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Prolog

Du hast mir immer gesagt, dass ich stark sein müsste. Dass ich irgendwann besonders stark sein müsste. Ich glaube jetzt ist der Moment gekommen, an dem es gilt stark zu sein. Stärker als jemals zu vor. Dich gehen zu lassen, obwohl sich alles in mir dagegen sträubt. Aber etwas zu sagen und etwas wirklich zu tun ist ein Unterschied und ich merke,dass ich dich nicht gehen lassen kann. Denn wenn ich dich gehen lasse, lasse ich auch mich gehen. Ich lasse alles gehen, für das ich gekämpft und mich selbst aufgegeben habe. All das, was ich geliebt habe.Ich spürte wie meine Augen erneut anfingen sich mit Tränen zu füllen. Nach und nach rollten sie über mein Gesicht und ich gab es auf, sie mit dem Ärmel meines Pullovers wegzuwischen. Ich sah schrecklich aus. Aufgequollene, rote Augen, dazu eine rote Nase und gerötete Wangen. Aber was machte das schon, letztendlich war es doch egal wie ich aussah. Letztendlich war alles egal. Nur du, du warst nie egal. Du warst das Wichtigste in meinem Leben. Nein, du warst mein Leben. Du warst der Grund, warum ich mich jeden beschissenen Tag abmühte, das Gerede der Leute verdrängte und so tat als wäre nichts vorgefallen. Du warst immer der Grund zum Weitermachen, zum niemals aufgeben. Aber was bleibt einem, wenn es keinen Grund mehr gibt? Wenn alles was jemals von Bedeutung war, einfach weg ist? 

Kapitel 1

Es war eine ungewöhnlich warme Nacht, in der alles begann. Der Himmel glänzte in einem klaren Schwarz, gespickt von unzählig funkelnden Sternen. Ein paar sanfte Windböen ließen die Bäume um uns herum hin und her wiegen und waren zudem der Grund, warum wir alle noch Jacken trugen. Inzwischen wünschte sich jeder nichts sehnlicher als Sommer. Doch weit und breit ließ sich kein bisschen Sonne blicken und auch der Wetterbericht für die nächste Woche ließ keinerlei Platz für Hoffnung.

Das war wohl der Grund, warum wir uns so sehr über eine laue Frühlingsnacht freuten. Wobei sich die Freude meiner Begleitung wohl eher auf das Fass Bier in ihrer Hand bezog. Inzwischen hatten die Drei aber kaum noch etwas zu tragen, denn der größte Teil des Biers füllte ihre Mägen und nicht mehr das Fass. Lachend und schreiend zogen wir nun schon seit fast 2 Stunden durch die Wohngegend Somervilles. Wobei ich zu ersterem nichts beitrug. Mir persönlich gefiel ein Ausflug dieser Art nicht, aber ich kannte die Drei zu kurz um Wiederworte geben zu können. Außerdem war ich noch nie der Typ fürs Anecken gewesen. Lieber mitziehen.

Plötzlich drehte sich Brandon, der mit Abstand Vollste von ihnen, um und nickte mir zu. „ Jenna, wo bleibsn du?“ lallte er, so verständlich wie möglich. Kurz dachte ich darüber nach, nicht zu antworten aber da er inzwischen stehen geblieben war, um auf mich zu warten, brachte das wahrscheinlich auch nichts. „ Bin doch bei dir“, erwiderte ich knapp und ging weiter auf ihn zu. Schon einige Meter von ihm entfernt, konnte ich seine Fahne riechen. Noch schlimmer wurde es, als ich direkt neben ihm zum Stehen kam, er mir seinen Arm um die Schulter legte und mir den Gestank direkt ins Gesicht blies. Angeekelt drehte ich den Kopf zur Seite und versuchte etwas Abstand zwischen uns zu bringen.

„ Magst‘ nich auch n Schluck?“ Ein breites Grinsen legte sich auf sein eigentlich schönes Gesicht. Für mich wirkte es trotzdem wie eine Fratze. Seine Augen bohrten tief in meine, als er mit einer Wasserflasche vor meinem Gesicht wedelte. Erschrocken wich ich zurück, denn seine Koordination glich der eines 2 jährigen Kindes, das gerade Bauklotze durch die Gegend warf. Da ich trotz seines Benehmens keinen schlechten Eindruck machen wollte, murmelte ich nur: „ Was ist da drin, Brandon?“ Dieser lachte laut auf. „ Wasser, Liebes, nur Wasser“, erwiderte er und konnte seine Ironie kein Stück verbergen. Genervt verzog ich die Brauen und versuchte ihn Zentimeter für Zentimeter von mir wegzuschieben. Zuerst schien er es nicht zu bemerken, aber als ich es endlich geschafft hatte ein bisschen Platz zwischen uns zu schaffen, nahm er rückartig den Arm von meiner Schulter und trat einen Schritt vor mich. Verwirrt blieb ich stehen und guckte ihn an.

„ Jetzt stell dich doch nich so an“, nuschelte er und packte mich plötzlich grob an der Schulter. Meine Versuche, seine Hand abzuschütteln, endeten erfolglos und er griff bloß noch fester zu. Langsam verschwand das Grinsen aus seinem Gesicht. Unsicher schaute ich immer wieder an ihm vorbei und dann kurz zu seinem Gesicht zurück. Die anderen Beiden waren inzwischen schon weit vor uns und ich konnte nur still hoffen, dass sie sich umdrehten und warteten. Doch den Anschein machten sie nicht, denn sie gingen noch immer schwankend und lachend den Weg entlang. Gerade als mein Blick wieder Brandons treffen wollte, spürte ich, wie seine Hand knapp vor meinem Gesicht her schlug.

Erschrocken keuchte ich auf und sah ihm entsetzt in die Augen. Obwohl diese vom Alkohol schon ganz glasig geworden waren, starrte er mich mit einer solchen Intensivität an, wie es sonst noch niemand getan hatte. Es wirkte, als wäre er mit einem Mal unglaublich wütend geworden, aus unerklärlichen Gründen. „ Du hasch ja doch noch Augen für mich“, lallte er. Alles Lustige war aus seiner Stimme gewichen und hatte Platz für Härte und Bosheit gelassen. Auch das Grinsen, was langsam wieder über sein Gesicht zog,  war kein Ausdruck der Freude. „B..B..Brandon, du tust mir weh“, stotterte ich leise und verzog vor Schmerz mein Gesicht. 

Sein Blick verharrte weiter auf meinem Gesicht, eiskalt bohrten sich seine Augen in die Meinen. Früher dachte ich immer, dass blaue Augen ein Anzeichen für Unschuld waren. Die Bösen hatten immer dunkle Augen, niemals aber funkelten einem blaue Augen entgegen. Augen, in denen sich der Ozean spiegelte, die so endlos schön wie der Himmel waren. Doch noch in dieser Nacht sollte sich meine Vorstellung von blauen Augen grundlegend ändern. 

Plötzlich bemerkte ich, dass sich sein Griff noch immer nicht gelöst hatte. Sollte ich mich losreißen? Oder lieber doch still stehen bleiben und auf seine Vernunft hoffen? Letztendlich entschied ich mich für das Zweite und verkrampft blieb ich vor ihm stehen. Meine Augen wanderten langsam von seinem Arm, bis zu seinem Gesicht. Noch immer starrten mir eiskalte, blaue Augen entgegen. Mit dem Gedanken spielend, mich doch noch loszureißen, zog ich meinen Arm ein kleines Stückchen nach hinten. Keine Reaktion. 

Diese angespannte Stille machte mich wahnsinnig. Ich konnte die Intensität deutlich spüren, die von ihm ausging, doch seine äußere Ruhe, brachte mich zum Rasen. Vom angestrengten Nachdenken bekam ich langsam Kopfschmerzen. Der Schmerz wirkte wie betäubend und das Pochen in meinem Kopf verschlimmerte sich von Sekunde zu Sekunde. Gerne hätte ich die die Hände an meine Schläfen gelegt, um die Schmerzen wenigstens ein bisschen zu lindern. Aber genau in dem Moment wurde mir wieder bewusst, in welcher Lage ich mich überhaupt befasste. Ich hatte nicht mal mehr die Kontrolle über meine eigenen Hände. Konnte nicht mal mehr das tun, was ich gerne wollte. 

 

Da es mir nicht möglich war, mich körperlich zu befreien, versuchte ich es mental. Doch meine Versuche, mich zu entspannen und in Ruhe nachzudenken, blieben erfolglos. Es geling mir einfach nicht, die dauerhaft aufsteigende Panik zu unterdrücken. Das war wahrscheinlich auch der Grund für mein folgendes Handeln. Tief atmete ich ein und dann wieder aus, so kannte man es schließlich aus Filmen, riss mich zusammen und zog mit aller Kraft, die ich aufbringen  konnte, meinen Arm nach hinten. 

Dass es, das Schlechteste war, was ich hätte machen können, wurde mir auch erst im Nachhinein klar. Es war die Ruhe vorm Sturm, die mich so in Versuchung geführt hatte, endlich zu Handeln. Fast zwanghaft hatte ich die Stille und dieses nutzlose Rumstehen unterbrechen müssen. Und doch hätte ich lieber noch Stunden so rumgestanden, als das durchleiden zu müssen, was dann kam. 

Nur einen kurzen Moment blickte ich in sein wutverzerrtes Gesicht. Noch nie hatte ich einen Menschen so aufgebracht gesehen und erst Recht nicht einen meiner Freunde. Wobei ich nicht glaubte, dass Brandon in diesem Moment etwas wie Freundschaft für mich empfand. Für ein paar Sekunden konnte ich spüren, wie er meinen Arm losließ, bevor er mir grob seine Faust in den Bauch rammte. Entsetzt entwich mir ein Keuchen. Der Schmerz zog durch meinen ganzen Körper und meine Beine klappten zusammen. Wimmernd kniete ich vor ihm und versuchte krampfhaft mein Inneres bei mir zu halten. Doch ich hatte keine Chance. Die Übelkeit überrollte mich, wie eine überdimensionale Welle und zitternd übergab ich mich vor seinen Füßen. Bis zu diesem Moment hatte der Schmerz, die Angst völlig verdrängt doch mit einem Mal kam sie wieder. Mein Kopf pochte noch immer und meine Gedanken rasten hin und her. Ich schaffte es einfach nicht klar zu denken, war viel zu überfordert mit dem, was gerade passiert war. Mein Wimmern wurde immer stärker und schlug zum Weinen um. Immer mehr Tränen rollten über meine heißen Wangen und ich wollte mich gar nicht mehr beruhigen. „ Flenn doch nicht, wie ein kleines Kind“, brüllte er mich an. Für einen kurzen Moment, war ich so geschockt, dass ich innehielt und aufhörte zu weinen. Ein boshaftes Lachen überkam seine Lippen, bevor er wieder etwas sagte : „ Und jetzt guck mich gefälligst an.“ Ich wollte, ich wollte ihn so sehr angucken, wollte nicht noch mehr Schmerzen zugefügt bekommen, aber ich konnte einfach nicht. 

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Tag der Veröffentlichung: 06.06.2013

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