April stand vor dem mannshohen Spiegel. Ihre Haare fielen in goldenen Wellen über ihre Schultern, während ihr ein giftgrünes Augenpaar entgegen starrte. Ein schimmernd schwarzes Cocktailkleid spannte sich trägerlos um ihre Brüste, lag eng an ihrem flachen Bauch und schmiegte sich federleicht um ihre langen Beine, bis es knapp über den Knien endete. Immer noch im Staunen gefangen, strich sie zaghaft über den glatten Stoff. Der Gedanken, ihr Anblick sei nur ein wunderschöner Traum beängstigte sie. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich als hübsch betrachtet, weshalb sie nun nichts anderes als ein erstauntes „Oh“ aus ihrem Mund herausbekam.
Jacky dagegen konnte sich ihr überhebliches Grinsen nicht unterdrücken. Mit einem leisen, rauen Lachen, legte sie ihrer Freundin die Hand auf die Schulter und rief mit ihrer schrecklich schrillen Stimme: „Herzlichen Glückwunsch, meine Süße! Ich wusste gleich, als ich das Kleid sah, dass es für dich bestimmt ist! Die siehst umwerfend aus!“
Bei den lobenden Worten errötete April. Umwerfend. Ja, sie sah wirklich umwerfend aus. Und das, obwohl sie sonst wie ein graues Mäuschen rumlief.
Ein wehleidiges Lächeln legte sich auf ihre Lippen. „Das kann ich doch nicht annehmen, Jacky. Das muss schrecklich teuer gewesen sein.“ Der Gedanken, den traumhaft schönen Stoff wieder über ihre Beine zu ziehen und abzugeben, ließ ihr Herz schmerzen.
Zu ihrem Glück schüttelte Jacky stur den Kopf. „Nein, es gehört dir. Ich meine, wie oft wird man schon achtundzwanzig? Du brauchst unbedingt etwas Abwechslung in deinem öden Leben, und was bringt einen nicht schneller auf gute Gedanken, als ein geiles Kleid? Und noch mal, du siehst darin umwerfend aus.“
Mit einem überglücklichen Lächeln drehte April sich wieder von ihrer Freundin weg und betrachtete sich erneut im Spiegel. In diesem Kleid entdeckte sie, was für Kurven sie eigentlich besaß. Bei ihrer üblichen Kleidung – dicker Schlabberpulli, Leggins oder Jogginghose – fiel ihr das nicht wirklich auf. Außerdem hatte sie es größtenteils vermieden, sich im Spiegel zu betrachten.
Ein irrwitziger Gedanke kam ihr. „Jacky, stell dir mal die verdutzten Gesichter vor, die mir meine Kollegen im Krankenhaus zuwerfen würden, käme ich so dahin.“ Ihre Worte unterstreichend fuhr sie sich noch einmal mit den Händen am Körper hinab.
Jacky brach in schallendes Gelächter aus. Auch April stimmte mit ein. Als ihre Freundin sich schließlich die Tränen wegwischte und versuchte, ihr schrilles Kichern zu unterdrücken, grinste sie sie mit schokobraunen Augen im Spiegel an.
„Ich kann dir versprechen, mehr als die Hälfte der Anwesenden Männer kriegen ‘nen Ständer!“ Bei dem Gedanken musste April augenblicklich grinsen.
Jacky musterte sie noch einmal, dann drehte sie sich um und ging aus dem Schlafzimmer raus. Eilig folgte April ihr. Sie fand sie kniend vor dem mickrigen Schuhschrank wieder, wo April die wenigen Paare, die sie besaß, lagerte. Mit einem angewiderten Murren, zog ihre Freundin sich wieder zurück – ein schwarzes Paar Pumps in der Hand. „So schöne Schuhe in einem so hässlichen Schrank. Eingelagert und voller Staub. So eine Verschwendung!“
Schuldbewusst sah April auf den Boden. „Du weißt doch, ich hab`s nicht so mit Schuhen.“ Ihre Freundin starrte sie an, das wusste sie, auch wenn sie`s nicht sah.
April wusste ganz genau, dass diese Schuhe ein altes Geburtstagsgeschenk ihrer Freundin war. Weswegen sie Jackys vorwurfsvollen Blick durchaus verstehen konnte.
Dass jedoch nur ein „Hmm“ als Erwiderung kam, verdutzte sie, sodass sie den Blick hob. Ihre Freundin stand wackelig aus ihrer hockenden Stellung auf und hielt ihr die Schuhe hin. „Nun ja, daran kann ich nichts ändern. – Aber heute Abend wirst du sie brauchen.“
Überrascht nahm April die Pumps entgegen und stierte sie an. „Was? Wieso?“ Jacky lächelte nur geheimnisvoll. „Vertrau mir. Zieh sie an und dann komm mit.“
Ohne ein weiteres Wort stolzierte Jacky davon und aus der Wohnungstür hinaus.
April machte sich daran, schnell in die Schuhe zu schlüpfen, ehe sie ihrer Freundin umständlich folgte. Warum waren diese hohen Hacken nur so schwer auszubalancieren? Sie konnte einfach nicht verstehen, wie Frauen auf ihnen so grazil und anmutig gehen konnten. Für sie waren sie einfach nur die Hölle.
Als sie es endlich raus schaffte und abgeschlossen hatte, eilte sie auf das bereits brummende Auto zu und stieg neben Jacky auf dem Beifahrersitz ein. Wortlos hielt sie ihr ihre kleine Handtasche hin, von der April eigentlich vermutet hatte, sie sei verschollen. Als sie sie öffnete, lag dort nur ihr Hand und die Brieftasche drin. Sie ließ ihren mickrigen Schlüsselbund hineinfallen und schloss sie wiedermit einem Klicken.
„Woher hast du die und wann, bitte schön, hast du mein Handy und das Portemonnaie mitgehen lassen?“ Schelmisch lächelte Jacky, nahm den Blick beim Fahren aber nicht von der Straße. Die Antwort blieb sie ihr schuldig.
Das kannst du nicht wirklich von mir verlangen!“, empörte April sich. „Du willst mich allen Ernstes in einen Nachtclub schleifen?“ Jacky schien die Situation nicht im Geringsten zu verwundern. April dagegen brachte es auf die Palme.
Ihre Freundin zuckte lässig mit den Schultern. „Du hängst dauernd im Krankenhaus. Du machst ständig Überstunden. Die Nachtschichten rauben dir regelmäßig den Schlaf und die Tagschichten versauen dir immer das wunderschöne Sommerwetter. Es kommt mir manchmal so vor, als lebe ich ganz allein in unserer Wohnung. Ich bekomm dich selten zu sehen, und wenn doch mal, dann müde und erschöpft – dabei sind wir beste Freundinnen. Ich mache mir schreckliche Sorgen um dein soziales Leben. Du musst mal unter die Leute kommen!“
„Ich komme unter die Leute“, entgegnete April stur. „Ich arbeite im Krankenhaus, da wimmelt es nur so von Menschen.“ Ein gereizter Seufzer entrang sich Jacky.
„Entschuldigung, ich hätte mich besser ausdrücken sollen. – Ich meinte, du solltest mal unter heiße, wilde, schwitzende und unheimlich attraktive Kerle kommen.“
Ein Lachen brach sich bahn und April warf amüsiert den Kopf dabei zurück. Was ihr einen verschmitzten Blick von Jacky einhandelte. Als sie sich wieder unter Kontrolle hatte, stimmte sie glücklich mit ein: „Gut, aber ich mache das nur, weil ich heute so gute Laune habe. Denk nicht, dass das jetzt regelmäßiger passiert.“
„Das würde ich niemals!“, versprach Jacky ihr ohne jeden Ernst und marschierte voran in den Club. Kopfschüttelnd, aber mit einem Lächeln im Gesicht, folgte April ihr.
Das Lächeln erstarb auf ihrem Gesicht, als sie von einer riesigen Menschenmasse umrundet und mitgerissen wurde. Von überall her drängten sich schwitzende Köper an sie, rempelten sie am Arm oder tanzten an ihr vorbei.
Schon rang sie mit ihrem Gewissen und war drauf und dran, wieder zu verschwinden, als ihre Jacky laut ihren Namen rief.
Unter der schrecklich dröhnenden Musik mit dem schwungvollen Bass wäre ihre Stimme beinahe untergegangen, doch April hörte sie und drehte sich erwartungsvoll in ihre Richtung.
Sie entdeckte den braunen Schopf ihrer Freundin an der Bar, welche sie lächelnd musterte. Mit einem gefälschten Grinsen bahnte sie sich durch die Tanzenden und blieb vor ihr stehen. „Und?“, brüllte Jacky gegen die Musik an. „Gefällt´s dir hier?“
Da April ihre Stimme schonen wollte, hob die nur den Daumen und zeigte damit die Lüge, die ihr sonst über die Lippen gegangen wäre. Von wegen, ihr gefiel es hier. Es war schrecklich! So viele Menschen, so ein Lärm und so ein Gestank! Wie konnte man sowas nur mögen?
Zweifelnd sah sie sich um. Nun ja, wenigstens hatte Jacky einen Laden ausgesucht, der noch etwas auf Wert legte. Sie sah an den Wänden kleine Sitzecken, die Theke, an der sie stand, war aus dunklem Holz geschnitzt und die Barkeeper hatten allesamt ein fröhliches Lächeln auf dem Gesicht.
Nun ja, wenn sie hier schon ihren Abend verbringen musste, dachte sie sich, könnte sie ihn sich wenigstens mit einem Drink versüßen. Wie aufs Stichwort kam ein süßer Barmann mit dunkelblonden Locken auf sie zu und grinste sie an.
„Was darf es sein, meine Hübsche?“ Bei der Nennung errötete April leicht, wobei sie hoffte, dass man das bei dem schlechten Licht hier nicht sah.
„Wie wär´s mit was Süßem? Ich hätte Lust auf ‘nen kleinen Zuckerschock“, erwiderte sie mit passender zuckersüßer Stimme. Er lächelte wissend und mixte irgendwas zusammen. Mit einem strahlenden Lächeln und funkelnden Augen, überreichte er ihr das Getränke und sagte: „Der geht aufs Haus. Damit du nicht mehr so trüb dreinschaust. Ich heiße übrigens Austin. Und du?“
„April“, lachte sie und nippte am orangenen Cocktail. „Hmm, ist das lecker“, murmelte sie. Er schenkte ihr ein Lächeln und wischte mit einem Lappen über die Theke vor ihr. Sie setzte sich auf einen der Hocker, wobei ihr Kleid schrecklich hoch rutschte. Mit einem entrüsteten Schnauben versuchte sie, es wieder herunter zu ziehen, wobei es jedoch immer weiter hoch rutschte, und schon ihr halbes Hinterteil zeigte. Dabei fiel ihr peinlich berührt ein, dass Jacky sie genötigt hatte, den einzigen vorhandenen Tanga aus ihrem Schrank anzuziehen.
Die Schamesröte schoss ihr in die Wangen und dieses Mal fiel es Austin auf. Neugierig beugte er sie über den Tresen und musterte ihre langen Beine und ihre nackten Oberschenkel. Sein Blick blieb an den schwarzen Stück Etwas hängen, das unter ihrem Kleid aufblitzte und er fing unwillkürlich an zu grinsen.
„Nun, du brauchst mich nicht zu verführen, April. Ich habe noch drei lange Stunden vor mir, da wäre es sehr unangenehm, warten zu müssen.“ Sie blickte schockiert auf.
„Ich wollte nicht …“ Er brach in schallendes Gelächter aus. „Ich weiß, das ist mir schon klar. Aber deinen Gesichtsausdruck wollte ich unbedingt einmal sehen. Ahh, wie köstlich!“ Er wischte sich kleine Lachtränen aus den Augen, ehe er ruhiger fortfuhr: „Tut mir leid, aber es ist einfach zu komisch. Wie geschockt du bist. Dabei ist so ein Anblick hier völlig normal. Du bist nicht oft in Nachtclubs, nicht wahr?“
Stumm schüttelte sie den Kopf. Toll, jetzt war sie schon nach nur fünf Minuten zur Lachnummer geworden. Schon suchte sie mit dem Blick Jacky – meine Güte, wie schnell stürzte sie sich eigentlich auf die armen Männer? – als eine große Hand auf ihrer Schulter sie aus ihren Gedanken riss.
Als sie herum schnellte, blickte sie in die wunderschönsten blauen Augen, die sie je gesehen hatte. Die Iris wurde von einem dunklen marineblau umzogen, welches nach innen hin zu einem kristallenen Eisblau verblasste. Sie gehörten zu einem verdammt gut aussehenden Braunhaarigen mit einem umwerfenden Lächeln.
April blieb das Wort im Hals stecken, als er sie angrinste. Seine Zähne waren so strahlend weiß – waren die gebleicht? Mussten wohl, denn so hell konnten sie niemals von natura sein.
Der Mann lächelte immer noch, als er sagte: „Ich kenne sie doch, oder?“ April hob überrascht eine Augenbraue. Er wollte sie kennen? Niemals. An so ein schönes Gesicht hätte sie sich erinnert. Obwohl sie den Kopf schüttelte, schien er immer noch seine Gedanken nach Erinnerungen zu durchforsten. Ohne Erfolg anscheinend, denn er zuckte betrübt die Schultern. „Anscheinend doch nicht. Sie kamen mir nur so bekannt vor …“ Seine Worte gingen in der Musik unter.
April dachte nicht lange nach. Er sah nett aus und hatte irgendwie eine süße Art. Deshalb klopfte sie neben sich auf den freien Hocker und lächelte ihn ohne weiteres an. „Kommen sie, setzten sie sich. Holen wir das mit dem Kennenlernen doch jetzt einfach nach.“
Er grinste sie kurz an, dann setzte er sich. Er bestellte bei dem lächelnden Austin einen Drink, dessen Namen April nicht verstand, dann drehte er sich zu ihr um. Er hielt ihr, ganz Gentleman, die Hand hin. Ohne groß drüber nachzudenken, ergriff sie sie.
„Ich heiße Kenneth Jackson und sie?“ Er lächelte sie charmant an.
„Ich bin April Young. Ich freue mich, sie kennenzulernen.“ Ihre Stimme war zuckersüß. Er strahlte sie fröhlich an, ehe er die Hand sinken ließ und nach seinem Getränk griff. Interessiert schaute sie ihm dabei zu, wie er langsam das Glas an seinen Mund hob und die üppigen Lippen öffnete zum Trinken. Ein berauschendes Gefühl brandete in ihr, als sie sich vorstellte, wie diese Lippen über ihre Haut fuhren und sie sanft küssten.
Schnell blickte sie weg, ehe weitere Gedanken in ihr aufkamen. Als er sein Glas wieder abstellte, musterte er sie neugierig.
„Nun, April, verraten sie mir, als was sie arbeiten? Vielleicht kenne ich daher ihr Gesicht.“ Sie legte sich eine kühle Hand auf den erhitzten Oberschenkel und richtete sich unwillkürlich gerade auf. „Ich bin Ärztin in der Stadtklinik. Besser gesagt Chirurgin.“ Er pfiff anerkennend mit den Zähnen.
„Wow, eine Ärztin. Nicht schlecht. Das hätte ich ihnen nicht angesehen.“ Sie lächelte professionell bei seinen bewundernden Worten und fragte aus reiner Neugier: „und als was sind sie tätig?“
Kenneth lächelte leicht bei seiner Antwort. „Ich bin Architekt. Viele Gebäude hier sind von mir entworfen.“ Sie hob anerkennend die Brauen. Ihre Hand, die nicht auf ihrem Schoß ruhte, strich einige ihrer Strähnen hinters Ohr.
„Nun, dann erzählen sie mal. Für wen bauen sie denn? Für Agenturen? Familien?“ Ein stolzes Funkeln trat in seine Augen. „Für die ganz Reichen“, erwiderte er ´mit einem Anflug von Überheblichkeit. Jetzt war April es, die ins Staunen gerat.
„Wow, ein ganz hohes Tier. Das erklärt ihr Aussehen.“ Mit einer verwerfenden Handgeste streckte sie ihre Finger nach ihrem Getränk aus und nippt kurz dran. Als sie ihn wieder ansah, stand Verwirrung in seiner Miene.
April musste breit grinsen über seinen Schock. „Keine Sorge, es war positiv gemeint.“ Jetzt strahlte er sie arrogant an. „Heißt das, sie finden mich attraktiv?“ Er zwinkerte ihr schelmisch zu. Sie lachte amüsiert.
„Ich habe nichts der Gleichen erwähnt. Obwohl sie schon recht gut aussehen.“ Sie flirtete! Oh mein Gott! Sie flirtete wirklich! April war mehr als geschockt von sich selbst. Das letzte Mal, dass sie mitten in einem Flirt gesteckt hatte, war in der High School gewesen.
Kenneth schien das überhaupt nicht aufzufallen, wie verwundert sie war. Er fuhr einfach gelassen fort. Seine Stimme war tief und dunkel, als er ihr verführerisch antwortete.
„Nun, April, ich versichere ihnen, ich kann nicht annähernd so gut aussehen, wie sie. Sie sehen wirklich atemberaubend aus in diesem Kleid und ihre Augen sind wunderschön.“ Sie war geschmeichelt. Und wie! Im Krankenhaus bekam sie selten solche Komplimente, und wann kam sie da schon mal raus? Jacky hatte recht, sie war viel zu wenig unter Menschen.
Hier mitten unter so vielen Leuten und neben Kenneth war es gar nicht mal so schlecht.
Der Abend verging. April und Kenneth unterhielten sich. Lachten zusammen und tranken ein Glas nach dem anderen. Sie merkte, wie die Welt immer schöner, bunter und wundervoller wurde mit jedem Cocktail, den sie leerte. Sie trug beinahe ein Dauergrinsen auf dem Gesicht.
„Sag mal, Kenneth“ – ja, sie waren auch schon zum ‚du‘ übergegangen – „Hab ich dir eigentlich schon gesagt, dass ich heute Geburtstag habe?“ Das alles sagte sie im Flüsterton und verschwörerisch vorgebeugt. Ein Kichern folgte ihren Worten. Kenneth lachte schallend auf und zwinkerte ihr zu.
„Das hast du schon ungefähr ein dutzendmal erwähnt, Ap.“ – Ach ja, Spitznamen hatten sie sich auch schon gegeben – „Aber ich wünsch dir gerne noch einmal alles Gute!“ Sie lachten zusammen los und sahen sich dabei die ganze Zeit tief in die Augen. Wenn das überhaupt ging.
Dann stand April plötzlich auf, ein Gedanke hatte in ihrem Kopf Gestalt angenommen und sie wollte ihn unbedingt wahr machen.
Charmant lächelnd streckte sie dem verdutzt dreinschauenden Kenneth die Hand hin, welcher sie augenblicklich ergriff. Mit einem vorfreudigen Lächeln verließ sie mit ihm im Schlepptau den Club und dachte dabei nicht eine Sekunde an Jacky. Sie würde es schon verstehen.
Draußen schlug ihnen die schwüle Sommerluft entgegen. Mit einem breiten Grinsen drehte April sich zu Kenneth um. Verführerisch strich sie ihm mit der Hand über die Brust, welche sich augenblicklich anspannte. Sie funkelte ihn von unten herauf an undlächelte verschlagen.
„Sag mal, Ken, wie wär`s, wenn wir mal was anderes täten, als nur zu reden?“ Ihre Stimme war rau und ihr total fremd. War das da etwa ein Schnurren grad gewesen?
Kenneth sprang sofort drauf an. Ohne ein weiteres Wort zog er sie an sich heran und presste seinen Mund fest auf den ihren. Erst einige Sekunden später wurde sein Kuss weicher und willenlos erwiderte April ihn.
Leidenschaft flammte in ihr auf. Aufgestaute Lust, die sich in den vergangenen Monaten angestaut hatte. Wild fuhr sie mit den Fingern durch sein braunes Haar und küsste ihn immer stürmischer. Seine Hände wanderten von ihren Locken hinab in den Nacken, über den Rücken und verweilten dann fest und unnachgiebig an ihren Hüften.
Irgendwann riss er sich dann doch los. Gerade rechtzeitig, denn einen Moment später hätte sie ihm wahrscheinlich die Kleider vom Leib gerissen.
Ohne große Worte, ergriff er ihren Arm und zog sie hastig hinter sich her. Sie stolperte über ihre hohen Absätze und wäre gefallen, hätte er sie nicht festgehalten. Kenneth drehte sich um, hob sie vorsichtig hoch und zog ihr mühsam einen Schuhe vom Fuß und dann auch den anderen. Aus nackten Sohlen lief sie weiter hinter ihm her.
Als sie an einem dunklen Wagen ankamen, riss er die Beifahrertür auf und bugsierte sie auf den Sitz. Nur wenige Augenblicke, nachdem die Tür wieder zufiel, saß er auch im Auto und beugte sich zu ihr herüber. Sein Mund ergriff die Oberhand über ihren und Lust brach wie Wellen über ihren Verstand ein.
Dann startete er den Motor und fuhr wortlos davon. April machte sich keine Gedanken darum, wo er überhaupt hinfuhr. Hauptsache, ihre Begierde wurde so bald wie möglich gestillt. Sie konnte es nicht länger aushalten. Ihr ganzer Körper zitterte vor Lust …
„Stopp!“, schrie sie. Mit einer scharfen Bremsung kam das Auto zum Halt und April konnte froh sein, dass kein anderes hinter ihnen gewesen war. Perplex starrte Kenneth sie an. Sie nörgelte etwas wie „Auf den Seitenstreifen“, als sie auch schon auf den Rücksitz kletterte.
Das war leichter gesagt, als getan, denn der Wagen war schrecklich klein und eng, und April stieß sich mehrmals den Kopf an der Decke.
Kenneth hatte sich anscheinend gegen den Seitenstreifen und für eine abgeschiedene Landstraße irgendwo in der Dunkelheit entschieden. Sollte ihr recht sein. Hauptsache ungestört.
Bei ihrem Kletterakt war ihr Kleid wieder einmal hochgerutscht und raffte sich jetzt unbequem um ihren Bauch. Ihr Tanga war freigelegt und ihr war allzu bewusst, dass Kenneth in ihrer knieenden Stellung einen wunderbaren Blick auf ihr Hinterteil hatte.
Mit einem Stöhnen bemerkte sie seine warme Hand auf ihrem Po und drehte ihm das Gesicht zu. Dann machte sie Platz, damit er ebenfalls nach hinten kommen konnte. Der unausgesprochenen Aufforderung folgte er widerspruchslos und beugte sich raubtierhaft über sie. Ein Knurren kam über seine Lippen. „Wunderschön.“
April ignorierte das Kompliment und zog ihn näher an sich heran. Ihr Kuss war leidenschaftlich und verlangte nach mehr. Und, oh ja, sie bekam mehr!
Ruckartig schlug April die Augen auf. Ein einziges Bild tauchte vor ihrem geistigen Auge auf – ein Mann, mit unglaublich blauen Augen, samtweichen braunen Locken, einem Lächeln, welches den Sternen das Strahlen gestohlen hatte, und einem Körper, der einem Gott würdig war.
Dann wechselte das Bild plötzlich. Sie sah diesen umwerfenden Kerl über sich gebeugt, im Hintergrund die niedrige Decke eines Autos und sein raubtierhaftes Lächeln nahm ihr den Atem. Er küsste sie überall, und ihr Körper drängte sich willig immer näher und näher an ihn.
Schockiert kniff April die Augen zu. Das war nicht passiert. Das konnte nicht passiert sein. Sie war ein schüchternes Mädchen. Ging nur selten mit Männern aus, und Sex kam für sie erst nach einer gewissen Dauer in Frage.
Und doch deutete alles daraufhin, dass sie letzte Nacht von einem überaus attraktiven, jungen Mann flachgelegt worden war.
Bei diesem absurden Gedanken, machte sich ein angenehmes Prickeln in Zonen breit, wo es nicht hätte sein dürfen. Oh mein Gott, sie hatte mit einem völlig fremden Typ geschlafen! Vor Scham schoss ihr die Röte in die Wangen und sie musste kühlend die Hände aufs Gesicht legen.
Ein- und ausatmen. Ein- und ausatmen. Alles wird gut, April. Du machst jetzt einfach ganz vorsichtig die Augen auf, nimmst die Hände runter und bekommst erst einmal raus, wo du bist. Danach verschwindest du einfach so schnell es geht.
In ihrem Kopf hörte sich ihre Stimme so ruhig und gefasst an, dabei war sie das ganz und gar nicht. Zaghaft hob sie die kühlenden Finger von den Wangen und machte gleichzeitig die Augen auf. Darauf bedacht, so wenig wie möglich ein Geräusch zu machen, hob sie krampfhaft den Kopf an und blickte sich um.
Sie befand sich in einem kleinen Schlafzimmer. Es war in hellen Cremetönen gestrichen und mit Milchgläsern versehene Schränke und Kommoden eingerichtet. Das weiche Bett, auf dem sie sich befand, war groß und modisch geschnitten. Ein grauweißer Bettbezug zierte das dunkle Lacken. Durch ein riesiges Fenster mit hellen Stoffgardinen fiel grelles Sonnenlicht.
Dann drehte sie den Kopf noch weiter, um neben sich zu schielen. Die Decken waren zerknüllt, der Platz war leer. Kein gut aussehender Mann weit und breit.
Gut so!, dachte April erleichtert. Ein Problem weniger, um das sie sich kümmern müsste. Nun war es nur noch daran gelegen, so schnell wie möglich, heimlich hier heraus zu kommen. Fragte sich nur, wie sie das anstellen sollte.
Etwas schlapp setzte sie sich auf und spähte noch einmal ins Zimmer. Es war sauber und ordentlich. Nirgends war etwas fehl am Platz. Dabei fiel ihr auf – Wo waren ihre Klamotten? Oder zumindest die Fetzen Stoff, die sie gestern Abend getragen hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, wo sie sie ausgezogen hatte.
Verzweifelt suchte sie den schwarzen Stoff – und fand nichts.
„Verdammt!“, fluchte sie genervt. Mit einem Stöhnen stand sie auf und fühlte die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut. Sie taten gut, auch wenn es wirklich ungewohnt für sie war, ohne Anziehsachen da zustehen.
Versucht leise schlürfte sie hinüber zu einem Schrank, der aussah, als beinhalte er Klamotten. Sie zog eine Tür auf. Bingo! Mit einem triumphierenden Lächeln durchstöberte sie den Inhalt und zog schließlich weite karierte Boxershorts in den Farben grün und blau heraus und ein überdimensional großes Shirt raus. Schnell schlüpfte sie hinein und betrachtete sich dann prüfend in einem länglichen Spiegel über einer Kommode.
Die Boxershorts hingen gefährlich tief auf ihren Hüften und drohten bei jeder Bewegung zu rutschen. Sie waren weit und gingen ihr bis fast zu den Knien – dabei hatte sie schon so schrecklich lange Beine. Und von dem weißen Shirt wollte sie erst gar nicht anfangen; was war das für `ne Größe? XXXL?
Mit einem erschöpften Seufzen wandte sie sich von ihrem Spiegelbild ab. Und da war sie wieder: April der Schlumpf, das graue Mäuschen in so gar nicht sexy Klamotten, die langweilige Ärztin.
April ging zur Tür, drückte zaghaft die Klinke herunter und schlich leise hinaus in einen langen Flur. Er war ebenfalls hell eingerichtet und an beiden Enden von Licht überflutet. Irgendwie wirkte es, wie in einem Traum. Vielleicht hatte sie ja Glück und es war einer.
Als sie sich schließlich an einer Treppe befand, fand sie auch schon das erste ihrer verloren gegangenen Kleidungsstücke. Ihr Tanga lag ganz allein mitten auf einer Treppenstufe, zurück gelassen im Laufe des Gefechts des gestrigen Abends.
Schnell griff sie danach und blickte sich hastig um, als schäme sie sich dafür, ihn aufgehoben zu haben. Dann schlich sie eilig weiter, die Treppe hinunter und hielt sich dabei krampfhaft am Geländer fest.
Wieder trat sie in einen Flur, welcher jedoch kleiner war und dennoch mehr Licht beherbergte. Fast wurde sie schon geblendet vom hellen Schein. Und das sollte alles nur von der Sonne kommen? Nie und nimmer, das mussten irgendwelche Speziallichteffekte sein!
Und schon fand sie auch den trägerlosen BH, den sie angehabt hatte. Fehlte nur noch das Kleid. Wäre das zerstört, oh Gott, Jacky würde sie umbringen! Mit panischem Kribbeln im Bauch suchte sie weiter. Sie stellte sich schon den wütenden Gesichtsausdruck ihrer Freundin vor, würde sie ihr zerrissene schwarze Stofffetzen unter die Nase halten.
Sie schüttelte sich, als ein Schauder über ihren Rücken jagte. Hoffte man mal das Beste.
Zögernd trat April in ein Wohnzimmer, welches ihr den Atem raubte. Es war stilvoll eingerichtet, die gegenüberliegende Wand bestand vollständig aus Glas und gab den Blick frei auf einen wunderschön gepflegten Garten. Sie versuchte sich daran zu erinnern, was der Mann – Kenneth, fiel ihr plötzlich ein – ihr alles erzählt hatte. Als was arbeitete er noch mal? Sie strengte sich an, aber die Erinnerungen waren nicht mehr als ein Rauschen.
Lustlos ließ sie die Schultern hängen, dann schwang ihr Blick abermals durch den Raum. Meine Güte, wo war dieses verdammte Kleid? Am liebsten wäre sie ohne es gegangen, aber allein bei dem Gedanken mit leeren Händen nach Hause zu kommen, brach ihr der Schweiß aus.
Sie ging weiter, auf die Fensterwand zu, als in ihrem Rücken plötzlich eine Stimme ertönte.
„Ich dachte schon, du wachst nie auf.“ Ruckartig fuhr sie herum und konnte einen erschreckten Schrei nicht unterdrücken. Nur etwa einen Meter von ihr entfernt, stand dieser umwerfend gut aussehende Mann – Kenneth – und strahlte sie an. Er musterte sie belustigt und sie blickte errötend zu Boden.
„Sag mal, Ap“ – Gott! Dieser kindische Spitzname hörte sich aus seinem Mund so sexy an! – „Sind das da nicht meine Klamotten?“ Er lachte leise, als sie rasch an sich hinab sah und dann wieder rot wurde.
„Entschuldigung“, nuschelte sie beschämt. „Aber ich habe meine eigenen nicht auf die Schnelle gefunden. Weißt du vielleicht …“ Er zog grinsend einen schwarz glänzenden Stoff hinterm Rücken hervor und zwinkerte ihr zu. „Suchst du das hier?“ Erleichtert entspannte sie sich, als sie sah, dass das Kleid noch in gutem Zustand war. Ihr Leben war gerettet.
Sie machte einen hastigen Schritt auf ihn zu und nahm ihm das Kleidungsstück ab. Kenneth grinste immer weiter, als er sanft über den Kragen seines Shirts strich. April musste sich zwingen, nicht zurück zu zucken.
„Wie wäre es, wenn du mit mir frühstückst, April? Und dann würde ich mich freuen, mit dir den Tag zu verbringen. Natürlich nur, wenn du Zeit hast.“ Bei diesen Worten schaute er ihr verträumt in die Augen. Und um ein Haar hätte sie auch „Ja“ gesagt. Doch dann fiel ihr ein …
„Entschuldigung, das geht nicht. Ehrlich gesagt, war das hier“ – sie deutete hastig auf ihn und sich selbst – „überhaupt nicht geplant. Eigentlich war ihr nur meiner Freundin wegen in diesem Nachtclub und hatte so schnell wie möglich vor, von dort zu verschwinden. Was ja auch geklappt hat. Nur hatte ich eigentlich ein anderes Ziel vor Augen, nämlich mein Zuhause.“ Sie betonte das vorletzte Wort extra mehr. Dann fuhr sie auch schon fort.
„Es ist nicht üblich für mich, dass ich wo anders übernachte – glaube mir, das mache ich sonst nie. – Die Nacht war wirklich schön und ich würde dich auch echt gerne besser kennenlernen“ – seine Miene erhellte sich hoffnungsvoll. Diese Hoffnung machte sie aber auch schon sofort wieder zu Nichte. – „aber das funktioniert so nicht. Nicht bei mir. Ich kann dich nicht anschauen, ohne dabei an die letzte Nacht zu denken. Es tut mir leid, aber ich denke, ich sollte jetzt gehen.“
Bevor er auch nur seinen Protest ausgesprochen hatte, war sie an ihm vorbeigerauscht und stürmte durch den Flur. An der gewaltigen Haustür, der sie entgegen strebte, fing er sie jedoch ab und hielt keuchend den Ausgang verschlossen. Stur blitzte er sie an.
„Oh nein. Diese Nacht war nicht nur gut – sie war fantastisch. Ich habe noch nie eine Frau getroffen, wie dich, April. Du bist wunderschön, klug und so ganz anders, als die Frauen, mit denen ich sonst verkehre. Ich will dich wenigstens noch einmal treffen. Ich will nur eine Chance.“ Als sie ihn immer noch zweifelnd ansah, fügte er hinzu. „Nur eine einzige. Danach kannst du machen, was du willst.“
April rang mit sich. Schließlich ließ sie die Schultern fallen und seufzte besiegt. „Gut. Ein Treffen. Aber wenn du mich nicht von dir überzeugst, war`s das“, beharrte sie. Ein überhebliches Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Wir beide wissen, dass ich dich schon letzte Nacht von mir überzeugt habe. So oft und wild, muss ich wirklich höllisch gut sein.“
„Und Tschüss!“ Sie wollte sich erneut an ihm vorbei drängen, doch er hielt sie an den Schultern fest und starrte ihr in die Augen. „Sorry. War nicht so gemeint.“ Diesem Lächeln konnte sie einfach nicht widerstehen. Also stand sie einfach nur reglos da und blickte ihm tief in die Augen.
Plötzlich riss er sich von ihrem Blick los und griff neben sich auf das kleine Schränkchen. Er zückte einen Stift und schrieb in ordentlicher Schrift einige Ziffern auf ihren Handrücken. „So!“, sagte er feierlich. „Das ist meine Nummer. Darunter erreichst du mich zu jeder Tageszeit. Bitte, ruf mich an.“
April nickte, denn sie wusste, nur so würde sie ihn loswerden. Er lächelte glücklich und öffnete dann ganz der Gentleman schwungvoll die Tür.
Sie ging hinaus, drehte sich draußen jedoch noch einmal zum Abschied um. Sie lächelte zaghaft und hob winkend die freie Hand, welche keine Kleidung festhielt.
Kenneths Reaktion war völlig überraschend. Er beugte sich schnell vor und küsste sie rasch auf den Mund, ehe sie sich dagegen wehren konnte. Dann grinste er schelmisch und beugte sich zurück. April merkte, wie sie errötete und machte sich umso schneller daran, zu verschwinden.
„Du hast mit ’nem Fremden geschlafen? Du? April Young?“ Schuldbewusst starrte April auf den Boden, während Jacky sie ungläubig anstarrte. Dann wurde sie heftig geschüttelt und ein erfreutes Lachen ließ sie verwirrt hoch schauen. Ihre Freundin strahlte übers ganze Gesicht.
„Meinen Glückwunsch! Das ist genau das, was du gebraucht hast.“ Sie zog April mit ins Wohnzimmer und setzte sich aufs Sofa. Erwartungsvoll sah sie April an. „Also dann, erzähl mir alles! Wir war es? Ist er gut? Warst du gut?“ April dachte kurz nach, bevor ihr die Worte ihrer Freundin richtig klar wurden. Empört starrte sie Jacky an. „Natürlich war ich gut!“
Einen Augenblick sahen sie sich beide an. Dann brachen sie gleichzeitig in schallendes Gelächter aus und April stützte sich lachend mit einem Arm auf der Rückenlehne ab. „Naja, ich sage dir so viel: Der Sex mit Kenneth ist doppelt so gut, wie er aussieht.“
Erstaunt zog Jacky die Luft ein. Dann sah sie düster drein und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. „Er sieht umwerfend aus. – Warum kriegst ausgerechnet du den wilden Hengst? Es war dein aller erster Besuch in einem Club seit Jahren – ich bin da ständig – und trotzdem hast du dir Kenneth geangelt! Das ist nicht fair!“
Neckend streckte April ihr die Zunge raus. „Tja, wenn ich auch nun mal die geilere von uns beiden bin …“ Ihr Grinsen reichte von einem Ohr bis zum anderen. Auch Jacky konnte nicht aufhören zu lächeln. „Als ob“, war alles, was sie darauf erwiderte. Dann mussten sie wieder lachen.
Unsicher starrte April auf ihre Hand. „Jetzt mach schon“, drängte Jacky sie. Sie betrachtete die Zahlenfolge so lange, bis sie zu verschwimmen schienen. Dann fasste sie sich endlich ein Herz und griff nach dem Telefon. Jacky stieß einen triumphierenden Schrei aus.
Zitternd tippte April die Zahlen ein und hob den Hörer an ihr Ohr. Das Freizeichen erschien. Einmal. – Was, wenn er gar nicht dran geht? – Zweimal. – Sie tippte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. – Dreimal. – Beim nächsten leg ich-
„Kenneth Jackson. Mit wem spreche ich?“ Seine Stimme war so gefasst und geschäftlich. April steckte ein Kloß im Hals. Erst als er „Hallo? Wer ist da?“ sagte, wurde sie aus ihrer Starre gerissen und antwortete übereilig: „April! Ich bin`s, April Young! Ich …“ weiter kam sie nicht. Was sollte sie sagen?
Doch da übernahm Kenneth auch schon das Gespräch. Sein Ton schien jetzt viel erfreuter. „April! Ich hatte schon befürchtet, dass sie niemals anrufen würden. Naja, sie haben sich ja auch nen ganzen Tag Zeit gelassen.“ Bei diesen Worten schaute sie schuldbewusst auf die Uhr an der Wand. Zwanzig Uhr neununddreißig. Nervös knabberte sie an ihrer Unterlippe.
„Ja, ich … ich konnte nicht früher anrufen. Krankenhaus und so.“ Lüge! Alles in ihr schrie danach, ihre Lüge sofort wieder zurück zu nehmen. Sie war den ganzen Tag zu Hause gewesen, hätte immer anrufen können, sich aber nicht getraut. Sie seufzte einmal schuldbewusst.
„Naja, ähm, also ich wollte eigentlich fragen, ob du … eh, hast du diesen Freitag Zeit? Abends, natürlich.“ Ein amüsiertes Lachen schallte in seiner Stimme wider.
„Selbst wenn ich keine Zeit hätte, würde ich kommen. Diese Chance lasse ich mir doch nicht entgehen. Wann soll ich dich denn abholen? Ich würde dich sehr gerne in ein schickes italienisches Restaurant ausführen.“
„Ähm, das …“ Sie schluckte krampfhaft ihre Angst herunter. Jacky zwinkerte ihr aufmunternd zu. Mit neuem Mut straffte sie die Schultern. „Gut, das wäre sehr schön. Wie wär`s um acht?“ Er lachte belustigt auf. „Was für ein Klischee. Freitagabends um acht. Aber gut, ich werde da sein. Wo muss ich denn hin?“ Zaghaft gab April ihre Adresse durch und verabschiedete sich dann eilig.
Als sie den Hörer weglegte, fiel Jacky ihr sofort in die Arme und kreischte erfreut. „Apy hat ein Daaate! Apy hat ein Daaate! Oh, ich freu mich so für dich!“ Verdutzt verarbeitete Aprils Gehirn diese Information. Sie hatte ein Date. Mit Kenneth. Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte, als „Oh mein Gott!“ Nickend stimmte Jacky ihr zu und drückte sie noch einmal.
Da sie gelauscht hatte, wusste ihre Freundin natürlich, wo`s hinging, deshalb auch die Frage: „Und, was wirst du anziehen? Ich meine, das ist schon in zwei Tagen. Und du brauchst etwas Schickes.“ April starrte sie entgeistert an. Oh Scheiße, daran hatte sie nicht gedacht.
Als April am Freitagmorgen ins Krankenhaus kam, stand ihr Kollege Matt am Eingang und wartete mit einem Lächeln auf sie. Er strahlte sie aus seinen grünblauen Augen an und steckte lässig die Hände in die Taschen seines Arztkittels.
„Na, Young? Alles okay?“ April knuffte ihm freundlich zur Begrüßung in die Seite. „Jap. Und ist bei dir alles fit im Schritt, Matt?“ Matt lachte amüsiert auf. „Natürlich. Alles bestens.“
Neben einander gingen sie den langen Flur entlang, bis zum Privatbereich des Krankenhauses. Dort angekommen, verschwanden sie hinter der blauen Tür und April steuerte geradewegs auf ihr Schließfach zu. Während Matt locker am Schließfach neben ihrem lehnte, zog sie ihre grüne Hose und das dazugehörige Shirt heraus.
Es war für sie ganz normal, sich vor ihrem Kollegen die Kleider auszuziehen und die Arbeitsuniform anzuziehen. Das machte sie ständig, da der Umziehbereich nicht nach Männern und Frauen getrennt war. Matts forschender Blick auf ihrem beinahe nackten Körper entging ihr dabei nicht.
Als sie angezogen war, band sie die Haare flink zu einem Zopf hoch und stand dann bereit vor Matt. „Also, sag an, Oberarzt, was ist heute mein Job?“ Matt grinste über die Nennung seiner gerade neu gewonnenen Stellung, dann blickte er hinab auf sein Klemmbrett.
„Nun, April, ich habe dich für eine schwierige Herzoperation eingeteilt. Der Patient ist zweiundvierzig und schwer krank. Sein Leben hängt von der OP ab, und du bist die einzige, bei der ich sicher bin, dass er es schafft.“ Mit einer lockeren Geste strich er sich die Haare aus der Stirn und sah ihr in die Augen.
Lässig zuckte sie mit den Schultern und marschierte dann, mit ihm an ihrer Seite zu den OP-Räumen. „Gut, und wer wird mein Team sein?“ Hoffentlich Derek, hoffentlich Derek …
„Pieta, Derek und Cassy. Sie werden dir helfen und anreichen.“ Sie hätte beinahe einen erfreuten Sprung gemacht. Pieta und Cassy waren gute Ärzte, natürlich. Und sie waren auch super nett. Aber Derek war ihr aller bester Freund, außerdem der beste Chirurg den sie kannte und einfach eine großartige Hilfe.
Und wie es zu erwarten war, stand er schon bereit im Waschraum und wusch sich sorgfältig die Hände. Derek Grey hatte einen Haarschnitt von fünf Millimeter, braune Haut und das typische Bad-Boys-Lächeln. Als er sie erblickte, schenkte er ihr genau dieses.
Sie blieb vor der Tür stehen, winkte Derek durch die trennende Scheibe kurz zu, dann drehte sie sich zu Matt um. Dieser sah auf sie herab, wie ein junger Welpe. Er zwang sich zu einem Lächeln, dann meinte er: „Eigentlich wollte ich Grey wo anders einplanen, aber er ist gut und gleich brauchen wir alle guten Ärzte. Auch wenn es mir nicht sonderbar gefällt, wie gern er dich hat.“
Liebevoll tätschelte sie seinen Arm, dann neckte sie: „Etwa eifersüchtig, Boss? Grey und ich sind nur Freunde. Sorry, aber ich steh nicht so auf die Böser-Junge-Masche.“ Matt musste grinsen. „Er aber dafür auf dich.“ Sie machte eine wegwerfende Handgeste, dann lächelte sie ihm zum Abschied zu und verwand im Waschraum.
„Na, kleiner Flirt mit dem Boss, Young?“ Dereks amüsierte Stimme drang an ihr Ohr und sie hörte sein belustigtes Lächeln leicht heraus. Sie hob grinsend eine Braue und sah ihn an. „Aber immer doch, Grey.“ Dann lachten sie zusammen und es war mehr als klar, dass zwischen ihnen nicht dieselbe Spannung herrschte, wie zwischen ihr und Matt. Das lag wahrscheinlich daran, dass Derek wusste, dass er keine Chance bei ihr bekam, Matt hoffte immer noch.
Dann wurde sie wieder ernst. „Nun gut, Derek. Lass uns reingehen, der arme Mann wird jetzt aufgeschnitten.“ Sie zog sich die klinischen Handschuhe an und den Mundschutz drüber, dann stolzierte sie in den OP-Raum, dicht gefolgt von Derek.
Als sie am späten Nachmittag aus dem OP-Raum trat, stand eine streng aussehende Jacky vor ihr an der Wand und starrte sie böse an. Total erschöpft ließ April die Schultern hängen und fragte müde. „Was ist denn los? Warum bist du …?“ Da dämmerte es ihr plötzlich und sie warf sich die Hände vorn Kopf.
„Scheiße! Das Date! Und ich habe immer noch nichts zum Anziehen!“ Sie verzog missbilligend den Mund und fluchte über sich selbst, als Jacky ihr tröstend die Hand auf die Schulter legte und April mit geschlossenen Augen den Geruch von Kaffee einatmete.
Überrascht sah sie auf und betrachtete den Starbucks-Becher, den ihre Freundin ihr vor dir Nase hielt. Dankbar nahm sie ihn entgegen und trank einige Schlucke vom heißen Getränk. Sie spürte die angenehme Wärme in ihrem Bauch und gab sich diesem Gefühl hin.
Langsam schwand die Müdigkeit und mit hoffnungsvollem Blick sah April ihre Freundin an. „So wie ich dich kenne, bist du hier, um mir aus meiner Situation zu helfen, stimmt`s?“ Sie konnte die Verzweiflung in ihrer Stimme nicht unterdrücken. Überheblich grinste Jacky sie daraufhin an.
„Natürlich“, sagte sie, als sei es das Normalste, was es gab. „Ich war in der Zeit, während du an irgendeinem Mann rumgeschnippelt hast, schon in der Stadt und habe nach Kleidern gesucht, die dir gefallen könnten. Die Läden habe ich mir gemerkt, dasselbe habe ich mit Schuhen und Accessoires gemacht. Und jetzt werde ich dich mitnehmen und dir alles vorführen. Da findest du bestimmt was Passendes.“ Mit einem Zwinkern drehte sie sich um und zog dabei April am Handgelenk mit. Diese protestierte halbherzig, schließlich musste sie sich noch umziehen und alles, aber Jacky ließ sich nicht beirren und erwiderte locker: „Alles schon geregelt, und umziehen kannst du dich im Auto.“ Das ließ April verstummen.
Widerwillig folgte sie ihrer Freundin und ließ sich schlapp auf den Beifahrersitz fallen. Jacky fuhr rasant durch die Stadt und drängelte sich durch den vollen Berufsverkehr, bis sie einen Laden nach dem anderen abklapperten.
April wollte schon enttäuscht aufhören, da sie noch rein gar nichts gefunden hatten, als sie in das letzte Geschäft trat. Es war ein kleiner Raum, dafür jedoch mit allem möglichen vollgestopft. Es war kein typischer Jacky-Laden – sie liebte es groß und pompös –, weswegen sie ihn umso toller fand. Sie fühlte sich hier richtig wohl.
Und da stach ihr auch schon das atemberaubendste Kleid ins Auge, das sie seit langem gesehen hatte. Es war in einem tiefen weinrot und würde ihr knapp übers Knie reichen. Der Rock raffte sich und ließ wahrscheinlich jede Hüfte perfekt wirken. Die schmale Taille würde bei April wunderbar anschmiegen, der dazu gehörige bestickte, dünne Paillettengürtel den Glamourkick übernehmen und der trägerlose Ausschnitt ihre Brüste perfekt umhüllen. Sie konnte sich in diesem Kleid wunderbar vorstellen.
Sofort zeigte sie darauf und Jacky musste grinsen. „Ich wusste, dass es dir gefallen würde!“ Als hätte sie die Größe schon herausgelegt, nahm sie augenblicklich die richtige Größe und reichte ihr den haltenden Bügel. Eilig schubste sie sie in die mickrige Umkleide und spornte sie an, sich zu beeilen.
Als April versuchte, möglichst elegant aus der Kabine zu kommen, fielen Jacky und der bereits dazu getretenen Verkäuferin die Kinnladen herunter und sie machten große Augen. Nachdem ihre Freundin sich wieder gefangen hatte und die andere Frau einen großen Spiegel holte, sagte Jacky: „Du siehst wunderschön aus! Dieses Kleid sieht an dir so elegant und traumhaft aus, wie an keinem noch so perfekten Model der großen Laufstege es täte. Und das meine ich ernst“, betonte sie auf Aprils geschmeichelten Protestversuch.
Als endlich die Verkäuferin wieder kam und April einen mannshohen Spiegel vor die Wand stellte, konnte diese nicht anders, als ein erstauntes „Oh“ von sich zu geben.
Sie hatte recht gehabt, in ihren Vorstellungen. Es sah sogar noch besser aus. Sie musste unwillkürlich lächeln, als auch schon die nette Dame kam und ihr ein passendes Paar High-Heels hinhielt. Sie wirkten in keinster Weise übertrieben oder billig. Sie waren in einem schlichten weiß und in genau ihrer Größe.
Grinsend funkelte sie Jacky an. „Du hast schon alles vorbereitet, was?“ Die Angesprochene zwinkerte ihr zu. Die Antwort behielt sie für sich.
Ein amüsiertes Lächeln umspielte ihre Lippen, als April sich hinab beugte und vorsichtig in die Schuhe schlüpfte. Sie passten wie angegossen! Sie schaute triumphierend auf. Jacky richtete sich stolz auf, als lobe sie sich in Gedanken schon für ihr großartiges Werk. Auch April war stolz auf ihre beste Freundin.
„Ich nehme beides, egal, wie viel es kostet, rechnen sie einfach ab.“ Betonend hielt sie ihr die flink aus der Tasche gezogene Kreditkarte hin und betrachtete sich dann staunend weiter im Spiegel. Während Jacky sich lachend ums Bezahlen kümmerte, machte April einige spaßige Posen und bewunderte sich.
Schließlich stellte Jacky sich neben sie und lachte immer noch. „Süße, du siehst wirklich umwerfend aus, aber wir haben nur noch eine halbe Stunde, um deine Haare und dein Make Up machen zu lassen und Schmuck zu suchen. Also los, beeil dich. Ich denke, es wäre leichter, wenn du alles anlässt, es ist auch nicht mehr weit.“ Zustimmend nickte April, winkte beim Rausgehen der Verkäuferin noch zu, dann eilten sie auch schon zum Auto.
Jacky hatte ihr Tempo nicht verringert, was April jedoch überhaupt nicht störte. Beim Friseur angekommen, war auch schon sofort ein Platz für sie bereit und April vermutete, dass Jacky in irgendeiner freien Minute angerufen haben musste.
Gespannt schloss April die Augen und ließ den nett aussehenden Mann nur machen. Als sie sie dann wieder öffnete, als er sein Beenden ankündigte, konnte sie kein Wort mehr über die Lippen bringen.
Ihre goldenen Locken waren ordentlich hochgesteckt, mit kleinen Steinchen verziert und einige Strähnen fielen ihr verspielt ins Gesicht. Ein zarter Lidschatten betonte ihre grünen Augen und ihre Lippen waren mit einem schimmernden rosa Lipgloss geschminkt.
Jacky, die immer noch ihre Kreditkarte hatte, wie April geschockt auffiel, bezahlte grinsend und zog sie dann auch schon wieder raus zum nächsten Geschäft. Der Juwelier sah sie mit einem Blick an, fragte trocken „Ist das ihr Outfit?“ und überreichte ihr mit einem Lächeln auf ihr Nicken hin eine schlichte Silberkette mit einem kleinen silbrigen Anhänger, in den ein roter Stein eingesetzt war.
Sie legte sie um, fragte zögernd nach dem Preis. Er fiel überraschend klein aus und Jacky hielt ihm wissend grinsend die Karte hin. April verdrehte die Augen und wollte gar nicht wissen, wie viel sie heute schon ausgegeben hatte. Aber naja, sagte sie sich, sie verdiente ja ganz gut, gab selten was aus und traf sich heute Abend mit einem ansehnlichen Mann, da musste sie ebenfalls ansehnlich aussehen.
Kopfschüttelnd über sich selbst und den ungewohnten Aufwand für ein Date, ging sie mit Jacky an ihrer Seite aus dem Geschäft, zum Auto und fuhr nach Hause. Und das auch nicht zu spät. Sie war gerade in ihrer Wohnung angekommen, hatte Handy, Geld und einen zarten Lipgloss in einem passenden Täschchen verstaut, als es an der Tür klingelte. Jackys folgendes Quieken ließ sie darauf schließen, dass ihre Freundin Aprils heutige Begleitung mehr als attraktiv fand.
Mit einem Augenrollen stellte sie sich neben die aufgeregte Jacky und legte die zitternde Hand auf den Türgriff. Plötzlich wurde ihr schlecht, ihr Magen zog sich zusammen und am liebsten wäre sie umgedreht und weggerannt.
Mit einem belustigten Kichern drückte Jacky ihre Hand und zog die Tür auf, bevor sie rasch wegtrat. April unterdrückte das überraschte Quieken, das sie beinahe gemacht hätte und funkelte Jacky böse an. Dann schenkte sie Kenneth ihr schönstes Lächeln.
Dieses wurde noch breiter, als sie ihn genauer studierte. Er sah wirklich gut aus. Er steckte in einem wahrscheinlich maßgeschneiderten schwarzen Anzug, hatte sein Haar leicht verstrubbelt – nicht, als hätte er verschlafen, sondern eher mit Gel gemacht – was ihn etwas lässiger wirken ließ und strahlte sie überglücklich an.
Kenneth machte die Andeutung einer Verbeugung, dann hielt er ihr die Hand hin, in welche sie ihre eigene sofort aus Reflex reinlegte. Die Augen nicht von ihren trennend, küsste er sanft ihren Handrücken, dann richtete er sich wieder auf, ließ ihre Finger dabei jedoch nicht los.
„Guten Abend, meine Schöne. Ich muss sagen, du siehst hinreißend aus. Noch umwerfender, als ich dich in Erinnerung hatte.“ April errötete und Jacky machte ein entzücktes Geräusch hinter ihr. Sie wollte sich nicht um drehen und ihrer Freundin einen tadelnden Blick zu werfen, dafür war der Moment zu schön. Kenneth dagegen musste unwillkürlich grinsen.
Er ließ Aprils Hand los – wo gegen sie am liebsten lauthals protestiert hätte – und hielt sie höfflich Jacky hin. Diese ergriff sie sofort.
„Ich bin Kenneth. Und du?“
„Jacky.“ Sie grinste übertrieben süß. April wurde ganz mulmig. Ihre Freundin sollte ihn nicht so anschauen. Nicht so … anhimmelnd.
War das etwa Eifersucht, was sie da spürte? Schnell unterdrückte sie das Gefühl und setzte wieder die fröhliche Miene auf. Gerade rechtzeitig, denn Kenneth drehte sich wieder ihr zu, beachtete Jacky überhaupt nicht mehr – was sie komischer weise erfreute – und hielt ihr den Arm hin.
„Wollen wir dann, April?“ Stumm nickte sie und schenkte ihrer Freundin noch ein Lächeln. Diese grinste ihr aufmunternd zu, hob versprechend beide Daumen und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Mit neuem Mut verließ April die Wohnung, untergehackt bei dem wunderbaren Kenneth und hörte, wie Jacky hinter ihnen leise die Tür schloss.
Er begleitete sie zu einem mitternachtsschwarzen Wagen – sie hatte keine Ahnung, von welcher Marke er war, aber er sah selbst bei Dämmerung schrecklich teuer aus – und öffnete ihr die Tür. Sie setzte sich, in der Hoffnung, dabei elegant auszusehen und betrachtete ihn, wie er die Tür wieder schloss, um die Motorhaube rumlief und auf der anderen Seite einstieg.
Kenneth fuhr in der Dunkelheit in Teile der Stadt, in die April selber selten kam, da es sich um die kostspieligen Orte handelte, an denen man viel Geld zum Shoppen brauchte. Kenneth dagegen schien sich hier blendend auszukennen.
Er hielt vor einem sanft beleuchteten Restaurant, woraufhin auch schon ein junger Mann kam und ihm beim Aussteigen die Schlüssel abnahm. Sie sprachen kurz miteinander, und April versuchte, schön auszusehen, während sie mühselig aus dem kleinen Wagen stieg.
Natürlich sah Kenneth ihr Bemühen und eilte ihr sofort zu Hilfe. Was April schrecklich peinlich war. Widerstrebend nahm sie seine angebotene Hand und ließ sich von ihm hochziehen. Sie versuchte seinen Blick zu vermeiden, doch er drückte leichte ihre Hand und sie wandte sich ihm unwillkürlich zu.
Er sah ihre Röte in den Wangen und schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln, während er die freie Hand hob und seine kühlen Finger an ihr erhitztes Gesicht hob.
„Ist alles in Ordnung?“ Sie nickte. Sein Tonfall war so aufrichtig, dass ihr Schamgefühl wich und Schmetterlinge sich dafür in ihrem Bauch breit machten. Sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Das Gefühl, gerade dabei zu sein, sich zu verlieben, unterdrückte sie hartnäckig und tadelte sich in Gedanken. Du kennst ihn doch gar nicht! Ihr Herz schien dieses Argument jedoch nicht zu interessieren.
Er führte sie hinein und ließ sich zu seinem reservierten Tisch bringen. Dort verbrachten sie den gesamten weiteren Abend, und April lachte so fröhlich, wie sie es selten tat. Kenneth war nicht nur witzig, charmant und erfolgreich, er war auch liebenswert und klug und einfach wunderbar.
Weshalb sie es auch hinauszögerte, mit dem nach Hause gehen. Als sie schließlich doch das Restaurant verließen, blieb sie draußen stehen und ließ den kühlen Nachtwind über ihre Arme wehen. Kenneth schaute sie fasziniert an, während sie den Kopf in den Lagen legte und verträumt in den Himmel schaute. Die Sterne hingen funkelnd über ihnen und der Mond erhellte gerade so die Nacht.
Plötzlich fühlte sie eine sanfte Berührung an ihrem Hals. Doch sie zuckte nicht zurück, sondern richtete nur den Kopf auf und blinzelte ihn träumerisch an. Sein Blick hing an ihren Lippen und wanderte dann sehnlich zu ihren Augen. Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, während April mit den Zähnen an ihrer Unterlippe knabberte.
Und ganz anders, als beim ersten Treffen, war da keine Wildheit zwischen ihnen, sondern nur Ruhe und Vollkommenheit. Langsam beugte er sich vor. Als sein Mund ihren streifte, war da nur reine Zuneigung und Zärtlichkeit im Kuss, und April schmolz dahin. Vorsichtig legte sie ihm die Arme um den Hals, darauf bedacht, sich nicht zu schnell zu bewegen, um den Moment nicht zu ruinieren. Genauso behutsam legte er seine Hände an ihre Taille und zog sie zu sich heran.
Ihre Lippen passten perfekt aufeinander und Aprils Herz flatterte aufgeregt. Als Kenneth sich jetzt von ihr löste, konnte sie nichts anderes tun, als leise erleichtert zu seufzen. Ein umwerfendes Lächeln umspielt seine Lippen, als er jetzt zu ihr hinab blickte. Sie erwiderte es von ganzen Herzen und schmiegte sich erneut an seine Brust, dieses Mal war die Wange an sein Hemd geschmiegt.
Am späteren Abend waren einige Berührungen und Küsse ausgetauscht, als Kenneths Wagen vor ihrer Wohnung hielt. Sie stieg aus und er brachte sie zur Tür. Dort drehte sie sich um und lächelte ihm verspielt zu.
„Es war wirklich ein wunderschöner Abend.“ Sein Blick erhellte sich hoffnungsvoll.
„Heißt das, ich habe meine zweite Chance gut gemeistert?“ Sie nickte grinsend, wobei ihre Augen strahlten.
„Und, werde ich dich noch einmal wiedersehen, April?“ Wieder nickte sie, dann machte sie einen Schritt auf ihn zu und küsste ihn leicht auf den Mund. Für einen Moment erwiderte er den Kuss, dann ließ sie von ihm ab.
„Gute Nacht“, flüsterte sie an seinen Lippen. Er strich ihr eine lose Haarsträhne hinters Ohr.
„Gute Nacht.“ Dann ging er ein Stück zurück und sie drehte sich lächelnd um. Sie machte ihre Handtasche auf und kramte darin herum, auf der Suche nach ihrem Schlüssel. Wo war er bloß? …
„Scheiße!“, fluchte sie und augenblicklich stand Kenneth wieder hinter ihr.
„Was ist los?“ Seine Stimme klang besorgt. Irgendwie süß.
Mit einem peinlich berührten Lächeln drehte sie sich um. „Ich habe meinen Schlüssel vergessen.“ Demonstrativ hielt sie ihm ihr Täschchen hin und er suchte schnell nach dem Schlüssel. Auch er fand nichts. Dann zuckte er die Schultern und meinte: „Was ist mit deiner Freundin? Klingel doch einfach?“ April lächelte verzweifelt, als ihr einfiel …
„Jacky trifft sich heute Abend mit einem Freund. Das heißt, dass sie die ganze Nacht weg sein wird. Du weißt schon, was ich meine.“ Er dachte einen Augenblick nach, während sie nicht mehr weiter wusste. Sollte sie Jacky anrufen und sich den Schlüssel bringen lassen? Nein, Jacky würde sie umbringen.
„Wie wär`s denn, wenn du heute Nacht bei mir übernachtest? Ich könnte auf der Couch schlafen oder so …“ Sie schaute ihn unsicher an. „Wäre das denn okay?“ Er grinste ihr zu.
„Natürlich. Du bist bei mir immer willkommen.“ Sie dachte noch einen Moment darüber nach, dann zuckte sie die Achseln und lächelte ihn dankbar an. Das nahm er als Einverständnis und führte sie an der Hand zu seinem Auto.
Die Fahrt über schwieg sie. Sie wollte nicht darüber reden, wie peinlich ihr Auftritt ihr gerade war. Als sie vor seinem Haus hielten, stieg sie aus und wartete auf ihn. Er hatte seit ihrer Haustür nicht aufgehört zu lächeln und auch jetzt strahlte er sie an, während er die Tür aufschloss und drinnen als erstes das Licht anmachte.
Wie beim letzten Mal war April wie gebannt von der Schönheit des Hauses. Sie konnte sich gut vorstellen, dass Kenneth ein guter Architekt war. Er führte sie hinauf ins Schlafzimmer, wo er ihr ein langes T-Shirt aus dem Schrank zog und hinhielt.
„Hier, das kannst du anziehen. Das Bad ist gleich gegenüber im Flur und falls du noch irgendetwas brauchst, kannst du ruhig runter zu mir ins Wohnzimmer kommen.“ Sie hob fragend eine Augenbraue.
„Hast du denn kein Gästezimmer?“ Er lächelte sie gutmütig an. „Nein. Ich muss gestehen, als ich dieses Haus anfing zu bauen, war ich noch sehr jung und unerfahren und habe es vollkommen in meinen Plänen vergessen. Und eigentlich habe ich auch nie eins gebraucht.“ Er zuckte lässig die Schultern, als sie verstehend nickte.
Er wollte schon gehen, da hielt ihr schlechtes Gewissen ihn erneut auf. „Aber … du brauchst doch nicht auf der unbequemen Couch schlafen.“ Sie warf dem großen Doppelbett einen prüfenden Seitenblick zu.
„Dein Bett ist groß genug für uns beide. Du kannst auch hier schlafen. Ist bestimmt gemütlicher.“ Sie versuchte fröhlich zu klingen, dabei hatte sie bei dem Gedanken, mit Kenneth in einem Bett zu schlafen, einen Kloß im Hals. Außerdem kamen die Schmetterlinge wieder.
Er sah sie einmal prüfend an, dann zuckte er die Schultern, streifte sich die Schuhe von den Füßen, entkleidete sich bis auf seine Boxershorts und fiel dann rückwärst ins Bett. Etwas überrascht von seiner schnellen Einwilligung, starrte April ihn bei all dem einfach nur verwundert an, ehe sie sich das Shirt schnappte und ins beschriebene Badezimmer flüchtete.
Es war groß und sauber, doch das interessierte sie nicht. Eilig zog sie sich das Kleid vom Körper und starrte sich im Spiegel nur in Unterwäsche an. Sie sah gar nicht so schlecht aus, musste sie sich eingestehen. Mit einem Kopfschütteln, zog sie sich schnell das Shirt übern Kopf und spritzte sich Wasser ins Gesicht, um die Gedanken an die bevorstehende Nacht zu verscheuchen.
Dann marschierte sie zurück ins Schlafzimmer und legte sich etwas vorsichtiger neben Kenneth aufs Bett. Sie zog die Decke über ihren Körper und schloss die Augen.
Doch sie schaffte es einfach nicht einzuschlafen. Als sie wenig später mit einem genervten Seufzer die Augen wieder aufschlug, sah sie, wie Kenneth sie fasziniert ansah. Sie lächelte ihm vorsichtig zu, doch sein Blick war wie gebannt von ihr.
Zaghaft schob er die Hand unter der Decke hervor und berührte ihre nackte Schulter – das Shirt war beängstigend verrutscht, sodass ihre eine Schulter frei lag und goldene Haut entblößte.
Seine Berührung verursachte kleine Stromstöße an ihrer Haut und sie schloss genießerisch die Augen. Vorsichtig legten sich samtweiche Lippen auf ihren Mund und sie erwiderte fast von selbst seinen Kuss.
Er wurde leidenschaftlicher und blieb dennoch zärtlich. Langsam rollte Kenneth sich auf sie, fuhr mit den Händen über ihren Körper, schob das Shirt bis über ihre Brüste hoch und schließlich über ihren Kopf. Er hob den Kopf und sah sie an.
„Mein Gott, du bist wirklich noch schöner, als ich es in Erinnerung habe. Der Alkohol hat mein Auge ganz schön getrübt. Und da fand ich dich schon hinreißend.“ Ohne auf sein Kompliment einzugehen, zog sie ihn mit einem gierigen Lächeln zu sich herunter und küsste ihn.
Seine Finger erkundeten ihren Körper, ihre Kurven; seine Zunge ihren Mund. Sein ganzer Körper versprach ihr eine wunderbare Nacht. Doch dieses Mal ging es April nicht um die aufgestaute Lust und unbeherrschbare Wildheit. Es spielte pure Zärtlichkeit zwischen ihnen und es gefiel ihr.
Sie gab sich diesem traumhaften Gefühl widerstandslos hin und damit auch Kenneth
.
April stand leise auf und schlich durchs Zimmer. Sie war froh, dass dieses Mal ihre Sachen in greifbarer Nähe lagen und sie sie nicht im ganzen Haus suchen musste. Flink zog sie Kenneths Shirt übern Kopf und ihr Kleid an. Es war etwas unbequem, jetzt so früh am Morgen, aber sie würde es überleben.
Sie warf einen raschen Blick auf den schlafenden Mann und tapste dann aus dem Raum. Ganz leise zog sie die Tür hinter sich zu und hätte beinahe erleichtert geseufzte, als sie ohne ein einziges Knirschen in den Scharnieren sich schloss.
Auf Zehenspitzen tänzelte sie die Treppe hinunter. Jede Stufe einzeln nehmend rannte sie schon beinahe hinunter. Unten angekommen, blieb sie reglos stehen und raufte sich das Haar.
Und nun? Was sollte sie jetzt machen? Es gab zwei Möglichkeiten. Möglichkeit eins: Sie könnte abhauen, wie ein feiges Mäuschen, ihn zurück lassen und für immer aus seinem Leben verschwinden.
Oder Möglichkeit zwei, welche lautete: Hier bleiben, niedliches Schmusekätzchen spielen und ihm ein bezauberndes Frühstück herrichten, um ihm für die wunderbare Nacht zu danken.
Nun ja, beide Möglichkeiten verursachten, ihr Bauchschmerzen. Einerseits wollte sie nicht ganz aus Kenneths Leben verschwinden, er war nett und sympathisch und alles. Andererseits hatte sie ganz bestimmt keine Nerven für eine Beziehung, mit solchen hatte sie nur schlechte Erfahrungen gemacht.
Einen Moment zögerte sie noch, dann eilte sie zur Tür. Sie hatte sie schon geöffnet, hatte den Entschluss getroffen, ihn nie wieder zu sehen. Doch da traf ihr verunsicherter Blick ihr armseliges Abbild im beschlagenen Fensterglas der Haustür. Ihre Haare waren zerzaust, ihre Kette – die sie die ganze Nacht über getragen hatte – verdreht, ihr Make Up vollkommen ruiniert und ihre Augen glasig vor Überstürzung.
Es war wirklich schrecklich verletzend von ihr, einfach so, ohne eine Notiz von sich, dieses Haus zu verlassen, in das sie so vertrauensvoll eingeladen wurde. Es war ihr unangenehm, weil ihr schlechtes Gewissen an ihr nagte und sie nicht mehr los ließ.
Mit hängenden Schultern, schlug sie die Lider nieder und dachte kurz darüber nach, die Tür wieder zu schließen und sich dankbar in die Küche zurück zu ziehen. Doch dann überwand sie sich, denn sie wusste, bliebe sie, würde ihr Herz zerspringen, wenn sie Kenneth ins Gesicht sagen musste, dass sie ihn nie wieder sehen würde.
Also nahm sie den Lipgloss aus ihrem winzigen Täschchen. Sie wusste, es war nicht ihre beste Idee, doch auf die Schnelle fand sie keinen Stift und sie wollte auch keine Zeit bei der Suche verschwenden, in welcher Kenneth plötzlich aufstehen und ihr begegnen könnte.
Der rote Schimmer glänzte irgendwie nicht mehr so verführerisch in seinem Glas, wie am Abend zuvor. Und als April dieses Mal den Tupfer hinauszog, trug sie auch kein Lächeln mehr im Gesicht. Ihre Augen wurden glasig von nähernden Tränen und eilig machte sie einen Schritt auf den Spiegel zu, der über der Kommode am Eingang hing.
Die zitternde Hand gehoben, strich sie langsam Ziffern und Zahlen auf die glatte Oberfläche. Das fahle Licht, welches in den Flur drang, verfing sich im spiegelnden Glas und strahlte in bunten, verspielten Farben um sich. Es brach sich in der zart aufgelegten Lipglossschicht und funkelte noch mehr.
Es hatte etwas traurig Schönes an sich, den Spiegel zu betrachten. Sie vergaß beinahe ihre Nachricht. Als sie sich wieder gefangen hatte, las sie noch einmal die Zeilen.
Es tut mir leid.
Ich konnte einfach nicht bleiben.
Ich will nicht, dass wir uns nie wieder sehen.
Rufe mich an, aber erwarte nicht zu viel.
Darunter stand noch ihre Nummer. Mehr konnte sie nicht tun. Mit einem verunsicherten Seufzer, steckte sie den Lipgloss wieder ein und warf noch einmal einen wachsamen Blick auf die Treppen. Alles war still im Haus, kein Mucks zu hören. Kenneth schien noch zu schlafen.
Mit einem letzten Gedanken daran, dass sie immer noch die Wahl hatte, öffnete sie die Tür, trat ins kühle Freie hinaus und ließ hinter sich die schwere Tür zu fallen.
Jetzt war ihre Entscheidung getroffen.
Als April aus dem Taxi ausstieg, kam gleichzeitig ein zweites vor ihrer Wohnung zu Stehen. Eine sehr verschlafen aussehende Jacky öffnete die Autotür und winkte ihr müde zu. April lächelte ihr zaghaft zu und wartet vor der Haustür auf sie. Ohne jegliche Worte schloss Jacky sie auf und trat ins Innere. April schaltete das Licht an, woraufhin ein gequältes Stöhnen und empörte Flüche von ihrer Freundin kamen. Sie verkniff sich ein amüsiertes Grinsen und warf sich schlapp auf die Couch.
Mit einem lauten Plumpsgeräusch folgte Jacky ihr und legte ihr den Kopf auf den Schoß. Dabei schloss sie die Augen und bekam Aprils belustigtes Funkeln in den Augen nicht mit.
„Na? Wurd’s gestern spät?“, neckte April sie. Ein Murren war die einzige Antwort, die sie bekam.
Eine Zeit lang saßen sie so da. April dachte schon, Jacky wäre erschöpft auf ihrem Schoß eingeschlafen, als diese sich plötzlich aufrichtete und sie verwundert anstarrte. „Sag mal, was machst du eigentlich hier? Ich hätte nicht damit gerechnet, dich so früh schon wieder zu sehen. Ich dachte, ihr würdet es den ganzen Tag lang wie die Karnickel treiben.“
April schnaubte. „Nun ja, ich hatte sowas nicht vor. Eigentlich hatte ich überhaupt nicht vor, über Nacht zu bleiben. Aber ich hatte gestern meinen Schlüssel vergessen … und Kenneth hat angeboten, mir für die Nacht Unterschlupf zu bieten.“ Auf ihre Worte folgte ein breites Grinsen von Jacky. „Ihr habt es getan, stimmt`s?“ April brauchte nicht antworten, Jacky war es auch so bewusst.
Demonstrativ lenkte April vom Thema ab, indem sie stur fragte: „Und wie war`s bei dir? Wer war es heute?“ Jacky winkte lässig ab mit der leisen Bemerkung: „Keine Ahnung, hab seinen Namen schon wieder vergessen.“ Dann funkelten ihre Augen neugierig.
„Also, was machst du hier? Wieso bist du so früh wieder zurück.“ April wand sich innerlich. Wie sollte sie ihre Entscheidung erklären?
Zaghaft setzte sie mit gesenktem Blick an: „Ich hab mich aus seinem Haus geschlichen.“ Jacky zog scharf die Luft ein. „Du hast was? Warum?“ Jetzt war es April wirklich unangenehm. Sie zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß auch nicht. Irgendwie hatte ich meine Bedenken, was passieren könnte, wenn ich länger geblieben wäre. Das machte auf mich so einen komischen Eindruck. Also bin ich gegangen, als er geschlafen hat.“ Als keine Antwort kam, blickte sie zögernd auf. Jackys Miene war ausdruckslos, bis sie sprach.
„Einfach so? Ohne eine Verabschiedung?“ Jetzt fühlte April sich mies. Jacky hatte schon recht, sie hätte sich wenigstens verabschieden können. Zu ihrer Verteidigung erwiderte sie hastig: „Ich habe ihm eine Notiz hinterlassen, die er nicht übersehen kann. Und mit ihr auch meine Nummer.“ Diese Information schien Jacky wieder zu beruhigen und viel lockerer als zuvor hackte sie nach: „Was heißt, er kann sie nicht übersehen?“
„Ich habe mit meinem Lipgloss alles auf seinen Spiegel geschmiert.“ Jacky fing urplötzlich an zu kichern und strahlte April an. Diese seufzte erleichtert auf; anscheinend brauchte sie jetzt kein allzu schlechtes Gewissen mehr haben.
„Diese Nachricht wird er aber noch lange bestaunen dürfen. Ich glaube nicht, dass der Lipgloss so leicht vom Spiegel abgehen wird.“ Beide grinsten sich an und dann ließ Jacky sich zurück fallen, legte den Kopf auf die Armlehne und bettete ihre Füße auf Aprils Schoß.
„Das heißt jetzt also, wir warten auf seinen Anruf?“ April zuckte die Schultern und warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor Neun. Dann sah sie Jacky wieder an.
„Zumindest noch eine Stunde. Matt hat mir heute schon gutmütiger weise die ersten Stunden freigegeben und einen Ersatz angefordert. Und die vergangenen Tage habe ich mich auch ganz schön oft freisprechen lassen. Ich muss langsam aber sicher wieder in den Arbeitsplan einsteigen … das ist alles erst so, seit meinem Geburtstag. Seit ich Kenneth kennen gelernt habe. Ich wusste doch, dass Männer nicht gut für arbeitstätige Frauen sind“, empörte sie sich halbherzig.
Jacky zwinkerte ihr zu. „Nur für dich. Und auch nur, weil du so einen zeitaufwendigen Job hast.“ April zuckte lässig mit den Schultern und stützte den Kopf auf die Hand, während der Ellenbogen auf der Rückenlehne ruhte. „Was soll ich machen? Kündigen? Niemals.“
Jacky lächelte, da sie wusste, dass es eh nie soweit kommen würde und schloss erschöpfte die Augen. „Na gut, dann lass uns warten. Und wenn du dann gehst, mach ich mich auch mal auf den Weg zur Arbeit.“ Jacky war Fotografin und trat manchmal auch vor die Kamera und spielte Model. Die Firma, in der sie arbeitete, hatte es oft mit etwas kleineren Stars und Modemagazinen zu tun, trotzdem verdiente Jacky nicht schlecht daran. Und ihr Gesicht wurde oft genug abgelichtet.
Wie schon so oft musterte April genauestens ihre beste Freundin. Diese hatte dunkle, seidige, glatt herabfallende braune Haare, welche immer zu gesund glänzten. Ihre Augen waren von einem tiefen Schokoladenton und ihre Haut makellos rein und leicht gebräunt, was von ihrer Abstammung als halbe Latina kam.
Ihre Augenbrauen waren perfekt gezupft, ihre Nase gerade und klein und ihre Lippen besaßen ein leichtes dunkles Rosa und waren voll und herzförmig geformt. Jackys Kinn war spitz, ihre Wangenknochen nicht sehr hoch, was ihre Augen umso größer erschienen ließ und ihre Wangen etwas weicher. Ihre Wimpern waren von einem natürlichen schwarz und so lang und dicht, dass man fast meinte, sie wären gefälscht.
Jackys Körper sah in ihrer jetzigen Position etwas kleiner und rundlicher aus, da sie die Beine schräg angewinkelt und den Oberkörper gedreht hatte. Aber April wusste, dass ihre Freundin nur etwas kleiner war als sie selbst, eine schmale Taille und ausladende Hüften besaß und ihre C-Brüste perfekt zum restlichen, feingliedrigen Körper passten.
Jacky war einfach eine umwerfend attraktive Frau. Weshalb es April manchmal auch bangte mit ihr zusammen durch die Stadt zu laufen, nur damit jeder sehen konnte, wie durchschnittlich sie aussah und wie überdurchschnittlich schön ihre Freundin. Aber dieses Gefühl hatte sie auch nur manchmal und warf es Jacky ganz sicher nicht vor.
Auch April versuchte zu entspannen, doch jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, sah sie Kenneth vor sich. Die Hose locker auf den Hüften hängend, der Gürtel geöffnet, das Hemd modelmäßig aufgeknöpft und der Blick frei auf eine bronzeglänzende Haut, gespannt über angedeutete Muskeln. Er sah sie verführerisch an. Und genau dann schlug April jedes Mal die Augen wieder ruckartig auf.
Schließlich wusste sie, dass sie sich nicht richtig würde ausruhen können, bis Kenneth entweder angerufen oder sie sich abgelenkt hatte.
Also stand sie auf, legte dabei vorsichtig die Beine ihrer bereits eingeschlafenen Freundin auf die Couch und verschwand dann in ihrem Zimmer. Ohne viel Aufwand um ihr Aussehen, holte sie eine an den Beinen weite Stoffhose in Weiß aus ihrem Schrank und ein dazu passenden beigen dünnen Pulli, dessen Ärmel knapp bis zu ihren Ellenbogen reichte. Sie zog helle Ballerina an, die sie schon viel zu lange nicht mehr getragen hatte und schnappte sich alles wichtige, was sie brauchte, verstaute es in ihrer Umhängetasche und machte sich auf den Weg ins Krankenhaus.
Ihr war klar, dass sie schicker als sonst zur Arbeit ging, aber dennoch störten sie die neugierigen Blicke, die darauf folgten. Sie betrat das riesige sterile Gebäude und machte sich auf den Weg zu Matts Büro. Nach einem Blick auf ihre Armbanduhr, wusste sie, dass sie zu früh war, aber Matt würde das freuen.
Zaghaft klopfte sie an die Tür und öffnete sie auf sein lautes „Herein“ hin. Sie trat ein und lächelte ihm zur Begrüßung zu. Er saß hinter seinem Schreibtisch und kämpfte mit nervigem Schreibkram. Als er aufsah und sie erblickte, zuckte ein erleichtertes Lächeln um seine Mundwinkel.
„April! Zum Glück bist du es und nicht noch so ein unwissender Anfänger. Davon waren heute schon mindestens sieben Stück bei mir.“Mitfühlend nickte sie und stützte sich mit den Händen auf der Lehne des Stuhles, der ihm gegenüber stand.
„Matt, ich wollte mich noch einmal bei dir bedanken, dass du mir freigegeben hast und nicht nachtragend, wegen meiner versäumten Stunden bist.“ Er winkte lässig ab. „Du hast noch so viel Urlaub übrig, dass ich dich mit einem guten Gewissen vom Arbeitsplan streichen konnte. Außerdem siehst du jetzt viel erholter und frischer aus.“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, glitt sein Blick langsam von ihrem offenen Haar – was sonst immer hochgebunden war – zu ihrem engen Pulli, der ihre Kurven umschmeichelte und ihrer ordentlichen Stoffhose.
Ihre Wangen wurden etwas wärmer und sie lächelte geschmeichelt von seinen intensiv funkelnden Augen. Dann grinste er sie an. „Nun, willst du dich abmelden um noch etwas länger Urlaub zu nehmen , nur um noch attraktiver zurück zu kehren“ – das Kompliment war absichtlich begehrend über seine Lippen gekommen und sein hoffnungsvoller Blick hing an ihren Lippen – „oder willst du dich wieder einarbeiten?“ Bei den letzten Worten sank seine Stimme. Sie lachte leise auf, bevor sie erwiderte: „ich glaube, das ist erst einmal Veränderung genug. Ich werde ab sofort wieder meinen alten Schichten aufnehmen und ackern was das Zeug hält.“
Matt lächelte leicht betrübt. „Eigentlich sollte ich mich wegen dem Wohle des Krankenhauses über deine Entscheidung freuen, aber irgendwie gefiel mir die Vorstellung, dich später noch schöner wieder zu sehen.“ Sie grinste ihn an und drehte sich dann um und ging zur Tür.
„Ich werde mich dann mal an die Arbeit machen. Wir sehen uns später noch auf `nen Kaffee, oder, Matt?“ Er nickte lächelnd und winkte ihr dann zur Verabschiedung zu. Sie Hob als Entgegnung ebenfalls die Hand und verließ dann das Büro.
Auf dem Weg zum Personalraum, wo sich ihr Schließfach befand, grüßte sie ihre Kollegen und die Schwestern alle mit einem strahlenden Lächeln und durfte sich hier und da einige Komplimente zu ihrem entzückenden Aussehen anhören. Dabei hatte sie sich heute Morgen nicht einmal Mühe beim aussuchen ihrer Kleidung gegeben und einfach keine Zeit zum Haare hochbinden gehabt.
Als April bei ihrem Schließfach ankam, war der gesamte Raum leer und sie war froh, mal privaten Freiraum beim Umziehen zu haben, auch wenn es sie sonst eigentlich nicht störte, wenn andere dabei waren.
Nachdem sie ihre grüne Arbeitskleidung anhatte, betrachtete sie kurz das Zopfgummi um ihr Handgelenk und dann ihre wunderschön fallenden Locken im Spiegel. Ihr Blick glitt über sich, dann zuckte sie vernachlässigend die Schultern. Sie würde später die Haare zum Zopf machen, vorerst wollte sie sie weiter auf ihren Schultern genießen.
April verließ den Personalbereich und schritt anmutig über den Flur. An einer Wand hing der Pieper, bei dem man sich mit einer Arbeitskarte zum Dienst meldete und daneben stand eine Tafel. Sie kramte in ihrer Hosentasche nach ihrer Marke, fuhr mit ihrer glatten Oberfläche über den Piepser und starrte dann auf den Dienstplan.
Sie war für zwei OPs eingeteilt, in denen sie einmal einen Beinknochen richten und ein anderes Mal an einer Niere rumschneiden musste. Eigentlich nicht allzu schwere Arbeit. Schnell merkte sie sich noch die Uhrzeiten und schlürfte dann auch schon zum ersten Krankenzimmer. Da die Tafel keine Auskunft über den Patienten gegeben hatte, wollte sie ihn sich einmal anschauen.
In einem der großen Betten lag ein kleines, sechsjähriges Mädchen. Ihre Haare waren schulterlang und dunkelblond und ihre blauen Augen vor Angst ganz groß. Sie drückte einen zerlumpten, alten Teddybären an ihre Brust und wimmerte leise, während Dr. Mellark – einer der etwas älteren und muffigeren Ärzte dieses Hauses – mit der besorgten Mutter redete.
Die Kleine sah so verängstigt aus in dem großen Raum, wo sie ganz alleine war, da der Doktor und ihre Mami draußen vor der Tür redeten, dass April augenblicklich Mitgefühl für sie empfand.
Mit einem Nicken begrüßte sie die beiden Erwachsenen und trat an ihnen vorbei ins Zimmer. Sie hörte, wie die Frau Dr. Mellark panisch fragte, wer sie sei und er sie mit dumpfen Worten von Aprils Arbeit informierte.
April schloss hinter sich die Tür und blieb an Ort und Stelle stehen, während das kleine Mädchen sie aus großen Augen anstarrte. Sie setzte ihr liebevollstes Lächeln auf und machte dann einen Schritt aufs Krankenbett zu.
„Hi, ich bin April.“ Die Kleine gab keinen Mucks von sich, nachdem Aprils sanfte Stimme verklungen war. Diese setzte eine aufmunternde Miene auf. „Und wer bist du, Kleine?“
„Sally“, kam die zaghafte Antwort. April nickte und verschränkte die Finger mit einander, während ihr Blick über den zierlichen Körper des Mädchens schweifte und an dem aufgestützten Bein hängen Blieb.
„Hmm. Was hast du denn gemacht, Sally?“ Die Kleine schaute auf ihren Teddy hinab und sagte nichts. Da April sie nicht bedrängen wollte, nahm sie sich einfach das Krankenblatt und überflog den Bericht. Das Mädchen hatte sich vor einem Monat das Bein gebrochen. Mann hatte operiert, aber anscheinend irgendeinen Fehler gemacht. Nun sollte April das wieder richten.
Nachdem sie das Klemmbrett wieder ans Bettende gehangen hatte, zog sie sich wortlos einen Stuhl ans Bett und betrachtete ruhig das Mädchen.
Sally starrte immer noch ihren Teddybären an. Langsam schien sie sich zu beruhigen und ihr Gesicht entspannte sich etwas. Um sie nicht zu verschrecken, sprach April leise und in sanften Ton.
„Sag mal, Sally, wie heißt denn dein kleiner Freund hier?“ Mit einem langen Finger deutete sie zaghaft auf den Teddy. Mit einem liebevollen Lächeln hob Sally den Blick. „Das ist Pinky.“ April hob verwirrt die Brauen. „Wie bist du denn auf diesen Namen gekommen?“
„Als ich das erste Mal ins Krankenhaus musste, hat meine Mami mir diesen Teddy hier geschenkt. Er trug eine pinke Schleife um seine rechte Hand und dann habe ich ihn Pinky genannt.“ Lächelnd nickte April und berührte sanft den Teddy an besagter Hand.
„Das ist aber eine schöne Geschichte. Und ein wirklich schöner Name.“ Sally errötete und senkte lächelnd den Blick. Sie murmelte ein zögerndes „Danke“ und strich zittrig über das Fell ihres Teddys.
Dann hob sie ruckartig den Kopf und musterte die Erwachsene. „Und was machst du hier?“ Ihre Augen funkelten neugierig. April legte den Kopf schief und sah Sally in die Augen.
„Ich bin hier, um dafür zu sorgen, dass du so schnell wie möglich wieder laufen kannst.“ Die Kleine lachte fröhlich und klatschte aufgeregt in die Hände. „Ja! Dann kann ich endlich wieder mit Pinky ein Wettrennen machen! Da gewinne ich immer!“ April konnte nur freudig grinsen.
Nachdem April die Gummihandschuhe von ihren Händen gestreift hatte, blickte sie noch einmal durch die Trennscheibe auf den zierlichen Körper der kleinen Sally und lächelte stolz. Alles war prima von statten gegangen und das Mädchen würde bald wieder ganz normal laufen können. Wenn sie erst einmal aufwachte, würde eine nette Krankenschwester ihr diese wunderbaren Neuigkeiten überbringen und die Kleine würde alle mit ihrem strahlenden Lächeln blenden. Bei dieser sonnigen Vorstellung musste auch April lächeln.
Da alle weiteren OPs nicht wirklich viel Zeit in Anspruch genommen hatten, beendete April ihre Schicht etwas früher als gewöhnlich und verschwand im Umkleideraum des Personals.
Zwei junge Männer, die wahrscheinlich gerade erst im Krankenhaus anfingen, gafften sie regelrecht an, als April sich aus ihrer verschwitzten Arbeitskleidung schälte und nur noch in Unterwäsche gekleidet ihren Spind in aller Ruhe durchforstete.
Mit einem selbstgefälligen Lächeln schielte sie zu den beiden hinüber. Der eine war immer noch etwas unschlüssig, was er jetzt machen sollte, was sie an seinem gehetzten Blick und der versteiften Haltung bemerkte. Der andere jedoch genoss unverhohlen ihren freizügigen Anblick und trug ein arrogantes Grinsen zur Schau, welches auf Beliebtheit und den Ruf als Mädchenschwarm deutete, was ihm allen Schein nach zu Kopf gestiegen war und ihm die Illusion bescherte, ihr würde sein gieriger Blick gefallen.
April rollte genervt mit den Augen und kramte weiter in ihrem Schließfach. Sie holte die Anziehsachen von vorher heraus und zog sie an. Dann schaltete sie ihr Handy an.
Sieben entgangene Anrufe und vier Nachrichten – von denen eine von Jacky war – begrüßten sie beim Einschalten. Alles andere kam von einer unbekannten Nummer. Doch April brauchte nicht mal eine Sekunde darüber nachdenken, wem die fremde Nummer gehörte. Und es dauerte auch keine Minute, da hatte sie auch schon die Rückruftaste gedrückt. Unsicherheit vermischte sich mit Freude und brachte ihr ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend ein.
Der Piepton erklang ein einziges Mal, dann wurde auch schon abgenommen.
„April?“, erklang Kenneths hektische Stimme, die sich zu überschlagen drohte. April unterdrückte ein Kichern und schloss mit der freien Hand den Spind.
„Am Apparat.“ Ein erleichtertes Seufzen kam dumpf durch den Hörer. Gefolgt von: „Ich hatte schon Angst, nie wieder etwas von dir zu hören.“
„Es tut mir leid, wenn du warten musstest, aber ich war Arbeiten und konnte nicht mitten in den OPs ans Handy gehen.“ Zustimmendes Gemurmel im Hintergrund. Sie verabschiedete sich von einem stummen Winken und einem etwas überheblichen Blick von ihren zwei Bewunderern und hing sich ihre Handtasche über die Schulter. Mit dem Handy am Ohr verließ sie das Krankenhaus.
„Ist schon okay. Die Arbeit geht vor.“ Doch seine Stimme verriet ihr, dass diese Einstellung ihm im Moment nicht zu sagte.
Stille kam auf. Ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Dann ergriff Kenneth schließlich wieder das Wort.
„Werde ich dich wiedersehen?“ Die Frage kam so verzweifelt über seine Lippen, dass es April zusammen zucken ließ. Sie schloss einen Augenblick lang die Augen und blieb reglos auf einem überfüllten Gehweg stehen. Leute rempelten sie an, doch April vergaß die laute Menschenmasse um sich herum völlig und dachte angestrengt nach. Sie wog alle Möglichkeiten mit einander ab.
„Ja“, hauchte sie dann schließlich doch, nachdem sie mit sich selbst gerungen hatte. Dieses Wort kostete sie mehr auszusprechen, als so vieles andere. Dennoch fühlte es sich so an, als wäre eine Last von ihr genommen worden.
Auch Kenneth schien glücklich über ihre Entscheidung. Ein fröhliches Lachen durchsetzte seine Wörter. „Gut. Also, wann sehen wir uns wieder?“ Ein verheißungsvoller Unterton schwang in seiner Frage mit und schickte ein angenehmes Kribbeln über ihren Körper. Einzelne Bilder blitzten vor ihren Augen auf, Fantasien geweckt durch die Erinnerungen der letzten Tage.
April hatte wieder angefangen, mit dem Menschenstrom zu ziehen und ein vorfreudiges Lächeln legte sich über ihre unsichere und gestresste Miene und ließ sie selbstsicher weiter laufen.
„In einer Stunde bei mir“, forderte sie verführerisch, aber bestimmt. Ohne auf seine Antwort zu warten, legte sie auf und machte sich auf den Heimweg. Sie wollte unbedingt vor ihm da sein. Eine interessante Idee begann nämlich in ihrem Kopf Gestalt anzunehmen …
In einem Schwung warf April die Handtasche auf die Kommode im Eingangsbereich, schlüpfte aus dem Mantel und hing ihn hastig an den Harken. Ihre Schuhe stellte sie achtlos vor den Schuhschrank und machte sich gar nicht erst die Mühe, alles in feinster Ordnung zu halten. Es würde Kenneth und sie später eh nicht stören.
Sie ging zielstrebig ins Badezimmer und schloss hinter sich ab, auch wenn sie wusste, dass keine Jacky mit überraschendem Besuch vorbei kommen würde, diese übernachtete heute wo anders.
April warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Sie hatte jetzt noch fast eine halbe Stunde. Genug Zeit zum Duschen. Also entlud sie sich ihrer gesamten Kleidung und stieg unter den heißen Wasserstrahl. Sorgfältig schäumte sie sich die Haare mit einem wunderbar duftenden Erdbeershampoo ein und wusch ebenfalls ihren Körper gründlich. Dabei schloss sie immer wieder die Augen und stellte sich vor, wie es Kenneths Hände waren, die so langsam über ihre Kurven glitten und sein heißer Atem, der dem Wasser gleich in ihren Nacken blies.
Als sie sich für sauber und duftend genug hielt, stellte sie das Wasser aus und trocknete sich mit einem großen Handtuch ab. Ihre Haare kämmte sie und entknotete sie angestrengt. Dann nahm sie sich eine Rundbürste und zock ihre sonst schwingenden Locken etwas beim Föhnen glatt, sodass sie in seichten Wellen über ihre Schultern fielen; ein weicher und feiner Goldfluss.
Dann stand sie ins Handtuch gewickelt vor dem Spiegel und begutachtete ihr Gesicht. Sie entschied sich gegen ein aufwendiges Make Up und dafür lieber für einen zarten Goldschimmer auf den Lidern über ihren strahlend grünen Augen und etwas wasserfeste Wimperntusche. Zum Schluss fuhr sie noch einmal zum auffrischen mit einem Labello über ihre Lippen und lächelte sich dann im Spiegel zu.
Sie sah gut aus. Einfach geschminkt, wodurch ihre Natürlichkeit besser durchstrahlte. Der Mann musste wirklich etwas Besonderes an sich haben. Früher hatte sie nie so viel Selbstbewusstsein besessen um sich selbst als hübsch zu bezeichnen, jetzt konnte sie den Blick nur noch schwer von sich nehmen.
Dann tappte April auf Zehenspitzen durch die kalte Wohnung in ihr Zimmer und warf das Handtuch auf ihr Bett. Sie schnappte sich einen dunkelroten knappen Morgenmantel, der gerade mal so über ihren Hintern reichte und aus feinster Seide bestand. Auch er war ein Geschenk von Jacky gewesen, was man leicht an dem verführerischen Stil erkannte, den das Kleidungsstück am Körper ausstrahlte. Doch für ihre Zwecke war er genau richtig.
April räumte noch schnell das Zimmer auf – zumindest so weit, dass nichts Peinliches mehr auf dem Boden oder Bett herum flog – und trat dann in den Flur. Mit flinken Fingern band sie sich ihre Haare hoch und überlegte sich verschiedene Szenen und deren Folgen. Alle liefen komischerweise aufs selbe hinaus.
Mit einem Lächeln versuchte sie sich zu beruhigen und begutachtete noch einmal ihr Aussehen im Spiegel.
Ihre Haare waren aus dem Gesicht gestrichen und gaben die Sicht frei auf ihren schlanken langen Hals. Ihr Gesicht war wirklich hübsch, eine natürliche Röte zog sich über ihre Wangen und Vorfreude funkelte in ihren Augen.
Die Ärmel des Mantels gingen bis zu den Ellenbogen und flatterten um ihre Arme. Er saß locker und ein dünner Gürtel hielt ihn gerade so noch zusammen auf ihren Hüften. Oben war er so weit geöffnet, dass man einen großzügigen Blick auf ihr Dekolleté hatte und er schmiegte sich um ihre Oberschenkel, wie eine zweite Haut. Ihre langen Beine standen schon in Pose und sie hielt sich elegant im Gleichgewicht auf den Zehenspitzen.
Und da klingelte es auch schon an der Tür. April holte noch einmal ein letztes Mal tief Luft, dann drückte sie die Klinke hinunter.
Kenneth sah mal wieder umwerfend aus. Doch seine Miene deutete von Stress, was sie vermuten ließ, dass er gerade erst von der Arbeit hergekommen war. Plötzliche Schuldgefühle brachen sich bei ihr Bann, als sie daran dachte, ihn vielleicht mit ihrer kompromisslosen Forderung hier her zu kommen von einem wichtigen Termin abgehalten hatte oder dergleichen.
Diese Gefühle verschwanden jedoch, als e ihr ein begieriges Lächeln zu warf. Dabei blitzten leicht seine strahlend weißen Zähne auf und kleine Lachgrübchen zeichneten sich in seinen Wangen ab. Seine Augen strahlten blau und sein braunes Haar war lässig zurück gekämmt. Er trug einen schlichten grauen Anzug, dessen Jacke auf geknöpft war, und darunter ein weißes Hemd.
„Hi“, hauchte sie. Er erwiderte die Begrüßung ebenso leise und kam dann einen Schritt auf sie zu. Sie vergaß all ihre Absichten und konnte nur noch mit offenem Mund staunen. Mein Gott, sie hatte ihn viel weniger eindrucksvoll in Erinnerung und jetzt warf er sie einfach nur noch um!
Er schloss hinter sich die Tür und betrachtete sie fasziniert. „Du siehst bei jedem Mal schöner aus.“ Es war ein Flüstern, dass über seine Lippen ging, doch was es in ihr auslöste, war mindestens so gewaltig wie ein Feuerwerk; und auch genauso eindrucksvoll.
Seine Hand legte sich sanft an ihre Wange, die mit einem Mal um einiges heißer wurde. Sie blickte verlegen zu Boden und kam sich plötzlich komisch vor in ihrem freizügigen Outfit, wenn man es denn überhaupt noch als solche bezeichnen konnte.
Doch als sich ihre Blicke trafen, wich alles Schamgefühl aus ihr und sie legte ihm rasch die Arme um den Hals. Als hätte er nur auf diese Einladung gewartet, beugte er sich auch schon vor, zog sie dicht an sich und verschloss ihren Mund mit dem seinen. Sie seufzte erleichtert, als sich ihre Lippen trafen und gab sich ganz der in ihr aufsteigenden Wärme hin. Ihre Körper verschmolzen mit einander und passten sich dem jeweils anderem perfekt an, bis sie sich überall, wo es nur ging, berührten und spürten.
Schließlich ließ Kenneth von ihr ab und sah sie erwartungsvoll an. Ohne ein Wort über die Lippen zu bringen, ergriff sie seine Hand und führte ihn in ihr Zimmer. Trotz der Kälte fror sie nicht.
Sie schloss langsam die Tür, ohne dabei Kenneth aus den Augen zu lassen. Er stand mitten im Zimmer und musterte sie begierig von oben bis unten. Sie blieb auf Abstand und verführte ihn mit ihren Blicken.
Ganz langsam hob sie die Hand und löste den Haarknoten, sodass ihre Wellen leicht hinab fielen und einige Strähnen ihr im Gesicht hingen. Ein verspieltes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel und sie funkelte ihm zu. Er konnte nur mit angehaltenem Atem ihrem Vorspiel folgen.
April hob eine feingliedrige Hand unter den Stoff an ihrer Schulter und zog ihn dort ein Stückchen herunter, nur soweit, dass er ihre nackte Haut am Oberarm und Dekolleté sehen konnte. Dann zog sie sie wieder hervor und strich galant über ihre Hüften auf und ab. Seine Augen glitzerten vor Lust, als er ihren Bewegungen nachging.
Sie ließ sich einige dickere Haarsträhnen ins Gesicht fallen, damit ihr siegessicheres Lächeln etwas besser verdeckt war und löste als Ablenkung schrecklich langsam den Knoten, der die beiden Gürtelenden zusammen hielt und damit auch die Seide. Er war schon fast offen, als sie von ihm abließ und elegant auf Kenneth zu ging.
Er hielt die Luft an, als sie seine Brust berührte und vorsichtig unter seinem Jackett tastete. Dieses streifte sie ihm zaghaft von den Schultern, wobei sie ihn so viel und so oft wie möglich überall berührte. Danach kam das Hemd, welches sie Knopf für Knopf öffnete und dann aus seiner Hose zog. Es landete neben der Anzugjacke auf dem Boden und gab den Blick frei auf seine wunderbare Brust.
Er war gut gebaut, weshalb April dem Wunsch nicht wiederstehen konnte, ihn zu berühren. Sie legte die Hände auf seine harte Brust und spreizte die Finger. Er gab sich ihren fordernden und gleichzeitig hinhaltenden Berührungen hin und gab ab und zu ein Stöhnen oder Seufzen von sich.
Dann drängte April ihn sanft rückwärts, sodass er mit einem dumpfen Geräusch auf ihr Bett plumpste. Dort setzte er sich erst auf, doch sie stieg galant auf seinen Schoß und drückte ihn nur allein mit den Fingerspitzen auf den Rücken. Er ergab sich ihrem Willen und schloss genießend die Augen.
Mit Schmetterlingsberührungen fuhren ihre Finger über seinen umwerfenden Oberkörper. Bis zu seinen Brustwarzen. Sie beugte sich vorsichtig vor, wobei Kenneth einen weiten Einblick auf unter ihren Mantel bekommen hätte, wären seine Augen noch geöffnet gewesen.
Mit einem neugierigen Lächeln nahm sie einen der Nippel in den Mund und saugte heftig an ihm. Ein erstickter Laut von Kenneth, welcher zusammen zuckte, erklang, ehe er sich mit einem tiefen Stöhnen ihr entgegen drückte und gemurmelt nach mehr verlangte.
Sie zog ihm mit kühlen Fingern die Gürtelschnalle auf und die Anzughose hinunter. Er gab auch keinen Protest von sich, als sie sich ebenfalls seiner Boxershorts annahm, welche zu den anderen Sachen flog.
Als sie ihn so weit hatte, dass er sich nur noch schwer im Griff hatte, stieg sie von ihm und stellte sich demonstrativ vors Bett. Überrascht hob er den Kopf und blickte aus. Sie schenkte ihm ein verführerisches Lächeln und ein rasches Zwinkern, was ihn gespannt warten ließ.
Ganz langsam zog sie auch den letzten Knoten des Gürtels auf und ließ anmutig das Gewand fallen. Sie war sich vollauf bewusst, dass sie unter dem Kleidungsstück nackt war und sich ihm nun auf dem Silbertablett präsentierte. Doch es gefiel ihr, sich ihm zu zeigen mit all ihren Makeln und Vorzügen.
Langsam schritt sie auf ihn zu, die langen Beine extra auf Zehenspitzen gestreckt, der Bauch straff angespannt und die Brüste vorgestreckt. Sie streckte die Hände nach ihm aus und er ergriff sie mit einem erstaunten Ausdruck auf dem Gesicht. „Ich will dich“, flüsterte er ehrfürchtig.
Bei dem Glanz in seinen Augen konnte sie nicht anders als lächeln. Nie würde sie seinem verträumten Blick wiederstehen können.
April drückte ihn wieder sacht auf die Matratze zurück und beugte sich über ihn. Ihre Brüste streiften seine Brust und ein Schauder lief über ihren Körper. Sie blickte ihm tief in die Augen und senkte dann den Mund auf seinen. Ihre Lippen waren nur noch ein Stück voneinander getrennt, als sie hauchte: „Dann nimm mich.“
Der anschließende Kuss besiegelte den Packt.
April war schon früh aufgewacht. Erst hatte sie überlegt, einfach zur Arbeit zu verschwinden. Doch dann war ihr eingefallen, dass Kenneth zu ihr gekommen war, nicht umgekehrt, und sie konnte ihn schließlich nicht ganz alleine in ihrer Wohnung zurücklassen.
Dann hatte sie die Idee gehabt, ihn zu wecken und zu bitten, zu gehen, mit der Ausrede, sie müsse gleich zur Arbeit. Doch einerseits konnte sie ihn nicht anlügen und andererseits wollte sie ihn nicht anlügen.
Also hatte sie mit einem schlichten Seufzen die Decke weggeschlagen, sich aus Kenneth Umarmung gewunden und war aufgestanden. Ihr gegenüber stand der mickrige Kleiderschrank. Aus diesem holte sie eine hellgraue, weiche, weite Jogginghose, welche an den Fußknöcheln geriffelt eng anlag, an den Beinen jedoch schlackerte, und ein einfaches weißes Top. Da sie etwas fröstelte, zog sie noch eine zitronengelbe Strickjacke drüber und schwarze Wollsocken an.
So eingemummelt, verließ sie das Schlafzimmer, schloss leise die Tür und trat in die Küchenecke. Noch etwas schläfrig kochte sie sich Kaffee auf, machte mindestens die Hälfte der Tasse mit Milch voll, gab drei Löffel Zucker dazu und setzte sich dann auf die Couch, die Knie angezogen und beide Hände wärmend um die erhitzte Tasse geschlungen.
Gelangweilt schaltete sie die Kanäle im Fernsehen durch, bis sie sich schließlich eine der Soaps reinzog mit dem Namen How I Met Your Mother. Die Serie gehörte zu ihren Lieblingen und April liebte es einfach, sie zu gucken. Die Handlungen waren genial, die Sprüche zum todlachen und die Situationen könnten glatt dem wahren Leben entsprungen sein.
Die Zeit verging und April hatte schon drei Tassen Kaffee getrunken, als ein leises Schlurfen Kenneth ankündigte. Sie sah über ihre Schulter und sah ihn aufs Sofa zukommen. Er hatte sich seine Anzughose übergezogen, welche ihm locker auf den Hüften hing und schien von der kühlen Luft auf seiner nackten Brust nichts zu spüren. April fror schon bei seinem Anblick.
„Guten Morgen“, lächelte sie heiter. Der Kaffee hatte seinen Zweck wirkungsvoll erfüllt und ihr auch den letzten Rest Müdigkeit genommen. Kenneth dagegen sah aus, als könnte er gut einen gebrauchen.
Er grummelte eine Erwiderung und ließ sich neben sie auf die Couch fallen. Erschöpft lehnte er sich zurück und schaute mit halb geschlossenen Lidern den Fernseher an. April stand schweigend auf und verschwand in der Küche.
Sie kam mit einer dampfenden Tasse Kaffee wieder und brachte ebenfalls Zucker und Milch mit. Sie stellte alles vor ihm ab, hob fragend eine Braue und goss auf sein Gemurmel hin etwas Milch ein. Da er keinen Zucker wollte, hielt sie ihm mit einem frischen Lächeln das Porzellan hin und er trank mit einem dankbaren Blick einige Schlucke.
Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, pflanzte April sich wieder neben ihn aufs Sofa, zog die Knie eng an den Körper und schlang die Arme drum. Ihr Kinn legte sie stützend auf die spitzen Knochen und starrte in den flimmernden Kasten vor sich.
Die Zeit verstrich, und mit jeder neuen Tasse, die April holte, wurden sie beide wacher und wacher. Als sie später auf die Uhr sah, las sie elf Uhr morgens. Noch drei Stunden, dann würde ihre Schicht beginnen.
Sie brachte keinen neuen Kaffee, was Kenneth ein wenig überraschte, als sie vor ihn trat, was sie an seinem Blick sah. Doch als sie sich dann rittlings auf seinen Schoß setzte und die Arme stark um seinen Hals schlang, erschien ein Grinsen auf seinem Gesicht.
„In drei Stunden muss ich Arbeiten, das heißt, wir haben noch etwa zwei Stunden. Und ich glaube, ich weiß genau, wie ich die todschlagen will.“ Er lachte rau auf. Dieses Lachen hallte in ihren Mund hinein, als er seine Lippen begierig auf ihre drückte und sie an sich zog. Er warf sie auf den Rücken aufs Polster und stützte den Ellenbogen neben ihrem Kopf ab, um sich über sie zu beugen. Seine Augen funkelten strahlend blau, als er anfing, an ihrer Strickjacke zu zupfen.
Ein Lächeln schminkte Aprils Mund, als er sich einen Weg ihren Hals hinab küsste. Oh ja, die nächsten beiden Stunden würden schön sein …
„Und du musst wirklich schon gehen?“ Kenneths riesige Welpenaugen starrten traurig auf sie hinab. April lachte leise auf und schloss die Schranktür, nachdem sie sich passende Klamotten rausgenommen hatte. Sie funkelte ihn fröhlich an.
„Ich muss gestehen, es freut mich, wenn du mich so ansiehst. Aber meine Arbeit ist wichtig und ich kann meine Patienten nicht im Stich lassen.“ Ein entschuldigendes Lächeln unterstützte ihre sanften Worte und sie zog entschlossen neue Unterwäsche an. Kenneths Anwesenheit störte sie dabei nicht, schließlich hatte er schon alles von ihr gesehen.
Die schwarze Seide passte sich perfekt ihren wohlgeformten Rundungen an und umspannte nur knapp ihren Hintern. Darüber zog ich eine durchscheinende Strumpfhose an und eine weiße Bluse, dessen Ärmel nur bis zu den Ellbogen gingen. Ein tiefschwarzer Rock legte sich eng an ihre Taille, kurz unterhalb der Brüste, und ging bis über den Oberschenkel und endete über dem Knie. Ein breiter Gürtel hielt die beiden Teile an Ort und Stelle.
April durchschritt das Schlafzimmer auf dem Weg zum Bad; Kenneth folgte ihr. Vor dem Spiegel kämmte sie sich ihre Haare und band sie dann zu einem dicken Knoten hoch. Dünne Strähnen aus ihrem Pony fielen ihr ins Gesicht, was Kenneth ein verträumtes Lächeln ins Gesicht zauberte.
Er hob die Hand, als wolle er sie ihr wegstreichen, ließ sie dann aber wieder rasch fallen, als er merkte, wie sie verdutzt seine ausgestreckten Finger anstarrte. Ihre Überraschung ließ sie erröten.
Zart verteilte April das matte Make Up und trug weniger geübt Wimperntusche und Kajal auf. Als letztes folgte der hellrote Lippenstift. Als sie sich fertig zu Kenneth umdrehte, glotzte dieser ihr unverschämt gierig auf den Mund. Seinem glasigen Blick war anzusehen, was für Vorstellungen sich in seinem Kopf breit machten.
Zielstrebig verließ April mit einem amüsierten Kichern das Badezimmer und schlüpfte in ihrem Zimmer in die viel zu hohen Pumps. Nun war sie mit ihm beinahe auf Augenhöhe, auch wenn er sie noch um wenige Zentimeter übertrumpfte.
Er kam langsam, wie ein Tiger auf Beutejagd, auf sie zu und legte ihr die großen Pranken auf die Hüften. Sein lächelnder Mund kam dem ihren immer näher und entrang ihr ein entzücktes Seufzen.
Nachdem sie sich von einander gelöst hatten und auch Kenneth seine Kleidung wieder anhatte, schnappte er sich seine Aktentasche, sie schälte sich in ihren dunklen Mantel und schulterte die Handtasche, und zusammen verließen sie die Wohnung. Gerade wollte sie sich verabschieden und sich auf den Weg zur U-Bahn machen, da hielt er sie am Arm fest und zog sie zurück.
„Wie wär`s, wenn ich dich mitnehme? Das Krankenhaus, in dem du arbeitest, liegt nicht weit von meinem Büro entfernt und du müsstest dich nicht unter die drängelnde Menge mischen, die die Bahn überfüllt.“
April dachte kurz nach und zuckte dann mit den Schultern. „Warum nicht?“ Mit einem triumphierenden Grinsen hielt er ihr die Beifahrertür auf und stieg nach ihr dann selber ins Auto ein.
Die Fahrt verlief fast durchgehend schweigend, doch das störte April nicht. Die Nacht war lang gewesen, der Schlaf kurz und die frühen Morgenstunden anstrengend. Jetzt den Kopf zurückzulegen und die Augen in der Stille zu schließen tat durchaus gut. Doch ihre Gedanken kamen nicht zur Ruhe. Immer wieder dachte sie an die vielen male, die sie jetzt schon mit Kenneth im Bett gelandet war. Was war das hier zwischen ihnen?
Eine Beziehung? – Nein. Niemals. April wollte und konnte keine Beziehung führen, nicht bei ihrem Job, nicht bei ihrem Leben.
Also was war er dann? Eine Affäre?
Auch wenn sie bei dem Gedanken schauderte, Kenneth nur für Sex zu missbrauchen, war diese doch die bessere Möglichkeit von beiden, und eine dritte fiel ihr nicht ein.
Als sie genau vor dem Krankenhauseingang hielten, stand Matt schon draußen. Freundlich winkte April ihm zu, dann drehte sie sich auf dem Sitz zu Kenneth um. Dieser musterte sie liebevoll von der Seite. Ein glückliches Lächeln lag in ihren Mundwinkeln.
„Sehen wir uns bald wieder?“ Dieses Mal fragte sie, nicht er. Kenneth grinste vorfreudig.
„Heute Abend? Wieder bei dir?“ April nickte eifrig. Er beugte sich vor, seine Augen strahlten. Ihre Lippen trafen sich auf halbem Wege und verschmolzen ineinander. Der Kuss hatte etwas Inniges und Vertrautes. – Komisch, sie kannten sich doch noch gar nicht so lange.
Sie beendeten den Kuss und er hauchte an ihre Lippen: „Ruf mich an, wenn deine Schicht zu Ende ist. Ich bin in zehn Minuten hier und hole dich ab.“ Mit einem Grinsen im Gesicht nickte sie und machte dann die Tür auf. Sie stieg aus und winkte ihm noch hinterher, als er davon raste. Dann ging sie aufs Krankenhaus zu, wo sie das Grauen erwarten sollte …
„Wer war das?!“ Matts Augen sprangen ihm förmlich aus dem Gesicht und seine Hauptader trat heftig an seinem Hals hervor. April versuchte, seine unkontrollierte Wut höflich zu ignorieren und setzte ein adrettes, jedoch verschlossenes Lächeln auf.
„Ein Freund.“ Mehr sagte sie nicht. Was Matt noch zorniger machte. Sein Brüllen schallte jetzt noch lauter durch den langen Krankenhausflur. Mehrere heimliche Blicke richteten sich auf sie, was April leicht erröten ließ.
„Ein Freund? So sah das grade aber nicht aus! Ihr habt euch geküsst!“, warf er ihr eifersüchtig an den Kopf, so als wäre es etwas Verbortenes gewesen, was sie getan hatte. Dann wurde sein Ausdruck plötzlich verzweifelt und seine Stimme um einiges zitternder; die Wut verschwand jedoch nicht. „Was willst du mit so einem Kerl? Er sah aus, wie aus einem Modelmagazin entsprungen.“
Jetzt wurde April wütend. „Ach, glaubst du, einen Hübschling wie ihn habe ich nicht verdient?“ Die Worte kamen zischend und viel schärfer, als sie sie beabsichtigt hatte, nur seine Wut unbegründete Wut machte sie zorniger denn je.
Sie marschierte schnellen Schrittes davon, gefolgt von einemetwas überrascht drein blickenden Matt. „April, so habe ich das nicht gemeint, das weißt du. Ich wollte nur sagen, das er auf mich den Eindruck, an nichts anderes, als sein Äußeres zu denken, und einen solchen selbstverliebten Macho hast du nicht verdient. Auf dich wartet Besseres.“
„Etwas Besseres? Ich will dir ja nicht zu nahe treten, Matt, aber du hast keine Ahnung. Er ist gut. Außerdem sind wir nicht mal mehr als eine Affäre, wenn überhaupt.“ – Da war es gewesen, das schreckliche Wort, das die seltsame Beziehung zu Kenneth beschrieb. – „Und was das Bessere angeht: Was meinst du damit, wenn ich fragen darf?“ Sein Gesicht erstarrte, er wurde langsamer, hatte nicht mit solch einer Wendung des Gesprächs gerechnet. Er fing an zu stottern, wusste nicht, was er auf ihren harten Blick hin sagen sollte. Sie kam ihm bei der Antwort zuvor.
„Ach, lass es einfach sein. Ich weiß ganz genau, dass du auf dich anspielen wolltest. Ich weiß genauso gut, wie jeder andere hier im Krankenhaus, dass du schon lange auf mich scharf bist. Tja, Matt, es wundert mich, dass du immer noch die Hoffnung pflegst, ich würde irgendwann mal mit dir in die Kiste steigen, denn ich habe, glaube ich, schon oft genug klar gemacht, dass ich nichts von dir will. Rein gar nichts.“
„Sag mal, was bildest du dir eigentlich ein? Du schreist mich vor dem ganzen Krankenhauspersonal an, hältst mir die Affäre mit Kenneth vor, als wäre ich deine Freundin. Aber das bin ich nicht! Bekomm es endlich in deinen Kopf rein! Ich bin und werde auch nie mit dir zusammen sein, Matt. Also behalt deine Eifersucht gefälligst für dich und schreib mir nicht vor, was ich zu tun und lassen habe!“
Nach dieser Tirade stampfte sie zornig in den Personalbereich und schlug die Tür laut schallend hinter sich zu. Stille kehrte ein, ein bedrücktes schweigen breitete sich aus. Mindestens drei Krankenschwestern starrten sie an, angeschlossen von zwei weiteren Ärzten. Ihre Mienen zeugten von Schock. Einer nach dem anderen, verschwanden sie eilig aus dem Raum und murmelten beim Vorbeigehen einige Wörter.
Ihre Meinung interessierte April nicht im Geringsten. Sie seufzte nur schwer, nachdem sie endlich alleine war und horchte heftig atmend auf. Langsam kehrte wieder Leben in den Laden und die Stimmen im Flur draußen wurden lauter. Aprils Atem ging schnell und unkontrolliert, während sie auf und ab tigerte und dabei einige Flüche vor sich hin brabbelte.
Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und entspannten sich dann wieder, nur um eine Sekunde später sich wiederholt zu verkrampfen. Sie kniff die Augen zu und redete sich gut zu, um sich zu beruhigen.
Als sie sich endlich wieder unter Kontrolle hatte, marschierte sie zu ihrem Spint, nahm mit zitternden Fingern ihre Arbeitsklamotten heraus, zog sie über und ließ sich dann am Schließfach lehnend zu Boden sinken. Ihre Knie zog sie heran und schlang die Arme drum. Einen Augenblick sah sie nur gerade aus, eine emotionslose Miene aufgesetzt.
Doch dann brachen die Gefühle über sie ein und sie schlug hart die Stirn gegen sie Knie. Beben erschütterten ihren zitternden Körper und Tränen flossen in Strömen. Sie schluchzte und heulte sich die Seele aus dem Leib – allein und verlassen.
Was hatte sie nur getan? Matt war einer ihrer besten Freunde und ein super Kollege; wieso nur hatte sie ihn so angeschrien? Es war schon oft vorgekommen, dass seine Eifersucht in seinen Augen aufblitzte, doch immer hatte sie ihre dementsprechende Meinung höfflich für sich behalten. Doch heute war sie alles andere als höfflich und verschlossen gewesen. Sie hatte all ihre Wut raus gelassen, und der arme Matt hatte alles abbekommen.
Starke Arme schlossen sich plötzlich um sie und rissen sie aus ihrer Starre. Erschrocken blickte sie auf und starrte in Dereks mitleidiges Gesicht. Schon bei seinem grenzenlosen Mitgefühl, kamen erneut die Tränen hoch. Doch dieses Mal hielt er sie fest und gab ihr das Gefühl, nicht völlig allein zu sein. Und so weinte sie an seiner Schulter.
„Zeig ihnen dein Lächeln, April, denn es ist das Schönste, was du besitzt.“ Mit diesen geflüsterten Worten, verschwand Derek im OP-Raum. Sie stand vor der Glasscheibe und starrte ins Leere. Dann erinnerte sie sich an seine Aufforderung und zwang sich zu einem Lächeln – Ihnen ihre Zerbrechlichkeit zu zeigen würde auch nicht helfen.
April hatte immer guten Kontakt zu dem restlichen Personal gehalten, doch jetzt, wo sie sich mit ihrer aller Chef angelegt hatte, und niemand seine Missgunst – außer vielleicht Derek – auf sich ziehen wollte, traten sie ihr alle mit völliger Gefühlslosigkeit entgegen.
Sprachlos studierte April ihren heutigen Plan auf der großen Tafel. Sie sah noch die Schmieren, die weggewischte Farbe hinterlassen hatte. Sie war nach dieser Säuberung nur noch für eine Operation eingeteilt, welche höchstwahrscheinlich ratz fatz von Statten gehen würde. Was so viel hieß, dass sie danach den Krankenschwestern mit ihren Patienten helfen musste, bis ihre Schicht zu Ende war.
Es langweilte sie allein schon die Vorstellung der vor ihr liegenden Arbeit, doch sie schob ihre aufkommende Wut beiseite und ging mit einem liebevollen Lächeln ins Zimmer der kleinen Sally. Diese saß aufrecht in ihrem Bett und spielte mit Mr Pinky. Als das Mädchen April erblickte, grinste sie glücklich.
„April! Da bist du ja endlich! Ich habe auf dich gewartet. Die Krankenschwestern konnten mir nicht genau sagen, wann du kommst. Und jetzt bist du da!“ April lachte, und dieses Lachen war echt und kam von Herzen.
„Tut mir Leid, dass ich dich habe warten lassen. Aber es gab viel zu tun.“ Verstehend nickte Sally und grinste dann noch breiter. „Meine Mami sagt, ich muss mich bei dir bedanken. Ich kann mein Bein schon fast wieder richtig bewegen und es tut gar nicht mehr so dolle weh! Danke!“ April lächelte und ging aufs Bett zu.
„Das habe ich doch gerne gemacht. Es freut mich, zu sehen, dass es dir so gut geht.“ Sally errötete und grinste von einem Ohr zum anderen. Es tat April gut, hier bei ihr zu sein, mit ihr zu reden, zu witzeln und alles andere loszulassen.
In diesem Krankenzimmer wurde sie wieder zum kleinen Mädchen, dass niemals daran gedacht hatte, später mal im Krankenhaus zu arbeiten, wo die bösen Doktoren ihr Unheil trieben, sondern schon geplant hatte, wie einmal ihr pinkes Schloss aussehen würde, in dem sie als Prinzessin regierte. Ja, sie vergaß die gesamte Welt um sich herum. Und es tat so gut!
Nachdem April auch dem letzten alten Opa die Kissen gerichtet hatte, atmete sie schwer auf und trottete mit hängenden Schultern zu ihrem Fach. Dort zog sie sich um und schaltete das Handy ein. Wie von selbst suchten ihre Finger in der Adressliste nach Kenneths Nummer. Sie drückte auf „Anrufen“ und hielt sich den Hörer ans Ohr. Während das Freisignal ertönte, schlüpfte sie in ihre Schuhe.
„Sarah Miles, Architekturbüro Jackson, was kann ich für sie tun?“ Die sympathische Frauenstimme irritierte April anfangs, was ihre Antwort hinaus zögerte.
„April Young. Ist Mr Jackson zu sprechen?“ Sarah unterdrückte ein Kichern. Das ließ April etwas stutzen.
„Natürlich! Ich habe die strikte Anweisung einen Anruf von ihnen augenblicklich durchzugeben. Einen Moment bitte, Ms Young.“ Der Hörer wurde weggelegt; das amüsierte Lachen drang dennoch zu April durch. Obwohl sie die belustigte Frau nicht vor sich sah, wurde sie unverzüglich rot. Kenneth wollte sie sofort zu sich durchgestellt bekommen. Was für ein indirektes Kompliment! Mist nur, dass April nun so gar nicht mit Komplimenten umgehen konnte.
Ein schrilles Piepen dröhnte in ihre Ohr und eine Sekunde später Kenneths Stimme. „April! Schön von dir zu hören. Ich habe schon die Stunden gezählt, in denen du nicht anriefst.“ Und da war`s schon wieder: Dieses bedrückende Schamgefühl, dass sie sofort erröten ließ. Innerlich wand sie sich, auf seine Sehnsucht einzugehen, weshalb sie seine liebevoll gemeinten Worte einfach überhörte und antwortete: „Hi, Kenneth! Ich wollte nur Bescheid geben, dass meine Schicht jetzt zu Ende ist.“
Ein enttäuschtes Seufzen am anderen Ende. „Ich mach mich auf den Weg. Bis in zehn Minuten!“ April wartete auf das Signal, dass das Beenden des Anrufes kündigte. Da es nicht kam, hoffte Kenneth anscheinend auf eine Erwiderung. Da sie jedoch keine parat hatte, legt sie einfach auf.
Der rote Knopf war gedrückt, da überkamen sie auch schon die Schuldgefühle. Es war überaus unhöflich von ihr, ihn einfach so wegzudrücken. Eine Minute lang rang sie noch mit sich selbst, dann fasste sie sich ein Herz und wählte die letzte Nummer erneut.
„Sarah Miles, Architekturbüro Jackson, was kann ich für sie tun?“ Ein Lächeln zuckte um Aprils Mundwinkel. Trotz der Vielzahl, die Sarah diesen Satz wahrscheinlich schon gesagt hatte, klang sie immer noch höflich und nett. Daher war es April etwas unangenehm, wiederholt darauf zu antworten.
„Hier ist noch einmal April Young. Es tut mir leid, wenn ich sie störe, aber dürfte ich noch einmal kurz mit Mr Jackson reden?“ Nun konnte Sarah ihr Lachen nicht mehr unterdrücken und dieses hallte laut durch den Hörer. Sie erwiderte nichts auf Aprils Bitte, sondern stellte sie einfach durch.
Als dieses Mal Kenneth Abnahm, klang seine Stimme schroff und etwas gereizt. Und anscheinend hatte Sarah Aprils Namen nicht mit durch gegeben, denn er grüßte mit seinem Standartspruch. „Kenneth Jackson. Mit wem spreche ich?“
„Ich bin`s nochmal. Es tut mir leid, dass ich gerade einfach so aufgelegt habe.“ Ein überraschtes Murmeln antwortete ihr. Sogleich klang er viel fröhlicher. Was sie anspornte, fortzufahren. „Ich wollte mich dafür bedanken, dass du mich abholst. Und das du dir so viel Mühe mit mir machst …“ Weiter kam sie nicht, denn ihre Stimme brach. Sie hätte aber auch eh nicht weiterreden können, da sie nicht wusste, was sie noch sagen sollte. Kenneth dafür anscheinend schon.
„Aber das ist doch selbstverständlich. Das mache ich gerne! Ich fahre dann jetzt los. In zehn Minuten bin ich da.“ Dieses Mal legte sie nicht sofort auf, sondern erwiderte: „Okay. Ich warte draußen auf dich. Bis gleich!“
„Bis gleich!“ Dann war die Verbindung unterbrochen.
Mit einem breiten Lächeln trat sie aus dem Personalraum und stolzierte erhobenen Hauptes zum Ausgang. Sie schaute nicht zurück, ließ diesen verrückten Tag mit dem gesamten Krankenhauspersonal und den Problemen hinter sich und trat hinaus in die kühle Abendluft.
Einige Blicke sahen sie schräg an, doch sie störten sie nicht mehr. Das würde sich alles schon wieder einrenken. Sie würde sich darüber jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Es gab Wichtigeres!
Als nach kurzer Zeit Kenneths Wagen vorfuhr und er ausstieg, um ihr die Tür aufzuhalten und ihr einen sanften Kuss auf die Lippen zu hauchen, spürte sie, wie alle in ihrem Umfeld sie anstarrten. Sie versuchte, sie zu ignorieren und stieg mit einem aufgesetzten Lächeln ein. Kenneth tat es ihr gleich und startete den Motor. Alle blickten ihr schockiert hinterher. Zwei Personen ganz besonders.
Matt und Derek standen beieinander am Seitenausgang und diskutierten heftig. Sie hielten jedoch inne, als Kenneth langsam an ihnen vorbei fuhr, und glotzen sie an. Matts Auen sprühten nur so vor eifersüchtigem Feuer. Auch in Dereks lag leise Trauer um ihren Verlust. Doch er war der Einzige auf dem gesamten Parkplatz, der anfing glücklich zu lächeln und ihr sogar hinterher winkte.
Diese freundschaftliche Geste ließ ihr Herz sich zusammenkrampfen und Tränen wollten ihr über die Wangen rollen. Mit letzter Kraft hielt sie sie zurück. Doch die Hand, dessen Finger sich an die kühle Fensterscheibe legten, konnte sie nicht verweigern. Und so blickte sie Derek dankbar in die Augen und fuhr mit Kenneth davon.
Sie fuhren weg, hinein in die aufkommende Nacht. Hoffentlich würde April mit der Entfernung auch die stechenden Gefühle loswerden, die sie heute umklammert hatten. Schließlich konnte man immer hoffen …
„Was ist mit dir los?“ Kenneth verschränkte ihre Finger miteinander und sah mitleidig auf sie hinab. April verspannte sich unter ihm und schloss schuldbewusst die Augen. Kleine Schweißperlen standen ihr auf der Stirn und eine rollte langsam hinab, nur um sich in ihrer Augenbraue zu verfangen.
Ein unwohles Gefühl breitete sich in ihr aus und sie krampfte die Finger immer wieder zu einer Faust und ließ dann wieder los. Währenddessen lagen ihre Arme um seinen Hals und rutschten langsam von seinen breiten Schultern hinab. Ein Seufzen kam über ihre vom Küssen trockenen Lippen und ein Zittern durchfuhr ihre Muskeln, sodass einen kurzen Augenblick lang ihr Kiefer bebte.
„Mein Chef, Matthew Chucks, und ich, naja, wie soll ich sagen, hatten eine Auseinandersetzung, bestehend auf der Grundlage einer Meinungsverschiedenheit im Bezug auf dich.“ Sachlicher und unvoreingenommener konnte sie es nicht formulieren. Jedoch machte ihre Wortwahl ihn nur misstrauisch.
„Definiere Meinungsverschiedenheit.“ Verzweifelt schlug April die Lider hoch und sah sich hilfesuchend im Zimmer um. Blöd nur, dass sie ausschließlich die scheußlich weiße Zimmerdecke im Blickfeld hatte. Und Kenneth verlor leider auch nicht das Interesse an seiner Frage, während sie die Antwort immer weiter hinauszögerte. Also atmete sie tief durch und schaute ihm unsicher in die Augen.
„Er kommt nicht damit klar. Also mit uns, meine ich.“ Kenneth zog bei diesen Worten die Brauen zusammen, was ihn gleich fünf Jahre älter und verbitterter aussehen ließ. Eine ganze Zeit lang sagte keiner von beiden was.
Schließlich brach April in Tränen aus und schluchzte unaufhörlich. Sofort rutschte Kenneth von ihr runter und zog sie in seine Arme. Tröstend legte er sein Kinn auf ihren Haaransatz und drückte schützend seine großen Hände in ihre seichte Kuhle im Rücken knapp oberhalb ihres Hinterns. Ihr Gesicht barg sie an seiner Kehle und ihre zarten Finger pressten sich an seine warme Brust.
Ihre Gedanken rasten hin und her. Bis sie schließlich nicht mehr nur in ihrem Kopf blieben, sondern nur so aus ihrem Mund sprudelten.
„Matt ist mein bester Freund und ein wirklich toller Chef. Aber seine Gefühle für mich standen schon seit Ewigkeiten zwischen uns. Und jetzt habe ich alles ruiniert, indem ich sie ihm an den Kopf geworfen habe! Er kann ja auch nichts dafür. Aber warum ich, warum er und warum so? Ich meine, kann er in mir nicht einfach nur eine gute Freundin sehen? Hm? Ist das zu viel verlangt?!“
„Sch. Sch“, war alles, was Kenneth darauf erwiderte. Er ließ sie weinen, hielt sie tröstend im Arm und hörte ihr mitfühlend zu. Bis sie schließlich schniefend zum Ende kam. Es folgt ein bedrücktes Schweigen.
„Jetzt denkst du dir wahrscheinlich ‚Was ist denn das für eine Jammertante‘ was?“ April schniefte erneut. Dann lehnte sie sich gegen seinen Arm zurück und sah zu ihm durch geschwollene Augen hindurch auf. „Tut mir leid. Ich hätte dich nicht damit vollreden sollen.“ Von Schuldgefühlen geplagt, knabberte sie unsicher auf ihrer Unterlippe herum. Doch dann trat ein liebevolles Lächeln auf Kenneth Lippen, was Aprils Herz sofort erwärmte.
„Du brauchst dich nicht bei mir zu entschuldigen. Ich meine, du brauchtest jemanden zum Reden und ich habe dir zugehört. Es ist besser, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen und mal einen Moment schwach zu sein, als Stärke zu zeigen und dabei alles in sich hinein zu fressen.“ Wieder traten April Tränen in die Augen, doch dieses Mal vor Freude. Erneut lehnte sie sich gegen seine Brust und murmelte mehrere Danksagungen, während ein dankbares Lächeln sich um ihre Mundwinkel schmeichelte.
Die Lippen an seiner Haut, flüsterte sie: „Ich weiß, wir kennen uns noch nicht lange und hatten einen … ähm, etwas anderen Start, als so manch andere Leute.“ Sie kniff verlegen die Augen zusammen und war froh darüber, dass er ihr nicht ins Gesicht sehen konnte.
„Aber ich mag dich. Das klingt jetzt vielleicht völlig wahnsinnig und verrückt, und ich kann selbst nicht glauben, dass ich das sage, aber ich mag dich wirklich. Ich rede nicht von Liebe, oder so. Aber du hörst mir zu und … bereitest mir Freuden.“ Gott! Konnte sie denn keine besseren Umschreibungen hierfür finden? Das war ihr ja so peinlich! Schnell fuhr sie fort, um ihn von ihrer Pein abzulenken.
„Deshalb würde ich dich sehr gerne als Freund behalten … Nun ja, vielleicht nicht als normalen Freund, denn das hier würde ich sehr gerne behalten. Ähm …“ Ihre Stimme verstummte. Sie verzog angespannt das Gesicht und hoffte auf keine allzu gemeine Antwort. Nun ja, ihre Frage war aber auch etwas diskret …
Kenneths Arme ließen sie los und April hatte schon mit dem Gedanken abgeschlossen, er würde jetzt ohne ein weiteres Wort verschwinden. Stattdessen jedoch nahm er die Arme nur weg, um sich dann aufzusetzen und ihr mitten ins Gesicht zu sehen. Seine Miene war ausdruckslos, weshalb April das flaue Gefühl im Magen nicht loswurde.
„Du willst also mit mir befreundet sein, jedoch nicht auf den Sex verzichten? Du willst weiterhin mit mir schlafen, aber keine Beziehung eingehen?“ Seine Stimme klang anklagend, und April hob schuldbewusst die Schultern und wollte am liebsten im Erdboden versinken. Warum hatte sie das nur gesagt?
Als sie nichts darauf erwiderte, hackte er nach: „Du willst also eine Affäre mit mir?“
„Also Affäre klingt so hart …“ Er hob skeptisch eine Braue. Daraufhin drehte April sich auf den Bauch und vergrub das Gesicht in ihrem Kissen. „Ich hätte wissen müssen, dass du das nicht willst!“, kam es gedämpft aus dem Bezug.
Plötzlich legten sich warme Hände auf ihre Hüften und drehten sie ganz sachte auf den Rücken. Gequält öffnete sie die Augen und sah ihn vorsichtig an. Ein amüsiertes Lächeln, durchsetzt mit Freude, strahlte ihr entgegen.
„Ich mag dich, wirklich. Und ich will nicht gehen, ohne zu wissen, ob ich dich wiedersehe. Genauso wenig würde es mir reichen, nur ein Freund von dir zu sein. Also ja, ich will mit dir befreundet sein … nur halt eben auch mit dir schlafen.“ Ein Grinsen breitete sich auf Aprils Gesicht aus. Mit sehnsüchtigen Armen zog sie ihn zu sich hinunter und küsste ihn leidenschaftlich.
Damit sollte ihr Packt beschlossen sein.
Mit einem zufriedenen Seufzen rollte Kenneth sich von ihr herunter und schloss erschöpft die Augen. Aprils Atem ging immer noch etwas schneller als sonst, und so sank sie befriedigt ins Kissen zurück. Mit amüsiertem Blick beobachtete sie ihn von der Seite. Dieses Mal hatte er sich richtig ins Zeug gelegt. Die Beweise sprachen für sich.
Ein zarter Schweißfilm perlte auf seiner Stirn, seine beschleunigte Atmung kam stoßweise aus seinem Mund und ermüdet erstreckte sich sein großer Körper auf ihrem Laken. Seine braunen Haare, die zuvor noch sorgfältig zurück gekämmt waren, kringelten sich nun zu kleinen, wirren Löckchen, welche im Nacken an seiner schwitzenden Haut klebten. Seine Brust glänzte im trüben Licht, und bei jedem Heben und Senken spannten sich seine stählernen Muskeln unter seiner goldbraunen Haut an. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sein Oberkörper vollkommen haarlos war, was normalerweise seltener bei Männern der Fall war, was ihr aber auch gefiel.
April fing an zu frösteln, während sie Kenneth weiterhin musterte. Also hob sie vorsichtig die Decke an und schlüpfte hinunter. Er rutschte automatisch vom dicken Stoff runter und gesellte sich zu ihr ins Warme. Ganz automatisch kuschelte sie sich in seinen Arm und legte die kühle Wange an seine Schulter.
Sie versuchte gefühlte Stunden einzuschlafen. Doch sie starrte unentwegt die Decke an. Als sie sich sicher war, dass Kenneth tief und fest schlief, rutschte sie ganz langsam aus seiner Umarmung, schlug vorsichtig die Decke beiseite und stand auf. Sofort hüllte sich eisige Kälte um ihren nackte Körper und sie eilte hinüber zu ihrem Kleiderschrank, um sich ihren flauschigen Morgenmantel zu holen. Nachdem sie ihn angezogen und den Stoffgürtel fest zugebunden hatte, verließ sie mucks Mäuschen still das Schlafzimmer und tapste ins Wohnzimmer. Dort schaute sie an der Wand auf die Uhr. Es war erst fünf Uhr morgens.
Da sie wusste, dass um diese Uhrzeit nichts Gescheites im Fernsehen lief, schlich sie zu einem der anderen Zimmer uns spähte zaghaft hinein. Der Raum lag da in völliger Dunkelheit. Nur an dem leisen Schnarchen war April sich sicher, dass ihre Freundin zu Hause war und seelenruhig schlief. Schade eigentlich, sie hätte gerne mit Jacky über alles geredet.
Mit einem enttäuschten Seufzen schloss sie wieder die Tür und schlürfte zur Couch. Gelangweilt ließ sie sich darauf plumpsen und dachte ein wenig nach.
Was sollte sie jetzt wegen der Sache mit Matt machen, schließlich konnte sie nicht einfach so weiter arbeiten, als wäre nie etwas gewesen. Matt war zwar ihr Freund, aber auch ihr Chef, und wenn er wollte konnte er ihr die Hölle heiß machen. Sie zermarterte sich endlos lange den Kopf darüber, kam aber als einzige Option darauf, sich bei ihm für alles zu entschuldigen und den Kürzeren zu ziehen. Blöd nur, dass Matt ganz schön stur sein konnte, und deshalb ihre Entschuldigung nicht annehmen würde. Und das war nur ihr kleinstes Problem. Sie selbst war viel schwerwiegender, da sie bisher noch nie den klein bei gegeben hatte und eigentlich jetzt auch nicht damit anfangen wollte. Dafür war sie einfach zu ehrgeizig und ein riesiger Sturkopf mit Dickschädel.
Dazu kam noch die Sache mit Kenneth. Theoretisch hatten sie das Thema abgehakt, sie waren zu dem Schluss gekommen, eine Affäre als Freunde fortzuführen, ohne dabei an etwas Festes zu denken. Und dennoch machte es ihr schwer zu schaffen. Es lastete förmlich auf ihr, ihn nur als Freund anzusehen. Jedoch war das die bessere Alternative. Sie hatte einen sehr zeitaufwendigen Job und diesen vernachlässigte sie jetzt schon mehr als sonst je. Würde sie eine Beziehung eingehen, müsste sie noch mehr aufgeben und dafür war ihre Arbeit ihr einfach zu wichtig. Sie war einfach zu gut, als dass sie alles für einen Mann riskieren würde, besonders jetzt, wo ihr Chef nicht gut auf sie zu sprechen war.
Verzweifelt warf sie den Kopf in den Nacken und lehnte sich zurück. Mit fest zusammen gekniffenen Augen versuchte sie endlich einzuschlafen, für wenigstens ein paar Stunden alles hinter sich zu lassen. Doch natürlich machte ihr Gehirn ihr einen Strich durch die Rechnung und ließ sich einfach nicht ausschalten.
Entnervt seufzte sie und erhob sich schwerfällig auf die Beine. Mit müde erhobener Hand, öffnete April die Tür zu ihrem Schlafzimmer und schlüpfte hinein. Sie hatte eigentlich vorgehabt, sich wieder ins Bett zu legen und so lange zu warten, bis sie entweder einschlief oder Kenneth aufwachte und ihr die Zeit vertreiben konnte. Stattdessen wanderte sie jedoch wie ferngesteuert zum Kleiderschrank, legte den Morgenmantel hinein und griff nach x-beliebiger Unterwäsche. Danach suchte sie eine ausgewaschene alte Jeans aus, die sie schon seit gefühlten Jahrzehnten nicht mehr angezogen hatte – warum, konnte sie gar nicht verstehen, der Stoff saß so weich und gemütlich an. Dazu zog sie sich ein dunkles Tank-Top über den Kopf und graue Schnürschuhe.
So leise, wie sie gekommen war, verließ sie auch wieder das Zimmer. Zielstrebig ging sie zur Wohnungstür, schlüpfte in ihre weiche Übergangsjacke und schnappte sich Handy und Schlüssel und verließ die Wohnung.
Es war Endsommer und dafür die Luft ziemlich kühl. Die ersten Blätterspitzen verloren ihr strahlendes Grün in einem trockenen Braunton. Dennoch leuchtete ihre Mitte voller Leben, so wie ihre langen Äste, an denen sie hingen, und die gewaltigen Stämme, welche alles hielten.
Das Leben war wie einer dieser Bäume. Da gab es die finanziellen Grundlagen, persönliche Vorzüge und politische Rechte, die uns Menschen einen gewissen Lebensstandart ermöglichten. Sie waren da, machten alles etwas leichter. Sie waren überaus wichtig für uns. So wie der dicke Stamm, der den Baum mich lebensnotwendigen Nährstoffen versorgte.
Und dann waren da die Menschen, die sich auf die Grundlagen stützten, sie ebenfalls benötigten, und sich gleichzeitig von ihnen entfernten. Sie waren für uns da, kümmerten sich um uns. Ohne sie, könnten wir nicht Leben. Ohne sie würden wir im Leeren schweben. Sie hielten uns, so wie die abzweigenden Äste eines Baumes die einzelnen Blätter hielten. Diese Zweige benötigten die Nährstoffe, die der Stamm – die Grundlagen – brachte. Und dabei ließen sie die Blätter sprießen und hielten sie über dem Abgrund, welcher sie verschlingen würde, wären sie nicht mehr da.
Und dann waren da noch wir, die einzelnen Blätter. Wir ließen uns von unseren Freunden und Familien – den haltenden Ästen – helfen und profitierten von den nahrhaften Grundlagen. Und wir strahlten! Wir blühten vom kleinen Sprössling auf und wurden groß. Doch mit der Zeit holte das Alter uns ein und unser leuchtendes Grün, dass unsere Energie darstellt hatte, verlosch ganz langsam und zeigte bräunliche Risse und Falten. Und irgendwann konnten nicht mal unsere Nächsten uns halten, und dann fielen wir in die Tiefe und lösten uns vom Baum, von unseren Freunden und unseren Grundlagen.
April schüttelte den Kopf. Solche trostlosen Gedanken wollte sie nicht hegen. Energisch stieß sie die Fäuste in die Jackentaschen und ging den Bürgersteig entlang. Sie ging so lange, bis sie gegen jemanden stieß. Überrascht schrie sie auf und stolperte einige Schritte rückwärts. Erschrocken blickte sie auf und blickte in das Gesicht eines alten Mannes.
„Entschuldigung“, stammelte sie. Er starrte sie unter buschigen Augenbrauen an. Dann verzog sich sein bärtiger Mund zu einem Lächeln und er schüttelte leise lachend den Kopf und ging einfach an ihr vorbei weiter. Perplex sah April ihm nach, wie er sich auf seinen Gehstock stützte bei jedem schwerfälligen Schritt und rau in sich hineinlachte.
Nach einiger Zeit musste auch sie lächeln, als sie daran dachte, wie amüsiert seine Augen gefunkelt hatten. Anscheinend war es egal, wie alt man war, es kam nur darauf an, wie viel Spaß man im Leben noch hatte. In dem Blick des alten Mannes hatte sie das Grinsen eines spitzbübischen Jungen gesehen, der das Leben in vollen Zügen auskostete und genoss.
Auf einmal bahnte sich ein Kribbeln in ihrem Bauch zusammen und sie machte sich auf den Rückweg. Langsam stieg eine unerklärbare Energie in ihr auf und sie rannte dem Mann schon beinahe hinterher. Als sie ihn endlich erreichte, tippte sie ihm aufgeregt auf die Schulter. Verwirrt drehte er sich um und schaute etwas überrascht drein, als er sie von vorhin erkannte.
„Ja, junge Dame?“ April wusste nicht genau, was sie ihm eigentlich sagen sollte, also grinste sie einfach ungehindert, was ihm ein belustigtes Lächeln abrang.
„Wollten sie was von mir?“ Da April erneut nichts sagte, machte er einen kurzen Schritt auf sie zu und sah ihr genauer in die Augen. Seine Brauen zogen sich etwas zusammen. „Sie scheinen sehr erfreut. Vor nur wenigen Minuten sahen sie noch schrecklich zerstreut aus. Darf ich fragen, was sie umstimmte, junge Dame?“
„Erkenntnis, werter Herr. Und die nur durch sie.“ Er wirkte überrascht.
„Durch mich?“ April nickte eifrig. Er hob eine faltige Hand und streichelte seinen buschigen Bart. „Nun, junge Dame, das müssen sie mir genauer erklären. Wie konnte ich, ein alter, schrumpeliger Mann, sie zur Erkenntnis führen?“
Energisch schüttelte sie den Kopf. „Indem sie kein alter, schrumpeliger Mann sind. Wissen sie, zurzeit läuft in meinem Leben nicht alles glatt. Ich verzweifelte stark an meinen Problemen. Ich verglich das Leben, so komisch das auch klingen mag, mit einem Baum, seinen Ästen und Blättern. Damit, dass die Zeit uns das Leben aushaucht. Doch dann traf ich auf sie. Nun gut, auf den ersten Blick schienen sie mir meine Hypothese zu bestätigen“, sie zuckte entschuldigend mit den Schultern, „doch dann fingen sie amüsiert an zu Grinsen und ich erkannte einen lebensfreudigen jungen Mann in ihren Augen. Sie strahlten förmlich vor Freude. Und da erkannte ich, dass wir zwar von der Zeit begleitet werden, sie uns jedoch nicht bestimmt. Sie verändert uns äußerlich, aber unser Herz übersteht das Altern und bleibt in der Frische unserer Lebensjahre. Es ist beinahe unveränderlich. Nur wir, wir allein, können es aufblühen oder verderben lassen. Und deshalb muss man das Leben genießen und es sich nicht durch Veränderungen und Jahre zerstören lassen.“ Sie atmete tief durch.
„Und das heißt für mich, dass ich meine Probleme nicht aufschieben darf, nur weil ich sie nicht wahrhaben will oder weil ich zu stur bin, auch mal meine Schwächen einzugestehen. Ich muss sie im hier und jetzt beseitigen, damit ich mich neuen stellen kann, denn die Zeit bleibt nicht stehen, sie lässt uns altern, und wenn ich all meine Sorgen aufschiebe, dann werde ich unter ihnen irgendwann ersticken und mein Herz leiden.“
April ließ ihm einen Moment, damit er ihre Worte verstehen konnte. Dann lächelte er und brummte: „Das ist sehr weise, junge Dame. Es ist selten, dass man sowas von einem so jungen Geschöpf hört. Und ich freue mich, ihnen behilflich gewesen zu sein. Ich werde mir ihre Worte merken und in schlechten Zeiten an sie denken.“
April errötete leicht, dann sagte sie zögerlich: „Danke sehr.“ Sie lächelten sich noch einmal zu, nickten und dann ging jeder seinen Weg.
Der kühle Wind streifte Aprils Wangen, welche ganz heiß waren. Sie blickte der aufgehenden Sonne entgegen, sah vor sich einen tief roten Himmel. Die Zeit war gekommen, sich den Problemen zu stellen. Ohne weiter drüber nach zu denken, blieb sie stehen, griff in die Hosentasche, zog das Handy hervor und tippte die Ziffern ein.
„Wer, in Gottes Namen, hat den Mut, mich am frühen Morgen, nach einer achtundvierzig stündigen Schicht im Krankenhaus, anzurufen?!“ Seine Stimme klang hart und wütend, weshalb April all ihrem Mut zusammen nehmen musste, um zu antworten.
„Ich bin`s, April. Tut mir leid, dich um deinen wohl verdienten Schlaf zu bringen, aber ich denke, wir müssen reden. Hast du Zeit?“ Überraschte Stille am anderen Ende. Dann ein leiser Fluch.
„In zehn Minuten im Michigan Café, okay?“ Erleichtert atmete sie auf. „In zehn Minuten“, bestätigte sie. Er erwiderte nichts, sondern legte einfach auf.
April streifte gerade die warme Jacke von ihren Schultern, als sie ihn erblickte. Sein dunkelblonder Schopf schlüpfte gerade durch die Tür des Cafés, seine grünblauen Augen suchten sie. Es dauerte einen Moment, bis er sie hinten in der halbversteckten Sitzecke entdeckt hatte. In dem Augenblick, als sich ihre Blicke trafen, huschte ein erfreutes Lächeln über seine Lippen, danach verzog er wieder missmutig das Gesicht. Mit gesengtem Blick kam er auf sie zu.
„April.“ Seine Stimme war ausdruckslos, seine Körperhaltung abwehrend. Sofort überfluteten sie die Schuldgefühle erneut.
Mit einem aufgesetzten Lächeln, sagte sie: „Danke, dass du gekommen bist, Matt. Wir müssen reden.“ Er setzte sich ihr gegenüber und ein freudloses Lachen kam über seine Lippen.
„Das klingt ja fast, als würdest du mit mir Schluss machen.“ Dann verzog er säuerlich das Gesicht. „Aber das geht ja nicht, da ich ja so abstoßend bin, dass du dir niemals eine Beziehung mit mir vorstellen kannst.“ Schuldig hob sie die Schultern und wäre am liebsten im Polster der Sitzcouch verschwunden.
„Das habe ich nie gesagt.“
„Aber gedacht. Deine Worte haben das mehr als deutlich gemacht.“ Verzweifelt wollte sie etwas darauf erwidern, als eine müde drein schauende Kellnerin kam und nach Essen- oder Trinkwünschen fragte.
„Ich brauche nichts, das hier wird eh nicht lange dauern“, fauchte Matt. Etwas netter meinte April: „Zwei Cappuccino, Dankeschön.“ Die Frau nickte und verschwand dann. Das Schweigen zwischen April und Matt dehnte sich aus und wurde unerträglich. Während sie nach passenden Worten suchte, schaute sie sich in dem kleinen Café um. Es war erst halb sechs, morgens, und dementsprechend war der Laden leer. Nur ein alter Mann saß an der Theke auf einem Hocker, las seine Zeitung und rauchte Zigarre. Ab und zu unterhielt er sich mit der gelangweilten Frau hinterm Tresen, welche gemächlich Kaffee schlürfte. Und da kam auch schon die andere junge Kellnerin mit ihren Getränken.
„Weißt du, als ich vor vier Jahren im Krankenhaus anfing, kannte ich hier niemanden. Ich war das junge Mädchen aus Ohio, ein Mauerblümchen, das nicht in den Trubel der Großstadt passte. Und dann warst da du, der junge Arzt, gerade fertig ausgebildet, mit dem umwerfenden Lächeln und den leuchtenden Augen. Du sahst mich und gingst direkt auf mich zu. Damals wäre ich am liebsten geflüchtet!“ Bei der Erinnerung erschien ein Lächeln auf ihren Lippen. Zögernd hob sie denn Blick. Matt sah sie nachdenklich an, wartete anscheinend darauf, dass sie fortfuhr.
„Mein erster Gedanke war: ‚Oh mein Gott, der kommt wirklich auf mich zu! Was soll ich jetzt bloß machen? ‘ Ich hatte so große Angst, irgendetwas falsch zu machen, dass du mich irgendetwas fragst, auf das ich keine Antwort wusste. Und dann war alles, was du zu mir sagtest ‚Hi‘“ Er schnaubte belustigt, zwang sich aber jedoch sofort wieder, wie versteinert auszusehen. Dennoch lobte April sich für diesen kleinen Sieg.
„Ich war so aufgeregt, dass ich überhaupt nicht mehr antworten konnte, weißt du noch? Und dann hast du mich gefragt, in welcher der zwei Gruppen ich zur Ausbildung sei. Wie enttäuscht sahst du aus, als ich dir sagte, meine Hauptgebiet läge in der Chirurgie. Und obwohl ich nicht zu deinen Auszubildenden gehörte, sorgtest du dich genauso um mich, wie um sie. Immer, wenn ich nicht weiter wusste, warst du wie durch ein Wunder bei mir, halfst mir und gabst mir neue Kraft. Dafür habe ich dich angehimmelt. Du warst sowas wie ein Engel für mich.“ Als April jetzt ihn sein Gesicht sah, zog sich ein leichter Rotschimmer über seine Wangen, seine Augen glänzten und sein Blick lag leicht auf ihr. Diesmal sprach er weiter.
„Du warst mir sofort aufgefallen. Auch wenn dich niemand gesehen hatte, ich tat es. Ich sah ein junges Mädchen, verlassen in der Menge, die keine Ahnung hatte, was sie hier überhaupt wollte. Ich entwickelte so etwas wie ein Beschützerinstinkt. Hörte ich nur deinen Namen, war ich schon alarmiert und wollte bei dir sein, egal, um was es ging. Und mit der Zeit verändertest du dich. Die zwei blonden Zöpfe, die du immer zu beiden Seiten getragen hattest, verschwanden mit der Zeit und wichen einer goldenen Lockenpracht. Die ängstlichen grünen Augen wurden zu denen einer Kämpferin, die ihr Ziel, wie eine Katze ihre Beute, nicht mehr aus den Augen ließ. Und aus der jungen Studentin wurde eine hübsche Ärztin. Als du dann deine Prüfung bestandest und offiziell nicht mehr unter der Hand eines führenden Chirurgen standest, wurde mir mit einem Schlag klar, dass ich nichts mehr für dich tun konnte.“
„Doch so war es nicht!“, unterbrach sie ihn. „Es geschah das genaue Gegenteil. Denn jetzt brauchte ich dich noch mehr. Ich war eine gerade neu gebackene Chirurgin, eine, die sich voll und ganz aufs Studium und die Ausbildung konzentriert hatte, wodurch ich nur wenige Freunde gewonnen hatte. Doch du bandest mich in die Gesellschaft ein. Du kanntest praktisch jeden Mitarbeiter und jeder kannte dich. Deine Freundin zu sein bedeutete mir so viel. Ich wollte nie, dass etwas zwischen uns kommt.“
Er atmete zittrig auf. „Ich auch nicht. Doch natürlich musste mir ein Strich durch die Rechnung gemacht werden. Denn als ich bemerkte, dass nicht mehr ich auf dich zu gehen musste, sondern dass du selber zu mir kamst, wich der Beschützerinstinkt einem anderen Gefühl. Ich sah dich nicht mehr als das hilfsbedürftige Mädchen, sondern als die mir gleichgestellte Chirurgin, die vor nichts scheute. Und das war meine Schwachstelle. Du warst meine Schwachstelle. Und bist es immer noch.“
Er senkte den Blick und auch April wusste darauf nichts zu erwidern. Jetzt war es soweit. Der entscheidende Moment, vor dem sie sich so gefürchtet hatte, war gekommen.
„Matt …“
„Ich weiß, dass du nie meine Gefühle erwidert hast. Das weiß ich schon lange. Aber denkst du, mein Herz interessiert das? Ich habe alles versucht. Wirklich alles. Ich bin mit anderen Frauen ausgegangen, habe sie mit nach Hause genommen, habe versucht, nicht mehr an dich zu denken. Doch das funktioniert alles nicht. Ich kriege dich einfach nicht mehr aus meinem Kopf. Es geht nicht.“
Wieder schwiegen sie. Dann stand April auf. Erschrocken fuhr sein Kopf hoch und er wollte schon etwas sagen, um sie aufzuhalten zu Gehen, da trat sie an seine Seite und setzte sich neben ihn. Er rutschte ein Stück. Eindringlich sah sie ihm in die Augen.
„Matt, ich sehe in dir einen Bruder. Du bist kein normaler Freund, dafür bist du mir zu wichtig. Aber ich empfinde diese Leidenschaft nicht, die mich dich lieben ließe. Ich würde alles für dich tun, ich will dich auch niemals verlieren. Aber bei all dem sehe ich nur so etwas wie einen Bruder in dir. Es tut mir leid.“ Sanft legte er seine Fingerspitzen an ihre Wangen und hielt ihr Gesicht in beiden Händen.
„April, du trägst keine Schuld. Keiner von uns beiden tut das.“ Bei seiner liebevollen Stimme kamen ihr die Tränen.
„Doch, natürlich tu ich das! Glaubst du etwa, ich hätte nie darüber nachgedacht, wie viel einfacher alles wäre, würde ich so empfinden wie du? Denkst du wirklich, ich hätte nie mit dem Gedanken gespielt, dich um ein Date zu bitten? Ich habe versucht, mir Gefühle für dich einzureden. Doch ich bin jedes Mal gescheitert. Ich weiß, wie es mein Leben erleichtern würde, liebte ich dich auch, doch es ist nicht so, und daran zerbreche ich. Jedes Mal wenn du mich ansiehst, weiß ich, dass ich daran schuld bin, dass es so schwierig mit uns beiden ist. Und es tut mir so schrecklich leid!“
Er schüttelte sacht den Kopf und streichelte meine Wangen. „Wirklich, April, du bist daran nicht schuld. Es sind unsere Gefühle, und die sind unveränderlich, egal, was wir deswegen versuchen. So wie ich nicht aufhören kann, dich zu lieben, kannst du nicht anfangen, mich zu lieben. Aber das ist okay. Zumindest für mich. Ich werde damit klar kommen. Ich muss damit klar kommen. Denn irgendwann wird eine Frau in mein Leben treten und mir zeigen, warum du mich nicht wolltest. Und du wirst einen Mann treffen, der dir zeigt, wieso du mich nicht lieben konntest. Vielleicht ist es ja dieses Model. Und so schrecklich ich es auch finde, dich mit anderen Männern zu sehen; du bist meine beste Freundin und in Zukunft werde ich versuchen, meine Eifersucht unter Kontrolle zu bringen.“
April schniefte und sah ihn zweifelnd an. „Wirklich?“ Er biss sich kurz auf die Lippe, schloss die Augen um nachzudenken und nickte dann ganz langsam. Als er die Augen wieder öffnete, zog er eine Braue hoch und meinte mit scherzhafter Stimme: „Aber bitte fordere mich nicht heraus, okay? Ich bin auch nur ein Mensch. Ich kann nicht immer alles unter Kontrolle haben.“ Sie lachte heiser auf und nickte.
Voller Ernst meinte sie: „Ich hoffe, du findest bald diese besondere Frau. Du hast sie verdient. Du bist einfach wunderbar.“ Er lächelte gequält. Als er den Blick abwandte, lehnte sie sich gegen ihn und ließ sich von seinen Armen umschließen. Gleichzeitig schlang auch sie die Arme um seine Hüften. Er hielt sie fest, sie hielt ihn. Sie waren wie die Äste des jeweils anderen, die einen vor dem Abgrund bewahren.
Sein Kinn stützte er auf ihren Kopf, welches bei jedem seiner Worte dagegen drückte. „Das hoffe ich auch, April. Das hoffe ich auch.“
So saßen sie da, umarmten sich Trost spendend und fühlten die Sorgen des jeweils anderen mit. Sie verstanden, was es bedeutete, Freunde zu sein, denn es war das allererste Mal, dass sie so stark mit einander verbunden waren. April könnte nicht glücklicher sein.
Als April die Tür zur Wohnung aufschloss, hoffte sie, dass völlige Stille sie erwarten würde. Doch natürlich wurden ihre Bitten nicht erhört und Augen aus tiefster Schokolade starrten mir wortlos entgegen. Jacky hob fragend eine fein gezupfte Wimper und nahm in aller Seelenruhe einen Schluck von dem dunklen Getränk in der Tasse, welche sie mit beiden Händen umschloss.
„Ich kann das erklären“ war das allererste, was April sagte. Sie schloss die Tür hinter sich, zog langsam die Jacke aus, um sie dann an den Hacken zu hängen und legte dann den Schlüssel in eine Schale. Damit hatte sie wenigstens etwas Zeit gewonnen, um über ihre Erklärung nachzudenken.
Als Jacky immer noch wartete, atmete April tief ein und straffte die Schultern. „Nun ja, gestern ist viel passiert …“ Mehr kam nicht über ihre Lippen.
Jacky nickte knapp und stellte die Tasse weg. „Das erklärt zwar nicht, wieso ein nackter Mann in deinem Bett liegt, aber gut. Fahre fort.“ April wand sich innerlich. Was sollte sie ihrer Freundin sagen, was nicht lächerlich klang?
Aber egal wie sie es drehte und wendete; es klang immer noch naiv und blöd. Wie auch nicht? Sie hatte ihren Chef angeschrien, war mit einem ihr fast fremden Mann wiederholt ins Bett gestiegen, hatte mit diesem eine Affäre begonnen und in aller Frühe, wo normalerweise noch jeder andere Mensch schlief, sich mit Matt getroffen, um alles zu bereden und kam jetzt total müde und erschöpft wieder nach Hause. Und das alles in nur weniger als vierundzwanzig Stunden.
Also erzählte April einfach alles. Sie fing an ab dem Zeitpunkt, wo sich ihre Lippen mit denen Kenneths trafen und Matt dem Schauspiel zuguckte. Es ging weiter mit dem schrecklichen Streit, dem folgenden Gespräch mit Derek und dem abendlichen Telefonat mit Kenneth. Sie berichtete davon, wie dieser sie vor dem gesamten Krankenhauspersonal abholte, sie zusammen zu ihrer Wohnung fuhren und dort sofort in ihrem Schlafzimmer verschwanden. Die Details der nächsten Stunden behielt sie für sich und fuhr dort fort, wo sie aus dem Zimmer ging und nach draußen an die frische Luft. Sie erzählte auch von dem Treffen mit dem älteren Mann und der folge daraus, Matt anzurufen, um sich mit ihm zu verabreden. Als letztes endete sie der Versöhnung.
„Tja, und dann kam ich rein und habe dir alles erzählt.“ Jacky saß schweigend vor ihr und blickte ihr in die Augen. Sie rührte sich kein Stück und April wollte grade nachfragen, ob es ihre gut ging, als Jacky heraus platzte: „Du verarscht mich!“
Mit einem leichten amüsierten Zucken in den Mundwinkeln, schüttelte April den Kopf. „Kein Stück. Das ist alles wirklich passiert.“ Das folgende Schweigen lag schwer in der Luft. Keine von beiden gab einen Mucks von sich. Dann rutschte Jacky auf dem Sofa zur Seite und klopfte mit der Hand neben sich aufs Polster.
„Komm her, Süße. How I Met Your Mother fängt gleich an.“ Mit einem erleichterten Lächeln setzte April sich zu ihr und machte es sich bequem. Es tat gut mit jemanden über alles geredet zu haben und jetzt einfach nur noch entspannen zu dürfen. So wie sie Jacky kannte, würde diese zu einem späteren Zeitpunkt ihr noch einen Vortrag halten, was sie alles falsch gemacht hat, und Ratschläge für die Zukunft geben. Aber in diesem Augenblick ließ sie es sein, weil sie wusste, dass April erst einmal selber alles verdauen musste. Sie kannte sie einfach zu gut.
Und das machte Jacky zur besten Freundin der Welt, dachte April dankbar.
Als April sich in ihr Zimmer schlich, hatte sie ein verspieltes Lächeln im Gesicht und ein Strahlen in den Augen, welches ihre ganze Vorfreude spiegelte. Sie setzte sich so leise wie möglich auf die Matratze und beugte sich hinüber zum schlafenden Kenneth.
Er lag auf der Seite, mit dem Rücken zu ihr und die Decke war ihm bis zur Hüfte hinab gerutscht, sodass sie den Blick frei auf seinen faszinierenden Oberkörper machte. Seine augen waren geschlossen, seine Züge entspannt und sein Mund einen Spalt weit geöffnet, damit er ruhig atmen konnte.
Vorfreudig streckte sie ihre Arme aus und fuhr mit kalten Fingern über seinen Rücken. Ein Schaudern ging durch seine Muskeln im Rücken und Schulterblatt und als Antwort bekam sie ein leises Schmatzgeräusch. April prustete los, hielt sich aber schnell die Hand vor den Mund. Ach, wie süß das war! Mit einem fröhlichen Grinsen legte sie die freie Hand in seinen Nacken. Er atmete scharf ein, geschockt von der Kälte. Sie zuckte kurz zurück, in der Angst, ihn damit geweckt und so den Spaß verloren zu haben.
Doch Kenneth drehte sich nur auf den Rücken und legte den linken Unterarm über seine geschlossenen Augen. Seine Brust hob und senkte sich langsam. April legte sich die Hände an die Wangen. So kalt waren sie jetzt auch nicht mehr. Kurz überlegte sie, was sie noch machen könnte, da kam ihr eine Idee.
Zart legte sie den Zeigefinger an sein Kinn. „Bin gleich wieder da. Wach mir bloß nicht auf!“ Mit einem amüsierten Grinsen verließ sie das Schlafzimmer.
Sie flitzte in die Küche und traf dabei Jackys überraschten Blick. April zwinkerte ihr nur zu und forderte sie mit Blicken und einiger Handgesten auf, ihr zu folgen. Misstrauisch ging sie ihr hinterher in die Küche, während April Wasser in ein Glas gab.
„Seit wann trinkst du denn Wasser, Ap?“ April schüttelte den Kopf und grinste breit.
„Das ist nicht für mich, sondern für Kenneth.“ Jacky hob neugierig eine Braue an. „Ist er denn schon wach? Ich habe ihn ja gar nicht gehört.“ April lachte los und musste aufpassen, auf dem weg zum Zimmer nichts zu verschütten. Abermals schüttelte sie den Kopf.
Bevor Jacky erneut nachfragen konnte, standen sie in der Tür und Jackys Blick schnellte immer wieder zwischen dem schlafenden Mann und dem Glas mit kaltem Wasser hin und her. Dann ging ihr anscheinend ein Licht auf. „Du willst doch nicht …“ April grinste und nickte, woraufhin ihre Freundin losprustete.
Voller Vorfreude schlich April sich ans Bett und kniete vorsichtig auf die Matratze. Sie tunkte zwei Finger ins Wasser und erschauerte kurz, weil es so kalt war. Das würde ihm bestimmt gefallen!
Sie hielt die tropfenden Fingerspitzen über seine Brust und einige Tropfen fielen hinab. Als sie in dicken Tropfen auf seine Haut prallten, zuckte er erschrocken zusammen und legte automatisch eine Hand auf die Stelle. Jacky und April schauten sich an und konnten nur schwer ein Lachen unterdrücken.
Dieses Fingerspiel setzte April bis zu seinen Hals und Kinn fort, zog eine zarte Tröpfchenspur über seine bronzene Haut, und seine Hand folgte ihr. Als sie schließlich bei seinem Gesicht ankam, welches jetzt frei belichtet wurde, da er die Hand darüber weggenommen hatte, goss sie sich das kalte Wasser wie einen kleinen See in die Handfläche und klatschte es ihm mitten ins Gesicht.
Sein erschrockener Schrei hallte kurz im Zimmer wieder, seine Augen waren erschrocken aufgerissen und sein Mund speerangelweit offen. Wie auf Kommando, als sein Schreckensschrei verebbte, lachten April und Jacky lauthals los. Kenneth realisierte nichts, doch die beiden Mädchen konnten sich nicht mehr vor Freude einkriegen. Sein Gesichtsausdruck war einfach zu schön!
Nach mehreren Minuten schafften sie es dann endlich nur noch zu kichern. April blickte in Kenneths Gesicht, woraufhin sie einen erbosten Blick kassierte. Sein Haar klebte ihm nass in der Stirn. Er sah so ulkig aus.
Sie lachten noch ein paarmal, doch dann fingen sie sich wieder und er konnte endlich zu Wort kommen. „Das wird Rache geben.“ April musterte ihn überrascht. Sie hatte mit einem Wutausbruch oder etwas ähnlichem gerechnet, aber nicht mit einem so trockenen Kommentar. Oder besser gesagt einer so gelassenen Drohung. Sie zwinkerte ihm schelmisch und zu flüsterte kurz über seinen Lippen: „Versuchs ruhig.“
Damit sprang April aus dem Bett und nahm ein Handtuch von Jacky entgegen, welches sie wohl zu irgendeiner freien Minute geholt haben musste. April warf es ihm hin. „Trockne dich ab und zieh dich an. Frühstück gibt´s in zehn Minuten.“
Mit diesen Worten verließen Jacky und April das Zimmer und machten die Tür hinter sich zu … nur um sich grinsend anzuschauen und erneut los zu prusten.
Mit einem strahlenden Lächeln, legte April das Spiegelei auf Kenneths Teller ab und setzte sich dann auch an den Tisch. Jacky war schon dabei, ihr Brötchen zu verschlingen, als April anfing, ihr Rührei mit Speck zu essen. In wohligem Schweigen aßen sie zu dritt und verdauten die letzten nächtlichen Stunden mit ihren ganz eigenen Geschichten. Als das Schweigen schließlich jedoch unerträglich wurde, fing Jacky auf ihre verrückte Weise an, das Eis zu brechen.
„Heute Nacht hatte ich vielleicht einen krassen Traum! Ich habe dich ins Krankenhaus begleitet, April, und dann war da so ein schrecklich gut aussehender Chirurg, mit einem süßen Lächeln, einer dunklen Aura und wunderschöne Augen. Und plötzlich waren wir ganz alleine, der Flur war wie leer gefegt. Er hat mich gesehen, und nur einen Moment später presste er mich an die Wand, hob mich hoch und stürmte mit wundervollen Küssen auf mich ein! Mann, der war echt ´ne Nummer!“
April verschluckte sich beinahe an ihrem Ei und musste sich dazu zwingen, es runter zu schlucken. Dann sah sie ihre Freundin aus großen Augen an. „Derek?!“
Jacky staunte nicht schlecht und öffnete den Mund. „So einen heißen Typen gibt es da wirklich? Oh mein Gott! Den muss ich kennenlernen! Du willst ja gar nicht wissen, wie mein Traum weiterging.“ Aufgeregt sprang sie auf und schmiss schon fast den dreckigen Teller in die Spüle. „Wieso hab ich den noch nie gesehen? Warum hast du ihn mir noch nie vorgestellt?“ Sie warf April einen erbosten Blick zu. Diese hob abwehrend die Hände und verteidigte sich: „Ich konnte ja nicht wissen, dass er der Mann deiner Träume ist.“ Bei ihrer Wortwahl fing Kenneth an zu grinsen.
„Wieso begleitest du April dann nicht heute zur Arbeit, Jacky? Sie könnte dich ihm ja dann vorstellen und du ihn kennenlernen.“ April verschluckte sich beinahe an ihrem Orangensaft und Jacky dachte einen Moment nach. Dann fing sie vorfreudig an zu lächeln und flitzte ins Bad. „Ich bin duschen!“
Böse starrte April Kenneth an, welcher entschuldigend die Schultern hob. Sie schüttelte den Kopf und malte sich aus, wie Jacky Derek treffen würde. Es war eine verrückte Vorstellung, die beiden zusammen. Jedoch passte sie auch genauso gut.
Sie würde es einfach auf sich zukommen lassen und hoffen, dass alles gut würde. Sie aß also weiter und machte sich dann fertig für die Arbeit. Nun ja, soweit sie sich in Ruhe fertig machen konnte, denn Kenneth stahl ihr wundervolle dreißig Minuten, weshalb sie nachher in Eile verfiel.
Wenn das in Zukunft immer so laufen würde, würde es echt stressig werden. Doch der Gewinn war ausgleichend genug.
Als Jacky und April aus Kenneths Wagen stiegen, war ihre Freundin nicht mehr, als ein Nervenbündel. Mit einem Grinsen musterte April sie erneut.
Jacky hatte sich ein knielanges Kleid mit tiefem Herzausschnitt angezogen, welches in einem schönen Violett erstrahlte. Es zeichnete all ihre perfekten Kurven ab und auch der dunkle dünne Mantel, den sie darüber trug, versteckte diese nicht. Ihre langen, gebräunten Beine waren ab den Knien an nackt und standen auf schlichten schwarzen High Heels. Ihre Haare hatte sie hochgebunden und ein lilaweißer Seidenschal zierte ihren Hals. Kleine Steinchenohrringe schmückten ihr Haupt. Sie trug nicht viel Make Up, aber das hatte sie auch nicht nötig. Sie war eine Naturschönheit!
April schlenderte ins Krankenhaus und hätte fast darüber gelacht, wie viel Aufmerksamkeit Jacky mal wieder bekam. Immer wenn sie dieses Gebäude betrat, lagen alle Blicke auf ihr, angezogen von ihrem perfekten Erscheinungsbild. Es wunderte sie eh, wie Derek noch nicht von Jacky erfahren haben konnte. Schließlich war er ebenso Mitglied des Hospitals, wie alle anderen Gaffer auch.
Sie tat ihre Bedenken ab und marschierte in den Privatbereich. Flink zog sie sich um und ertrug die nörgelnde Jacky, welche endlich diesen geheimnisvollen Derek treffen wollte.
„Ja, ich beeile mich ja schon, aber ich bin kein D-Zug!“ Langsam fing sie echt an zu nerven!
Zusammen gingen sie zum Dienstplan, April steckte ihre Karte ein, zum Dienstbeginn und starrte dann auf die Tafel. Im Gegensatz zu gestern, hatte sie heute wieder gute Fälle. Fast zu gute. Sie studierte die Uhr und machte sich dann auf den Weg. Mit Jacky im Schlepptau betrat sie ein Krankenzimmer uns sah eine junge Ärztin vor sich, welche stark am verzweifeln war.
„Dr. Young! Sie sind schon da … Dr. Galleck kommt jeden Moment. Ich sollte nur noch schnell einen Katheter legen …“ Doch an ihrem Gesichtsausdruck erkannte April, dass sie es nicht gemacht hatte.
Sie setzte ein warmherziges Lächeln auf und stellte sich an die Seite der jungen Ärztin. „Brauchst du vielleicht Hilfe?“ Erleichtert nickte das Mädchen und überließ es April, den Katheter zu legen. Es war gerade fertig gestellt, da betrat auch schon der mürrisch dreinblickende Dr. Galleck den Raum. Er nickte April zu und studierte dann die gemachte Arbeit.
„Das sieht sehr sauber aus. Das haben nicht sie gemacht, stimmt´s, Kelley?“ Sein Ton war herablassend und das Mädchen – Kelley – schaute verängstigt zu Boden. Sie tat April leid, diese wusste schließlich, wie einschüchternd der ältere Arzt war. Also meinte sie mit fester Stimme: „Natürlich hat sie das gemacht. Wer sonst?“ Überrascht schaute Kelley auf und April schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Skeptisch hob Galleck eine Braue und musterte Kelley. „Wirklich?“ Die angesprochene blickte einmal kurz April fragend an, dann nickte sie mit einem Lächeln.
Galleck knirschte mit den Zähnen und hob dann das Krankenblatt von dem schlafenden Patienten an. „Nun gut … Young, bitte sagen sie mir, ob ich mit meiner Behandlung fortführen soll, oder ob sie sich ihm annehmen wollen. Meiner Meinung nach, wäre eine Operation nicht nötig, doch die liebe Kelley hier ist der festen Überzeugung, dass sie ihm helfen würde. Anscheinend bedenkt sie die Risiken dabei nicht. Also will ich ihre Meinung dazu hören.“ Seine Stimme klang so überheblich und arrogant, dass April sich zwingen musste, ihm zuzulächeln.
Sie studierte genauestens das Krankenblatt, dann überlegte sie kurz und lächelte Kelley dann stolz zu. Ihr Blick schweifte dann zu Galleck. „Tut mir leid, aber ich muss Kelley zu stimmen. Zwar bestehen viele Risiken bei einer Operation, jedoch schlägt ihre Behandlung immer noch nicht an und seine Organe werden versagen, wenn nicht innerhalb vierundzwanzig Stunden etwas unternommen wird.“
Galleck öffnete perplex den Mund, wollte ihr widersprechen, doch sie war schon dabei, das Zimmer zu verlassen. Dabei rief sie ihm über die Schulter zu: „Sie können liebend gerne weitere Chirurgen befragen, doch ich verspreche ihnen, die werden ihnen alle die gleiche Antwort geben, wie ich.“ Dann zwinkerte sie Kelley noch einmal kurz zu. „Gute Arbeit!“, lobte sie. Das Mädchen strahlte und der Mann verzog mürrisch das Gesicht.
April marschierte durch den Flur, wurde von Schwestern und Ärzten angesprochen und um Hilfe gebeten, als Matt ihr entgegen kam. Sofort verstummten alle Gespräche in der Umgebung und die Blicke lagen auf ihnen.
„Matt“, murmelte sie freudig. Er lächelte und antwortete: „Guten Morgen, April.“ Sie lächelte sarkastisch zurück. „Na, hast du gut geschlafen?“ Er lachte auf und grinste sie dann aus strahlenden Augen an. „Nicht wirklich. Eine hinreißende Freundin hat mich aus den Federn geschmissen. Aber es hat sich gelohnt. Sie und ich haben endlich mal miteinander geredet.“ April fing an, weiter zu gehen, Matt an ihrer Seite. „Das freut mich. Ich hoffe es hat was gebracht?“ Er nickte und sie beide grinsten sich an.
Dann wurde April wieder ernst und sah auf ihr Krankenblatt hinab. „Dr. Galleck wollte eine chirurgische Meinung von mir. Sie gefällt ihm nicht wirklich, vielleicht solltest du also einmal vorbei schauen oder einen anderen Chirurg hinschicken, damit dieser Griesgram seine arme Assistenzärztin nicht noch zu Tode erschreckt und einsieht, dass ihre vorgeschlagene Operation das einzig Richtige ist.“ Er nickte und machte sich dementsprechende Notizen. Dann blickte er auf seine Armbanduhr und meinte: „Ok, ich muss jetzt wieder los, aber ich kümmere mich darum. Wenn ich das richtig lese, ist deine nächste Operation in zehn Minuten, dein Team besteht aus einigen Assistenzärzten und Grey. Viel Glück!“ Damit drehte er sich um und verschwand in der anderen Richtung. April machte sich also auf den Weg und bereitete sich moralisch auf das Zusammentreffen von Derek und Jacky vor.
Dieser stand an die Wand gelehnt vor dem OP und spielte mit einem anscheinend leeren Kaffeebecher herum. Sobald Jacky ihn erblickte, wurde sie hektisch und ihre Augen ganz groß. Als sie neben ihm zum Stehen kamen, blickte er überrascht auf und starrte sie beide an. Sein Blick blieb an der dunkelhaarigen Schönheit hängen und sein Mund öffnete sich verblüfft.
„Hallo, ich bin Derek. Und du bist …?“
„Jacky.“ Sie grinste ihn an und ein süßes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Und damit war ihr Schicksal besiegelt. Er fand Gefallen an ihr und würde erst seinen umschmeichelnden Charme zurück ziehen, wenn Jacky sich auf ihn eingelassen hatte. Und Jacky würde erst halt machen, wenn sie ihm bei sich im Bett wieder fand.
April seufzte und drängte sich an den beiden vorbei in den Vorbereitungsraum. Sie wusch sich die Hände, zog neue Handschuhe über, einen Mundschutz auf und betrachtete das bereitstehende Team im OP-Saal.
Genervt schaute sie hinaus und klopfte ungeduldig an die Fensterscheibe. Beim dritten Mal drehte Derek sich endlich um und sein Lächeln erlosch. Sie deutete auf die Uhr und dann auf den Patienten, welche im Zimmer wartete. Er nickte und schaute dann enttäuscht zu Jacky. Diese zückte mit einem verführerischen Lächeln einen kleinen Zettel mit Stift und kritzelte ihre Nummer drauf. Als Derek ihn einsteckte, grinste er von einem Ohr zum anderen. Sie winkten sich zu und er betrat den Waschraum.
„Ist deine Freundin eine dieser Victoria Secret Engel, oder warum hat sie engelsgleiche Modelmaße?“ Bei diesem Kommentar zwinkerte er April schelmisch zu, welche amüsiert den Kopf schüttelte.
„Also gefällt sie dir?“, fragte sie neugierig nach.
„Ob sie mir gefällt? April, ich bete sie an! Hast du sie dir mal angeschaut? Die Frau ist eine Gottheit!“ April grinste, auch wenn sie nicht genau wusste, was sie von der ganzen Geschichte halten sollte.
„Ich weiß, wie sie aussieht, Derek, schließlich ist sie meine beste Freundin. Und genau deshalb wirst du nicht mit ihr spielen, hast du mich verstanden? Sie liegt mir sehr am Herzen und wenn du ihr einmal weh tust, dann mach ich dir die Hölle heiß!“ Einen Moment schwieg Derek, dann nickte er stumm. Zufrieden drehte April ihm den Rücken zu und diktierte: „Und jetzt Abmarsch! Der arme Mann muss operiert werden!“
Am Abend stieg April in ein Taxi und gab dem Fahrer ihre Adresse. Sie lehnte sich zurück und schloss müde die Augen. Es war ein anstrengender Tag gewesen. Viele Notfälle und OPs.
Als ihr Handy piepte, hätte sie es am liebsten aus dem Fenster geschmissen. Sie stöhnte auf und rieb sich erschöpft über die Augen. Daraufhin schlug sie sie auf und zog das Telefon aus ihrer Jackentasche.
Willst du noch vorbei kommen?
Ich war schon bei dir, Jacky meinte,
heute hättest du viel zu tun.
Ich versteh, wenn du dich nicht mehr mit mir
treffen willst, weil du so müde bist.
K.
April überlegte einen Moment, dann drehte sie ihr Handy auf die Seite und fing an, ihre Nachricht zu tippen:
Ja, ich bin echt voll müde.
Ich komme trotzdem, wenn´s ok ist.
A.
Sie hatte die Nachricht erst einige Sekunden abgeschickt, da schrieb er ihr auch schon seine Adresse. April lächelte ohne Grund, als sie von ihrem Display aufschaute.
„Fahrer? Könnten sie vielleicht die Richtung ändernd?“ Sie nannte ihm die Straße und Hausnummer und drehte ohne einen Mucks das Taxi.
April lehnte sich zurück und schloss wieder die Augen. Sie war kurz vorm Einschlafen, bis jemand sie stark an der Schulter schüttelte. Der wütende Taxifahrer streckte die Hand aus. Sie reichte ihm schlaftrunken das gewünschte Geld und stieg dann samt Handtasche aus. Wie aufs Stichwort rast das Auto los und lässt sie alleine in der Dunkelheit zurück.
Müde fuhr April sich mit der Hand durch die Haare und schaute sich suchend um. Wenige Meter vor ihr öffnete sich die gewaltige Haustür und Kenneth stand in Jeans und Shirt im Eingang. Sofort trat ein Lächeln auf ihr Gesicht und sie ging auf ihn zu.
Als sie die Stufe betrat, machte er einen Schritt nach vorne und küsste sie kurz auf den Mund. Dann schob er sie ins Haus und nahm ihr Tasche und Mantel ab. Völlig perplex stand sie da und wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Sein amüsiertes Lachen riss sie aus ihrer Starre.
„So müde?“ Sie hob knapp die Mundwinkel und nickte. Er lachte wieder, dieses Mal leiser. Plötzlich schlossen sich seine Arme um ihren Körper und ohne große Anstrengungen hob er sie hoch, als wäre sie ein Baby, das nichts wöge. Sie schrie auf, was sie jedoch nicht wieder zurück auf den Boden brachte.
„Ich habe etwas zu Essen gemacht. Soll ich dich in die Küche bringen oder möchtest du schlafen gehen.“ Sie schaute irritiert auf. „Schlafen?“ Das Wort klang aus ihrem Mund, als wäre es das unpassendste in dieser Situation, was es geben könnte. Erneut lachte er.
„Also Küche.“ Sie nickte und er trug sie ohne weitere Worte den Flur entlang. Im gewünschten Raum setzte er sie auf einem der Stühle ab und trat dann an die Arbeitsplatte. Er lud ihr einen Teller voll und stellte ihn vor ihr ab. Dann machte er noch einen voll und ließ sich ihr gegenüber nieder. Stumm aßen sie; April spürte Kenneths Blicke auf sich und starrte umso mehr mit einem Lächeln auf ihren Teller.
Als sie fertig war, wagte sie, aufzublicken. Auch Kenneth hatte zu Ende gegessen und sah ihr ins Gesicht. Langsam, wie in Zeitlupe, stand sie auf und trat zu ihm. Seine Augen wurden mit jedem ihrer Schritte größer und wanderten gierig über ihren Körper. Hitzewellen durchfuhren ihren Körper und trafen kribbelnd in ihrem Bauch zusammen.
April biss sich verführerisch auf die Unterlippe und legte sanft ihre Hand um seine Wange. Er rührte sich nicht, während sie sich in aller Ruhe rittlings auf seinen Schoß setzte. Sacht beugte sie sich vor und streifte hauchzart mit ihrem Mund Kenneths Lippen.
Mit einem Mal ging ein Schub durch seinen Körper und er griff fest um ihre Hüften. Er drückte sie an sich und küsste sie mit einer Leidenschaft, die sie einfach mitriss. Mit hastigen Bewegungen, riss sie ihm das Shirt übern Kopf und berührte sehnsüchtig seine nackte Brust. Er versuchte, schnell ihre Bluse aufzuknöpfen, wobei mindestens zwei Knöpfe anfielen. Als er es endlich vollbracht hatte, löste er seine Lippen von ihren und küsste sich seinen Weg hinab von ihrem Hals zur Spitze ihres BHs. Lust ballte sich in April auf und beugte sich ihm entgegen, während sie ihre Finger in seinen Locken krallte.
Der Moment schien voller Energie, als seien der gesamte Raum und ihre beiden Körper voll von ihr. Er öffnete mit zwei Fingern in weniger als einer Sekunde den Verschluss ihres BHs und schmiss ihn zu Boden. Einen Augenblick war er wie verzaubert vom Anblick ihrer freien Brüste, als sähe er sie zum ersten Mal. Dann beugte er sich langsam hinab und küsste sie beide liebevoll.
April hielt es nicht mehr länger aus und griff nach dem Knopf seiner Jeans. Schnell war diese geöffnet und ihre Hände berührten ihn. Er riss sich von ihr los und rang nach Luft, als sie leicht drückte. Dann starrte er sie an und küsste sie nur eine Sekunde später intensiver und Leidenschaftlicher als davor. Er sprang auf, streifte eilig seine Hose ganz von sich und rannte schon halb zur Couch, die wenige Meter entfernt von ihnen stand. Er ließ sich nieder, April auf seinem Schoß, und öffnete auch ihre Hose.
Jene Müdigkeit, die April vorhin gequält hatte, war vollkommen verschwunden und war ersetzt worden durch eine ungebändigte Lust, die sie und Kenneth die nächsten Stunden ganz schön auf Trab halten sollte.
Tage vergehen. Wochen ziehen dahin. Und April genießt mehr und mehr ihr Leben. Im Krankenhaus hat sich alles wieder eingespielt, so als wäre nichts gewesen. Es hatte einzig und allein ein Mittagessen mit Matt mitten in der Cafeteria gereicht, um den anderen Mitarbeitern zu zeigen, dass die Probleme behoben worden waren. Man sah sie wieder freundlich an, lächelte ihr zu und plauderte in freien Minuten. Und das zu ihrem Glück. Es hätte ihrem guten Ruf einen ordentlichen Dämpfer gesetzt, hätte sie sich mit Matt nicht versöhnt.
Zudem war Jacky überglücklich. Wie es zu erwarten war, hatten sie und Derek nicht einmal einen Tag warten können, bevor sie über einander hergefallen waren. Jedoch befolgte er artig ihre Aufforderung und behandelte Aprils beste Freundin wie eine Prinzessin. Natürlich genoss diese es. Aber mal ehrlich: welche Frau wollte nicht von einem Mann auf Händen getragen werden?!
April öffnete die Augen und streckte sich ausgiebig. Dabei gähnte sie ausgeschlafen und bog ihren Rücken durch. Bei dieser Geste rutschte das weiche Laken etwas herunter und entblößte ihren schlichten schwarzen Spitzen-BH. Jedoch machten kleine funkelnde Strasssteinchen ihn gleich viel glamouröser.
Hatte sie erwähnt, dass sie sich von Jacky hatte überreden lassen, ihren Kleiderschrank ein wenig aufzurüsten? Nun ja, sagen wir`s so: Er glitzerte und funkelte jetzt mehr. Viel mehr.
April rief sich kurz ins Gedächtnis, welcher Tag heute war. Sonntag. Oder Montag. Sie wusste nicht genau, wie lange sie wohl geschlafen hatte, schließlich hatte sie eine achtundvierzig Stunden Schicht im Krankenhaus hinter sich gehabt.
Sie rappelte sich in eine sitzende Position auf und strich sich die zerzausten Haare aus dem Gesicht. Danach schluck sie die Decke ganz weg und erhob sich von der Matratze. Sie schlenderte durch den Raum und machte kurz vor dem großen Spiegel Halt.
Sie musterte die Gestalt ihr gegenüber. Diese hatte hellblonde Haare, die ihr viel zu lang über die Schultern fielen. Normalerweise ließ sie nicht einmal zu, dass ihre Mähne mehr als zwei Zentimeter wuchs, ehe sie sie erneut abschnitt. Doch nun waren sie bestimmt schon zehn Zentimeter länger. Und es gefiel ihr.
Außerdem hatte die neue April ein wenig mehr Pfunde auf den Hüften. Sie hatte damals schon ein paar Rundungen, nun jedoch war ihr Hinterteil ein wenig größer, ihre Hüften anmutig geschwungen und ihre Brüste praller und sogar eine Körbchengröße größer! Und in diesem mega knappen String kamen diese Vorteile umso besser zur Geltung.
„Noch gefällt`s mir. Aber irgendwann werd ich noch fett“, murmelte sie. Kopf schüttelnd ging sie ins Bad und kämmte sich grob die Haare und band sie sich lässig zu einem losen Dutt. Sie putzte sich träge die Zähne und wusch sich das Gesicht. Den freien Tag wollte sie langsam beginnen.
Als sie mit allem drum und dran fertig war, ging – immer noch nur in Unterwäsche – die Treppe hinunter und geradewegs in die Küche.
Dort erwartete sie ein Kaffee trinkender Kenneth, der in Boxershorts auf einem Stuhl saß und die morgendliche Zeitung las. Nach einer gemurmelten Begrüßung und einem zarten Kuss, ließ sie sich ihm gegenüber nieder und starrte sehnsüchtig auf den Starbucks-Becher.
Er lachte und schob ihn ihr rüber. Mit einem freudigen Grinsen hob sie ihn an ihre Lippen und trank einige Schlucke des wunderbaren Getränks. Die nächstens zehn Minuten verbrachten sie schweigend und in ihren eigenen Gedanken vertieft.
Schließlich legte er die Zeitung beiseite und schaute sie an. „Was wolle wir heute machen, Ap?“ Sie sah ihm in die Augen und zuckte die Schultern. Dann zwinkerte sie ihm zu und neckte: „Wir könnten uns ja den ganzen Tag in den Laken wälzen und uns ein wenig vergnügen.“ Er grinste sie an, schüttelte jedoch den Kopf.
„So verlockend das auch klingt, muss ich leider passen. Ich finde, wir sollten auch mal an die frische Luft gehen und irgendwas unternehmen. Unter Leute gehen und nicht nur zu zweit mein Bett auseinander nehmen.“ Er zwinkerte zurück und kicherte amüsiert.
April nahm noch einen Schluck, ehe sie nickte und erwiderte: „Joa. Das geht auch. Mr wäre zwar meine Idee lieber gewesen, aber deine wird mich schon nicht umbringen.“ Kenneth lachte und stand dann auf.
„Na dann, zieh dir was an! Es ist zwar sehr warm draußen, aber ich glaube du bist dann doch etwas zu spärlich bekleidet.“ Seine gierigen Blicke auf ihrem Körper ließen ihre Haut kribbeln.
„Und was ist mit meinem Frühstück?“, beschwerte sie sich in einem jammernden Tonfall, der einem Kleinkind ähnelte und nie und nimmer ernst genommen werden könnte. Er lächelte und zwinkerte ihr zu. „Du bekommst nachher einen Donut.“
„Ohh ja! Mit Streuseln!“ Er nickte. Und schon flitzte sie hoch ins Zimmer, um sich anzuziehen.
Später kam sie in einem enganliegenden kurzen Stoffrock und einem hellen Shirt die Treppe runter. Dazu schlüpfte sie in ihre neuen schlichten Turnschuhe, welche Jacky zwar nicht mochte, aber immerhin den bequemen, alten Oma-Schuhen vorzog, die April früher getragen hatte.
Kenneth trat in Jeans und Hemd zu ihr und reichte ihr ihre Tasche. „Fertig?“ April erinnerte sich an ihren unsauber gebundenen Dutt, zog rasch das Haargummi aus den Haaren und kämmte hastig mit den Fingern durch ihre Mähne.
„Jetzt schon.“ Es schnappte sich einen kleinen Rucksack, wollte ihr jedoch nicht verraten, was darin war.
Zusammen verließen sie das Haus. Er legte ihr sanft die Hand auf den Rücken, während er sie die Straße entlang führte. Kenneth wohnte in einem Viertel, in dem die Menschen nicht so sehr aufs Geld achteten, wie Aprils Nachbarn es taten. Diese Eigenschaft zeigte sich mehr als deutlich in den Vorgärten der Nachbarschaft: strahlend grüne Wiesen, Millimeter genau gestutzt, dunkelrote Rosenbüsche, kleine Springbrunnen und sorgfältig angelegte Steingärten.
Ein klein wenig Neid machte sich in April breit, als sie die Perfektion entlang der Straße betrachtete. Dann schüttelte sie leicht den Kopf und lächelte. Man konnte schließlich nicht alles haben.
„Sag mal, wieso gehen wir eigentlich? Wir hätten uns doch auch einfach ein Taxi rufen können. Und wo geht es überhaupt hin?“ Kenneth lächelte geheimnisvoll und zuckte die Schultern, verriet zu ihrer Enttäuschung kein Sterbenswörtchen.
Nach einiger Zeit und weiteren perfekten Vorgärten, bogen sie vom Bürgersteig ab und schlenderten einen breiten Kiesweg entlang. Zu ihren beiden Seiten wuchsen mehr und mehr Büsche und Bäume, bis sie schließlich mitten im Wald standen. Jedoch endete der Weg hier nicht, sondern führte weiter.
Langsam wurde ihr Interesse geweckt und neugierig spähte nach vorne. Genau vor ihnen lag eine hell erleuchtete Lichtung. Leises Rauschen drang an ihr Ohr, sowie mehrere Stimmen. Verwirrt schaut April zu Kenneth, welche nur mit dem Kinn nach vorne deutete und stur geradeaus weiter ging.
Als sie auf die grüne Lichtung traten, erblickte April einen breiten Bach, der genau in der Mitte größer und runder wurde, nur um wenige Meter danach wieder kleiner weiter zu fließen. Drei Picknickdecken waren nebeneinander gelegt worden und auf ihnen saßen drei Frauen und ein Mann. Am Bach sprangen zwei Hunde herum und spielten mit drei weiteren Personen und einem Kind.
„Wer sind diese Menschen?“, fragte April überrascht.
„Die“, betonte Kenneth voller Vorfreude, „sind meine Freunde. Mein bester Freund ist Chef seiner Firma geworden und jetzt wollen wir feiern.“
„Feiern?! Beim Picknicken?“ Kenneth lachte. „Nun ja, nicht ganz feiern. Eher ‚Clan-Treffen‘. Aber er hat eine sieben jährige Tochter und deshalb wird das „alkoholisierte“ Feiern auf heute Abend verschoben, und jetzt einfach nur entspannt.“ April lächelte. Irgendwie käme etwas Ruhe schon gut. Da gab es nur noch eins zu klären.
„Ken …“ Sie hörte selbst, wie ernst sie klang. Dieses Thema hatten sie länger nicht mehr angesprochen; jetzt musste es aber neu aufgegriffen werden.
Hinter den Bäumen, wo seine Freunde sie hoffentlich noch nicht sahen, hielt sie ihn an der Schulter fest und blieb vor ihm stehen. Seine Augen waren ganz groß und am liebsten hätte sie ihn jetzt geküsst …
„Du wirst mich doch nur als ‚eine‘ Freundin vorstellen, oder?“ Die Überraschung war seinem Gesicht anzusehen. „Was …?“
Sie schüttelte den Kopf. „Das haben wir am Anfang besprochen. Ich will nichts Festes – nur zwei gute Freunde, die ab und an mal ein wenig Spaß zusammen haben.“ Bei ihren Worten wurde seine Miene ausdruckslos.
„Ach ja, das habe ich nach den umwerfenden Wochen ganz vergessen. Tut mir leid, dass ich, weil du Nacht für Nacht bei mir oder ich bei dir übernachtet habe, und wir mehr als einmal leidenschaftlich Sex hatten, dachte, wir hätten sowas wie eine Beziehung. Ich wusste nicht, dass du dich für mich schämst“, erwiderte er gereizt und voller wütenden Sarkasmus.
Seine plötzlich genervte Stimmung überraschte sie. Sie wollte nicht, dass er sauer auf sie war …
Ohne sich vor ihm zu verteidigen, schlang sie die Arme um seine Hüfte. Er verspannte sich, doch das schüttelte sie nicht ab. Sie drückt ihn einfach nur noch mehr und legte ihre Wange an seine Brust.
„Bitte, Ken. Bitte“, flüsterte sie. Erst erwiderte er nichts. Dann machte er sich von ihr los und nickte. Sie lächelte und trat hinter ihm aus den Bäumen hervor.
Eine von den drei Frauen, die auf der Picknickdecke saßen, hatte platinblondes Haar, das wie ein fließender Wasserfall ihren Rücken hinunter rann. Sie warf sich eine dicke Strähne über die Schulter und lachte entzückt auf, als der Mann ihr gegenüber – dunkelblond und breit grinsend – anscheinend einen Witz riss. Auch die andern beiden Frauen – eine rothaarige, deren Locken an den Schultern endeten, und eine Brünette – kicherten amüsiert.
Der Mann erblickte Kenneth und April und rief laut nach seinem Kumpel. Dieser grinste breit und klopfte seinem Freund stark auf die Schulter, als sie die Picknickdecke erreichten.
„Ivan, Kumpel, wie geht`s?“ Der Mann – Ivan – schielte zu den drei Frauen hinüber und kommentierte: „Ausgezeichnet.“ Dann ging sein Blick über April, welche ihn zaghaft anlächelte. „Und wie`s scheint, dir auch!“ Kenneth lachte bedrückt auf. „Joa, passt schon. Leute, das ist eine Freundin von mir namens April.“ Die Betonung lag auf ‚eine‘ und sofort fühlte April sich unwohl.
Sie hob schüchtern die Hand zur Begrüßung. Ivan lächelte und nickte.
Die blonde Frau erhob sich anmutig und reichte ihr grazil die Hand. Im Sonnenschein schimmerte ihre Haut leicht goldig, was ihre hellen Haare umso mehr betonte. Ihre Augen waren von einem so umwerfenden Blauton, dass es April beinahe den Atem verschlug.
„Ich heiße Cailean. Freut mich, dich kennen zu lernen.“ April lächelte und schüttelte ihre Hand. Das elfengleiche Mädchen setzte sich wieder und lehnte sich behutsam, jedoch bestimmt an Ivan.
Die Rothaarige war weniger verkniffen und setzte ein fettes Grinsen auf. „Na du? Ich bin Vivien, aber nenn mich ruhig Viv.“ Sie zwinkerte und streckte ihr dann die Zunge heraus. Ihre Verspieltheit brachte April zum Lachen. Mit ihr würde sie bestimmt viel Spaß haben.
Die dritte Frau hielt sich ein wenig zurück und auch ihre Begrüßung war dementsprechend leiser. „Und mein Name ist Admira.“ Sie hatte so etwas Geheimnisvolles an sich. Sie wirkte auch nicht wie ein Mensch vieler Worte, im Gegensatz zu Vivien. Dennoch schien sie sympathisch, auf ihre stille Art und Weise.
Texte: Alle Rechte liegen bei mir.
Bildmaterialien: Bild aus dem Internet, bis ich ein besseres gemacht habe;)
Tag der Veröffentlichung: 17.08.2012
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