Der große Krieg gegen die Xar ist vorbei, und nur die Kapitulation hat die Menschheit vor der Auslöschung bewahrt. Die UEF, die United Earth Forces, teilt sich seitdem nur durch das Wohlwollen der kriegerischen Alienrasse in einen zivilen und militärischen Zweig und diese bilden in sich eine meist unstimmige Koalition. Als der Kontakt zu einem der in den Weiten des Alls forschenden Außenposten der UEF abbricht, wird ein Aufklärungsteam losgeschickt, doch auch dieses meldet sich nicht mehr. Die ehemalige Elite-Soldatin Michelle Dent wird aus dem Ruhestand reaktiviert und bricht auf, um auf dem Planeten Skarth Nachforschungen anzustellen. Dort angekommen treffen sie auf einen gnadenlosen Feind, der ihnen nach dem Leben trachtet, und als Michelle und ihr Team erkennen, welchen Zweck der dem Militär unterstellten Außenposten wirklich hat, stecken sie plötzlich mitten in einer Verschwörung, die den Fortbestand der Menschheit aufs Äußerste bedroht...
Über den Autor:
André Höhle, Jahrgang ´74, entdeckte seine Leidenschaft für das geschriebene Wort bereits in frühen Jahren. Seitdem widmet er sich der Erschaffung neuer, fantastischer Welten und verfasst temporeiche »Actionfilme fürs Kopfkino«.
Von ihm stammt unter anderem die Fantasy-Heldentrilogie »Die Chroniken von Lór« und »Der Name der Macht«.
»Skarth« ist sein erster Ausflug ins Science-Fiction-Genre.
Er lebt mit seiner Familie in Nordrhein-Westfalen
André Höhle
Skarth - Der Außenposten
Erster UEF-Roman
Für L.
Immer ein strahlendes Licht
UEF - Hauptquartier, Erde
22.37 Uhr
»Chief Biston?« Die unterschwellig zitternde Stimme des Mannes war von Sorge und Unsicherheit erfüllt. »Ich habe eine beunruhigende Nachricht, Sir.«
Der an einem mit Knöpfen, Schaltern und blinkenden Lichtern übersäten Kontrollpult sitzende Mann schnaubte genervt und nahm seinen Blick von dem riesigen, eine Wand ausfüllenden Monitor, auf dem sämtliche Planeten mit Außenposten der UEF grafisch dargestellt waren. Tag für Tag las er die gleichen Daten ab und war der Monotonie schon lange mehr als überdrüssig. Die Leitung der SKA innezuhaben, der Systemkommunikationsabteilung, war in seinen Augen zu einem der miesesten Jobs innerhalb der UEF geworden. Er drehte sich mit seinem Stuhl herum und sah den Funker mürrisch an.
»Was gibt es denn, Henders?«,
»Ich habe den Kontakt zum Außenposten Skarth endgültig verloren.«
Biston sah seinen Untergebenen fassungslos an, dann stieß er sich mit einem schnellen Ruck von seinem Stuhl ab und sprang auf die Beine, wobei er das kurze Schwindelgefühl mit geübter Sicherheit überspielte.
»Was heißt hier endgültig? Wie lange haben wir denn schon Störungen auf dieser Frequenz?«
»Seit fast einer Stunde«, sagte Henders nervös. »Ich hielt es zuerst für Sonneneruptionen, Planetenschatten oder Trümmer in anderen Systemen. Das kommt ja hin und wieder vor. Aber nun...«
»Aber nun, aber nun«, unterbrach ihn Biston. »Aber nun heißt, dass wir jetzt gewaltigen Ärger haben! Sehen Sie zu, dass die Leitung in fünf Minuten wieder steht, sonst muss ich das Oberkommando informieren.« Er kam ganz nahe an Henders Gesicht heran. »Und dann haben wir einen Menge Probleme!«
»Ja, Sir!«, rief der Funker und klemmte sich wieder die Kopfhörer an die Ohren. Der Unterton in Bistons Stimme, wer von ihnen dann die größeren Probleme haben würde, war ihm nicht entgangen.
Biston richtete sich auf und schüttelte genervt den Kopf. Nachtschicht in diesem Bunker, dazu einen Typ wie Henders an der Seite, das konnte ja nur Ärger geben. Nicht, dass der Funker kein guter Mann war. Er leistete exzellente Arbeit. Jedoch war Biston derzeit in einer Stimmung, in der man lieber allein sein sollte. Zu viele Sachen hatten sich in seinem persönlichen Umfeld ereignet, und er suchte immer noch nach einem Weg, diese Geschehnisse von seiner Arbeit zu trennen. Doch da der Job so monoton und ereignislos war, hatte er genug Zeit, sich seine Probleme immer wieder vor Augen zu führen. Und zu allem Überfluss gab es nun auch noch eine Krise, die schleunigst bereinigt werden musste.
Der von summenden, brummenden, fiependen und piepsenden Computern, Funkgeräten, Langstreckensensoren, Monitoren und Hunderten von Lämpchen und Schaltern erfüllte Raum trieb ihn allmählich in den Wahnsinn. Als vorgesetzter Offizier musste Biston alles im Auge behalten und durfte dabei nicht die Übersicht verlieren. Nun hatte er einmal nicht aufgepasst, die Verantwortung für Sektor Z-48 an Henders übergeben, und prompt fehlte ihm ein Planet. Wie schwer konnte es sein, alle fünfzehn Minuten den Status abzufragen?
Henders riss ihn aus seinen Gedanken.
»Sir, ich habe wieder Kontakt mit Skarth«, meinte er und hielt eine Hand an seinen Kopfhörer gepresst. »Der Außenposten hatte Probleme mit der Energieversorgung.«
»Na also. Nur gut, dass ich das Oberkommando noch nicht informiert hatte. Da hätten wir ziemlich blöd dagestanden.« Biston schob die Hände in die Hosentaschen und ging in Richtung Tür. »Ich bin jetzt mal eine Weile indisponiert«, sagte er und warf Henders einen scharfen Blick zu. »Verlieren Sie in der Zeit nicht wieder jemanden.«
»Nein, Sir«, bemerkte Henders und lächelte. »Das wird nicht mehr vorkommen.«
Biston verschwand durch die zischende Schleusentür, und ein von Sorge geplagter, dunkler Schatten legte sich über Henders Gesicht. Er widmete sich seinem Kontrollpult, drehte an Reglern, betätigte Knöpfe und schaltete auf die großen Lautsprecher um, deren brummendes Rauschen sofort den gesamten Raum erfüllte.
»Skarth, hier spricht SKA Erde. Bitte melden!«
Keine Antwort.
»Skarth! Kommt schon, Leute. Tut mir das nicht an!«, sagte er flehend.
Doch aus den Lautsprecherboxen kam nur statisches Rauschen. Der Kontakt zum Außenposten Skarth war nach wie vor abgebrochen.
»So eine Scheiße«, murmelte Henders.
UEF Außenposten Mars
8.27 Uhr, nächster Morgen
Debbie Verson gähnte. Die Nachtschicht hatte sie erfolgreich hinter sich gebracht und in wenigen Minuten erschien ihre Ablösung. Dann hatte sie drei freie Tage, und sie wusste genau, wo sie diese verbringen würde. Seit Wochen freute sie sich auf den Kurztrip, den sie im Star-Resort auf dem Mond verbringen würde. Ein wenig Entspannung, feiern und tanzen und vielleicht eine nette Bekanntschaft machen. Es wurde wirklich Zeit, dass jemand sie mal wieder aus ihrem Alltagstrott riss.
Als Erholungsmöglichkeit für die Soldaten ins Leben gerufen, war das Resort nach Kriegsende schnell für alle Angehörigen der UEF umstrukturiert worden. Ihr erster Besuch dort war unvergesslich gewesen, und sie freute sich sehr darauf, diese Erinnerung aufzufrischen.
Sie stand auf und reckte sich. Diese Lehnstühle mochten noch so bequem sein, aber nach mehreren Stunden wurden auch sie unerträglich.
Eine Abfolge schneller Pieptöne riss sie aus ihren Gedanken.
Seufzend nahm sie wieder Platz und schaltete die Frequenz frei, auf der eine Meldung eintraf.
»Hier Verson, UEF Außenposten Mars. Nennen Sie Ihre Kennung und Ihr Anliegen«, sagte sie mit professioneller Routine.
Statisches Rauschen drang an ihre Ohren, unterbrochen von scharrenden Tönen und einem Rascheln, als würde jemand in Papierfetzen wühlen.
»Hier ist der UEF Außenposten Mars. Geben Sie Antwort!«
Sie sah auf die Armaturen. Es war zwar ein offizieller UEF-Kanal, aber sie konnte sich nicht erinnern, mit diesem schon einmal Kontakt gehabt zu haben. Debbie runzelte die Stirn.
»Hallo?«, fragte sie vorsichtig. Ein mulmiges Gefühl breitete sich ihn ihren Eingeweiden aus.
Das Rauschen verstärkte sich, schwächte wieder ab und wurde von mehreren hohen Kreischtönen abgelöst, die in resonante Schwingungen übergingen und wiederum in einem unangenehmen Rauschen endeten. Sie verzog das Gesicht.
Debbie betätigte einige Regler und legte Schalter um, um eine effizientere Wiedergabequalität zu erreichen. Gleichzeitig ließ sie die Frequenzerkennung laufen.
»Hier UEF Außenposten Mars. Bitte melden Sie sich!«
Das Rauschen ebbte langsam ab, und das nervenzerreißende Kreischen verschwand im Hintergrund. Der Empfang wurde klarer, immer noch leicht verzerrt, aber nun konnte sie besser hören.
»Hallo?« wiederholte sie.
Jemand atmete. Schwer, langsam.
»Hier Außenposten Mars. Melden Sie sich, oder ich werde umgehend Meldung über eine nicht autorisierte Benutzung offizieller Kanäle machen.«
Ihr Gesprächspartner knurrte, leise, heiser, bedrohlich. Irgendwo öffnete sich eine hydraulische Tür. Dann Schüsse. Ein Kreischen. Ein panischer Aufschrei, eindeutig menschlich. Ein bellender, jaulender Laut. Dann Stille. Kein Rauschen, kein Piepen, Knistern oder Knacken in der Leitung. Vollkommene Stille.
»Hallo?«, fragte Debbie erneut, doch im gleichen Moment wurde ihr die Nutzlosigkeit dieser Aussage bewusst. Dieses Geräusch, dieses Knurren. Wie von einem wilden Tier. Wer hatte geschrien? Wer hatte geschossen?
Sie musste sofort Meldung machen. Debbie sah auf die blinkende Konsole und las den Ausgangspunkt des eingegangenen Funkspruchs ab. Dann schaltete sie um auf eine interne Leitung und rief das Hauptquartier.
»UEF-Hauptquartier, hier Außenposten Mars, Debbie Verson.«
Ein kurzes Knacken, dann die Antwort. »Mars, hier Erde, die SKA im UEF-Hauptquartier. Was können wir für Sie zu so früher Stunde tun?«
»Ich habe soeben eine beunruhige Funkübertragung aufgefangen«, sagte Debbie. »Die Aufzeichnung übersende ich Ihnen in diesem Augenblick, und ich möchte Sie bitten, sich diese einmal anzuhören.«
»Mars, wo ist der Ursprung dieser Meldung?«
Debbie las die Herkunft von ihrer Anzeige ab.
»Sektor Z-48. Außenposten Skarth.«
UEF-Hauptquartier, Erde
11.52 Uhr
Die zum wiederholten Male abgespielte Aufzeichnung stoppte, und Ratlosigkeit breitete sich auf den Gesichtern der Anwesenden aus.
Bis auf die angespannten Atemzüge erfüllte Stille den von kaltem Neonlicht erhellten Raum. Schließlich ergriff Gerrit Hauser, der für militärische Einsätze verantwortliche Koordinator, das Wort.
»Das klingt nach Ärger. Definitiv eine Kampfhandlung mit einem unbekannten Feind. Wir sollten nach dem Rechten sehen.«
»Wieso glauben Sie an einen Feind? Könnte es nicht eine Auseinandersetzung zwischen den dort stationierten Wissenschaftlern und dem Wachpersonal sein?« Louis Sabton schaute in die Runde. Sein weißer Kittel unterschied ihn als einzigen von den uniformierten Militärangehörigen.
Hauser sah ihn an. »Sie haben doch dasselbe gehört wie wir, oder? Ich bezweifle, dass unsere Leute jaulend und knurrend aufeinander losgehen.«
»Und wenn es einen Vorfall gab? Viele der dort stattfindenden Forschungen sind zwar geologischer Natur, aber bei einigen Experimenten könnte...«
»Ich stimme Captain Hauser zu«, unterbrach Colonel Donald Bess, Befehlshaber der interstellaren Eingreiftruppen, den Wissenschaftler. »Da wir keinen Kontakt mehr bekommen, müssen wir nachsehen, was vor sich geht.«
Alle Augen richteten sich auf den Mann am Kopf des Tisches, als dieser sich räusperte und mit zusammengelegten Händen vorbeugte.
»In erster Linie interessiert mich, warum ich nicht umgehend informiert wurde«, sagte General Kenneth DiPeccio ernst. Er war der Kopf des UEF-Militärs, welches seit Kriegsende jedoch einer Zivilregierung unterstellt war, die den Großteil der Verantwortung für wissenschaftliche Einrichtungen und für die Belange der Menschen insgesamt trug. Zwar verfügte das Militär auch über Forschungsabteilungen, doch deren Einsatz war hauptsächlich auf Kriegszeiten ausgelegt. Da Frieden herrschte, bildete das Militär und die Zivilregierung eine unstimmige Koalition, und sämtliche militärischen Belange hingen von der Bewilligung finanzieller Förderung des Zivilrates ab.
Er tippte auf einen der vor ihm im Tisch eingelassenen Bildschirme. »Laut diesem Bericht ist der Kontakt mit dem Außenposten Skarth bereits gestern Abend gegen 21.30 Uhr abgebrochen. Auch wenn er der entlegenste unserer Posten ist, muss dennoch jede Störung umgehend gemeldet werden. Er ist eine aktive Einrichtung, verdammt noch mal!«
Er drehte sich nach links und sah auf Chief Biston, der zusammengekauert in seinem Sessel saß und stumm auf den Tisch starrte.
»Also, Chief Biston? Als Leiter der SKA sind Sie mit den Vorschriften vertraut. Warum wurde ich nicht informiert? Und kommen Sie mir nicht mit der Ausrede, dass Sie mich nicht wecken wollten.«
Biston schluckte, dann nahm er eine gerade Sitzhaltung ein und sah DiPeccio ins Gesicht. Ihm war anzusehen, wie schwer es ihm fiel, die Verantwortung für diesen Schlamassel zu tragen.
»Ich verließ mich auf die Aussage eines Funkers, der behauptete, den Kontakt zu Skarth wieder hergestellt zu haben. Ich sah keinerlei Anlass, warum ich ihm hätte misstrauen sollen.« Er sah keinen Grund, Henders Namen zu nennen. Seine Karriere war ohnehin beendet, und dass er die Schicht der letzten Nacht mit dem Funker verbracht hatte, war in den Dienstplänen einzusehen. Zwar brachte ihm dieses kollegiale Verhalten keine Pluspunkte mehr, doch er wollte seine Situation nicht noch mehr verschlimmern, indem er unausgesprochene Regeln brach.
DiPeccio brummte. »Sie sehen ja, was passiert, wenn man die Vorschriften schleifen lässt. Dass diese Situation ernsthafte Konsequenzen für sie hat, können Sie sich wohl denken. Sie können gehen, Mister Biston.«
Stumm beobachteten die anderen, wie Biston schwer schluckte, sich erhob, den Stuhl behutsam an den Tisch schob, den Arm an den Kopf hob, sich dann aber jedoch anders entschied und dem General langsam zunickte. Durch den Verlust seiner militärischen Zugehörigkeit war er nicht mehr dazu verpflichtet, zu salutieren.
»Ja, Sir«, sagte er leise und verließ den Raum.
DiPeccio schaute in die Runde, nickte Hauser zu und wandte sich an Colonel Bess.
»Sie haben recht. Wir werden sehen, was dort vorgeht. Stellen Sie ein Team zusammen und koordinieren Sie den Einsatz. Ich werde mit der Zivilregierung sprechen. Ich will, dass wir spätestens um 15.00 Uhr bereit zum Aufbruch sind. Wir treffen uns im Transportzentrum. Das wäre alles. Weggetreten!«
UEF-Hauptquartier, Erde
Transportzentrum
15.00 Uhr
Der gewaltige Kuppelbau war erfüllt von geschäftigem Treiben, piependen und summenden Computeranlagen und gewaltigen Holo-Monitoren, auf denen jede Transportbewegung der Plattformen registriert wurde.
Sechs dieser stählernen Basen unterschiedlicher Größe bestimmten kreisförmig den Mittelpunkt des Gebäudes. Die kleinste Plattform hatte Platz für ein Standardeinsatzfahrzeug der UEF – ein gepanzertes, bulliges Vehikel mit schwerer Bewaffnung und Platz für sechs Soldaten - , während auf der größten ein UEF-Kampfkreuzer Position beziehen konnte. Die Plattformen hatten relevante Gegenstücke sowohl auf allen Planeten, auf denen sich Außenposten der UEF befanden, als auch im Orbit, um die großen Raumschiffe in der Umlaufbahn abzusetzen.
Ein Transport dauerte von wenigen Sekunden bis hin zu mehreren Minuten, je nach Entfernung des Ziels. Hierbei wurde jede Person und jeder Gegenstand in seine Atome zerlegt und auf Basis des EPR-Effekts, der zu Anfang des 20. Jahrhunderts noch als Paradox und damit als unmöglich galt, superluminar übertragen.
Donald Bess stand an einer der Konsolen und beobachtete die Techniker bei der Eingabe der Koordinaten des Ziels. Hinter ihm standen sechs Männer in UEF-Einsatzrüstungen, mit geschulterten Waffen und Munitionskisten zu ihren Füßen.
DiPeccio hielt sich, von seinem Stab umringt, in der Nähe der Transportplattform auf, die für den Einsatz vorbereitet wurde, doch seine Augen ruhten auf den Männern, die geduldig darauf warteten, aufzubrechen. Eine hochtrainierte Einsatztruppe, willensstark und bis in die kaum sichtbaren Haarspitzen diszipliniert.
Bess wechselte einige Worte mit dem Techniker, dann fuhr er herum und richtete das Wort an die Soldaten.
»Männer, stehen sie bequem. Wie ihnen bereits mitgeteilt wurde, schicken wir sie auf eine Aufklärungsmission. Bringen sie in Erfahrung, was auf unserem Außenposten auf Skarth vorgefallen ist. Sichern sie die Anlage, stellen sie Kontakt mit unseren Leuten her, leisten sie, sofern nötig, erste Hilfe und sollte eine feindliche Präsenz zugegen sein, erwidern sie jeden Angriff mit letaler Präzision. Die Hauptpriorität sind jedoch die Wissenschaftler und das Personal. Eine Rettung steht vor jedem Kampf, außer es ist unabdinglich. Haben sie ihre Befehle verstanden?«
»Ja, Sir«, antwortete Captain Frank Jayno für das gesamte Team. »Suchen und retten. Die Befehle sind eindeutig.« Er salutierte und wandte sich an seine Männer. »Munition aufnehmen. Standardausrüstung. Helme und Kommunikation prüfen. Nobb, du nimmst das Funkgerät. Und dann Abmarsch!«
»Verstanden, Captain«, bellten die Männer und machten sich bereit.
Die sechsköpfige Truppe postierte sich kreisförmig auf der kleinen Plattform, um nötigenfalls umgehend in alle Richtungen reagieren zu können.
»Machen Sie umgehend Meldung, sobald sie angekommen sind, Captain«, meinte Bess und nickte dem Truppenführer bekräftigend zu.
»Jawohl, Sir«, erwiderte Jayno und gab durch ein kräftiges Nicken zu erkennen, dass sie bereit für den Transport waren.
Bess wechselte einen Blick mit DiPeccio, der seine Zustimmung für den Einsatz gab. Der Techniker hob bestätigend den Daumen und leitete den Transport ein. Ein glockenheller Laut ertönte, blaues Licht formte eine Kuppel über der Transportplattform. Die Soldaten wurden transparent und waren im nächsten Moment verschwunden.
UEF-Hauptquartier, Erde
Transportzentrum
15.26 Uhr
Das Team meldete sich nicht.
Bess, DiPeccio und sein enger Stab standen angespannt vor den Konsolen, beobachteten die Bildschirme und wichen den ratlosen Blicken der Techniker imemr wieder aus, während sie auf den vereinbarten Funkspruch warteten. Mittlerweile mussten sich Jayno und sein Team einen Überblick verschafft haben. Selbst wenn sie auf Widerstand gestoßen wären, hätte eine Kommunikation stattfinden müssen. Stattdessen herrschte auf dem eingerichteten Kanal vollkommene Stille.
»Etwas ist passiert«, sagte Bess und brach damit das Schweigen. Er seufzte angespannt und sah zu DiPeccio. Dieser rieb sich nachdenklich das Kinn.
»Der Transport hat problemlos stattgefunden«, meldete sich Techniker Phillips zu Wort. »Laut den Anzeigen hat die Gegenplattform die Ankunft bestätigt. Danach gab es merkwürdigerweise keinerlei Übertragung irgendwelcher Daten. Ich suche noch die Ursache des Problem, Sirs. Wie schnell ich mit einer Lösung aufwarten kann, möchte ich nicht leichtsinnig spekulieren.« Er suchte entschuldigend Blickkontakt, und Bess nickte ihm verständnisvoll zu.
»Fangen Sie an, Phillips. Sobald Sie etwas entdeckt haben, sagen Sie uns Bescheid.«
Er wandte sich an DiPeccio, der sich leise mit seinen Beratern unterhielt. Bess räusperte sich und bekam die gewünschte Aufmerksamkeit.
»Plan B, Sir?«, wollte er wissen.
DiPeccio kniff die Augen zusammen. »Sie haben einen Plan B, Colonel? Wir haben den Kontakt zu einer Kampfeinheit im Wert von 4,5 Millionen Dollar verloren. Dies muss ich vor der Zivilregierung verantworten. Was haben Sie jetzt vor?«
Bess schaute den General einen Moment fassungslos an, fing sich aber sofort wieder. Die Tatsache, dass sie Menschenleben zu verantworten hatten, belastete DiPeccio offenbar weniger als der Verlust des Geldes, dass die Ausbildung der Männer gekostet hatte. Er hatte schon immer schwelende Probleme mit diesem Mann gehabt, aber nun hatte DiPeccio einen Punkt erreicht, an dem Bess im zivilen Leben seinem Gegenüber eine rein gehauen hätte. Aber er war Soldat und Disziplin hielt die Maschinerie zusammen. Er schluckte die auf seiner Zunge liegende Antwort mit einem bitteren Nachgeschmack herunter.
»Plan B sieht vor, ein Kampfschiff zur Aufklärung nach Skarth zu schicken. Da der Planet bedauerlicherweise nicht über eine Orbitplattform verfügt, müssen wir auf das nächstgelegene System mit einem Außenposten zurückgreifen. Von dort aus fliegt es zu seinem Ziel, entsendet Bodentruppen und sieht nach unseren Leuten.«
»Von welcher Zeitspanne reden wir?«, wollte DiPeccio wissen.
»Zwei Wochen«, rief Techniker Phillips ins Gespräch hinein und deutete auf einen weiteren Monitor, ohne von seiner momentanen Arbeit aufzusehen. Keiner der Anwesenden rügte ihn für sein Verhalten. Bess konnte in DiPeccios Augen förmlich sehen, wie dieser schon wieder zu rechnen begann.
»Ich habe Captain Grimmers von der Navoyer bereits informiert. Das Schiff wird einsatzbereit sein, sobald der Befehl kommt, Sir«, sagte Bess.
DiPeccio blickte in die Runde.
»Das muss ich mit der Zivilregierung abklären. Seit dem Ende des Krieges mit den Xar sitzen die mir für jeden Dollar, den wir für militärische Zwecke ausgeben, im Nacken. Der Einsatz eines Kampfschiffs in offiziellen Friedenszeiten ist eine multimillionenschwere Ausgabe.«
»Ich verstehe, Sir«, sagte Bess und presste die Zähne aufeinander, um sich unter Kontrolle zu behalten. »Dann kann ich Ihnen nur noch Option C anbieten.«
DiPeccios Augen weiteten sich. »C? Wie viele Pläne haben Sie eigentlich? Ich habe Ihnen doch gerade gesagt, dass die Zivilregierung nicht sehr von horrenden Ausgaben begeistert ist. Was haben Sie denn jetzt vor?«
»Ein zweites Aufklärungsteam«, sagte Bess knapp, salutierte und begab sich zum Ausgang.
»Das wird auf keinen Fall genehmigt werden«, rief DiPeccio ihm nach.
»Ich kenne da eine Person, die für diesen Job genau richtig ist. Die Zivilregierung wird Kosten einsparen. In Relation zu einem Kampschiff werden die Kosten für ein zweites Team akzeptiert werden.«
»Und wen haben Sie da im Auge?«
Bess blieb stehen. Er lächelte. Diesen Gesichtsausdruck wollte er auf keinen Fall verpassen. Er drehte sich herum und sah DiPeccio an.
»Dent«, sagte er. »Michelle Dent.«
DiPeccios entgleisende Gesichtszüge verschafften ihm eine befriedigende Genugtuung. Er salutierte erneut und verließ das Transportzentrum.
Neu - Frankreich, Europa
vormittags
Bess ließ den Thermomotor des stromlinienförmigen Jetters verstummen und stieg aus dem Standardfahrzeug der UEF. Er ließ seinen Blick über die weite Ebene des vor ihm liegenden Tals schweifen und war von der berauschenden Bilderpracht der Natur überwältigt. Der Duft von Veilchen und Weizen drang in einer seltsamen, jedoch nicht unangenehmen Mischung in seine Nase. Er beneidete Dent. Sie lebte hier draußen, in einer technikfreien Zone in Neu-Frankreich. Nach Kriegsende war das neu aufgebaute Land zu einer Friedensregion ernannt worden, um sowohl traumatisierten Veteranen als auch Zivilisten die Möglichkeit zu geben, fernab von Verbindungen und Erinnerungen wieder zu sich selbst zu finden. Dazu gehörte auch der Verzicht auf nahezu jeglicher Technologie, sofern diese nicht lebensbejahend und notwendig war.
Als aktiver Soldat war er in einem der High-Tech-Zentren geblieben, in denen man sich nicht einmal selber den Hintern abwischen musste, wenn man es wollte. Eine mit Sensoren ausgestattete Drohne besorgte die Reinigung. Bess hatte diesen Service einmal genutzt, sich dann aber doch für die gute, alte Methode entschieden.
Bess schritt einen mit Kies ausgelegten Weg entlang und steuerte ein kleines, aus roten Steinziegeln erbautes Häuschen an, das von einem sorgsam gepflegten Garten umgeben war, in dem mehrere kleine Wassertränken für Vögel und ein paar jahrhundertealte Antiquitäten - kleine, rotgrüne Zwerge mit putzigen weißen Bärten - standen.
So leben also ehemalige UEF-Elitesoldaten, dachte Bess mit einer Spur Wehmut, blieb vor der Eingangstür stehen, richtete seine Uniform und betätigte den Klingelknopf.
Ein tiefes Summen erklang hinter der mit Ranken verzierten Holztür, und wenige Sekunden später waren Schritte zu vernehmen, die hinter der Tür stoppten. Ein Riegel wurde zurückgezogen und die Tür schwang nach innen auf.
»Hallo, Michelle«, begrüßte Bess die Frau im Türrahmen.
»Colonel Bess«, erwiderte sie tonlos. Es war deutlich zu erkennen, dass sie nicht erfreut war, ihren ehemaligen Befehlshabenden zu sehen.
»Wie geht es Ihnen?«
»Man lebt.«
»Wollen wir uns hier draußen unterhalten oder lassen Sie mich herein?« fragte Bess höflich und lächelte.
Dent sah ihn mit einem Gesichtsausdruck an, der vermittelte, dass sie ihn am liebsten draußen hätte stehen lassen, dann trat sie jedoch einen Schritt zur Seite und vollführte eine einladende Geste, der Bess nickend nachkam.
Die Diele war schlicht gehalten. Vertäfelungen aus Mahagoniholz, keine Bilder oder ähnlicher Zierrat. Ein dunkelblauer Läufer lag schräg auf dem Boden, und eine Neonröhre war an der Decke angebracht, die jedoch nicht eingeschaltet war.
»Gehen wir ins Wohnzimmer«, schlug Dent vor, und Bess folgte der rothaarigen Frau ohne etwas zu erwidern. Ihm war klar, dass sie nicht gut auf ihn zu sprechen war, aber der Grund dafür lag nun mehr als sechs Jahre zurück. Er hoffte, trotz aller Vorkommnisse in Ruhe mit ihr reden zu können.
Sie setzten sich gegenüber, Bess auf eine braune Ledercouch und Dent ließ sich in einen gleichfarbigen Sessel fallen. Beide Möbelstücke wiesen schon Spuren längerer Benutzung auf, aber das schien die Besitzerin nicht zu stören. Keiner sagte etwas, und eine bedrückende Stille herrschte im Raum.
»Nett haben Sie es hier«, eröffnete Bess schließlich das Gespräch, während er seinen Blick umherschweifen ließ.
»Sie sind doch nicht hier, um meine Wohnverhältnisse zu loben«, bemerkte Dent spitz und bedachte Bess mit einem verächtlichen Blick.
»Sie haben recht. Man kann Ihnen nichts vormachen.« Er versuchte zu lächeln, doch da es ihm nicht gelang, versteifte er seine Haltung und sah Dent direkt an.
»Michelle, ich bin hier, um Sie um Hilfe zu bitten. Wir haben vorgestern Abend den Kontakt zu einem unserer Außenposten verloren. Gestern Morgen empfingen wir eine beunruhigende Funkübertragung, die uns dazu veranlasste, ein Aufklärungsteam zu entsenden. Die Einheit hat sich nicht mehr gemeldet. Wir wissen nichts, bis auf Vermutungen und Spekulationen. Ich bin hier, um Sie zu fragen, ob Sie ein zweites Team anführen würden und in Erfahrung bringen, was dort vor sich geht.«
»Wie bitte?« Dent beugte sich vor und sah Bess scharf an. »Sie schicken ein Team in ein unbekanntes Wagnis und wollen mich jetzt auch verheizen? Koste ich der Veteranenkasse zu viel? Das können Sie vergessen.«
Bess atmete tief durch. »Ich verstehe Sie, Michelle. Aber Sie sind der beste, noch lebende Soldat, der von der UEF...ausgebildet wurde. Sie kennen Ihre Fähigkeiten und wissen, wovon ich rede. Ich wäre nicht hier, wenn ich eine andere Möglichkeit mit nur annähernd gleichen Erfolgschancen sähe.«
»Wenn ich in der Wertschätzung der United Earth Forces so hoch liege, wieso haben Sie mich damals auf Xaris nicht gewinnen lassen?«
Bess öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder. Er ließ die angesprochene, vor sechs Jahren stattgefundene Begebenheit vor seinem inneren Auge aufleben. Obwohl er nicht in vorderster Front dabei gewesen war, hatte er auf den Monitoren in der Kommandozentrale alles beobachtet.
»Es waren nur noch vier Meter«, sagte Dent und stand auf. Sie ging zum halb geöffneten Fenster hinüber und sah hinaus auf ihren Garten. »Vier Meter trennten mich von dieser verdammten Bunkertür. Stundenlang haben Sie uns vorstürmen lassen und den Verlust von unzähligen guten Männern hingenommen.« Sie fuhr herum. »Und vier Meter vor dieser beschissenen Stahltür wird der Einsatz abgebrochen und der Rückzug befohlen. Sie wissen, dass ich diesen Bunker eingenommen hätte!« Dent gab sich sichtlich Mühe, ihn nicht anzuschreien.
»Das ist mir bewusst, Michelle. Genau deswegen waren Sie ja dort. Aber nicht ich habe den Einsatz abgebrochen. Mir schmeckte General DiPeccios Befehl genauso wenig wie Ihnen. Aber ich musste ihn weitergeben. Wäre es nach mir gegangen, hätten Sie den ganzen Komplex zur Hölle gejagt.«
»Der Krieg wäre an jenem Tag beendet gewesen«, sagte Dent, in Erinnerungen versunken. »Aber er hat noch zwei Jahre gedauert, und dann haben wir kapituliert.« Dent sah Bess fest an. »Die gesamte Kommandostruktur der Xar war in diesem Gebäude. Wir hätten sie auf einen Schlag vernichtet.« Sie schüttelte den Kopf. »Bis heute weiß ich nicht, warum man uns zurückgerufen hat. Eigens für diesen Zweck wurden wir geschaffen, um Soldaten zu sein.« Sie seufzte. »Sie werden mir heute auch nicht sagen können, warum DiPeccio den Befahl gab, oder?«
Bess schüttelte den Kopf. »Ich weiß es wirklich nicht. Der Mann ist mir und niemand anderem keinerlei Rechenschaft schuldig. Für mein Empfinden ging es um Politik. In meinen Augen ein Aspekt, der auf einem Schlachtfeld nichts mehr zu suchen hat. Sie wissen, wie das ist. Die Politik scheitert, dann kommen wir ins Spiel. Ich kann verstehen, dass Sie aufgrund der Umstände die UEF verlassen haben. Ich hätte es nicht anders gemacht. Doch nun bin ich hier, um Sie um Hilfe zu bitten, Michelle.«
Dent sah ihn an. Ihr war klar, dass der Colonel auch nur Befehle befolgte. Sie hatte seine Flüche über den Funk gehört. Bess war ein guter Mann. Sie nickte langsam.
»Ich kann Ihnen nichts versprechen«, sagte Michelle und atmete tief durch. Aber ich höre Ihnen zu, um der alten Zeiten willen. Möchten Sie etwas trinken?«
»Was haben Sie denn?«
»Wasser«, meinte Dent knapp.
Bess nickte, und Michelle verschwand durch eine andere Tür. Bess atmete tief durch. Sie war bereit, zuzuhören. Mehr konnte er in diesem Moment nicht verlangen. Nun lag es an ihm, sie zu überzeugen. Er brauchte Sie. Soldaten wie Dent gab es nicht mehr. Er erinnerte sich noch an ihren ersten Tag. Sie war zum aktiven Dienst berufen, es hatte niemanden mit einem vergleichbaren Kampfeswillen gegeben.
Dent kam zurück, reichte Bess ein Glas Wasser und setzte sich wieder. Bess bedankte sich, nahm einen Schluck und begann zu erzählen.
»Außenposten Skarth liegt in Sektor Z-48. Wir entdeckten diesen Planeten mit einer der unseren ähnlichen Atmosphäre vor fünf Jahren, noch während des Krieges. Wir prüften die Oberfläche, fanden kein Leben vor, errichteten eine Basis und entsandten ein Team aus Forschern, Wissenschaftlern und Technikern dorthin. Insgesamt 148 zivile Personen und minimales Wachpersonal, da alle an der Front waren.«
»Das war sehr leichtsinnig«, warf Dent ein und trank einen Schluck ihres Wassers.
»Das wissen wir. Aber wir hatten keine Wahl, ein weiterer Posten war eine Basis mehr, auf der wir Forschung betreiben konnten. Skarth war so weit entfernt, den Xar wäre der Planet nie aufgefallen. Nun, wie auch immer, seit dem Friedensabkommen haben wir eine erneute Kontrolle des Planeten nicht für notwendig erachtet. Unseren Leuten ging es gut, es hatte nie Zwischenfälle gegeben. Es waren keine Kriegsforschungen mehr nötig, und daher blieb Skarth eine rein zivile Forschungsstation. Geologie, Umweltauswirkungen, brauchbare Bodenschätze, solche Sachen halt.« Bess trank von seinem Wasser.
»Alles war ruhig, bis zu diesem Funkspruch. Es waren beängstigende Laute, Menschen haben geschrien und es wurde geschossen. Also haben wir ein Aufklärungsteam unter Frank Jaynos Leitung...«
»Jayno?« Dent sah Bess ernst an. Sie kannte Frank. Im weitesten konnte man sagen, dass sie Freunde gewesen waren, sofern man mit jemandem wie ihr befreundet hatte sein wollen. Sie waren gemeinsam auf Xaris gewesen, wenn auch in verschiedenen Einheiten. Trotzdem gab es immer genug Möglichkeiten, sich zu sehen. Seit sie die UEF verlassen hatte, war der Kontakt zu ihm abgebrochen.
»Ich kenne ihn«, sagte Michelle. »Ein hervorragender Soldat. Wenn es dort ein Problem gab, hätte er es gelöst.«
Bess nickte. »Ich kenne seine Akte, darum haben wir ihn ausgewählt. Doch das Team hat sich nicht wie befohlen gemeldet. Nichts. Die Frequenz ist tot. Wir tappen im Dunkeln. Der momentane Stand ist, dass wir ein Kampfschiff, die Navoyer, startbereit machen. Skarth verfügt nicht über eine Orbitplattform, also wird es frühestens in zwei Wochen ankommen.« Bess beugte sich vor. »Ich brauche Sie, Michelle. Sie könnten in spätestens vier Stunden vor Ort sein. Ich habe sonst niemanden wie Sie. Wenn es dort Probleme gibt, sind Sie die beste Option die wir, und vor allem die Leute dort, haben.
Michelle sah Bess verständnisvoll an.
»Ich verstehe Sie, Colonel. Aber seit dem großen Desaster habe ich an keinem Kampfeinsatz mehr teilgenommen. Ich bin nicht einmal mehr Reservistin. Sie kennen die Entscheidungen, die damals getroffen wurden. Außerdem bin ich gerne Zivilistin. Sie erwarten von mir, mich blindlings in eine Mission zu stürzen? Auch wenn es sich schwer glauben lässt, aber mittlerweile hänge ich an meinem Leben.«
»Sie bekommen alle Informationen, die es gibt. Sie stellen sich das Team selbst zusammen. Das gesamte Arsenal steht Ihnen zur Verfügung, und Sie kehren zurück in den Rang des Majors.«
Es wurde sehr still, als Dent nachdenklich den Kopf in eine Hand stützte und Bess lange ansah.
Langsam drehte sie den Kopf und betrachtete ihr Wohnzimmer, dann blickte sie hinüber zum Fenster und sah wieder zu Bess.
»Ich war so frei, Ihre Uniform direkt mitzubringen«, meinte Bess und lächelte. »Da mir klar war, dass Ihr Körper sich zu damals wohl kaum verändert haben würde, sollte sie Ihnen perfekt passen.«
Michelle lachte auf. »Sie sind mir ein Schmeichler.« Sie stand auf und reichte Bess die Hand. »Gut, ich komme mit. Ich mache es nicht für die UEF, sondern für Sie und Frank. Und es läuft nach meinen Regeln. Ich habe das Kommando.«
Bess erhob sich und ergriff die Hand. »Einverstanden, Danke, Major.«
Michelle grinste. »Und ich freue mich darauf, DiPeccios Gesicht zu sehen. Ist er immer noch so schreckhaft?«
Lachend machten sie sich auf den Weg zur Haustür.
UEF-Hauptquartier, Erde
11.23 Uhr
Es war lange her, dass Dent einen Fuß in das Hauptquartier der United Earth Forces gesetzt hatte, dennoch war ihr das Gebäude sofort wieder vertraut.
Sie hielt sich mit ein wenig Abstand seitlich hinter Colonel Bess, der voran ging und für sie beide die Sicherheitskontrollen durchlief. Dent nickte dem Mann am Empfang knapp zu, während dieser sie fragend musterte. Mehrere UEF-Angehörige, die an ihnen vorbeigingen, sahen sich verwundert nach ihr um. Dent war bewusst, dass sie keine Unbekannte war, und die Leute fragten sich bestimmt, was sie hier wieder zu suchen hatte.
Sie folgte Bess zu einem der Jetlifts und fuhr mit ihm in den 78. Stock des aus Glas und Chrom bestehenden Gebäudes. Sie folgten einem Korridor zur Kommandozentrale, in der sie bereits erwartet wurden.
An einem großen Tisch saßen sechs Personen, um den Mann am Kopf der Versammlung standen vier weitere, die ihre Hände hinter dem Rücken verschränkt hielten. Sie alle trugen militärische Uniformen mit unterschiedlichen Dienstgraden.
Die Männer waren Dent wohlbekannt, und sie musste ein Lachen unterdrücken, als sie General DiPeccios Blick sah, er sich erhob und vorsichtig auf sie zuging. Seine Anspannung war nicht zu übersehen, und die Erinnerungen an vergangene Ereignisse glommen in seinen Augen. Dent musste jedoch anerkennen wie diplomatisch er vorging. Immerhin war er der Kopf des UEF Militärs, und eine Schwäche vor seinen Untergebenen warf kein gutes Licht auf seine Führungsqualitäten.
DiPeccio streckte die Hand aus, schaute kurz auf das Rangabzeichen auf ihrer Schulter und nickte ihr knapp zu.
»Major Dent, es ist schön, Sie zu sehen.«
Michelle war einen Augenblick verwundert, angesichts dieser entgegenkommenden Geste, dann ergriff sie die Hand und nickte ebenfalls.
»General«, erwiderte sie knapp und musste sich bemühen, seine Hand nicht zu zerquetschen.
Dann waren die Begrüßungsfloskeln vorbei und DiPeccio kehrte zu seinem Stuhl am Kopf des Tisches zurück, wo er sich an die anderen Anwesenden wandte.
»Meine Herren, Major Dent dürfte ihnen allen ein Begriff sein. Wir haben jedoch keine Zeit für alte Geschichten, Lobpreisungen und Einwände, darum kommen wir direkt zur Sache.«
Der Wandmonitor sprang an, und vor den Anwesenden erschien eine identische, holografische Projektion der dargestellten Grafiken und Daten.
Dent und Bess nahmen auf zwei freien Stühlen Platz. Sie bemerkte die jeder ihrer Bewegungen folgenden Blicke, vermied es aber, die Männer des Kommandostabs herausfordernd anzusehen.
»Nun, Sie wurden ja bereits über die Umstände Ihrer Reaktivierung in den aktiven Dienst informiert, Major«, ergriff Dr. Jordan Danton, Vorsitzender der Wissenschaftsabteilung, das Wort. »Jetzt werden wir Sie mit den Örtlichkeiten vertraut machen. Chief Ramirez hat die nötigen Daten zusammengestellt. Der Posten auf Skarth unterscheidet sich kaum von denen auf anderen Planeten, aber wir hielten eine Auffrischung Ihrer Kenntnisse für angebracht.«
Die Anzeige auf dem Monitor veränderte sich und zeigte eine Abfolge von Grafiken.
»Skarth befindet sich in Sektor Z-48. Es handelt sich um unseren entlegensten Außenposten. Er besteht aus fünf differenzierten Komplexen, die kreisförmig angeordnet sind. Komplex A birgt die technischen Forschungs- und Erhaltungseinheiten und ist damit sozusagen das Herz der Anlage, das seine Energie aus diesem Nuklearreaktor bezieht.« Danton fuhr mit einem Laserpunkt über die grafische Darstellung und verharrte für Dents Geschmack einen Moment zu lang auf dem kreisrunden Reaktor.
»Komplex B«, fuhr der Doktor fort, als die nächste Grafik erschien. »Wie Sie sehen können, wesentlich kleiner als der vorangegangene. Hier werden wissenschaftliche, auf den Planeten bezogene Forschungen betrieben. Geologische Aktivitäten, Bodenproben für Analysen der Dichte, möglichen Verwendungszwecke der Mineralien, und so weiter. Diese Abteilung ist die Daseinsberechtigung der gesamten Anlage.«
Dent nickte und gab dem Mann damit das Zeichen, fortzufahren.
»Komplex C. Zum größten Teil Lagerhallen für Ersatzteile und eine Transportplattform, damit die Gegenstände nicht über das unwegsame Gelände des Planeten transportiert werden müssen.«
»Was macht den kleineren Teil aus?«, hakte Dent nach.
»Ein Inventarverzeichnis. In mehreren Großrechnern sind sämtliche Gegenstände verzeichnet, die verfügbar sind. Wird eines entfernt, weil es gebraucht wurde, wird es über Sensoren automatisch ausgetragen, sobald es das Lager verlässt«, teilte Danton der Frau mit. Dent nickte und erneut wechselte die Anzeige.
»Komplex D. Die Quartiere der Besatzung, Gemeinschaftsräume, Speisesäle und Küche.«
Ein erneuter Wechsel auf dem Bildschirm.
»Und dies ist der letzte, Komplex E. Dort finden Sie die beiden Transportplattformen, die zur Ankunft und Abreise dienen. Dazu die Kontrollelemente und Computerkonsolen, an denen die Koordinaten eingestellt werden.«
Dent verinnerlichte die Informationen und dankte Danton. Dann wandte sie sich an Bess.
»Ich habe mir bereits Gedanken gemacht.« Sie benutzte die im Tisch eingelassene Konsole vor sich, machte einige Eingaben und auf dem Bildschirm erschienen abwechselnd die Gesichter von vier Männern.
»Das sind die Gunmen, die ich für diese Mission ausgewählt habe. Da wir von einer Aufklärungs- zu einer Rettungsmission übergegangen sind, brauche ich Spezialisten. Außerdem habe ich hier eine Auflistung der Ausrüstung.« Sie sah auf die schmale Uhr an ihrem Handgelenk. »Aufbruch ist um 12.15 Uhr. Das sollte genug Zeit für die Vorbereitungen sein.«
Dent stand auf, nickte DiPeccio noch einmal zu und verließ den Raum. Niemand nahm Anstoß daran, dass sie nicht salutierte.
DiPeccio sah der Frau nach, doch in seinem Gesicht zeigte sich keinerlei Entspannung. Er richtete das Wort an Bess.
»Colonel, da wäre noch eine Sache, die wir besprechen müssen.«
UEF-Hauptquartier, Erde
Transportzentrum
12.12 Uhr
Techniker Phillips stand an seiner Konsole und gab die Koordinaten für den Transport ein.
Dent musterte die Männer, die nebeneinander vor der Plattform standen und auf den Beginn des Einsatzes warteten. Michelle kannte sie aus dem Krieg, hervorragend ausgebildete Soldaten mit extremer Kampferfahrung und wahre Spezialisten auf ihrem jeweiligen Gebiet. Sie wiederzusehen rief eine Menge Erinnerungen hervor. Ihr fiel niemand ein, der auf den Einsatz besser vorbereitet und dafür geeigneter wäre.
Eine Tür öffnete sich und zwei Männer kamen mit einem Transportwagen herein, der bis an die Beladungsgrenze mit großen Kisten gefüllt war. Sie stoppten vor Dent und salutierten knapp. Dann entfernten sie sich wieder.
»Wir sind soweit«, sagte Phillips und Michelle zeigte ihm mit einem hochgestreckten Daumen, dass sie ihn gehört hatte. Sie wandte sich an die Soldaten.
»Männer, ich wollte nur noch einmal erwähnen, dass ich froh bin, dass ihr euch bereit erlärt habt, mit auf diese Mission zu kommen. Allerdings habe ich ehrlich gesagt nichts anderes erwartet. Ihr wart schon immer kampfgeile Frontschweine.«
Ein belustigtes Auflachen ging durch die Menge.
»Wir haben keine Ahnung, was uns erwartet, darum sollten wir bestens vorbereitet sein.« Sie deutete auf die Kisten. »Eine gute Ausrüstung wird uns am Leben halten.«
Die Männer traten vor und luden das Equipment ab.
Die Waffen waren die Ausgeburten eines zerstörungswütigen Verstandes, riesige, metallene Ungetüme, jedoch ebenso gut durchdacht. Anstatt mehrere Waffen mit sich zu führen, hatten kluge Köpfe eine Vernichtungsmaschine entwickelt, die mehrere todbringende Gerätschaften vereinte.
Die Hauptwaffe war ein sechsläufiges, elektronisch angetriebenes Maschinengewehr, aufgrund ihrer Zerstörungskraft als Minigun bezeichnet, das mit einer Feuerrate von vierzig Schuss in der Sekunde Explosivgeschosse des Kalibers 15 mm abfeuerte. Der Munitionskasten, der die gewaltige Menge von 12000 Patronen fasste, erlaubte eine konstante Feuerrate von fünf Minuten. An der Seite befand sich ein Raketenwerfer, dessen Magazin 25 Raketen von der Größe eines durchschnittlichen Fingers fasste.
Das Gewicht der Munition war enorm, wurde jedoch durch eine rucksackartige, ein Kraftfeld beinhaltende Vorrichtung kompensiert, so dass die Soldaten lediglich Kraft für die rund zwanzig Kilo schwere Waffe aufbringen mussten.
Die Männer legten die GRV, die Gewichtsreduzierende Vorrichtung, an, verbanden Munitionskasten und Waffe und begannen mit dem Routinecheck. Zulauf der Munition, Bewegungsfreiheit trotz des Gewichts, die reibungslose Funktion der Umschaltung zwischen den Waffensystemen. Ohne Einschränkungen tat Dent es ihnen gleich und verspürte eine ansteigende Erregung angesichts der Kraft und des Gewichts der Waffe. Sie sah zu Bess, der sie die ganze Zeit beobachtet hatte und sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen konnte.
»Steht Ihnen immer noch gut, so schweres Gerät.«
Michelle nickte und verzog einen Mundwinkel. »Ein beunruhigend gutes Gefühl«, stimmte sie zu.
Das große Haupttor des Transportzentrums öffnete sich zischend, und General DiPeccio trat mit seinem Gefolge und in Begleitung einer jungen Frau auf sie zu.
»Colonel Bess, darf ich Ihnen Miss Natascha Wagner vorstellen? Sie wurde als die zivile Beobachterin zugeteilt.«
»Zivile...was?« Dent ließ die Waffe auf den Boden sinken und löste die Verbindung zur GRV. Sie starrte Bess an, ohne die anderen eines Blickes zu würdigen. »Was geht hier vor?«
»Nun«, begann Bess und suchte nach Worten. »Da ist eine Sache, die sich sehr kurzfristig ergeben hat. Die Zivilregierung hat eine Bedingung gestellt, die für den Start dieser Mission entscheidend ist.«
»Ja?« Michelle dehnte das Wort aus und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Es wird darauf bestanden, dass Sie eine zivile Beobachterin mitnehmen, damit diese die Verwendung des Geldes bewertet, das dieser Einsatz verschlingt.«
»Das ist doch Bullshit!«, stieß Dent hervor. »Das kann nicht Ihr Ernst sein!« Sie bedachte DiPeccio und die anderen mit einem abschätzenden Blick.
Bess nahm sie am Arm und führte sie einige Schritte zur Seite.
»Die zivile Regierung ist für die Bewilligung von Geldern für die UEF Militäreinsätze zuständig.«
»Das ist mir bewusst.«
»Da nun sehr lange die Dienste der kämpfenden Truppen nicht in Anspruch genommen wurden, soll eine beobachtende Person ein Urteil über die Notwendigkeit dieses Einsatzes abgeben. Man will sicher gehen, dass die zwölf Millionen Dollar, die dieser Einsatz kostet, nicht für ein groß angelegtes Manöver ausgegeben wird.«
»Wie bitte? Haben diese hirnlosen Bürokraten denn die Aufzeichnung nicht gehört?«
»Doch, haben sie, aber...«
»Kein aber. Wir begeben uns auf eine Rettungsmission mit erwartetem Feindkontakt. Wir haben schon genug mit der Grundsituation zu tun, da haben wir keine Zeit, auf einen zivilen Dackel aufzupassen.«
»Lassen Sie es mich Ihnen ganz klar sagen. Wenn Sie diesen Dackel nicht mitnehmen, endet die Mission direkt hier, noch bevor sie begonnen hat. Wir werden nicht erfahren, was dort vorgeht und was mit Jayno und seinem Team geschehen ist.«
Dent schnaubte. »So einfach ist das? Die eigenen Leute scheinen der Zivilregierung ja nicht viel zu bedeuten, wenn es mit Kosten verbunden ist.«
Bess seufzte resigniert. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Sie hatte ja Recht. Es war alles eine Frage der Finanzen.
Dent schaute Bess in die Augen, dann blickte sie kurz zu DiPeccio rüber, der sehr angespannt wirkte.
»Er hat Sie gebeten, es mir zu sagen, oder?«
»Er hatte Sorge, Sie würden ihn schlagen.«
Dent grinste. »Hätte passieren können.« Sie sah zu der Frau. »Von der Blonden hängt also alles ab?«
»Zumindest der Aufbruch«, gab Bess zu.
Dent nickte und ging auf Natascha Wagner zu. Sie inspizierte sie abschätzend von oben bis unten, ging einmal um sie herum, wobei sie General DiPeccio bestimmend einige Schritte beiseiteschob, der die Respektlosigkeit jedoch mit einem mahlenden Kiefer ignorierte.
Sie sah gut aus. Michelle schätzte sie auf Mitte Zwanzig, ihre blonden, gelockten Haare umrahmten ihr sanftes Gesicht und fielen ihr wallend über die Schultern. Sie war dezent geschminkt, um die natürliche Schönheit zu unterstreichen. Ihre lackierten Fingernägel glänzten im Schein der Beleuchtung und sie trug einen Businessanzug, der ihrem schlanken Körper schmeichelte.
Michelle sah ihr in die Augen, bis Natascha verlegen blinzelnd ein zaghaftes Lächeln zustande brachte.
»Sie braucht andere Kleidung«, sagte Dent und wandte sich an Bess. »Eine Einsatzrüstung wäre angemessen.« Sie sah wieder zu Natascha.
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Texte: Originalfassung@1998, Neufassung@2015 André Höhle
Bildmaterialien: Cover@ André Höhle, Bild@ tpsdave, pixabay
Tag der Veröffentlichung: 04.11.2015
ISBN: 978-3-7396-2167-8
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