Liv schrie! Ihr Schrei wurde mehrfach von den Wänden ihres dunklen Gefängnisses zurückgeworfen. Eisige Schauer liefen ihr über Arme und Rücken. Zitternd stand sie in der Finsternis. Sie konnte nichts sehen, nicht einmal die eigne Hand vor Augen, es war so finster wie in einem Grab. Liv wagte nicht, sich von der Stelle zu rühren. Beim letzten Mal, als sie nicht aufgepasst hatte, bekam sie einen heftigen Stromschlag verpasst. Ihr Hals schmerzte von der Anstrengung, doch sie konnte nicht aufhören. Sie schrie immer weiter. Seit Ewigkeiten war sie in diesem finsteren Loch gefangen, ohne Abwechslung, ohne jedweden Reiz. Es gab nichts, was sie von ihrer Angst, hier zu sterben ablenkte. Liv wünschte, sie könnte wenigstens noch einmal, nur ein einziges Mal, die Sonne sehen. Ein harter Schlag traf sie im Rücken, ihre Knie knickten ein und sie stürzte zu Boden. Der Aufprall presste ihr die Luft aus der Lunge und trieb ihr die Tränen in die Augen. Liv wusste, dass sie hier sterben würde, und verabschiedete sich in Gedanken von ihren Freunden. Paul und Maggie, Sue und Price, sie würden sicher um sie trauern, vielleicht würde sogar ihr Ex sie vermissen. Jack war nie ein Mann großer Worte gewesen, er hatte ihr nie gesagt, dass er sie liebt und doch konnte sie sein trauriges Gesicht nicht vergessen, als sie ihm sagte, dass es vorbei ist. Für Liv war es die richtige Entscheidung gewesen, auch wenn Jack ihr leidtat. Doch all das, war jetzt sowieso nicht mehr von Bedeutung, denn sie war so gut wie Tod. Schritte näherten sich ihr und die dumpfen Geräusche wirkten in der Dunkelheit umso bedrohlicher. Ihr Herzschlag dröhnte laut in ihren Ohren, stumme Tränen liefen über ihre Wangen und fielen auf den kalten Boden. Eine Hand berührte sie an der Wange und strich ihr eine Locke hinters Ohr. Liv zuckte unwillkürlich zusammen. Die Schritte entfernten sich wieder und eine Tür fiel ins Schloss. Am liebsten hätte Liv wieder geschrien, aber ihr tat alles weh und sie hatte keine Kraft mehr, um zu schreien. Liv schloss die Augen und fiel in einen unruhigen Schlaf. Irgendwann schreckte sie hoch. Sie kroch Zentimeter für Zentimeter vorwärts, bis sie an eine Wand stieß. Sie lehnte sich an die Wand und zog ihr Bein nach, vor Anstrengung fielen ihr immer wieder die Augen zu. Doch irgendwann hatte sie es geschafft, erleichtert schloss sie die Augen und döste wieder ein.
Mike Mac Dog liebte seinen Job. Er war wirklich gern Polizist, schließlich lag es in seinen Genen. Seine Mam und sein Dad hatten sich auf der Polizeischule kennen und lieben gelernt und auch sein Großvater war bei der Polizei gewesen. Also, was lag näher für ihn, als in deren Fußstapfen zu treten. Doch an manchen Tagen wünschte er, er hätte etwas anderes gelernt. Er war seit zwei Jahren bei der Mordkommission, aber er würde sich niemals an den Anblick der grausam zugerichteten Leichen gewöhnen. Auch bei diesem Einsatz musste er mit dem Schlimmsten rechnen. Einer der brutalsten Psychopathen, die es je gab, hatte ihnen einen Brief, mit der Adresse eines Lagerhauses zukommen lassen. Seinem letzten Opfer hatte er bei lebendigem Leib, die Augenlider entfernt und es tagelang, in einem kleinen Raum voller Spiegel gefangen gehalten, ehe man die Frau fand, war sie bereits zwei Wochen tot. Mike schüttelte die grausigen Erinnerungen ab und wandte sich der Tür vor ihm zu. Langsam drückte er die Türklinke nach unten und leuchtete mit seiner Taschenlampe hinein. Vor Schreck wäre ihm beinahe die Taschenlampe aus der Hand gefallen. Denn in der Ecke, an einem Spiegel gelehnt saß eine Frau und starrte ihn mit großen Augen an. Für einen Moment glaubte er eine Halluzination zuhaben, sich einzubilden sie würde noch leben, doch da stöhnte die Frau auf und hielt sich schützend eine Hand vors Gesicht. Mike drehte sich zu seinem Partner um. „Derrick sie lebt, schnell, ruf eine Ambulanz.“ Dann lief er zu der Frau und kniete sich vor sie? „Wie heißen sie?“ „Liv.“ Ihre Antwort war so leise, dass er sie fast nicht verstand. „Ich bin gleich wieder da.“ Eilig lief Mike zu seinem Wagen und holte eine Flasche Wasser. Als er zurück war, schraubte er die Flasche auf und hielt sie ihr an die Lippen. „Hier ist etwas Wasser.“ Sie trank so gierig, dass sie sich verschluckte und die Hälfte des Wassers auf seiner Hose landete. Doch das war ihm egal, dass Einzige was zählte, war, dass diese Frau überlebte. Nachdem sie genug getrunken hatte, fielen ihr immer wieder die Augen zu. Mike wusste jedoch, dass sie in dieser kritischen Phase keinesfalls einschlafen durfte, also hielt er sie wach in dem Er ihr irgendwas erzählte. Als der Notarzt sie auf die Trage legte, griff sie nach seiner Hand. Mike drückte sie kurz, um ihr ein wenig Mut zu machen, ehe die Sanitäter sie wegbrachten. Er hatte alles getan, was er konnte, nun mussten die Ärzte ihren Teil tun. Als er sich umdrehte und zu seinem Wagen ging, hatte er das eigenartige Gefühl, dass sein Leben soeben einen neuen Weg eingeschlagen hatte. Er wusste nur noch nicht, wohin dieser Weg ihn führen würde.
„Zwei Wochen sind vergangen, seit ich das Krankenhaus verlassen habe. Seitdem fühle ich mich stets und ständig beobachtet. Es fühlt sich an, als würde mein eigener Schatten mich verfolgen, ich weiß einfach, dass er da ist, auch wenn ich ihn nicht sehen kann.“ Liv holte seufzend Atem. „Machen sie sich keine Gedanken darüber Frau Bloom.“ Sagte der Psychologe und verabschiedete Liv mit einem unverbindlichen Lächeln. „Das ist vollkommen normal und nun wünsche ich ihnen noch einen schönen Tag. Vergessen sie nicht ihre Medikamente zu nehmen.“ Als Liv das Gebäude verließ, schaute sie zum Himmel auf, genoss für einen Moment den Anblick, ehe sie sich auf den Weg machte. Das tat sie jedes Mal, seitdem der schreckliche Albtraum passiert war. Wenn sie ein Gebäude betrat oder verließ, sah sie zum Himmel auf und sog den Anblick in sich hinein. Nie wieder wollte sie es bedauern, nicht ein letztes Mal die Sonne gesehen zu haben. „Liv!“ Erschrocken fuhr Liv zusammen. Ihr Puls raste, ihr Herz schlug so laut, dass es den Straßenlärm übertönte. Der kalte Schweiß brach ihr aus und sie wollte nur noch weg. Lauf! Schrie alles in ihr. Doch sie rührte sich nicht, zwang sich tief durchzuatmen, um ihre Panik zu bekämpfen. Als Mike Mac Dog vor sie trat und besorgt musterte, hatte sie sich fast wieder im Griff. Er war ihr Retter. Er hat mich aus meinem finsteren Gefängnis befreit. Versuchte sie sich zu beruhigen. Er hatte sie mehrmals im Krankenhaus besucht, hatte mit ihr geredet und ihre Hand gehalten, wenn sie wieder eine Panikattacke überrollt hatte. Sie hatte sich immer getröstet und geborgen gefühlt, wenn er in ihrer Nähe war. „Liv geht es ihnen Gut?“ Liv nickte mechanisch und nahm einen weiteren tiefen Atemzug. Sie schwankte leicht, als die Starre nachließ und sich ihre Muskeln wieder lockerten.
Liv gefiel ihm gar nicht. Sie sah aus, wie ein Mensch der jeden Moment mit einem Angriff rechnet. Unwillkürlich streckte er die Arme nach ihr aus, als er sie gefährlich schwanken sah. Sie war steif wie ein Brett in seinen Armen, doch allmählich entspannte sie sich. Erleichtert stieß er den angehaltenen Atem aus. Mike war sich durchaus bewusst, dass er nicht so stark auf diese Frau reagieren sollte, doch er kam einfach nicht dagegen an. Er wollte nicht nur, er musste diese Frau beschützen. Sie war ihm genauso wichtig, wie sein tägliches Brot. Wenn ihr etwas zustieße, würde er nur noch eine leere Hülle sein. Er wusste nicht mehr, wann genau er sich in Liv verliebt hatte, vielleicht ist es in dem Moment passiert, in dem er sie fand. Doch er wusste noch ganz genau, wann ihm bewusst wurde, was er wirklich für sie empfand. Er war zu ihr ins Krankenhaus gefahren, um sie wie jeden Tag zu besuchen. Doch als er das Zimmer leer vorfand, da war sein Herz für einen Moment stehen geblieben. Ehe er wusste was er tat, war er zur Rezeption gerannt und hatte die Schwester angebrüllt. Die vollkommen verschüchtert keinen Ton mehr heraus bekommen hatte. Er war vollkommen außer sich gewesen. Plötzlich glitten die Fahrstuhl Türen auseinander und da sah er sie. Liv. Sie sah wie ein Engel aus. Ihre schwarzen Locken hingen ihr wild ums Gesicht, ihre Augen blickten ihn freudestrahlend an und ein zartes Lächeln umspielte ihren Mund. Schlagartig war er wieder der ruhige, souveräne Cop. Lässig schlenderte er auf sie zu und begrüßte sie mit einer kurzen, freundschaftlichen Umarmung, so wie er es in den letzten Wochen, schon oft getan hatte. Doch diesmal war etwas anders. Er begehrte sie und sein Körper sandte eindeutige Signale. Schnell ließ er sie los und trat einen Schritt zurück. Liv schien nichts bemerkt zu haben, denn noch immer lächelte sie ihn an. Eine Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung darüber hatte ihn gleichzeitig erwischt. Doch er hatte sich weiterhin nichts anmerken lassen. Schließlich war er ein Cop und sie das Opfer in einem seiner Fälle und somit absolut tabu.
Livs Anspannung ließ nach und sie ließ sich dankbar in seine Arme sinken. Sie atmete tief ein und sog Mikes ganz eigenen Duft in ihre Lunge. Sie liebte diesen Duft und genoss die Wärme und Kraft, die sein Körper ihr vermittelte. Liv schloss für einen Moment die Augen und wünschte, er würde sie nie mehr loslassen. Doch das würde nie passieren, für Mike war sie nur ein Fall, den er zu lösen gedachte. Er hatte ihr nie irgendwelche Signale gegeben, dass er an ihr, als Frau interessiert war. Also löste sie sich widerstrebend von ihm. Für einen winzigen Moment glaubte sie in seinen Augen etwas gesehen zu haben, doch es verschwand so schnell, dass sie es nicht deuten konnte. „Es gibt Neuigkeiten. Komm ich begleite dich aufs Revier.“ Nervös fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen.
Mike sah Angst in ihren Augen aufblitzen, doch dann straffte sie die Schultern und richtete sich auf. Mike führte sie zu seinem Wagen. Im Revier herrschte ein reges Treiben. Niemand nahm Notiz von ihnen, als er Liv in eines der Verhörzimmer führte. Er ließ sie Platz nehmen und setzte sich dann ihr gegenüber an den Tisch. Hoffentlich würde sein Freund ihm weiterhelfen können, denn wenn nicht, musste er die Akte schließen und sich in den nächsten Fall knien. Er hatte Liv mit Absicht nichts davon gesagt, denn er wollte nicht, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlte. Sie sollte einfach nur erzählen, was sie wusste.
Liv betrachtete Mike nachdenklich. Bilde ich mir das nur ein, oder wirkt Mike nervös. Gerade wollte sie ihn danach fragen, als die Tür aufging und ein untersetzter Mann, mittleren Alters eintrat. Er trug in der einen Hand drei Becher Kaffee und in der anderen hielt er eine Akte. Mike nahm ihm den Kaffee ab und reichte Liv einen Becher. Der Mann setzte sich neben Mike und musterte Liv abschätzend. „Wie fühlen sie sich Miss Bloom?“ Liv zwang sich zu einem Lächeln. „Es geht. Danke. Herr..?“ „Hunt. Kirk Hunt. Officer Mac Dog bat mich um Hilfe in ihrem Fall.“ Liv sah zu Mike. Der zustimmend nickte. „Kirk ist der Beste Profiler, den ich kenne, daher möchte ich, dass du ihm alles erzählst, was du weißt und wenn es dir noch so unbedeutend erscheint, es könnte wichtig sein. Jedes kleine Detail ist ein Puzzleteil des großen Ganzen.“ Sagte Mike und lächelte ihr aufmunternd zu. Liv sah von einem Mann zum anderen und wünschte, sie könnte einfach alles vergessen. Doch sie wusste, dass das nicht passieren würde. Seit zwei Monaten war sie wieder frei und fühlte sich denn noch gefangen. Jedes Mal wenn sie das Haus verließ, hatte sie eine Panikattacke. Sie konnte nachts nicht schlafen, und wenn ihr doch einmal die Augen zufielen, hatte sie Albträume. Von einem großen Mann, mit schwarzem Mantel und Sonnenbrille. Obwohl immer stockfinstere Nacht in ihrem Träumen herrschte, konnte sie diese Gestalt so deutlich sehen, als wäre es helllichter Tag. „Liv!“ Liv schüttelte den Kopf um ihre Gedanken zu ordnen, wie hatte sie nur so abdriften können. „Ich lief nach der Arbeit im Diner zu meinem Wagen.“ „Wie spät war es da?“ Fragte Hunt. „Vier Uhr nachmittags. Mein Wagen sprang nicht an. Also lief ich zur Busstation.“ „Ist ihnen an ihrem Wagen etwas Ungewöhnliches aufgefallen? Zum Beispiel Fußspuren oder Personen, die sich in der Nähe aufhielten?“ Unterbrach Hunt sie. Liv schüttelte mit dem Kopf. „Sie sind also zur Busstation und was geschah dann?“ „Ich habe eine halbe Stunde gewartet, doch der Bus kam nicht. Deswegen wollte ich an der Straße entlang, zur nächsten Busstation laufen. Ich war schon mehrere Minuten unterwegs, als ein Wagen neben mir hielt. Er fragte, ob er mich irgendwohin mitnehmen soll. Ich wollte einfach weitergehen, doch es hatte zu regnen begonnen und auf dem Rücksitz des Wagens, war ein Kindersitz angebracht. Also dachte ich mir, warum nicht und stieg ein. Er fuhr los und sagte, er wolle nach Oldfield um seine Mutter zu besuchen. Ich sagte, dass ich dort wohnen würde, und dankte ihm, dass er mich mitnahm.“ „Wie sah er aus?“ Fragte Hunt. „Groß, schlank, dunkles Haar und er trug so eine Piloten Sonnenbrille, weswegen ich sein Gesicht nicht sehen konnte.“ „Was geschah dann?“ Liv überlegte krampfhaft, doch sie sah nichts außer Nebel. „Das ist alles, woran ich mich erinnere.“ Resigniert ließ Liv den Kopf hängen.
Seit sie im Krankenhaus aufgewacht war, litt sie an partiellen Gedächtnislücken. Als ob ihr Gehirn sich weigern würde, ihr die Wahrheit zu enthüllen. Der Psychologe im Krankenhaus sagte ihr, dass wäre eine vollkommen normale Stressreaktion. Die sich im Laufe der Zeit geben würde. Doch die Lücken blieben, nur nachts in ihren Träumen, brachen sie auf und ängstigten sie zu Tode. Liv hatte irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft sie des Nachts, schweißgebadet hochgeschreckt war. Leider konnte sie sich nie daran erinnern, was ihr, solche Angst machte. „Können sie sich erinnern, wo sie hingefahren sind?“ Abermals schüttelte sie den Kopf, dann fiel ihr doch noch etwas ein. „Wir fuhren an einer Tankstelle vorbei und er hielt kurz darauf an einer Lagerhalle. Er meinte ich könne im Wagen warten, er sei gleich zurück. Dass Nächste, woran ich mich erinnere, ist, wie ich im Krankenhaus aufgewacht bin.“ Plötzlich wurde die Tür zum Verhörraum aufgerissen und ein Polizist stürmte hinein. Als er Liv und den Profiler erblickte, blieb er wie angewurzelt stehen. „Verzeihung! Mike könntest du mal kurz?“ Mike wandte sich an Liv, ehe er eine Antwort gab. „Ich bin gleich wieder zurück?“ Liv nickte zustimmend und sah zu, wie Mike den Raum verließ. Sobald die Tür ins Schloss fiel, wurde sie nervös, ihr Puls begann zu rasen, jeder Muskel in ihrem Körper spannte sich an. Am liebsten wäre sie davon gelaufen. Sie ertrug es einfach nicht, in einem so kleinen Raum eingesperrt zu sein, zumal die Spiegel um sie herum, sie an ihr Martyrium erinnerten. Solange Mike bei ihr war, konnte sie die Panik zurückdrängen, doch nun, da er fort war, schnappte sie verzweifelt nach Luft. Kalter Schweiß brach ihr am ganzen Körper aus, ihre Hände zitterten so stark, dass sie beinah den Kaffeebecher umgestoßen hätte. Hastig stand sie vom Stuhl auf, der polternd hinter ihr umfiel und stürmte auf die geschlossene Tür zu. In dem Moment, da sie die Tür erreichte, wurde sie aufgerissen und Mike stand ihr gegenüber. Er riss die Augen weit auf, als er ihren desolaten Zustand bemerkte. Sein Blick schweifte hinter sie, zu dem umgestürzten Stuhl. „Was ist passiert?“ Seine Stimme klang so zornig, dass Liv zusammenzuckte. „Liv, was ist los?“ Fragte er dieses Mal ein wenig sanfter. Doch Liv bekam kein Wort heraus, noch immer, versperrte Mike ihr die Tür und ihr Körper schrie sie an, sie solle ihn einfach umrennen. Hunt räusperte sich hinter ihr. „Miss Bloom, hat offensichtlich eine Panikattacke und an ihrer Stelle, würde ich sie durchlassen, ehe sie sie überrennt.“ Mike sah Liv in die Augen, sie erinnerten ihn, an ein Wildtier, das weder vor noch zurück kann. Er atmete einmal tief durch, um sich wieder zu beruhigen. Dann hob er ganz langsam eine Hand. Liv verfolgte jede seiner Bewegungen mit Argusaugen. Leise redete er auf sie ein. „Ganz ruhig Liv. Es ist alles in Ordnung. Dir passiert nichts.“ Allmählich begann sie ruhiger zu atmen, ihr Körper entspannte sich und ihre Augen suchten die seinen. Sie atmete nun im gleichen Rhythmus wie er. Mike legte ihr seine Hand auf die Schulter und zog sie langsam zu sich. Im nächsten Moment warf sie sich an seine Brust und begann heftig zu schluchzen. Mike schloss sie in seine Arme und strich ihr tröstend über den Rücken. Nachdem Liv sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, löste sie sich aus Mikes Armen und ging zum Tisch zurück. Hob ihren Stuhl auf und setzte sich wieder. Beide Männer sahen sie ungläubig an. „Ich möchte, dass nur schnell hinter mich bringen, also machen sie Hunt, stellen sie ihre Fragen.“ Hunt und Mike setzten sich ebenfalls wieder hin. Nachdem sie die Geschichte noch ein weiteres Mal erzählt hatte, verabschiedete sich Hunt von ihnen und verließ den Raum. „Du hättest es mir sagen sollen.“ Sagte Mike und sah Liv in die Augen. Livs Gesicht verzog sich vor Selbsthass. „Ich weiß. Ich dachte, ich hätte es unter Kontrolle. Tut mir leid, dass ich dir Ärger gemacht habe.“ Mike unterbrach sie. „Darum geht es nicht.“ Liv sah, dass er noch mehr sagen wollte, doch er schwieg. „Worum dann?“ Mike schüttelte den Kopf. „Nicht so wichtig. Komm lass uns gehen.“ Er reichte ihr die Hand. Doch Liv ignorierte sie. „Nein ich will wissen, worum es geht.“ Mike seufzte und ließ die Hand wieder sinken. „Es geht darum, dass dieser Fall zu den Akten gelegt werden soll.“ Und darum, dass ich etwas für dich empfinde. Dachte er, doch das sprach er nicht laut aus. Sie würde es nicht verstehen. Bestimmt würde sie schreiend vor ihm, davon rennen, wenn sie wüsste, was er für sie empfand. Wenn es ihm nur um Sex ginge, dann könnte er sie verführen, sobald der Fall geschlossen war, aber er wollte mehr. Er wollte eine richtige Beziehung, wollte mit Liv zusammen sein und sie vor allem Bösen, dieser Welt beschützen.
Schade dachte Liv. Sie hatte so gehofft, dass es ihm um sie ging, doch er dachte nur an den Fall. Niedergeschlagen stand sie auf. „Danke für deine Hilfe.“ Dann verließ sie den Raum und kämpfte gegen ihre Tränen an. Jetzt nur nicht weinen; dachte sie und ging auf den Ausgang des Polizeireviers zu. Niemand folgte ihr oder rief sie zurück. Sie trat ins Freie. Die Sonne stach ihr in den Augen, sodass sie den Blick senken musste, während sie zu dem Taxi ging, dass nur wenige Meter von Liv entfernt, auf sie wartete. Mike sah Liv nach, wie sie ins Taxi stieg und für immer aus seinem Leben verschwand. Denn sein Boss hatte angeordnet, den Fall zu den Akten zu legen. Mike hatte keine Wahl, er musste die Ermittlungen einstellen. Wenn doch nur Hunt, ihm einen Hinweis hätte geben können. Etwas womit er seinen Boss hätte überzeugen können, eine Spur zu haben. Doch Hunt, hatte aus den wenigen Details die Liv ihm hatte sagen können, kein Profil erstellen können. Und so war Mike am Ende seiner Möglichkeiten angelangt. Er hoffte nur, dass dieser Psychopath bald einen Fehler machte, denn aufhören würde dieser Kerl erst, wenn er Tod oder sicher verwahrt war. Da war sich Mike absolut sicher.
„Mac Dog. Jemand hat einen Mord gemeldet. Fahren sie zu dieser Adresse und sehen sich die Sache Mal an.“ Sein Boss reichte ihm einen Zettel. Als Mike die Adresse las, wurde ihm eiskalt. Es war das Lagerhaus, wo er vor etwas mehr, als einem Jahr Liv gefunden hatte. Er hatte Liv seitdem Tag, da ihre Akte geschlossen wurde, nicht mehr gesehen. Oft hatte er überlegt, ob er sie anrufen, oder Mal bei ihr vorbei fahren sollte, doch er hatte den Gedanken immer wieder verworfen. Sicher wollte sie nicht ständig an ihr Martyrium erinnert werden, denn obwohl er sie dort rausgeholt hatte, so war er doch eine ständige Mahnung, an das, was geschehen war. „Ist das Opfer bekannt?“ Fragte Mike und betete inständig, dass es nicht wieder eine Frau war, denn dann müsste er nicht befürchten, dass der Psychopath zurück war. Sein Boss schüttelte den Kopf. „Nein, wir wissen nur, dass sie weiblich ist.“ Mike spürte, wie ihm jede Farbe aus dem Gesicht wich, vor seinem geistigen Auge schob sich das Bild von Liv. Liv wie sie sich verängstigt und geschunden in die hinterste Ecke des kleinen Raumes drängte. Wie sie ihn mit ihren großen Augen anflehte, ihr nichts zu tun. Mike schüttelte den Gedanken ab und verließ mit seinem Partner, die Dienststelle. Als sie bei der Lagerhalle ankamen, waren bereits ein Ambulanzfahrzeug und die Spurensicherung vor Ort. Mike betrat das Lagerhaus und ging zu der Tür, die ein Kollege vor Ort ihm zeigte. Es ist derselbe Raum, wie damals, schoss es ihm durch den Kopf. Sein Herz raste, Adrenalin wurde durch seinen Körper gepumpt. Er legte die Hand auf die Klinke und gab der Tür einen Stoß. Langsam fiel ein Lichtstrahl in den Raum und gab den Anblick auf die Leiche frei. Mike stockte der Atem. „Nein, nein das kann nicht wahr sein.“ Stieß er hervor und stürmte in den Raum.
Liv war gerade dabei sich etwas zu Essen in die Mikrowelle zu schieben, als es läutete. Sie schloss die Mikrowelle und stellte die Zeit ein, ehe sie zu ihrer Wohnungstür lief. Sie sah durch den Spion und erstarrte. „Mike.“ Stieß sie atemlos hervor. Wieder läutete es, dann klopfte er gegen die Tür. Sie hatte geglaubt, sie würde ihn niemals wiedersehen. Gut die ersten Wochen, hatte sie die leise Hoffnung gehabt, er würde sich bei ihr melden, doch nach schier endlosen Monaten, hatte sie einsehen müssen, dass er sich nicht bei ihr melden würde. Was machte er jetzt hier. Gerade jetzt, wo alles wieder halbwegs normal war. Gut nachts hatte sie noch immer Albträume, aber es waren weniger geworden, und nun tauchte er einfach wieder bei ihr auf. In ihr regte sich Wut, die Wut gab ihr die Kraft, die Tür aufzumachen. Mike schien erleichtert, als er sie erblickte, doch kaum wollte sie fragen, was los sei. Da piepte die Mikrowelle. „Komm rein.“ Sagte Liv, während sie in die Küche ging, um ihr Essen, aus der Mikrowelle zunehmen. Mike folgte ihr und setzte sich an den Tresen. Er räusperte sich, ehe er fragte. „Geht es dir gut?“ Liv wirbelte zu ihm herum und sah ihn, mit zusammen gekniffenen Augen an. „Warum interessiert es dich auf einmal, ob es mir gut geht? Spiel keine Spielchen mit mir Mike. Er ist wieder da; hab ich recht?“ Fuhr sie ihn an. Mike schien ehrlich verblüfft von ihrer heftigen Reaktion. „Ich hab dir doch gesagt, dass der Fall zu den Akten gelegt wird.“ Nun wich der Zorn von Liv. Sie wusste selbst nicht, warum sie ihn so angefahren hatte. „Du hast recht, es tut mir leid. Also sag mir, warum bist du hier?“
Mike glaubte kurz so etwas wie Hoffnung, in ihrem Gesicht lesen zu können, doch es verschwand so schnell, dass er sich nicht sicher war, ob er es sich nicht bloß eingebildet hatte. „Heute Morgen ist die Leiche einer Frau gefunden worden. In dem Lagerhaus, in dem ich auch dich fand.“ Liv nickte nur und nahm sich einen Teller aus dem Schrank, als sie ihn abgestellt hatte, fuhr er fort. „Sie sieht aus wie du Liv, ihr könntet Zwillinge sein.“ Liv öffnete den Mund, doch kein Ton kam über ihre Lippen. Dann schloss sie ihn wieder und sah Mike an. „Dann ist er also wieder da.“ Sagte sie mit einer Ruhe und Gewissheit in der Stimme, als hätte sie immer gewusst, dass er eines Tages, wieder auftauchen würde. Mike nickte. „Sieht ganz so aus.“ Dann schwiegen beide, für eine Weile saßen sie einfach nur da und hingen ihren Gedanken nach. Ein kratzendes Geräusch ließ Mike aufhorchen. Er sah sich suchend in der hellen Küche um. Da war es wieder. „Was ist das für ein Geräusch?“ Liv hob den Blick und sah ihn stirnrunzelnd an. Es war die lautlose Antwort auf seine Frage und bedeutete; „Was meinst du?“ Da war es wieder. Es hörte sich an, als führe jemand mit den Fingernägeln über eine Schultafel. Liv lauschte nun ebenfalls und lächelte dann verschmitzt. Es war so schön sie einmal Lächeln zu sehen. Das ihm warm ums Herz wurde. Liv stand auf und öffnete die Küchentür. Ein schwarz- weiß gefleckter Schatten schoss in den Raum, umrundete zweimal den Stuhl, auf den Mike saß, und schlich dann Liv um die Beine. Liv beugte sich zu der Katze hinunter und strich über ihr Fell. Das Schnurren, das daraufhin, die Katze von sich gab, war nicht zu überhören. Unwillkürlich musste Mike schmunzeln. Genau dieses Bild hatte er sich damals, vor ziemlich genau einem Jahr ausgemalt. Hatte sich gewünscht, aus ihm und Liv, könnte mehr werden. Vielleicht sogar eine Familie, doch dann hatte er kalte Füße bekommen, hatte sich hinter seiner Arbeit versteckt, nur damit er sich nicht eingestehen musste, dass er dafür zu Feige war. Nun war es bestimmt zu spät, als das Er sich Hoffnungen machen könnte. Welche Frau wartet schon ein Jahr lang auf eine Einladung? Keine. Beantwortete er sich selbst seine Frage und schüttelte resigniert den Kopf. „Wie heißt denn, dein kleiner Freund?“ Fragte er, um sich etwas von dem deprimierenden Gedanken abzulenken. Mike sah, wie Liv zögerte, dann fasste sie Mut und nahm den Kater auf den Arm. Sie lief um den Tresen herum und blieb vor ihm stehen. „Mike, ich hab ihn Mike genannt.“
Wenig später saß Mike in seinem Wagen und starrte gerade aus, ohne dass er etwas wahrnahm. Wieso hatte sie die Katze Mike genannt, das ergab keinen Sinn für ihn. Der Kater hatte sich sofort an ihm gerieben und seinen Duft an seinem Hosenbein verteilt. So als würde er irgendwie dazugehören. Dabei kannte er den Kater gar nicht, ja er mochte Katzen nicht einmal besonders. Doch Mike hatte ihn wie einen lang vermissten Freund begrüßt. Er schüttelte den Gedanken an Mike ab und startete den Motor. Dann fuhr er davon und schwor sich, die ganze Sache nur noch von der professionellen Seite zu betrachten und danach zu handeln. Und wenn das hieß, dass er einen seiner Kollegen den Fall Liv Bloom übertragen musste, dann würde er das tun. Denn wenn er seinen Gefühlen nachgab, würde er Fehler machen, Fehler mit möglicherweise tödlichen Folgen.
Hallo Baby! Oh ja. Nun komm schon, dreh dich zu mir um. Ja genauso. Sie ist perfekt. Ihre Gesichtszüge und ihr Haar sehen aus, wie von Liv. Und ihre Figur erst, nach ihr habe ich gesucht. Liv wird wissen, dass sie gemeint ist. „Hallo, ich heiße Nate. Darf ich dich auf einen Kaffee einladen?“ Sie verzieht den Mund zu einem Lächeln. Vor Vorfreude, was ich mit ihr tun werde, beginnt mein Körper zu vibrieren. „Gern Nate, ich bin übrigens Cynthia.“ Sie streckt mir ihre Hand entgegen und ich nehme sie, ehe wir zu meinem Wagen gehen. Es ist so einfach, als würde ich ein Schaf zur Schlachtbank führen. Sie ahnt ja nicht, was ihr noch bevorsteht. Das ahnen sie nie, und wenn sie die Wahrheit über mich kennen, ist alles zu spät. Dann sitzen sie in der Falle und kommen nie mehr hinaus. Cynthia lächelt mich breit an, während sie sich auf den Beifahrersitz setzt. Ich schließe ihre Tür, bevor ich mich auf den Fahrersitz sinken lasse. Dann fahre ich los. Vorbei an etlichen Cafés und Restaurants. Langsam wird Cynthia neben mir unruhig, doch ich will noch nicht, dass sie Angst bekommt, also lächle ich sie an. Langsam entspannt sie sich wieder. „Ich habe eine kleine Hütte oben im Wald.“ Sage ich und genieße, die zarte Röte, welche langsam an ihrem Hals aufsteigt und ihre Wangen aufblühen lässt. Spielerisch schlägt sie mir auf den Arm und lacht mich offen an. „Du bist ein ganz schlimmer Junge, Nate.“ Neckt sie mich. Unwillkürlich muss ich laut auflachen. Im Stillen denke ich mir; wenn du wüsstest. Wie Recht du damit hast?
Liv starrte seit Stunden auf ihr Telefon, doch es gab keinen Mucks von sich. „Was hast du denn erwartet?“ Schalt sie sich selbst. „Hast du wirklich geglaubt, er würde dich anrufen?“ Nein, das hatte sie nicht, ihr Verstand hatte sie davor gewarnt, sich Hoffnungen zumachen, doch ihr Herz hatte ihr nicht glauben wollen. Nun da es die Wahrheit erkannte, schmerzte es heftig in ihrer Brust und Liv wünschte sich, Mike wäre niemals zurückgekommen. Das Läuten des Telefons riss sie unsanft aus ihren Gedanken. Sie nahm den Hörer ab und hielt ihn sich ans Ohr. „Ja, Bloom.“ Sagte sie und lauschte, doch es kam nur ein heißeres atmen und stöhnen durch die Leitung. Liv zwang sich, erst einmal tief, durchzuatmen. „Was wollen sie? „Wer spricht da?“ Sie konnte ein Kichern hören. Es klang eindeutig männlich. Ein Schauer überlief sie. Liv zitterte am ganzen Körper, das Telefon fiel scheppernd zu Boden und zersprang in mehrere Einzelteile. Benommen vor Schreck stand sie da und starrte, dass zerstörte Telefon an. Liv hatte keine Ahnung, wie lange sie so da stand und als es an der Tür klopfte, fuhr sie erschrocken zusammen. Sie musste erst einmal tief durchatmen, ehe sie zur Tür gehen konnte. Wer mochte das wohl sein?
Mike hatte stundenlang das Für und Wider abgewogen, schließlich hatte er eingesehen, dass er Liv nicht einfach an einen Kollegen abtreten konnte. Sein Chef hatte ihn zu dieser Entscheidung beglückwünscht. Denn Maxwell fand, er solle den Fall selbst zu Ende bringen. Damit er sich neuen Sachen ganz ohne Schuldgefühle widmen könne. Natürlich war das mit den Schuldgefühlen Quatsch. Denn wenn er sich schuldig fühlte, dann nur deshalb, weil er nicht über seinen Schatten springen und Liv nach einem Date fragen konnte. Mike stieg aus seinem Wagen und lief zu Livs Tür. Er läutete. Als nichts geschah, klopfte er. Die Tür schwang langsam auf. Mike zog seine Waffe und trat durch die Tür. Vorsichtig ging er von Raum zu Raum. Als er in die Küche kam, sah er die Bruchstücke des Telefons am Boden liegen. Sein Herz raste in seiner Brust. Ich sollte Verstärkung rufen, dachte er, als ein Geräusch, im Flur ihn aufhorchen ließ. Schnell schritt er aus der Küche und folgte dem Geräusch. Es klang wie ein Wimmern. Es waren nur wenige Meter bis zum Wohnzimmer und doch kam es ihm so vor, als müsste er etliche Kilometer zurücklegen. Im Wohnzimmer brannte kein Licht und die Vorhänge waren zugezogen, sodass er kaum etwas erkennen konnte. Am Boden lag eine zusammen gekrümmte Gestalt. Langsam ging er darauf zu und beugte sich darüber. Sein Herz setzte für einen Schlag aus, als er sie erkannte. „Liv. Liv! Geht es dir Gut?“ Stieß er völlig entsetzt hervor und streckte die Hand nach ihr aus. Er zögerte nur einen Moment, ehe er sie an der Schulter berührte. Erleichtert stellte er fest, dass sie lebte. In diesem Moment schwor er sich, wenn dieser Fall abgeschlossen ist, lade ich sie zum Essen ein. Livs Körper begann zu zittern. Sie zitterte so heftig, dass er Angst bekam. „Liv! Ich bin es, Mike.“ Sagte er um sie zu beruhigen. Es schien zu funktionieren, denn sie entspannte sich ein wenig. Mike strich ihr eine schwarze Locke aus dem Gesicht. Er hatte geglaubt ihre Augen seien geschlossen, doch ihre Augen waren weit aufgerissen und er konnte die schiere Verzweiflung darin erkennen. Mike zog sie an sich, bettete ihren Kopf an seine Schulter und setzte sich mit ihr im Arm aufs Sofa. Eine Weile hielt er sie so, ohne dass einer von beiden etwas sagte. Beruhigend streichelte er über ihren Rücken. Schließlich stieß Liv einen tiefen Seufzer aus, sodass auch er durchatmen konnte. „Er war hier.“ Mike hätte Liv fast nicht gehört, so leise sprach sie. „Wer?“ „Er hat gesagt, er hat eine Überraschung für mich.“ „Wer?“ Liv seufzte. „Na er, der Mörder. Er sagte, ich solle mal in der Garage nachsehen.“ Mike versteifte sich unwillkürlich. „Was hat er noch gesagt? Wie sah er aus?“ Doch Liv schüttelte nur mit dem Kopf. Mike holte sein Handy aus der Jackentasche und drückte auf Kurzwahl. „Derrick schick' die Spurensicherung zu Livs Haus, er hat wieder zugeschlagen.“ „Wird gemacht. Braucht ihr einen Notarzt?“ Mike verneinte und beendete das Telefonat. Er hob Livs Kopf ein wenig an, um ihr in die Augen zu sehen. „Kann ich dich kurz allein lassen?“ Liv nickte und machte sich von ihm los. Als Mike vom Sofa aufstand, sprang der Kater zu Liv hoch und legte sich auf ihren Schoß. Sein Schnurren war so laut, dass es ihn bis zur Tür begleitete. Mike zwang sich dazu weiter zur Garage zu gehen, ohne dass er sich noch einmal nach Liv umdrehte. Ich habe einen Job zu erledigen. Redete er sich immer wieder selbst ein. Es war richtig und notwendig, dass er distanziert seine Arbeit machte. Doch warum fühlte es sich dann so falsch an.
Liv sah immer nur Blut vor sich. Egal wo sie hinsah, alles sah aus, als hätte jemand einen Eimer roter Farbe darüber geschüttet. Sie wusste natürlich, dass es nur Einbildung war. Hier im Wohnzimmer gab es schließlich kein Blut. Sie holte ein paar Mal tief Atem, doch auch das, half nicht. Noch immer zitterten ihre Hände, ihr Herz raste und ihr Kopf dröhnte. Als Mike aus der Garage kam, war er weiß wie die Wand. Er setzte sich wieder neben sie und schwieg. Es war die Ruhe vor dem Sturm, und als er schließlich losbrach, hätte Liv ihn und die anderen am liebsten hinausgeworfen. Es klopfte an der Tür. Mike öffnete, kurz darauf kamen zwei Männer in weißen einmal Overalls und verschwanden in der Garage. Derrick kam zu ihr, um ihr ein paar Fragen zu stellen, die sie so gut es ging, beantwortete. Als alle endlich wieder verschwunden waren, ging bereits die Sonne auf. Liv seufzte, die Augen fielen ihr immer wieder zu. Doch jedes Mal wenn sie die Augen schloss, sah sie das Blut und riss sie eilends wieder auf. Jemand legte ihr einen Arm um die Schulter, und als sie aufblickte, erkannte sie Mike. Für einen Moment genoss sie seine Nähe, die Wärme und Geborgenheit, die er ausstrahlte. Doch dann straffte sie die Schultern und stand auf. „Es ist besser, wenn du jetzt gehst, Mike.“ Sagte sie laut, insgeheim hätte sie lieber gesagt, dass er sie nie wieder allein lassen soll. Doch das wagte sie natürlich nicht. Nein! Bestärkte sie sich selbst. Ich schaffe das allein.
Mike war völlig am Ende, seit 36 Stunden war er nun schon auf den Beinen und fragte sich, wann er, das letzte Mal etwas gegessen hatte. Liv sah auch ziemlich fertig aus. Er ging zu ihr und nahm sie in den Arm. Er spürte, wie sie sich entspannte, doch dann schob sie ihn wieder von sich und schickte ihn fort. Selbst in seinem desolaten Zustand schmerzte ihre Zurückweisung. Doch er hatte jetzt keine Kraft mehr darüber nachzudenken, warum diese Frau ihn so magisch anzog. Er verabschiedete sich knapp und fuhr dann mit seinem Wagen davon. Er fuhr zum Revier und erledigte noch schnell ein wenig Papierkram, ehe er nach Hause fuhr. Zuhause angekommen ließ er sich ins Bett fallen und war binnen weniger Sekunden eingeschlafen. Ein schrilles Geräusch holte ihn zurück. Mike kam es so vor, als hätte er sich eben erst hingelegt, doch als er einen Blick zum Fenster warf, sah er die Sonne untergehen. Er hatte den ganzen Tag verschlafen. Das Geräusch entpuppte sich als sein Handy. Schnell angelte er es aus seiner Jackentasche und hob ab. „Ja?“ Krächzte er ins Telefon. „Mac Dog? Ich will sie in einer halben Stunde, auf dem Polizeirevier sehen, also bewegen sie sich.“ Dröhnte die Stimme seines Chefs. „Ok, Boss.“ Mike legte auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Dann ging er ins Bad und klatschte sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht, ehe er die dreckigen Klamotten auf den Haufen zu den anderen warf. Demnächst würde er wohl Wäsche waschen müssen, sinnierte er, während er sich auf den Weg machte. Zwanzig Minuten später betrat er das Büro seines Chefs. Maxwell unterhielt sich gerade mit einer jungen Frau. Sie war Anfang dreißig, trug kurzes schwarzes Haar und war ganz in schwarzes Leder gekleidet. Maxwell hob den Blick und sah zu Mike. „Ah, da ist er ja. Lisa, das ist Mike Mac Dog.“ Die Frau stand auf und drehte sich zu Mike um. Sie war unglaublich gut aussehend, nicht im Sinne von schön. Es war vielmehr ihre einmalige Ausstrahlung. Sie strahlte eine Eiserne härte aus, die manchen seiner Kollegen in die Knie zwingen würde. Sie nickten sich knapp zu und Maxwell bat sie, sich wieder zu setzen. „Lisa ist eine Expertin auf dem Gebiet der Serienkiller und Psychopathen. Sie hat den U-Bahn Schlächter und ein Paar andere ganz gemeine Kerle unschädlich gemacht. Ich hab sie gebeten, dich bei deinem Fall zu unterstützen.“ Lisa lächelte und Mike hatte den Eindruck, als würde sie dies nicht allzu oft tun. Die Tür wurde geöffnet und ein großer, breiter Kerl steckte den Kopf zur Tür herein. „Lisa kannst du Mal kurz kommen?“ Fragte der Kerl und Mike sah die Zuneigung im Blick des Mannes. Lisa erhob sich. „Bitte entschuldigt mich kurz. Wir sehen uns dann später Mike.“ Damit wandte sie sich der Tür zu. Er sah ein kleines Mädchen mit schwarzen Locken im Türrahmen stehen. Tränen kullerten ihm über die Wangen und es streckte Lisa die kleinen pummeligen Ärmchen entgegen. Die Tür wurde geschlossen und Mike wandte sich seinem Boss zu. „Also Mike. Ich möchte, dass du alles, was du in diesem Fall zusammengetragen hast noch einmal mit Lisa durchgehst.“ Mike verzog unwillkürlich das Gesicht. „Ich rate dir, sie nicht zu unterschätzen. Lisa ist die Beste in ihrem Job, sie hat eine 99-prozentige Erfolgsquote und sie kann verdammt ungemütlich werden, also verscherz es dir nicht mit ihr.“ Mike war Widerwillen beeindruckt. Er kannte niemanden, der eine so hohe Erfolgsquote hatte und er hoffte wirklich, dass sie ihm helfen konnte. Allein schon wegen Liv. Er konnte ihren Anblick einfach nicht vergessen, als er sie verlassen hatte. Sie hatte so verloren gewirkt, so als könnte sie sich jeden Moment in Luft auflösen. Die Tür wurde wieder geöffnet und Lisa trat in den Raum, auf dem Arm trug sie das kleine Mädchen. „Wir fahren ins Hotel Max. Wenn das erst mal alles ist.“ Maxwell nickte und wandte sich dann an Mike. „Setzen sie Lisa am Hotel ab und setzen sie sie über den Ermittlungsstand in Kenntnis. Sie hat alle Befugnisse, genau wie ihr Mann. Also können sie offen mit ihnen reden.“ Mike nickte und stand von seinem Stuhl auf. An der Tür hielt er noch einmal inne. „Werden sie mir den Fall wegnehmen?“ Fragte er ohne sich zu seinem Boss umzudrehen. „Nein ich möchte, dass sie mit Lisa zusammenarbeiten. Das ist alles.“ „Gut.“ Mike wusste selbst nicht, warum er diese Frage gestellt hatte. Aber die Erleichterung, die er nun verspürte, war ihm unheimlich.
Nachdem er sich die Unterlagen und seinen Laptop geschnappt hatte, fuhr Mike die Westmans ins Hotel. Die Westmans logierten in einer Suite mit zwei Schlafzimmern, einer Wohn-Essraumkombination und einem Arbeitszimmer. Offenbar hatten sie sich auf einen längeren Aufenthalt eingerichtet. Mike setzte sich auf die Couch im Arbeitszimmer und stellte seinen Laptop an. Kurz darauf kam auch Lisa herein und setzte sich neben ihn. „Ok, dann zeig Mal, was du hast.“ Forderte sie ihn auf. Mike runzelte leicht irritiert die Stirn. Hatte sie ihn gerade wie einen Streifenpolizisten, wie einen Grünschnabel behandelt. Möglich dachte er, entschied sich aber dann, es einfach zu ignorieren. Er machte die wichtigen Dateien auf und schob ihr den Laptop rüber. Mehrere Minuten vergingen, während sie die Daten durchging. „Haben sie schon eine Idee, wer es sein könnte?“ Mike schüttelte den Kopf. „Nein. Keins seiner Opfer hat überlebt, bis auf Liv natürlich. Doch Liv kann sich an fast nichts erinnern, sie hat noch heute Gedächtnislücken, was die Tat und den Täter betrifft.“ Lisa nickte und sah sich dann die Papiere durch, die er neben den Laptop gelegt hatte. „Kirk Hunt?“ Fragte sie. „Er ist Profiler, ich hatte ihn vor einem Jahr hinzugezogen, doch er konnte mit den wenigen Angaben, die Liv machte, nichts anfangen.“ Lisa schob den Stapel beiseite und schwieg eine Weile. „Ich denke ich sollte Liv kennenlernen, machen sie für Morgen einen Termin mit ihr, aber nicht auf dem Revier, irgendwo wo sie sich wohlfühlt und wir uns ungestört unterhalten können.“ Mike nickte bloß und holte sein Handy aus der Tasche. „Lassen sie die Unterlagen bis morgen hier. Duncan will sie sich auch noch ansehen, er bringt gerade Rose ins Bett.“ Mike wollte schon protestieren, doch dann fielen ihm die Worte seines Bosses wieder ein und er stimmte zu. Da Liv nicht ans Telefon ging, beschloss er bei ihr vorbei zu fahren und Lisa dann Bescheid zu geben.
Liv tigerte ziellos im Haus umher. Sie wagte es nicht, sich hinzusetzen, geschweige denn hinzulegen. Sie hatte eine Heidenangst davor einzuschlafen, denn sobald sie schlief, würde der Albtraum zurückkommen und das musste sie um jeden Preis verhindern. Irgendwo läutete ein Telefon, doch sie beachtete es gar nicht. Dann klopfte es an der Tür. Livs Herzschlag setzte einen Moment aus, ehe er davon galoppierte. Sie war einer Panik nahe und wusste, dass sie sich unbedingt wieder beruhigen musste. Das Erste, was ihr in den Sinn kam, war Mikes Gesicht, sofort entspannte sich ihr Körper. Wieder klopfte es und Liv wünschte sich Mike wäre hier. „Liv. Ich bin es. Mach auf!“ Riss sie eine wohlbekannte Stimme aus ihren Gedanken. Liv atmete einmal tief durch und öffnete die Tür. Liv hätte sich am liebsten in seine Arme geworfen. So erleichtert war sie, ihn zu sehen. Doch das ging nicht, also trat sie nur beiseite um ihn ein Zulassen. „Wie geht es dir Liv?“ Liv setzte ein schiefes Lächeln auf. „Es geht schon.“ Mike nickte bloß. „Maxwell, mein Boss, hat eine Spezialistin engagiert. Sie will sich morgen mit dir treffen.“ Also war er wieder nur beruflich hier, enttäuscht ließ sie die Schultern hängen und wandte ihr Gesicht ab, ehe er die Tränen in ihren Augen entdeckte. Sie lief ins Wohnzimmer und tat so, als würde sie nach draußen sehen. In Wahrheit aber sah sie nichts, nur die endlose Leere, die sie in sich wahrnahm. Würde ihr Leben jemals wieder „Normal“ sein. Liv wusste es nicht, denn sie hatte keine Ahnung mehr, was überhaupt „Normal“ ist. „Wann und wo?“ Fragte sie, als sie ihrer Stimme wieder trauen konnte. „Lisa meinte, du sollst dir einen Ort aussuchen, wo du dich wohlfühlst und ihr ungestört reden könnt.“ Lisa! Also nennt er sie schon beim Vornamen. Wie lange kennt er sie eigentlich? „Sag ihr, wir treffen uns hier. Um 14Uhr.“ Sagte sie kühl, um ihn ihre Unsicherheit nicht merken zulassen. Sie hörte, wie er näher kam. Direkt hinter ihr, blieb er stehen. Er stand so dicht, dass sie die Wärme seines Körpers wahrnahm. Ich bräuchte mich nur ein wenig nach hinten zu lehnen. Dachte sie und seufzte innerlich. Wann würde sie endlich kapieren, dass Mike nichts von ihr wollte. Sie trat einen Schritt zur Seite. Als sie seine Augen in der Scheibe sah, glaubte sie einen Moment, Schmerz darin zusehen. War sich aber nicht sicher.
Auf dem Heimweg konnte Mike, Livs Gesicht nicht vergessen, als er Lisa erwähnte. Es hatte fast so ausgesehen, als sei sie eifersüchtig. Warum aber, war sie dann vor ihm zurückgewichen? Er wusste wirklich nicht, was er machen sollte. Er hatte alles versucht um sie zu vergessen, doch das hatte nicht funktioniert. Am nächsten Morgen fuhr er zur Polizeiwache und ließ sich die Informationen zu dem Opfer, aus Livs Garage geben. Cynthia war erst 25 gewesen, Studentin am hiesigen College und auch sonst eher unauffällig. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen ihr und Liv war ihr Aussehen. Genau wie das letzte Opfer in der Lagerhalle könnte sie ihre Schwester sein. Offenbar hatte der Psychopath eine Vorliebe für Livs Typ. Um 13 Uhr holte er Lisa und Duncan vom Hotel ab und fuhr mit ihnen zu Liv. Liv wirkte seltsam distanziert, als sie ihre Gäste begrüßte. Vor allen ihm gegenüber gab sie sich kühl. Liv hatte sogar Make-up aufgelegt, wahrscheinlich um die dicken Ringe unter ihren Augen zu kaschieren. Sie sah aus, als hätte sie überhaupt nicht geschlafen. Bei diesem Gedanken zog sich Mikes Herz schmerzhaft zusammen.
Lisa sah sich in dem Raum um. Das Wohnzimmer war liebevoll eingerichtet, überall standen Fotos und kleine Figuren. Erinnerungen aus einem früheren, glücklicheren Leben, schoss es ihr durch den Kopf. Lisa sah sich die Frau genauer an. Sie hatte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden und versucht mit Make-up die Spuren der letzten Nacht zu tilgen. Doch Lisa sah ihr die Erschöpfung an. Sie sah den Schmerz und die Angst. Denn sie selbst hatte schon einiges durchmachen müssen. Duncan drückte sanft ihre Hand und zeigte ihr so, dass auch er Verstand was hier los war. Duncan erhob sich. „Kommen sie Mike, lassen wir die beiden kurz allein reden.“ Mike schaute kurz zu Liv, dann nickte er und ging mit Duncan hinaus. Lisa sah, wie sich die Frau versteifte und wusste, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag. Doch sie sagte nichts, wartete einfach nur ab. Irgendwann entspannte Liv sich und fing ganz von selbst zu erzählen an. „Also ich denke sie kennen die Akten?“ Lisa nickte. „Dann wissen sie alles, was ich weiß. Mehr fällt mir nicht mehr ein.“ „Versuchen sie es trotzdem, beginnend bei dem Tag, bevor das Ganze passierte.“ Livs Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an und ihr ganzer Körper zitterte vor Anspannung. „Das war ein Sonntag. Ich bin mit meiner Freundin im Kino gewesen.“ Sagte sie und runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht mehr was wir uns angesehen haben.“ „Ist gut. Was haben sie danach gemacht?“ „Wir waren noch in einer Bar und haben etwas getrunken. Danach haben wir uns ein Taxi geteilt.“ „Wer von ihnen ist zuerst ausgestiegen?“ „Maggie. Sie wohnte nur zwei Straßen weiter.“ Liv schwieg eine Weile. „Sie ist vor ein paar Monaten in einen anderen Staat gezogen.“ „Was haben sie gemacht, als sie zu Hause waren?“ „Ich bin gleich ins Bett, da ich am nächsten morgen früh raus musste.“ Lisa nickte und bedeutete Liv fortzufahren. „Am Morgen bin ich zur Arbeit gefahren. Vier Uhr nachmittags hatte ich Feierabend. Mein Wagen sprang nicht an. Also lief ich zur Busstation. Ich habe eine halbe Stunde gewartet, doch der Bus kam nicht. Deswegen wollte ich an der Straße entlang, zur nächsten Busstation laufen. Ich war schon mehrere Minuten unterwegs, als ein Wagen neben mir hielt. Der Mann fragte, ob er mich irgendwohin mitnehmen soll. Ich wollte einfach weitergehen, doch es hatte zu regnen begonnen und auf dem Rücksitz des Wagens, war ein Kindersitz angebracht. Also dachte ich mir, warum nicht und stieg ein. Er fuhr los und sagte, er wolle nach Oldfield um seine Mutter zu besuchen. Ich sagte, dass ich dort wohnen würde, und dankte ihm, dass er mich mitnahm.“ An dieser Stelle stockte Liv der Atem. Sie begann, am ganzen Körper zu zittern. „Ich war ja so dumm.“ Flüsterte Liv so leise, dass Lisa es mehr von ihren Lippen las, als hörte. Schließlich schluckte sie und sah Lisa direkt an. „Er ist ein alle Welt Typ, der nette Nachbar von nebenan. Wissen sie, was ich meine? Dunkles Haar, groß, schlank und er trug so eine Piloten Sonnenbrille, wie die meisten Männer, wenn sie cool wirken wollen.“ Lisa wusste genau, was Liv meinte. Nur hatte sie Liv etwas voraus; sie wusste, dass die Unscheinbaren, die gefährlicheren Typen waren. Gerade weil sie nicht auffielen, wurden sie selten verdächtigt und noch seltener gefasst. Meistens beging so jemand Selbstmord, wenn er sein Ziel erreicht hatte. „Das ist alles, woran ich mich erinnere.“ Resigniert ließ Liv den Kopf hängen. Lisa sah ihr forschend ins Gesicht. „Was geschah, nachdem sie gerettet wurden?“ „Meinen sie im Krankenhaus?“ Lisa nickte. „Ja. Und als sie entlassen wurden.“ Livs Gesicht nahm eine unnatürliche Graufärbung an und kleine Schweißperlen traten ihr auf die Stirn. „Ich bekam Albträume. Ein großer Mann, mit schwarzem Mantel und Sonnenbrille verfolgte mich. Obwohl immer stockfinstere Nacht in den Träumen herrscht, konnte ich diese Gestalt so deutlich sehen, als wäre es helllichter Tag. Ich habe darüber mit meinem Therapeuten gesprochen. Er meinte, es sei eine völlig normale Reaktion.“ Lisa kannte sich aus, mit dem posttraumatischen Stresssyndrom, etwas stimmte an dieser Geschichte nicht. „Was hat sich noch geändert?“ Liv seufzte. „Ich hatte das Gefühl, von ihm beobachtet zu werden.“ „Jetzt nicht mehr?“ Liv schüttelte den Kopf. „Mama!“ Ertönte eine weinerliche Stimme aus dem Flur. Kurz darauf kam ein kleines Mädchen hereingestürmt und versuchte auf Lisas Schoß zu klettern. Als sie es schließlich geschafft hatte, setzte sie sich kerzengerade hin und sah zu Liv. Auf ihrer Stirn erschien eine steile Falte, dann lächelte die kleine und Liv wurde leichter ums Herz. Sie merkte, wie sie das Lächeln erwiderte und sich ein wenig entspannte. „Rose. Das ist Liv ich versuche ihr gerade zu helfen.“ Die Kleine sah von Liv zu ihrer Mutter und nickte. „Will auch.“ Sagte Rose und streckte Liv ihre kleinen Händchen entgegen. Liv nahm sie instinktiv in ihre Hände und fühlte sich gleich um zehn Kilo leichter. Liv hörte, wie jemand scharf die Luft einsog, und erschrak so sehr, dass sie sich losriss. Als sie den Blick hob, sah sie in Mikes blasses Gesicht. Er wirkte so erschrocken, dass sie fürchtete, jemand stünde mit gezogener Waffe hinter ihr. Doch als sie sich umsah, war alles wie immer. Mike schien sich von seinem Schrecken jedoch schnell erholt zu haben. Denn nun sah er wieder völlig entspannt aus. Liv warf dem kleinen Mädchen einen Blick zu, sicherlich würde das Kind ihr nun nicht mehr so schnell die Hände entgegen strecken. Doch die Kleine lächelte sie nur an, ließ sich vom Schoß ihrer Mutter rutschen und kuschelte sich an Livs Seite. Liv war so überrascht, dass sie fast vergaß zu atmen. Die Kleine tätschelte ihr die Knie und meinte dann. „Mach dir keine Sorgen. Meine Mama wird den bösen Mann für dich fangen.“ Danach lächelte die Kleine sie an und nickte bekräftigend, ehe sie aus dem Raum lief. Liv fühlte, wie sich ihre Mundwinkel leicht zu einem Lächeln verzogen. Sie fühlte sich nun schon wesentlich entspannter.
Lisa fand für heute, hatte Liv genug durchgemacht und fuhr mit ihrer Familie wieder ins Hotel. Liv lehnte schwer atmend an der Tür und blickte den Dreien nach, wie sie zu ihrem Taxi gingen und davon fuhren. Mike tauchte neben ihr auf und sah ihr prüfend ins Gesicht. Für einen kleinen, winzig kleinen Moment glaubte sie, er würde sie an sich ziehen und sie einfach nur im Arm halten. Doch dann straffte er sich und alle Sanftheit wich von ihm. Zurück blieb nur der kalte, effiziente Polizist. Erst jetzt wurde Liv bewusst, wie sehr ihr die Umarmung der kleinen Rose und deren Abschiedskuss gefallen hatten. Wie sehr sie die Nähe gebraucht hatte. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann wünschte sie sich diese Nähe, von einem ganz bestimmten Menschen zu bekommen. Traurig schüttelte sie den Kopf, denn sie wusste, dass Mike Mac Dog sie niemals als Frau wahrnehmen würde. Er würde immer das Opfer in ihr sehen.
Das Telefon klingelte, verschlafen griff Mike danach und hielt es sich ans Ohr. „Hallo?“ „Mac Dog kommen sie sofort ins Krankenhaus. Es hat einen schweren Unfall auf der A3 gegeben.“ Bellte sein Boss ohne jede Vorwarnung. „Was soll ich bei einem Verkehrsunfall?“ Fragte Mike verwirrt. Doch sein Boss hatte bereits aufgelegt. Mike schüttelte den Schlaf ab und lief ins Badezimmer, wobei er über die Wäsche der letzten Wochen steigen musste, die seinen Fußboden bedeckte. Nach einer kurzen Dusche zog er sich rasch an und fuhr zum Krankenhaus. Sein Boss stand mit Lisa und weiteren Polizisten vor dem Eingang. So langsam dämmerte Mike, dass das kein normaler Unfall war. „Mac Dog! Kommen sie her.“ Rief sein Boss quer über den Parkplatz. Mike holte tief Atem und straffte sich, ehe er dem Befehl nachkam.
„Keine Zeit für Höflichkeiten, also hören sie zu.“ Unterbrach ihn sein Chef, noch ehe er etwas sagen konnte. „Der Unfall ereignete sich vor etwa einer Stunde auf der A3. Der Beifahrer ist nur leicht verletzt gewesen. Man hat seine Daten aufgenommen und ihn gehen lassen. Nach der Routine mäßigen Überprüfung kam heraus, dass der Mann für den er sich ausgab, bereits seit zehn Jahren Tod ist.“ Mike wollte etwas sagen, doch da unterbrach ihn sein Boss abermals. „Das zweite Unfallopfer ist eine Frau, sie wird derzeit operiert. Man weiß noch nicht, ob sie durchkommt. Und nun kommen wir zu dem Grund, warum sie beide hier sind.“ Damit blickte er Lisa und Mike an. „Die Frau hat eine auffallende Ähnlichkeit mit Liv Bloom. Es muss nichts bedeuten. Ich weiß. Aber, sie sagte etwas von - er will mich töten. Während sie in den OP geschoben wurde. Also wenn mich mein Instinkt nicht trügt und das hat er noch nie. Dann ist diese Frau ein weiteres Opfer unseres Psychopathen.“ Mike holte einmal tief Atem, er hatte gar nicht bemerkt, dass er die Luft angehalten hatte. „Wann können wir mit ihr sprechen?“ Sein Boss schüttelte den Kopf. Was nur bedeuten konnte, dass er es selbst nicht wusste. „Ich werde mit dem Krankenhauspersonal sprechen. Vielleicht erinnert sich jemand, wie der Beifahrer ausgesehen hat. Gibt es eigentlich eine Überwachungskamera im Gebäude?“ Fragte Lisa. „Nein keine Kameras und nehmen sie Mac Dog mit, er kennt sich besser in diesem Fall aus, als sonst jemand.“ Damit drehte sich Maxwell um und lief zu seinem Wagen. Er öffnete die Tür und setzte sich hinters Steuer. Da kam Mike ein Gedanke und lief winkend zum Wagen seines Bosses. „Maxwell!“ Rief Mike. Sein Boss war gerade dabei den Wagen zu starten, als er ihn bemerkte. Maxwell öffnete noch einmal die Tür und sah zu Mike auf. „Ich würde gerne jemanden bei Miss Bloom abstellen. Jemanden der ein Auge auf sie hat.“ Maxwell runzelte die Stirn. „Glauben sie wirklich, dass das nötig ist?“ Mike nickte. „Nachdem was in letzter Zeit vorgefallen ist, halte ich es für wahrscheinlich, dass er zu Ende bringen will, was er damals begonnen hat.“ Maxwell stieg aus seinem Wagen und ging zwei Schritte auf Mike zu, wobei er unbewusst der Fahrertür einen Schubs gab, um sie zu zuschlagen. Das Klicken des Schlosses erschien unwirklich laut. Im nächsten Moment explodierte das Fahrzeug. Metallfetzen flogen wie Papierschnipsel durch die Luft. Glassplitter trafen Maxwell in den Rücken und Mike im Gesicht. Noch ehe einer der beiden überhaupt registriert hatte, was hier gerade geschah, wurden sie durch die Luft geworfen, als wögen sie nicht mehr als eine Feder. Lisa die etwa 10 Meter von der Explosion entfernt gestanden hatte flog mehrere Meter weit, ehe sie mit dem Rücken gegen etwas Hartes stieß.
Liv war unruhig heute Morgen, immer getrieben von etwas, das sie nicht genau benennen konnte, das nicht greifbar war. Sie tigerte die ganze Zeit durchs Haus. Den Versuch, sich mit einem Buch oder dem Fernsehprogramm abzulenken, hatte sie längst aufgegeben. Zwar lief der Fernseher, doch sie hätte nicht einmal sagen können, welchen Sender sie eingestellt hatte. In der Küche schaltete sie den Wasserkocher ein, in der Hoffnung ein Tee würde ihre überstrapazierten Nerven beruhigen. Doch als der Tee fertig war, verbrühte sie sich die Zunge und goss den Rest in den Ausguss. Sie lief wieder ins Wohnzimmer und starrte das Telefon an. Plötzlich horchte sie auf. „Auf dem Parkplatz des Krankenhauses ist es heute Morgen zu einer Explosion gekommen.“ Tönte die Stimme des Nachrichtensprechers leise aus dem Fernseher. Liv nahm die Fernbedienung und stellte die Lautstärke höher ein. „Wie wir erfahren haben, handelt es sich um eine Autobombe, die am Wagen von Maxwell Kennedy angebracht war. Offenbar handelt es sich um einen Mordversuch. Kennedy der Chef des hiesigen Polizei Reviers, kämpft noch um sein Leben. Detektiv Mike Mac Dog wurde ebenfalls verletzt und wird zurzeit noch ärztlich behandelt. Bei dem dritten Opfer handelt es sich um eine Frau, uns liegen zurzeit keine näheren Informationen zu ihr vor.“ Liv ließ die Fernbedienung fallen und starrte auf den Bildschirm. Irgendein Hund rannte hinter einer Frisbeescheibe hinterher und fing diese noch im Flug. Doch das nahm Liv nur unterbewusst war. Der einzige Gedanke, der ihr klar vor Augen stand; wahr der, dass Mike Mac Dog verletzt, vielleicht sogar schon Tod war. Liv überlegte nicht lange, sie schnappte sich ihre Wagenschlüssel und ihre Handtasche und rannte aus dem Haus, zu ihrem Wagen. Sie zwang sich, ein paar Mal tief durchzuatmen, ehe sie den Schlüssel ins Zündschloss steckte und losfuhr. Die Straßen waren um die Mittagszeit recht voll und sie schien eine rote Welle erwischt zu haben, sodass sie fast eine Stunde bis zum Krankenhaus brauchte. Sie parkte den Wagen in der nächstbesten Lücke und rannte zum Eingang der Notaufnahme. Völlig außer Atem hielt sie schlitternd vorm Empfangstresen. Eine mürrisch drein blickende Frau sah sie vernichtend an. Doch Liv hatte keine Zeit und keine Lust sich für ihr Verhalten zu entschuldigen. „Ich suche Mike Mac Dog!“ Brachte sie noch immer um Atem ringend hervor. Der Gesichtsausdruck der Frau verfinsterte sich noch mehr. „Sind sie eine Angehörige?“ Fragte die Frau ungläubig. Liv brauchte einen Moment, ehe die Worte zu ihr durchdrangen. „Seine Freundin.“ Zumindest wenn es nach ihr ginge, dann wäre sie seine Freundin. Die Lippen der Frau verzogen sich zu einem schmalen Strich. „Nur Angehörige, keine “FREUNDIN“, dürfen zu ihm.“ Sagte sie und betonte das Wort Freundin, als zweifle sie an Livs Aussage. Womit sie, auch nicht ganz unrecht hat. Überlegte Liv niedergeschlagen. „Können sie mir wenigstens sagen, ob es ihm Gut geht?“ Flehte Liv. Doch die Frau ließ sich nicht erweichen. Liv wollte ihr gerade etwas körperlich Unmögliches vorschlagen, als sich die automatischen Türen hinter ihr öffneten. Liv drehte sich um und sah in das Gesicht von Duncan und Rose Westman. Danke, danke, danke. Dachte Liv nur und lief ihnen entgegen. „Miss Bloom? Was machen sie denn hier?“ Sagte Duncan stirnrunzelnd. „Ich wollte wissen, wie es Mike geht, aber man gibt mir keine Auskunft und lässt mich auch nicht zu ihm.“ Mit jedem Wort schwankte Livs Stimme ein wenig mehr und sie spürte, wie ihr die Augen feucht wurden. Duncan nickte und reichte ihr ein Taschentuch. Dann wandte er sich an die Empfangsdame. Er hielt einen Ausweis hoch und sagte etwas, allerdings so leise, dass Liv es nicht verstand. Eine kleine Hand schob sich in die Ihre und Liv schaute nach unten, in Rose kleines Gesicht. Auch in Rose Augen glitzerten ein paar Tränen, doch dann lächelte sie Liv an und ihr wurde leichter ums Herz. Rose Lächeln wirkte wie Balsam für ihre Nerven. Duncan drehte sich nun wieder zu Liv um. Sein Gesicht wirkte angespannt, wodurch Livs Magen ins Schlingern geriet. „Es geht ihm gut, er muss noch eine Nacht zur Beobachtung hier bleiben, dann kann er wieder nach Hause.“ Sagte Duncan und Liv wäre vor Erleichterung beinah umgekippt. Es ging ihm gut, er lebt. Dann sah sie Duncan wieder an und bemerkte seine angespannten Gesichtszüge. „Was ist los?“ Fragte Liv, obwohl sie sich vor der Antwort fürchtete. „Lisa wurde von einem Karosserieteil getroffen und wird noch operiert. Die Ärzte wissen noch nicht, ob sie wieder ganz gesund wird.“ Livs freie Hand legte sich unwillkürlich über ihren Mund, dennoch entrann sich ihrer Kehle ein keuchender Laut. Rose schmiegte sich ganz dicht an sie und umklammerte krampfhaft ihre andere Hand.
Mike hasste Krankenhäuser schon von Natur aus, doch nun, da er selbst hier fest saß, reichte das Wort - Hass, nicht einmal annähernd, um seine Gefühle wieder zugeben. Er saß hier mindestens bis morgen fest, und das ausgerechnet Jetzt, wo man versucht hatte Maxwell zu töten. Maxwell Kennedy befand sich noch immer in Lebensgefahr, trotz das Er die OP gut überstanden hatte, konnte es immer noch zu Komplikationen kommen. Und dann wäre da immer noch der Mörder, wer sagt denn, dass er es nicht wieder versucht, während Maxwell noch im Krankenhaus liegt und geschwächt ist. Es war zum verrückt werden. Zu allem Überfluss machte er sich auch noch Gedanken wegen Liv. Was wenn die Bombe von dem Psychopathen kam und er so verhindern wollte, dass Mike Liv beschützte. Mike schloss für einen Moment die Augen, riss sie jedoch schnell wieder auf. Da er wieder das Bild vor sich hatte, als er Liv das erste Mal sah. Diese verängstigte, geschundene und halb verhungerte Frau, tausendfach gespiegelt in den Wänden um sie herum. Im ersten Moment war er überzeugt gewesen sie sei Tod, doch dann hatte sie sich bewegt. Hatte ihre Muskeln angespannt und war in Abwehrhaltung gegangen. Ihr war es wahrscheinlich gar nicht bewusst – bis heute nicht, dass der Psychopath sie zwar körperlich fertiggemacht hatte, aber ihren Geist nicht hatte brechen können. Mike hatte schon lange die Vermutung das genau diese Tatsache der Grund war, warum Liv noch lebte. Es klopfte und kurz darauf ging die Tür auf. Duncan Westman trat ein und schloss die Tür hinter sich. „Wie geht es ihnen Mike, können sie mir ein paar meiner Fragen beantworten?“ Mike nickte, dann räusperte er sich. „Ja.“ Duncan trat näher und stellte sich neben Mikes Bett. „Ok. Warum waren Sie hier und was hat sich auf dem Parkplatz abgespielt?“ Mike erzählte ihm von dem Anruf, von dem Unfall, von ihrem Verdacht und von der Explosion. Während er redete, trat ihm der Schweiß auf die Stirn. „Haben sie Schmerzen?“ Fragte Duncan. Mike schüttelte nur mit dem Kopf. „Gut. Liv Bloom ist hier.“ Sagte er und Mike überschwemmte eine Welle an den unterschiedlichsten Emotionen. Freude und Erleichterung, aber auch Zorn und Sorge. „Sie möchte sie sehen.“ Sagte Duncan als Mike keinerlei Reaktion zeigte. Mike blickte Duncan genau in die Augen, nagelte ihn, mit seinem Blick fest. „Sie muss auf der Stelle verschwinden, am besten wäre, sie geht unter falschen Namen in ein Hotel. Oder sie fliegt zu ihrer Freundin nach Washington. Ich will sie nicht hier haben, verstehen sie?“ Als Mike den Blick von Duncan löste, sah er direkt in die vor Schmerz und Kummer trüben Augen von Liv. Er hatte diesen Blick schon einmal bei ihr gesehen und genau wie damals, stürzte auch jetzt seine Welt in sich zusammen, als wäre alles nur ein Kartenhaus und jemand hätte den Wind hereingelassen. Er sah, wie sie blinzelte und sich straffte. Dann wandte sie sich an Duncan. „Lisa ist aus dem OP, sie hat es gut überstanden.“ Duncan nickte und warf Mike noch einen finsteren Blick zu, ehe er den Raum verließ. Lange sagte keiner ein Wort, die Spannung im Raum war beinah mit Händen greifbar. Liv stand am Fenster und sah hinaus auf den Parkplatz. Die Spurensicherung war noch dabei ihre Arbeit zu tun und Liv sah ihnen dabei zu. Es hatte fasst etwas Beruhigendes wie sie dort stand, so als würde sie hier her gehören. Mike hätte sich am liebsten selbst in den Arsch gebissen, doch das würde auch nichts ändern. Er hatte Liv verletzt, schon wieder. Er hatte keine Ahnung warum er ihr immer wieder unbeabsichtigt wehtat. „Hör zu Liv …“ Begann er und hielt kurz inne, um Livs Reaktion abzuwarten. Doch sie rührte sich nicht. „Es tut mir Leid was ich gesagt habe. Es war nicht so gemeint, wie es geklungen hat. Ich möchte nur, dass Du in Sicherheit bist. Ich mein, wir sind doch Freunde?“ Liv drehte sich nicht um und schwieg lange. Während sie einfach nur hinaus sah, er glaubte schon, sie würde überhaupt nicht mehr auf seine Worte reagieren. „Freunde!“ Stieß sie verächtlich hervor und Mikes Magen verkrampfte sich. „Ich …“ Setzte sie an und brach wieder ab. Was wollte sie sagen? „Was Liv?“ Brachen die Worte aus ihm hervor, ehe er sie zurückhalten konnte. „Ich kann so nicht weitermachen. Wir können keine Freunde sein, nicht mehr.“ Sagte sie mit leiser Stimme. Mike begriff nicht, was sie da sagte, er verstand es einfach nicht. „Warum?“ Liv seufzte und drehte sich zu ihm um, sie sah ihn direkt in die Augen. „Weil alle Menschen die ich liebe, mich verlassen oder getötet werden. Gib den Fall ab Mac Dog und fahr irgendwohin, kuriere dich richtig aus und dann vergiss, dass ich existiere.“ Damit verließ sie das Zimmer, ohne auch nur einen Blick zurück. Mikes Herz raste, als wäre er eben von einem Hochhaus gesprungen. Sein Hirn kämpfte noch immer mit der Erkenntnis, die sein Herz längst erfasst hatte. „Sie liebt mich.“ Flüsterte er ungläubig und wusste doch, dass es die Wahrheit ist.
Liv kam nicht weit, nur wenige Meter von Mikes Tür entfernt brach sie zusammen. Sie merkte, wie jemand sie aufhob und irgendwo rein setzte, doch da verlor sie schon das Bewusstsein. Etwas Feuchtes strich über ihre Wange und sie riss die Augen auf. Liv starrte in das Gesicht ihres Albtraums. Nun da er vor ihr stand, konnte sie sich wieder an jede Einzelheit erinnern. Die dunklen, fast schwarzen Augen, die zart geschwungenen Augenbrauen, die lange, fast feminine Nase und das sardonische Lächeln. „Hallo Liv, mein kleiner Liebling.“ Säuselte er liebevoll. „Es freut mich, dass wir endlich wieder zusammen sind, du nicht auch, mein kleiner Schatz?“ Liv weigerte sich ihm zu antworten, sie ließ ihr Gesicht zu einer steinernen Maske erstarren. „Ich hab dich vermisst Liv, vor allem deine Schreie. Wirst du wieder für mich schreien. Tu mir den Gefallen, schrei für mich.“ Liv reagierte nicht, sie weigerte sich, ihm überhaupt zu zuhören. Während ihrer Therapie hatte sie gelernt ihren Geist von ihrem Körper zu trennen und genau das, tat sie nun. Sie ließ ihn reden und reden, es war nicht weiter von belang, was er sagte. Schließlich schafften es doch ein paar einzelne Worte durch ihre geistige Abwehr. „Mike … Bombe … uns.“ Liv versuchte aus den Worten einen Sinn heraus zu hören, doch es gelang ihr nicht. Also schaltete sie wieder auf Durchzug und zählte ihre Herzschläge. Dieses „Bumm bum“ hatte etwas sehr Beruhigendes. Allmählich fielen ihr die Augen zu und Liv ließ es geschehen.
Mike suchte eilig nach seiner Unterhose und stürzte zur Tür, als er sie endlich an hatte. Denn in dem hinten recht offenen Krankenhaushemd wollte er Liv nicht seine Liebe gestehen. Er riss die Tür auf und blickte den langen Flur entlang. Er war leer. Mikes Herz rutschte ihm in die Hose, er hatte eine vollkommen unrealistische Vorahnung, dass er Liv gerade eben, das letzte Mal gesehen hatte. Eilig verdrängte er den Gedanken und ging zurück in sein Zimmer. Für einen Moment überlegte er, ob er sich nicht doch noch eine Nacht ausruhen sollte. Doch dann zog er seine Kleidung an und verließ sein Zimmer. Er suchte nach der Schwester und fand sie im Schwesternzimmer bei einer Tasse Kaffee. „Ich möchte das Krankenhaus verlassen geben sie mir meine Papiere und das Formular zum entlassen auf eigene Verantwortung.“ Die Schwester starrte ihn perplex an. Dann nickte sie jedoch nur und holte die gewünschten Sachen. Als er ihr das Formular unterschrieben zurückgab, sah sie ihn mitfühlend an. „Sie wollen sicher schnell zu ihrer Freundin. Sie sah vorhin gar nicht gut aus.“ Mike runzelte die Stirn. „Was meinen sie mit gar nicht gut?“ Die Schwester lächelte. „Sie ist umgekippt, aber keine Sorge einer der Zivis hat sich um sie gekümmert.“ Mikes Alarmglocken schrillten so laut, dass er sich fast die Hände auf die Ohren gepresst hätte. „Wie heißt denn der Zivi und wo ist er mit Liv hin.“ Die Schwester überlegte kurz. „Seinen Namen weiß ich nicht, er hat heute seinen ersten Tag bei uns. Aber ich vermute sie finden ihn unten in der Cafeteria, es ist Mittagspause.“ Der kalte Schweiß brach Mike aus, als er sich ausmalte, was alles passiert sein konnte. „Wie sieht er denn aus?“ Eine leichte Röte erschien auf ihren Wagen, als sie sich den Mann ins Gedächtnis rief. „Groß, schlank, dunkle Haare und die dunkelsten Augen, die ich je gesehen habe.“ Mike dankte ihr und verließ eilig die Station. Er fuhr mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss und folgte den Hinweisschildern zur Cafeteria. Wie die Schwester schon gesagt hatte, war gerade Mittagspause und somit war der Saal gerammelt voll. Er suchte den Raum systematisch ab und fand absolut nichts. Der angebliche Zivi war nicht da. Mike verließ die Cafeteria und hielt bei der Empfangsdame inne. „Ich bin Mike Mac Dog, hat Liv Bloom das Krankenhaus schon verlassen oder ist sie noch irgendwo in Behandlung?“ Die Frau tippte etwas in den Computer. Nach einer Weile hob sie den Kopf und sah ihn an. „Ich habe keine Liv Bloom in meinen Computer, also ist sie nicht in Behandlung?“ Mike spürte, dass das längst nicht alles war. „Aber?“ Hakte er nach. „Sie hat das Krankenhaus nicht verlassen, zumindest nicht an diesem Ausgang. Vielleicht sollten sie mal auf Station 3 nachsehen, dort liegt Lisa Westman und sie schien Herrn Westman und dessen Tochter sehr gut zu kennen.“ Mike bedankte sich und fuhr in den dritten Stock. Er sah Duncan und seine Tochter bereits vom Fahrstuhl aus und lief zu ihnen. Duncan hob den Kopf und auf seinem Gesicht spiegelte sich seine Überraschung wieder. „Ist Liv hier, hast du sie gesehen?“ Duncan schüttelte den Kopf. „Nicht seid ich Euch verlassen habe.“ Mike fühlte, wie seine Ahnung zur Gewissheit wurde. Duncan sprang auf und umfasste seine Arme. Er schüttelte ihn leicht. Erst da wurde ihm bewusst, dass er geschrien hatte. „Was ist los mit dir?“ Duncans Worte drangen nur langsam in sein Bewusstsein. „Ich habe versagt. Er hat Liv.“ Stieß er hervor und dann wurde ihm zum zweiten Mal an diesem Tag, schwarz vor Augen.
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und brannte unbarmherzig auf die Erde. Die Luft flimmerte vor Hitze und drückte schwer auf alles Lebendige. Die Büsche und das wenige Gras, das hier nur dann gedieh, wenn es denn einmal regnete, war bereits vor Wochen abgestorben. Verdorrt in dieser Einöde aus Sand und Fels. Ein kleiner Skorpion hatte sich im Schatten eines Busches in den Wüstensand eingegraben, in der Hoffnung so der sengenden Sonne zu entgehen. Leider ohne Erfolg, denn die Sonne hatte ihn in seinem schwarzen Panzer regelrecht gebacken. Nicht weit von dem Skorpion entfernt hob und senkte sich der Sand, in einem ruhigen, gleichmäßigen Rhythmus. Es sah fast so aus, als würde der Sand selbst, atmen. Die Sonne wanderte weiter über den Himmel, warme Winde trieben kleine Sandwirbel vor sich her. Mit der Zeit legte sich der Wind und die Luft kühlte immer weiter ab. Die letzten Sonnenstrahlen ließen den Himmel in leuchtendem rot und orange Tönen erstrahlen, ehe die Farben verblassten und alles grau erschien. Der Sand war noch immer heiß doch die Luft hatte sich deutlich abgekühlt. Die ersten Tiere wagten sich aus ihren Höhlen und liefen emsig umher. Immer auf der Suche nach einer fetten Beute. Ein kleiner Wüstenfuchs kam aus einer Felsspalte, er lauschte dem Rascheln und Trippeln kleiner Pfoten. Die in unterirdischen Gängen umher huschten. Plötzlich sprang der Fuchs hoch und man sah eine Ratte zu dem Busch huschen, bei dem der Skorpion lag. Die Ratte biss zu und rannte mit ihrer Beute zurück in ihren Bau. Die Ratte war so flink, dass der Fuchs nicht den Hauch einer Chance hatte, seinerseits die Ratte zu fangen. Denn noch lief er ihrer Spur hinterher und versuchte die Ratte auszugraben. Nicht weit von ihm entfernt, bewegte sich der Sand. Eine Gestalt erhob sich und der Sand lief an ihr herab, als handle es sich um Wasser. Die Sonne versank endgültig hinterm Horizont, und die Temperatur fiel abermals. Die Gestalt stand leicht gebeugt da. Ihre dunkle Silhouette hob sich scharf vom Sand ab. Es war eine Frau, die dort zitternd und vor Schmerz gebeugt in der Kälte stand. Ein Arm hing leblos an ihr herunter den anderen presste sie an ihren Bauch. Sie machte einen vorsichtigen Schritt und das Geräusch, welches sie dabei von sich gab, zeigte, wie sehr sie litt. Kleine Wölkchen ihres warmen Atems stiegen in den Himmel auf, doch sie bemerkte es kaum. Liv kannte nur einen Gedanken – Leben. Sie wollte Leben. Sie versuchte sich zu erinnern was passiert und wie sie hier hergekommen war. Wo war hier überhaupt? In der Wüste. Stellte sie bestürzt fest. Und dann fiel ihr alles wieder ein. Sie hatte Mikes Zimmer verlassen und war schließlich zusammengebrochen, jemand hatte sie aufgehoben und in einen Rollstuhl gesetzt. Dass Nächste, was ihr einfiel, war – wie er sie in diesem dunklen Keller gefangen hielt. Er hatte versucht, ihr irgendeine Reaktion abzupressen. Doch sie hatte sich geweigert, ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Sie hatte nicht geschrien und auch nicht um ihr Leben gefleht. Auch nicht, als er ihr den Arm verdrehte, bis dieser laut knackte. Auch als er ihr in den Magen boxte, kam kein einziger Ton über ihre Lippen. Die Schmerzen waren unbeschreiblich gewesen und einmal hätte sie beinahe die Konzentration verloren, doch sie biss sich auf die Zunge und ging im Geiste auf eine Reise. Sie trennte ihr Bewusstsein so vollständig von ihrem Körper, dass sie nichts mehr spürte. Sie sah von der Decke auf ihren Körper, sah zu, wie er ihn mit den Fäusten bearbeitete. Es war ein sehr seltsames Gefühl, so völlig losgelöst zu sein. Sie konnte die Wut in seinem Gesicht und den Wahnsinn in seinen Augen sehen. Liv wandte sich ab vom Anblick ihres geschundenen Körpers und schwebte nach oben durch die Decke. Sie befand sich in einem langen, weißen Flur. Menschen in weißen Kitteln liefen eilig von einem Ort zum anderen. Zwei Polizisten kamen den Flur entlang und schauten in alle Zimmer an denen sie vorbei kamen. Liv musste unwillkürlich an Mike denken. Stellte sich im Geiste sein Gesicht vor und schwebte weiter einem unbekannten Ziel entgegen. Ihre Reise stoppte nur wenige Zentimeter von Mike entfernt. Wenn sie den Arm ausstreckte, könnte sie sein Gesicht berühren. Doch Mike starrte geradewegs durch sie hindurch, er nahm Liv nicht einmal war. Sie wollte ihn über die tiefen Sorgenfalten streichen und sie so von seinem Gesicht wischen. Doch ihr Arm befand sich noch immer im Keller, an ihrem sterbenden Körper gefesselt. Die Polizisten, die vorhin die Räume durchsucht hatten, kamen den Flur entlang. „Wir haben sie nicht gefunden. Sind sie sicher, dass sie nicht nach Hause gefahren ist?“ Mike schüttelte den Kopf und wirkte so niedergeschlagen, dass es Liv beinah das Herz brach. „Nein ist sie nicht, ihr Wagen steht noch immer vor dem Krankenhaus. Habt ihr im Keller nach gesehen?“ „Der ist abgeschlossen und der Hausmeister hat als Einziger einen Schlüssel.“ Mikes Körper erstarrte und seine Augen bekamen einen eiskalten Glanz, den Liv noch nie an ihm wahrgenommen hatte. „Dann treibt den Schlüssel auf oder knackt das Schloss, mir ist es vollkommen, egal wie, nur findet, sie.“ Mit diesen Worten entließ er die Polizisten und ging in die andere Richtung davon. Liv wollte ihm nach, aber etwas zog sie zurück, wie an einem Gummiband befestigt, schnellte sie zurück in ihren Körper und verlor ihr Bewusstsein.
Sie brauchten eine halbe Stunde, ehe sie den Hausmeister fanden. Er lag in einer Pfütze seines eigenen Blutes, direkt hinter der Tür zum Keller. Die beiden Polizisten hatten schließlich doch die Tür aufgebrochen und waren geradewegs auf den Hausmeister gestoßen. In seiner Kehle klaffte eine böse Schnittwunde, was auch das viele Blut erklärte, das sich in einer Lache um ihn herum gebildet hatte. Seine Augen und sein Mund waren zu einem stummen Schrei weit aufgerissen. Er war noch nicht lange tot, maximal zwei Stunden. Offenbar hatte er noch eine Weile nach dem Angriff gelebt, denn er hatte versucht, sich an der Tür hoch zu ziehen. Meyers griff nach seinem Funkgerät. „Mac Dog wir haben den Hausmeister gefunden, sie sollten sich das Selbst ansehen.“ „Verstanden.“ Bellte Mike schon im Laufen in sein Funkgerät. Er brauchte nicht einmal zwei Minuten bis zum Tatort. Sein Puls stieg an, als er die brutal zugerichtete Leiche sah. Unwillkürlich drängte sich ihm die Frage auf, was der Psychopath mit Liv anstellen würde, wenn Mike sie nicht schnellstens fand. Sein Magen krampfte sich bei diesen Gedanken zusammen und er verfluchte sich selbst für seine Unfähigkeit. Weder hatte er Liv beschützt noch ihr seine Gefühle offenbart und er weigerte sich anzuerkennen, dass er vielleicht nie wieder eine Möglichkeit dazu haben würde, ihr zu sagen, wie viel sie ihm bedeutete. Mike schwor sich und Liv, dass er sie finden würde und wenn er sie dann endlich in seinen Armen hielt, würde er ihr endlich sagen. Wie sehr er sie liebte. Mike wandte sich an Meyers. „Haben sie den Keller schon durchsucht?“ „Nein ich habe sofort sie verständigt.“ Mike nickte zustimmend. „Meyers, sie kommen mit mir. Bronson sie sichern den Tatort und rufen die Kollegen. Ich will das hier alles ganz genau untersucht wird und fassen sie nichts an.“ Bronson nickte und griff nach seinem Funkgerät. „Wir haben einen 187 ich wiederhole einen 187 im Keller des Krankenhauses, schicken sie die Spurensicherung und …“
Mike hörte nicht mehr zu, er war in Gedanken ganz mit seiner Aufgabe beschäftigt und schritt die Flure ab. Nach mehreren Minuten erfolgloser Suche, fanden sie in einem Heizungsraum eine Einwegspritze und ein Stück Klebeband. Mike schickte Meyers, um die Spurensicherung zu holen. Er hätte sie auch über Funk rufen können, doch er brauchte ein paar Minuten allein. Die Gewissheit zu spät gekommen zu sein, nagte an ihm, fraß sich bis zum Grund seiner Seele. Nachdem alles erledigt war, ging er noch einmal zu Duncan, er wollte wissen, wie es Lisa ging und hoffte, dass er mit ihr würde sprechen können. Vielleicht würde sie wissen, was zu tun war. Als Mike das Zimmer betrat, hob Duncan den Blick und Mike beantwortete seine stumme Frage mit einem Kopfschütteln. Ehe er mit Händen fragte, ob er mit Lisa sprechen könne. Duncan schüttelte den Kopf und bedeutete Mike, mit vor die Tür zu kommen. „Sie ist noch nicht zu Bewusstsein gekommen, die Ärzte meinen es wird ein paar Tage dauern, ehe sie sie aus dem künstlichen Koma aufwecken können. Sie hatte eine Schädelfraktur und eine schwere Gehirnerschütterung. Aber sie wird wohl wieder ganz gesund. Was ist mit Liv, gibt es etwas Neues?“ Mit jedem Satz von Duncan sank Mikes Zuversicht, Liv möglichst schnell zu finden. „Wir haben keine Spur von ihr, aber wir haben einen Toten. Dem Hausmeister wurde die Kehle durchgeschnitten. Außerdem fand ich eine Einwegspritze und ein Stück Klebeband, es ist noch nicht geklärt, ob beides etwas mit Livs verschwinden zu tun hat. Aber ich gehe jede Wette ein, dass es so ist.“ Duncan nickte und legte Mike tröstend die Hand auf die Schulter. „Ich hatte mir deine Ermittlungsakten angesehen und mir ist dabei etwas aufgefallen, vielleicht hilft es dir ja weiter.“ Mike konnte seine Ungeduld kaum zügeln, als er darauf wartete, dass Duncan weitersprach. „Der Psychopath benutzt Spiegel um seine Opfer zu quälen und er liebt es, macht über sie auszuüben. Umso mehr sie schreien und betteln, umso länger hält er sie am leben. Er lebt für den Schmerz seiner Opfer, das ist es, was ihn antreibt. Schmerz und Kontrolle. Ich habe eine Liste zusammengestellt mit alten bekannten, auf die das zutrifft. Ich würde dir ja gerne bei der Überprüfung helfen aber …“ Mike winkte ab und zum ersten Mal seit Stunden lächelte er, wenn auch nur zaghaft. „Danke, das hast du bereits.“ Sagte Mike und verschwand. Er erkundigte sich noch bei der Empfangsdame wegen Maxwells Zustand. „Maxwell Kennedy ist außer Lebensgefahr und wird sich voraussichtlich wieder vollständig erholen. Mal abgesehen von ein paar Narben natürlich.“ Mike dankte ihr und trat hinaus auf den Parkplatz. Da er offiziell noch immer krank war, überließ er den Fall des Hausmeisters einem seiner Kollegen und machte sich auf den Weg ins Revier. Dort angekommen schaltete er seinen PC ein und lud die Liste von Duncan herunter. Es waren 50 Personen, die infrage kamen, wobei 10 gleich wegen ihres Alters ausschieden. Laut Liv war der Mann um die 30 Jahre alt, also konnte er alle die älter als 45 waren ausschließen. Als Nächstes überprüfte er ob die verdächtigen derzeit in der Nähe gesehen wurden und ob sie auf freien Fuß waren. Blieben 5 Männer, die infrage kamen. Der Erste auf seiner Liste war Zach Cameron. Cameron war schon als Jugendlicher wegen Körperverletzung und Drogen im Gefängnis gewesen. Nach seiner Entlassung hatte er sich als Autoschieber und Geldeintreiber verdingt und war schließlich wieder verknackt wurden. Allerdings hatte Cameron nie sadistische Neigungen offenbart. Er war zwar gewalttätig aber er geilte sich nicht daran auf. Mike entschied, ihn erst einmal beiseite zulegen. Der Zweite war Cole Davis. Davis hatte mehrfach wegen häuslicher Gewalt auf der Anklagebank gesessen, war aber nie deswegen verurteilt wurden. Seine Freundinnen hatten die Anzeigen immer schnell wieder zurückgenommen. Was außerdem für ihn sprach, waren seine Verbindungen zu einem SM-Club in der Innenstadt. Bei Nummer Drei handelte es sich um ein Muttersöhnchen. Mit seinen 36 Jahren lebte er noch immer bei Mutti zu Hause. An sich war daran nichts Verwerfliches, aber es war auffällig. Nate Redwood arbeitete als Vertreter für Plastikdosen und hatte durch seine Arbeit häufig Kontakt mit Frauen. Die zum größten Teil Hausfrau und Mutter waren. Aber auch Singles. Da diese Dosen auf sogenannten Partys vertrieben wurden, kam er mit den Damen in engen Kontakt. Mike wünschte, er könnte Liv fragen, ob sie je bei so einer Party dabei war. Nummer Vier war bekannt für seine Gewalttätigkeit und für seine Machtbesessenheit. Außerdem arbeitete Hugo Thomas bei einer Schaustellertruppe, die von Stadt zu Stadt zogen. Er war einschlägig vorbestraft und hielt sich während der letzten Monate in der Gegend auf. Nummer fünf war auf den ersten Blick ein anständiger Bürger. Nathanael Simons hatte Frau und Kind, bis beide vor fünf Jahren starben. Was ungefähr dem Zeitraum entsprach, als die Morde begannen. Seitdem war Simons nicht weiter aufgefallen. Mike suchte nach einem Hinweis, warum Duncan ihn zu den verdächtigen zählte. Schließlich fand er eine Randnotiz. Simons war auf einem Jahrmarkt aufgewachsen und seine Eltern hatten, ein eigenes Spiegelkabinett besessen. Bis zu seinem 14 Lebensjahr, war er mit seinen Eltern von Jahrmarkt zu Jahrmarkt gezogen. Dann waren seine Eltern unter Mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Der Fall wurde bis heute nicht aufgeklärt. Danach hatte man Simons bei verschiedenen Pflegefamilien untergebracht. Sein längster Aufenthalt war bei einer Frau namens Jennings. Da war er 15 Jahre alt gewesen, er blieb fast 2 Jahre bei ihr, bis auch sie starb. Der Arzt hatte einen Herzinfarkt diagnostiziert und die Leiche ohne Obduktion freigegeben. Bis zur Volljährigkeit wechselte Simons nun beinah monatlich die Pflegefamilie. Wobei nie festgehalten wurde, warum er nicht länger, bei einer Familie blieb. Mike legte sich in seinen Stuhl zurück und schloss einen Moment die Augen. Sicher es gab viele Gründe, warum Simons so oft die Familie wechseln musste, doch Mike musste es ganz genau wissen. Er griff zum Telefon und rief in dem Kinderheim an, welches die Pflegekinder und Pflegeeltern zusammen brachte. St. Claire besaß mehrere Zweigstellen im ganzen Land und hatte einen recht guten Ruf. „St. Claire, Schwester Marie?“ „Hier ist Detektiv Mike Mac Dog. Es geht um eines ihrer ehemaligen Kinder.“ „Die Schwester räusperte sich vernehmlich. „Sagt ihnen der Name Nathanael Simons etwas?“ „Es tut mir Leid Detektiv, aber ich kann am Telefon und ohne richterliche Anordnung keine Daten preisgeben.“ „Das verstehe ich natürlich, es geht mir nur darum, zu erfahren, warum er so oft die Familie wechseln musste? Es ist wirklich wichtig, dass Leben einer Frau könnte, davon abhängen.“ Mike würde diesmal sogar betteln, um an die gewünschten Informationen zu kommen. Denn kein Richter würde bei der Beweislage, die allein auf seinen Vermutungen beruhte eine Anordnung ausstellen. „Woher haben sie überhaupt diese Nummer?“ „Ich habe sie von einem Freund. Duncan und Lisa haben ebenfalls an diesem Fall gearbeitet, doch nun liegt Lisa im Krankenhaus und ich bin auf mich allein gestellt.“ „Duncan und Lisa Westman?“ „Ja, sie kennen die beiden?“ „Duncans Bruder Phil arbeitet bei uns und ich habe die Westmans vor ein paar Jahren persönlich kennengelernt, als sie nach Phil suchten.“ Die Schwester schwieg eine Weile. Dann seufzte sie resigniert. „Gut, ich werde ihnen Phil mit den Unterlagen über Nathanael Simons vorbei schicken, er wird eh seine Familie unterstützen wollen, wenn ich ihm sage, dass Lisa im Krankenhaus ist. Und sagen sie Duncan das Ich für sie alle Beete.“ „Danke Schwester.“ Nun da das geklärt war, sah Mike noch einmal alle Informationen über die fünf Verdächtigen durch, ehe er den Computer ausstellte und wieder ins Krankenhaus fuhr. Er wollte unbedingt vor Ort sein, sobald Lisa oder Maxwell aufwachten. Also setzte er sich auf einen von diesen unbequemen Plaste Stühlen vor Maxwells Zimmer.
Phil stand vorm Krankenhaus und atmete einmal tief durch. Er hatte wirklich gehofft nie wieder in eins dieser Gebäude gehen zu müssen, aber wie so oft im Leben, kommt es anders als gedacht. Phil straffte sich und trat durch die Glastüren. Der Eingangsbereich erinnerte eher an ein Hotel, und wenn die weißen Kittel nicht wären, hätte er sich einreden können, dass es sich wirklich um eines handelte. Die Empfangsdame musterte ihn mit einem höflichen Lächeln. Phil trat näher. „Ich möchte zu Lisa Westman.“ Die Dame sah ihn leicht irritiert an. Phil lächelte, als ihm einfiel, warum sie so schaute. Offensichtlich hielt sie ihn für Duncan. „Ich bin Duncan Westmans Zwillingsbruder.“ Nun kicherte die Frau und Phil bemerkte wie ihre Wangen rosig wurden. „Ich habe wirklich geglaubt, Sie seien er.“ Sagte sie und schüttelte leicht den Kopf, während sie kurz etwas in ihren Computer nachsah. „Sie finden Lisa Westman im dritten Stock, Zimmer 313.“ Phil dankte ihr und lief zu den Aufzügen. Der Flur im dritten Stock wirkte beinah ausgestorben. Mal abgesehen von dem Polizisten vor der Tür mit der Nummer 303. Phil ging zu ihm, um ihm Hallo zu sagen, doch da bemerkte er, dass dieser tief und fest schlief. Phil wollte gerade weitergehen, als der Polizist hochschreckte. Zunächst wirkte er leicht desorientiert, doch dann blinzelte er einmal und schon war er voll da. Er taxierte Phil mit seinem stechenden Blick, dann senkte er den Kopf und rieb sich den Nacken. „Sie müssen Phil sein, ich bin Detektiv Mac Dog. Hat ihnen Schwester Marie die Akten über Simons für mich mitgegeben?“ Phil war einen Moment vollkommen sprachlos, er hatte sich daran gewöhnt, von aller Welt für seinen Bruder gehalten zu werden. Das passierte sogar Menschen, die ihn noch von Früher kannten, als niemand außer ihm wusste, dass er ein Zwilling ist. Und dieser Detektiv, der ihn zuvor noch nie gesehen hatte, erkannte auf den ersten Blick, dass er nicht Duncan ist. Auf einmal fiel ihm ein, das Mac Dog noch immer auf eine Antwort von ihm wartete. „Ja ich hab sie im Hotelsafe gelassen.“ Mac Dog nickte und sah Phil eindringlich an. „Ich weiß, dass sie schnellst möglich zu Lisa und Duncan wollen. Aber bitte geben sie mir zuerst die Akten, es geht dabei um Leben und Tod.“ Phil dachte einen Moment über die Bitte nach, schließlich nickte er. „Ich werde nur kurz nachsehen ob die beiden etwas brauchen und dann holen wir die Akten.“ Mac Dog nickte knapp, ehe er aufstand und mit Phil zu Zimmer 313 ging. Er klopfte nicht sondern drückte bloß leise die Klinke herunter und spähte in den Raum. Als er sich wieder zu Phil umdrehte, lächelte er leicht. Schließlich stieß er die Tür auf und Phil riskierte einen Blick, dann musste auch er schmunzeln. Dort waren alle drei Westmans und schliefen. Lisa und Rose lagen im Bett und Duncans Kopf lag auf der Matratze. Es sah nicht so aus, als wäre es sehr bequem. Phil schloss leise die Tür und bedeutete Mac Dog mit zukommen. Sie fuhren ins Hotel und saßen schließlich über den Akten gebeugt am Esstisch in der Hotelsuite von den Westmans. „Wonach suchen wir eigentlich?“ Mike hob den Blick und sah Phil genau in die Augen. „Nach einem Mann, dem es spaß macht, anderen Menschen Schmerzen zu zufügen und eine Affinität zu Spiegeln hat.“ „Könnte Simons sein, er musste mehrfach die Pflegefamilien wechseln, weil er die vorhandenen Kinder nicht akzeptierte. Einmal musste ein Kind wegen ihm sogar ins Krankenhaus.“ „Was ist passiert?“ „Genaues weiß ich nicht, die Pflegeeltern wollten damals nicht so richtig mit der Sprache herausrücken. Deswegen steht auch nichts darüber in den Akten.“ „Gibt es eine aktuelle Adresse von Simons und dieser Pflegefamilie?“ „Die Pflegeeltern sind beide schon gestorben, aber das Kind lebt ganz in der Nähe. Drue lebt in einer psychiatrischen Einrichtung, allerdings ist es nicht möglich, sie zu befragen. Sie spricht mit niemanden.“ Mike rieb sich vor Müdigkeit und schierer Verzweiflung übers Gesicht. Ehe er aufstand und zum Fenster lief. Mittlerweile war es Abend geworden und er fragte sich, ob Liv noch lebte und ob es ihr gut ging. Sein Handy klingelte und er ging dran, ohne vorher aufs Display zu sehen. Die Stimme des Anrufers ließ ihn augenblicklich erstarren. „Ich habe was sie wollen.“ Stille. Dann sprach der Mann weiter. „Kommen sie allein.“ Stille. So als erwarte er Widerworte zu hören, doch Mike schwieg, er wusste um so länger das Gespräch dauerte um so sicherer war die Rückverfolgung des Signals. Bloß gut, dass er diese automatische Fangschaltung installiert hatte. „Sind sie interessiert?“ „Ja.“ „Highway 6 Ausfahrt 49 in südlicher Richtung, sofort.“ Kaum hörte Mike das letzte Wort, da wurde auch schon aufgelegt. Genau 3 Sekunden zu früh, um seinen Standort auszumachen. Mike steckte sein Handy ein, griff nach den Wagenschlüsseln und verließ ohne ein Wort das Hotelzimmer. Er hörte Schritte hinter sich, als er zu den Aufzügen ging. Drehte sich aber nicht um. Phil holte ihn beim Aufzug ein. „Wo willst du hin?“ Mike weigerte sich diese Frage zu beantworten, er brauchte niemanden der ihm sagte, wie absolut idiotisch seine Reaktion war. Denn Mike konnte nicht anders, er musste alles in seiner Macht stehende tun, um Liv zu retten. Auch dann, wenn er sich selbst dafür opfern musste.
Auf einem Hügel am Highway 6, nur wenige Meter vom Rastplatz entfernt stand ein Mann im Schatten einer Pappel. Er ließ den Parkplatz und die Ausfahrt 49 nicht aus den Augen. Ein alter Kombi hielt und ein Mann stieg aus. Plötzlich kam Bewegung in den stillen Beobachter. Er drehte sich um und stieg in sein Auto, einen unauffälligen Familien Van. Dann griff er nach seinem Handy und wählte.
Mikes Handy läutete, sobald sein Wagen stand. „JA?“ „Gehen sie auf Klo, die zweite Kabine.“ War alles, was der Anrufer sagte. Mike steckte sein Handy weg und lief, ohne nach links oder rechts zu sehen zu dem Toilettenhäuschen. Oh, er glaubte nicht wirklich daran, dass der Psychopath es ihm so einfach machte und ihm Liv einfach so übergab. Nein, dass würde er nicht tun, es sein denn ...
Doch diesen Gedanken schob Mike weit von sich. Liv war, ist nicht Tod. Unmöglich. Das wüsste er. In dem Häuschen stank es erbärmlich. Ein durchdringendes Bouquet aus Urin, Kot, Schweiß und Chlor und über alledem, der unvergleichliche Gestank nach Blut und Tod. Doch es war der schwere Geruch, nach Zimt, Nelken und Eisen, der seinen Magen krampfen ließ, sodass er sich am liebsten übergeben würde. Er stieß die Tür zu der Kabine auf und erstarrte.
Phil dachte gar nicht daran, sich auf die faule Haut zu legen. Er stieg in seinen Mietwagen und fuhr Mike nach. Er wartete im Wagen, während er Mike dabei beobachtete. Wie dieser im Toilettenhäuschen verschwand. Mike war kaum eine Minute weg, als er ein ihres lachen hörte. Bei dem Geräusch lief es ihm eiskalt den Rücken runter. Phil stieg aus, und obwohl er wusste, wie dumm es war, lief er Mike nach. Der Gestank löste bei ihm zwar noch keinen Brechreiz aus, aber es fehlte nicht viel dazu. Das Lachen verstummte abrupt und ging in ein trockenes Schluchzen über. Phil stieß die Tür auf und ihm stockte der Atem. Die Wände des Raumes waren mit Blut und etwas Undefinierbaren beschmiert. Der ganze Raum leuchtete scharlachrot und schrie geradezu nach Tatort. Doch noch immer konnte Phil nicht erkennen, wer diese Geräusche produzierte. Die zweite Tür war nur angelehnt also stieß er sie ganz auf. Mike saß auf dem Toilettendeckel und starrte an die Wand. Jemand hatte mit einem Edding, eine Art Schatzkarte gemalt. Phil sah sich die Karte genauer an. Der Schatz war mit einem X markiert, neben dem eine Kiste mit der Aufschrift L-I-V stand. Phil runzelte die Stirn. „Was hat dass zu bedeuten?“ Fragte er Mike. Mike blinzelte ein paar Mal, ehe er zu Phil sah. „Was machst du denn hier?“ Phil zuckte nur mit den Schultern. Schließlich gab Mike zurück. „Ich habe vorhin einen Anruf von Livs Entführer bekommen. Er sagte, er habe was ich wolle ...“ An dieser Stelle musste Mike wieder grinsen. Doch es war kein frohes Grinsen. Es sah mehr nach Selbsthass und Ironie aus. „Weißt du, was das Schlimmste ist? Er hatte hundert Prozent recht. Ich wollte eine Spur finden, mit der ich schließlich Liv finden würde.“ Mike deutete auf die Karte an der Wand und schüttelte dann angewidert den Kopf. „Ich frage mich, woher er mich so gut kennt. Ich mein, jeder andere hätte gewollt, dass Liv wohlbehalten irgendwo wieder auftaucht. Woher weiß er, dass ich sie retten will. Verdammt!“
Dazu wusste Phil auch nichts zusagen, also zuckte er nur mit den Schultern. „Und was machen wir jetzt?“ Mike sah Phil, zwei volle Minuten lang an, als überlege er was er mit ihm anfangen soll. „Ich werde der Karte folgen und hoffentlich Liv finden. Was du machst; keine Ahnung. Fahr ins Krankenhaus zu deinem Bruder oder flieg wieder nach Hause. Liv ist meine Sache.“
Phil fuhr ins Hotel zurück, um seine Emails zu prüfen. Er hatte Glück, die Mail von Schwester Marie war bereits da und man konnte den Inhalt durchaus brisant nennen. Schnell überspielte er sie auf sein PDA und druckte das Bild aus. Dann nahm er sein Handy und wählte die Nummer seines Bruders.
Mike fuhr in südlicher Richtung weiter und erreichte irgendwann die Wüste. Er holte sein Handy hervor und sah noch einmal auf die Karte. Doch nichts schien zu passen, entweder er befand sich noch außerhalb des Kartenabschnitts oder aber er machte sich hier vollkommen lächerlich. Etwa eine Stunde später blieb er am Straßenrand stehen und starrte auf eine Holzkiste mit der Aufschrift L-I-V. Die Kiste befand sich gute 50 Meter von der Straße entfernt. Mike hatte sie nur aufgrund der Karte entdecken können. Denn ohne die ungefähre Vorstellung, wo die Kiste war, hätte er sie übersehen. Unwillkürlich fragte er sich, woran er sonst noch vorbei gefahren war? Mike griff nach seinem Handy und wählte die Telefonnummer von Officer Meyers. Doch er kam einfach nicht durch, er bekam hier draußen kein Netz. Er versuchte es über sein Funkgerät. Ohne Erfolg. „Na dann eben allein.“ Sagte er zu sich selbst und stieg aus. Er nahm eine Flasche Wasser und die Brechstange mit, die er letzte Woche einem Einbrecher abgenommen hatte und lief los. Kurze Zeit später stand er vor der Kiste. Sie war zugenagelt und bestand aus alten Brettern. Er setzte mit der Brechstange an und hebelte einen Nagel nach dem anderen aus. Schließlich drückte er die Kiste auf. Die Leiche einer Frau lag darin, doch es war nicht Liv. Zwar hatte sie ihr bestimmt einmal ähnlich gesehen, doch dass war mehr als zwei Wochen her. Mike schloss den Deckel wieder und lief zurück zu seinem Wagen. Er versuchte noch einmal Kontakt zu seinen Kollegen aufzunehmen, doch es funktionierte nicht. Also fuhr er ein Stück zurück, bis sein Handy wieder Signal hatte, und machte dann Meldung über den Leichenfund.
Meyers, versprach sich sofort darum zu kümmern. „Detektiv, ein Mann namens Phil Hold hat mehrfach versucht sie zu erreichen, er sagte er habe, Informationen für sie.“ Mikes Herzschlag erhöhte sich augenblicklich. „Hat er gesagt, um was es sich dabei handelt?“ „Nein er sagte nur, er habe Informationen und sie sollten ihn anrufen.“ „Danke Meyers.“ Mike legte auf und wählte Phils Handynummer. Es klingelte ein paar Mal dann ging die Mailbox dran. „Hier ist die Mailbox von Phil hinterlass mir eine Nachricht und ich ruf zurück.“ Mike fluchte, wofür war ein Handy gut, wenn man doch niemanden erreichte. Kurz darauf piepte sein Handy. Er hatte eine MMS bekommen. Mike stieß keuchend den Atem aus, als er die Nachricht öffnete und in das blutüberströmte Gesicht von Phil sah. Unter dem Bild stand noch eine kurze Nachricht. „Zu spät. Du kommst immer zu spät.“ Mike schloss für einen Moment die Augen, dann holte er tief Luft und rief Duncan an. „Ich habe gerade eine MMS bekommen, jemand hat deinen Bruder zusammengeschlagen.“ Mike konnte nur hoffen, dass Phil nicht schon Tod war. Er hörte, wie Duncan scharf den Atem einsog und wieder ausstieß. „Schick' mir die Nachricht auf mein Handy. Ich habe übrigens noch eine Nachricht von Phil für dich.“ Mike hörte Duncan schlucken. „Ich schicke sie dir. Pass auf dich auf Mike, die ganze Sache stinkt zum Himmel. Mir kommt es vor, als seien wir alle Marionetten und würden nur das tun, was der Marionettenspieler von uns will.“ Mike musste Duncan insgeheim recht geben, er hatte genau das getan, was der Marionettenspieler von ihm verlangte. Er sendete die MMS an Duncan und kurz darauf traf die Nachricht von Phil bei ihm ein. Mike schlug sich mit der Hand vor die Stirn und stöhnte. Nathanael Simons war ein Chamäleon. Mike hatte ihn, nachdem er Liv gefunden hatte, mehrfach gesehen. Er hatte regelmäßig mit ihm über Liv gesprochen, ihm sogar von seinen widersprüchlichen Gefühlen erzählt. Er wahr ja so dumm gewesen, hatte er sich nicht selbst gefragt, woher der Psychopath ihn so gut kannte, woher er wusste, was Mike wollte. Und hatten sie nicht schon längerer Zeit den Verdacht gehegt, dass der Psychopath irgendwelche Verbindungen zur Polizei hatte. Nun die hatte er als Polizeipsychologe mehr als genug. Und da kam ihm plötzlich ein Gedanke. Liv. Liv war ebenfalls bei ihm gewesen, kurz nachdem sie aus der Klinik entlassen wurde. Erst später hatte sie zu einem anderen gewechselt um ihre Ängste und die Panikattacken zu überwinden. Mike hatte sich schon gewundert, warum sie sich nicht an mehr Details erinnern konnte. Simons hatte Liv, unter Hypnose den bewussten Zugriff auf diese Erinnerungen nehmen können. Mike schauderte bei dem Gedanken daran, was Simons – Dr. Athanael ihr alles Suggerieren konnte.
Die Sonne schien heiß vom Himmel und verbrannte die Stellen, wo sie auf Livs Haut traf. Sie wollte sich bewegen, ihre Haut schützen, doch sie konnte sich nicht rühren. Seit Stunden lag sie hier und konnte außer ihren Augen nichts bewegen. Liv zählte ihre Herzschläge, es war die einzige Möglichkeit für sie, die Zeit zu messen. Die Tränen, die sie vor 300 Herzschlägen vergossen hatte, waren getrocknet und ließen ihre Haut spannen. Außer ihrem Atemgeräusch und den Herzschlägen war es vollkommen still. Panik stieg wellenartig in ihr auf und ließ ihre Muskeln verkrampfen. Ihre Beine zuckten unkontrolliert, wäre sie nicht auf der Liege angeschnallt, hätte sie sich vielleicht aus der Sonne bewegt. Doch so blieb sie, wo sie war. Ohne Hoffnung jemals wieder hier heraus zukommen. Doch noch gab Liv nicht auf, sie ließ ihre Augen durch den Raum wandern. Nahm die Details in sich auf. Sie betrachtete das Lüftungsgitter über ihr und die Leuchtstoffröhre. Noch war die Lampe aus, aber sie wusste, dass sie bald angestellt wurde. Die Sonne war zwar heiß auf ihrer Haut, aber die Leuchtstoffröhre war so grell, dass sie ihr wie tausend kleine Nadeln in den Augen stechen würde. Das wusste Liv nur zu genau, denn als sie vor unzähligen Herzschlägen die Augen aufschlug, da hatte sie noch gebrannt. Sie hatte Liv so sehr geblendet, dass sie glaubte zu erblinden. Schnell hatte sie die Augen geschlossen, doch selbst dann noch nahm sie das Licht wahr. Durch ihre geschlossenen Lider wirkte es blutrot und sie wünschte sich, wieder einschlafen zukönnen. Doch jedes Mal wenn sie kurz davor war einzuschlafen, flackerte das Licht über ihr. Wie ein Stroboskop, bis sie die Augen wieder aufriss. 3599 Herzschläge später starrte sie die verhasste Lampe an und wünschte sie würde brennen. Denn seitdem sie aus war, fehlte ihr der beruhigende Summton, den die Lampe von sich gab. Ein unbekanntes Geräusch versetzte sie in Alarmbereitschaft. Liv hielt den Atem an und lauschte. Doch außer ihrem rasenden Herzschlägen hörte sie nichts. Jeder der glaubte Lärm wäre furchtbar, hatte noch nie absolute Stille erlebt. Es fühlte sich an, als wäre man lebendig begraben. Diese Gefühl verstärkte sich noch, als die Sonne verschwand und Liv in völliger Dunkelheit und bewegungsunfähig zurück ließ. Sie begann wieder zu zählen, denn solange sie noch zählte, solange lebte sie.
Mike fuhr zurück in die Stadt und hielt direkt vor dem Polizeirevier. Er stieg aus und stürmte ins Büro. Er ignorierte die skeptischen Blicke seiner Kollegen und fuhr seinen Rechner hoch. Während er wartete, dass der Rechner einsatzbereit war, nahm er sich einen Kaffee und einen Donut. Beides stürzte er einfach hinunter, nichts von beiden schmeckte nach irgendwas. Er konzentrierte sich allein auf sein Ziel. Die Informationen zu beschaffen, die er brauchte, um Simons zu finden und Liv zuretten. Als das interne Programm endlich bereit war, war Mike bereits ein Nervenbündel. Es war für ihn ein vollkommen Untypisches verhalten, weshalb es auch nicht verwunderlich war, dass sich mehrere seiner Kollegen um ihn scharten und ihn besorgt musterten. Doch niemand wagte, ihn anzusprechen. Mike fand, wonach er suchte und deutete auf den Bildschirm, während er einen nach dem anderen seiner Kollegen in die Augen sah. „Nathanael Simons ist unser Psychopath und er ist den meisten von uns bekannt.“ Ein Raunen ging durch die Anwesenden. „Er hat sich unter dem Decknamen Dr. Simon Athanael eine zweite Identität aufgebaut. Er ist einer der Polizeipsychologen, die für dieses Department arbeiten.“ Wieder deutete er auf den Bildschirm. „Und dort hält er vermutlich Liv Bloom fest. Ich werde dorthin fahren und versuchen sie dort heraus zuholen. Da der Doktor sie wahrscheinlich nicht unter ihren Namen dort eingewiesen hat und alles was ich ihnen gesagt habe nur auf Indizien und Vermutungen beruht, kann ich nicht darauf hoffen, einen Durchsuchungsbefehl zu bekommen.“ Er machte eine Pause und sah in die Gesichter seiner Kollegen, die er seit Jahren kannte und schätzte. „Also werde ich dort ohne Erlaubnis auftauchen und ich werde eure Hilfe brauchen. Liv dort heraus zu bekommen wird schwer werden, denn ich habe keine Ahnung, wie weit die Macht dieses Irren reicht.“ Einer nach dem anderen nickte. Meyers stand vorn und räusperte sich. „Wir stehen hinter dir. Was auch immer du brauchst, du bekommst es.“ Mike standen Tränen der Rührung und Erleichterung in den Augen. Schließlich straffte er sich und erläuterte seinem Team den Plan zu Livs Rettung.
Phil schlug die Augen auf. Er befand sich in einem Bett in einem Weiß gestrichenem Raum. Er erinnerte sich wage daran schon einmal, hier gewesen zu sein. Jemand näherte sich ihm. Eine große Gestalt beugte sich bedrohlich über ihn. Phil wollte aufspringen und versuchte die Gestalt von sich zu schieben. Da hörte er die Stimme und erkannte seinen Bruder. „Ganz ruhig, es ist alles in Ordnung.“ Sagte Duncan sanft. Phil schüttelte den Kopf. Das hätte er besser lassen sollen, denn sofort explodierte ein Feuerwerk an Schmerz in seinem Kopf. Es fühlte sich an, als würde sein Schädel jeden Moment explodieren. Etwas Kaltes wurde auf seine Stirn gelegt und der Schmerz wurde auf ein erträgliches Maß gesenkt. „Was ist passiert?“ Oh Mann, war dass seine Stimme, die da so krächzte, als hätte er mit Säure gegurgelt? „Jemand hat dich zusammengeschlagen und eine Frau hat den Notruf gewählt. Sie hat dir das Leben gerettet.“ Scheiße Mann. Dachte Phil, er erinnerte sich dunkel an einen Engel, der ihm erschienen war und sagte, er solle nicht aufgeben. Hilfe sei unterwegs. Also hatte er sich die Blondine doch nicht eingebildet. Er hatte sie schon für eine Halluzination gehalten. „Ist sie hier?“ Krächzte er. Duncan deutete auf einen Stuhl in der Ecke des Zimmers. Dort lehnte eine junge Frau mit dem Kopf an der Wand und schlief. Sie war schön. Stellte Phil überrascht, dass es ihm überhaupt auffiel, fest. Seit Penelope vor ein paar Jahren von seinem jüngerem Bruder Max umgebracht wurde, hatte er keine Frau mehr angesehen. Aber dieser blonde Engel, hatte sein Interesse am weiblichem Geschlecht wieder erweckt. „Wer ist sie?“ Fragte er nun flüsternd, um sie nicht zu wecken. „Clarissa Pons. Sie ist Kellnerin in der Bar, hinter der man dich zusammenschlug. Sie wollte gerade eine Zigarette rauchen, als sie die Kerle bemerkte. Sie rief den Türsteher zu Hilfe und brachten dich dann ins Hinterzimmer der Bar. Bis der Notarzt und die Polizei eintrafen, blieb sie bei dir.“ Phil runzelte die Stirn. Duncan ahnte die unausgesprochen Frage dahinter. „Sie kam nach Feierabend her und wollte wissen, wie es dir geht. Ich habe ihr erlaubt hier zu warten, bis du aufwachst.“ Wieder runzelte Phil die Stirn und Duncan antwortete. „Du hast im Schlaf immer wieder von einem blonden Engel gesprochen und …“ Duncan hielt kurz inne. „Und ich dachte du würdest dich selbst bei ihm; bei Ihr bedanken wollen.“ Phil bemerkte die leichte Unsicherheit an Duncan nur, weil er ihn mittlerweile so gut, wie sich selbst kannte. „Du hattest recht, das möchte ich.“ Phil legte seine Hand auf Duncans und drückte diese kurz zum Dank, dann schloss er die Augen und fiel in einen leichten Schlaf.
Clarissa schreckte auf und sah zu der schlafenden Gestalt im Bett. Sie war allein mit ihm. Clarissa erinnerte sich lächelnd daran, wie sie seinem Zwilling begegnet war. Er musste sie für eine verrückte gehalten haben, so wie sie sich ihm an den Hals geworfen hatte. Klar hinter her war ihr natürlich bewusst geworden, dass Duncan nie und nimmer Phil gewesen sein könnte. Aus einem ganz einfachen Grund – er war unverletzt, kerngesund. Dennoch hatte er sie angehört und hatte ihr erlaubt, bei seinem Bruder zu bleiben. Sie wusste selbst nicht woher, dieses Bedürfnis kam, aber sie musste wissen, dass es ihm gut ging. Das war alles, was sie wollte. Sie wollte nur wissen, dass es ihm gut ging, das er lebte. Clarissa musste über sich selbst lächeln und schüttelte leicht den Kopf. „Was ist so lustig, ich will mit lachen?“ Beim Krächzen seiner Stimme erschrak sie heftig und zuckte zusammen. Er stöhnte und richtete sich ächzend auf. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.“ Er wirkte so niedergeschlagen deswegen, das Sie wieder lächeln musste. Sie trat näher an sein Bett und deutete auf den Stuhl, der dort stand. „Darf ich?“ Er nickte und sie setzte sich. Keiner sagte etwas und die Stille dehnte sich unbehaglich aus. „Danke …“ „Wie …“ Fingen beide gleichzeitig an und mussten kichern. „Ein wenig Kopfweh sonst nichts, glaube ich. Dank dir.“ Sagte Phil schließlich, um die erneute Stille zu durchbrechen. Sie hob den Kopf und sein Gesicht verfinsterte sich. Er hob die Hand an ihr Auge und strich vorsichtig, zärtlich über den Bluterguss. „Wer war dass?“ Stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Einer der Kerle rempelte mich mit der Schulter an, ehe Brian ihn wegstoßen konnte. Es ist nichts Ernstes. Mach dir deswegen keine Gedanken.“ Beschwichtigte sie ihn und nahm seine Hand von ihrem Gesicht. Sie sollte seine Hand wieder aufs Bett legen und loslassen, doch stattdessen verschlangen sich ihre Finger wie von selbst ineinander. So als gehörten sie zusammen. Phil räusperte sich. „Ist Brian … ist er dein Freund?“ Clarissa schüttelte den Kopf. „Und Liv … ich mein …?“ Phil runzelte die Stirn. „Du hast im Schlaf von ihr geredet, ich hab allerdings nicht viel verstanden.“ Phil entspannte sich, sie glaubte sogar ein lächeln auf seinen Lippen zu sehen. Oh man, sie liebte dieses Lächeln. „Sie ist sozusagen der Grund, warum mich die Kerle vermöbelt haben.“ Clarissas Hoffnung sank. Sie konnte sich ihre Enttäuschung darüber, dass er eine Freundin hatte, selbst nicht erklären. Nur dass sie eine Art Verbindung zu ihm spürte. „Sie ist die Freundin eines Freundes und wurde entführt, ich versuche ihm zuhelfen.“ Clarissa fühlte eine Zentnerlast von sich abfallen und fühlte sich im nächsten Moment schuldig, weil sie sich nur darüber freute, dass Liv nicht seine Freundin ist. „Das ist nett von Dir. Ich mein, dass du ihm hilfst und so.“ Oh man, was rede ich denn da. Geht es eigentlich noch peinlicher. Ein leichter Druck an ihrer Hand unterbrach ihre Selbstgeißelung. „Ich mache das hauptsächlich für mich.“ Liv runzelte die Stirn. „Vor ein paar Jahren, hat mein jüngerer Bruder, meine damalige Freundin umgebracht. Ich konnte ihr nicht Helfen, ich kam zu spät, um es zu verhindern.“ Phil schüttelte den Kopf. „Vor allem wenn ich nicht nach ihm gesucht hätte, hätte er mich vermutlich nie gefunden und Penelope würde noch leben.“ Phil sah an die Decke, und als er sie wieder ansah, schwammen seine Augen vor ungeweinten Tränen. Clarissa strich ihm tröstend mit ihrer freien Hand über die Wange. Dann beugte sie sich vor und küsste ihn.
Liv schlug die Augen auf. Um sie herum war nichts außer Schwärze, es war absolut dunkel. Schon einmal hatte sie sich an solch einem Ort befunden. Sie hatte in diesen Gefängnis aus Spiegeln gesessen und darauf gewartet wieder geschlagen zu werden. Doch statt dessen ging die Tür auf und Mike rettete sie. Im ersten Moment hatte sie geglaubt, er sei nicht real. Damals hatte sie oft Halluzinationen gehabt. Sie hatte sich eingebildet wieder zu Hause zu sein, nur um kurze Zeit später aufzuwachen und wieder in diesem Albtraum gefangen zu sein. Es hatte sie fast wahnsinnig gemacht nicht zu wissen, was Realität und was Einbildung war. Nun da sie wieder in diesem Albtraum gefangen war, gab es nur einen Ausweg für sie. Sie musste ihre Seele, ihren Geist von ihrem Körper trennen und versuchen zu fliehen. Mit einwenig Glück würde ihr Körper bald aufgeben und sie wäre für alle Zeit frei. Liv hatte keine Kraft mehr, sie wollte, dass alles endlich ein Ende hatte. Liv konzentrierte sich darauf, alle Gedanken fallen zu lassen. Ließ alles, was ihr je etwas bedeutet hatte hinter sich und schnitt im Geiste die Bänder durch, die sie an ihren Körper banden. Befreit von ihrer sterblichen Hülle schwebte ihr Geist zur Decke empor. Liv sah nicht zurück sie schwebte weiter und weiter immer höher und höher ohne Ende.
Mike saß mit Meyers im Wagen und beobachte die Zufahrt zur Klinik von Dr. Simon Athanael. Das Klinikgelände war von einem 3 Meter hohen Maschendrahtzaun umgeben. Doch damit nicht genug, der Zaum stand auch noch unter Strom und war mit einer Alarmanlage verbunden. Auf dem gesamten Gelände waren etwa zwanzig sichtbare Kameras verteilt. Sicher gab es auch ein paar Unsichtbare. Dann gab es da noch Bewegungsmelder und Stolperdrähte, hier litt offenbar jemand an Verfolgungswahn. Sie würden durch die Tür reingehen müssen, eine andere Möglichkeit gab es nicht. Also wären sie beide auf sich allein gestellt, bis sie Liv fanden. Mike sah zu Meyers hinüber, und als dieser zustimmend nickte, fuhr er los. Als sie sich der Schranke näherten, kamen die bewaffneten, privaten Sicherheitsleute vom Doktor auf sie zu und klopften je einer an die Fahrer- und Beifahrerscheibe. Mike ließ sein Fenster herunter. „Hallo Jungs; ich habe einen Termin mit Dr. Athanael.“ „Name?“ Bellte der Typ neben Mike. „Mike Mac Dog.“ Der Mann neben Meyers Fenster lief zum Wartehäuschen und sah kurz im Computer nach, dann nickte er seinem Kollegen zu. Die Schranke ging auf und Mike und Meyers fuhren auf den Parkplatz für Besucher. Als sich die Schranke hinter ihnen schloss, hatte Mike ein beklemmendes Gefühl. Er fühlte sich beobachtet und eingesperrt wie ein Tiger im Zirkus. Kein schönes Gefühl. Sie stiegen aus den Wagen und liefen zum Eingang, wo sie ein weiterer Sicherheitsmann in Empfang nahm. „Hier entlang.“ War alles, was er sagte, als sie bei ihm ankamen. Also folgten sie ihm genauso schweigend. Für Mike fühlte es sich wie der Weg zum Galgen an, doch er ließ sich nicht beirren. Liv war alles, was für ihn zählte, sie allein war von Bedeutung für ihn. Sie blieben vor einer grauen Tür stehen, die sich durch nichts, von den anderen, unterschied. Es würde nicht einfach werden, Liv in diesem Labyrinth zu finden. Der Sicherheitsmann klopfte und öffnete dann die Tür. Mike und Meyers folgten ihm in den Raum. Der Raum war nicht sehr groß, aber seine Einrichtung war das reinste Paradies für einen Technikfreak . Die linke Wand war von unten bis oben mit Bildschirmen gepflastert und rechts daneben stand eine Schaltzentrale, eine Art mutierter Computer, wie man ihn aus schlechten Action Sequenzen in mittelmäßigen Filmen kennt, wenn die Bösen Mal wieder eine Atombombe benutzen wollen, um die Menschheit auszulöschen. Nur dass das hier kein Film war. Der Sicherheitsmann lief an dem Equipment vorbei und hielt ihnen eine Tür auf. Mikes Magengrummeln verstärkte sich, als sie durch die Tür traten. Dieser Raum war größer, als der vorige und er wirkte gemütlich. Geradezu stand eine Couch, neben der ein Sessel stand, es gab auch noch einen Schreibtisch und jede Menge Aktenschränke. Eine Tür öffnete sich und Dr. Athanael trat hinter seinen Schreibtisch. Er wirkte entspannt und ausgeglichen wie immer. Doch Mike sah ein paar Schweißtropfen an seiner Schläfe. Also spielte der angebliche Arzt ihnen etwas vor. Gut so dachte Mike. Er bedeutete Meyers sich an der Tür durch die sie gekommen waren Stellung zu beziehen und wandte sich dann Athanael zu. „Dr. ich würde gerne mit ihnen über einen Fall von mir sprechen. Wie ich bereits am Telefon sagte, es ist wirklich dringend.“ Der Dr. nickte und zeigte dann auf den Stuhl vor sich. Mike nahm Platz und holte eine Akte unter seiner Jacke hervor. Er legte sie so auf den Tisch, dass der Dr. Livs Namen lesen konnte. Noch mehr Schweiß bildete sich auf der Stirn des Arztes. „Liv Bloom ist entführt wurden und der Psychopath hat mir eine Karte hinterlassen, wo sie zu finden sein soll.“ Mike zuckte mit den Schultern, um seiner Aussage die nötige Würze zu verleihen. „Aber ganz ehrlich Dr. ich habe Angst dort hinzufahren.“ Sagte er im Flüsterton und warf Meyers dabei einen Blick zu, so als wollte er nicht, dass dieser Wind davon bekam. Als Mike sah, wie der Arzt sich entspannte, wusste er, dass er ihn, am Haken hatte. Nun ging es richtig los. „Also dachte ich mir, sie könnten vielleicht mitkommen, ich mein sie kennen den Täter mindestens genauso Gut wie ich, wenn nicht besser.“ Wieder warf Mike einen verstohlenen Blick auf Meyers, ehe er flüsterte. „Ich würde mich wohler fühlen.“ Der Dr. wirkte sichtlich erfreut darüber und nickte zustimmend, ehe er sich erhob und Mike die Hand hinhielt. „Sagen sie mir wann und wir fahren hin, ich möchte diesen Kerl ebenso dran kriegen wie sie.“ Mike hätte es ihm fast abgenommen, doch er kannte die Wahrheit und ließ sich nicht blenden. Plötzlich spürte er etwas. Es fühlte sich an, als würden kalte Finger sein Gesicht streicheln. Mike glaubte, den Duft von Livs Parfüm wahrzunehmen. Kühle Lippen legten sich auf die seinen, ließen ihn, an seinem Verstand zweifeln. Der Dr. ließ seine Hand los und die Empfindung verschwand. Mist verdammter was war das denn gewesen. Meyers meldete sich zu Wort. „Hey Dr. was meinen sie, bekomme ich eine Führung durch ihr kleines Reich.“ Der Dr. zeigte sich erfreut, am Interesse des jungen Polizisten und nickte bedächtig. „Rubens wird sie durch das Gebäude führen. Lassen sie mich in aller Bescheidenheit anmerken, dass es das Sicherste und am Besten bewachte Gebäude im ganzen Staat ist.“ Meyers nickte eifrig. „Danke das ist echt nett von ihnen.“ Der Dr. drückte einen Knopf an seinem Schreibtisch. Kurz darauf ging die Tür auf und der Sicherheitsmann von vorhin betrat den Raum. „Führen sie die Beiden herum.“ Sagte er zu dem Mann und wandte sich dann an Mike. „Ich bin in etwa einer Stunde aufbruchbereit, wir treffen uns dann auf dem Parkplatz.“ Mike nickte und fügte dann noch ein dankbares Lächeln hinzu.
Während Rubens sie durch die Gänge führte, prägten sie sich den Grundriss ein, um ihn später mit den Plänen vergleichen zu können. Mike war sich sicher, dass der Dr. ihn nicht an Livs Zimmer vorbei führen würde. Somit hätten sie dann ein Schwarzes Loch auf dem Plan und eine ungefähre Vorstellung, wo auf dem Gelände, sich Liv befand. Rubens war nicht sehr gesprächig, was einerseits gut war, andererseits aber auch schlecht, da sie so, an wenig Informationen kamen. Etwa eine Stunde später brachte Rubens sie wieder zum Parkplatz. Nun folgte der riskante Teil seines Plans, Mike musste es so einfädeln, dass Dr. Athanael mit ihm, zu dieser Kiste in der Wüste fuhr und gleichzeitig, musste er die Pläne des Gebäudes mit seinen Erinnerungen vergleichen. Danach musste er es fertigbringen Dr. Athanael aus dem Verkehr zu ziehen, ohne das dieser misstrauisch wurde. Dr. Athanael kam zu Mikes Wagen gelaufen und lächelte freundlich. Doch Mike wusste, wie falsch dieses Lächeln war. Dr. Athanael wollte gerne mit seinem Wagen fahren, was Mike gut im Kram passte, so würden er und Meyers reden können, während sie fuhren. Mike erklärte dem Dr. den Weg und stieg dann mit Meyers in seinen Wagen. Als Mike die Schranke passiert hatte, deutete Meyers auf ein winzig kleines Mikrofon, das man am Rückspiegel angebracht hatte. Mike nickte ganz leicht, um Meyers zu zeigen, dass er ihn verstanden hatte. Meyers drehte das Radio auf volle Lautstärke und tat so als würde er sich im Rhythmus der Musik bewegen. Ganz unabsichtlich stieß er dabei an den Rückspiegel und entfernte das kleine Mikrofon. Mike tat so als würde er seinen Partner wegen der lauten Musik zur Schnecke machen. Wobei er die Musik auf ein erträgliches Maß reduzierte. Nachdem Meyers das Mikrofon aus dem Fenster geworfen hatte, ließ er seinen Blick durch das Wagen innere Wandern und entdeckte auch eine kleine Kamera in der hinteren Leselampe. Er knipste die Lampe an und tat so als würde er nach etwas in seiner Tasche suchen. Durch die Überbelichtung würde man nun nichts mehr erkennen können. Mike warf einen verstohlenen Blick in den Rückspiegel. Der Dr. war noch immer hinter ihnen. Meyers schlug die Akte auf, die er aus seiner Tasche gefischt hatte. Dann deutete er mit dem Finger auf einen Kartenausschnitt im Grundriss von der Klinik. Auch Mike hatte bemerkt, dass man mit ihnen zwar einen Rundgang vom Keller bis in den dritten Stock gemacht hatte, dabei jedoch das Erdgeschoss völlig außer Acht ließ. Vermutlich befand sich Liv also im Erdgeschoss, doch auch eine der Baracken, die rund um die Klinik aufgebaut waren, kamen infrage. „Wir müssen zwei Teams bilden. Eines sucht das Erdgeschoss ab und das Zweite die Baracken. Wie sieht es mit der Ablenkung für den Dr. aus?“ Meyers lächelte. „Alles vorbereitet, er wird mindestens drei Stunden beschäftigt sein.“ „Gute Arbeit Meyers.“
Es war echt ein komisches Gefühl wieder hier raus zu fahren. Wer hätte gedacht, dass Mike ihn bitten würde, mit ihm hier raus zu fahren. Er wahr so überrascht gewesen, dass er sich nur schwer hatte beherrschen können. Beinah hätte er sich durch eine unbedarfte Reaktion verraten. Doch es war alles gut gegangen und durch den Rundgang, den die Zwei gemacht hatten, hatte er noch einmal nach seinem kleinen Liebling sehen können. Sie lag so friedlich in seinem Bett, das er nicht hatte widerstehen können. Er hatte sich ein paar Minuten neben sie legen müssen. Schade war nur, dass er sie nicht hatte wecken können, denn dafür war die Zeit einfach zu knapp gewesen. Doch dass würde er nachholen, sobald er heute Abend zurück war. Er würde sie in seinen Armen halten und sie dann aufwecken, und wenn er dann die Angst in ihren Augen sah … allein bei dem Gedanken wurde ihm ganz heiß. Liv war und blieb einfach die Beste. Sie sprach so wunderbar auf seine Suggestionen an. Vielleicht; überlegte er, würde er sie irgendwann dazu bringen, dass sie sich in ihn verliebte. Natürlich würde er sie dann töten müssen. Denn niemand durfte ihn lieben. Sie durfte ihn hassen, fürchten und verdammen, aber wehe sie liebte ihn. Dann wäre alles aus. Er stieg aus dem Wagen und trat neben Mike und seinen Partner. Mike kannte er schon von ein paar Gesprächen, die sie über Liv geführt hatten. Seinen Partner sah er heute zum ersten Mal. Er wirkte ein wenig angespannt, offensichtlich ein Grünschnabel den Mac Dog einweisen sollte. Nun da sein Boss im Krankenhaus lag. Ja, es hatte ihm fast leidgetan, dass er Kennedy in die Luft gejagt hatte. Doch er hatte die Ablenkung gebraucht. Wer hatte denn damit rechnen können, dass Linda auf seine Hypnose nicht so ansprach wie die anderen. Er hatte sie einfach unterschätzt, aber dass würde ihm ganz gewiss nie wieder passieren. Das nächste Mal, würde er die Tiefe der Hypnose erst erproben, ehe er noch einmal in so eine Situation kam. Er wusste bis heute nicht, wie es Linda überhaupt gelungen war, aus der Hypnose auszubrechen. Er hatte ihr eingeredet, sie sei ein ferngesteuerter Roboter und könne nur das tun, was er ihr sage. Doch sie hatte einfach das Steuer herumgerissen und war mit dem Wagen in einen Truck gefahren. Wodurch er für kurze Zeit sein Bewusstsein verlor. Als der Sanitäter ihn nach seinem Namen fragte, hatte er irgendetwas gesagt und war hinterher froh darüber. Denn hätte er eine seiner wahren Identitäten preisgegeben wäre ihm Mike längst auf den Fersen.
Offenbar hatte die Presse mal wieder den Polizeifunk mitgehört, denn es waren bereits zwei Ü-Wagen vor Ort. Seine andere Identität freute sich über den Medienrummel, doch der Psychologe sah auch eine Gefahr darin, dass sein Gesicht auf Film gebannt wurde. Wenn ihm jemals jemand auf die Schliche kam, könnte man von diesen Aufnahmen gute Fahndungsbilder erstellen. Also setzte er seine Sonnenbrille auf und ging mit gesenktem Kopf zu Mac Dog und seinem Partner. Gemeinsam liefen sie zu der Kiste, die er selbst hier vor nicht einmal 10 Stunden abgeladen hatte. Der Deckel war bereits geöffnet wurden, sodass man einen ungehinderten Blick auf die Leiche hatte. Therese war ein viel zu leichtes Opfer gewesen, weswegen er sie auch schnell wieder entsorgt hatte. Schon nach ein paar Tagen war ihr Wille gebrochen gewesen. Kein Vergleich zu seiner Liv. Liv kämpfte selbst jetzt noch, obwohl es absolut keine Hoffnung mehr für sie gab, jemals wieder frei zu sein. Nun warf er einen Blick auf Mike, er wirkte ein wenig blass um die Nase und sehr wütend. Sein Partner kämpfte mit seinem Magen, offenbar hatte sich sein Körper noch längst nicht an seinen Job gewöhnt.
Mike brannte darauf endlich loslegen zu können, doch noch musste er sich gedulden. Er wandte den Blick von der Leiche ab und winkte den Streifenpolizisten heran. „Wer hat ihnen verdammt noch mal erlaubt, die Kiste zu öffnen?“ Schnauzte Mike den Mann an. Dieser sah sich ängstlich nach links und rechts um. „Das war ich nicht.“ Stieß er ängstlich hervor und wich einen Schritt zurück. Mike wollte ihn gerade fragen, wer es dann war, als eine völlig aufgelöste Frau bei ihnen auftauchte. „Oh mein Gott. Therese!“ Schrie sie schluchzend heraus. Mike versuchte noch die Frau festzuhalten, doch da war es schon zu spät. Sie warf sich auf die Kiste und versuchte ihre Freundin zu befreien. Natürlich war alles was hier passierte ein abgekartetes Spiel. Lynn war gerade in der Polizeiausbildung und mimte nun die völlig aufgelöste Freundin der Toten. Noch immer zerrte Lynn an der Leiche und Mike wandte sich Hilfe suchend an den Doktor. Als dieser nickte, zog er Lynn am Ellenbogen von der Leiche weg. „Sie können Therese jetzt nicht mehr helfen, also lassen sie die Polizei ihre Arbeit machen.“ Sagte der Dr. zu ihr, während er sie mit sich zog. Mike trat zu ihnen. „Dr. Athanael wird sich um sie kümmern und der Deputy hat auch noch ein paar Fragen an sie.“ Lynn ließ sich widerspruchslos vom Doktor wegführen. Sie war wirklich eine hervorragende Schauspielerin.
Mike wartete noch, bis die Zwei im Polizeibus verschwanden, ehe er eilig zu dem wartenden Hubschrauber, von der angeblichen Presse lief. Mike hatte für diesen Einsatz, jeden noch so kleinen Gefallen eingefordert den er bei verschiedenen Leuten gut hatte. Der Heli hob lärmend vom Boden ab und sauste nur so, über die vorüberziehende Landschaft hinweg. Zehn Minuten Später landete der Heli auf einem Parkplatz, der nur 500 Meter von der Klinik entfernt war. Sein Team erwarte ihn bereits. Nach einer kurzen Einsatz Besprechung fuhren sie los. Sein Team hatte bereits dafür gesorgt, das der Strom aus fiel und auch der Generator nicht mehr funktionierte. Also waren sowohl die Kameras als auch die Bewegungsmelder außer Betrieb. Mike und Meyers führten je eine Gruppe von 5 Männern an. Mike übernahm das Erdgeschoss und Meyers die Baracken. Lautlos schlichen sie sich von hinten an das Wärterhäuschen. Sie hatten sowohl Betäubungsmunition, als auch Scharfe Munition dabei. Mike wollte eigentlich niemanden töten müssen, aber wenn es sich nicht vermeiden ließ, würde er es tun. Mit Handzeichen gab er Meyers den Befehl die zwei Männer schlafen zu legen. Meyers war ein ausgezeichneter Schütze, binnen 2 Sekunden schliefen beide Männer wie zwei Babys. Geduckt liefen die beiden Teams über den Parkplatz und trennten sich an der Eingangstür. Mike und seine Männer schlichen lautlos zu einem Seiteneingang, den das Personal immer offen ließ, um schnell mal eine rauchen zu können. Er schickte je zwei Männer in den linken und in den rechten Gang. Ross und Mike gingen den Mittelgang ab. Beide hielten sie die Waffe mit der Betäubungsmunition schussbereit, während sie den Flur entlang schlichen und durch die kleinen Sichtfenster in die Zimmer sahen. Doch die Räume waren alle leer, überhaupt wirkte das Erdgeschoss nahezu ausgestorben.
Meyers und seine Männer nahmen sich die einzelnen Baracken vor. Offenbar dienten sie als Wohnquartiere für die Angestellten. Meyers Männer hatten bereits drei Männer, die für die Sicherheit zu ständig waren, schlafen gelegt, als ihn ein Geräusch erstarren ließ. Per Handzeichen teilte er seinen Männern mit, dass sie sich absolut still verhalten sollten. Rubens trat aus den Schatten, warf einen Blick nach links und rechts. So als wolle er überprüfen, dass ihn niemand sah, und öffnete dann, eine unter dem Gras verborgene Falltür. Sobald die Tür zu war, griff Meyers nach seinem Handy und schickte Mike eine SMS.
Mike war gerade dabei einen der betäubten Wachmänner in eine Art Abstellraum zu ziehen, als sein Handy vibrierte. Rubens schlich also ebenfalls heimlich herum, war nur die Frage, für wen er wirklich arbeitet. Mike steckte sein Handy weg und setzte seinen eigenen Weg fort.
Meyers öffnete vorsichtig die Falltür und spähte durch die Öffnung. Ein langer Gang erstreckte sich in zwei Richtungen. Einer führte in Richtung Klinik, der andere zum Parkplatz vor dem Klinikgelände. Meyers stieg mit Thompson, Mitchell und Lancaster in den Tunnel hinab. Miller und Pears kontrollierten weiter die Baracken. Er schickte Thompson und Lancaster in Richtung Parkplatz, sie würden erkunden, ob man den Tunnel als Fluchtweg verwenden konnte. Meyers lief voran und Mitchell deckte seinen Rücken ab. Sie kamen etwa 100 Meter weit, als sie Geräusche vernahmen. „Du bist so eine Schönheit, ich kann es nicht glauben, dass wir wirklich zusammengehören. Bitte meine schöne, sag, sag das Du mich liebst.“ Meyers erkannte Rubens Stimme und spähte vorsichtig um die Ecke. Was er dann sah, ließ ihm den Atem stocken.
Mike lief um eine weitere Ecke und fand wieder einen leeren Raum. Hatte er sich wirklich so sehr getäuscht? Ross deutete auf eine Tür am Ende des Gangs, es war die einzige Tür ohne Sichtfenster. Mike drückte die Klinke hinunter, doch die Tür war verschlossen. Ross schob Mike sanft zur Seite und schob seinen spezial Dietrich in den Schließzylinder, dann ruckelte er zweimal kurz und drehte ihn. Kurz darauf öffnete sich die Tür. Vor ihnen standen zwölf schwarze Bildschirme und daneben befand sich eine weitere Tür. Ross öffnete auch diese und ließ Mike zuerst eintreten. Es handelte sich um eine modern eingerichtete Wohnung. Mike jedoch würdigte der Einrichtung kaum einen Blick. Er lief geradewegs durch das Wohn-Esszimmer, am Bad vorbei zum Schlafzimmer. Die Tür war nur angelehnt so als würde der Bewohner jeden Moment die Tür aufstoßen.
Liv hatte einen Moment das Gefühl, endlich frei zu sein. Doch wieder hielt sie irgendetwas auf dieser verdammten Welt fest. Aber vielleicht war es eher ein jemand, als ein etwas, was sie in dieser Welt hielt. Liv betrachtete dieses letzte Band und runzelte die Stirn. War das Band in den letzten Minuten dicker geworden? Wie war das möglich und warum, war ihr das nicht früher aufgefallen? War es möglich, dass Nathanael dafür verantwortlich wahr? Doch egal warum, sie musste dieses Band endlich zerstören, denn sonst würde sie für ewig hier festsitzen. Liv riss an dem Band und ...
Mike hielt den Atem an, als er der Tür einen Schubs gab. Eine Frau lag im Bett,es sah aus als würde sie schlafen. Ihre schwarzen Locken lagen ausgebreitet auf dem Kopfkissen. Es sah aus, wie ein Bild aus einem seiner Träume. Nur wäre dies einer seiner Träume, würde Liv nun die Augen aufschlagen und ihn verträumt anlächeln. Mike lief zu ihr, sah, wie sich ihr Brustkorb sanft hob und senkte. Ihre Lider flatterten hektisch, so als hätte sie einen Albtraum. Mike betrachte sie von oben bis unten, unter ihrem linken Auge, hatte sie einen Bluterguss und auch ihr Bauch schillerte in verschiedenen blau Schattierungen. Mike ballte vor Wut die Fäuste, am liebsten würde er den feinen Doktor für alles, was er Liv und den anderen Frauen angetan hatte, umbringen. Mike atmete ein paar Mal tief durch, um wieder ruhiger zu werden. Dann griff er nach seinem Handy und rief die Verstärkung. Nachdem das erledigte war, wandte er sich an Liv. Er legte ihr vorsichtig eine Hand auf die Schulter und flüsterte ihr leise ins Ohr. „Liv, es ist alles in Ordnung. Ich bin es Mike, wach auf.“ Doch egal was er auch versuchte Liv schlief weiter. Es war so, als wäre sie gar nicht mehr da.
Meyers stand in der Tür, zu einer Art Gefängnis, zumindest wirkte der Flur als wäre er aus Guantanamo hierher versetzt worden. Rubens saß auf der Kante einer Pritsche und streichelte liebevoll eine bewusstlose Frau. Meyers schlich sich näher an den Mann und hielt ihm seine Waffe direkt an die Schläfe. Rubens rührte sich nicht, er bewegte keinen Muskel, so als würde er ihn gar nicht bemerken. Meyers räusperte sich, um Rubens auf sich aufmerksam zu machen. Doch der blickte sich nicht einmal um, er sah nur die Frau an. Sie war Liv ähnlich, das herzförmige Gesicht, die dunklen Locken und ihr zarter Körperbau. Auf den ersten Blick hätte man sie für Zwillinge halten können. Rubens beugte sich nun über die noch immer bewusstlose Frau und zog sie an sich, ehe er ihr einen Kuss auf die leicht geöffneten Lippen drückte. „Oh, Gabrielle. Bitte wach doch endlich wieder auf. Bitte mein kleiner Schatz.“ Meyers tippte Rubens auf die Schulter und zum ersten Mal, seit Meyers hier war, nahm der andere Mann ihn wahr. Rubens versteifte sich, spannte seine beeindruckenden Muskeln an, in seinen Augen glitzerte Mordlust. Meyers hob beschwichtigend die Hände. „Ich bin von der Polizei und mein Kollege auch. Wir suchen eine Frau, die dieser zum Verwechseln ähnlich sieht.“ Nachdem Meyers seine Erklärung abgegeben hatte, wurde es für eine Weile still. Schließlich nickte Rubens und legte die Frau wieder sanft aufs Bett. Er sah Meyers direkt in die Augen, als er sagte. „Er hat sie in seinen Privaträumen, sie steht genau wie Gabrielle unter Hypnose. Nur der Doktor kann sie wieder aufwecken. Sonst hätte ich mit Gaby längst die Biege gemacht.“ Meyers musste diese Information erst einmal sacken lassen. Wenn es stimmte, und Rubens glaubte es offensichtlich, dann würden sie den Doktor brauchen. „Wenn man die Frauen in diesem Zustand von hier fortbringt, sterben sie, sobald sie die Grenze überschreiten.“ „Was für eine Grenze?“ Warf Mitchell von der Tür aus ein. „Der Zaun. Wenn eine der Frauen, den Zaun passiert, stellt ihr Körper, sofort alles ein.“ Rubens schüttelte angewidert den Kopf. „Glauben sie mir, das ist die Wahrheit, ich habe es selbst gesehen. Er hat es mir an einer Testperson gezeigt, damit ich nicht auf die Idee komme, einfach mit Gaby zu verschwinden, wenn er nicht da ist. Er wollte sicher sein, dass ich nicht zur Polizei renne, denn ich bin der Einzige hier, der nicht hypnotisiert werden kann. Er weiß, dass ich Gaby liebe.“ Meyers Telefon vibrierte und er sah aufs Display. (ICH HABE LIV GEFUNDEN UND BRINGE SIE ZUM WAGEN) Meyers brach augenblicklich der Angstschweiß aus. Der Wagen stand hinter der Grenze. Schnell rief er Mike an, es läutete zweimal, ehe die Mailbox ansprang. Meyers legte auf und rannte los. Im Rennen rief er Mitchell noch zu, er solle versuchen die anderen zu erreichen, und sie zu warnen.
Mike nahm Liv auf seine Arme und lief mit ihr hinaus auf den Flur. Sein Handy vibrierte, doch er ignorierte es, alles was zählte, hielt er in diesem Moment in seinen Armen. Er würde Liv von hier fortbringen, sie in Sicherheit bringen und anschließend nie wieder aus den Augen lassen. Denn eins wusste er nun mit absoluter Gewissheit, er liebte Liv und das würde sich niemals ändern. Ross und er liefen zügig auf den Ausgang zu, als plötzlich das Handy von Ross laut klingelte. Augenblicklich verharrte er in seiner Bewegung und auch Mike blieb stehen. Sie warfen einen nervösen Blick in die Umgebung, während er an sein Handy ging. Niemand kam auf sie zugelaufen, offenbar war keiner in der Nähe und Ross stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, während er den Ausführungen des Anrufers lauschte. „Kannst du das, bitte noch einmal wiederholen.“ Forderte er diesen auf während Mike sich wieder in Bewegung setzte und sich an der Schranke zum Parkplatz vorbei schlängelte. „Halt, stehen bleiben!“ Brüllten Ross und Meyers im gleichen Moment und Mike verharrte augenblicklich in seiner Bewegung. Ross zog ihn an seiner Jacke zurück und musste ihn fest halten, damit Mike nicht sein Gleichgewicht verlor. Mike drehte sich zu den beiden Männern um und starrte erst Ross und dann den sichtlich außer Atem geratenen Meyers an. „Wenn … du … sie … über … die … Grenze … bringst … ist … Liv … Tod.“ Stieß er völlig außer Puste hervor. Mikes Verstand reagierte sofort und befahl seinen Beinen zurück zu gehen. Doch sein Herz sträubte sich gegen diesen Befehl, sodass er, kaum das Er die Schranke passiert hatte, wieder stehen blieb. Meyers japste noch immer nach Luft, also wandte er sich Ross zu. Der hielt ihm sein Handy hin. Nachdem Mike von Rubens in den perfiden Plan des Doktors eingeweiht war, ließ er sich zur Erde sinken. Seine Knie gaben einfach nach und er brach mit Liv auf seinen Armen zusammen. Ich hätte sie beinah umgebracht. Schoss es ihm, immer wieder durch den Kopf.
Duncan saß noch immer bei Lisa am Bett, hielt ihre Hand und hoffte, sie würde endlich aufwachen. Als er diesem Auftrag zugestimmt hatte, wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, das jemand dabei verletzt werden könnte. Rose wurde unruhig und wimmerte leise. Sie würde jeden Moment aufwachen und wie jeden Morgen in den letzten Tagen, bitter enttäuscht darüber sein, dass ihre Mum noch immer schlief. Doch so gern er Rose dieses Gefühl ersparen wollte, er konnte es nicht. Die Ärzte hatten mehrfach versucht, Lisa aus dem künstlichen Koma aufzuwecken. Bis schließlich der Neurologe meinte, sie würde aufwachen, wenn sie dazu bereit wäre. Tolle Aussage dachte Duncan und konnte seinen Groll nur schwer herunter schlucken. Doch für Rose musste er sich zusammen reißen. Es musste seine kleine, unschuldige Tochter beschützen. Und er würde dafür Sorgen, dass Lisa diesmal einen längeren Urlaub machte. Klar Duncan wusste, wie viel ihr die Arbeit bedeutete, aber Rose kam jetzt in ein Alter, wo sie ihre Mum dringend brauchte und wenn er ehrlich war, er auch. „Oh, Lisa – Bitte wach doch auf, ich brauche dich so sehr.“ Das Läuten seines Handys riss ihn von seinen Gedanken fort. „Mike was gibt es Neues?“ Begrüßte er den Polizisten, den er mittlerweile als Freund empfand. „Wir haben Liv und eine weitere Frau gefunden.“ An der Niedergeschlagenheit seiner Stimme erkannte Duncan, dass das nicht alles war, also wartete er auf weitere Erklärungen. „Er hat die Frauen hypnotisiert. Wenn man sie vom Gelände der Klinik wegbringt, sterben sie. Er hat ihnen eine Art Selbstzerstörungsimpuls ins Gehirn gepflanzt. Kennst du nicht einen guten Psychologen, der das wieder beheben kann und innerhalb weniger Stunden hier ist?“ Mikes offensichtliche Verzweiflung ging ihm an die Nieren, doch ihm wollte niemand einfallen der binnen weniger Stunden hier wäre. Er hatte die gesamten Einsatzpläne seiner Organisation im Kopf und der Einzige, der für diesen Fall infrage käme, befand sich in Übersee. Lupo arbeitete derzeit verdeckt in einem Camp voller Terroristen. Duncan hatte keine Chance ihn zu kontaktieren geschweige denn, ihn kurz mal dort rauszuholen. „Nein tut mir leid.“ Als er das sagte, ging die Tür auf und sein Bruder steckte den Kopf herein. Phil erfasste mit einem Blick, dass Lisa noch immer bewusstlos war und Duncan gerade telefonierte. Er hob wie zur Entschuldigung die Hände und schloss die Tür wieder. Da kam Duncan eine Idee. „Bleib mal kurz dran.“ Sagte er zu Mike und lief Phil hinterher. Er musste nicht sehr weit laufen denn Phil hatte sich nicht weit von Lisas Zimmer auf einen Stuhl gesetzt. Er sah schrecklich aus und offensichtlich hatte er große Schmerzen. „Phil.“ Phil hob den Kopf und sah ihn an, als Duncan näher kam. „Kennst du jemanden hier in der Nähe, der sich mit Hypnose auskennt und absolut vertrauenswürdig ist?“ Duncan konnte regelrecht sehen, wie die kleinen Rädchen, im Kopf seines Bruders ratterten. Schließlich nickte dieser.
Phil hatte eine ganz bestimmte Person im Kopf. Zwar kannte er sie noch nicht lange. Aber er war sich sicher, dass man ihr vertrauen kann. Außerdem hatte sie ihm selbst von ihrem großen Erfolg berichtet. Sie hatte bei einem Kuriositäten Jahrmarkt gejobbt und hatte es geschafft innerhalb kürzester Zeit, die Hauptattraktion zu werden. Als Madame Milena hatte sie sich einen gewaltigen Kundenstamm aufgebaut, und nachdem sie den Jahrmarkt verließ, legte sie all den Ballast von Früher zusammen mit ihrem Namen ab. Phil wusste zwar nicht genau, warum sie den Jahrmarkt verließ. Doch er wusste, aus sicherer Quelle, dass der Jahrmarkt ein paar Wochen, nach Madame Milenas Kündigung schließen musste. Weil die Kunden nur nach ihr fragten, blieben die Einnahmen aus. Phil hatte sich gefragt, ob ihr überhaupt bewusst war. Wie gut sie in diesem Job war. Phil wählte ihre Nummer und reichte das Handy an seinen Bruder weiter.
Clarissa hatte gerade einen wunderschönen Traum. Sie lag auf einer grünen Wiese und die Sonne schien hell vom Himmel, während Phil sie sanft streichelte. Es war ein atemberaubendes Gefühl und Clarissa wünschte, sie würde nie wieder aufwachen. Genau in diesem Moment klingelte ihr Handy. Sie hätte das Klingeln ignoriert, wenn es nicht dieser spezielle Klingelton gewesen wäre. Blind griff sie nach dem Gerät und nahm das Gespräch an. „Ja?“ Sagte sie und wartete auf seine Stimme. „Frau Pons hier spricht Duncan, der Bruder von Phil. Ich habe eine große Bitte an sie.“ Clarissa spürte eine Welle der Enttäuschung über sich hinweg schwappen, als sie nicht Phil, am anderen Ende der Leitung hörte. Doch sie hatte sich schnell wieder im Griff. „Was kann ich tun?“ Duncan räusperte sich kurz. „Phil hat ihnen doch von Liv und der Entführung erzählt.“ Das war zwar keine richtige Frage, aber sie gab trotzdem einen Laut der Zustimmung von sich. „Phil sagte mir, das sie sich mit Hypnose und Psychologie auskennen und genau das brauchen wir jetzt.“ Clarissa schüttelte ungläubig den Kopf. „Hören sie, ich habe ein paar Semester Psychologie studiert und mir mit Hypnose meine Studiengebühren verdient, das ist alles. Ich bin keine ausgebildete Psychologin.“ Doch nachdem Duncan ihr die Situation erklärt hatte, hörte sie sich sagen. „Ok, dann fahr ich jetzt zu dieser Klinik und sehe mir die Frauen mal an.“ Clarissa verabschiedete sich und legte auf. Am liebsten hätte sie sich selbst einen Arschtritt verpasst, wie konnte sie sich bloß auf so etwas einlassen. Sie hatte nicht mal ihr erstes Examen in Psychologie gemacht. Allerdings, dachte sie, war ich sehr gut in Hypnose gewesen. So gut, dass der Rummelplatzbetreiber sie damals fest engagierte. Sie hatte auch ganz gut verdient, wahrscheinlich wäre sie noch immer beim Rummel. Wenn sie sich nicht nach einem Richtigen zu Hause gesehnt hätte. Einen Ort, wo sie ganz sie selbst sein konnte. Wo sie keine Rolle spielen und sich verbiegen muss, um anerkannt zu werden. Und das hatte sie auch geschafft. Mit einem zufriedenen Lächeln parkte sie ihren Wagen auf dem Parkplatz der Klinik und stieg aus. Ein Mann kam auf sie zu und hielt ihr seine ausgestreckte Hand entgegen. „Hallo ich bin Meyers und bringe sie zu Mac Dog.“ Sagte er, während sie sich die Hände schüttelten. Meyers führte sie an einer Holzschranke und einem Wärterhäuschen vorbei zum Eingang der Klinik. Als sie durch die Tür traten, drehten sich sechs Männer zu ihr um und musterten sie abschätzig von oben bis unten. Clarissa kannte diese Blicke aus ihrem Job als Kellnerin. Doch da gehörte es einfach zum Job. Wenn sie als Kellnerin arbeitete, störte es sie nicht im geringsten, wenn die männlichen und vereinzelt auch weiblichen Gäste ihr bewundernde Blicke zuwarfen. Doch jetzt, in diesem Moment machten diese Blicke sie nervös. Es kam ihr so vor als wüssten alle, dass sie nur ein Scharlatan war und hier nichts zu suchen hatte.
Mike drehte sich um, als er das Geräusch von herannahenden Schritten hörte. Eine Frau stand in der Tür und sah sich in dem Raum um. Sie hatte ihr blondes Haar locker hochgebunden, trug Jeans und eine Bluse. Nichts Auffälliges und dennoch ging ein Ruck durch die vier Männer neben ihm. Mike trat einen Schritt vor und hielt ihr zur Begrüßung seine Hand hin. „Hallo ich bin Mike, und sie sind?“ Die Frau schüttelte seine Hand, wenn auch nur zögernd. „Clarissa.“ Mike nickte und wandte sich an die anderen Männer im Raum. „Ok Leute, ihr wisst, was ihr zu tun habt. Dann los.“ Binnen weniger Sekunden waren vier Männer verschwunden. Mike deutete auf einen Mann und eine Frau. „Das sind Gabrielle und Rubens. Bitte sehen sie sich die Frau an. Rubens kann ihnen noch ein wenig zu dem sagen, was der Doktor mit ihr angestellt hat.“ Mike sah zu, wie Clarissa sich neben die Frau auf die Kante setzte. Sie sah sie nur von oben bis unten an. Dann hob sie den Kopf und sah zu der anderen Liege. „Darf ich?“ Mike nickte und ließ sie zu Liv. Auch Liv betrachtete sie nur von oben bis unten und erhob sich dann wieder. Sie wandte sich Rubens zu. „Wann ist sie das letzte Mal bei Bewusstsein gewesen?“ Rubens überlegte kurz. „Vor drei Tagen. Seit Liv hier ist, kümmert er sich nicht mehr um Gabrielle. Aber auch da nur kurz. Er wollte sie dazubringen etwas zu essen, doch sie hat sich geweigert. Also hat er sie wieder in Trance versetzt und sie gezwungen etwas zu sich zunehmen. Ich wünschte sie hätte freiwillig gegessen, vielleicht hätte er sie dann nicht wieder in Trance versetzt.“ Clarissa wandte sich nun wieder zu Liv um. Sie strich ihr mit den Fingerspitzen übers Gesicht. Mike begriff nicht was sie da tat, doch er hatte keine Wahl, er musste einfach hoffen. Hoffen, das Liv wieder zu ihm zurückkam. Plötzlich zuckte Livs Körper. Es wirkte, als würde sie unter Strom stehen oder einen epileptischen Anfall haben. Clarissa hielt ihren Kopf auf der Liege fest, damit sie sich nicht selbst verletzte. Ein dünnes Rinnsal Blut lief Liv aus dem Mundwinkel, während sie ihre Augen weit aufriss. Mike merkte erst, dass er sich bewegt hatte, als er schon Livs Arme berührte, er hielt sie fest. Nachdem die Krämpfe verebbten, stieß Clarissa einen tiefen Seufzer aus. Dann sah sie Mike direkt in die Augen. „Gibt es einen Menschen, den sie liebt? Jemanden, der sie überreden könnte, weiterleben zu wollen?“ Mike war wie vor den Kopf geschlagen. Gab es jemanden den Liv liebte, genug liebte, um weiterleben zu wollen. Mike hätte am liebsten geschrien. „Ja mich!“ Doch er wusste nicht, ob sie ihn genug liebte, er kannte nur seine Gefühle. Also schwieg er. Rubens Stimme durchschnitt die Stille. „Sie liebt ihn, wenn sie mich fragen.“ Clarissa und Mike drehten die Köpfe zu Rubens und sahen ihn ungläubig an. „Ich habe es gehört, sie hat immer wieder nach Mike gerufen. Das war das Einzige, was sie von sich gegeben hat, wenn sie bei Bewusstsein war. Egal, was er auch mit ihr machte, sie hat immer nur Mike gesagt.“ Mikes Herz machte einen Satz. Liv hatte nach ihm gerufen, sie hatte darauf vertraut, dass er sie retten kommt. Clarissa tippte Mike auf die Schulter. „Ich habe eine Idee, wie ich sie zurückholen kann.“ Mike wollte schon fragen wie, doch da unterbrach sie ihn, indem sie eine Hand hochhielt. „Ich werde sie in Trance versetzen und versuchen ihre beiden Auren miteinander zu verschmelzen. Aber. Ich habe so etwas noch nie gemacht und sollte Liv aufgeben, während sie an sie gebunden sind, werden sie vermutlich nicht mehr zurück können.“ Mike hatte absolut keine Ahnung, was die Frau da sagte. Doch es war ihm egal, alles, was er wollte, war Liv. „Sie müssen sich schnell entscheiden, sie steht kurz vor dem Tod. Sie ist dabei, ihren Geist von ihrem Körper zu trennen. Diesen Schritt kann niemand mehr rückgängig machen.“ Mike nickte. „Tun sie, was immer sie machen müssen, ich bin zu allem bereit.“
Liv trieb in einer weißen Wolke aus Nebel. Sie fühlte nichts, war innerlich und äußerlich leer. Doch halt, das stimmte nicht ganz. Ganz tief in ihrem Innersten, gab es einen winzig kleinen Teil, der noch immer fühlte. Diesen Teil musste sie loswerden, um endlich frei zu sein. Liv bewegte sich auf diesen Teil zu und betrachtete ihn von allen Seiten. Während sie ihn ansah, verformte sich dieser Teil, wurde menschlicher und sah schließlich wie ein kleiner Junge aus. Liv legte den Kopf schief und fragte in Gedanken. „Wer bist du?“ Der Junge drehte sich so, dass sie ihm ins Gesicht sehen konnte. Die Züge des Jungen wurden älter und Reifer, bis sie ein sehr bekanntes Gesicht bildeten. „Mike. Oh mein Gott Mike.“ Rief sie in Gedanken aus und stürmte auf den Mann zu. Sie warf sich in seine Arme und presste sich so dicht es ging an ihn. Doch das genügte nicht, sie brauchte mehr. Liv rieb sich an ihm und schlüpfte mit den Händen unter sein Hemd. Als sie seine Haut berührte, fühlte sie die Muskeln und die glatte Haut. Doch es fehlte etwas, etwas sehr Entscheidendes. Leben. Es fühlte sich an, als würde sie eine Statue oder Puppe umarmen. Sie löste sich ein wenig von ihm, gerade soweit, dass sie ihn ansehen konnte. Seine Augen waren leer, seelenlos. Wie Fenster ohne Scheiben. Schwarze Löcher. „MIKE!“ Rief, schrie sie, so laut sie konnte. Etwas in seinem Blick flackerte kurz auf und erlosch wieder. „Mike. Komm her zu mir, bitte.“ Flehte sie und dachte gleichzeitig, wie dumm das doch war. Wusste sie selbst doch, dass Mike niemals zu ihr kommen würde und wenn doch, würde er nicht bleiben. Niedergeschlagen ließ sie de Arme sinken. Liv trat einen Schritt zurück und betrachtete den Geliebten ein letztes Mal. Sie sagte ihm ein letztes Mal Lebewohl.
Mike befand sich irgendwo im Nirgendwo. Überall waberte unheimlicher Nebel um ihn herum. Halt hatte sich da nicht eben etwas bewegt? Schnell machte er ein paar Schritte in die Richtung und tatsächlich vor ihm bewegte sich ein Schatten. Eine Frau. Liv. „LIV. LIV. WARTE!“ Schrie er und rannte ihr nach. Durch den Nebel sah er so gut wie nichts, sodass er eine Ewigkeit brauchte, um sie einzuholen. Doch schließlich hatte er sie erreicht. Er schlang beide Arme um sie und drehte sie zu sich um. Er betrachtete sie von oben bis unten. Beinah wären seine Knie eingeknickt. Liv war zweifellos eine schöne Frau, doch ihre Seele war trotz der Qualen, die man ihr ansah, atemberaubend. Er versuchte zu schlucken, was ohne Körper nicht nur unmöglich, sondern auch völlig unnötig war. „Ich liebe dich Liv. Bitte. Bitte verlass mich nicht.“ Stieß er schließlich gedanklich hervor. Mike wusste nicht, wie viel Zeit verging. Eine Sekunde oder ein Jahr, es hätten genauso gut 100 Jahre sein können, bis sie endlich reagierte.
Liv ging, sie wusste, wenn sie weit genug gehen würde, käme sie irgendwann wieder bei dem Tunnel an, der sie von hier und von der Welt wie Sie sie kannte, fort brächte. Sie glaubte in der Ferne ein Weißes glimmen zu sehen und lief darauf zu. Plötzlich schlossen sich zwei Arme um sie, hielten sie an Ort und Stelle, verankerten sie. Liv wurde umgedreht und starrte in Mikes Gesicht. Seine Augen sprühten nur so vor Leben und seine Arme lagen heiß um ihre Hüften. Es fühlte sich an, als würden sie Liv jeden Moment in Flammen aufgehen lassen. Sie konnte eine Stimme in ihrem Kopf hören seine Stimme. Mikes Gedanken sickerten allmählich in ihre, und als sie begriff, was er sagte, explodierte etwas in ihr und sie zerstob in tausend Einzellteile. Die Welt um sie herum zerfiel zu Staub und hinterließ nichts, als endlose schwarze Leere.
Mike saß an Livs Bett und hielt ihre Hand. Nachdem der Bann gebrochen war, hatte er dafür gesorgt, dass sie schnellstmöglich von einem Arzt untersucht wurde. Gott sei Dank hatte der Doktor sie nicht auch noch missbraucht. Denn dann hätte er ihn kastrieren müssen, bevor er ihn eigenhändig in die Zelle zu den anderen Sexualstraftätern steckte. Auch Gabrielle konnte von dem Bann befreit werden, sie war noch ein bisschen schwach, aber sie würde sich wieder erholen. Rubens war bei ihr und passte auf sie auf. Mike hatte sich von Duncan, auf dem Laufenden halten lassen, denn er wollte es nicht riskieren, dass Liv ohne ihn aufwachte. Clarissa meinte, Liv würde Zeit brauchen, um sich wieder zusammenzusetzen und wieder in die Realität zurück zu finden. Sie hatte versucht es ihm zu erklären, doch er hatte schon nach kurzer Zeit das Handtuch geworfen. Die ersten 24 Stunden hatte er gut ertragen können, hatte geduldig da gesessen und gewartet. Doch seit dem Gabrielle wieder wach war, machte er sich Sorgen. Vielleicht kommt sie nie mehr zurück. Schoss es ihm immer wieder durch den Kopf. Mit jeder Stunde, jedem Tag, der verging, viel es ihm schwerer, zu warten. Jemand klopfte und die Tür ging auf. Sein Boss Maxwell rollte in einem Rollstuhl ins Zimmer. Warf einen Blick zu Liv hinüber und wandte sich dann an Mike. „Mann, du siehst echt Übel aus. Soll Liv sich zu Tode erschrecken, wenn sie die Augen aufschlägt? Oder soll ihr von deinem Geruch übel werden?“ Mike fand das gar nicht witzig. Weswegen er auch lieber schwieg. „Du solltest wirklich mal nach Hause, dich Duschen, ein paar Stunden schlafen und erst wieder kommen, wenn du diese Klamotten verbrannt hast.“ Mike knurrte. „Das ist nicht witzig Maxwell. Also spar dir deine Sprüche, verstanden?“ Maxwell hatte wohl erkannt, dass Mike momentan nicht gut drauf war, denn er lenkte ein. „Ok. Aber dann benutz wenigstens die Dusche hier und lass dir von jemandem, ein paar saubere Klamotten bringen. Und wenn du jemanden zum Reden brauchst …“ Maxwell verließ den Raum, ohne den Satz zu beenden. Mike wusste auch so, dass er sich auf seinen Boss hundertprozentig verlassen konnte. Mike schickte eine Nachricht an Phil, mit der Bitte, er solle ihm etwas sauberes zum Anziehen bringen. Eine Stunde später fühlte er sich zumindest halbwegs wie ein Mensch. Was ein wenig Wasser und saubere Kleidung, doch bewirken konnten. Mike setzte sich wieder ans Bett und griff nach Livs Hand. Führte sie an seine Lippen und küsste sanft ihre Fingerspitzen. Seit mehr als 48 Stunden war er nun schon auf den Beinen. Und hätte ihn diese Auren-Sache, nicht für ein paar Stunden ausgeknockt, wäre es noch länger.
Liv fühlte etwas Weiches unter sich. Das musste ein Bett sein. Sie schnupperte. Es roch nach Desinfektionsmitteln und ihrem Lieblingsshampoo. Etwas, oder jemand bewegte sich neben ihr. Sie hörte Atemgeräusche und ein leises Flüstern. „Bitte, bitte, bitte, bitte … wach wieder auf. Ich liebe und brauche dich so sehr.“ Liv glaubte, sich verhört zu haben. Es war Mike, der dort vor sich hinmurmelte. Liv schlug die Augen auf und sah Mike neben sich sitzen. Sein Kopf lag auf seiner Brust und seine Hand hielt eine der ihren. Liv durchschlug eine elektrische Ladung und mit einem Mal wusste sie alles wieder. Sie verschlang ihre Finger mit den seinen und lächelte beim Gedanken daran, dass Mike sie liebte. Genug liebte, um für sie zu sterben und genug um für sie zu leben.
Mike schlug die Augen auf und sah Liv ungläubig an. Seine Augen waren rot und geschwollen und brannten vom Schlafmangel. Liv lächelte ihn an. Es war das schönste Lächeln, das er je an ihr gesehen hatte. Er wollte ihr so viel sagen. Doch er brachte keinen Ton hervor. Während Liv bewusstlos gewesen war, hatte er ihr so oft gesagt, wie sehr er sie liebt und nun, da es darauf ankam, kamen die Worte einfach nicht über seine Lippen. Liv hob ihre freie Hand und strich Mike das Haar aus der Stirn ehe sie die Kannten seines Gesichts entlang fuhr. „Ich liebe dich.“ Hauchte sie und ihre Stimme war, so leise, dass er die Worte mehr erriet, als hörte. Schließlich fand Mike seine Stimme wieder und meinte mit allem ihm gebotenem Ernst. „Ich kündige.“ Liv sah ihn so ungläubig an. Dass er lachen musste. Er lachte, wie er noch nie in seinem Leben gelacht hatte. Schließlich ging ihm die Luft aus und sein Lachen verstummte. „Ich werde den Dienst bei der Mordkommission kündigen. Weil ich die große Hoffnung habe, demnächst den besten Job meines Lebens zu bekommen.“ Liv sah ihn an, als wäre er wahnsinnig. Und vielleicht stimmte das sogar. Er war wahnsinnig in sie verliebt. „Weißt du Liv, mein neuer Job – wie soll ich sagen. Es wird eine Lebensaufgabe und ich habe auch vor, ihn bis zum Ende meines Lebens auszuführen. Es gibt da allerdings einen Haken.“ Sagte Mike und schwieg dann. „Was für einen Haken?“ Wollte Liv wissen. „Der Job. Also man kann ihn nur zu zweit machen. Ich brauche eine Frau. Ich brauche dich dafür. Heirate mich Liv. Werde meine Frau. Lebe mit mir und für mich. Denn ohne dich kann ich den Job als Ehemann nicht machen.“
Liv sah den Mann vor sich an, und sah ihn doch wieder nicht. Mike Mac Dog wollte sie heiraten. Irre. Vollkommener, wahnwitziger Irrsinn. „Das kann nicht dein Ernst sein.“ Stieß sie ungläubig hervor. Mike sah ihr in die Augen und lächelte. „Es ist mein voller Ernst Liv. Ich liebe dich, seitdem ich dich zum ersten Mal sah. Liebe ich dich.“ Oh mein Gott. In Livs Kopf überschlugen sich die Ereignisse. Mike liebte sie und er wollte sie heiraten. Dabei waren sie noch nicht mal miteinander Aus gewesen. Liv hob eine Hand. „Warte mal, ja? Wir hatten noch nicht ein Date, noch nicht mal einen Kuss haben wir uns gegeben und du – du willst mich heiraten?“ Mike runzelte die Stirn. Schließlich nickte er. „Du hast recht, das geht nicht.“ Sagte er und dann küsste er sie. Livs Zweifel, Fragen und Gedanken, verstummten augenblicklich, sie fühlte nur noch und das, was sie da fühlte, war einfach großartig, einmalig und wunderschön.
Rose schlug die Augen auf und sah sich im Raum um. Ihr Dad schlief noch. Er hielt die Hand ihrer Mum und sein Kopf lag auf der Matratze daneben. Rose sah zu ihrer Mum und wünschte sich ganz doll, dass sie endlich wieder aufwachte. Sie wollte ihr unbedingt von den tollen Neuigkeiten erzählen die passiert waren. Ihr Onkel Phil hatte jetzt eine Freundin und Clarissa hatte Liv gerettet. Mike hatte den bösen Mann verhaftet und das Gericht würde dafür Sorgen, dass er nie wieder freikommt. Außerdem hatten sie und Daddy ein Haus gemietet, es stand direkt am Meer und hatte auch einen kleinen Garten für ihre Mum. Daddy hatte ihr erzählt, dass ihre Mum als kleines Mädchen immer dem Gärtner ihres Vaters geholfen hat. Einfach weil es ihr Spaß machte. Rose mochte auch die vielen bunten Blumen und sie wollte sie ihrer Mum so gern zeigen. Rose legte ihre Wange an die ihrer Mum und flüsterte ganz leise. „Ich hab dich lieb Mummy, wach auf.“ Dann gab sie ihrer Mum einen Kuss und schloss die Augen, wobei sie sich die ganze Zeit wünschte, dass ihre Mum aufwachte.
Lisa fühlte ein Gewicht auf ihrer Brust. Sie roch Rose Kindershampoo und Duncans Aftershave. Lisa seufzte und schlug die Augen auf. Zunächst war alles ein wenig verschwommen, doch dann erkannte sie ihre kleine Tochter. Sie hatte sich an sie gekuschelt und ihren Kopf, auf Lisas Brust gelegt. Als wollte sie ihren Herzschlägen lauschen. Lisa sah zur Seite und erblickte Duncan. Seine Augen waren ebenfalls geschlossen. Er wirkte so Müde und Niedergeschlagen, dass es ihr in der Seele wehtat, ihn wecken zu müssen. Doch sie brauchte dringend etwas zutrinken, ihre Kehle fühlte sich an, als wäre sie durch die Wüste gewandert. Lisa räusperte sich. „D …“ Weiter kam Lisa nicht, denn ihre Stimme versagte. Rose hob den Kopf und sah ihre Mum an. Tränen glitzerten in ihren Augen und dann schrie ihr Kind. „Daddy, Daddy! Mummy ist wach.“ Brüllte sie und stieß Duncan gegen die Schulter. Duncan schlug sofort die Augen auf und sah Lisa ungläubig an. Lisa versuchte zu sprechen, doch es kam wieder nur ein Trockenes krächzen heraus. Also schluckte sie und deutete mit dem Kopf auf den Plaste Becher, der auf ihrem Nachtschränkchen stand. Sofort kam leben in Duncan. Er reichte ihr den Becher und hielt ihr den Strohhalm an die Lippen. Er sah sie ungläubig, beinahe ehrfürchtig an und brach dann in Tränen aus. Lisa vergaß ihren brennenden Durst und sah ihren Mann an. Sie hatte ihn noch nie so aufgelöst erlebt. Unruhe machte sich in ihr breit, was war eigentlich passiert und wo war sie überhaupt. Sie sah sich in dem Zimmer um und bemerkte ein Bett neben dem ihren. Ein Bett, wie es in Krankenhäusern verwendet wurde. Bei Krankenhaus blitzte ein Bild vor ihrem geistigem Auge auf. Sie sah sich selbst durch die Luft fliegen. Es hatte eine Explosion gegeben. Maxwells Wagen war in die Luft geflogen. „Max!“ Stieß sie unwillkürlich hervor und wollte schon aus dem Bett springen um nach ihm zusehen. Doch Duncan drückte sie sanft wieder aufs Bett. „Es geht ihm gut und Mike auch.“ Lisa beruhigte sich ein wenig und betrachtete gedankenversunken den Becher in Duncans Hand. Schließlich nahm sie noch einen Schluck. Allmählich fiel ihr alles wieder ein. Liv, die von einem Psychopathen bedroht wurde. Mike der versuchte eben diesen zu schnappen und Maxwell, der sie hier her bestellt hatte. Weil er vermutete, dass der Psychopath in einem Verkehrsunfall verwickelt war, der sich vor wenigen Stunden ereignet hatte. Oder war das schon länger als ein paar Stunden her? Lisa stellte plötzlich fest, dass Rose ein Stück gewachsen war und zwar nicht nur ihre Haare, nein sie selbst. „Wie lange war ich weg?“ Duncan rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. „Nicht lange.“ Sagte er schließlich. „Wie lange genau und keine Ausflüchte mein Lieber.“ Duncan seufzte tief. Das Geräusch klang gleichzeitig erleichtert und resigniert. „Sechs Wochen.“ Lisa brauchte eine Weile, um zu begreifen. Doch als ihr diese Ungeheuerlichkeit bewusst wurde, schnappte sie nach Luft. „Nicht weinen Mummy. Jetzt bist du doch wieder wach und ich kann dir unser Haus zeigen. Das wird dir gefallen, es steht direkt am Strand und es hat sogar einen Garten. Ist das nicht toll, Mummy?“ Lisa hatte gar nicht bemerkt, dass sie weinte. Sie wollte die Tränen fort wischen, doch Rose war schneller, sie kniete sich auf die Matratze und wischte sie ihr von den Wangen. Wobei sie ihr noch immer, von dem tollen Haus und dem Garten erzählte. Erst als es an der Tür klopfte, verstummte Rose. Die Tür ging auf und Lisa erkannte Liv und Mike. Die beiden wirkten irgendwie anders. Glücklich. Sie wirkten absolut glücklich. Rose sprang vom Bett und rannte auf Liv zu. „Meine Mummy ist aufgewacht.“ Erzählte die Kleine und strahlte dabei soviel Selbstsicherheit aus, dass Lisa unwillkürlich lächeln musste. „Das ist ganz toll Liebes. Magst du nicht mal kurz zu Onkel Phil und Clarissa gehen, die beiden haben eine Überraschung für dich?“ Rose drehte sich lächelnd zu ihrer Mum um. „Bin gleich wieder da Mum, nicht wieder einschlafen, ja?“ Lisa nickte und sah ihrer Tochter nach, wie sie aus dem Raum stürzte. Als die Tür sich geschlossen hatte, sah sie in die Gesichter der anderen und wartete darauf, dass einer etwas sagte. Duncan machte den Anfang. „Geht es dir gut? Tut dir etwas weh, brauchst du noch was zu trinken?“ Er benahm sich wie eine Glucke. Dieser Gedanke brachte sie zum Schmunzeln. „Alles, was ich brauche, ist ein Update, was ist passiert, während ich mich hier ausgeruht habe und warum verdammt noch mal, hat mich niemand geweckt?“ Liv und Mike sahen sich mit großen Fragezeichen in den Augen an. Doch Duncan gluckste nur vor Vergnügen. Seine Frau war endlich wieder zurück. Nachdem Lisa endlich wieder auf dem neuesten Stand war, kamen auch Phil und Clarissa ins Zimmer. Rose hatte einen Schokoladenbart. Offenbar hatte es sich bei der angekündigten Überraschung, um Schokoladeneis gehandelt. Lisas blick schwenkte zu Phil und das Herz ging ihr auf, als sie sah, wie verträumt er die Frau neben sich ansah. Offenbar hatte Clarissa es geschafft, sich einen Platz in seinem Herzen zu erobern. Mike räusperte sich und Lisa sah zu ihm. „Nun, nachdem Dr. Athanael im Gefängnis sitzt und dieser Fall offiziell gelöst ist, habe ich eine wichtige Frage zu stellen und ich möchte Euch alle dabei haben.“ Mit dieser Einleitung zog Mike eine kleine in Samt eingeschlagene Schatulle aus der Jacke, ließ sie aufschnappen und kniete sich vor Liv. „Liv du bist die Frau, die ich über alles liebe, möchtest du meine Frau werden?“ Alle im Raum hielten den Atem an, warteten auf Livs Antwort. Die Spannung im Raum war praktisch mit Händen Greifbar. Liv öffnete die Lippen und ihre Augen glänzten feucht, als sie ein „Ja“ hauchte. Im Raum brach Beifall aus, Glückwünsche wurden laut und in all dem Trubel, schob Mike den Ring über Livs Finger und küsste sie.
„Mike hast du meine Schuhe gesehen? Ich weiß, dass ich sie gestern, hier habe stehen lassen.“ Mike kam die Treppe hinunter, gab ihr die Schuhe in die Hand und stahl sich einen Kuss von ihren Lippen. Seit einem Jahr, waren sie nun Mann und Frau und ihre liebe war noch wie am ersten Tag. Mike hatte seine Drohung wahr gemacht. Er hatte bei der Mordkommission gekündigt und war in den Innendienst gewechselt. Was den ganz entscheidenden Vorteil hatte, dass er immer pünktlich Feierabend hatte. Heute Abend würden sie mit ihren Freunden essen gehen und anschließend hatte er noch etwas ganz Privates, nur für sie zwei geplant. Er freute sich schon darauf Livs überraschtes Gesicht zusehen, wenn er ihr seine Überraschung zeigte.
Das Essen verlief harmonisch. Liv fand, dass das Leben so wie es jetzt war, einfach Perfekt war. Als Mike und sie nach Hause fuhren dachte sie noch einmal an Rose zurück. Mittlerweile besuchte sie die Vorschule und hatte bewiesen, dass sie sehr gut rechnen kann. Phil und Clarissa waren ebenfalls glücklich und Lisa, hatte sich auch wieder vollständig erholt. Liv konnte nicht anders, sie lächelte, und weil sie endlich wieder lächeln konnte, platzte sie fast vor Freude. So bekam sie gar nicht mit, dass Mike nicht nach Hause fuhr, erst als er den Motor vor einem weißen Holztor ausstellte, sah sie sich verdutzt um. „Wo sind wir?“ Fragte Liv ungläubig. „Zu Hause.“ Sagte Mike mit einem Lächeln, das verboten gehörte. Mike stieg aus und hielt Liv die Tür auf. Sie stieg aus, und während sie auf das Tor zugingen, öffnete es sich automatisch. Als Liv das Haus wieder erkannte, stockte ihr der Atem. Mike drehte sie zu sich um und sah ihr in die Augen. „Alles Gute zum Hochzeitstag.“ Sagte er und dann küsste er Liv. Er Wahr jetzt schon voll und ganz zufrieden mit seiner Überraschung.
Bisher hatten sie nämlich in Livs Haus gewohnt. Da Mikes Apartment für zwei einfach zu klein gewesen war. Doch nun, hatte er Livs Traumhaus gekauft. Sie hatten es vor zwei Wochen gesehen. Mike und Liv waren auf dem Weg zu den Westmans gewesen. Die noch immer in dem Haus am Strand wohnten, das Duncan seit damals gemietet hatte. Während Mike also an den Häusern vorbei fuhr, stieß Liv einen laut, völliger Verzückung aus. Mike folgte ihrem Blick und entdeckte eine weiße Villa im viktorianischen Stil und einem Leuchtturm daneben. Da war ihm die Idee gekommen es zu kaufen, und als er am nächstem Tag ins Büro kam, rief er beim Grundstücksamt an. Er fand den Eigentümer heraus und vereinbarte einen Besichtigungstermin für den nächsten Tag. Das Haus war einfach ein Traum und die Besitzer ein älteres Ehepaar machten ihm einen guten Preis, sodass er sofort zu schlug. Als er den Kuss beendete und in Livs strahlendes Gesicht sah, wusste er, dass er alles richtig gemacht hatte.
Liv schwebte wie auf Wolken, als sie durch den Park ähnlichen Garten zum Haus liefen. Die Tür des Hauses wurde von einem Diener in Livree geöffnet. „Es ist alles vorbereitet. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Abend.“ Mike nickte und gab dem Mann einen Umschlag. Dann waren sie allein und Liv war von dem Anblick der sich ihr bot sprachlos. Überall im Raum standen Teelichter. Der ganze Fußboden, war ein einziges Lichtermeer. Es war wie in einem Traum. „Ich liebe dich. Danke, Für alles.“ Presste Liv hervor und küsste Mike, mit all der Liebe, die sie für ihn empfand.
Ende
Ich hoffe, ihr hatte soviel Spaß beim lesen dieses Buchs, wie ich beim schreiben.
Kathrin Große
Blaue Bohnen
Machtspiele ist ein Fantasy Thriller und die Fortsetzung von "Blaue Bohnen".
Klappentext zu Blaue Bohnen.
Lisa arbeitet für einen Geheimdienst. Ein Mensch, von dem sie annahm; Er würde sie lieben, verließ sie, als sie ihn am meisten brauchte. Nun sucht Lisa, eben diesen Mann. Denn sie vermutet, dass Er, der von ihr gesuchte Psychopath ist. Doch es kommt alles anders, als gedacht und am Ende, steht ihr Leben komplett auf den Kopf.
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Einen schönen Tag noch Kathrin Große.
Texte: © Kathrin Große
Bildmaterialien: © Kathrin Große
Tag der Veröffentlichung: 26.07.2012
Alle Rechte vorbehalten