Cover




Am 4. Oktober 2000 las ich folgende Anzeige:
Mischlingswelpen gegen geringe Schutzgebühr abzugeben.


Telefonnummer und Ort waren auch angegeben.

Das hörte sich erstmal nicht schlecht an und ich beschloß, dort anzurufen.
Gleich nach dem ersten Klingeln meldete sich eine junge Frau. Ich sagte ihr, dass ich wegen eines Hundewelpen anriefe, ob noch einer da wäre und was er denn kosten sollte.
Als die Frau mir sagte, dass noch fast alle 10 Welpen zu haben wären und sie für so einen kleinen Knuffel 50,-DM haben wolle, schlug mein Herz wie verrückt. Ich war plötzlich ganz aufgeregt, denn mein Wunsch, einen kleinen Junghund zu haben, schien greifbar nah.

Vorher möchte ich aber noch kurz erzählen, warum ich unbedingt einen Welpen haben wollte ...


Ich wohnte in einem kleinen Dorf an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste. Allein. Mein Mann hatte mich plötzlich nach 9 Jahren verlassen, als er in einer Psychose meinte, ich würde ihm nicht gut tun.
Ich suchte jemanden, der auf mich aufpassen und der mich beschützen sollte und den ich beschützen konnte. Jemanden, der mich ebenso brauchte wie ich ihn. Mit dem ich reden und den ich lieb haben konnte. Was lag also näher, als sich einen Hund anzuschaffen?
Ich rief im örtlichen Tierheim an und fragte, ob sie einen passenden Gefährten für mich hätten. Das einzige Suchkriterium für mich war, dass er oder sie etwa kniehoch sein sollte. Ein solcher Hund war nicht da und wir verabredeten, dass mich das Tierheim kontaktieren sollte, sobald ein passender Hund rein käme.

Drei Wochen später kam der Anruf. Da ich nicht mobil war, war mein Vermieter so nett, mich zu dem Tierheim zu fahren. Dort angekommen wurde ich mit „Teddy„ einem etwa 6 -7 Jahre alten Mischlingsrüden bekannt gemacht.
Nach Aussage der Leiterin des Tierheimes war Teddy ein ganz lieber Hund, der bis Dato bei einer alten Dame gelebt hatte, die nun leider verstorben war. Er war tags zuvor, wie das so bei Tierheimen üblich ist, kastriert worden und gegen eine Gebühr von 90,-DM konnte ich ihn gleich mitnehmen.

Nun kann man einwenden, dass ich ihn ja erstmal hätte kennenlernen können ... mit ihm Gassi gehen, ihn vielleicht sogar probeweise mit nach Hause nehmen, etc. Aber wie ich schon sagte, hatte ich selber kein Auto (noch nicht einmal einen Führerschein) und der Weg bis zum Tierheim war wirklich weit.
Ich verließ mich auf die Leute im Tierheim, dass alles so wäre, wie sie mir gesagt hatten und nahm Teddy mit nach Hause. Außerdem muß ich gestehen, dass ich mich auf den ersten Blick in ihn verliebt hatte.

Gleich am ersten Abend nahm ich ihn mit zur Arbeit. Ich arbeitete damals in einer Spielhalle und es war kein Problem, den Hund dorthin mitzunehmen. Ich hätte ihn auch nicht alleine Zuhause lassen wollen. Schließlich hatte er in den letzten Tagen genug Streß - erst war sein Frauchen verstorben, dann war er ins Tierheim gekommen, kastriert worden (er mußte auch Nachts diese Halskrause tragen) und war nun bei mir gelandet.
Ich hatte also vollstes Verständnis dafür, dass er etwas verunsichert und nervös war - wenn er auch nicht diesen Eindruck machte, aber der kann ja bekanntlich täuschen.

Ich weiß nicht mehr wie es zu der Situation kam, aber gleich an diesem ersten Abend wurde ich von Teddy gebissen.
Wir waren allein in der Spielhalle und er schnappte nach meiner Hand - und erwischte sie auch. Er hatte meinen ganzen Handrücken in der Schnauze und ließ nicht los. Ich wollte die Hand natürlich wegziehen, doch ich konnte sogar den ganzen Hund an der Hand hochheben, ohne dass er losließ. Schließlich öffnete er doch die Fänge und ich konnte mir den Schaden besehen. Es blutete nicht, aber auf dem Handrücken war zwischen den Sehnen des Mittel- und des Ringfingers eine tiefe Delle in Form seines Eckzahnes zu sehen. Ich kühlte die Hand sofort, doch konnte ich sie die nächsten 2 Tage kaum bewegen, weil sie so anschwoll. Zum Glück war es „nur„ die Linke.
Ich schimpfte nicht mit Teddy oder bestrafte ihn sogar. Ich hatte Verständnis für ihn, eben wegen der beschriebenen Umstände, der ganzen neuen Situation. Vielleicht hatte ich ihn ja sogar provoziert?

Wenige Tage später merkte ich, dass wohl doch etwas an seinem Verhalten auffällig war: wir waren bei Regenwetter draußen gewesen und wieder Zuhause angekommen, wollte ich ihn abtrocknen. Unter dem Bauch ließ er sich das gern gefallen, doch als ich seine Vorderpfote anhob, fletschte er die Zähne und knurrte.
Er hatte mich schon einmal gebissen und zudem kannte ich ihn noch nicht wirklich gut, also ließ ich ihm seinen Willen.
Wieder ein paar Tage später kam eine liebe Freundin aus dem Ruhrgebiet zu Besuch und da sie ein Auto hatte, fuhren wir zusammen zu dem Tierarzt der Teddy kastriert hatte, damit die Fäden gezogen werden konnten.
Ich hatte zwar Sorge, wie Teddy reagieren würde wenn man ihn auf den Behandlungstisch setzt, aber ich dachte mir, dass es doch schon einmal geklappt haben mußte, sonst hätte er ja nicht kastriert werden können. Was konnte also Schlimmes passieren?
Auf jeden Fall mehr, als ich gedacht hatte!

Die Tierärztin wollte Teddy auf den Tisch heben und er biß sofort zu. Er erwischte sie am linken Zeigefinger und die eigentlich doch recht kleine Wunde blutete sofort tropfenweise. Die Ärztin ließ den Hund los und wusch sich erst einmal die Hände und stillte so auch das Blut unter dem kalten Wasserstrahl. Teddy saß währenddessen ruhig auf dem Behandlungstisch. Die Tierärztin erklärte mir und meiner Freundin, die (leider) auch mit in den Behandlungsraum gekommen war, dass sie Teddy nun etwas härter anfassen würde, wir sollten uns aber keine Sorgen machen, schließlich wisse sie, wie man mit Tieren umgeht.
Was folgte, war ein regelrechter Kampf Mensch gegen Hund. Die Tierärztin bekam sein Nackenfell zu fassen und hatte damit einen Griffpunkt, den sie auch nicht wieder loslassen wollte. Teddy versuchte sich trotzdem aus dem Griff zu befreien, wobei er in seiner Raserei - nur so kann man es nennen, wenn man ihn dabei gesehen hat - seinen Kot und Urin durch den ganzen Raum verteilte.
Endlich bekam die Tierärztin mit der linken Hand seine Ohren zu fassen und hatte ihn damit nicht nur im festen Griff, sondern konnte ihn nun auch dirigieren, so dass er sich schließlich auf den Tisch legte und auch ruhig liegen blieb. Schwer atmend zwar (genauso wie die Tierärztin) aber ruhig.
Die Frau erklärte uns, dass ein Hund, der sich einmal ergeben hat, alles mit sich machen lassen würde und Teddy schien an diesem Punkt angekommen zu sein. Vorsichtig ließ sie seine Ohren los - aber Teddy hatte sich nicht „ergeben„ ... er hatte sich eher aus taktischen Gründen ruhig verhalten.
Obwohl sich die Tierärztin sein Nackenfell regelrecht um die Hand geschlungen hatte, hatte er noch genug Bewegungsspielraum um den Kopf zu drehen und sich in ihren Unterarm zu verbeißen. Kurz hielt sie seiner Attacke stand, dann mußte sie ihn, heftig blutend loslassen. Teddy sprang sogleich auf den Boden und stellte sich hinter meine Freundin.
Die Ärztin verließ den Raum um sich behandeln zu lassen. Meine Freundin mußte auch raus, da es ihr gar nicht gut ging. Der Schock über das Erlebte, der gräßliche Gestank im Raum und die Angst vor dem Hund ließen ihren Kreislauf zusammenbrechen und kaum aus dem Behandlungsraum raus, wurde sie ohnmächtig.
Ich blieb allein mit Teddy zurück - mit wackligen Knien und einem wachsamen Auge auf den Hund. Für die Tierärztin wurde ein Humanmediziner gerufen, der sich dann allerdings erst einmal um meine Freundin kümmerte, da es ihr wirklich schlecht ging.
Zu mir kam irgendwann der hinzugerufene zweite Tierarzt der Gemeinschaftspraxis. Er gab mir einen Maulkorb den sich Teddy auch ruhig anlegen ließ (wahrscheinlich, weil er so etwas noch nicht kannte) und danach bekam der Hund eine Narkose, damit er ebenfalls behandelt werden konnte - schließlich war ich ja mit ihm zum Fäden ziehen gekommen.

In der folgenden Nacht lag ich Stunde um Stunde wach und überlegte, was ich nun mit Teddy tun sollte. Nachdem, was ich gesehen hatte, konnte ich ihn nicht mehr behalten - ich hatte Angst vor ihm und das ist keine gute Grundlage für eine Beziehung. Aber ich konnte mich auch nicht wirklich dazu durchringen, ihn wieder ins Tierheim zu bringen - vielleicht konnte ja doch noch alles gut werden ...?

Aber am nächsten Morgen hatte ich mich dann doch schweren Herzens entschlossen, Teddy wieder zurück ins Tierheim zu bringen. Ich hätte allein mit ihm gelebt und - etwas übertrieben ausgedrückt - hätte ich Angst haben müssen, dass er mir eines Nachts die Kehle durchbeißt, weil ich ihm im Schlaf berührt hätte oder ähnliches.
Wir mußten vorher noch zur Tierarztpraxis, da meine Freundin tags zuvor eine Beruhigungsspritze bekommen hatte und wir mit dem Taxi nach Hause gefahren waren.
Als wir in die Praxis kamen saß die Tierärztin vorne an der Anmeldung - mit dick verbundenem Arm. Ich hatte ein richtig schlechtes Gewissen, schließlich war das mein Hund gewesen! Aber sie gab natürlich nicht mir die Schuld am Verhalten des Hundes. Sie fragte mich, was ich denn jetzt mit Teddy machen wolle und ich sagte ihr, dass ich mich schließlich dazu durchgerungen hätte, ihn wieder ins Tierheim zu bringen. Sie meinte, dass das eine sehr vernünftige Entscheidung sei, dass sie aber noch weiter gehen wolle.
Ihrer Meinung nach hatte Teddy keine Beisshemmung. Durch das Zusammenleben mit der alten Dame, die ihm vermutlich jeden Wunsch erfüllt und ihm keine Grenzen aufgezeigt hatte, war er immer das Alphatier des „Rudels„ gewesen und wäre aufgrund seines Alters nicht mehr in der Lage, noch mal zu lernen, sich zukünftig unterzuordnen. Und selbst wenn er das lernen sollte, bliebe immer noch die fehlende Beisshemmung die ihn jederzeit wieder zuschnappen, oder wie am vorigen Tag, richtig aggressiv beißen lassen würde. Sie sagte, sie würde sich umgehend mit dem Tierheim in Verbindung setzten um sicher zu gehen, dass der Hund tatsächlich eingeschläfert und nicht etwa noch weitervermittelt würde.

Beim Tierheim angekommen erwartete uns ein ganz anderer Empfang.
Als ich der Leiterin erklärte, weshalb ich wieder mit Teddy da war, wurde sie sehr zornig und hielt mir vor, ich würde einfach zu schnell aufgeben. Wegen Leuten wie mir gäbe es so viele einsame, leidende Geschöpfe in den Tierheimen!
Ich war total geschockt. Aber zum Glück hatte ich meine Freundin dabei, die mir zur Seite stand und mich unterstützte.
Mein Geld bekam ich natürlich nicht zurück.

Aufgrund dieses Erlebnisses hatte ich beschlossen, mir nie wieder ein erwachsenes Tier zuzulegen. Wenn, dann wollte ich nur einen Welpen den ich formen konnte. Und am Besten noch ein Weibchen, da diese kein so ausgeprägtes Revierverhalten zeigen und weniger aggressiv sind.

Deshalb sagte ich auch der Frau am Telefon auf ihre Nachfrage, dass ich gerne eine Hündin hätte. Sie sagte, das wäre OK und welche Farbe ich gern hätte. Es gäbe schwarz/weiße und ein einziges schwarzes Tier. Ich sagte, dass mir das egal wäre und sie meinte, dass sie mir also ein kleines Hundemädchen aufheben würde, bis ich am folgenden Samstag käme, um sie abzuholen.
Am gleichen Tag rief ich bei meiner Familie an um ihnen zu erzählen, dass ich nun bald Besitzerin einer jungen Hündin wäre und dass ich mir noch einen Namen überlegen müßte. Mein Schwager plädierte für „Cayenne„, da dies doch ein recht seltener Name für einen Hund sei.
Den Rest des Nachmittags verbrachte ich damit immer wieder „Cayenne„ zu sagen. Mal lockend, mal streng, rufend oder lobend. Ich entschied, dass es ein schöner und guter Name für meine neue Gefährtin sei.

Am Freitag hatte ich Spätschicht bis 2:00 Uhr in der Früh und am Samstag um 9:00 Uhr kam mein Kollege um mit mir zu dem Bauernhof zu fahren, wo wir Cayenne abholen wollten.
Nach knapp 40 Kilometern waren wir endlich am Ziel. Auf dem Hof lief eine Hündin frei herum, deren Gesäuge fast auf dem Boden hing, außerdem war noch ein Hund angekettet und ich betete, dass das nicht der Vater der Welpen sein möge! Der Hund war unglaublich groß und unglaublich struppig. Ich konnte beim besten Willen nicht erkennen, um was für eine Rasse - oder Rassen - es sich handeln könnte. Er war einfach nur riesig und ebenso laut.
Dass die Mutter ein kleiner Münsterländer war, paßte mir dagegen sehr gut, da ich ja nur einen mittelgroßen Hund hatte haben wollen.

Wir gingen mit der Besitzerin in die Scheune und hinten, in einem alten Schweinestall der ganz mit Stroh ausgelegt war, wuselten drei kleine Hundewelpen herum.
Zwei waren schwarzweiß gefleckt und eine war ganz schwarz ... das war Cayenne!
Ich bekam sie auf den Arm und wollte sie nie mehr loslassen.

Für den Rückweg hatte ich mir extra ein Handtuch mitgenommen, falls der Kleinen schlecht werden würde, schließlich war sie das Autofahren ja nicht gewöhnt.
Sie wuselte auf meinem Schoß bald genauso wild herum wie vorher mit ihren Brüdern im Stall und ich hatte Mühe, sie festzuhalten ohne ihr weh zu tun.
Naja, vielleicht war ich auch etwas übervorsichtig, aber man muß sich vorstellen, dass dieses kleine Ding gerade mal 7 Wochen alt und etwas größer als meine Hand war! Da packt man nicht so rigoros zu ... zumindest ich nicht.

Sie wuselte also munter auf mir herum und schaffte es schließlich sich etwas hochzuziehen, so dass sie den Kopf an meiner Schulter hatte, aus dem Fenster sehen konnte und mir dann ihre letzte Mahlzeit über die Jacke spucken konnte.
Nur gut, dass das Handtuch auf meinem Schoß lag!!!!

Unterwegs hielten wir noch bei einer großen Tierbedarfkette und ich suchte ein Geschirr mit Leine für sie aus. Die Geschirre waren zwar alle viel zu groß, aber so konnte sie wenigstens „reinwachsen„.
Ich legte ihr das Geschirr gleich an und setzte sie auf dem Parkplatz auf einen der Grünstreifen. Das kleine schwarze Bündel Kuschelfell stand da und wußte nichts mit sich, dem Geschirr und der Leine anzufangen - bis ich sie auf den Arm nahm und sie wieder auf mir herumtoben konnte.

Zuhause angekommen setzte ich sie als erstes in das Spülbecken in der Küche und badete sie, da sie sehr stark nach Stall und Mist roch.
Danach wickelte ich sie in ein Handtuch (in ein sauberes, nicht das von der Fahrt) und nahm sie mit ins Bett. Wie schon gesagt, hatte ich am Abend zuvor Spätschicht in der Spielhalle gehabt und war zum umfallen müde.
Wir kuschelten uns zusammen unter die Decke - Cayenne noch zusätzlich in das Handtuch gewickelt - und ich schlief auf der Stelle ein.

Etwa eine Stunde später weckte mich ein zaghaftes Winseln.
Cayenne stand am Fußende des Bettes, schaute zur Tür und fiepste. Ich war sofort hellwach, schnappte mir die Kleine und setzte sie vor die Tür ins Blumenbeet.
Man mag es sich kaum vorstellen, aber sie setzte sich gleich hin und bewässerte die Blumen. Ich war begeistert!

Ich möchte fast behaupten, dass Cayenne von dem Augenblick an als nahezu Stubenrein gelten konnte. Zuhause passierte es nur ein einziges Mal, dass sie in die Wohnung machte und daran war ich nicht unschuldig. Ich hatte - bevor ich mir einen Welpen zulegte - gelesen, dass man mit seinem kleinen Hund immer zu bestimmten Situationen, nicht bestimmten Zeiten, Gassi gehen sollte: nach dem schlafen, dem fressen und dem spielen - und natürlich wenn sich der Hund sonst noch von alleine meldet. Erst wenn der Hund etwa 3 Monate alt und auf jeden Fall Stubenrein ist, kann man dazu übergehen, zu festen Zeiten Gassi zu gehen. Und das eine Mal, als sie ihr Häufchen unter den Couchtisch machte, hatte sie nach dem schlafen gefressen, aber ich erledigte gerade den Abwasch und vergaß mit ihr vor die Tür zu gehen. Man kann sich vorstellen, dass ich nicht ganz so arg geschimpft habe.
Auch auf der Arbeit (wie schon gesagt, arbeitete ich in einer Spielhalle), wohin ich sie immer mitnahm, kam es nur vier oder fünf mal zu einem kleinen Malheur. Auch hier lag es daran, dass ich nicht immer mit ihr raus konnte, wenn es gerade nötig war oder manchmal hatte ich sie auch einfach nicht im Blick, so dass sie zwar brav vor der Tür saß um mir ihre Not zu signalisieren, aber ich sah sie einfach nicht.

Eine Kollegin hatte mir noch vor dem Hundekauf geraten, das Tierchen auf einen Nabelbruch zu untersuchen und falls einer vorhanden wäre, von dem Kauf Abstand zu nehmen, da die Korrektur zusätzliche Kosten nach sich ziehen würde.
Gleich als ich Cayenne auf den Arm nahm fühlte ich einen Nabelbruch - aber das war mir egal.

Eine Woche nach diesem Ausflug aufs Land fuhr ich mit Cayenne das erste Mal zum Tierarzt. Zum Glück wußten wir beide noch nicht, was uns in diesen Räumlichkeiten noch alles bevorstehen würde ...
Der Tierarzt konnte mir gleich etwas über den vermutlichen Vater sagen: Cayenne hatte alle Merkmale eines Labradors, nur war sie etwas schlanker durch die Gene ihrer Mutter.
Der Tierarzt bestätigte auch den Nabelbruch, meinte aber, dass wir mit der OP noch warten könnten (und sollten), bis die Kleine 3 oder gar 4 Monate alt wäre. Dann wäre das Narkoserisiko geringer und auch sonst würde das Risiko von Komplikationen mit jeder Woche die sie älter wäre, sinken. Nur wenn sich der Bruch vergrößern und/oder Cayenne Schmerzen hätte, müßte der Termin vorgezogen werden.
Leider war es schon wenige Tage später soweit. Ich hatte sie wieder mit zur Arbeit genommen und eine Kollegin war mit ihrer Rottweilerhündin Shiva gekommen, damit die beiden miteinander spielen konnten. Das war wirklich süß anzusehen: die große, massige Shiva, die sich von der kleinen Cayenne alles gefallen ließ!
Irgendwann brauchten die beiden eine Pause. Shiva ließ sich in eine ruhige Ecke fallen und Cayenne kam zu mir gelaufen. Ich nahm sie hoch um sie auf einen Stuhl zu setzen, als sie laut aufjaulte. Anscheinend verursachte ihr der Nabelbruch nun Schmerzen!
Am nächsten Morgen (einem Donnerstag) stellte ich Cayenne beim Tierarzt vor und der beschloß nach einer Untersuchung, den Termin für die OP vorzuverlegen ... auf den nächsten Morgen! Das warf alle meine Pläne über den Haufen. Ich hatte am Samstag nach Essen fahren wollen, um meinen Mann zu besuchen und ihn vielleicht sogar wieder mit nach Hause zu nehmen. Außerdem würde ich am Tag von Cayennes OP auch noch Spätschicht haben!
Ich rief alle Verwandten und Bekannten an und sagte überall mein Kommen ab. Außerdem sorgte ich auch dafür, dass meine Kollegin Cayenne vom Tierarzt abholen und zu mir in die Spielhalle bringen würde.

Der nächste Morgen kam.
Wie soll ich meine Gefühle beschreiben, als ich mein kleines Hündchen an die Tierarzthelferin übergab?
Jeder Hundebesitzer wird mich verstehen, auch ohne viel Worte.
Und die, die keine/n Hund/e haben, würden es nicht verstehen, selbst wenn ich es mit noch so vielen Worten umschreiben würde.
Es wurde ein langer, langer Tag.
Endlich kam meine Kollegin mit Cayenne in die Spielhalle - die Kleine hatte Alles gut überstanden! Meine Freude war riesig.

Da ich nun nicht nach Essen fahren konnte, hatte mein Mann mit seinen Eltern beschlossen, dass sie zu mir rauf nach Büsum kommen wollten - plötzlich standen sie vor mir!
Es war schon spät und seit Cayenne vom Tierarzt gekommen war, waren schon einige Stunden vergangen ... es ging ihr sehr gut; so gut, dass sie schon mit meinem Mann herumtoben konnte.
Erst wußte ich nicht, wie ich mich verhalten sollte, schließlich war die Kleine erst am Mittag operiert worden, doch da mir der Tierarzt keine Verhaltensregeln hatte überbringen lassen, dachte ich mir, es wäre besser dass es ihr so gut geht, dass sie rumtoben kann, als dass sie apathisch in ihrem Körbchen läge.
Am nächsten Tag mußte ich feststellen, dass der Nabelbruch wieder da war!
Es folgten drei Wochen, in denen mein kleiner Hund fast wöchentlich operiert wurde - weil der Nabelbruch immer wieder aufging. Selbst als sie nach der insgesamt 3. OP unter Beruhigungsmittel gesetzt wurde, um ein erneutes Aufbrechen des Bruches durch zu viel Bewegung zu verhindern, passierte es doch wieder. Außerdem bildete sich nach der dritten OP eine Nekrose und der ganze Bauch war durch angesammeltes Wundwasser aufgebläht, das durch regelmäßiges (schmerzhaftes) punktieren behandelt werden mußte.
Ich wollte Cayenne nicht noch länger leiden lassen und beschloß, ihren Nabelbruch nicht noch einmal korrigieren zu lassen. Sollte sie irgendwann wieder Schmerzen haben oder sollte es zu einem Darmvorfall kommen, wäre immer noch genug Zeit, sie noch einmal operieren zu lassen.

Die Adventszeit kam und mein Mann und ich beschlossen, mit Cayenne gemeinsam nach Essen zu fahren, Freunde und Verwandte zu besuchen und schließlich meine Mutter mit zu uns zu nehmen um mit ihr die Weihnachtsfeiertage bei uns in Norddeutschland zu verbringen.
Am Tag nach unserer Rückkehr erbrach sich Cayenne nach dem fressen. Da sie aber ansonsten so agil wie immer war, dachten wir uns nichts dabei. Am nächsten Tag war es das Gleiche und ich begann mir etwas Sorgen zu machen. Nachdem sie am Vortag das Futter wieder ausgespuckt hatte, hatte sie nichts mehr gefressen und nun hatte sie wieder nichts in den Bauch bekommen!
Ich weiß nicht, wie das bei anderen Hunden - besonders bei anderen Welpen - ist, aber Cayenne fraß immer etwas schlechter, so dass sie nie das Problem hatte, zuviel zu wiegen. Bei ihr war es eher so, dass wir darauf achten mußten, dass sie genug fraß um ihre Entwicklung nicht zu stören. Am Abend des zweiten Tages beobachteten wir etwas, dass uns endgültig alarmierte: Cayenne stand vor ihrem Wassernapf, hatte den Kopf nach unten gebeugt, wie um zu trinken, tat es aber nicht. Die Schnauze schwebte wenige Zentimeter über der Wasseroberfläche, ohne sie zu berühren.
Am nächsten Tag mußte ich in der Frühschicht arbeiten und mein Mann fuhr mit Cayenne zum Tierarzt. Inzwischen hatte sie schlimmen Durchfall und auch schon merklich abgenommen.
Der Tierarzt behielt sie vorerst in der Praxis, um verschiedene Untersuchungen mit ihr zu machen, so dass wir nach meiner Schicht hinfuhren um Cayenne abzuholen. Doch es kam anders. Der Tierarzt erklärte uns, dass der Verdacht auf eine Darmverschlingung bestünde. Gerade bei jungen, agilen Hunden käme es manchmal vor, dass sich der Darm im Bauch drehte und es so zu einem akuten Darmverschluß käme. Man hatte den Nachmittag über mehrmals versucht, der Kleinen ein Kontrastmittel oral zu verabreichen um eine aussagekräftige Röntgenaufnahme zu bekommen, doch hatte sie das Mittel jedes Mal so schnell wieder erbrochen, dass dies nicht möglich gewesen sei. Der Tierarzt klärte uns dann über die Risiken des bevorstehenden Eingriffs auf. Da Cayenne noch sehr jung war, in den letzten drei Tagen nicht mehr gefressen hatte und dementsprechend abgemagert war, konnte es passieren, dass sie die OP nicht überleben würde! Doch ohne OP stünden die Chancen gleich bei Null!!!
Natürlich gab ich (wenn auch schweren Herzens) das OK für die Operation. Ich bekam Cayenne gar nicht mehr zu Gesicht. Sie wurde gleich in Narkose gelegt und das Warten begann. Man riet uns, nach Hause zu fahren und dort auf den Ausgang der OP zu warten, aber das konnte ich nicht – ich wollte in der Nähe meiner kleinen Lakritzpfote, wie ich sie manchmal nannte, sein.
Knapp eine Stunde später hatte ich sie im Arm liegen. Sie hatte die OP überstanden und schlief noch die Narkose aus. Der Tierarzt sagt, dass alles in Ordnung sei. Sie hätten tatsächlich eine Darmverschlingung gefunden und behoben, so dass nun einer raschen Genesung nichts mehr im Weg stünde. Ich war überglücklich!
Doch die kommende Nacht war um so schlimmer ....

Cayenne schlief damals bei uns im Bett, zwischen meinem Mann und mir. Sie kuschelte sich gern in meine Armbeuge und konnte so auch stundenlang schlafen; unter normalen Umständen. In dieser Nacht versuchte sie auch, sich an ihren gewohnten Platz zu legen, doch gestaltete sich das nicht so einfach ... Ich bin bei Tieren immer erstaunt zu sehen, wie sie große OP-Narben einfach wegstecken, als wäre nichts gewesen. Erst kürzlich sah ich im Fernsehen einen Hund, dem ein 2,2 Kilo schweres (und dementsprechend großes) Fettlipom (ein gutartiges Fettgeschwür) aus der Flanke entfernt wurde und der danach ganz normal laufen konnte. Wenn ein Mensch eine derart große frische Naht hätte, würde er sich schwerlich gleich auf die nächste Tanzfläche schwingen!
Wie gesagt, Hunde sind da normalerweise anders, doch bei Cayenne war so einiges nicht normal ...!
Ich denke mal, es kam durch die vorangegangenen 3 Nabel-OPs – dass dadurch die Bauchdecke schon ziemlich gestrafft war, auch wenn diese OPs schon ein paar Wochen zurück lagen; auf jeden Fall hatte sie arge Probleme sich hinzulegen. Sie saß auf dem Bett an gewohnter Stelle um sich in meinen Arm zu kuscheln, aber sie hatte Schwierigkeiten, sich aus der sitzenden Position zu legen. Sie saß an mich angelehnt und war natürlich sehr, sehr müde. Das Köpfchen sank langsam runter, die Vorderpfoten rutschten über die Decke, der ganze Körper entspannte sich langsam. Bis ein bestimmter Punkt der Entspannung erreicht war, an dem ihr der Bausch sehr weh zu tun schien. Gerade noch war sie am einschlafen gewesen und plötzlich jaulte sie vor Schmerzen auf und saß wieder kerzengerade neben mir. Ich versuchte, sie so zu stützen, dass sie sich hinlegen konnte, doch verursachte es ihr anscheinend Schmerzen, wenn sie die Bauchmuskulatur locker lies. Dabei konnte ich ihr leider nicht helfen – ich konnte nur bei ihr sein, mit ihr reden, sie streicheln und beruhigen. Es ging die ganze Nacht so weiter ... eindösen, Muskeln lockern, vor Schmerzen aufjaulen, sich zitternd an mich lehnen, eindösen, usw. Gegen Morgen kam auch noch trockenes Würgen dazu. Alle halbe Stunde verkrampfte sich ihr kleiner, schon so mitgenommener Körper und sie litt noch mehr Schmerzen.
Als es endlich Zeit zum Aufstehen war, rief ich gleich in der Tierarztpraxis an und schilderte die Probleme der Nacht. Der Tierarzt war ratlos und versprach, Cayenne bald abzuholen und noch mal genauestens zu untersuchen.
Gleich nachdem Cayenne abgeholt worden war, mußte ich wieder zur Arbeit. Nur gut, dass ich mich in dem Job nicht allzusehr konzentrieren mußte. Nicht nur, dass ich die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, meine Gedanken waren natürlich ständig bei Cayenne und ich rief sicher jede Stunde Zuhause an, um zu erfahren, ob sich der Tierarzt schon gemeldet hätte. Gegen 14 Uhr kam mein Mann in die Spielhalle und sein Gesicht sagte mir nichts Gutes. Die Tierarztpraxis hatte angerufen: wahrscheinlich würde Cayenne den Tag nicht überleben. Es sei schon jetzt ein kleines Wunder, dass sie überhaupt noch lebte!!
Dank meiner mitfühlenden Kollegin konnte ich die Spielhalle eine gute halbe Stunde früher verlassen und fuhr mit meinem Mann gleich zum Tierarzt. Denn man hatte uns am Telefon gesagt, dass wir sie besuchen kommen dürften.
Ich kam in den Behandlungsraum und da lag sie. Nur durch eine dünne Decke vom kalten Boden getrennt. In ihrer Pfote steckte eine Infusion. Ich ging zu ihr hin und als ich mich bei ihr hinkniete, sah sie mich an und wedelte einmal mit dem Schwanz. Sie hatte so wenig Kraft, dass man schon genau hinsehen mußte, um die Bewegung zu sehen.
Ich saß bei ihr auf dem Boden, streichelte ihren ausgemergelten Körper und weinte vor mich hin. Cayenne lag da, als wäre sie schon zu zwei Dritteln von uns gegangen und nur ihr sterblicher Körper und ein klitzekleiner Rest Leben wäre zurück geblieben. Dann mobilisierte sie noch einmal ihre Kräfte und leckte mir langsam über die Hand.
Das war dann endgültig zuviel für mich. Ich verließ die Praxis und lief erstmal heulend durch die angrenzenden Felder. Als ich mich soweit beruhigt hatte, dass ich nicht bei jedem Gedanken an Cayenne wieder in Tränen ausbrach, ging ich zurück zur Praxis und sprach mit dem Tierarzt.
Cayenne hatte eine Virusinfektion, sie hatte die gefürchtete Parvovirose. Das Virus ist vor allem für Welpen und für alte Hunde gefährlich und eigentlich sollten Hunde dagegen geimpft werden, doch hatte sich bei Cayenne die Impfung infolge der häufigen OPs immer wieder verschoben, so dass sie dem Virus auf der Rückreise schutzlos ausgeliefert war. Selbstverständlich wurde sie gleich gegen die Parvovirose behandelt, als die Diagnose gesichert war, doch blieb die Frage, ob es nicht schon zu spät wäre.
Cayenne blieb zur intensivmedizinischen Betreuung in der Praxis und wir machten aus, dass wir uns nur noch telefonisch nach ihr erkundigen würden, denn der Tierarzt meinte, ein Besuch von mir, würde die kleine Patienten doch zu sehr anstrengen. Ich glaube eher, dass er mir diese Begegnung ersparen wollte!

Ich telefonierte jeden Morgen und jeden Abend mit einer der Arzthelferinnen. Sie waren alle sehr nett zu mir und es war deutlich, dass alle ihr Herz an die kleine Kämpferin verloren hatten. Und Cayenne verstand es wirklich zu kämpfen! Was keiner für Möglich gehalten hatte, trat doch ein: sie erholte sich langsam.
Am Morgen des 24. Dezember 2000 rief mich der Tierarzt an und sagte, er wolle mal „vorbei kommen“. Gespannt warteten wir auf seine Ankunft. Als wir endlich das Auto hörten und zur Tür hinaus stürzten, sahen wir den Tierarzt allein um die Hausecke kommen. Ich hatte gedacht, er würde Cayenne mitbringen, doch er hatte sie nicht auf den Armen. Ich war ziemlich enttäuscht. Da plötzlich kam sie ganz allein um die Ecke gelaufen! Vielleicht noch ein wenig wackelig auf den Beinen, aber munter wie eh und je!

Ich kann nicht wirklich in Worte fassen, wie glücklich ich war. Vielleicht reicht es zu sagen, dass ich an diesem „Heiligmorgen“ das schönste Weihnachtsgeschenk meines Lebens bekam.


4 Tage später starb ein großer, etwa 40 Kilo schwerer Rottweiler eines Kollegen an den Folgen der Parvovirose. Ich hatte meinen Kollegen gewarnt, bitte nicht seinen Hund mit in die Spielhalle zu bringen. Er verharmloste die Gefahr, brachte seinen Hund mit und mußte schon kurze Zeit später für immer Abschied von ihm nehmen.
"Baby" hatte nicht die Kraft und den Lebenswillen, der Cayenne gerettet hatte.

© 2008 Heike Riedel

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 15.12.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Cayenne, in der Hoffnung, dich noch viele Jahre bei mir haben zu dürfen.

Nächste Seite
Seite 1 /