Cover

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André Höhle

 

 

Der Name der Macht

 

Roman

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Buch

 

Er ist ein Niemand. Bei den Stämmen in den Grasmeeren zählt nur der Name, den sich die jungen Krieger mit herausragenden Taten verdienen. Nur ihm ist es bisher nicht gelungen und fristet sein Leben am Rande der Gemeinschaft, denn er ist ein Mann ohne Wert. Als sein Dorf angegriffen und alle bis auf ihn massakriert werden, weil es keinen Ruhm bringt, einen Namenlosen zu töten, zieht er hinaus in die Welt. Er will sich einen Namen verdienen, damit er zurückkehren und sich mit aller Härte an den Angreifern rächen kann.

 

Alys verdingt sich als eine der angesehensten Attentäterinnen der Dunkelschatten und erledigt ihre Aufträge mit eiskalter Präzision. Sie hat keinerlei Hemmungen und Moral, lebt in den Tag hinein, genießt Drogen, Alkohol und Sex in vollen Zügen und nur die Aussicht auf eine große Menge Gold führt sie in eine Richtung, die ihr Verständnis der Welt vollkommen verändert.

 

Um mit den ihm innewohnenden Kräften etwas Gutes zu bewirken, hat Halmas seine Heimat verlassen und streift durch das Land, um Bedürftigen seine Hilfe anzubieten. Immer von der Furcht begleitet, eines Tages von seinen Verfolgern aufgespürt und zur Rechenschaft gezogen zu werden, denn sein Volk verabscheut die Nichtmagischen und ihnen zu helfen stellt den größten Frevel dar, den ein Mann begehen kann.

 

Drei Wege. Drei Schicksale. Ein Ereignis, das alles verändert.

 

 

 

 

 

 

1. Teil

 

 

 

Wege

 

 

 

1

Alys

 

 

 

Das hohe Quietschen der Zellentür riss sie aus ihrer Ohnmacht und bohrte sich wie rostiger Stahl in ihre Schläfen.

»Aufwachen, Miststück!«, bellte eine tiefe Stimme. Ein Tritt gegen ihre Pritsche ließ sie zusammenzucken.

»Ja, ist ja gut, Mann!«, fluchte Alys und kam schnaufend in eine sitzende Position. Die von den feuchten Zellenwänden abstrahlende Kälte strich über ihren nackten Körper hinweg und ließ sie kurz frösteln. Sie sah auf und grinste den Wärter schief an.

»Wie geht es deinem Auge? Ich hoffe, es schmerzt nicht allzu sehr.«

Der Wachmann hob instinktiv eine Hand zum Gesicht und strich über die Wange und sein zugeschwollenes Auge. Ein heftiger Schlag dieses frechen Weibs hatte ihm diese entstellende Verletzung zugeführt, und in seinem anderen Auge funkelte der Zorn. Er reckte ihr eine Faust entgegen, und bevor er etwas sagen konnte, hob Alys abwehrend die Hände.

»He, reiß dich zusammen, Großer.« Sie lehnte sich langsam zurück und ließ ihre Hände über ihre Brüste wandern und verharrte auf ihrem flachen, muskulösen Bauch. »Du hast dich doch bestimmt an mir gerächt, als ich geschlafen habe, oder?« Sie zwinkerte ihm zu, und dem Mann fiel sprachlos die Kinnlade herunter. Das Blut schoss ihm ins Gesicht und er wich einen Schritt zurück.

»Niemals, du blödes Stück«, presste er hervor. »Im Gegensatz zu dir bin ich ein ehrbarer Mensch.«

»Ach, komm«, lächelte Alys ihm zu. »Du bist doch auch nur ein Mann. Ist doch nicht schlimm. Ich habe keine Schmerzen, also warst du sehr zärtlich.«

»Nichts ist passiert!«, spie der Wachmann hervor. Er atmete mehrmals tief durch, während Alys ihn provokativ musterte. »Komm jetzt mit. Die Nacht ist vorbei, und du bist wieder nüchtern. Hol deine Sachen ab, dann führen wir dich dem Richter vor.«

Alys stand langsam auf, reckte sich und präsentierte ungeniert ihren nackten Körper.

»Letzte Gelegenheit für dich, Süßer. Verschaffe dir Genugtuung.«

»Los jetzt!«, schrie der Wachmann ungehalten und deutete auf die geöffnete Zellentür, an dessen Rahmen sein Dienstgefährte lehnte und Alys grinsend musterte.

»Also, Darron, ich würde ja, wenn du nicht willst.«

Alys hob eine Hand und wedelte mit dem Zeigefinger. »Es tut mir leid, aber ich erinnere mich nur noch daran, ihm eine rein gehauen zu haben. Dir schulde ich nichts.«

Darron trat näher an sie heran, packte sie unsanft am Arm und zog sie mit sich zur Zellentür.

»Oh ja, ich mag es gern ein wenig gröber«, hauchte Alys und erfreute sich an den geröteten Wangen des Wachmanns. Wie alt mochte er sein? Zwanzig Jahre? Wenn überhaupt. Auf jeden Fall war er jünger als sie, und das bereitete ihr eine hämische Freude. Allzu erfahren schien er auch nicht zu sein. Dennoch machte er eine gute Figur in der Rüstung der Stadtwache. Ein Teil von ihr bedauerte ehrlich, ihm ins Gesicht geschlagen zu haben, da er eigentlich ein ganz hübscher Kerl war. Aber im Grunde genommen war er auch selbst schuld. Warum hatte er sich auch auf sie gestürzt, nachdem sie als Siegerin aus einem Kampf mit vier anderen Idioten hervorgegangen war, die in der Taverne Teller und Krug herumgebrüllt und sie ziemlich genervt hatten? Wieso hatte er nicht angesichts ihrer betörenden Erscheinung aus Seide und Leder ein Auge zudrücken können? Warum hatte sie das für ihn erledigen müssen?

Alys grinste, als ihr der Gedanke durch den Kopf schoss, und Darron sah sie finster an, weil er den Grund für ihre gute Laune nicht erkennen konnte. Er bugsierte sie durch die Tür und der zweite Wachmann schlug ihr dreist auf den Hintern, was ihr ein gespieltes Stöhnen entlockte.

»Lass das, Naril«, fauchte Darron seinen Kameraden an und zerrte sie neben sich durch einen von Fackeln erhellten Gang, der an zahlreichen anderen Zellen vorbeiführte. Ihre nackten Füße klatschten auf dem kalten Steinboden, und ihre Brustwarzen verhärteten sich angesichts des eisigen Windhauchs, der ihnen entgegenschlug.

»Kalt hier«, meinte sie und suchte Darrons Blick, um ihn zu provozieren, doch der Wachmann starrte unbeeindruckt geradeaus und führte sie in die karge Kammer am Ende des Ganges, die außer einem kleinen Tisch, auf der eine Öllampe stand, zwei Stühlen und einer großen, mit Metallbeschlägen versehenen Truhe keinerlei Inventar aufwies. Er deutete auf die massive Holzkiste.

»Nimm dir deine Kleidung da heraus und zieh dich an.«

Alys ging bewusst langsam darauf zu und bückte sich aufreizend darüber, wobei sie ihre Knie durchgedrückt hielt und ihren Po neckisch in die Höhe streckte. Sie nahm ihre Kleidungsstücke aus der Kiste und richtete sich langsam auf.

Ihr Blick fiel auf Naril, der sie anstarrte und sich über den Schritt rieb.

»Bei allen Göttern, Darron. Sie will es. Also was hindert dich?«

»Sie ist eine Gefangene und wir haben die Verantwortung für sie, verdammt!«

»Dann lass mich wenigstens etwas Spaß mit ihr haben.«

»Nein«, rief er und fuhr herum. »Und jetzt kein Wort mehr, oder ich mache eine Meldung, die dir Probleme bereiten wird.«

Naril murmelte etwas unverständliches, doch Darron wusste, dass es nicht zu seinen Gunsten war.

Grinsend und aufreizend langsam stieg Alys in ihre Lederhose, in ihre Schnürstiefel und warf die seidene Bluse über, wobei sie diese lediglich unter ihrem Busen verknotete. Dann sah sie Darron unschuldig an.

»Wo sind meine Waffen? Kriege ich die nicht auch zurück?«

Darron schnaubte und erwiderte ihren Blick. Er hatte sich wieder gefangen, und nun, da sie bekleidet war, konnte sie ihn mit ihrer Nacktheit nicht mehr in Verlegenheit bringen.

»Jetz geht es erst zum Richter. Der wird entscheiden, wie es mit dir weitergeht und eine Strafe aussprechen. Du glaubst doch nicht, dass wir dich bewaffnet ins Gerichtsgebäude lassen?«

Alys hob langsam eine Hand und strich ihm über die Wange. »Ach, Süßer, ich bin doch keine Gefahr.«

Er schlug ihre Hand fort.

»Ich weiß, dass du das bist. Mich führst du nicht hinters Licht.«

Sie lächelte ihn an. »Hast du vielleicht ein Lederband? Ich möchte doch gut aussehen, und meine Haare stehen wirr ab. Siehst du?« Sie fuhr durch ihre feuerrote Mähne und blinzelte ihm unschuldig zu. »So kann ich doch nicht vor den Richter treten.«

»Als ob dich das interessiert«, fuhr er sie verächtlich an.

Alys wich einen Schritt zurück und sah ihn mit gerunzelter Stirn und zusammengekniffenen Augen an. »Warum beleidigst du mich? Ich bin doch keine Wilde. Ist das deine Rache dafür, dass ich dich geschlagen habe?«

Darron sah sie verwundert an, und im ersten Moment wusste er nicht, was er erwidern sollte. Dann sah er das aufkommende Grinsen in ihrem Gesicht, und er spürte den Zorn in sich aufsteigen. Dieses verdammte Weib machte sich über ihn lustig!

Er trat wütend auf sie zu und packte ihren Arm, während sie in schallendes Gelächter ausbrach. Darron stieß sie vor sich her durch die Tür, und sie fiel in Narils Arme, der sie umklammerte und fest an sich drückte. Ihre Augen trafen sich, und Alys presste ihren Schenkel zwischen seine Beine.

»Was haben wir denn da?«, flüsterte sie mit einer erhobenen Augenbraue, was Naril als Einladung deutete, woraufhin er seine Hände in ihren Hintern krallte.

Darron zerrte sie grimmig aus seinem Griff und stieß die Gefangene voran. Naril starrte ihnen lüstern nach, doch als sein Blick auf Darron fiel, wandelte sich der gierige Glanz in seinen Augen in Wut.

Ihr intrigantes Kichern erfüllte den Gang auf dem Weg zum Ausgang.

»Warum tust du das?«, wollte Darron kopfschüttelnd wissen, und Alys sah ihn mit glänzenden Augen an.

»Weil es Spaß macht«, lachte sie. Sie beugte sich zu ihm herüber. »Bisher habe ich noch jeden gekriegt«, verkündete sie geheimnisvoll.

»Nun«, meinte Darron und schaute stur geradeaus, »dann wirst du jetzt wohl deine erste Niederlage erleben. Ich werde dir nicht erliegen. Ich weiß, wer und vor allem was du bist, und ich bin ein gesetzestreuer Bürger und Angehöriger der Stadtwache. Du wirst meine Sinne nicht verwirren!«

Alys grinste ihn immer noch an. »Hörst du dich eigentlich selbst reden, Süßer? Dieses geschwollene Gelaber passt einfach nicht zu dir. Du bist wirklich ein Hübscher, und ich bedaure, dass ich dir in die Fresse geschlagen habe. Aber das wird verheilen und die Frauen werden weiterhin verrückt nach dir sein.« Sie legte die Hand auf seine Brust. »So wie ich es bin.«

Darron schnaufte. »Achte lieber darauf, wie du dich anhörst. Du bist verlogen und verhältst dich wie eine Angestellte in einem Haus der Damen

Alys grinste ihn an. »Woher willst du das wissen? Bist du denn öfters in einem Bordell und lässt dich dort verwöhnen? Ich wette, die Frauen reißen sich darum, dir zu Diensten zu sein.«

Darron errötete erneut, und sie sah in seinem Blick, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte. Er war noch nie in einem Freudenhaus gewesen. Sie konnte es in seinem Gesicht ablesen. Für ihn waren Frauen und eine Beziehung zu ihnen etwas Reines und Vollkommenes. Ihre offene, ungezwungene Art überforderte den armen Wachmann vollkommen. Sie verspürte beinahe Mitleid mit ihm.

Sie hatte ein wichtiges Problem zu lösen. Sie war in Gedanken bereits den Verlust durchgegangen, den sie zu kompensieren hatte, wenn sie auf dem Weg zum Richter türmen würde. Sie war mit leichter Ausrüstung in die Taverne gegangen. Sie würde ein Schwert und zwei Dolche verlieren. Die Armklingen, Wurfmesser und der Großteil ihrer Ausrüstung war noch immer gut verstaut in ihrem Geheimversteck untergebracht. Im Nachhinein war sie froh, dass sie für ihre Verhältnisse praktisch unbewaffnet losgezogen war, um sich einen gemütlichen Abend zu gönnen. Es hätte in einem Massaker enden können, und dann wären ernsthafte Probleme über sie hereingebrochen. Momentan war sie nur eine Frau, die sich gegen einige Angreifer verteidigt und in ihrem Übermut einen Angehörigen der Stadtwache geschlagen hatte. Das würde ihr der Richter zwar übelnehmen und eine angemessene Strafe verhängen, aber das wäre weitaus akzeptabler als die Konsequenzen, die sie ereilt hätten, wenn sie die ganzen Männer ohne mit der Wimper zu zucken niedergemetzelt hätte.

Alys war keine Frau, die sich derartige Angriffe gefallen ließ, wenn es ihr nicht von Vorteil war.

Die Tatsache, dass ihre Bewacher nicht wussten, wer sie war, hielt sie am Leben. Sie spielte mit ihnen, wog sie in Sicherheit und verunsicherte sie gleichermaßen. Männer waren dermaßen kontrollierbar, dass es manchmal schon keinen Spaß mehr machte.

»Sei still«, presste Darron hervor und führte sie durch eine metallene Tür aus dem Gefangenenbereich heraus. Sie betraten ein von edlem Marmor und gemusterten Fliesen geschmücktes Treppenhaus, und Darron hielt sie die ganze Zeit über am Arm fest, während sie die gewundene Treppe nach oben stiegen.

Alys spürte Narils Blick auf ihrem Hintern, während sie die Treppe hinaufgingen, doch sie verspürte plötzlich nicht mehr das Bedürfnis, einen Keil zwischen die beiden Männer zu treiben. Unter den gegebenen Umständen und nachdem sie sich als Frau präsentiert hatte, die sich selbst nur schützen wollte, würde der Richter sie mit einer geringen Auflage oder Strafzahlung gehen lassen. Warum sollte sie diese Sicherheit aufs Spiel setzen? Niemand wusste, wer sie war. Niemand kannte sie in dieser Stadt. Sie war erst seit wenigen Tagen hier und hatte sich bisher nichts zu Schulden kommen lassen. Ihren Auftrag konnte sie ohnehin vergessen. Sie würde die Strafe akzeptieren und nach ihrer Abreise über die Vereinigung dem Auftraggeber seine Anzahlung zurückerstatten. Entweder kümmerte er sich um einen anderen Attentäter oder er würde darauf beharren, dass die Exekution durchgeführt wurde und den Preis erhöhen. Es gab also nichts, worüber sie sich Sorgen machen müsste.

Sie verließen das Gefängnis, und Alys sog tief die frische Luft des neuen Tages ein. Hier, im Hof zwischen dem Gefängnis und dem Gerichtsgebäude, roch es frisch und sauber, da niemand seinen Unrat aus dem Fenster schüttete und sich darauf verließ, dass er durch die feinen Furchen der Straßen rann und sich in der unterirdischen Kanalisation verflüchtigte. Plötzlich hielt sie inne, und Darron starrte sie fragend, aber auch unsicher an.

»Was ist?«, wollte er wissen.

Alys schaute ihn mitfühlend an, und sie hob langsam die Hand, um ihn nicht zu verschrecken und legte sie auf seinen Wangenknochen. Er war wirklich ein hübscher, junger Mann, und sie bedauerte es, ihn derart verletzt zu haben. Es würde Tage, wenn nicht gar Wochen dauern, bis sein Gesicht wieder einigermaßen wie vorher aussah.

»Das tut mir wirklich leid«, sagte sie leise, und sie erkannte, wie er in ihren Augen nach einer List suchte.

Doch er fand keine, und innerlich freute sie sich über seine unterdrückte Unsicherheit, während sie sich wieder abwandte und ihren Blick in die Ferne gleiten ließ.

»Ich wollte dich nicht schlagen. Ich habe zu spät erkannt, dass du auf meiner Seite bist. Diese Idioten haben mich angriffen, und ich habe mich nur verteidigt.« Alys suchte seinen Blick. »Es tut mir wirklich leid.«

Darron sah sie ungläubig an, doch er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Auf der einen Seite war sie unglaublich erregend und sich ihrer Reize vollkommen bewusst, während sie auf der anderen Seite ein unschuldiges, sich den Avancen betrunkener Männer erwehrendes Mädchen war.

Der Richter sollte entscheiden.

Doch innerlich glaubte er ihr bereits, und wenn es einen Weg gab, ihre Strafe zu mildern, würde er ihn bestreiten. Warum er das tat, vermochte er nicht einmal zu sagen. Es schien ihm einfach richtig zu sein.

»Äh, ja. In Ordnung. Wir werden ja sehen, wie der Richter entscheidet. Sag ihm das gleiche wie mir, dann kann er nur zu einem leichten Urteil gelangen. Und das hier«, meinte er und ließ einen Finger über sein lädiertes Auge kreisen, »ist gar nicht so schlimm, wie es aussieht.«

Alys lächelte ihn zaghaft an und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange.

»Du bist lieb«, sagte sie dem verdutzt dreinblickenden Mann.

»Oh, wie niedlich«, grunzte Naril hinter ihnen. »Los, der Richter wartet nicht gern.«

Er ging weiter, und Alys lächelte kaum merklich.

 

 

*

 

 

Die kalten Augen des Richters folgten jeder noch so kleinen Bewegung die Alys vollführte, während die Anklage verlesen wurde. Um seinem bohrenden Blick zu entgehen, ließ sie ihre Augen umherschweifen und musterte den Gerichtssaal.

Ein imposanter Raum in einem beeindruckenden Gebäude. Die Wände und der Boden bestanden aus weißem Marmor und waren von goldenen Fäden durchzogen, die gewölbte Decke wurde von in sich gedrehten, schwarzen Marmorsäulen getragen, die einen nicht zu übersehenden Kontrast bildeten. Es gab zwei mächtige Statuen aus rot gemaltem Stein, die die Symbole der Gerechtigkeit darstellten: einen Krieger mit einem gezückten Schwert und eine Frau mit einem Buch, das aufgeschlagen auf ihren zum Himmel hinauf gereckten Händen ruhte.

Die Besucherplätze waren nur schwach besetzt, für die meisten Bewohner, die sich für die Rechtsprechung interessierten, was es noch zu früh am Tage. Alys war darüber nicht enttäuscht. Je weniger Menschen sie zu Gesicht bekamen, umso besser. Wenn sie in späteren Jahren die Stadt erneut aufsuchen würde, war es nur von Vorteil, dass man sie nicht sofort wiedererkannte.

»...und nicht zu vergessen, den Angriff auf ein ehrbares Mitglied der Stadtwache, der als Zeuge anwesend ist«, endete der Ankläger seinen Vortrag. »Nun liegt es an Euch, ehrenwerter Richter Lopius, ein Urteil in dieser unrühmlichen Angelegenheit zu fällen.«

Lopius nickte dem Verleser dankend zu und richtete seinen Blick auf Alys.

»Habt Ihr der Anklage etwas entgegenzusetzen? Wollt Ihr mir Eure Sicht der Dinge schildern?«

Alys räusperte sich, dann stand sie von ihrem Stuhl auf und neigte das Haupt vor dem Richter.

»Ich danke Euch, ehrenwerter Richter Lopius, dass Ihr mir die Möglichkeit anbietet, Stellung zu nehmen. Die Punkte der Anklage entsprechen der Wahrheit, ich habe diese Männer mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln angegriffen, um mich gegen ihre unverschämten Übergriffe zu verteidigen. Viele Zeugen könnten dies bestätigen, doch ist die Anwesenheit in einer Taverne weit nach Mitternacht kein Umstand, mit dem die ehrbaren Bürger dieser Stadt in Verbindung gebracht werden wollen. Darum steht hier lediglich mein Wort, mit dem ich Euch versichern kann, dass ich mich nur verteidigt habe.« Sie sah zu Darron. »Und der Angriff auf den ehrbaren Angehörigen der Stadtwache geschah aus der Verzweiflung heraus, mehrere Angreifer abzuwehren. Ich bedaure aus tiefstem Herzen, den Mann verletzt zu haben, denn ich weiß, dass er mir im Rahmen seiner Dienstpflichten nur zu Hilfe kommen wollte.« Alys sah beschämt auf ihre Füße, dann setzte sie sich wieder.

Richter Lopius sah sie einige Momente an, dann wechselte sein Blick zu Darron, der bestätigend nickte. Die Aussage der Angeklagten war zutreffend. Er hatte eingreifen wollen, um dem Gesetz zu dienen. Ihr schneller und unbedacht geführter Schlag hatte nichts mit ihm zu tun gehabt, sondern mit der Situation an sich, in der sie sich gegen mehrere Angreifer verteidigt hatte. Sie hatte den Richter nicht belogen, und ein warmes Gefühl durchströmte ihn.

»Nun«, begann Lopius nach einer Weile, »ich entnehme den Aussagen meiner Nachforscher, dass Ihr nicht aus dieser Stadt seid. Ja, schaut mich nicht so ungläubig an, ich habe Männer und Frauen, die den Hintergrund jedes Angeklagten recherchieren. In diesem Fall kommt Euch zugute, dass Ihr mit den Gepflogenheiten unserer Stadt nicht vertraut sein könnt. Ein weiterer Punkt für Euch ist die Tatsache, dass die Männer, die ihr in der Taverne Teller und Krug verletzt habt, dem Gesetz bekannte Störenfriede und ungehobelte Burschen sind. Einzig allein der Angriff auf einen Angehörigen der Stadtwache kann Euch zum Verhängnis werden.«

Lopius schaute zu Darron, der im selben Moment die Hand hob.

»Ja? Was möchtest du uns mitteilen, Stadtwächter Darron?«, fragte Richter Lopius.

Darron stand auf, neigte sein Haupt ehrfürchtig vor dem Oberhaupt des Gesetzes und deutete mit einer Hand auf Alys.

»Ehrenwerter Richter Lopius, ich nehme der Angeklagten den Angriff auf meine Person nicht übel. Sie war derart in Rage, nachdem sie von allen Seiten bedrängt wurde, und ich war nur ein weiterer Mann, der ihr zu nahe kam. Es mag schlimm aussehen, doch ich habe es versäumt, mich frühzeitig zu erkennen zu geben. Daher trifft mich eine Teilschuld. Es wäre nicht fair, die Angeklagte mit aller Härte des Gesetzes zu bestrafen. Sie verdient einen nach Eurem Ermessen gewillten Grad an Milde.« Darron verneigte sich ehrfürchtig, dann nahm er wieder Platz.

Richter Lopius rieb sich nachdenklich über das Kinn und ließ seine Augen über Alys gleiten. Er kam überein, dass sie nicht den Eindruck einer gefährlichen Person machte. Sie wirkte eher verschüchtert und war sich trotz ihrer spärlichen Kleidung ihren offensichtlichen Reizen nicht bewusst. Er beobachtete sie seit dem Beginn der Verhandlung, und die meiste Zeit war ihr Blick beschämt zu Boden gerichtet und spielte angespannt und nervös mit ihren Fingern. Für ihn war offensichtlich, dass sie sich zum ersten Mal einer Gerichtsbarkeit zu stellen hatte.

Lopius griff nach seinem handgerechten Hammer und schlug auf den kleinen Holzblock, und durch die Akustik des Raumes wurde der Klang in allen Ecken verbreitet.

»Erhebt Euch, Alys aus den südlichen Regionen. Ich bin zu einem Urteil gekommen.«

Alys stand langsam auf, und verschüchtert sah sie zu dem Richter auf. Ihre Blicke trafen sich, und Alys senkte schnell das Antlitz.

»Es ist schon gut, Kind«, sagte Lopius. »Ich bin auch nur ein Mensch.« Er räusperte sich. »Ich lasse die Anklage wegen gefährlichen Angriffs fallen. Der einzige Punkt, der Euch anhaften bleibt, ist der Angriff auf die Stadtwache.«

Darron sprang auf. »Ich verzichte auf jedwede Genugtuung, ehrenwerter Richter«, rief er. Lopius schlug den Hammer auf das kleine Holzstück und bedeutete ihm, sich zu setzen.

Während Darron widerstrebend der Aufforderung nachkam, wanderte Lopius Blick zu Alys. »Ihr versteht, warum Ihr bestraft werden müsst?«

Alys stand auf und nickte kräftig. »Natürlich, ehrenwerter Richter. Ich habe ein ehrbares Mitglied der Stadtwache angegriffen. Selbst wenn es nur ein Versehen war, gebietet es der Anstand und vor allem das Gesetz, dass er angemessen entschädigt wird. Ich bitte Euch, ehrenwerter Richter, sprecht Euer Urteil über mich.«

Lopius nickte langsam. Diese Frau war keine Gaunerin, es oblag nicht ihrer Natur, Ärger zu bereiten. Sie war recht hübsch, und dies war gleichermaßen ihr Verhängnis gewesen. Welche Strafe sollte er verhängen, dass sie sich dazu durchgerungen hatte, ihre Ehre zu verteidigen?

»Ihr habt ehrlich und gut gesprochen«, sagte Lopius und lächelte Alys zu. »Verfügt Ihr über die Möglichkeit, die Kosten für einen Heiler zu bestreiten, damit der ehrenwerte Stadtwächter Darron so schnell wie möglich von seiner Verletzung geheilt wird?«

Alys verneigte sich tief von dem Richter. »Und wenn ich meine Waffen verkaufen muss, ich bin bereit, alles dafür zu tun, um den ungerecht zugefügten Schaden zu beheben.«

»Das ehrt Euch, Alys aus den südlichen Regionen«, meinte Richter Lopius. Eine wohlige Wärme durchströmte seinen Leib. »Ich verurteile Euch dazu, die Kosten für die umgehende Heilung des ehrenwerten Stadtwächters Darrons zu übernehmen.«

Alys verneigte sich vor dem Richter. »Ihr seid zu gütig, Euer Ehren. Ich werde mich umgehend Eurem Urteil fügen.« Sie schaute zu Darron hinüber. »Bitte, suche einen Heiler auf, damit ich mich meiner falschen Entscheidung dir gegenüber verantwortlich zeigen kann.«

Lopius nickte zufrieden. »Nachdem Ihr einen Heiler aufgesucht und entlohnt habt, werde ich dafür sorgen, dass Ihr die in Verwahrung genommenen Waffen zurück erhaltet. Die Verhandlung ist geschlossen!« Er klopfte mit dem Hammer auf das schmale Holzstück.

Alys schaute zu ihm herüber, und ein verschmitzter Glanz erfüllte ihre Augen.

Zu einfach.

Viel zu einfach.

Eine einfache, kleine Geste reichte aus, um jeden Mann zu kontrollieren. Sie würde die wenigen Münzen auf sich nehmen und dann unbehelligt ihrer Wege ziehen.

Es war an der Zeit, dass sie diese Stadt verließ und sich auf neue Aufgaben konzentrierte.

 

2

Halmas

 

 

 

Die Erkenntnis der Notwendigkeit war der erste Schritt zur Wahrheit.

Die durch seinen Körper strömende Magie bestätigte die Worte seines Vaters, als er sich in Gedanken mit den Problemen des Dorfes konfrontiert sah, das er vor kurzem passiert hatte.

Halmas lehnte an einem knorrigen Baum und freute sich über den kargen Schatten, den die spröde Krone warf. Er nahm einen kleinen Schluck aus seiner Wasserflasche, gerade genug, um seinen Mund zu spülen und die Trockenheit zu vertreiben. Sein Blick fiel über das verdorrende Land. Seit Monaten hatte es in dieser Region nicht geregnet, und die Bauern befürchteten den totalen Verlust ihrer Saat. Einen Großteil hatten sie bereits abgeschrieben, denn das wenige Wasser, das die Bewohner aus den Brunnen förderten, brauchten sie für sich selbst. Es war ihnen nicht möglich, davon auch noch die Felder zu bewässern.

Er strich sich nachdenklich über die Wangen, und seine Bartstoppeln kitzelten seine Handfläche. Im nächsten Ort würde er sich ein Badehaus suchen und sich einer gründlichen Pflege unterziehen.

Halmas seufzte und nahm einen weiteren Schluck Wasser. Seine Gedanken kehrten zu den Menschen des kleinen Dorfes zurück. Sie waren trotz ihrer Probleme sehr freundlich und aufgeschlossen gewesen, obwohl er für sie ein Fremder war. Er hatte sich seit langer Zeit fast wieder einmal heimisch gefühlt. Er hatte sein Land verlassen, weil der Gedanke, Außenstehenden zu helfen, dort nicht akzeptabel war. Mit diesem Wissen war er aufgewachsen, doch er hatte früh erkannt, dass es noch mehr gab als ein zurückgezogen geführtes Leben. Jeder besaß die gleichen Voraussetzungen, und was er damit erreichte, lag allein in den eigenen Händen.

Halmas hatte seinen Weg gewählt. Er hatte seine Heimat verlassen und die beschwerliche Reise über das große Meer auf sich genommen, um sein Glück auf Nivestad zu finden, dem riesigen Kontinent im Norden. Ein Land der Abenteuer und voller Möglichkeiten für jeden, seine Träume zu erfüllen. Alles, was ihm von seiner Heimat geblieben war, waren unzählige Erinnerungen und eine kleine Phiole mit der Erde aus seinem Dorf, die er an einer silbernen Kette um den Hals trug.

Nun saß er an diesem trostlosen Ort, abertausende Meilen von der Heimat entfernt, und war auf dem Weg zu einem potentiellen Auftraggeber.

Halmas löste die Probleme anderer Menschen.

Kümmerte sich um ihre Sorgen.

Brachte ihre von marodierenden Banden entführten, geliebten Familienmitglieder zurück.

Und wenn es sein musste, tötete er sogar.

Er hatte ein Schreiben von einem besorgten Mann erhalten, der seine Tochter in den Fängen einer ehrlosen Gruppe verschwinden sah, weil sie von ihrem charismatischen Anführer geblendet war und die wahren Absichten der umher stromenden Bande nicht erkannte. In seiner Verzweiflung hatte er nach jemandem gesucht, der ihm helfen konnte, weil die offiziellen Gesetzeshüter nichts ausrichten konnten. Warum dem so war, hatte Halmas nicht gefragt. Er wollte es bei ihrem persönlichen Gespräch herausfinden. Also hatte er lediglich eine Antwort an den Mann geschickt und sich auf den Weg gemacht.

Vier Tage waren seither vergangen, und mindestens drei weitere warteten auf ihn, bevor er sein Ziel erreichte. Noch hatte er den Auftrag nicht angenommen, aber sein Wille, den Mann aufzusuchen, zeugte von Bereitschaft, und dieses Verhalten vermittelte bereits Hoffnung. Halmas wusste das. Wenn der Mann seine Besorgnis glaubhaft verständlich machen konnte, würde er ihm helfen.

Halmas seufzte und sah in die Richtung, aus der er gekommen war. Der sanfte Wind hatte seine Fußspuren bereits völlig verweht. Langsam richtete er sich auf, klopfte sich den Staub und den Sand von seiner Kleidung und ging weiter. Er hatte noch viele Wegmeilen vor sich.

Als er einige Stunden später die Grenzen des dürren Landes erreichte, breitete er die Hände aus und zapfte die Magie in seinem Inneren an. Unvermittelt zogen dichte Wolken auf, und wenige Sekunden später begann es, in Strömen zu regnen.

Dies war sein Geschenk für die Gastfreundschaft der Einwohner.

 

 

3

 

Niemand

 

 

 

Das hohe Gras wog sich träge im Wind und glich den Wellen eines grünen Meeres.

Der junge Mann kauerte hinter einem der wogenden Büschel aufragenden Grases und hielt seinen Bogen im Anschlag. Sein Blick war auf den langsam voranschleichenden Buldak gerichtet. Das Tier würde seine Ältesten für mehrere Tage ernähren. Es war kein Ziel, dass ihm einen Namen verschaffte, aber er konnte sich später um eine rühmliche Aufgabe kümmern. Nun galt es, seinen Wert für die Gemeinschaft und vor allem für seine Familie zu beweisen, indem er sie mit Nahrung versorgte.

Er war Niemand, ein Mann ohne Namen. Eines der jüngeren Mitglieder des Stammes, die sich noch nicht durch eine angemessene Tat hervorgehoben und einen Namen verdient hatten. Die Möglichkeit, sich einen Namen zu verdienen, erlangte man mit dem Eintritt in die Mannbarkeit, dessen Ritus man mit zwölf Jahren durchlief.

Das Problem war, dass Niemand mittlerweile zwanzig Jahre alt war.

Seine Altersgenossen lachten über ihn.

Seine Familie schämte sich für ihn.

Die jungen Namenlosen bedauerten ihn.

Schweiß rann ihm in die Augen, doch er weigerte sich, zu blinzeln. Er durfte den Buldak nicht aus den Augen lassen.

Die Sehne seines Bogens knirschte, als er sie bis zum Äußersten spannte.

Das Tier hielt inne und streckte seine Schnauze in die Höhe. Schnupperte in der Luft.

Hatte er ihn bereits gewittert? Eine beengende Furcht schnürte Niemand die Kehle zu, doch er hielt unbeirrt seinen Bogen gespannt. Ganz langsam hob er ihn eine Handbreit höher und richtete die stählerne Spitze seines Pfeils auf den lauernden Vierbeiner.

Der Buldak senkte das Haupt und begann, das Gras zu fressen. Er hatte ihn nicht wahrgenommen.

Niemand atmete aus, zielte sorgfältig und ließ den Pfeil von der Sehne schnellen. Mit einem quiekenden Ruf sank das Tier zu Boden und verendete augenblicklich. Niemand hatte ihn perfekt getroffen, der Pfeil hatte das Herz des Buldak durchbohrt.

Er senkte das Haupt, schickte ein knappes Gebet des Dankes an den Gott der Jagd und machte sich im Anschluss daran, das Tier für den Transport in sein Dorf vorzubereiten. Da die Angehörigen seines Stammes keine Gabe der Götter verachteten, band er lediglich die Füße des knapp einen Schritt großen Tieres um einen entsprechenden Stock und hievte es über seine Schulter.

Mit diesem Fang hatte er sich erneut einigen Respekt verdient. Auch wenn er keinen Namen trug, konnte er für seine Ältesten sorgen. Dieser Gedanke erfüllte ihn während des gesamten Weges zurück zu seinem Dorf mit verhaltener Freude.

 

 

*

 

 

Als er die ohne Anordnung verstreute Ansammlung der hölzernen Hütten betrat, war er sich der missbilligenden und mitleidigen Blicke bewusst, doch Niemand war mittlerweile in der Lage, diese zu ignorieren und sich auf seine täglichen Aufgaben zu besinnen, die den Schutz und die Versorgung seiner Ältesten umfasste.

Sollten sie doch denken, was sie wollten. Früher oder später würde er sich seinen Namen verdienen.

Er betrat das Haus seiner Ältesten und warf den toten Buldak neben die wohlig wärmende Feuerstelle, dessen Flammen ihn in einen flackernden Schein hüllten und seinen Körper als tanzenden Schatten an die Wände malte. Seine Ältesten waren nicht zugegen. Wo sie sich aufhielten, vermochte er nicht zu sagen, doch er machte sich auch keine Sorgen. Sie konnten nur innerhalb der schützenden Grenzen des Dorfes sein, und dort war es mehr als unwahrscheinlich, dass ihnen etwas zustieß.

Niemand begann, das Tier fachgerecht zu zerlegen, das Fleisch entsprechend zu verarbeiten und zu lagern. Mehrere Stunden beschäftigte er sich sorgfältig mit seiner Jagdbeute, was ihm ermöglichte, nicht nach draußen gehen und sich den Blicken der anderen Dorfbewohner stellen zu müssen.

Als Namenloser in seinem Alter war sein Stand sehr gering. Er hatte keinerlei Mitspracherecht bei Entscheidungen, die das Dorf betrafen. Er durfte keine Jagdgruppen anführen. Seine Anwesenheit bei den seltenen Zusammenschlüssen der Dorfvertretung war nicht erwünscht.

Er war ein Außenseiter.

Sein Name offenbarte seinen Status innerhalb des Dorfes.

Er war ein Niemand.

Es gab keinen anderen wie ihn.

Seine Stärke war sein Wille und die Verbundenheit zu seinen Ältesten. Dieser Umstand hielt ihn davon ab, das Dorf als Verschmähter zu verlassen und sich in einer abgelegenen Höhle in seinen Dolch zu stürzen und seiner niederen Existenz ein Ende zu bereiten.

So lange er sich um seine Ältesten kümmern musste, würde dies nicht geschehen. Früher oder später würde auch er die Gelegenheit bekommen, sich einen Namen zu machen. Einen großen Namen.

Niemand seufzte und verstaute die letzten Fleischbrocken. Mittlerweile näherte sich die Sonne dem Horizont. Sein Blick glitt durch den Raum. Ohne seine Ältesten war er seltsam leer und unvertraut.

Ihre Hütte war einfach gehalten. Ein großer Hauptraum, in dem eine im Boden eingelassene Feuerstelle den Mittelpunkt des Raumes bildete, um die mehrere Sitzgelegenheiten aus gefüllten Kissen und gegerbten Fellen lagen. An einer Wand stand ein einfach gezimmerter Tisch, auf dem verschiedene Töpfe, Tiegel und geschnitzte Teller sorgfältig aufgereiht lagen. An den Wänden hingen verschiedene, aus Knochen gefertigte Symbole, die gegen böse Geister schützen, den Bewohnern Glück bringen und Gesundheit erhalten sollten.

Niemand strich seine schulterlangen Haare zurück und sah erneut durch das geöffnete Fenster auf die untergehende Sonne. Er legte eine Hand auf den Stab, der den hölzernen Laden hielt, doch er entschied sich dagegen. Dafür war immer noch genug Zeit. Je mehr Tageslicht, selbst wenn es schwindendes war, in den Raum hineinströmte, desto schwerer hatten es die Geister der Nacht, ihr Heim aufzusuchen.

Niemand schaute auf den Haufen Fleisch, der darauf wartete, geräuchert zu werden, doch gleichzeitig schoben sich die Gedanken an seine Ältesten in den Vordergrund.

Wo waren sie? Besuchten sie ihre alten Weggefährten im Dorf? Die Männer und Frauen, mit denen sie aufgewachsen waren? Auch wenn aufgrund seiner Namenslosigkeit der Freundeskreis sehr geschrumpft war, gab es noch immer genug Stammesangehörige, die sich mit ihnen, da sie immerhin Namensträger waren, abgaben.

Er würde einfach das gelagerte Holz hinter der Hütte hervorholen und die angebaute Räucherkammer anfeuern. Sie würden schon irgendwann nach Hause kommen.

Er trat mit gesenktem Haupt aus der Hütte, bis er sicher war, dass keiner der hohen Namen in seiner direkten Umgebung war, dann schritt er schnell hinter das Haus und trug das Holz heran. Als Namenloser durfte er einen hohen Namensträger nicht mit seiner Anwesenheit belästigen, indem er ihn nur ansah. Er wurde geduldet, hatte sich jedoch im Hintergrund zu halten.

Merkwürdigerweise waren keine der anderen Stammesangehörigen in seiner Umgebung. Das Dorf wirkte wie leergefegt.

Wo waren sie alle? War etwas geschehen?

Auch wenn es ihm untersagt war, machte er sich mit heftig pochendem Herzen auf den Weg zur Hütte des Häuptlings, vor der ein großer Versammlungsplatz angelegt war. Wenn es etwas zu bereden und zu entscheiden gab, war dies der Ort, den man aufsuchte.

Als er um eine Hütte herumging, sah er sie bereits. Sämtliche Stammesmitglieder tummelten sich auf dem Platz, die hohen Namen, die jungen, namenlosen Anwärter, die ehrenwerten Mitglieder der Gemeinschaft. Seine Ältesten waren auch zugegen.

Er zwang sich selbst, ruhiger zu werden, seinen pochenden Herzschlag zu kontrollieren und sich so gut es ging im Hintergrund zu halten. Seinen Ältesten war nichts zugestoßen, sie waren lediglich dem Ruf des Häuptlings gefolgt. Alles war in Ordnung.

Nur wenige Augenblicke später erkannte Niemand, dass nichts in Ordnung war.

 

 

*

 

 

»...und das ist die Lage«, rief der Häuptling und ließ seinen Blick über die versammelte Menge schweifen. »Wir werden umgehend aufbrechen, um unsere Angehörigen zurückzubringen. Wir werden den Frevlern lehren, was es bedeutet, sich mit uns anzulegen. Kein Übergriff auf unsere Stammesmitglieder bleibt ungesühnt!«

Die Versammelten reckten zustimmend die Fäuste in die Höhe und riefen den Namen ihres Häuptlings.

Vorsichtig bahnte sich Niemand seinen Weg zu seinen Ältesten und vermied es, die übrigen Anwesenden direkt anzusehen. Er wollte niemanden provozieren. Die Stimmung war aufgeheizt, und solange er nicht wusste, was der Grund dafür war, wollte er keinem anderen Stammesmitglied zu nahe treten und mit seiner geringen Anwesenheit erzürnen.

»Vater, Mutter«, sagte er leise, als er sich neben ihnen eingefunden hatte. »Bitte, was ist geschehen? Ich war zu spät und habe den Beginn der Rede des ehrenwerten Häuptlings verpasst.« Niemand neigte seinen Kopf und vermied es, seinem Vater in die Augen zu schauen.

»Ich erzähle es dir, wenn wir zuhause sind«, antwortete der alte Mann knapp und stieß Niemand vor sich her, um den Versammlungsplatz zu verlassen. Seine Mutter folgte ihnen in einem angemessenen Abstand.

Niemand war sich der verachtenden Blicke bewusst, als er an den Männern des Stammes entlang schritt, doch er hielt seinen Blick auf seine Füße gerichtet und ging einfach weiter.

Ohne weitere Schmähungen erreichten sie ihre Hütte, und seine Ältesten schritten erhobenen Hauptes an ihm vorbei und betraten das kleine Holzhaus vor ihrem namenlosen Sohn. Niemand folgte ihnen in Ehrfurcht und nahm auf einen Wink seines Vaters seinen zugewiesenen Platz am Feuer ein, nachdem er dieses mit mehr Holz versorgt und den Fensterladen geschlossen hatte.

Sein Vater sah lange in die lodernden Flammen, bevor er seine Augen auf seinen Sohn richtete.

»Angehörige der Gemeinschaft, die Jagdgruppe, sind verschwunden. Es wird vermutet, dass ein feindlicher Stamm dafür verantwortlich ist. Bei Sonnenaufgang werden die stärksten, eines Kampfes fähige Männer des Stammes aufbrechen, um ihren Spuren zu folgen und sie aus den Händen der Feinde zu befreien«, sagte der Älteste. Niemand sah in seinen Augen die bedauernde Kälte, dass sein Nachwuchs nicht dieser Gruppe angehören würde.

»Ich verstehe«, sagte Niemand. »Wer hat die Jagdgruppe geleitet, wenn mir diese Frage gestattet ist, Vater?«

Der Älteste nannte seinen Namen, und Niemand erschauerte. Ausgerechnet er. Einer der stärksten und furchtlosesten Angehörigen des Stammes.

Doch gleichzeitig keimte eine wahnwitzige Idee in ihm auf. Ein Weg, sich endlich seinen Namen zu verdienen.

»Vater, bitte verzeihe mir meine Forschheit, doch ich spiele mit dem Gedanken, meine Kraft anzubieten, um die anderen bei der Suche nach der Jagdgruppe zu unterstützen. Wenn wir erfolgreich sind und die Männer zurückbringen, habe ich endlich die Möglichkeit errungen, mir einen Namen zu verdienen. Und wenn ich bei dem Versuch, sie zu retten, sterbe, ist es wenigstens nur mein wertloses Leben, das endet, bevor ein ehrbarer Namensträger sein Leben verliert. Ich würde mich in jeden Angriff werfen, der gegen einen Namensträger gerichtet ist. Das gebietet meine geringe Existenz.« Niemand suchte den Blick des Ältesten. »Wie lautet deine Meinung dazu?«

Sein Vater sah ihn lange an. Keinerlei Gefühl war seinem Gesicht abzulesen. Das flackernde Feuer ließ zuckende Schatten über sein Gesicht tanzen. Schließlich räusperte er sich und sah seinem Sohn in die Augen.

»Ein solches Verhalten würde dir Ehre verschaffen, mein Sohn. Und vielleicht sogar einen Namen.«

»Dann soll es so sein«, meinte Niemand energisch, und das kurze Schluchzen seiner Mutter erfüllte die Hütte. Doch weder er noch sein Vater gingen darauf ein.

»Ich werde mit Tausendtöter sprechen«, sagte sein Vater. »Wir sind seit Jahrzehnten miteinander befreundet. Er wird mein Anliegen verstehen, wenn ich dich vorschlage.«

Niemand ging auf die Knie und beugte sein Haupt vor seinem Vater. »Ich danke dir«, sagte er und legte seine Hände auf die Füße des alten Mannes. »Ich werde dir keine Schande bereiten. Eher gebe ich mein Leben, als dass deine Empfehlung meiner niederen Existenz bei der Suche nach unseren Stammesbrüdern deinem Ruf schadet.«

Der alte Mann sah auf seinen Sohn nieder, dann legte er mitfühlend eine Hand auf seinen Hinterkopf.

»Du wirst mich mit Stolz erfüllen«, sagte er mit belegter Stimme.

Niemand drückte seine Augen fest zusammen, um die aufsteigenden Tränen der Dankbarkeit zu unterdrücken.

Er würde seinen Vater mit Stolz erfüllen.

Wenn der Häuptling seine Bereitschaft akzeptierte, für die Kameraden in den Tod zu gehen.

4

 

Alys

 

 

 

Teller und Krug war wie an jedem Abend gut besucht und der Lärmpegel jenseits eines verständlichen Wortes.

Nach ihrer Nacht im Gefängnis, der Vorführung vor dem Richter und dem nahezu lächerlichen Urteil brauchte sie mehr als ein gefülltes Horn, um ihre aufwallenden Gefühle zu beruhigen.

Sie hatte es wieder einmal geschafft, und sie hatte nicht mal jemanden umbringen müssen.

Wozu ein freundliches Lächeln, ein annehmbarer Körper und begehrenswerte Titten doch nützlich waren. Nicht zu vergessen, die ihr in die Wiege gelegte Gabe der Beeinflussung. Seit sie sich erinnern konnte, hatte sie überwiegend das andere Geschlecht dazu bringen können, Sachen für sie zu erledigen, ihr hilfreich zur Seite zu stehen und selbst wenn sie etwas Ungebührliches verbrochen hatte, konnte ihr nie jemand lange böse sein. Mit zunehmendem Alter hatte sie diese Fähigkeit stets verbessert, und seit sie über einen begehrenswerten Körper verfügte, war alles noch viel einfacher geworden.

Sie hatten einen Heiler aufgesucht, der mit wenigen Handgriffen und Tinkturen den Schaden am Auge der Wache behoben hatte. Nachdem sie die Rechnung beglichen und nach einem Umweg in die Waffenkammer der Obrigkeit ihre Klingen zurück bekommen hatte, war sie ihrer Wege gezogen. Nun stand ihr der Sinn danach, ausgelassen zu feiern.

Alys prostete einem ihr unbekannten Mann zu und leerte ihr Horn in einem Zug. Die Menge grölte.

Sie liebte es, im Mittelpunkt zu stehen.

Sie war sich der musternden und lüsternen Blicke bewusst, als sie sich mit einem neu gefüllten Horn dem Tisch näherte, an dem bereits drei Männer saßen, die sie mit glänzenden Augen erwarteten.

Sie ließ sie auf den freien Platz fallen und grinste die Anwesenden breit an.

»Na, ihr hübschen Bengel? Was hat dieser Abend zu bieten?«

»Eine Menge Spaß«, stieß einer von ihnen hervor, und die anderen stimmten grölend ein und hielten ihre Kelche in die Höhe.

»Spaß ist gut«, grinste Alys und prostete ihnen zu. Sie würde diese armseligen Gestalten unter den Tisch trinken und sich mit ihren Börsen davonmachen. Sie würde nicht einmal einen von ihnen ficken müssen. Nach der Menge an Wein bekam ohnehin keiner von ihnen mehr einen hoch.

Hin und wieder gönnte sie sich einen derartigen Spaß. So schnell wie bei diesen betrunkenen Kerlen konnte sie ihr Geld nirgendwo sonst verdienen.

»Jungs, wie wäre es mit einem Spiel?«, rief sie in die Runde und ließ ihre Hand absichtlich über ihren Busen streifen. »Ich bin mir sicher, dass ihr euch vor keinem Risiko scheut.«

»Nur zu!«, rief einer von ihnen. »Nenne uns ein Spiel. Aber wenn du verlierst...« Er grinste sie anzüglich an. Alys lehnte sich vor und berührte ein zuckendes Knie.

»Dann werde ich alle tun, was du willst«, hauchte sie verführerisch, und sie sah bereits vor ihrem inneren Auge, wie er sich in die Vorstellung hineinsteigerte und zu einer leichten Beute wurde.

Sie blickte in die Runde und ließ ihre Zunge über ihre Lippen gleiten. »Also dann, trinken wir!«

 

 

*

 

 

Die Rufe und den Jubel der um sie herum stehenden Gäste nahm Alys nur noch gedämpft wahr. Der Tisch war mit teilweise gestapelten und verstreuten Goldmünzen belegt.

Zwei ihrer Gegner lagen bereits auf dem Boden, nur der Verbliebene weigerte sich hartnäckig, seine Niederlage einzugestehen und fixierte sie aus glasigen Augen.

»Bist dran«, spie er ihr mit schwerer Zunge entgegen und wedelte mit seiner Hand vor ihrem Gesicht.

Alys grinste ihn breit an, griff nach dem gefüllten Kelch, zu denen sie wegen der größeren Füllmenge übergegangen waren, und setzte ihn an ihre vollen, glänzenden Lippen. Sie zwinkerte ihrem Gegenüber zu und legte den Kopf in den Nacken.

Sie leerte den Kelch mit wenigen, tiefen Schlucken und ließ ihn hart auf den Tisch krachen. Einige der Goldmünzen sprangen klirrend in die Höhe.

»Jetzt...du, Süßer«, hauchte Alys und genoss das schwere Rauschen, das ihren Kopf erfüllte. Sie war eine Menge gewohnt, aber allmählich kam selbst sie an ihre Grenzen. Warum fiel er nicht um?

»Los, Finos, du schaffst es!«, rief einer aus der versammelten Menge. »Du wirst doch nicht gegen eine Frau verlieren wollen, oder?«

Gelächter erfüllte die Taverne.

Langsam und unter angestrengter Konzentration legte Finos beide Hände um den Kelch. Sein Kopf schwankte stetig hin und her, dennoch hielt er die Augen fest auf Alys gerichtet.

»Du wirs mich nich besiegn«, zischte er durch seine gelben Zähne. »Dein Arsch is meiner.«

»Dann...gewinn ihn...dir«, erwiderte Alys. Sie sprach bewusst langsam, um ihre Worte nicht ineinander fließen zu lassen. Eine derartige Schwäche würde ihn nur in Sicherheit wiegen. Sie konnte nur hoffen, dass sich zu seinem vernebelten Verstand allmählich die Verzweiflung gesellte.

Ihre Beine prickelten. Eine nicht unangenehme Taubheit kroch langsam durch ihren Körper. Ein dumpfes Pochen drückte von innen gegen ihre Augen.

Sie musste die Sache jetzt zu Ende zu bringen.

Finos hob den Kelch an, starrte sie über den Rand hinweg an und führte ihn zu seinem Mund.

Während sie ihren Blick nicht von ihm nahm, hob sie langsam den Fuß unter dem Tisch an und strich an seinem Bein hinauf, bis sie die Sohle fest in seinen Schritt drückte und ihn mit erhobenen Augenbrauen angrinste.

Er verschluckte sich und prustete den Wein aus seinem Mund über den ganzen Tisch.

Die Menge stöhnte enttäuscht auf.

»Du sollst trinken, nicht spucken!«, rief einer der Männer.

»Soll sie dir nochmal zeigen, wie man schluckt?«, rief ein anderer und erntete grölendes Gelächter.

»Blöde Schlampe!«, fauchte Finos. »Wassolln das? Willst mich ablenken, was? Wird dir nich gelingn. Dich trink ich untern Tisch, wirst sehn!«

Ein neuer, gefüllter Kelch wurde vor Finos abgestellt. Die Regeln des Spiels besagten, dass man ohne abzusetzen austrinken musste. Da er mehr als die Hälfte seines Kelchs wieder ausgespuckt hatte, musste er erneut beginnen.

Alys sah ihn unschuldig an und suchte die Blicke der Zuschauer, von denen nicht wenige nur sie anstarrten.

Sie lehnte sich bewusst aufreizend und lächelnd zurück. Die Menge hatte sie bereits auf ihrer Seite. Auch wenn ihre Gedanken noch klar und überlegt waren, spürte sie doch, wie ihr Körper sie langsam im Stich ließ.

Während sie noch darüber grübelte, wie sie ihren Gegner aus dem Konzept bringen konnte, setzte Finos den Kelch an und leerte ihn mit schnellen Schlucken. Ein wenig Wein rann aus seinen Mundwinkeln, doch das war innerhalb der Regeln. Er starrte sie höhnisch grinsend an.

»Da staunst was, hä? Du gehörs mir bald.«

Alys sah ihm in die Augen und ihre Zuversicht kehrte zurück. Sie lächelte, während sie langsam begann, die Goldmünzen zusammenzulegen.

»He, lass das! Sauf gefälligst, Schlampe!«, keifte Finos. Er blinzelte mehrmals, dann begann er zu schielen. Bevor einer aus der Menge die Lage überblickte, hatte Alys sie bereits erfasst. Finos Kopf schnappte zurück, schlug an die Lehne seines Stuhl, dann fuhr er nach vorne und krachte lautstark auf den Tisch. Die Goldmünzen sprangen in die Höhe, und Alys streckte kontrolliert einen Arm aus und streichelte seinen Hinterkopf.

»Hast dich...gut...geschlagen, Kleiner«, meinte sie und grinste die versammelten Männer an, die grölten und applaudierten. »Wer von...euch Süßen hilft...mir, meinen Gewinn...nach Hause zu...tragen?«

»Das mache ich«, rief ein Mann, und Darron, der Angehörige der Stadtwache, trat aus der Menge hervor. Er trug einfache Kleidung, da seine Dienstzeit verstrichen war, und er sah wirklich gut aus in seiner gegerbten Lederhose, dem fein geschnittenen Leinenhemd und der Ledergürtel mit der großen Metallschnalle zog ihren Blick förmlich auf die wichtigen und interessanten Stellen.

Ihre Blicke trafen sich, und Alys erkannte trotz ihres Zustands erfreut, dass die Nacht noch einiges zu bieten hatte.

 

5

 

Niemand

 

 

 

Niemand folgte seinem Vater mit gesenktem Haupt. Da es ihm nicht gestattet war, um eine Audienz beim Häuptling zu bitten, nahm sein Vater die Bürde auf sich, einen Namenlosen hervorzuheben. Er würde seinen Sohn empfehlen, damit sich dieser der Gruppe anschloss, die bei Sonnenaufgang auszog, um die Mitglieder der Jagdgruppe aus den Fängen eines feindlichen Stammes zu befreien, und er würde die zuvor bereitgelegten Argumente vortragen.

Sein Vater hoffte von ganzem Herzen, dass der Häuptling seinen Worten lauschte und sich auf das beinahe unverschämte Angebot einließ.

Die Sonne war bereits untergegangen, und es hielten sich nur noch wenige Stammesmitglieder außerhalb ihrer Hütten auf. Sie grüßten den alten Mann, während sie den Namenlosen in seinem Gefolge völlig ignorierten.

Als sie schließlich die Hütte des Häuptlings erreichten, die in ihrer Größe die der anderen um mehr als das Doppelte überragte, wurde Niemand sich erneut seiner Minderwertigkeit bewusst. Er brauchte diese Chance, um seinen Namen zu verdienen, aber vor allem wollte er sie nutzen, um seinem Dorf einen wertvollen Dienst zu erweisen.

»Warte hier«, wies sein Vater ihn

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 29.07.2015
ISBN: 978-3-7396-0751-1

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Widmung:
In Erinnerung an den einzig wahren Commander. Du fehlst.

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