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Kapitel 1




18 Jahre, lange blonde Haare, goldene Augen, groß, athletisch, gut aussehend. Das ist es, was die Menschen sehen, wenn sie Luie begegnen. Doch Luie ist mehr, als die Summe dieser Eigenschaften…

Die Straße führte über einen Fluss den Hügel hinauf. Oben angekommen fand er einen Kreisverkehr. Gerade wollte er stadteinwärts weiterfahren, als ihm ein Gefühl sagte, er solle in das Neubaugebiet abbiegen. Hier war alles steril, die Straßen sahen aus, als seien sie mit dem Lineal gezogen, die Gärten quadratisch und die Häuser waren einheitlich Grau getüncht. Ganz am Ende der Straße jedoch war ein Einfamilienhaus in leuchtendem Gelb. Die Garage und die Fensterrahmen waren in Weinrot gehalten. Es wirkte irgendwie fehl am Platz, inmitten dieser grauen, einheitlichen Häuser. Gerade dieser Umstand zog ihn magisch an. Als er seinen Wagen parken wollte, damit er sich das Haus genauer anschauen konnte, sah er ein Mädchen, mit langen, schwarzen Haaren zur Bushaltestelle laufen. Sie strahlte diese Art von Melancholie aus, die auch er fühlte. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, er hatte sie gefunden. Doch was nun? Noch, ehe er sich einig war, was er jetzt tun sollte, kam der Bus und sie fuhr davon. Eilig wendete er und nahm die Verfolgung auf.
An den folgenden Haltestellen stiegen immer mehr Fahrgäste ein und auch wieder aus dem Bus. Er hoffte, dass er sie bei dem ganzen Gedränge nicht übersah. Bei der fünften Haltestelle stiegen viele Kinder aus. Doch sie war nicht darunter. Zwei Haltestellen später stiegen zwei Jungen und das Mädchen aus. Sie gingen alle drei auf ein zweistöckiges Gebäude zu. Über dem Eingang prangte ein Schild mit der Aufschrift (Gymnasium). Schnell parkte Luie seinen Wagen und lief den Dreien hinterher.
Luisa fühlte sich beobachtet, seit sie in den Bus gestiegen war. Immer wieder hatte sie sich umgesehen, doch es war ihr nichts Außergewöhnliches aufgefallen. Die gleichen Leute wie jeden Morgen saßen mit ihr im Bus. Alles war so wie immer. Doch dieses dumme Gefühl ließ sich einfach nicht abschütteln. Luisa betrat die Schule durch den Haupteingang. Kalte, abgestandene Luft, schlug ihr ins Gesicht und ließ sie unwillkürlich frösteln. Sie lief über die breiten, ausgetretenen Stufen in den zweiten Stock. Oben angekommen wandte sie sich nach links und betrat den Mathe Raum. Außer ihr war noch niemand da, also setzte sie sich auf ihren Platz und ließ den Blick über den parkähnlichen Schulhof wandern. Ein Vogel nahm gerade ein Bad und sang ein Liedchen. Ach, wie schön es doch wäre, wenn ich das auch könnte. Dachte sie und träumte vor sich hin.

Als Luie durch die Tür trat, war das Mädchen verschwunden. Doch zwei Jungen standen am Fuß einer breiten Treppe, die in das obere Stockwerk führte. Er ging zu ihnen. „Guten Tag! Wo finde ich, das Sekretariat?“ Der größere der Beiden musterte Luie, mit einem abschätzenden Blick und sagte dann. „Zweiter Stock, dritte Tür Links.“ Dann wandte er sich wieder dem anderen zu. Luie stieg die Stufen empor und ging zum Sekretariat. Er hatte sich schon einen Plan überlegt, wie er mit dem Mädchen Bekanntschaft schließen konnte.
Das Sekretariat war ein kleiner quadratischer Raum. Ein riesiger Empfangstresen dominierte ihn und durch das dahinterliegende Fenster, konnte er in einen grünen Innenhof sehen. An den Wänden hingen ein Paar Kunstdrucke und neben dem Tresen, stand die obligatorische Grünpflanze.
„Guten Morgen, junger Mann. Was kann ich für sie tun?“ Fragte eine Frau hinter ihm. Luie drehte sich zu ihr um. Sie war Anfang 30, kurze braune Haare und trug ein graues Kostüm. „Guten Tag! Ich möchte mich gerne an dieser Schule einschreiben.“ Sie musterte ihn von oben bis unten. „Ich nehme an, zwölfte Klasse, haben sie ihre Zeugnisse dabei?“ Nachdem Luie ihr seine Zeugnisse gegeben und den Papierkram erledigt hatte, reichte sie ihm seinen Stundenplan. Die erste Stunde war Mathe und fand zwei Räume weiter statt. Er traf zur gleichen Zeit wie ein älterer Herr an der Tür ein. Luie reichte ihm seine Hand. „Guten Tag. Ich bin Luie Weyland.“ Der Mann erwiderte seinen Händedruck und sagte. „Mertens, Dr. der Mathematik. Kommen sie junger Mann, wir wollen doch mal sehen, ob wir noch einen Sitzplatz für sie haben.“ Luie folgte ihm. „Sie können dort hinten, neben Luisa Platz nehmen.“ Ein kleines Lächeln stahl sich in Luies Gesicht, als er das Mädchen von der Bushaltestelle wieder erkannte. Es lief besser als er gehofft hatte.
Sie blickte nicht auf, als er näher kam, sondern schaute gebannt aus dem Fenster. Luie folgte ihrem Blick und sah zu, wie ein Vogel seine Morgentoilette verrichtete. Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. Sie mag Tiere, wie überaus passend, dachte Luie. „Darf ich?“ Fragte er, als er neben ihrem Platz stand. Erschrocken fuhr Luisa zusammen und drehte sich ruckartig in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Sie riss die Augen weit auf und öffnete den Mund, um zu antworten doch es kam kein einziger Ton heraus. Also nickte sie bloß und schluckte. „Entschuldige bitte, ich wollte dich nicht erschrecken.“ Luie machte ein schuldbewusstes Gesicht. „Schon gut.“ Stammelte Luisa. Luie setzte sich auf den Platz neben ihr. „Ich bin Luie! Und bin gerade hergezogen.“ „Luisa!“ Gab sie knapp zurück und wandte, den Blick nach vorn. Wo Herr Mertens gerade Formeln und Aufgaben für einen Test an die Tafel schrieb. Luisa war froh, dass sie sich auf Mathe konzentrieren musste. Denn hätte sie mehr Zeit gehabt, über die Schmetterlinge in ihrem Bauch zu grübeln, wer weiß schon, was dann passiert wäre.
Sie beeilte sich, denn sie wollte möglichst schnell fertig werden. Als sie ihre Ergebnisse nochmals überprüft hatte, gab sie den Test ab und packte ihre Sachen leise zusammen. Dann verließ sie den Raum. Als Nächstes hatte sie eine Freistunde, da sie Sport abgewählt hatte. Also ging sie in die Cafeteria kaufte sich einen Apfel und eine Cola.
Luie blickte von seinem Test auf, als Luisa den Raum verließ. Schnell räumte er seine Sachen zusammen und gab den Test ab. Dann folgte er Ihr. Sie saß auf einer Bank im Innenhof der Schule. Während sie einen Apfel aß, las sie in einem Buch. Er lief zurück ins Schulgebäude. Am Ende des Ganges befanden sich die Toiletten. Schnell schritt er darauf zu, ging in eine Kabine, klappte den Deckel runter und legte seine Habseligkeiten darauf. Im Geiste stellte er sich eine Katze vor und hielt an dem Bild fest.
Luisa blickte von ihrem Buch auf, sie hatte wieder das Gefühl, als beobachte sie jemand. Doch sie konnte niemanden sehen. Da kam eine Katze auf sie zu. Mit goldenen Augen, seidigem Fell, mit roten und golden streifen. „Na kleiner, wer bist du denn?“ Sagte Luisa. Die Katze zuckte mit dem Schwanz, dann schritt sie majestätisch auf Luisa zu. Luisa beugte sich zu der Katze und hielt ihr, ihre rechte Hand zum Gruß hin. Die Katze schnupperte daran, schnurrte laut und rieb ihr Köpfchen an Luisas Hand. „Komm hoch!“ Sagte Luisa und klopfte auf die Bank. Die Katze setzte zum Sprung an und landete auf Luisas Schoß. Luisa lachte. „So war das eigentlich nicht gedacht.“ Sie nahm die Katze von ihrem Schoß und setzte sie neben sich auf der Bank ab. Beleidigt rollte sich die Katze zusammen und schmiegte sich an Luisas Oberschenkel. So saß sie eine ganze Weile auf der Bank, las und streichelte geistesabwesend die Katze, welche die ganze Zeit über laut schnurrte.
„Hey! Luisa was liest du da?“ Luisa blickte von ihrem Buch auf. „Hallo, Enrico! Einen Fantasy Roman. Schon mal etwas von Hohlbein gehört?“ Enrico schüttelte den Kopf. „Nee, hab ich nicht! Muss man den kennen? Ich mein, lesen ist nicht so mein Ding. Irgendwie Öde.“
„Ah, ja? Da wäre ich nie drauf gekommen. Was willst du?“ Fragte Luisa genervt. „Ich wollte fragen, ob du mit mir Mathe pauken könntest? Wenn du willst, gebe ich dir dafür ein paar Fahrstunden. Nicht dass du, die dritte Fahrprüfung auch noch in den Sand setzt. Deal?“ Luisa überlegte kurz. „Deal!“ Sagte sie dann. „O.k dann sehen wir uns nach der Schule auf dem Parkplatz. Der Rote ist meiner.“ Zufrieden grinsend zog Enrico ab.
Die Pause war zu Ende und Luisa ging zur nächsten Stunde. Geschichte hatten sie bei Herrn Mayer. Auch hier war der einzige freie Platz der neben Luisa. Also saß Luie auch in dieser Stunde neben ihr. „Ähm, Verzeihung, könntest du mir vielleicht deine Aufzeichnungen leihen?“ Unwillig drehte sich Luisa zu ihrem Rucksack und zog ihren Hefter heraus.
„Hier! Aber nicht, dass du ihn mitnimmst, du kannst in der Schule abschreiben, was du brauchst.“ Sagte sie kalt. „Bist du mir immer noch böse, wegen vorhin?“
„Nein das ist es nicht. Es ist nur. Ich hab einfach schon zu viele Hefter, auf nimmer wiedersehen verliehen und mir daher geschworen, nie wieder einen aus der Hand zugeben. Sorry, wenn du jetzt darunter leiden musst.“ Meinte Luisa aufrichtig. „Oh! Das verstehe ich. Danke für deine Hilfe.“
Luie nahm den Hefter und überflog die Notizen. Er hatte Luisas Notizen nicht wirklich gebraucht, aber es war eine Gelegenheit gewesen, mit ihr zu sprechen. Nach kurzer Zeit gab er ihr den Hefter mit einem dankbaren Lächeln zurück. „Danke noch mal.“
„Das ging aber schnell?“ Stellte Luisa überrascht fest. „Ja, das meiste hatte ich schon in meiner alten Schule.“ Herr Mayer betrat den Raum. „Guten Morgen meine Damen und Herren, wir werden heute einen Film sehen und sie werden dazu einen Vortrag mit ihrem Banknachbarn erstellen. Diese Vorträge dienen als Vorbereitung zur mündlichen Abschlussprüfung und Zählen wie eine Klausur. Also strengen sie sich an! Für die Ausarbeitung der Vorträge haben sie bis ende der Woche Zeit.“ Dann schaltete er den Videorekorder ein und setzte sich mit einem zufriedenen Lächeln an seinen Tisch. Luie hätte vor Freude in die Luft springen können. Er hatte soeben, von Herrn Mayer die Erlaubnis bekommen, noch mehr Zeit mit Luisa zu verbringen.
„Entschuldige bitte, ich habe deinen Namen vergessen. Aber würdest du den Vortrag halten, wenn ich den Schreibkram übernehme?“ Luies Lächeln verschwand so schnell, wie es gekommen war. Dieses Mädchen war wirklich eine harte Nuss. „Mein Name lautet Luie, Phelippe, Raffaele, Leon Weyland, aber du darfst mich Luie nennen und selbstverständlich bin ich bereit den Vortrag zu halten, aber …“ Er legte eine kleine effektvolle Pause ein. „Nur wenn wir ihn gemeinsam ausarbeiten.“ Luisas Kinnlade klappte herunter, sodass es aussah, als hätte ihr Mund, Tag der offenen Tür. Hatte sie das gerade richtig verstanden, dieser eingebildete Schnösel stellte Bedingungen. Nun gut, und wenn schon, Hauptsache sie musste, nicht vor der gesamten Klasse einen Vortrag halten. „Einverstanden.“ Gab sie zerknirscht nach. Beide wandten sich dem Fernseher zu und notierten sich die wichtigsten Punkte. Die zwei Stunden zogen sich wie Kaugummi. Luisa konnte einen erleichterten Seufzer nicht unterdrücken, als endlich die Schulglocke läutete. Schulschluss für heute. Gott sei Dank. Luisa ging zum Parkplatz. Enrico stand bereits, in einer Traube von Mädchen, an seinem Wagen gelehnt und wartete. Luisa lief wenig begeistert zu ihm. „Wenn du heute noch lernen möchtest, solltest du dich von deinen Fans trennen?“ Sagte sie genervt.
Enrico Verabschiedete sich von seinen Verehrerinnen und stieg ein. Dann fuhren Sie zu ihm nach Hause. Er wohnte allein bei seinem Onkel. In einer eigenen Wohnung, mit Bad, Küche, Wohn- und Schlafraum sowie einer Garage. Kurz gesagt der Junge besaß alles, was man sich nur wünschen konnte und doch war es ihm nicht genug. Meine Mutter nennt so etwas immer; jammern, auf hohem Niveau. Dachte Luisa, als sie halbherzig seinen Ausführungen über sein, ach so furchtbares Leben zu hörte. Nach zwei Stunden intensiven Lernens hatte er es einigermaßen drauf. Sodass sie für heute Schluss machten. Aber das, war sicher nicht ihre letzte Sitzung gewesen. Enrico fuhr Luisa nach Hause. „Wann können wir denn mit den Fahrstunden anfangen?“ Fragte Luisa, als sie aus dem Auto stieg. „Samstag!“ Antwortete Enrico knapp. Dann fuhr er davon.
Luie hatte den ganzen Nachmittag, vor Enricos Haus im Wagen gewartet und war dann, den Beiden bis zu Luisas Haus gefolgt. Zwar hatte er gehört, dass sie ihm bloß Nachhilfe gab, doch bei so einem Schürzenjäger wusste man nie. Zufrieden hatte er festgestellt, dass die Beiden wohl keine Freunde waren. Kein Kuss, noch nicht mal ein freundlicher Händedruck zum Abschied. Luie parkte seinen Wagen in einer Seitenstraße. Dann ging er mit großen Schritten auf Luisas Haus zu.
Er schlich sich ums Haus herum in den Garten und rief sich wieder das Bild der Katze in Erinnerung. Seine Knochen und Muskeln schrumpften, Fell wuchs ihm am ganzen Körper und dann, stand ein Kater an der Stelle, wo zuvor noch Luie gestanden hatte. Seine Kleidung zog er unter den Rhododendron an der Hausecke.
Luisa hatte es sich gerade im Sessel gemütlich gemacht. Als ein klägliches Schreien erklang.
Es hörte sich an, als ob ein Baby weine, und zwar direkt vor ihrer Haustür.
Also stand sie auf, um nach zusehen. Auf der Türschwelle saß eine Katze, die genauso aussah, wie die aus der Schule. Eigentlich war es so gut wie unmöglich, dass es sich hierbei, um sie selbe Katze handelte. Schließlich lag die Schule 5 Kilometer stadteinwärts. „Na kleiner. Hast du Hunger?“ Luisa nahm die Katze auf den Arm und trug sie ins Haus. „Mmmh. Wie soll ich dich nennen? Vielleicht Purzel, Mikesch, Moritz … Nein, jetzt hab ich es. Kasimir! Das klingt doch gut nicht wahr?“ Kasimir rieb sein Köpfchen an ihrer Wange und schnurrte zu stimmend. Sie ging in die Küche und stellte ihm eine Schale mit Wasser hin, dann sah sie im Kühlschrank nach etwas Fressbaren für Kasimir. Sie fand ein Stück Hackbraten und eine Kartoffel, die vom Mittag übrig waren. Die Kartoffel und den Hackbraten zerdrückte sie mit einer Gabel und stellte dann ihr Werk, Kasimir vor die Pfoten. Dieser schnupperte daran und kostete vorsichtig. Gerade wollte sie nach etwas anderem suchen, als er sich darüber hermachte. O.k! Abendessen abgehakt. Freute sich Luisa. Nun brauchen wir noch ein Katzenklo. Überlegte sie. Als Toilette nahm sie eine alte Weinkiste ihres Vaters, die sie mit Folie und Zeitung auslegte. Luisa stellte die Kiste ins Bad und setzte Kasimir darauf ab. „Hier kannst du hinmachen. O.k?“ Hoffentlich ist er Stubenrein, dachte sie. Ich hab keine Lust das ganze Haus zu putzen.
Kasimir starte sie nur aus großen Augen an. Plötzlich rannte er los, durch ihre Beine, Kampfkurve Links, direkt in Luisas Zimmer. Luisa folgte ihm und fand ihn auf ihrem Bett. Wo er gerade genüsslich ihre Bettdecke mit seinen Pfoten massierte. Dann drehte er sich zweimal im Kreis und ließ sich nieder. Luisa musste lachen, es ging gar nicht anders. „O.k. Schlafplatz auch abgehakt.“

Am Abend kam ihr Vater nach Hause. Er hatte sich mal wieder Arbeit aus der Bank mitgebracht und verschwand nach einem flüchtigen „Hallo, wie war es in der Schule?“ In seinem Arbeitszimmer.
Also bestellte sich Luisa eine Pizza und legte sich nach dem Essen mit ihrem Buch ins Bett, um noch ein wenig darin zu lesen. Irgendwann fielen ihr die Augen zu und sie kuschelte sich in ihr Kissen. Sie hatte einen ungewöhnlichen Traum. Er handelte von einer Eule. Die Eule sprach mit jemandem, doch Luisa konnte nicht sehen mit wem. „Hast du sie endlich gefunden?“ Fragte die Eule. „Ja.“ Sagte eine andere Stimme. „Das ist gut. Ich freue mich, sie bald kennenzulernen und vergiss nicht, du darfst ihr nichts von uns verraten, bis sie die deine ist.“
Dann veränderte sich der Traum. Luisa stand auf einer grünen Wiese und in der Ferne konnte sie einen Wald sehen. Vögel sangen ihr laut ins Ohr. Das Geräusch wurde immer lauter. Auf einmal schreckte sie hoch, der Traum war vorbei und ihr Wecker schrillte.
Super Dienstagmorgen und verschlafen. Eilig machte sie sich für die Schule fertig. Hätte sie doch bloß schon ihren Führerschein, dann müsste sie jetzt nicht so hetzen. Sie rannte zur Bushaltestelle und kam gerade noch rechtzeitig. In der Schule ließ sie es etwas ruhiger angehen. Erste Stunde hatten sie Biologie, Zweite und Dritte Deutsch und in der vierten und fünften Musik. Musik mochte sie, endlich mal ein Fach, in dem es nicht nur um Fakten ging. In der sechsten und siebten Stunde hatte sie Theater AG. Seit zwei Wochen probten sie, eine Adaption von dem Musical Cats. Allerdings hatten sie bisher noch keinen „Rum Tum Tugger“ gefunden, der es wirklich drauf hatte. Anges hatte zwar die Rolle bekommen. Weil seine Stimme ganz gut und Enrico sein bester Freund, den „Macavety“ spielte. Aber was das Spielen anging. War dieser möchte gern Bad Boy eine Niete. Luisa spielte „Grizzabella“ und sah sich gerade noch mal ihren Text an, als Madame Polly, Luie begrüßte. „Nun mein Lieber. Können sie singen?“ „Ein wenig Madame Polly.“
„Dann lesen sie sich das hier durch, finden sie sich in die Rolle ein und in etwa 20 Minuten spielen sie es uns vor.“ Sagte sie, reichte Luie ein Blatt Papier und ließ ihn stehen. Luie machte ein entgeistertes Gesicht. Luisa sah es und musste unwillkürlich lachen. Luie kam auf sie zu und setzte sich neben sie. „Tut mir leid, aber dein Gesicht war einfach zu köstlich.“ Sagte sie und lächelte ihn an.
„Ach, halb so wild. Aber kannst du mir vielleicht helfen? Ich hab überhaupt keine Ahnung, um was es geht.“ Luisa griff nach dem Blatt das Luie bekommen hatte und las. „Der Rum Tum Tugger“ „Klar kein Problem. Also es geht in dem Stück um Katzen die sich wie Menschen benehmen. Deine Rolle ist der Macho, der Frauenheld, mit eigenem Kopf und mehr Selbstvertrauen als gut für ihn ist.“ Luie nickte, um ihr zu zeigen, dass er ihr zuhörte. „Alles klar?“ Fragte Luisa.
„Nein.“ Sagte Luie „Na gut ich Spiels dir vor.“ Luisa spielte es ihm zweimal vor, dann gingen sie gemeinsam den Text durch, und als die Zwanzig Minuten herum waren, fühlte er sich sicher. Madame Polly war so begeistert von seiner Darbietung, dass sie ihm die Erstbesetzung des “Rum Tum Tugger“ gab. Auch Luisa musste zugeben, dass er sich sehr gut anstellte. Den Rest des Unterrichts probten sie ihre Rollen und merkten gar nicht, wie die Zeit verging.
Nach der Schule fuhr Luisa mit dem Bus nach Hause.

Luisa sah Katzen, die sangen und tanzten, als seien sie Menschen. Dann sah sie eine Eule, die mit einer der Katzen sprach, doch sie konnte nicht verstehen, was gesagt wurde. Plötzlich stand sie in einem Wald, an einer Felsklippe und stieß sich vom Boden ab. Die Erde rauschte in einem rasanten Tempo unter ihr vorbei, immer schneller und schneller, bis die Einzelheiten zu bunten Schlieren wurden. Luisa schlug die Augen auf. Es war hell. Ein Traum, es war nur ein Traum beruhigte sie sich. Ihr Vater war schon aus dem Haus, als sie in die Küche kam, lag ein Zettel auf der Anrichte.

Bin gestern nicht zum Einkaufen gekommen.
Bring bitte mit, was fehlt. Geld liegt unterm Zettel. Dein Vater



Klasse dachte Luisa, nun darf ich auch noch die Einkäufe mit dem Bus nach Hause karren.
Nachdem sie sich eine Einkaufsliste geschrieben hatte, fuhr sie in die Schule.
In der Mittagspause saßen Luie und Luisa an einem Tisch, um ihrem Referat für Geschichte den letzten Schliff zu geben.
„Hey was machst du heute nach der Schule?“ Fragte Enrico, als er an ihren Tisch vorbei lief. „Warum fragst du?“ Gab Luisa zurück. „Ich dachte wir könnten vielleicht noch ein bisschen Mathe pauken?“ Meinte Enrico leichthin. „Tut mir leid, aber ich muss heute noch einkaufen. Wie wäre es mit Morgen?“ Enrico nickte und ging dann weiter. Nach Schulschluss fuhr Luisa mit dem Bus zur Kaufhalle. Sie war schnell fertig. Doch als sie sich auf den Weg zur Haltestelle machte, ging ein Beutel kaputt und der gesamte Inhalt lag verstreut auf dem Fußweg. Ein Wagen hielt neben ihr. „Brauchst du vielleicht Hilfe?“ Fragte eine männliche Stimme, die sie als Luies identifizierte. „Äh, ja. Danke.“ Luie stieg aus, sammelte die Einzelteile ein und stapelte sie auf seinem Rücksitz, dann nahm er ihr auch die zwei anderen Beutel ab und stellte sie dazu.
„Wo darf ich dich hinfahren?“ Fragte Luie, während er ihr die Tür aufhielt. „Nach Hause!“ Luie grinste sie an. „Ich mein …“ Luisa wurde rot, Luie konnte doch nicht wissen, wo sie wohnt. „Die Hauptstraße runter am Kreisel rechts und dann immer gerade aus.“ Luie nickte und fuhr los. „Da hast du aber Glück, das ich gerade vorbei kam.“ Sagte er. „Ja, sieht ganz so aus.“ Gab sie zurück. Schweigend fuhren sie die Straße entlang. Luie schaltete das Radio ein. „Was hörst du so für Musik?“ Fragte er beiläufig. „Ach alles Mögliche, am liebsten Achtziger und Neunziger Jahre. Mit Hip-Hop oder Ähnlichem kann ich allerdings nichts anfangen.“ Luie fand es schade, dass der Weg nur so kurz war. Schon konnte er das gelbe Haus in der Ferne erkennen. „Das gelbe Haus da vorn, da wohne ich!“ Sagte Luisa. Luie hielt in der Auffahrt und half ihr die Beutel vom Auto bis zur Tür zu tragen.
„Danke fürs nach Hause bringen. Bis Morgen dann.“ Schnell trug Luisa ihre Sachen ins Haus, bevor sie noch etwas sehr Dummes tat und ihn ins Haus einlud. Klar er war nett zu ihr und ja, sie mochte ihn. Aber sie hatte Angst, dass er sich nur mit ihr abgab, weil er neu in der Stadt war und sie zufällig im Unterricht nebeneinandersaßen. Warum sonst, sollte er Interesse an ihr zeigen. Nein alles andere war bestimmt nur Wunschdenken, schließlich hatten ihre Klassenkameradinnen auch schon ein Auge auf ihn geworfen. Und auf einen Konkurrenzkampf hatte sie keine Lust. Also schlag ihn dir aus dem Kopf, schalt sie sich selbst. „Ja, bis Morgen.“ Gab Luie niedergeschlagen zurück. Er hatte darauf gehofft, dass er sie noch auf ein Eis einladen könnte. Aber sie war so schnell verschwunden, dass er gar nicht fragen konnte. Geduld sagte er sich, nur Geduld. Zumindest hatte sie mit ihm gesprochen und hatte sich von ihm helfen lassen. Das war doch schon mal mehr, als gestern. Am Donnerstag gab Luisa, Enrico wieder Nachhilfe in Mathe. Zumindest versuchte sie es. Aber irgendwie war er komisch, er wirkte, als sei er nicht ganz bei der Sache. Nach zwei Stunden reichte es ihr und bat ihn, sie nach Hause zu fahren. „Sag mal, was läuft eigentlich, zwischen dir und dem Neuen?“
Fragte Enrico sie plötzlich, als sie in ihre Straße einbogen. „Wieso fragst du?“ Fragte sie zurück. Geht ihn schließlich gar nichts an. Dachte sie. „Ach nur so. Mir ist aufgefallen, dass er dich immer beobachtet und da dachte ich …“ „Und da dachtest du, was will der bloß von der, wo er doch jede Andere haben kann.“ Fiel Luisa ihm ins Wort. „Nee, so war es nicht gemeint … Ach, ist auch egal, wir sind da.“ Luisa stieg aus dem Wagen und schüttelte ungläubig den Kopf. Entweder bildete sie sich das Alles nur ein, oder die Jungs drehten auf einmal alle durch. Luisa hatte die Beifahrertür noch nicht ganz geschlossen, als Enrico auch schon das Gaspedal durchtrat.

Am nächsten Morgen hielt Luie das Referat in Geschichte und beide bekamen eine Eins. So ging diese Woche erfolgreich zu Ende. Zumindest für Luisa. Luie ging es viel zu langsam und außerdem störte ihn dieser Enrico.

Kapitel 2




Luisa war an diesem Morgen früh aufgestanden, hatte für sich und Kasimir Frühstück bereitet und ihn anschließend die Haustür geöffnet, sodass er seiner Wege gehen konnte. Sie fragte sich zwar insgeheim, was er den ganzen Tag über trieb, aber solange er wieder kam, machte es ihr wenig aus, dass er sich den ganzen Tag nicht blicken ließ. Anschließend war sie wieder in ihr Zimmer gegangen, hatte sich angezogen und ihre Schulbücher geschnappt, um fürs Abi zu lernen. Gegen Mittag klingelte ihr Telefon. „Hi, hier ist Enrico. Tut mir leid, ich kann heute nicht mit dir zum Verkehrsübungsplatz. Ich hab 40° C Fieber und der Arzt meint, ich solle das Bett nicht verlassen. Das Verstehst du doch nicht wahr?“ Natürlich verstand sie das. Wenn es denn stimmen würde, doch es klang wie eine lahme Ausrede. „Ja, klar, kuriere dich aus.“ Gab sie niedergeschlagen zurück. Am Montag war schon die Fahrprüfung. Wen sollte sie bloß um Hilfe bitten. Außer Enrico kannte sie keinen, der einen Führerschein besaß. Mitten in ihre Gedanken versunken, läutete es. Sie ging zur Tür. Durch den Spion sah sie einen Lieferanten mit einem Riesenkarton im Arm. In der Annahme, dass mal wieder ein Nachbar nicht zu Hause war, öffnete sie die Tür.
„Guten Tag, gnädige Frau, ich habe eine Lieferung für Miss Luisa Feld abzugeben.“ Sagte der Lieferant in einem geschwollenen Tonfall. Luisa runzelte irritiert die Stirn. „Aber ich habe nichts bestellt. Tut mir Leid, da muss ein Fehler vorliegen.“ Gerade wollte sie die Tür wieder schließen, da traf auch schon ein weiterer Lieferant ein, dieser brachte einen Strauß Lilien. „Tag auch!“ Quetsche er zwischen zwei Kaubewegungen heraus und ließ dabei den Kaugummi in seinem Mund, ein schmatzendes Geräusch machen. „Ich soll dat hier, an ene Luisa Feld ausliefern. Sind sie dat zufällig?“ Luisa nickte Stumm. „Na wunderbar, hier bitteschön und nen schönen Tag noch.“ Der Blumenbote übergab ihr den Strauß samt einer Karte und ging wieder zu seinem Transporter. „Solch ungehobelte Manieren, also wirklich. Bitte schön und einen schönen Tag noch, Miss Feld.“ Sagte der Erste brüskiert, reichte ihr den Karton und ging ebenfalls zu seinem Wagen. Dann drehte er sich noch einmal um, lächelte sie an und mit einer kleinen Verbeugung verabschiedete er sich, stieg ein und fuhr ebenfalls davon. Verwirrt schüttelte Luisa den Kopf. Wer sollte Ihr Blumen schicken und was viel wichtiger ist, was befindet sich in dem Karton. Es gab nur einen Weg das herauszufinden. Eilig lief sie in die Küche, legte den Karton auf dem Tisch ab und stellte die Blumen ins Wasser, dann nahm sie die Karte und las.

Liebe Luisa!
Ich habe mir erlaubt, dir eine Kleinigkeit zukommen zulassen. Ich hoffe es gefällt Dir.
Wenn du heute Abend, nicht schon anderweitig leiert bist, würde ich dich gern ins Kino und zum Essen einladen. Bitte gib mir doch telefonisch Bescheid, ob und wann es dir Recht ist.
Liebe Grüße Luie.


Luisa musste die Karte dreimal lesen, ehe sie es glauben konnte.
Luie Weyland neuer Mädchenschwarm der Schule und ihr Banknachbar in allen Fächern, hatte sie gerade zu einem offiziellen Date eingeladen. Unfassbar. Noch immer durcheinander, legte sie die Karte auf den Tisch, zog den großen Karton zu sich und öffnete ihn.
Oben auf, lag ein Blatt hellblaues Seidenpapier, mit spitzen Fingern legte sie es beiseite. Darunter lag ein weinroter Blazer aus Kaschmir. Noch nie hatte Luisa so etwas gesehen, geschweige denn angehabt. Sie nahm den Blazer aus dem Karton und ging die Treppe hoch in ihr Zimmer. Dort stellte sie sich vor den Spiegel und hielt sich den Blazer vor den Körper. Er war einfach wunderschön. Ob ich ihn mal anziehen soll? Nein das kann ich nicht annehmen. Nachher ist alles bloß ein Missverständnis. Aber die Karte war eindeutig an sie gerichtet und er bat sie, Luisa Feld, um ein Date. Wie ist das möglich? Egal! Ich kann ihn ja wenigstens mal anprobieren, ehe ich ihn zurückgebe. Dachte sie und zog dann den Blazer an. Er passte wie angegossen und fühlte sich wunderbar weich an. Wieder betrachtete sie sich im Spiegel und war verblüfft, über ihr eigenes Aussehen. Sie sah doch tatsächlich, wie eine erwachsene Frau aus und nicht wie ein Kind von achtzehn Jahren. O.k! Warum eigentlich nicht. Wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, mochte sie Luie ganz gern. O.k, vielleicht ein bisschen mehr als das. Sie nahm ihr Handy zur Hand und wählte Luies Nummer.
„Guten Tag, Luie am Apparat?“ Meldete er sich. „Hier ist Luisa. Ich habe gerade dein Geschenk erhalten, der Blazer ist wirklich sehr schön, aber ich kann ihn nicht annehmen.“ Sagte sie traurig. „Warum nicht?“ Fragte Luie mit klopfendem Herzen. „Weil er bestimmt zu Teuer ist und…“
„Hör mal Luisa, du brauchst wirklich keine Angst haben. Ich hab mir vorhin einen Anzug gekauft und da sah ich den Blazer im Schaufenster und musste sofort an dich denken. Du würdest mir eine große Freude machen, wenn du ihn annimmst.“ Luisa seufzte, wie sollte man da noch Nein sagen können. „Na gut aber ich verpflichte mich zu nichts.“ Sagte sie ernst. „Natürlich nicht, ich möchte bloß ein bisschen Zeit mit dir verbringen.“ Luisas Widerstand schmolz wie Butter in der Sonne. Eigentlich hatte sie ihn, sowie so nicht zurückgeben wollen. „Gut, dann nehme ich deine Einladung und das Geschenk an.“ Luies Herz machte vor Freude einen Hüpfer.
„Das freut mich, wie wäre es … wenn ich dich gegen 18 Uhr abhole?“ Fragte er im gespielt ruhigen Ton. „Gut bis dann.“ Luisa legte auf, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und ihre Hände zitterten so stark, das ihr beinah, das Handy heruntergefallen wäre. Alles, was sie dachte, war; oh mein Gott, ich hab ein Date. Seit Paul und sie sich vor einem Jahr getrennt hatten, war sie nicht mehr aus gewesen. Paul war ihr erster richtiger Freund und sie hatte geglaubt, ihn zu lieben. Doch glauben ist nicht wissen und so hatte sie sich von ihm, auf Probe getrennt. Am Anfang hatte er ihr gefehlt, aber dann immer weniger und nach dem Paul in eine andere Stadt gezogen war, um dort zu studieren, war endgültig Schluss gewesen. Zumal sie erfahren hatte, dass er nicht nur mit ihr, sondern auch mit anderen Mädchen schlief. Wovon eine angeblich schwanger war. Doch sie hatte festgestellt, dass es nicht halb so schmerzhaft gewesen war, wie sie gedacht hatte. Also hatte sie ihn auch nicht geliebt.

Schnell lief sie ins Bad und ließ die Wanne volllaufen. Nachdem sie gebadet hatte, zog sie ihre schwarze Jeans und eine weiße Bluse an, steckte ihre Haare hoch und legte noch ein wenig Mascara und Lidschatten auf. Dann warf sie einen prüfenden Blick in den Spiegel.
Ihre schwarzen Haare glänzten im Schein der Neonröhre, als seien sie lebendig. Ihre blauen Augen strahlten in einem intensiven Blau und ihr matter Teint, gab ihrem Aussehen, einen Hauch von Aristokratie. Mittlerweile war es Abend geworden. Mit jeder Minute, die verging, wurde sie nervöser. Was sollte sie sagen und was sollte sie machen, wenn sie sich die ganze Zeit nur anschwiegen. Wie peinlich dachte sie. Sie schüttelte sich, um diese Gedanken los zu werden und ging dann in die Küche, um sich mit einem Glas Cola zu beruhigen. Sie hatte gerade einen Schluck getrunken, da läutete es an der Tür. Sie sah auf ihre Uhr. Halb sechs. Wer war das denn jetzt? Sie lief zur Tür und sah durch den Spion. Anges, der beste Kumpel von Enrico, stand vor ihrer Tür und drückte gerade ein zweites Mal auf die Klingel. Luisa stutzte, was wollte der hier? Sie legte die Kette vor und öffnete die Tür, soweit die Kette es zu ließ. „Ähm, hi!“ Stotterte Anges. „Was willst du?“ Fragte sie, als er nicht weiter sprach. „Ähm, ich wollte dich fragen, ob du vielleicht … ich mein, würdest du mit mir …“
Er brach mitten im Satz ab und setzte dann neu an. „Ich möchte dich ins Kino einladen. Was meinst du?“ Verdutzt schaute Luisa ihn an. Sie wusste nicht was sie sagen, oder wie sie reagieren sollte. Anges wirkte nervös. Er trat von einem Fuß auf den anderen und kaute auf seiner Unterlippe herum. Als sie nicht antwortete, setzte er noch mal an. „Also was sagst du dazu?“
Luisa war die ganze Sache unangenehm. Sie kannte Anges zwar nicht wirklich, aber sie wollte ihn auch nicht verletzen. „Es tut mir leid Anges, ich habe schon eine Verabredung.“ Anges Gesicht fiel sprichwörtlich zu Boden. „Oh. Das ist schade!“ Sagte er niedergeschlagen.
„Wie wäre es dann mit Morgen?“ Fragte er hoffnungsvoll. „Es tut mir wirklich leid Anges, aber auch Morgen, habe ich keine Zeit.“ Gab Luisa mit einem entschuldigenden Lächeln zurück. „Und was machst du Morgen, das du nicht mal mit mir ins Kino gehen kannst?“ Fragte er und klang dabei so zornig, dass Luisa Angst bekam. „Ich habe am Montag Fahrprüfung und da muss ich noch üben.“ Sagte sie mit ruhigerer Stimme, als sie sich wirklich fühlte. Anges wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als ein Wagen in die Auffahrt einbog.
Luisa atmete erleichtert aus, als sie Luies Wagen erkannte. Luie stellte den Wagen in der Auffahrt ab und stieg aus. Er kam auf Anges zu. „Anges! Was willst du hier?“ Anges blickte von Luie zu Luisa und wirkte auf einmal so ernüchtert. Dass sie fast Mitleid mit ihm bekam. Hatte er vielleicht wirklich Interesse an mir. Fragte sich Luisa. Doch das war unwichtig. Luie war mit ihr verabredet und insgeheim freute sie sich darauf, endlich mal allein mit ihm zu sein. „Es ist besser, wenn du jetzt gehst, Anges.“ Sagte Luie. Anges nickte und ging, ohne ein weiteres Wort.
Luisa seufzte erleichtert und strahlte Luie an. „Das war Rettung in letzter Sekunde.“ Luie hob fragend eine Augenbraue. „Er wollte mich gerade zu einem Date überreden.“ Sagte sie. Für einen Moment sah es so aus, als wollte Luie, Anges hinterher, um ihm alle Knochen zu brechen. Aber der Moment verging so schnell, dass sie nicht einmal sicher war, ob es ihn je gegeben hatte. Luisa entfernte die Kette von der Tür und trat einen Schritt zurück um Luie herein zu lassen.
„Bin gleich fertig, setzt dich solange ins Wohnzimmer.“ Sagte Luisa und lief zügig die Treppe rauf. Oben angekommen holte sie tief Luft. Ich muss mich beruhigen; sagte sie zu sich selbst.
Schnell schlüpfte sie in den roten Blazer und schnappte sich ihre Tasche.

Luie wartete unten und dachte noch einmal an seinen Besuch im Tierheim heute Morgen.
Er war nach der Schule direkt ins Tierheim gefahren. Denn er brauchte dringend einen zweiten Kasimir. Schließlich konnte er nicht jede Nacht in Gestalt einer Katze verbringen. Er hatte wirklich Glück gehabt. Denn er fand schon im ersten Tierheim einen rot gestromten Kater, der seiner Vorlage glich als seien es Zwillinge. Er hatte ihn mit in sein Hotelzimmer genommen. Sich selbst in einen Kater verwandelt und den Kater gebeten Luisa ein Freund zu sein. Als er daran dachte musste er unwillkürlich lächeln. Denn der Kleine hatte sich so darüber gefreut, aus dem Heim raus zu sein, dass er von sich aus vorgeschlagen hatte, auf Luisa aufzupassen.
Luie stand im Flur und schaute zu Luisa auf, als sie die Treppe hinabstieg. Luie war sprachlos, als er sie oben auf der Treppe sah. Sie hatte ihre schwarzen Haare hochgesteckt, aber ein Paar vorwitzige Strähnen, hatten sich gelöst und ringelten sich um ihr Gesicht. Der rote Blazer und die schwarze Jeans unterstrichen ihre weibliche Figur, sodass sie Elegant und zu gleich Sexy wirkte. Als sie vor ihm stand, musste er sich wieder zur Ordnung rufen. Sie durfte nicht erahnen, dass er sie bereits als seine Braut auserkoren hatte. Es war nur eine Frage von Zeit und Geduld. Und auf keinen Fall durfte er sie durch übereilte Handlungen verschrecken, schließlich kannte sie ihn erst seit einer Woche.
Luie reichte ihr seinen Arm und lächelte sie an. Mit samtiger Stimme sagte er. „Du siehst wunderschön aus, Luisa.“ Luisas Herz setzte für einen Moment aus, nur um dann mit doppelter Geschwindigkeit davon zu rasen. Es war schön und gleichzeitig beängstigend, so bewundert zu werden. Luisa spürte, wie ihre Wangen Farbe bekamen, und hoffte, dass ihr Make-up, das Meiste verdecken würde. Sie hakte sich bei ihm ein und lächelte unsicher. „Danke Luie.“ War alles, was sie mit zittriger Stimme hervor brachte. Luie brachte sie zu seinem Wagen und hielt ihr die Tür auf. Luisas Herz klopfte noch immer wie Wild, aber zumindest brannten ihre Wangen nicht mehr. Sie holte ein paar Mal tief Atem, um sich wieder zu beruhigen. „Möchtest du erst Essen oder zuerst ins Kino?“ „Kino!“ Sagte Luisa wie aus der Pistole geschossen. Er lächelte, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und fuhr los. Luisa seufzte tonlos, dass würde ein langer Abend werden. Wenn er sie nur nicht die ganze Zeit so anschauen würde. Diese goldenen Augen strahlten jedes Mal, wenn er sie ansah, wie zwei Sterne am Nachthimmel und es kam ihr vor, als könnte er in ihr innerstes sehen. Als würde er in ihr lesen, wie in einem Buch. Bei diesem Gedanken erschauerte sie.

Luie sah, dass Luisa zitterte. Besorgt fragte er. „Ist dir kalt, soll ich die Heizung anmachen?“
„Nein schon gut.“ Und mit einem Lächeln fügte sie hinzu. „Mir ist nur gerade die Fahrprüfung am Montag durch den Kopf gegangen.“ Luie legte die Stirn in Falten. Wollte Enrico, ihr nicht Fahrstunden geben? Doch das durfte er nicht wissen. Also bot er stattdessen an. „Ich kann ja mit dir ein wenig üben, wenn du magst.“ Wobei er ein Lächeln, nicht verbergen konnte. Luisa sah es natürlich und das hielt sie davon ab, sein Angebot anzunehmen. Enrico würde schließlich nicht immer krank sein und ihre Prüfung konnte sie auch noch, um eine Woche verschieben. Sie schüttelte den Kopf.
„Danke, aber nein. Enrico übt schon mit mir.“ Sagte sie. „Gut!“ Sagte er und gab sich gleichzeitig in Gedanken eine Ohrfeige. Zeit und Geduld, davon hatte er eben nichts gezeigt, aber er würde nicht aufgeben, niemals. Sie wird eines Tages zu ihm gehören, wenn nicht Früher dann eben Später.
Den Rest der Fahrt schwiegen sie. Luie parkte den Wagen im Parkhaus und führte sie zum Kinoeingang. „Einen Moment bitte, ich hole eben die Karten.“ Sagte er und verschwand im Foyer. Luisa sah sich um. Sie war schon ewig nicht mehr im Kino gewesen und es hatte sich doch, stark verändert. Statt der weiß gekalkten Wände mit Filmplakaten waren sie aus Glas und Stahl, als sei das Ganze ein gewaltiges 3D Puzzle. Luie tauchte neben ihr auf und lächelte ihr aufmunternd zu.
„Wollen wir?“ Luisa nickte und hakte sich wieder bei ihm unter. Sie stiegen die kleine Treppe hoch und Luie gab die Karten dem Platzanweiser. „Kino 10, 2 Etage, viel Spaß.“ Wünschte er und winkte sie weiter. Luie und Luisa gingen die Treppe hoch. Oben angekommen wandte sich Luie dem Popcornstand zu. „Möchtest du Popcorn oder Nachos?“ Fragte er. „Nachos mit Käse und eine Cola. Bitte.“ Luie nickte und holte beides. Dann gingen sie in den Saal und suchten sich einen Platz in den hinteren Reihen des Kinos. „Was sehen wir uns eigentlich an?“ Fragte Luisa und hoffte inständig, dass es kein Actionfilm oder gar eine Liebesschnulze ist. Luie lächelte bloß und sagte. „Lass dich überraschen.“ Nervös rutschte Luisa herum und griff immer wieder nach den Nachos. Bis sie es, nicht mehr aushielt. „Gib mir wenigstens einen Tipp!“
„Ich gebe dir sogar zwei. Es handelt sich um eine Fantasy Geschichte mit einem grünen Wesen. Hilft dir das weiter?“ Fragte er mit einem neckischen Grinsen. Luisa schüttelte den Kopf. Doch dann viel ihr wieder das Filmplakat im Foyer ein. Mit einem triumphierenden Lächeln sagte sie. „Doch, ich hab es. “Shrek!“ Luie nickte zustimmend. „Sehr gut.“ Lobte er sie. Der Film war lustig und die einzelnen Charaktere sehr gut kreiert. Luisa hatte schon seit langer Zeit nicht mehr so entspannt gelacht. Seit dem ihr Vater und ihre Mutter sich getrennt hatten, stürzte er sich, auf seine Arbeit und ihre Mutter, nur noch selten. Wenn Überhaupt und so war sie die meiste Zeit auf sich allein gestellt. Was ihr selten etwas ausmachte, aber in Momenten wie diesen, fühlte sie sich einsam.
Luie fühlte sich großartig, er war mit Luisa zusammen, im Kino und danach würden sie essen gehen. Könnte es etwas Schöneres geben? Ja könnte es, wenn er Luisa im Arm halten könnte. Vielleicht sollte er einfach seinen Arm …
Luie sah zu ihr, sie sah auf einmal, irgendwie traurig aus. „Stimmt etwas nicht, ist die Cola schlecht oder liegt es am Film? Wir können uns auch einen anderen ansehen, wenn du möchtest.“ Luisa schüttelte den Kopf. „Nein Luie, das ist es nicht. Es ist nur … meine Eltern weißt du, manchmal fehlen sie mir einfach. Aber das verstehst du bestimmt nicht.“ Diesmal schüttelte Luie den Kopf. „Das verstehe ich sogar sehr gut. Meine Mutter starb, als ich ein kleiner Junge war und mein Vater ist auch schon, eine ganze Weile Tod und trotzdem fehlen sie mir, in den unmöglichsten Situationen.“ Luie legte ihr tröstend den Arm um die Schultern. „Danke Luie. Danke für alles.“ Sagte Luisa und rieb ihre Wange geistesabwesend an seinem Unterarm. Luie seufzte innerlich. So langsam fasste sie Vertrauen zu ihm. Er schmiegte seinen Kopf an ihrem und küsste ihren Scheitel. Luisa fühlte Luies Lippen auf ihrem Kopf und konnte ein wonniges Schnurren nur schwer unterdrücken.
So saßen sie den Rest des Films da und lachten an den lustigen Stellen synchron. Hin und wieder aßen sie ein paar von den Nachos oder tranken von der Cola. Die neunzig Minuten Film fühlten sich an, wie fünf und waren viel zu schnell vorbei. Widerwillig schälten sie sich aus den Kinosesseln.
Anschließend fuhren sie ins Restaurant. Luie bestellte sich Pasta in Käsesahnesoße und Luisa Bratkartoffeln und Steak. Beides war ausgezeichnet und so aßen sie schweigend. Ohne, dass es ihnen unangenehm war. Nachdem sie gegessen hatten, sprachen sie noch über die Schule und die Theater AG. Irgendwann musste Luisa so herzhaft gähnen, dass Luie es bemerkte. „Ich glaube es ist besser, wenn ich dich nach Hause bringe, sonst schläfst du mir noch am Tisch ein.“ Sagte er lachend.
„Oh mein Gott, wie peinlich. Es tut mir leid Luie, aber es war wirklich ein langer Tag.“ Sagte sie und musste noch ein Gähnen unterdrücken. Luie winkte ab. „Kein Problem!“ Sagte er. Luisa lächelte ihn zaghaft an. Luie bezahlte die Rechnung und führte Luisa aus dem Restaurant. „Ich hole den Wagen.“
Luisa stand vor dem Restaurant und schaute auf die gegenüberliegende Straßenseite. Ein Pärchen das gerade des Weges kam, erregte ihre Aufmerksamkeit. Das Mädchen war groß, schlank und hatte glatte blonde Haare und der junge Mann daneben, kam ihr sehr bekannt vor. Enrico dieser verdammte Lügner schoss es ihr durch den Kopf. Dieser Mistkerl, der angeblich mit Fieber im Bett liegen sollte, schlenderte hier mit einem Mädchen, das eindeutig zu jung für ihn war, durch die Nacht. Sie ging auf die Beiden zu. „Schönen Abend. Enrico!“ Sagte sie ganz ruhig. „Wie ich sehe, geht es dir wieder besser.“ Verdutzt starrte Enrico sie an, öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. Er sah aus, wie ein kleiner Junge, der beim Klauen erwischt wurden war. „Willst du denn gar nichts zu deiner Verteidigung sagen, zum Beispiel; Wunderheilung oder frische Luft ist gesund. Nein, na das hab ich auch nicht erwartet.“ Noch immer starrte er sie mit weit aufgerissenen Augen an. Dann sagte er. „Aber Anges wollte doch …“ Weiter kam Enrico nicht, denn Luisa holte aus und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Dann drehte sie sich um und lief zu Luies Wagen, den er soeben am Straßenrand abgestellt hatte. Luie hielt ihr, ohne etwas zu sagen die Tür auf. Innerlich freute er sich über Luisas Temperamentsausbruch, doch das durfte er ihr keinesfalls zeigen, sonst wäre er der Nächste mit einer glühenden Wange. So fuhren sie schweigend zu Luisas Haus. Als er den Motor abstellte, sah sie ihn entschuldigend an.
„Es tut mir leid Luie. Ich hab uns den Abend verdorben und dabei war alles so schön. Bis …“ Ihr Körper wurde von Schluchzern geschüttelte, tränen brannten in ihrer Kehle, sodass sie nicht mehr weitersprechen konnte. Luie legte ihr seine Arme um die Schultern und zog sie leicht zu sich. „Ich weiß zwar nicht, was vorgefallen ist, aber wenn überhaupt jemand, etwas verdorben hat, dann war es der Kerl und nicht du. Ich fand es wunderschön mit dir und würde gern, mehr Zeit mit dir verbringen.“ Luisa legte ihren Kopf auf seine Schulter und murmelte. „Danke Luie.“ Dann gab sie ihm einen Kuss auf die Wange. Luie fühlte Schmetterlinge in seinem Magen aufsteigen, fühlte, wie seine Seele sang und dass nur, weil sie ihn auf die Wange geküsst hatte. Hätte er noch irgendwelche Zweifel daran gehabt, dass sie die Richtige ist, wären diese jetzt davon geflogen. Widerwillig löste er sich von ihr und schaute ihr fest in die Augen. „Also was meinst du, kannst du mich morgen noch mal ertragen? Ich kann mit dir für deine Fahrprüfung üben.“
Luisa hörte den amüsierten Tonfall in seiner Stimme und musste lächeln, dann nickte sie.
„Sagen wir 10 Uhr oder ist das zu früh?“ Fragte er. „10 Uhr ist perfekt.“ Er half ihr aus dem Wagen und brachte sie zur Tür. Er wartete noch, bis sie die Tür aufgeschlossen hatte, und wandte sich dann um. Luisa blickte ihm ein wenig enttäuscht nach. Was hatte sie denn erwartet, dass er sie küssen würde. „Luie?“ Er drehte sich noch einmal zu ihr um. „Ja?“ Sagte er sah sie fragend an.
„Bekomme ich einen …“ Sie konnte es nicht. Sie konnte einfach nicht sagen, dass sie einen Kuss von ihm wollte. Luie kam langsam auf sie zu. Blieb nur wenige Zentimeter vor ihr stehen, dann nahm er ihr Gesicht in seine Hände und legte seine Lippen sanft auf ihre. Luisas Herz stockte und rannte dann in doppelter Geschwindigkeit davon. Seine Lippen lösten sich wieder von ihren und sie fühlte sich schrecklich allein. „Gute Nacht Luisa und träum was Schönes.“ Sagte er, ließ sie los und ging zu seinem Wagen. Noch lange, nachdem Luies Wagen außer Sicht war, stand sie da und blickte ihm nach. Plötzlich spürte sie etwas Pelziges an ihrem Bein. Erschrocken blickte sie nach unten. „Kasimir, verdammt hast du mich erschreckt.“ Kasimir miaute laut und strich ihr um das andere Bein. Dann gingen sie gemeinsam ins Haus.

Kapitel 3




In dieser Nacht träumte Luisa das erste Mal von Luie. Sie stand auf einer Wiese. In der Ferne sah sie ein Haus, sie ging hinein und stieg eine schmale Treppe hoch. In einem Raum, in den nicht mehr passte, als ein Bett und ein Stuhl, stand ein kleiner Junge. Das ist er, dachte sie und dann war sie Luie.
Luie lebte in einem kleinen Dorf, an der Grenze zwischen Deutschland und Frankreich. Seine Eltern waren einfache Bauern, sie hatten ein wenig Land, zwei Kühe und zwei Schweine. Jeden Morgen stand seine Mutter noch vor der Sonne auf, um die Tiere zu versorgen. Sein Vater bestellte die Äcker, fuhr die Ernte ein oder verkaufte Obst und Gemüse auf dem Markt. Sie waren glücklich und zufrieden mit dem, was sie besaßen. Bis zu jenem Tag im Mai.
Die ganze Nacht hatte es geregnet. Ich sah, wie meine Mutter zum Stall ging, um die Tiere zu versorgen. Ich beobachtete sie, von meinem Fenster aus, wie sie in ihrem einfachen Kleid aus Sackleinen in den Stall glitt. Ihre blonden Locken wehten im Wind und verliehen ihr ein wildes Äußeres. Ich wartete darauf, dass sie wieder aus dem Stall kam. Minuten vergingen wurden zu einer Stunde. Die Sonne stand weit oben am Himmel. Doch sie kam noch immer nicht. Die Kühe waren unnatürlich still. Irgendetwas stimmte nicht. Ich stand auf, zog eilig meine Wollhosen und ein Hemd über und rannte die Treppe runter, aus dem Haus und dann zum Stall. An der Stalltür hielt ich inne und lauschte angestrengt. Kein Geräusch drang an mein Ohr. Ich rief nach ihr. Doch es blieb still, zu still. Ich legte meine Hand an die Tür und schob sie zur Seite hin auf. Ein widerlicher Gestank, eine Mischung aus Angst, Exkrementen und Tod schlug mir ins Gesicht. Mir drehte sich der Magen um. Ich wollte mich umdrehen und zurück ins Haus rennen, doch ich konnte nicht. Wie von selbst, setzten sich meine Beine in Bewegung. Immer einen Fuß vor den anderen ging ich tiefer hinein. Dann schaute ich mich ängstlich um. Die Schweine lagen mit ihren Nasen im Trog, als würden sie fressen, doch sie atmeten und bewegten sich nicht. Die Kühe lagen auf der Seite, beide mit dicken, aufgeblähten Bäuchen. Ich ging weiter. Am Ende des Ganges sah ich sie. Meine Mutter. Sie lag ausgestreckt auf dem Steinboden, eine Blutlache hatte sich um ihren Kopf gebildet. Die Augen blickten leer und ausdruckslos zur Decke. Ich lief näher zu ihr und rief immer wieder. „Mama! Mama!“ Nichts geschah, sie blinzelte nicht einmal. Da kam mir ein furchtbarer Gedanke und ich schrie, wie ich noch nie in meinem Leben geschrien hatte. Ich rannte aus dem Stall, zum Haus, die Treppe rauf zum Schlafzimmer meiner Eltern und stieß die Tür auf. Mein Vater stand vor Schreck im Bett. Ich sah, dass er irgendetwas sagte, doch ich hörte ihn nicht. Plötzlich holte mein Vater aus und gab mir eine Ohrfeige. Erst da wurde mir klar, dass ich immer noch geschrien hatte. Ich sagte nur stammelnd und um Atem ringend „Tod … alle … Tod, Mama!“ Dann wurde die Welt schwarz.

Schweißgebadet erwachte Luisa. Was für ein Albtraum. Es war so real gewesen, als hätte sie die Erinnerungen des kleinen Luie nicht geträumt sondern selbst erlebt. Und wenn es so war, dann hatte er, seine Mutter Tod im Stall seiner Eltern gefunden und noch etwas viel ihr auf. Luies Elternhaus und seine Kleidung sah aus, wie im Mittelalter. Konnte das sein, wäre es möglich das Luie nicht das ist, was er vorgibt zu sein. Wenn ja, wäre er über 400 Jahre alt. Das ist lächerlich. Mit einem Kopfschütteln scheuchte sie den Gedanken von sich und ging mit klappernden Zähnen ins Bad. Sie stellte die Dusche an. Das warme Wasser spülte auch noch die letzten Fetzen des Albtraums beiseite. Langsam wurde ihr wieder warm, und als sie wieder klarer im Kopf wurde, hörte sie auch auf zu zittern. Nach dem Sie sich frische Sachen angezogen hatte, ging sie wieder in ihr Zimmer.
Doch auch dann fand sie noch keine Ruhe. Also nahm sie sich ihr Buch und setzte sich ans Fenster. Irgendwann musste sie wohl eingeschlafen sein. Denn der dumpfe Aufschlag des Buches, das zu Boden gefallen war, ließ sie hochschrecken. Sie sah aus dem Fenster. Im Schatten eines Baumes stand eine dunkle, menschliche Gestalt, als sie blinzelte, war sie verschwunden.
Ein hysterisches Lachen entrann sich ihrer Kehle. Jetzt sehe ich schon Gespenster. Dann hörte sie ein Miauen. Kasimir! Schoss es ihr durch den Kopf. Schnell rannte sie die Treppe runter und öffnete die Tür. Es war stockfinster draußen. „Kasimir!“ Rief sie. Erst geschah nichts dann tauchten zwei leuchtende Augen bei

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Kathrin Große
Bildmaterialien: Kathrin Große
Tag der Veröffentlichung: 01.06.2012
ISBN: 978-3-86479-724-8

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch ist für Dich.

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