mal Top. Sonst bin ich schon eher Bottom. Vielleicht zähle ich ja auch zu den ungeschickten Tops, daher habe ich nicht das Bedürfnis auf Connies Theorie anzuspringen.

„Frauen faken ja auch Orgasmen. Das machen Männer nicht“, sagt Lasse ein wenig verächtlich.

„Das ist bei euch ja auch schwieriger“, meint Connie augenrollend.

„Nein, auch wenn wir es könnten“, sagt Lasse. „Wo ist denn da der Sinn? Da bringt man sich doch nur um den Spaß.“

„Wieso können wir nicht?“, frage ich erstaunt. Das zuletzt Gesagte ignoriere ich. Lasse würde das nicht verstehen, bei ihm geht es ja nur um den Spaß.

„Na als Bottom“, erklärt Lasse überrascht. „Als Top geht es vielleicht noch, wenn man das Kondom schnell verschwinden lässt.“

„Wieso als Bottom nicht?“, beharre ich nun skeptisch.

„Weil es auffällt, wenn da etwas fehlt, am Ende?“, schlägt Lasse irritiert vor. „Oder hast du schon mal einen Orgasmus vorgetäuscht?“

„Ja“, behaupte ich schlicht.

„Haha!“, ruft Connie begeistert. „So viel zu der erhabenen Männerehre.“

„Warum?“ Lasse sieht mich geradezu entsetzt an. „Und wie überhaupt? Ich meine, ist es deinem Partner nicht aufgefallen?“

„Wenn du gekommen bist und dein Partner auf dem Bauch liegt und es so scheint, als wäre er gerade mit dir gekommen, tastest du dann unter ihm nach, ob er abgespritzt hat?“, frage ich schlicht und nehme mir die nächste Paprika, um eine Beschäftigung zu haben. Ich will ihn jetzt auf keinen Fall angucken. Natürlich kann ich mir gelegentliche Seitenblicke nicht verkneifen.

Lasse schnappt nach Luft. „Nein, aber …“ Er sieht mich immer noch groß an. „Warum machst du das? Selbst wenn du nicht mit ihm gleichzeitig kommst, kann er sich doch nachher noch um dich kümmern oder so …“

„Du weißt nicht, wie Sex in einer Beziehung sein kann“, erkläre ich verlegen. Ich will das Thema endlich wechseln. Aber ich musste ja davon anfangen. „Da willst du zusammen kommen und es geht nicht nur darum, dass beide am Ende befriedigt auseinander gehen. Es geht darum, dass sich dein Partner gut fühlt.“

„Ja, aber auch man selbst“, beharrt Lasse störrisch. „Außerdem will dein Partner ja dann auch, dass du dich gut fühlst.“

„Ja und um ihm das zu vermitteln, tut man so, als würde man kommen“, erkläre ich und winke ab. „Ist auch nicht so, als hätte ich es oft gemacht. Vielleicht zweimal oder so, als ich nicht so in Stimmung war.“

„Wenn du nicht so in Stimmung warst, warum hast du es dann überhaupt getan?“, will Lasse verständnislos wissen.

Connie seufzt genervt. „Na, weil das in einer Beziehung manchmal so ist.“

„Sollte es aber nicht in einer gesunden Beziehung. Sollte man da nicht immer aufeinander scharf sein?“, fragt Lasse kritisch.

„Ja, in einer idealen Beziehung ist das vielleicht so“, stimme ich zu. „Aber wo gibt’s so was schon?“

„Wie viele Beziehung hattest du eigentlich schon?“, erkundigt sich Connie und sieht neugierig von ihren Champignons auf, die sie vorsichtig mit einem Pinsel und Messer säubert.

„Drei“, antworte ich zögernd. Darüber will ich eigentlich auch nicht reden. Erst recht nicht vor Lasse. Wieso habe ich mit der Orgasmusvortäuschung angefangen? Lasse hat seine Karotten inzwischen anscheinend völlig vergessen. Ich spüre den Blick seiner dunklen Augen auf mich gerichtet und bin froh, dass ich meine Paprika vor mir habe, sodass ich nicht aufsehen muss.

„Wann war denn die letzte?“, will Connie wissen.

„Bevor ich hier eingezogen bin“, antworte ich schlicht.

„Du hast nie etwas davon erzählt“, stellt sie fest.

„Da gibt es ja auch nichts zu erzählen“, brumme ich und schabe die Kerne aus der zweiten Hälfte meiner Paprika. „Wir haben uns getrennt, weil es nicht mehr gut lief und ich bin hier eingezogen.“

„Das heißt, ihr habt vorher zusammen gewohnt?“, hakt sie neugierig nach. „Wow, ich habe noch mit keinem Freund zusammen gewohnt. Wie lange ward ihr zusammen?“

„Zwei Jahre.“ Ich versuche möglichst unbelastet zu klingen. Vielleicht ein wenig ungeduldig, um ihnen zu signalisieren, dass mir das Thema nicht behagt und ich nicht dazu ausgequetscht werden möchte. Vielleicht sollte ich ihnen auch einfach von mir aus ein paar Brocken hinwerfen, mit denen sie sich dann zufrieden geben müssen. „Wir haben uns schon während meiner Schulzeit kennen gelernt, da war ich aber in einer anderen Beziehung. Als die dann gescheitert ist, habe ich ihn wieder getroffen und bin wegen einem finanziellen Engpass recht schnell bei ihm eingezogen. Das hat die Beziehung aber nicht lange ausgehalten. Völlig unspektakulär.“

„Du hast seinen Namen nicht gesagt.“ Connie grinst mich neugierig an.

Ich verdrehe die Augen. „Konrad. Und jetzt will ich nicht mehr über ihn reden.“

„Konrad …“, wiederholt Connie versonnen. „Warum habt ihr Schluss gemacht?“

„Es hat nicht mehr funktioniert.“ Damit will ich das Thema endgültig abschließen. „Müssen wir den Reis nicht schon mal vorkochen?“

„Nein, die Karotten brauchen mindestens ebenso lange“, antwortet Connie. „Und wenn Lasse sich nicht mal ein bisschen beeilt noch viel länger.“

„Hey, ich habe hier auch den schwierigsten Job“, beschwert der sich sofort. Mir fällt erst jetzt auf, dass er sich eben die ganze Zeit nicht an der Fragerei beteiligt hat.

„Klar, würde aber schneller gehen, wenn du mal was machen würdest“, spottet Connie.

„Ich …“ Er bricht ab und schnaubt nur. Schwungvoll säbelt er die Schale von der Karotte in seiner Hand. Es bleibt tatsächlich nur die Hälfte übrig. Ich muss grinsen und schüttle den Kopf. Connie zwinkert mir zu und lacht amüsiert.

„Was?“, will Lasse natürlich sofort wissen.

„Du bist süß“, gesteht sie ihm und deutet auf seinen großen Schalenhaufen und den kleinen mit den Karotten.

„Wollen wir tauschen?“, erkundige ich mich. „Du kannst die Paprika schneiden.“

„Nein, danke.“ Er klingt verschnupft. „Ich kann das.“

„Mhm, sehen wir“, spottet seine Freundin heiter und konzentriert sich wieder auf ihre Pilze.

Ich bin als erstes fertig mit den Paprika und muss dann die Zwiebeln schneiden. Dabei tränen mir so die Augen, dass ich das Gefühl habe, meine Kontaktlinsen würden gleich weg schwimmen.

„Oh, sieht er nicht süß aus, wenn er weint?“ Connie lacht erheitert.

„Halt die Zwiebeln unter kaltes Wasser, dann ist es nicht so schlimm“, rät mir Lasse mitleidig.

Ich schniefe. Dann sehen Connie und ich Lasse groß an.

„Was? Ich habe auch ein paar Kochtricks auf Lager!“, ruft dieser mit gespielter Empörung, lacht dann aber stolz. Lächelnd befolge ich seinen Rat. Es geht tatsächlich besser. Anschließend gehe ich ins Bad und wasche mir die Hände sofort mit Seife. Ich hasse es, wenn sie nach Zwiebeln riechen. Zudem muss ich irgendwas mit meinen roten Augen machen. So mag ich nicht vor Lasse herumlaufen. Wie sieht das denn aus? Okay, damals als ich hier eingezogen bin, sah ich häufig so aus. Kein Wunder, dass er mich für unantastbar hält. Damals war ich wegen Konrad echt ziemlich daneben. Die Trennung ging nämlich von ihm aus. Das hat sehr weh getan.

„Besser?“, erkundigt er sich fürsorglich, als ich zurück in die Küche komme.

Ich nicke und lächle ihn an. „Ich hasse Zwiebeln.“

„Du hättest es nicht zu machen brauchen“, meint er und zwinkert mir zu. „Connie kann ruhig auch mal etwas mehr machen, als nur ihre Pilze zu bepinseln.“

„Ich mache sie sauber und das ist verdammt beschissen“, erklärt diese. „Man darf sie nicht waschen, weil sonst das Aroma flöten geht. Setzt doch schon mal das Wasser für den Reis auf Jungs.“

„Wie viel denn?“, will ich wissen und suche einen Topf.

„Nimm mal vier Tassen Wasser“, antwortet sie und vollendet ihren letzten Pilz. „Und die Karotten müssen noch klein geschnitten werden, Lasse!“

„Jaja“, stöhnt dieser und beugt sich wieder über sein Brettchen.

Ich beobachte ihn aus dem Augenwinkel. Er ist scheußlich niedlich, dabei würde man es ihm eigentlich so gar nicht zutrauen. In den Kneipen und Clubs ist er ein Macho, ein Aufreißer, ein verdammt oberflächlicher Kerl eben. Aber dann kocht er so süß mit uns, obwohl er es wirklich nicht gut kann. Er ist humorvoll und brummig zugleich. Irgendwie besitzt er sehr viel Tiefe, auch wenn man es ihm selten anmerkt. Ich habe es auch erst begriffen, als wir an dem Morgen hier zusammen saßen und über alles mögliche geredet haben. Über unsere Schulzeit, unsere erste Liebe, unsere Familien. Fernsehserien, die wir als Kind gesehen haben. Alles, nur nicht, warum er ständig mit fremden Typen ins Bett steigt und ich immer noch nicht bereit für etwas Neues bin. Schon merkwürdig.

„Was gucken wir nachher eigentlich für einen Film?“, breche ich das Schweigen nach einer Weile.

„Robin Hood.“

„Oh“, entweicht es mir verdutzt. „Warum denn? Habt ihr den nicht auch schon tausend Mal gesehen?“

„Schon, aber der ist doch Kult“, meint Connie und grinst. „Außerdem mögen wir beide Kevin Costner und Christian Slater.“

„Na ja …“

„Du etwas nicht?“

„Nein, nicht wirklich“, gestehe ich. „Aber schon okay, den Film mag ich recht gern.“

„Du schläfst doch eh am Ende immer ein“, zieht mich Lasse spöttisch auf und grinst breit.

Ich strecke ihm die Zunge raus. „Gar nicht!“

„Doch natürlich!“, beharrt er und richtet sich an Connie. „Er schläft immer schon um zehn. Wirklich! Als wir gestern weg waren, hat er es zwar ungewöhnlich lange ausgehalten, aber auf dem Rückweg mussten wir ihn beinahe tragen.“

„Wir?“, hakt Connie grinsend nach.

„Ach …“ Lasse winkt ab. „Kevin hieß er.“

„Oh, du weißt seinen Namen noch? So gut?“ Connie rollt in meine Richtung gewandt mit den Augen. Ich schmunzle nur und schaue wieder auf das Wasser, um den Reis rein zu schütten, sobald es kocht.

„Er war gut … Nur sehr leise“, erklärt Lasse.

Ich spüre seinen Blick auf mich gerichtet.

„Aha.“ Connie lacht. „Etwa auf Nikis Wunsch?“

„Er war so müde, dass er uns gebeten hat, Rücksicht auf ihn zu nehmen, damit er schlafen kann. Da kam es überhaupt erst raus. Ich wusste bis dato nicht mal, dass er es in seinem Zimmer hören konnte.“

„Hat Jens sich nie beschwert?“, wundert sich Connie. Jens ist mein Vorgänger in dieser WG.

„Nein, aber selbst Schuld“, sagt Lasse und lacht. „Scheiße, ich wusste es wirklich nicht.“

„Ach, sei doch nicht so prüde. Niki hat doch schon gesagt, dass es ihn nicht stört.“

„Mich stört es aber!“

„Oh Mann“, seufze ich amüsiert. „Ich kauf mir eine Packung Oropax, wenn dich das beruhigt.“

„Das wäre vielleicht hilfreich“, meint Lasse scherzhaft. „So! Wurzeln fertig!“

„Wurzeln?“, wiederholt Connie und kichert.

„So nennen wir die bei uns. Was sagt ihr denn?“, fragt Lasse.

„Möhren oder Karotten“, antwortet Connie immer noch kichernd. „Wurzeln? Ernsthaft?!“

„Ich kenne sie auch unter dem Begriff“, mische ich mich ein.

„Oh! Verräter! Ich wollte ihn aufziehen!“

„Tja, Niko ist aber mein Mitbewohner und nicht deiner! Natürlich halten wir zusammen.“ Lasse streckt seine Hand von seinem Platz aus und tätschelt mich beifällig dort, wo er mich gerade erreicht. In dem Fall ist es mein Hintern und ich mache beinahe einen zwei Meter Luftsprung vor Schreck.

„Hey, gegrabscht wird nicht! Ich habe das genau gesehen! Nicht mal Niki ist sicher vor dir! Du Tier!“

„Gar nicht, das war rein freundschaftlich unter Mitbewohnern“, behauptet Lasse grinsend. „Ich bin nirgendwo sonst rangekommen. Soll ich etwa sein Bein tätscheln?“

„Gar nicht grabschen“, schlage ich vor und ziehe ihm leicht am Ohr zur Strafe für den Schock, in den er mich damit versetzt hat. „Sonst überlege ich es mir noch mal mit den Wurzeln.“

„Gnade!“, winselt er und strahlt mich an.

Das Wasser beginnt zu kochen und ich habe zum Glück einen Vorwand, mich abzuwenden. Schnell gieße ich den Reis hinzu. Eine halbe Stunde, eine dreckige Küche und hundert dumme Witze später sitzen wir am Tisch und lassen es uns schmecken.

„Ich weiß schon, warum ich Niko dabei haben wollte. Schmeckt toll“, schmatzt Lasse genüsslich.

„Willst du damit etwa sagen, ich könne nicht kochen?“ Connie sieht ihn gespielt beleidigt an.

Er grinst entschuldigend. „Nein, aber Niko ist einfach besser im Abschmecken.“

„Danke.“ Mir schmeckt es ebenfalls. Ich hoffe nur, dass er mich nicht nur bei dem Abend dabei haben wollte, weil ich gut im Abschmecken bin. Den Gedanken schiebe ich jedoch schnell von mir und konzentriere mich wieder aufs Essen und die Unterhaltung der beiden, die sich um bestimmte Leute aus ihrem Bekanntenkreis dreht, die ich nicht kenne. Die beiden studieren Psychologie. Sie sind zwei Jahre älter als ich. Das merkt man aber nicht. Im Gegenteil, manchmal komme ich mir eher wie der einzige Erwachsene am Tisch vor.

Abschnitt 4

Tatsächlich bin ich um zehn schon wieder schrecklich müde. Eine Weile versuche ich es mir nicht anmerken zu lassen und blinzle mühsam auf das flackernde Bild von Lasses Fernseher. Wir sitzen zu dritt auf seiner Schlafcouch; mit Lasse in unserer Mitte. Die beiden Freunde witzeln die ganze Zeit über den Film. Sie scheinen ihn auswendig zu kennen. Ich verstehe einfach nicht, warum sie ihn dennoch gucken. Mich selbst überrascht auch keine Wendung mehr, was mir nicht unbedingt dabei hilft, wach zu bleiben.

„Oh wie niedlich!“, ruft Connie plötzlich entzückt. Es riecht so gut und mein Kopf hat endlich Halt gefunden. Ich brauche einen Moment, um zu realisieren, dass ich gegen Lasses Schulter gerutscht bin. Mein erster Impuls ist, mich schnell wieder aufzurichten, doch ich bin zu träge.

„Weck ihn nicht auf“, flüstert Lasse zurück. Er klingt amüsiert, aber da ist auch etwas anderes in seiner Stimme. „Was habe ich dir gesagt? Es ist gerade mal viertel nach zehn.“

„Ich bin wach!“, nuschle ich nun doch und will mich aufrichten. Es ist mir unangenehm, jetzt noch so zu tun, als würde ich schlafen. Ich will nicht lauschen.

„Klar …“ Lasse legt seinen Arm um meine Schultern, um mich wieder zurückzuziehen. „Penn ruhig weiter. Notfalls trage ich dich nachher zu dir rüber.“

„Ich pass auf, dass er es auch macht“, verspricht mir Connie albern.

Ich schnaube leise. Doch ehrlich gesagt, ist es mir nicht einmal gelungen meine Augen zu öffnen. Ich bin noch völlig verschlafen. Kein Wunder also, dass sie Mitleid mit mir haben. Sie schweigen. Der Film geht weiter. Irgendwie wirkt es wieder einschläfernd. Aber so ist es verdammt unbequem. Ich rutsche wieder ab und sinke tiefer. Unterbewusst nehme ich wahr, dass ich wohl auf Lasses Bein gelandet bin, aber mir ist es gerade egal. Ich bin zu müde, um es peinlich zu finden.

„Hältst du das aus?“, flüstert Connie ganz leise.

„Hmpf …“, macht Lasse. „Klar.“

„Nicht, dass du hart wirst.“

„Halt die Klappe, Connie“, zischt er leise zurück.

Sie lacht lautlos. „Sorry, aber das ist einfach zu geil, wie er da liegt. Dass er so überhaupt schlafen kann …“

„Ich glaube, er kann überall schlafen“, flüstert Lasse. Ganz vorsichtig streicht seine Hand über meine Stirn, wohl um mir eine Strähne aus dem Gesicht zu fischen. Mir fällt erst jetzt auf, dass der Film vorbei zu sein scheint. Ich bin nur zu müde, um mich aufzurichten. Außerdem ist es ja nur sein Bein. Connie soll sich nicht so anstellen.

„Nur nicht, wenn du Sex hast“, wirft sie ein.

Sie flüstern ganz leise, um mich ja nicht zu wecken. Was soll ich tun? Je mehr sie flüstern, desto größer werden meine Ohren. Jetzt ist es zu spät, um mich aufzurichten. Sie wüssten, dass ich schon länger wach bin. Ich bin kein guter Schauspieler. So zu tun, als würde ich schlafen, kann ich vielleicht gerade noch, aber jetzt so zu tun, als wäre ich gerade aufgewacht? Wie denn? Ich bleibe also liegen.

„Hör auf damit, das ist mir schon peinlich genug. Ich wusste nicht, dass er es hören kann.“

„Wirklich? Oder war es vielleicht Absicht?“

„Wieso sollte ich es absichtlich machen?“

„Um ihm zu zeigen, was er verpasst?“, schlägt Connie vor.

Lasse schnaubt. „Unsinn.“

„Gar nicht und du weißt das“, raunt sie verschwörerisch.

„Es ist Schwachsinn“, behauptet Lasse noch einmal. „Er ist so … Er braucht einen festen Freund, der ihn glücklich macht. Das bin ich einfach nicht.“

„Und warum nicht?“, fragt Connie ungeduldig. „Du bist total in ihn verliebt, seit er hier eingezogen ist.“

WAS?! Oh mein Gott! Ruhig liegen bleiben. Jetzt nur ruhig liegen bleiben und nicht rot werden. Atmen. Das hat sie sich nur selbst erschlossen und es stimmt vielleicht gar nicht. Lasse sagt darauf auch gar nichts mehr. Er seufzt nur. „Weißt du, wie er hier eingezogen ist?“

„Nein?“, wundert sich Connie.

„Er hat nur in seinem Bett gelegen und entweder geweint oder geschlafen. Sein Exfreund muss ihm verdammt wehgetan haben“, erzählt Lasse leise. „Das will ich nicht. Also lasse ich die Finger von ihm.“

„Aber vielleicht tust du ihm ja nicht weh.“

„Das habe ich schon“, flüstert Lasse und schüttelt mich dann sanft an der Schulter. „Hey, Niko! Niko, der Film ist vorbei.“

Ich bin verstört genug, um wirklich total verschlafen zu wirken. Einen Moment brauche ich ohnehin, weil mich seine letzte Aussage so verwirrt. Er hat mir wehgetan? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er mir wehgetan hat. Das bildet er sich ein. Mühsam richte ich mich auf und blinzle. Ich bin total sprachlos. Lasse lacht leise und wuschelt mir durch die Haare. „Soll ich dich etwa wirklich tragen, du Schlafmütze?“

„Hm?“, murmle ich verwirrt.

Auch Connie lacht nun herzhaft. „Meine Güte, ja trag ihn. Sonst muss er wirklich hier weiter schlafen.“

„Geht schon.“ Ich setze mich langsam auf. In meinem Kopf herrscht das reinste Chaos. Ich kann nicht glauben, dass Connie recht hat und er wirklich in mich verliebt ist. Er hat es nicht bestätigt. Aber er denkt, er hätte mir weh getan … Oh! Weiß er etwa, dass ich in ihn verliebt bin und weil er meine Gefühle nicht erwidern kann, denkt er, er würde mir weh tun?

„Na komm schon, Niko, aufwachen!“, spottet Lasse und zieht mich mit sich zusammen vom Sofa und auf die Beine. „Komm, ich helfe dir ins Bett.“

Ehe ich mich versehe, hat er sich meinen Arm geschnappt und über seine Schultern gelegt. Eng an seine Seite gepresst, zieht er mich so aus seinen Zimmer zu meinem und legt mich dort aufs Bett. Lächelnd beugt er sich über mich. „Ausziehen musst du dich allein. Gute Nacht.“

„Nacht“, murmle ich immer noch verwirrt und dann bin ich wieder allein. Er zieht die Tür hinter sich zu. Ich rolle mich zusammen, doch jetzt bin ich hellwach. In meinem Kopf rattert es. Zwar habe ich eine Theorie, die ich sehr einleuchtend finde, doch eine Stimme aus meinem Bauch sagt mir, dass ich damit gewaltig daneben liege.

„Nacht, Niki!“, ruft Connie noch einmal durch meine Tür.

Ich antworte nicht. Sie stehen jetzt im Flur und unterhalten sich weiter leise miteinander. Ich kann sie hören. Irgendwas stimmt mit meinen Ohren nicht. Sie sind zu gut.

„Er ist sicher gleich wieder eingepennt“, sagt Lasse.

„Und du willst jetzt noch ausgehen?“

„Ja.“

„Ich dachte, du wolltest einen ruhigen Abend“, meint Connie verwundert.

„Wenn ich jetzt hier bleibe, falle ich über ihn her!“, erklärt er bitter.

Seine Freundin lacht leise. „Wusste ich es doch. Es hat dich nicht kalt gelassen.“

„Wenn du wüsstest.“ Lasse seufzt. „Das war aber nicht nur wegen eben. Heute morgen, ist er total verstrubbelt und nur in Jogginghose in die Küche getapst. Ich konnte mich schon da kaum noch beherrschen. Er hatte Zahnpasta auf dem Bauch und ich musste die ganze Zeit darauf starren.“

Zahnpasta? Wie peinlich! Dabei habe ich mir doch mit Klamotten die Zähne geputzt in der Nacht. Wie habe ich mich da voll kleckern …? Oh! Siedend heiß fällt mir ein, was ich danach gemacht habe. Das war keine Zahnpasta. Aber Lasse wird doch wohl getrocknetes Sperma erkennen, oder? Es war ganz bestimmt etwas anderes … Oder er hat es erkannt und … Nein, nein. Hat er nicht. Bestimmt nicht. Bitte nicht!

„Und das hat er nicht gemerkt?“, fragt Connie lachend.

„Nein, Niko doch nicht. Ohne Kontaktlinsen ist er ja eh blind wie ein Maulwurf“, antwortet Lasse und lacht warm. Apropos Kontaktlinsen. Meine Augen brennen. Ich habe die schon seit zehn Stunden drin.

„Gott! Er ist so süß manchmal, ich könnte ihn glatt auffressen“, stöhnt Lasse plötzlich.

WAS? Mir wird so heiß. Meine Ohren brennen. Es kribbelt überall.

„Vielleicht solltest du das tun, anstatt jetzt loszuziehen und mit Typen zu vögeln, die du nicht willst?“, schlägt Connie vor.

Lasse seufzt. Ich höre, wie er seine Jacke schließt und die Wohnungstür öffnet.

„Nein“, meint er dann entschieden. „Ich sagte doch schon, dass ich das nicht kann.“

„Wann hast du ihm denn bitte so wehgetan?“, will Connie wissen. „Er scheint es dir doch gar nicht übel zu nehmen.“

„Er weiß es ja auch nicht“, brummt Lasse und die Wohnungstür schließt sich. Sie sind weg. Ich atme tief durch. Hilfe?

Abschnitt 5

Die Erkenntnisse des letzten Abends zusammenfassend, kann man wohl davon ausgehen, dass ich für Lasse nicht ganz so unantastbar bin, wie ich dachte. Zumindest ist er nicht völlig uninteressiert an mir. Zudem vertritt er die seltsame Annahme, dass er mir wehgetan hätte und das ist wiederum der Grund, warum er nichts unternimmt, damit wir uns näher kommen. Aber die Annahme stimmt nicht, also hat er auch keinen Grund, mich in Ruhe zu lassen und das macht mich sehr, sehr nervös. So nervös, dass ich nicht einschlafen konnte.

Dies brachte mich zu einer neuen Erkenntnis, nämlich, dass Lasse die ganze Nacht weggeblieben ist. Und nach diesen ganzen vorherigen Erkenntnissen muss ich einsehen, dass mir die Neue gar nicht mehr passt. Wenn er etwas von mir will, dann soll er nicht mit anderen schlafen, sondern mit mir. Und das macht mich noch nervöser.

Ich versuche mich mit meiner Hausarbeit abzulenken, aber eigentlich lausche ich die ganze Zeit auf die Wohnungstür. Er ist immer noch nicht da. Ich hasse das. Mit Konrad war es am Ende genauso. Ich sitze morgens herum und warte, dass die Person, die ich liebe von den nächtlichen Ausflügen zurückkommt. Besonders schlimm ist, dass ich bei Lasse überhaupt keine Berechtigung habe, zu warten. Wir sind nicht zusammen. Es hat nicht mal angefangen. Ich will ja auch gar nicht, dass es anfängt, oder? Nun ja … Jetzt irgendwie doch. Er will mich auffressen und ich will aufgefressen werden. Von ihm. Von Lasse.

Aufgeregt tigere ich in der Wohnung auf und ab. Ich in ihn verliebt. Er ist toll. Aber wann will er mir wehgetan haben? So ein Blödsinn! Oder weiß er tatsächlich, dass ich in ihn verliebt bin? Dann denkt er sicher, dass er mir wehtut, wenn er mit anderen Typen Sex hat. Vielleicht ist es ihm deshalb auch so unangenehm, wenn ich ihn dabei höre. Das könnte es sein.

Aber wenn er weiß, dass ich mich in ihn verliebt habe und er sich wahrscheinlich auch in mich verliebt hat – wieso auch immer – warum zögert er? Nun, auch nicht schwer darauf zu kommen: Weil er genauso wie ich weiß, dass wir zu verschieden sind. Wir haben eine ganz unterschiedliche Einstellung zu Sex. Allerdings gefällt er mir doch, wie er ist, mit samt seiner Einstellung. Ich will ihn nicht ändern. Daraus folgt, dass ich mich ändern muss. Ich muss auch leichtfertiger mit Sex umgehen.

Okay, und wie mache ich das? Soll ich auch mit jemandem schlafen, um ihm zu zeigen, dass ich das auch einfach so kann …? Nein, schlechte Idee. Er denkt ja, ich wäre nicht so, also würde er davon ausgehen, dass ich was von dem Typen will, mit dem ich Sex habe. Oh, ich will ja auch mit niemandem Sex haben außer mit ihm. Aber das will er wiederum nicht.

Schwierig!

Was wenn ich ihm irgendwie vermittle, dass ich gerne Sex mit ihm hätte und ihn gleichzeitig seine Freiheit lasse, mit anderen Sex zu haben. Quasi eine halboffene Beziehung? Das kann ich. Das hatte ich mit Konrad auch am Ende. Da war es zwar nicht abgesprochen, aber ich hätte mich dennoch nicht von ihm trennen wollen. Okay, ich bin ziemlich hoffnungslos, wenn ich mich erst einmal in jemanden verliebt habe. Ziemlich erbärmlich sogar. Das hat Konrad auch so abgeschreckt. Das wird auch Lasse abschrecken.

Und wenn ich es als Nur-Sex tarne? Wenn ich so tue, als würde ich nur Sex von ihm wollen? Dann denkt er, ich würde locker mit Sex umgehen und gleichzeitig würde ich nur mit ihm schlafen. Aber ich will doch mehr …

Seufzend sinke ich wieder auf meinen Schreibtischstuhl. Ich will ihn. Jetzt ist das mit dem Träumen vorbei. Ich will ihn wirklich. Vorher habe ich nur nie geglaubt, es könnte etwas werden. Aber jetzt … Die Frage ist nur, ob ich richtig liege mit meiner Theorie bezüglich dem Verletzen: Weiß er, dass ich in ihn verliebt bin oder ist es doch etwas anderes?

Er kommt jedenfalls kurz vor Mittag zurück und geht sofort duschen. Die Vorstellung macht mich auch schon wieder wahnsinnig. Er nackt unter der Dusche. Und gleich wird er wieder nur im Handtuch durch die Wohnung laufen. In dieser Erwartung gehe ich, nachdem das Wasser abgestellt wurde, in die Küche, um mir etwas zu trinken zu holen. Wie zufällig komme ich mit meinem Glas wieder heraus, als sich die Tür des Badezimmers öffnet. Er hat einen dicken Knutschfleck über seinem Schlüsselbein.

„Meine Güte, war das ein Staubsauger?“, entweicht es mir amüsiert, ehe ich nachdenken oder eifersüchtig werden kann. Ich neige eh nicht so sehr zur Eifersucht.

„So was in der Art.“ Lasse grinst schief. Ein wenig verlegen fährt er sich mit der Hand über die Stelle. Er hat wirklich wieder nur ein Handtuch um. „Gut geschlafen?“

„Hm“, mache ich zustimmend. „Wegen mir musst du deine nächtlichen Aktivitäten nicht nach außerhalb verlegen.“

„Nein, so war das auch nicht gemeint“, versichert er sofort. „Ich meinte nur, weil du gestern wieder so früh eingepennt bist.“

„Ach so. Ja, der Film war nicht mehr so spannend. Kenne ihn zu gut“, rede ich mich heraus und nehme einen vorsichtigen Schluck von meiner Cola. Davon habe ich schon einen Liter intus, damit ich nicht über meiner Hausarbeit einpenne. Ich habe beschissen geschlafen. Über den Glasrand werfe ich noch einen unauffälligen Blick auf seine breiten Schultern. Nicht ganz so unauffällig, wie es scheint, denn ich fühle mich ertappt, als ich wieder zu seinem Gesicht aufblicke und geradewegs in seine Augen sehe.

„Ja, sorry.“ Lasse wirkt leicht zerknirscht. „Connie und ich sind in der Woche irgendwie auf die Idee gekommen, dass wir den unbedingt noch einmal gucken wollten.“

„Ich hätte ja nicht mitgucken brauchen, wenn ich nicht gewollt hätte“, sage ich, stoße mich von dem Rahmen der Küchentür ab, bei dem ich Halt gesucht habe, und gehe zu meinem Zimmer. „Magst du meine Hausarbeit für mich schreiben? Ich habe keine Lust und muss sie die Woche fertig haben.“

„Was kriege ich denn dafür?“, fragt Lasse grinsend.

Das klingt wie eine Einladung zum Flirten. Ohne noch länger zu zögern, drehe ich mich zu ihm herum und grinse zurück. „Alles was du willst.“

„Du bist also käuflich?“, will Lasse wissen. Seine dunklen Augen fixieren meine. Er wirkt erstaunt.

„Wieso ich? Ich will dich kaufen, für meine Hausarbeit“, wehre ich ab. Okay, ich bin nicht gut im Flirten. Jetzt habe ich den Zauber verdorben.

Doch er ist hartnäckiger als ich dachte. „So? Und ich kriege, was ich will?“

„Was willst du denn?“

„Hm …“ Er zögert. „Du könntest mir etwas leckeres Kochen.“

„Einmal kochen, gegen das Schreiben einer zehnseitigen Hausarbeit?“, wundere ich mich.

„Na ja, wir studieren nicht das Gleiche. Es wäre ein gutes Essen, gegen eine schlechte Hausarbeit“, antwortet Lasse und lacht.

„Ich glaube, dann mach ich es lieber allein.“

Er will, dass ich ihm etwas koche, dabei habe ich ihm völlig freigestellt, was er bekommen kann. Ein Kuss hätte mir besser gefallen, dann wäre ich sofort darauf eingegangen. Aber das will ich wohl mehr als er. „Ich mache heute Abend die Reste von dem Risotto als Auflauf. Wenn du das Geschirr von gestern Abend abwäschst, lasse ich dich mitessen.“

„Deal“, sagt er und verschwindet lächelnd in seinem Zimmer. Ich tue es ihm gleich und lasse mich dann mit einem resignierten Seufzen auf meinen Stuhl fallen. Also, ich habe gar nichts davon gemerkt, dass er mich auffressen will. Eigentlich ja ohnehin noch nie. Vielleicht bildet Connie sich auch nur etwas ein und er ist darauf eingestiegen, um sie zu ärgern. Nein, so klang er aber nicht!

Ich muss mir irgendetwas überlegen. Aber erst nachdem ich die Hausarbeit getippt habe. Mit einem weiteren Seufzen vertiefe ich mich wieder in meine Unterlagen. Mit vielen Abbildungen dazwischen, die ich sorgfältig einscanne und beschrifte, schaffe ich es um sechs Uhr tatsächlich, zehn Seiten zu haben. Die Hausarbeit ist so schlecht, dass ich sie ebenso gut von Lasse hätte machen lassen können. Nun gut, eventuell sieht sie sich der Dozent nicht einmal an. Ich bekomme ohnehin nur einen unbenoteten Schein dafür.

„Wann machst du denn den Auflauf?“, erkundigt sich Lasse plötzlich von der Tür aus.

„Hunger?“, frage ich zurück und drehe mich in meinem Stuhl zu ihm herum.

„Ja!“, jammert er und presst eine Hand auf seinen Bauch. Wenn er so guckt, könnte ich glatt ihn auffressen. Ich lächle breit und speichere meine Hausarbeit ab und lasse sie dann ausdrucken.

„Bin eh gerade fertig geworden“, erkläre ich und stehe auf. „In einer halben Stunde gibt es Essen.“

„Toll“, meint er glücklich und strahlt mich an.

Ich muss unwillkürlich zurück lächeln. „Du könntest in der Zwischenzeit meine Hausarbeit Korrektur lesen.“

„Okay.“

„Wirklich?“

„Klar, hab nichts zu tun“, sagt er. „Das lenkt mich von meinem leeren Magen ab.“

„Hast du heute noch nichts gegessen?“, erkundige ich mich besorgt.

„Na ja, auf dem Weg hierher habe ich mir ein Brötchen vom Bäcker mitgenommen“, antwortet er schulterzuckend. „Aber das ist sechs Stunden her!“

„Ich beeile mich“, verspreche ich und drücke ihm die Zettel in die Hand. „Wird vor Fehler nur so wimmeln, ist aber nicht viel.“

„Kein Problem.“ Er lässt sich mit den Blättern auf mein Bett fallen. „Hast du einen Stift?“

Er liegt in meinem Bett. Sieht gut aus. Ich meine, so als gehöre er dahin. Er lag noch nie in meinem Bett. Was wenn ich jetzt einfach …

„Niko, Stift?“

„Oh, äh … Hier!“ Verlegen suche ich ihm einen Fineliner von meinem Schreibtisch, ehe ich mich schleunigst in die Küche begebe. Ich spüre seinen verwunderten Blick in meinem Rücken. Hey, ich habe schlecht geschlafen und er liegt in meinem Bett. Es ist dann ja wohl nichts Ungewöhnliches, wenn ich mich am liebsten dazu legen würde. Das mache ich auch, nachdem ich den Auflauf schnell zusammen gemischt und in den Backofen gestellt habe. Es ist einfach zu verlockend.

„Hast du geschlafen, als du das geschrieben hast?“, erkundigt sich Lasse, als er für mich ein Stück zur Seite rutscht. Ich liege auf dem Bauch an der Wand, da ich über ihn rüber gestiegen bin.

„Ja“, brumme ich schlicht. Die ganze Seite ist rot.

„Du hast überall Wörter vergessen“, stellt er fest.

„Hm, ich sagte doch, da sind ein Haufen Fehler drin“, murmle ich und verstecke mein errötetes Gesicht im Kopfkissen. Meinetwegen hätte er kein Platz für mich zu machen brauchen. Ich würde gerne ein wenig mit ihm kuscheln.

„Wie lange braucht der Auflauf noch? Nur falls du einschläfst …“ Lasse lacht leise.

„Zwanzig Minuten.“

„Ah gut. Bist du schon wieder so müde?“

„Ich bin immer müde.“ Ich schiele zu ihm.

Er sieht mich an. Als sich unsere Blicke treffen, richtet er seinen wieder auf meine Hausarbeit. Mein Herz rast. Sonst hält er sich bei keinem so zurück. Woher kommt seine Selbstbeherrschung? Wieso fällt er nicht einfach über mich her, wenn er es möchte? Ich kann das nicht. Dafür bin ich zu befangen.

Wir könnten jetzt hier liegen und uns küssen. Das wäre total schön. Vergiss die Hausarbeit. Ich will, dass du mich küsst. Aber dann würde eins zum anderen führen. Lasse ist garantiert nicht der Typ, der einfach nur schmust. Sicher will er gleich Sex. Eigentlich brauche ich immer ein wenig, bis ich mich soweit auf jemanden einlassen kann, aber bei ihm …

Oh, definitiv müsste ich mich vorher noch rasieren. Rotes Haar auf dem Kopf ist ja okay, damit habe ich mich abgefunden. Und sonst habe ich kaum Haare. An meinen Beinen sieht man sie kaum. Aber ich kann mein rotes Schamhaar überhaupt nicht ausstehen. Darum rasiere ich mich eigentlich. Nur habe ich das jetzt schon seit ein paar Monaten nicht mehr gebraucht. Ich muss das definitiv noch machen, bevor ich irgendwelche nächsten Schritte wage.

„Niko? Pennst du schon wieder?“ Lasse lacht und streicht über meinen Rücken.

„Nein, wach“, nuschle ich ins Kissen.

„Die zwanzig Minuten sind um“, erklärt er erheitert. „Meine Güte. Ist dir eigentlich klar, wie viel du von deinem Leben verschläfst, wenn du so weitermachst?“

„Ich habe nicht geschlafen“, wiederhole ich und setze mich auf.

Er sieht mich skeptisch an. Anscheinend glaubt er mir nicht. Doch dann schüttelt er nur grinsend den Kopf. „Soll ich nach dem Auflauf sehen?“

„Nee, ich mach schon“, meine ich und steige wieder über ihn rüber. „Wie weit bist du?“

„Letzte Seite.“

„Okay, dann decke ich schon mal den Tisch“, sage ich. „Komm wenn du fertig bist.“

„Pfff, ja wohl, Sir!“, antwortet er spöttisch und vertieft sich wieder in den Text. Als er später in die Küche kommt, schüttelt er den Kopf. „Und es reicht, wenn ihr so etwas abgebt? Das besteht ja fast nur aus Bildern.“

„Ich hatte keine Lust. Außerdem habe ich noch ein Referat gehalten“, erkläre ich schulterzuckend. „Wird reichen müssen. Ist ein unbenoteter Schein.“

„Na dann …“ Er betrachtet die Auflaufform. „Hm Käse! Riecht gut!“

„Hoffe es schmeckt auch“, meine ich und fülle unsere Teller.

„Bestimmt.“ Lächelnd nimmt er seinen Platz ein. „Meinst du, Sabine taucht heute Abend wieder auf?“

„Keine Ahnung“, antworte ich gleichgültig. „Eigentlich hat sie ja morgen Uni.“

„Na, ihr Freund ja auch.“

„Sicher kommt sie trotzdem nicht vor zehn“, vermute ich.

„Oh ja, dann hast du ja nichts mehr von ihr“, stellt Lasse fest und grinst amüsiert.

Ich strecke ihm die Zunge raus. „Ich brauche eben meinen Schönheitsschlaf.“

„Scheint zu klappen“, sagt Lasse leise.

WAS?! Ich sehe ihn verblüfft an. War das ein Kompliment? Keine Ahnung: Er blickt nicht von seinem Teller auf und schaufelt geschäftig eine Gabel nach der anderen in seinen Mund. Ich versuche mein Herzschlag wieder zu beruhigen und konzentriere mich auch auf meinen Teller.

„Schmeckt’s?“, erkundige ich mich nach einer Weile. Diesmal empfinde ich das Schweigen als unangenehm. Doch statt einer vernünftigen Antwort, brummt Lasse nur zustimmend und schaufelt weiter. Ich gebe auf. Jetzt ist er dran mit Reden. Aber er sagt nichts mehr, bis er alles aufgegessen hat.

„Danke, war sehr lecker“, meint er dann und reibt sich zufrieden seinen flachen Bauch. „Ich muss jetzt auch noch was für die Uni machen. Aber nachher ich mache den Abwasch, okay?“

„Sag Bescheid, ich helfe dir dann mit dem Abtrocknen“, biete ich an.

Er nickt nur und steht auf. Seufzend schiebe ich meinen Teller von mir. Er hat nicht mal gewartet, bis ich aufgegessen habe. Das macht er sonst immer. Und normalerweise reden wir danach auch noch immer ganz lange miteinander. Aber das eben kam ja schon fast einer Flucht gleich. Lustlos leere ich den Rest meines Tellers in den Müll und verschwinde ebenfalls in meinem Zimmer, um die Hausarbeit zu korrigieren. Lasses Kommentare am Rand sind lustig. So viel ist auch gar nicht falsch, nur er hat immer soviel dazu geschrieben, dass es aussieht, als wäre alles falsch.

Nachdem ich fertig bin und Lasse sich wegen dem Abwaschen noch nicht geäußert hat, beschließe ich meine Plänen bezüglich der Intimrasur umzusetzen. Zunächst rasiere ich mich mit dem Trockenrasierer über der Kloschüssel vor und spüle die langen Haare gleich runter. Die Nassrasur kombiniere ich dann mit der Dusche. Nachdem ich mich eingeseift und abgeduscht habe, stelle ich das Wasser ab und mache mich konzentriert ans Werk. Nur nicht schneiden, das ist gefährlich.

„Bist du noch hier drin? Ich muss … Oh! Sorry …“

Alarmiert schrecke ich auf und blicke geradewegs in Lasses geweitete Augen, die allerdings nicht in meine sehen, sondern auf meinen … Ohne Nachzudenken wirble ich zu Wand herum. „Hey!“

Die Duschkabine ist aus Glas und normalerweise beschlägt sie, wenn man duscht. Aber da ich schon etwas länger beschäftigt bin und das Wasser aus … Er hat alles gesehen. Ich spüre, wie mir das Blut in den Kopf schießt. Lasse scheint sich von seiner Verlegenheit erholt zu haben. „Sorry, ich dachte du wärst schon draußen und hättest nur das Licht angelassen.“

„Nein, bin noch hier“, antworte ich steif.

„Sehe ich …“, murmelt er erheitert. „Ich wusste gar nicht, dass du dich rasierst.“

„Hätte mich auch gefragt, woher du es wissen solltest“, gebe ich zurück.

„Ja, sorry noch mal.“ Und damit ist die Tür auch wieder zu. Ich atme angespannt aus. Meine Güte, jetzt denkt er, ich wäre total prüde. Dabei habe ich mich nur so erschrocken. Hätte ich mich jetzt nur geduscht … Aber das hier ist noch eine Ecke intimer, finde ich. Vor allem, wenn ich es mit der Absicht tue, ihm zu gefallen und er mich im noch nicht präsentablen Modus überrascht hat.

Ich seufze und mache dann weiter. Schließlich komme ich auch mal nur im Handtuch bekleidet aus dem Badezimmer. Ich fühle mich darunter so nackt wie schon lange nicht mehr. Mit klopfenden Herzen gehe ich zu Lasses Zimmertür. „Kannst jetzt!“

„Danke“, sagt seine Stimme hinter mir. Sehr wahrscheinlich war er in der Küche.

Ich fahre erschrocken herum. „Oh Mann.“

„Sorry!“ Er grinst und verschwindet mit einem letzten Blick auf mich ins Bad. Da, er starrt mich an. Das bedeutet doch etwas, oder? Wieso starrt er nur und macht nichts? Sehr wahrscheinlich, weil ich mich die ganze Zeit wie ein aufgeschrecktes Huhn verhalte. Kopfschüttelnd gehe ich in mein Zimmer, ziehe mir die Jogginghose an und drucke dann noch einmal meine Hausarbeit aus, um sie zu heften und in meinen Rucksack zu packen.

„Du rasierst dich also.“ Plötzlich steht Lasse wieder in meiner Tür, mit vor der Brust verschränkten Armen, und sieht mich kalkulierend an.

„Ja, du dich nicht?“, frage ich möglichst gelassen zurück.

„Im Gesicht schon“, gibt er lächelnd zu und starrt auf seinen Schritt, der natürlich artig in seiner Jeans verpackt ist. Er ist übrigens Linksträger. „Aber da unten stutze ich nur.“

„Aha“, sage ich unsicher. „Magst du Rasierte nicht?“

„Doch!“, beteuert er schnell und sieht mich wieder an. „Bei anderen schon. Es ist heiß … Mir ist es nur selbst zu aufwendig.“

Keine Ahnung, was ich darauf sagen soll. Eigentlich habe ich erst bei Konrad damit angefangen. Es hat ihm Spaß gemacht, mich zu rasieren. Aber ich schätze mal, dass es nicht förderlich ist, Lasse diese Sachen zu gestehen. Ich kratze mich am Kopf. „Tja …“

„Planst du etwas?“, will Lasse wissen.

Ich sehe ihn alarmiert an. „Etwas planen?“

„Na, für heute Abend, weil du dich rasiert hast“, erklärt er unruhig. „Hast du ein Date, oder so?“

„Nein, eigentlich nur so …“ Ich würde am liebsten im Boden versinken. Natürlich wundert er sich jetzt. Es war ja auch nicht beabsichtigt, dass er mich dabei überrascht. „Es hat gejuckt, darum.“

Uh … Das hört sich so was von daneben an. Ich schäme mich so sehr. Und ich glaube, ich bin puterrot angelaufen. Streichholz Niko Mertens – Guten Tag.

„Ach so …“ Lasse lächelt mich nachsichtig an. „Geht mich ja eigentlich auch nichts an. Sorry, wenn ich zu neugierig war.“

Damit stößt er sich von meiner Tür ab und verschwindet. Ich sehe ihm verwirrt nach. Das wird so nie etwas. Er … Ich glaube, er … Will er nun oder will er lieber nicht? Er interessiert sich für meine Intimrasur und alles, aber er bewegt sich nicht auf mich zu. Er bleibt irgendwie immer an der Tür hängen. Frustriert schmeiße ich mich aufs Bett.

So geht das nicht weiter. Er hat mich nackt gesehen … Wenn er auf mich scharf ist, muss er da doch irgendwie reagieren, oder? Ich persönlich interessiere mich so sehr für seine gestutzten Haare, dass ich allein bei dem Gedanken hart werde. Dabei bin ich der Prüde von uns beiden. Ich muss mir irgendetwas ausdenken.

Abschnitt 6

Ich kann nicht schlafen, dabei bin ich so müde. Mich beschäftigt immer noch, was ich jetzt wegen Lasse unternehme. Irgendwie scheint es mir so, als dürfte ich keine Zeit verlieren. Dabei ist das totaler Quatsch. Solange er sich für keinen näher interessiert, wird alles so weiterlaufen, wie bisher. Nur, dass ich jetzt wirklich nicht mehr hören will, wie er es mit anderen treibt. Wirklich nicht.

Um elf halte ich es schließlich nicht mehr aus. Es hilft gar nichts. Ich werde vor Müdigkeit noch wahnsinnig. Vielleicht bin ich auch schon wahnsinnig. Es ist blanker Irrsinn. Nur in Pants klopfe ich an Lasses Tür. Kurz darauf öffnet er mir sogar persönlich, anstatt einfach nur herein zu sagen. Er mustert mich erstaunt und lächelt dann. „Na nu, Niko, schlafwandelst du? Es ist schon nach elf!“

„Ich weiß“, nuschle ich und lege den Kopf zur Seite. „Ich kann nicht schlafen.“

„Aha.“ Sein Lächeln wird breiter, aber auch ein wenig verwirrt. „Bin ich zu laut?“

„Nein“, antworte ich. „Kann ich rein?“

Sabine ist vor einer halben Stunde heimgekommen und ich will nicht, dass sie mich so sieht. Lasse stutzt ein wenig und zögert dann sogar. „Ähm … Hm …“ Er macht ein leicht verzagtes Gesicht. „Hältst du das für eine gute Idee?“

„Ja, warum nicht?“, frage ich verwirrt zurück. Ich habe doch um noch gar nichts Schlimmes erbeten. Nur den Einlass in sein Zimmer.

„Du solltest dir wenigstens deine Jogginghose anziehen“, meint Lasse behutsam.

Ich sehe ihn erstaunt an. Mein Herz macht einen Satz. „W– wieso?“

„Na weil …“ Er bricht ab und seufzt. „Ach egal, komm rein. Was sollen wir denn machen, damit du einschlaf… Äh … Vergiss es … Ähm.“ Er schüttelt den Kopf und schluckt. „Also, was willst du machen?“

Okay, ich bringe ihn anscheinend ein wenig durcheinander. Das ist doch gut. Aber er kann immer noch nichts mit meiner Anwesenheit anfangen. Ich hole tief Luft und nehme meinen Mut zusammen. Das hier liegt mir so gar nicht: Den ersten Schritt machen. Das habe ich noch nie getan. Und jetzt muss ich es bei jemanden machen, der eigentlich Profi darin ist. Nur weil der sich einbildet, mich verletzt zu haben … Oh Mann!

„Ich glaube, du hast Recht“, sage ich leise, als ich in seinem Zimmer stehe und die Tür hinter uns geschlossen ist.

„Womit?“, fragt Lasse und sieht mir dabei krampfhaft ins Gesicht.

„Mit dem Rasieren …“

„So, was habe ich denn gesagt?“ Er scheint sich darauf besinnen zu wollen, was ihm offenbar nicht gelingt.

„Na ja, eher impliziert.“

„Oh … Was habe ich denn impliziert?“ Er klingt ziemlich nervös. Immer noch starrt er mir ins Gesicht und blinzelt ein wenig dabei. Sein Körper wirkt verspannt.

„Das es merkwürdig ist, es zu machen, wenn man gar nicht vorhat … na ja … Sex zu haben und so“, erkläre ich leise und sehe, wie er sich noch mehr verspannt. „Und … na ja … Du hast recht. Darum … wir könnten es doch ausnutzen.“

Was Dümmeres ist mir nicht eingefallen. Ich habe keine Ahnung, wie ich es anders ausdrücken soll. Jetzt hält er mich bestimmt für einen Vollidioten. Aber wie sagt man jemanden, dass man mit ihm schlafen will? Vielleicht wäre der direkte Weg besser gewesen. Lasse sieht nämlich nicht so aus, als hätte er verstanden, worauf ich hinaus will. Er macht einen ziemlich überfahrenden Eindruck. Darum drücke ich es noch ein wenig klarer aus. „Ich will mit dir schlafen, Lasse.“

Er haucht etwas. Es hört sich beinahe an wie ein Winseln. Er blinzelt, ansonsten ist er völlig erstarrt. Das trägt nicht gerade zu meiner Entspannung bei. Nervös wackle ich mit den Zehen und beiße mir auf die Unterlippe. Ich warte auf eine Reaktion, die ich deuten kann. Eine verbale Antwort wäre nicht schlecht. „Lasse?“

„Du …“ Er schnappt nach Luft und sieht mich hilflos an. „Du willst was?“

„Sex?“, schlage ich vorsichtig vor. Das ist saupeinlich. Anscheinend habe ich mich getäuscht. „Ich gehe besser …“

„NEIN!“, ruft er und greift beinahe schmerzhaft nach meinem Arm. Er sieht mich immer noch ganz verstört an. „Du willst mit mir schlafen?“

Ich nicke und schlage die Augen nieder. „Aber wenn du nicht … Ich meine, es ist vielleicht eine dumme Idee …“

„Nein, ich finde die Idee toll, wirklich“, krächzt er und schluckt. „Nur warum so plötzlich? Weil du nicht einschlafen kannst? Ich meine, wir sind Mitbewohner, wir … sollten uns das gut überlegen, oder?“

„Ist doch jetzt eh peinlich, oder?“, frage ich zurück.

„Na ja …“ Er zieht mich plötzlich in seine Arme.

Ich spüre eine deutliche Erhebung in seinem Schritt. Kaum ignorierbar. Er ist hart. Verdammt hart.

„Oh …“

„Mhm“, murmelt er und seine Hände legen sich behutsam auf meinen Hintern. „Noch kannst du weglaufen, Niko … Und ich glaube, wenn ich ein wenig Anstand in mir hätte, würde ich es dir sogar raten.“

„Ich will nicht, dass du anständig bist, heute Nacht“, entgegne ich wagemutig und blicke wieder zu ihm auf.

Er ächzt leise und ehe ich mich versehe, spüre ich seine Lippen auf meinen. Wow. Ich schlinge sofort meine Arme um ihn und gebe mich dem Kuss hin. Unser erster Kuss. Wow. Er küsst … Das ist Wahnsinn.

Ich keuche und öffne meine Lippen für seine Zunge, die um Einlass bittend über sie streicht. Seine Hände kneten meinen Hintern. Er stöhnt leise und es hört sich beinahe wie ein Wimmern an. Er klingt so ergeben. Plötzlich löst er sich von mir und sieht mich zweifelnd, fast verzweifelt an. „Das ist keine gute Idee …“

„Ich finde schon“, entgegne ich und recke mich, um ihn noch einmal zu küssen. Er will doch. Das kann ich deutlich spüren. Ich meine damit nicht nur seine Latte. Auch seinen Küssen ist es deutlich anzumerken. Ich habe noch nie jemanden geküsst, der es so gut konnte, wie er. Nicht mal Konrad, dabei war der schon älter.

„Niko“, seufzt Lasse verzagt. „Wir sollten nicht …“

„Doch!“, murmle ich entschieden und küsse ihn weiter.

„Verdammt“, haucht er schwach und schiebt mich dann zu seinem Bett. „Auf deine Verantwortung.“

„Okay.“

Mehr bleibt nicht zu sagen. Wir fallen gemeinsam in sein Bett. Ich ziehe an seinem Pullover und er befreit sich daraufhin hastig davon. Dann beugt er sich wieder über mich und küsst mich weiter. Seine Hände streichen liebkosend über mich. Es fühlt sich so richtig an. Ich seufze leise in seinen Mund und schließe die Augen. Ohne weitere Umschweife verirrt sich eine seiner Hände in meinen Pants und tastet über die weiche Haut. Er stöhnt und sein Kuss wird noch leidenschaftlicher.

Als nächstes verliert er seine Hose. Mir gelingt es mit dem zweiten, fahrigen Anlauf, die Knöpfe zu öffnen und sie über seinen Hintern zu zerren. Den Rest erledigt er. Seine Lippen nagen dabei an meinem Hals. Zärtlich streichen seine Hände über meine Seiten und umkreisen meine Brustwarzen. Er richtet sich ein wenig auf und als ich nachsehe, was er vorhat, ist er nur ein wenig auf Abstand gegangen und betrachtet, was seine Hände mit mir anstellen. Ich bekomme eine Gänsehaut. Er lächelt und zieht seine Bettdecke über uns. Dabei ist mir ganz bestimmt nicht kalt.

Erneut küssen wir uns, während wir uns seitlich in den Armen liegen. Unsere Beine verschlingen sich ineinander. Er ist ganz anders, als ich es erwartet hatte. Ich dachte nicht, dass er so … Nun ja, ich dachte, er schmeißt mich aufs Bett und legt gleich los. Ich hätte nicht mit so einem schönen Vorspiel gerechnet. Aber er scheint sich und uns bewusst Zeit zu lassen.

Schließlich wandert seine Hand aber doch zielstrebig in meine Unterhose. Ich dränge mich ihr berauscht entgegen und schließe erneut die Augen. Meine Hände habe ich auf seine Schultern gelegt. Wir küssen uns immer noch. Jetzt wird der Kuss ein wenig träger. Wir konzentrieren uns zu sehr auf das, was seine Hand in meiner Hose anstellt. Zunächst streicht sie wieder nur zahm über meine glatte Scham und ich spüre, dass er lächelt.

„Ich wäre beinahe zu dir unter die Dusche gehüpft, als ich dich dort gesehen habe“, gesteht er rau. Seine Lippen berühren dabei immer noch meine. Es kitzelt. „Mensch, Niko, hätte nie damit gerechnet, dass du so etwas machst …“

„Findest du es schlimm?“, frage ich noch einmal unsicher.

„Verdammt, nein. Es ist total sexy“, haucht er und küsst mich noch einmal. Dann geht er auf Tauchstation unter die Decke. Er drückt mich auf den Rücken. Ich hebe mein Becken für ihn an, als er mir die Pants runter zieht und keuche leise, als ich dann seinen Atem auf mir spüre. Das ist gut. Aber seine Zunge, die ich als nächstes spüre, ist noch besser. Ich stöhne hingerissen und öffne meine Beine für ihn, damit er mehr Platz hat. Den nutzt er auch sofort aus. Seine Lippen schließen sich um meinen Schaft und gleiten an ihm hinab, bis meine Eichel gegen seinen Rachen stößt. Ich stöhne versonnen und beginne zu zittern. Hoffentlich komme ich nicht zu schnell. Genießen. Ich will es noch länger genießen. Man merkt seine Erfahrung. Und dennoch wirkt es nicht so, als wäre er routiniert. Im Gegenteil, er wirkt ganz andächtig.

„Gefällt dir das?“, fragt er, als er mich aus seinem Mund heraus gleiten lässt.

„Ja“, hauche ich leise.

„Und das?“ Er streicht mit seinem Zeigefinger über meinen Anus.

Ich zucke erregt zusammen und nicke. Das kann er unter der Decke natürlich nicht sehen, also ziehe ich meine Beine ein wenig an, um ihm zu signalisieren, dass ich noch viel mehr will.

„Also ja“, brummt er zufrieden.

Der Finger verschwindet und kommt dann noch einmal angefeuchtet zurück. Ich bebe unterdrückt und greife dann unter die Decke nach ihm. Er soll hier oben bei mir sein. Ich will ihn küssen. Sogleich folgt er auch diesem Wunsch, aber sein Finger verschwindet nicht aus meinem Inneren, sondern dringt noch tiefer und reizt mich ganz gezielt. Ich ächze entzückt und schnappe nach seinen Lippen. Ein neuer Kuss beginnt.

Nun lasse ich auch meine Hand über eine Unterhose tasten. Angetan streiche ich über die große Erhebung und erkunde ihre Ausmaße. Lasse hält ganz andächtig still. Erst als ich meine Hand in seine Hose gleiten lasse, stöhnt er auf. Unser Kuss wird leidenschaftlicher, wenngleich fahriger. Er keucht in meinen Mund, als ich meine Hand um sein Geschlecht schließe und es langsam streichle. Es schummelt sich noch ein zweiter Finger in mein Inneres. Das ist gut. Er lässt mir Zeit, mich daran zu gewöhnen. Das letzte Mal ist ja auch schon eine Weile her.

Irgendwann kann er es aber auch nicht mehr erwarten und greift auf seinen Nachttisch zu dem Gleitgelspender, den er da immer stehen hat. Na ja, er braucht ihn wohl auch recht häufig. Ich störe mich nicht daran und drehe mich für ihn auf den Bauch. Er zögert etwas, doch schließlich verteilt er schnell das Gel auf und in mir. Dann holt er sich noch ein Kondom, dass er sich schnell überrollt.

Ich stöhne leise, als er sich auf mich legt und meinen Nacken küsst. Seine Hände streichen über meine Seiten. Er ist sehr zärtlich. Noch mehr verzückt mich jedoch das harte Geschlecht, das gegen meinen Hintern drückt. Ich spreize meine Beine weiter. Lasse keucht. Seine Lippen saugen sich an meiner Schulter fest, während er sich zwischen meinen Pobacken zu reiben beginnt.

Ich zittere ungeduldig. „Lasse …“

Er hilft seinem Penis mit einer Hand den richtigen Winkel zu finden, als er langsam in mich eindringt. Ich beiße die Zähne zusammen und seufze leise. Er ist größer als ich dachte. Kurz ist da ein brennender Schmerz, doch dann entspanne ich mich schnell und gebe mich ihm hin. Er ist auch sehr zahm zu Beginn. Seine Hände streicheln mich weiter und seine Lippen liebkosen jedes Stückchen meiner Haut, das sie erreichen können. Erst als ich wieder ungeduldig bebe, beginnt er, sich stärker zu bewegen.

Es folgt ein unglaublich intensives Liebesspiel. Wir wechseln noch ein paar Mal die Position. Es scheint, als würde Lasse alles einmal ausprobieren wollen und mir gefällt alles ausnahmslos gut. Ich gebe mich ihm versonnen hin. Schließlich kann ich mich nicht mehr beherrschen und ergieße mich warm zwischen uns, da ich inzwischen auf dem Rücken liege und er über mir ist. Lasse folgt mir mit einem sinnlichen Stöhnen und bricht dann bebend auf mir zusammen. Ich umfange ihn mit meinen Armen und ziehe ihn an mich. Wir küssen uns erneut. Ein wenig atemlos, aber sehr glücklich. Zumindest ich bin sehr glücklich und befriedigt. Aber ich spüre, dass auch Lasse lächelt.

Dann gleitet er aus mir heraus, um sich das Kondom zu entfernen, sich zu säubern und sich dann wieder an mich zu schmiegen. Dicht kuschle ich mich an ihn. Jetzt kann ich bestimmt gut schlafen. Lasse lacht leise und küsse mein Ohr. „Müde?“

„Mhm“, murmle ich.

„Warum überrascht mich das nur nicht?“, neckt er mich sanft.

„Hmpf!“ Ich kneife ihn ein wenig in die Seite. „Lach nicht. Du bist schuld.“

„Natürlich. Habe ich gerne gemacht“, flüstert er erheitert und gibt mir dann noch einen Kuss, den ich träge erwidere. Danach belässt er es dabei, mich in den Armen zu halten und meinen Bauch zu streicheln. Ich döse schon halb, als er mich plötzlich fester an sich drückt und leise flüstert. „Wie kann man denn jemals genug von dir haben?“

„Hm?“, mache ich verwirrt.

Er seufzt. „Ach nichts, Süßer, schlaf weiter.“

„Hm …“

Er hat mich Süßer genannt. Ich schmunzle und schmiege mich dichter an ihn. Seine Finger spielen nun mit meinen Haaren. Er scheint überhaupt nicht müde zu sein. Das lässt auch mich aufmerksamer werden. Ich rufe mir noch einmal seine Worte in den Kopf. Hört sich doch gut an: Wie kann man jemals genug von mir haben. Hört sich nach mehr an. Sollten wir das jetzt besprechen? Ich grüble schon wieder und mein ersehnter Schlaf lässt auf sich warten. Also ja, wir sollten das wohl besprechen. Zumindest etwas.

„Was denkst du?“, frage ich leise.

„Du schläfst ja doch nicht“, wundert er sich ebenso leise.

„Du ja auch nicht … Also?“, beharre ich.

„Also … Was denkst du?“, fragt er zurück. „Das denke ich mir: Ich frage mich, was in deinem hübschen Kopf vorgeht, wenn du plötzlich in meinem Zimmer kommst und mit mir Sex haben willst.“

„Nicht viel“, flüstere ich verlegen. „Und was denkst du jetzt von mir?“

„Kann ich dir erst sagen, wenn du mir deinen Grund verrätst.“

„Kann ich dir nicht sagen.“

„Warum nicht?“

„Weil du …“ Ich breche ab. Warum eigentlich nicht? Weil er nicht der Typ ist, der so etwas hören will. Weil ich nicht der Typ bin, der so etwas als erstes gesteht. Aber jetzt haben wir ja schon mit einander geschlafen, auf mein Drängen hin. Logisch, dass er jetzt eine Erklärung hören will. „Weil ich dich wollte?“

„Ach ja?“, fragt er ein wenig verblüfft und setzt sich auf. „Und warum auf einmal?“

„Wieso auf einmal?“ Ich gebe die Frage zurück. „Woher willst du wissen, dass ich es erst jetzt wollte?“

„Du meinst, du wolltest das hier schon länger?“, fragt er weiter und reibt sich über eine seiner Augenbrauen. Er wirkt verstört. „Ich dachte, du wärst noch nicht über Konrad hinweg.“

„Das ist ein halbes Jahr her … Hör mal, Lasse, ich weiß, dass wir sehr unterschiedlich sind, was Sex angeht. Aber lass mich doch.“

„Nun ja, ich lasse dich ja auch, aber immerhin bin ich nicht ganz unbeteiligt, wenn wir Sex haben und ich will einfach wissen, was es für dich bedeutet.“

„Du kennst mich doch ganz gut, oder?“, frage ich verlegen. „Denk dir deinen Teil. Ich kenne dich gut genug, um es für mich zu behalten.“

Darauf schweigt er eine Weile und legt sich dann wieder zurück. Allerdings umarmt er mich nicht mehr … Irgendetwas ist schief gelaufen. Ich drehe mich auf die Seite, um ihm anzusehen. Er starrt an die Zimmerdecke. Schließlich seufzt er leise. „Oh Mann …“

„Was?“, frage ich unsicher.

„Oh Mann …“, murmelt er wieder nur und dreht sich zu mir auf die Seite. „Weißt du, ich wollte das hier auch schon lange. Seit du eingezogen bist, um genau zu sein. Aber bis jetzt hatte ich mich ganz gut unter Kontrolle.“

„Tja … Bis jetzt“, entgegne ich unbehaglich. „Bereust du es?“

„Kommt darauf an.“ Er seufzt noch einmal. „Ich muss wirklich wissen, was du jetzt von mir erwartest, Niko. Du hast mich so überrascht … Ich weiß gerade gar nicht, was eigentlich passiert ist.“

„Na ja, wir hatten Sex.“

„Ach nein!“ Er gluckst, wird dann aber wieder ernst. „Niko, ernsthaft. Was willst du von mir?“

„Du kriegst ziemlich Panik, wenn es um mehr gehen könnte als Sex, oder?“, stelle ich fest und schmiege mich an seine Brust. Darin rast sein Herz. Ich kann es spüren. Er hat wirklich Panik. Ich will ihn beruhigen, weiß aber nicht wie. Also bin ich wenigstens ehrlich. „Okay, ich habe mich in dich verliebt, schon vor einer ganzen Weile. Und dann habt ihr gestern über mich geredet und ich hatte den Eindruck, dass ich dir auch nicht ganz egal bin. Vorher dachte ich auch immer, dass es nicht klappen kann, weil wir zu verschieden sind. Aber … Ich will dich auch nicht ändern. Ich würde es einfach nur gerne trotzdem versuchen.“

„Du hast uns gehört?“

„Ja, im Halbschlaf“, nuschle ich verlegen.

„Alles?“

„Hm, keine Ahnung …“

„Dann weißt du also, dass ich auch in dich verliebt bin“, stellt Lasse fest und schluckt.

„Nein, bis eben habe ich es nur vermutet“, gebe ich zu und lächle glücklich. „Aber was ich gar nicht verstanden habe, ist, was du noch gesagt hast. Ich kann mich nämlich nicht daran erinnern, dass du mir wehgetan hast.“

Ein missgestimmter Laut dringt aus seiner Kehle und er zieht mich plötzlich wieder an seine Brust. „Natürlich erinnerst du dich nicht. Hat dir ja auch keiner gesagt.“

„Was denn?“, frage ich vorsichtig und schmiege mich an ihn. Statt einer Antwort küsst er mich und streichelt noch einmal sanft über meinen Po. Ich lasse es verwundert geschehen und ihn danach nicht ganz so freiwillig wieder gehen. Er setzt sich wieder auf und zieht die Knie an. Ich warte auf eine Erklärung. Die kommt auch.

„Bevor du hier eingezogen bist, war ich noch gar nicht so flatterhaft. Zumindest habe ich es nicht immer bei dem einen Mal belassen. Ich hatte schon mal längere Affären, wenn auch nichts so ernstes wie eine Beziehung. Na ja, und eine dieser Affären war dein Konrad. Er hat immer gejammert, dass er auch gerne so frei sein würde und das er genug von seiner Beziehung hat … Sorry.“

„Konrad hatte mehr als eine Affäre“, erkläre ich brüchig, aber ich reiße mich zusammen. „Und?“

„Na ja, ich habe nicht verstanden, warum er trotzdem bei dir bleibt. Das war für mich totaler Schwachsinn, also habe ich ihm geraten, dass er dich verlassen soll“, gesteht Lasse unglücklich. „Als er meinte, dass er es nicht könnte, weil ihr zusammen wohnt und du dir nicht ohne weiteres einen Umzug mit Kaution und allem leisten könntest, habe ich ihm gesagt, dass wir in der WG ein günstiges Zimmer frei hätten. Darauf hat er dann ja auch nicht mehr gezögert.“ Sein Blick weicht meinem unwohl aus. „Es war ein Komplott. Ich habe mich auch noch gut gefühlt, weil ich Konrad geholfen habe, dich loszuwerden … Aber dann bist du hier tatsächlich eingezogen und … Mann, es war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich habe nicht gedacht, dass jemand so leiden kann. Und es war meine Schuld. Konrad hätte nicht Schluss gemacht, wenn ich ihn nicht gedrängt hätte. Dabei wollte ich gar nichts von ihm. Ich dachte nur, es wäre für ihn am besten und ich habe gar nicht daran gedacht, dass du ihn so lieben könntest, dass es dich so verletzt. Ich habe Konrads Bedenken diesbezüglich zerstreut und eure Beziehung zerstört.“

Ich starre ihn an. Mein Kopf ist leer. Völlig überfordert diese neuen Informationen zu verarbeiten. Will er mir damit sagen, er hat meine Beziehung zu Konrad untergraben? Ich blinzle ungläubig. Mir ist schlecht. Wo fängt das an und wo hört es auf? Ist er nur so nett gewesen, weil er Mitleid mit mir hatte und Schuldgefühle? Ich kann es plötzlich nicht mehr einschätzen. Wie auch? Ich meine, ich habe diese Wohnung durch Konrad vermittelt bekommen, aber ich wusste nicht, dass er und Lasse sich kennen. Dass sie … Ich schnappe nach Luft.

„Es tut mir leid“, nuschelt Lasse und lässt den Kopf schuldbewusst hängen. „Ich hätte es dir sagen müssen, bevor … Ich meine … Verdammt …“

„Hast du jetzt nur aus Mitleid mit mir geschlafen?“, frage ich fassungslos.

„Nein!“, ruft Lasse erschrocken. „Nein. Ich habe mich wirklich in dich verliebt. Gleich am Anfang, bevor ich überhaupt Mitleid haben konnte. Ich habe dich gesehen und dachte sofort: Konrad ist ein Idiot, dass er dich nicht mehr haben will. Ich war so selbstgerecht, dass ich dachte, ich könnte dich auch gleich noch glücklich machen, indem ich dich tröste. Ich habe total unterschätzt, wie tief verletzt du warst, wie tief du empfinden kannst. Oder … wie tief ich empfinden kann.“

„Also bist du wirklich in mich verliebt?“, will ich etwas zynisch wissen. „Auch wenn ich eine Klette bin?“

„Du bist keine Klette.“

„Na ja, was hat Konrad denn sonst nicht mehr ausgehalten?“, frage ich verstört.

„Das habe ich anfangs auch nicht verstanden“, gibt Lasse zu. „Aber mittlerweile glaube ich, dass er gewusst hat, dass du mehr empfunden hast als er und das hat ihm Angst gemacht oder ein schlechtes Gewissen. Er hat dich wirklich sehr lieb gehabt, aber …“

„Nicht genug“, vollende ich grimmig. Zu dem Schluss bin ich auch schon mit Konrad gekommen. „Ich weiß. Und warum hast du dann ein schlechtes Gewissen? Es wäre doch früher oder später ohnehin zu ende gegangen.“

„Ja, aber vielleicht hättet ihr allein einen Weg gefunden, es weniger schmerzhaft zu machen. Ich hätte mich nicht einmischen dürfen.“

Wir schweigen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich bin verwirrt. Irgendwie will ich ihn immer noch – Lasse, meine ich. Aber dann bin ich auch sauer auf ihn. Obwohl, letztlich hat es uns dahin geführt, wo wir jetzt sind. Ich, ohne Konrad, verliebt in Lasse. Und Lasse, mit schlechtem Gewissen, verliebt in mich. Ich muss nur noch wissen, was das für uns bedeutet.

„Ich liebe Konrad nicht mehr“, murmle ich schließlich leise. „Jetzt bin ich in dich verliebt.“

„Und du kannst mir das verzeihen?“, erkundigt sich Lasse behutsam.

Ich hole tief Luft und überlege. „Keine Ahnung. Ich weiß noch nicht, was es bedeutet.“

„Es bedeutet, dass ich ein selbstgefälliger Idiot war, der Mist gebaut hat und es jetzt sehr bereut, weil er sich schrecklich in seinen Mitbewohner verliebt hat, obwohl er den so schrecklich unglücklich gemacht hat.“ Lasse sieht mich endlich wieder an. Sehr zerknirscht. „Aber ich will es auch versuchen, wenn du mir verzeihen kannst. Ich würde gerne mit dir zusammen sein. Nur habe ich echt Angst, dich noch mal zu verletzen.“

„Ich bin nicht so zerbrechlich“, brumme ich stirnrunzelnd. „Es ist schon ausgewogen: das was ich mehr leide, wenn ich verletzt werde, das geht auch in die andere Richtung.“

„Echt?“

„Na klar“, murmle ich.

„Und wenn wir zusammen sind, könnte ich dich so glücklich machen?“, erkundigt er sich behutsam.

„Ein Versuch wäre es wert, oder?“ Ich lächle ihn an. Er lächelt zurück. Im Nu ist er über mir und küsst mich. Ich schlinge meine Arme um ihn und lasse mich gehen. In meinem Kopf kehrt endlich Ruhe ein. Nach einer kleinen Ewigkeit lösen wir uns schließlich voneinander und lächeln uns wieder an. Dann überkommt mich jedoch vom neuen die Müdigkeit und ich muss gähnen.

„Och, so müde?“, spottet Lasse sanft und lacht leise.

„Nicht lustig. Wegen dir konnte ich gestern Nacht nicht schlafen“, antworte ich und schmiege mich in seine Arme.

Er streichelt mich sanft. „Weil ich weg war?“

„Weil du mich verwirrt hast.“

„Aha, das ist doch gut.“

„Na ja …“, sage ich skeptisch. „Dass du mit anderen Sex hast, hat nicht wirklich geholfen …“

„Hey, ich kann treu sein“, behauptet Lasse. „Ich bin gar nicht so … Du hast mich nur so kennengelernt, weil ich krampfhaft versucht habe, mich von dir abzulenken.“

„Du bist mit den ganzen Typen nur ins Bett, um …? Schon klar.“

„Na ja, hör mal. Ich mag Sex“, verteidigt sich Lasse verlegen. „Ich brauche Sex. Aber da ich dich jetzt habe, brauche ich keinen anderen mehr.“

„Ich will nur, dass du ehrlich bist, falls du es dir dennoch anders überlegen solltest“, erbitte ich mir müde. Ich bin wirklich zu erschöpft, um jetzt noch eine Grundsatzdiskussion über Vertrauen und Treue in einer Beziehung zu führen. Dennoch bitte ich: „Keine Lügen.“

„Okay, versprochen.“ Er küsst mich sanft auf die geschlossenen Augenlider. „Aber das wird nicht geschehen. Ich bin treu.“

„Mhm …“

„Du bist so eine Schlafmütze“, lästert er leise, aber auch sehr zärtlich.

„Kann dich immer noch hören“, nuschle ich an seine Wange, an der ich irgendwie zu Liegen gekommen bin. Seine Arme umschlingen mich sanft und er streichelt mich. Es ist so schön. Ich will immer so einschlafen.

„Okay, werde ich mir merken. Aber ich bin froh, dass du es kannst. Allein hätte ich nie den Mut gehabt, so weit zu gehen“, gesteht er leise.

„Mhm …“

„Hörst du mich immer noch?“

„Mhm?“

„Ich hab dich lieb, Niko.“

„Auch“, murmle ich noch und dann schlafe ich wirklich ein.

Impressum

Bildmaterialien: Lizenzfrei - CC0 Public Domain, pixabay.com, 1159279
Lektorat: Danke an Lilliana fürs Betan.
Tag der Veröffentlichung: 08.05.2016

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