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Heinzelmännchen - Leseprobe aus Kapitel 5

Jake stöhnte und griff sich an den Kopf. Darin schien jemand eingezogen zu sein, um mit einem großen Hammer sein Hirn zu traktieren. Es dauerte einen Moment, bis ihm der ganze Abend wieder einfiel. Mason hatte ihm Brandy angedreht, oder? Auf jeden Fall erinnerte er sich daran, dass Susan zum gegrillten Lachs für alle Weißwein verlangte. Und zu fortgeschrittener Stunde war Stan auf die Idee gekommen, Caipirinha zu verteilen. Vom reichlichen Bierkonsum mal ganz abgesehen.
Er ächzte leise. Kein Wunder, dass ein Schmied in seinem Schädel hockte. Dennoch lächelte er schief. Es war eine gelungene Einweihungsfeier gewesen. Eindeutig. Wenn Mason, Susan, Stan und George ihm in der letzten Woche nicht so viel geholfen hätten, sähe es hier immer noch nach einer Großbaustelle aus. So musste er sich lediglich noch das Badezimmer und das Gäste-WC vornehmen. Darum würde er sich an den Wochenenden und nach der Arbeit kümmern, denn übermorgen hatte sein Urlaub ein Ende.
Das Haus entsprach inzwischen fast seinen Vorstellungen. Der Parkettboden war das i-Tüpfelchen, die Wände waren tapeziert und gestrichen, Türen sowie Fenster glänzten frisch lackiert. Die neuen Küchenmöbel hatten sie gestern Nachmittag gemeinsam aufgebaut. Kaum war die letzte Schraube angezogen gewesen, hatte Susan beschlossen, dass es der richtige Zeitpunkt für eine Einweihungsparty sei. Sie war spontan entstanden, aber nichtsdestotrotz toll gewesen.
Jake schlug die Decke beiseite und setzte sich vorsichtig auf den Rand seines Bettes. Die hereinlachende Sonne erinnerte ihn daran, dass er sich noch Vorhänge oder Jalousien kaufen sollte. Weniger, um vor neugierigen Nachbarn zu schützen, denn reinsehen konnte bei ihm niemand. Der Sonneneinfall musste reduziert werden. Zumindest morgens, wenn man verkatert aufwachte. Auf dem Küchentisch hatte er eine recht umfangreiche Liste mit Dingen liegen, die er noch besorgen wollte. Das Haus war zwar von innen fast fertig, jedoch so gut wie leer.
Seufzend stand er auf und ging ins Badezimmer. Ein Blick auf die Ablage vor dem Badezimmerspiegel ließ ihn stutzen, dann grinste er breit. Einer seiner Gäste war sehr vorausschauend gewesen. Er tippte auf Susan. Dankbar öffnete er die Schachtel mit Schmerztabletten, drückte zwei auf die Hand und spülte sie mit reichlich Leitungswasser hinunter. Anschließend stellte er sich unter die Dusche und hoffte den kleinen Tyrannen in seinem Kopf rasch loszuwerden. Als er sich träge anzog, wurde das Hämmern im Kopf schon weniger.
Jake seufzte, als er an die Unordnung dachte, die sie gestern hinterlassen hatten. Den Vormittag würde er wohl mit Aufräumen verbringen müssen. Er tappte die Treppe hinab. Der erste Weg führte ihn in die Küche, denn ohne ein oder zwei Tassen Kaffee sah er sich nicht imstande, das Chaos zu beseitigen. Als er den Raum erreichte, blieb er abrupt stehen. Er rieb sich über die Augen. Das konnte nicht sein. Völlig verdattert starrte er auf eine blitzeblank geputzte Küche. Mit gerunzelter Stirn betrat er sie. Sicherlich hatte er reichlich getrunken, jedoch gab es keinen Filmriss. Als er seine Gäste gestern Nacht verabschiedet hatte, sah es hier eindeutig anders aus. Er warf die Kaffeemaschine an und ging danach langsam durch das Wohnzimmer. Ein Blick auf die Terrasse genügte und er blieb stehen. Auch hier sah es aus, als hätte niemals eine Party stattgefunden. Nachdem er die Tür geöffnet hatte, blickte er sich um. Keine Gläser, nirgends standen Teller herum und der große Tisch war gereinigt. Perplex marschierte er zurück in die Küche. Er schaute in die Schränke. Das saubere Geschirr stapelte sich auf den Einlegeböden.
Jake goss sich einen Kaffee ein, dann setzte er sich an den Küchentisch. Außer ihm besaß niemand einen Schlüssel zum Haus. Susan hätte sich also nicht noch einmal reinschleichen können. Davon mal abgesehen hätte ihr ordentlicher Schwips dafür gesorgt, dass sie gar nicht mehr in der Lage gewesen wäre, hier auch nur einen Handschlag zu erledigen. Obendrein waren die vier in zwei Taxis gestiegen, die sie zuvor bestellt hatten. Jake guckte auf die Uhr, die über der Küchentür hing. Es war halb elf am Vormittag. Ob er Susan und Mason vielleicht anrufen sollte? Er schüttelte den Kopf. Was sollte er sie fragen? Seid ihr noch mal zurückgekommen, um das Haus aufzuräumen? Sie würden ihn für verrückt erklären. Es wäre wohl besser, am Montag in der Firma unauffällig die Fühler auszustrecken oder zu schauen, ob womöglich Anspielungen kamen.
Der Gedanke, dass sich hier jemand zu schaffen gemacht hatte, während er seinen Rausch ausschlief, gruselte ihn. Mit der Kaffeetasse in der Hand tigerte er zum Gäste-WC. Vorsichtig linste er hinein, doch es war, wie zu erwarten, leer. Sein Weg führte ihn erneut ins Wohnzimmer. Er schaute sich um, obwohl ihm aufgefallen wäre, wenn sich hier jemand aufhalten würde. Danach ging er langsam die Treppe hinauf und kontrollierte auch hier jeden Raum, als wäre er das erste Mal in dem Haus. Ehe er sich auf den Weg in den Keller machte, drückte er die Klinke der Haustür hinab. Die Tür war verschlossen. Anschließend tapste er den Flur entlang und rüttelte an der Hintertür. Sie war ebenso zu. Sein letzter Gang führte ihn ins Untergeschoss. Tageslicht schien zu den schmalen Fenstern herein, sodass er den großen Raum problemlos überblicken konnte. Alles war wie immer. Jake kehrte in die Küche zurück und setzte sich. Er rieb sich über das Gesicht und atmete tief ein. Die Sache war verdammt unheimlich.
*
Knapp sechs Stunden später parkte er seinen Wagen in der Auffahrt. Auf der Ladefläche des Pick-ups stapelten sich die Einkäufe, denn Jake hatte sich ablenken müssen, um sich nicht länger den Kopf zu zerbrechen. Eigentlich wollte er das Wochenende nicht viel im Haus tun und sich ein wenig entspannen, ehe es wieder an die Arbeit ging, doch sich beschäftigen schien ihm gerade die bessere Alternative. Als Erstes war er in Möbelgeschäften gewesen und hatte tatsächlich ein paar Einrichtungsstücke gefunden, die ihm gefielen. Sie würden im Laufe der Woche geliefert werden. Anschließend hatte er reichlich Holzschutzmittel für die Veranda besorgt, große Töpfe für Pflanzen, die er dort irgendwann hinstellen wollte, jede Menge Werkzeug und last, but not least: neue Schlösser. Eines für die Haustür, ein weiteres für die Hintertür.
Zuerst trug er jedoch den voluminösen Karton auf die Veranda, der seinen neuen Fernseher beinhaltete. Im Shop des Kabelanbieters hatte man ihm einen raschen Anschluss versprochen.
Stück für Stück entlud er die anderen Einkäufe, dann schloss er die Haustür auf. Nachdem er den größten Teil der Anschaffungen hineingebracht hatte, begann er die Zylinder auszutauschen.

*
Jake zog sich aus und warf seine Sachen auf den Küchenstuhl, den er vorerst ins Schlafzimmer gestellt hatte. Seine restliche Kleidung stapelte er auf Umzugskartons, die ebenfalls Klamotten enthielten. Seufzend dachte er daran, dass der ausgewählte Kleiderschrank erst in zwei Wochen geliefert werden konnte. Er legte sich ins Bett und deckte sich zu. Den ganzen Tag hatte er sich beschäftigt und war somit zumindest teilweise von dem Mysterium abgelenkt gewesen, wie es in seinem Haus zu Ordnung gekommen war. Doch jetzt ratterte sein Verstand erneut. Er schloss die Augen und versuchte einzuschlafen. Es gelang ihm nicht und so wälzte er sich von einer Seite auf die andere. Letztendlich lag er auf dem Rücken und starrte die Zimmerdecke an. Seine rationale Seite erklärte ihm, dass niemand ins Haus gelangen konnte. Auch wenn in der letzten Nacht abgeschlossen gewesen war, nun hatte er neue Türschlösser eingebaut. Dieser Gedankengang ließ ihn dennoch nicht ruhiger werden. Er konzentrierte sich auf die Geräusche. Ab und an fuhr ein Auto vorbei … Irgendetwas quietschte leise. Jake öffnete die Augen. Kam das Geräusch aus seinem Haus? Es klang recht nah. Knarzten da nicht die Stufen seiner Treppe? Innerhalb einer Sekunde saß er kerzengerade im Bett. Er schüttelte den Kopf. Seine Fantasie musste ihm einen Streich spielen. Der eben noch ruhige Herzschlag wurde hektisch.
Jake schlug die Bettdecke beiseite und stand auf. Was, wenn sich Einbrecher Zugang verschafft hatten? Doch außer seinem Fernseher gab es hier nichts von Wert. Er schaute rasch durch das Zimmer. Es gab nichts, womit er sich hätte verteidigen können, falls dort wirklich jemand auf dem Flur stand. Während er die Zähne zusammenbiss, hoffte er, dass seine bullige Statur erschreckend genug wirkte, um einen potenziellen Angreifer zu verscheuchen. Er hustete laut, räusperte sich und ging zum Lichtschalter. Vielleicht dachte jemand, dass das Haus noch leer stand? An der Zimmertür lauschte er, doch nichts war zu hören. Nachdem er etwas zurückgetreten war, holte er tief Luft und riss die Tür auf.

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Tag der Veröffentlichung: 23.02.2017

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