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Sie



Mein Leben endet an einem sonnigen Tag. Der Himmel, ein unendliches blaues Meer, dessen Wellen zarte Schaumkronen tragen. Sanft streicht der Wind über meine Haut, sodass sich mir die Haare aufstellen. Den Blick starr nach vorn gerichtet; wartete ich. Wartete auf ihn. Minuten vergehen, werden zu einer Stunde, zu zwei. Mit jeder Minute die vergeht fällt die Anspannung von mir ab und absolute Ruhe legt sich über mich. Füllt mein Innerstes, meine Seele. Langsam wandert die Sonne über den Himmel, nur wenige Minuten noch, bis sie die Wasserlinie erreicht.
Bald. Bald ist er da. Zwei Möwen kreisen über mir und zanken sich um eine Muschel. Am Rande meines Blickfeldes bewegt sich das Schilfgras und raschelt leise im Wind. Ich glaube ein Zischen zu hören, als dieser riesige Feuerball ins Meer eintaucht. Der Himmel färbt sich blutrot. In diesem Moment wird mir bewusst, dass dies der letzte Sonnenuntergang meines Lebens ist. Sterne glimmen nacheinander auf, wirken wie Diamantstaub auf dunklem Samt. Die Ruhe macht einer freudigen Erregung Platz. Ich muss mich dazu zwingen ruhig sitzen zu bleiben. Denn in meiner Vorstellung ist er bereits da.
Die Nacht deckt mich zu, legt sich um mich, wie ein warmer Mantel im Winter. Nebelschwaden steigen über dem Meer auf und erzeugen eine gespenstische Szenerie. Der Mond in meinem Rücken wirft meinen Schatten auf den Strand. Langsam wird er größer und größer. Die Form verändert sich. Zwei Flügel erscheinen an den Seiten, als seien sie festgewachsen. Eine geflügelte Gestalt löst sich aus dem Schatten und tritt vor mich. Mein Herz schlägt plötzlich schneller. Langsam hebe ich den Blick. Seine schlanke Gestalt und die Schwarzen Flügel ziehen mich magisch an, nehmen meinen Blick gefangen.
Kleine schwarze Punkte tanzen vor meinen Augen. Jetzt bloß nicht ohnmächtig werden. Er lässt sich auf die Knie fallen und zieht mich an sich. Seine Arme umfangen meine Schultern geben mir halt in diesem tosenden Sturm voll Gefühl. Tief atme ich ein, sauge seinen Duft in meine Lunge. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich das Atmen vergessen habe. Doch nun berauscht mich sein Duft. Er riecht nach Leidenschaft und Gefahr, nach Paradies und Albtraum. Eine Mischung, der ich unmöglich widerstehen kann. Keiner sagt ein Wort, wir genießen einfach die Nähe des anderen. Ich lausche seinem Herzschlag, fühle seinen Puls an meiner Wange. Seine Lippen streifen meine Stirn und verweilen an den Schläfen. Ein Seufzer entschlüpft meiner Kehle und sein Pulsschlag erhöht sich, als würde er mir antworten. „Es ist soweit.“ Seine tiefe, kräftige Stimme jagt mir wohlige Schauer über den Rücken. „Bist du bereit?“ Die Frage erinnert mich daran, warum er hier ist, warum ich hier bin. „Ja.“ Meine Stimme ist dünn, doch er hört sie, schiebt mich leicht von sich und sieht mir ins Gesicht. Ich weiß, wonach er sucht, doch er wird keine Zweifel finden. Es. Er. Ist genau das, was ich will. Ich traue mich und sehe genau in seine Augen. Seine wunderschönen, geheimnisvollen Augen. Die Iris ist schwarz und von hellen Punkten durchzogen, sie wirken wie der nächtliche Himmel mit den vielen Sternen.
Die Sehnsucht in mir ein Teil von ihm, von seiner Welt zu sein, wird immer stärker. Schließlich nickt er und streicht mir das Haar von der Schulter. Nun liegt mein Hals entblößt vor ihm. Er beugt sich langsam vor, als fürchte er, ich würde zurückschrecken, wenn er sich zu schnell bewegt. Sacht berühren seine Lippen, die meinen, liebkosen, necken. Ein Wimmern entkommt meiner Kehle. Langsam wandern seine Lippen über mein Kinn zum Hals. Ich spüre eine Ader, an genau der Stelle heftig pochen, wo seine Lippen innehalten. Mein Atem stockt, das Herz setzt einen Schlag aus und galoppiert im nächsten Moment davon. Sein Mund öffnet sich, ich spüre die scharfen Spitzen seiner Zähne. Ein kurzer Schmerz durchzuckt mich wie ein Stromschlag und erlischt wieder. Wohlige Wärme breitet sich in meinem Körper aus und lässt mich vor Glückseligkeit schweben. Allmählich drifte ich ins Land der Träume hinüber. Die Welt vor meinen Augen verschwimmt und die Muskeln erschlaffen. Ich spüre kaum seine Zunge, die die Wunde an meinem Hals verschießt. Ich versuche die Augen offen zu halten, doch mir fehlt die Kraft. Ein letzter Atemzug. Dann ist es vorbei.

Er



Sie zu sehen, zu berühren, lässt meinen Entschluss fast ins Wanken geraten. Doch als ich in ihre Augen blicke, weiß ich, dass ich sie niemals werde, gehen lassen. Ich hasse mich selbst für meinen Egoismus und kann trotzdem nicht anders handeln. Sie zu küssen, ihren Geschmack auf meinen Lippen, lösen Wellen der Erregung in mir aus. Alle Zweifel verstummen. Ich genieße die Stille und schwelge im Geschmack ihres Mundes. Schließlich zwinge ich mich dazu, sie von mir zu schieben. Wir Atmen beide heftig, und als ich meine Stimme wiedergefunden habe, stelle ich die alles entscheidende Frage. "Es ist soweit, bist du bereit?" Mit angehaltenem Atem warte ich auf ihre Antwort. Ihre Stimme ist nur ein Hauch, doch ich höre ihr "Ja." Sanft streiche ich die seidigen Haare von ihrer Schulter und küsse sie abermals auf den Mund. Langsam wandere ich mit meinen Lippen über ihr Kinn bis zum Hals. Ich kann ihren Puls schlagen spüren. Meine Zähne verlängern sich und pochen ungeduldig darauf, endlich zubeißen zu dürfen. Mein Magen knurrt vor Hunger und zieht sich schmerzvoll zusammen. Ich öffne meinen Mund und versenke meine Zähne in ihre zarte Haut. Der erste Tropfen ihres Blutes lässt meine Geschmacksknospen explodieren. Ein unwiderstehliches Bouquet an verschiedenen Aromen überflutet meine Sinne. Gierig trinke ich Schluck für Schluck und weiß schon jetzt, dass mich dieser Geschmack für den Rest meiner Existenz verfolgen wird. Ich merke, wie ihre Kräfte schwinden. Ihr Pulsschlag wird ruhiger und die Atmung flacher, die Arme auf meinen Schultern sacken leblos herunter. Ein letztes Flattern ihres Pulses, ein letzter Atemzug. Vorbei.

Ich löse meine Lippen von ihrem Hals und verschließe die Wunde mit einem Zungenschlag. Ihr wunderschöner Körper hängt leblos in meinen Armen. Die Lider geschlossen, als würde sie friedlich schlafen. Doch ich weiß es besser, ich weiß, dass ich sie getötet habe.


Minuten verstreichen kommen mir wie Tage vor in denen ich einfach nur ihr Gesicht betrachte.
Da! Es geht los. Ein Zittern erfasst ihren Körper. Schnell öffne ich ihren Mund und hauche ihr meinen Atem ein. Ein leichtes Heben der Brust zeigt mir, dass ich es richtig mache. Mit meinen Zähnen öffne ich eine Ader an meinem Handgelenk. Blut quillt in dicken Tropfen hervor. Ich lasse den kostbaren Saft in ihren Mund tropfen und warte darauf, dass sie zu schlucken beginnt. Doch nichts passiert. Mein Herz vollführt einen schmerzhaften Purzelbaum. Ich bin schon am verzweifeln. Was wenn es nicht funktioniert? Plötzlich schießen ihre Arme nach oben und packen mein Handgelenk. Mit schier übermenschlicher Kraft reißt sie es an sich und beginnt hart zu saugen. Der Schmerz nimmt mir einen Moment den Atem. Doch das Glücksgefühl überwiegt, denn nun weiß ich, sie wird es schaffen. Adrenalin und Endorphine überschwemmen mich, lassen mich wie auf Wolken schweben. Langsam wird mein Handgelenk taub, ein Gefühl als wäre mein Arm eingeschlafen und von unzähligen Ameisen bevölkert, breitet sich in mir aus. Steigt über meinen Bizeps zum Brustmuskel und noch weiter. Noch immer lässt ihr saugen nicht nach, gierig nimmt sie alles, was sie kriegen kann. Ich versuche meinen Arm, aus ihrem Klammergriff, zu befreien. Doch ohne eine Chance. Sie ist einfach zu stark für mich. Schwarze Punkte tanzen vor meinen Augen, mir schwinden die Kräfte. Ich drücke meinen Daumen in den Druckpunkt an ihrem Nacken. Mit einem tiefen Knurren öffnet sie ihren Mund. Schnell reiße ich meinen Arm los und verschließe die Wunde. Ihre Lider flattern, wie die Flügel eines Schmetterlings. Dann reißt sie ihre Augen auf. Ihr Blick fixiert mich, nimmt mich gefangen. Ich ertrinke in den blauen Tiefen und werde erst wieder an Land gespült, als sie blinzelt. Sie macht einen Atemzug und dann lächelt sie. Lächelt mich an, als sei ich ihr größter Schatz. Sie öffnet den Mund, doch es kommt nur ein krächzen heraus. "Nicht reden, du musst noch ein wenig Geduld haben." Sage ich, um sie zu beruhigen. Sie schlägt die Augen nieder und öffnet sie wieder, als wollte sie nicken. Ich drücke sie an mich, genieße diesen stillen Moment in vollen Zügen. "Ich liebe dich." Zart und brüchig dringt ihre Stimme an mein Ohr. Mir geht das Herz auf, als mir die Bedeutung ihrer Worte bewusst wird. "Ich liebe dich auch." Hauche ich an ihren Lippen und dann küsse ich sie.

Jahrzehnte später


Der Platz neben mir ist leer, schon wieder. Seit Tagen wache ich ohne ihn auf. Jeden Morgen frage ich mich, ob er diesen Abend wohl bei mir bleiben wird, und jeden Abend schmerzt mich die Enttäuschung mehr und mehr. Reißt mein Herz und meine Seele entzwei, nimmt mir die Luft zum Atmen. Ich bin für ihn gestorben, habe mein Leben für ihn gegeben und habe dennoch das Gefühl, zu wenig getan zu haben. Ihm einfach nicht gerecht zu werden. Es gab eine Zeit, wo ich mir ein Bein für ihn ausgerissen hätte, doch nun ...
Ich fühl mich leer und ausgelaugt meine Existenz ist die Hölle und mehr als einmal frage ich mich, ob meine Entscheidung die richtige war. Mehr als einmal habe ich versucht mit ihm darüber zu reden, doch er weicht jedem Gespräch aus. Lässt mich nicht mehr an sich heran. Mir bleibt keine Wahl, denn so wie jetzt, kann ich nicht weiter machen. Dafür liebe ich ihn zu sehr.

Ein letztes Mal lasse ich den Blick über die hellen Möbel, den alten Kamin und die Bilder aus glücklicheren Jahren schweifen. Tränen brennen in meinen Augen und ich muss heftig blinzeln. Ein letzter Blick in unser Gemeinsames zu Hause. Dann wende ich mich ab und renne beinah aus dem Haus. Ich weiß, ich werde nie wieder an diesen Ort zurückkehren. Ich sehe nicht zurück, während ich meinen Weg gehe. Er führt mich aus der Stadt zum Bahnhof. Der Zug bringt mich für immer von hier fort. Ich habe geglaubt Schmerz oder Trauer zu empfinden, doch ich fühle nichts. Innerlich bin ich taub, nichts durchdringt den Panzer aus Eis. Das Abteil ist leer und lässt sich abdunkeln, darauf habe ich geachtet, als ich es gebucht habe. Denn auch wenn mein Leben ohne ihn, endgültig vorbei ist, so möchte ich dennoch nicht, in der Sonne verbrennen. Die Sonne ist das Einzige, was mir jetzt noch etwas anhaben kann, zumindest solange ich meinen Kopf nicht verliere.

*

Ich schleiche mich ins Haus. Hoffentlich schläft sie schon. In letzter Zeit ist sie so anstrengend, ständig will sie reden oder klammert sich an mich. Ich weiß, dass sie sich mehr erhofft hat, ich weiß, dass ich ihr nicht genug bin, doch was soll ich tun. Ich kann sie nicht gehen lassen, dafür liebe ich sie viel zu sehr. Mein schlechtes Gewissen regt sich, ich frage mich, ob es richtig von mir war. Hatte ich das Recht, ihr das Kostbarste zu nehmen, was sie besaß, ihr Leben. Die Möglichkeit ein Kind zu bekommen, zu altern und irgendwann in den Himmel zu kommen? Langsam steige ich die Treppe zu unserem Schlafzimmer hinunter. Die Tür knarzt, als ich ihr einen leichten Schubs gebe. Ich trete ein und schließe die Tür hinter mir. Das Bett ist leer, also schläft sie noch nicht. Ich lausche einen Moment, warte, doch kein Geräusch dringt an mein Ohr. In doppelter Geschwindigkeit laufe ich zur Badezimmertür und stoße sie auf. Das Bad ist leer, genau wie die anderen Räume. Einen Moment begreife ich nicht, was hier los ist, nur langsam und wie in Zeitlupe beginnt mein Verstand die Tatsachen, zu verarbeiten. "Sie hat mich verlassen." Stoße ich unwillkürlich laut hervor und erschrecke vor dem Klang meiner eigenen Stimme. Die von den Wänden widerhallt wie ein Echo in den Bergen. Meine Knie geben nach und ich falle zu Boden. Im Fallen fällt mir ein loses Blatt Papier auf. Ich versuche danach zugreifen, doch es ist zu spät. Mit einem dumpfen Schlag trifft mein Kopf auf den Holzboden auf. In meinem Gehirn explodieren die Schmerzrezeptoren, und noch während ich versuche, die Benommenheit abzuschütteln, rapple ich mich auf und krieche zum Bett. Mit zitternden Fingern greife ich nach dem Blatt und drücke es fest an meine Brust. Ihr Duft hängt noch daran, ich sauge ihn tief in meine Lunge, versuche die Leere in mir mit ihrem Duft zu füllen. Schließlich beginne ich zu lesen und mit jedem Wort, mit jedem Satz, beginne ich zu begreifen.

Michael, ich habe keine Ahnung, ob dir diese Worte etwas bedeuten werden? Dennoch werde ich sie nicht unerwähnt lassen. Denn ich möchte nicht, dass du denkst, ich würde die Zeit, die ich mit dir verbracht habe bereuen. Du warst das Beste in meinem Leben. Ich werde niemals vergessen, was du für mich getan hast. Ich wünschte nur, dass ich dir genügen würde. Dass ich dir reichen würde. Leider ist mir in den letzten Wochen klar geworden, wie wenig ich dir bieten kann und ich möchte dir nicht länger zur Last fallen. Also befreie ich dich hiermit, aus deiner Verantwortung, deiner Schöpfung gegenüber und gebe dich frei. Du wirst mich niemals wiedersehen. Ich hoffe du findest dein Glück. Claire.

*

Ich starre aus dem Fenster. Die Landschaft die vorüberzieht ist eintönig. Felder in verschiedenen Schattierungen aus grau und braun, nur hin und wieder unterbrochen von einzelnen knorrigen Bäumen. Finstere Wolkenberge türmen sich am Horizont auf und verbreiten eine unheilvolle Stimmung. Unwillkürlich denke ich an zu Hause, an ihn, den Mann den ich liebe. Ich spüre, wie mir eine einzelne Träne die Wange hinunter läuft. Ärgerlich wische ich sie ab und verbiete mir weitere Gedanken an ihn. Ein dickes „Platsch“ lässt mich aufhorchen. Dem ersten folgen weitere und ich starre wie gebannt aus dem Fenster. Betrachte den Regen, der gegen die Scheibe schlägt und das Glas zum Vibrieren bringt. Ein Geräusch lässt mich aufschrecken. Es sind Schritte, die sich meinem Abteil nähern. Ich versuche ruhig zu bleiben. Denn ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ich nicht gestört werden möchte. Die Schritte kommen immer näher und verstummen schließlich vor meiner Tür. Mein Adrenalinspiegel steigt ins unermessliche, schwarze Punkten tanzen vor meinen Augen und meine Zähne verlängern sich. Schon schmecke ich Blut. Mein Puls schnellt in die Höhe und mein Herz beginnt laut zu schlagen. Für einen winzigen Moment hoffe ich …

*

„CLAIRE!“ Mein Schrei durchbricht die Stille. Zitternd und mit schmerzendem Herzen, stehe ich da. Starre in die Luft und versuche einen klaren Gedanken zu fassen. Rasend vor Schmerz und Wut renne ich los, stürme aus dem Haus und folge meinem Instinkt. Ich bin das Raubtier und Claire; Claire ist die Beute. Am Bahnhof komme ich schließlich wieder zur Besinnung. Denn hier endet ihre Spur. Ich habe keine Ahnung, wohin sie gefahren ist und für einen kurzen Augenblick verlässt mich der Mut. Doch dann straffe ich die Schultern und gehe zum Fahrkartenschalter. Ein Mann ende vierzig starrt gelangweilt in die Zeitung. Seinen Kopf ziert eine Glatze, der Hut unter der sie sonst verborgen ist, liegt neben seinem halb vollen Kaffeebecher. Ein angeknabberter Donut trocknet auf einem Teller vor sich hin. All das erfasse ich im Bruchteil einer Sekunde und schon beuge ich mich vor. Direkt an die kleine Öffnung in der Glasscheibe. „Haben sie Claire, meine Frau gesehen?“ Der Mann senkt die Zeitung und blickt mich mit müden Augen an. „Ich kenne keine Claire.“ Sagt er gelangweilt und hebt wieder seine Zeitung an. Fieberhaft überlege ich. Dann fällt mir das Foto ein. Das Foto, welches wir vor einem Jahr gemacht haben, als wir in Paris waren. Es war unser Jahrestag, wir sind im Kino, danach Essen und schließlich beim Eiffelturm gewesen. Bis Claire dieses kleine Mädchen fand, hatten wir jede Menge Spaß. Die Kleine war vollkommen verfroren und unterernährt. Sodass Claire beschloss, sie erst mal mit ins Hotel zunehmen. Am nächsten Morgen versuchten wir etwas über ihre Eltern heraus zu bekommen. Linné war von zu Hause ausgerissen, weil ihr Vater sie misshandelte. Auch Linnés Mutter schlug er regelmäßig. Doch ihre Mutter wollte nicht weg, denn sie hatte kein Geld und einen Säugling zu versorgen. Also schlug sich Linné seit drei Wochen allein durchs Leben. Claire hatte dem Kind helfen wollen, indem sie die Polizei verständigte und den Mann anzeigte. Doch Linnés Mutter nahm ihren Mann in Schutz und Linné musste wieder zu Hause einziehen. Eine Woche später fand man ihre Leiche am Ufer der Seine. Da es keine Spuren für einen Kampf gab, ging die Polizei von einem Selbstmord aus und der Fall wurde nicht weiter verfolgt. Claires Gesichtsausdruck, als sie es erfuhr, war der Schlimmste und deprimierendste, den ich je gesehen habe.

Heftig schüttle ich den Kopf, um die Erinnerungen daran abzuschütteln, ziehe das Foto aus der Brieftasche und presse es gegen das Glas. „Das ist Claire, haben sie sie gesehen? Wissen sie, wohin sie wollte?“ Nur widerwillig senkt der Mann die Zeitung und wirft einen Blick auf das Foto. Schließlich nickt er und sieht dann wieder in seine Zeitung. Heiße Wut beginnt in mir zu lodern, als er nichts weiter sagt. „Wohin?“ Stoße ich aufgebracht hervor. „Kann ich ihnen nicht sagen.“ „Können oder wollen sie nicht?“ „Beides.“ Nun platze ich regelrecht vor Zorn. Ein Knurren dringt aus meiner Kehle, es wird lauter und lauter. Der Mann lässt die Zeitung sinken und starrt mich, aus weit aufgerissenen Augen an. In seinem Blick liegt Todesangst. Schweißperlen treten auf seine Stirn und sein Mund öffnet sich und schließt sich wieder, ohne einen Ton von sich zugeben. „Wo ist sie?“ Frage ich und meine Stimme klingt selbst in meinen Ohren fremd und gefährlich. „D ... der 20 Uhr Zug … nach Berlin.“ Stammelt er und beißt sich dabei fast auf die Zunge. Berlin? Überlege ich, wen kennt sie in Berlin?

*

Erinnerungen


Jemand rüttelt an der Tür zu meinem Abteil, jeder Muskel und jeder Nerv in meinem Körper spannt sich an. Doch die Tür bleibt zu. Ich warte, ein bis zwei Sekunden, dann höre ich, wie sich Schritte von meinem Abteil entfernen. Enttäuschung breitet sich in meinem Körper aus, kraftlos sacke ich auf die Bank zurück und starre aus dem Fenster. Ich betrachte den Regen und denke an einen anderen regnerischen Tag zurück. An einen Tag aus meinem Leben, als Mensch.
Ich laufe die Straße entlang. Es ist dunkel, ungefähr 5 Uhr morgens. Die Straßen sind Menschenleer und das Pflaster glänzt von dem Regen, der schon die ganze Nacht über, vom Himmel fällt. Meine Turnschuhe quietschten bei jedem Schritt und geben saugende Geräusche von sich. Das Haar hängt mir in schweren nassen Strähnen vor dem Gesicht, sodass ich kaum etwas erkennen kann. Dennoch laufe ich weiter, den Kopf gesenkt damit meine Brillengläser, durch den Regen nicht noch undurchsichtiger werden. Der Tag, war wirklich eine einzige Katastrophe gewesen. Ich hatte verschlafen und als ich schließlich, an meinem Arbeitsplatz ankam, war mein Computer bereits durch einen anderen Kollegen besetzt. Ich sah mich kurz um, nicht sicher, was ich davon halten sollte. Da winkte mich meine Chefin zu sich. „Claire kommen sie in mein Büro.“ Mit klopfendem Herzen folgte ich ihrer Anweisung und setzte mich auf den Platz, den sie mir zeigte. „Claire es hat ein paar Veränderungen gegeben … es tut mir außerordentlich … Leid …“ Ich konnte ihren Worten kaum folgen. So sehr raste mein Herz. Verdammt ich brauchte diesen Job. „Sie sind entlassen … sie können … Lohn … Personalabteilung … holen.“ Als sie geendet hatte, saß ich wie betäubt da. Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. „Warum?“ Ich merkte erst, dass ich diese Frage laut gestellt habe, als meine Chefin antwortete. „Die Kosten steigen immer weiter an und wir müssen Personal abbauen.“ Aber klar. Dachte ich bitter, deswegen sitzt jetzt auch ein anderer an meinem Arbeitsplatz. Völlig orientierungslos, verlasse ich das Büro und nehme den Fahrstuhl zur Personalabteilung. Den Scheck in der Tasche, verlasse ich meine Arbeitsstelle. Ich sehe nicht zurück, als ich zur Bushaltestelle gehe, dafür ist der Schock einfach zu groß. Was soll nun aus mir werden, wie soll ich meine Miete bezahlen, wovon leben? Noch immer in Gedanken versunken bemerke ich den Bus erst, als es zu spät ist und er davon fährt. Na toll denke ich, der Nächste kommt erst in zwei Stunden vorbei. Ich hole mein Handy aus der Tasche und überlege, wen ich anrufen soll. Denn seitdem Matt und ich uns getrennt haben, ist mein Freundeskreis dramatisch gesunken. Der Einzige, der mir noch bleibt, ist Marc. Ich wähle und lausche dem Rufzeichen. Es klingele ein paar Mal, ehe die Mailbox anspringt. Ohne eine Nachricht zu hinterlassen, lege ich wieder auf. Ein paar Autos fahren an der Haltestelle vorbei, doch ich achtete nicht weiter darauf. Der Regen fließt in Strömen vom Himmel. Ein Tropfen tropft durch ein Loch, im Dach der Haltestelle, direkt in meinen Nacken. Ein Schaudern erfasst mich, als der kalte Tropfen an meiner Wirbelsäule entlang läuft. Unwillkürlich trete ich einen Schritt zur Seite. Langsam bildet sich eine große Wasserlache vor der Haltestelle, wenn es so weiter regnet, werde ich nach Hause schwimmen müssen. Denke ich noch, dann passiert es; ich sehe den Wagen nicht kommen, aber ich höre ihn laut und deutlich. Er fährt viel zu schnell für dieses Wetter. Ich will noch in Sicherheit gehen, doch da ist es auch schon zu spät. Wie in Zeitlupe sehe ich den Reifen ins Wasser eintauchen. Eine Fontäne aus eiskaltem, von Öl und Laub verdrecktem Wasser erhebt sich wie eine Flutwelle und trifft mich mit voller Wucht. Begräbt mich unter sich und lässt mich prustend zurück. Als ich endlich wieder etwas sehe, ist der Wagen bereits verschwunden. Nun stehe ich da, nass bis auf die Haut, arbeitslos und abgebrannt. Es hätte wirklich nicht schlimmer kommen können. Gerade als mir dieser Gedanke durch den Kopf schießt, taucht ein Wagen aus der Gegenrichtung auf, wendet und hält vor mir. Der Wagen ist eindeutig teuer, ein Roadster. Die Fahrertür öffnet sich und ein Typ, Anfang 30, mit dunklen, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren schält sich heraus. Als er ganz ausgestiegen ist, frage ich mich, wie er mit diesen breiten, mit Muskeln bepackten Körper in den kleinen Wagen gepasst hat. Er kommt auf mich zu, mustert mich ein Mal kurz von oben bis unten und sieht mir dann direkt in die Augen. Seine Augen wirken beinahe Schwarz, was durch seine langen Wimpern und dem goldbraunen Hautton sehr anziehend wirkt. Ich reiße mich von seinen Augen los und nehme seine ganze Erscheinung in mich auf. Er wirkt aggressiv, gerade zu wütend. Etwa einen Meter vor mir bleibt er stehen, mein Puls rast und mein Atem geht so schnell, dass ich jeden Moment hyperventilieren werde. Ein Funkeln tritt in seine Augen und um seinen Mund, erscheint ein verschmitztes Lächeln. „Da hab ich dich ganz schön Nass gemacht.“ Sagt er und wirkt dabei so selbst zufrieden, dass ich innerlich zu kochen anfange. Da ich jedoch Angst habe, mich nicht beherrschen zu können, halte ich lieber den Mund. Durch mein Schweigen ermutigt, vertieft sich sein Lächeln noch und ich werde das Gefühl nicht los, dieses Lächeln schon einmal gesehen zu haben. Er macht einen Schritt auf mich zu, unwillkürlich weiche ich zurück und suche mit meinen Augen die Umgebung nach Hilfe oder wenigstens einer Fluchtmöglichkeit ab. Doch es gibt niemanden und nichts, was mir in dieser Situation helfen kann. „Claire! Erkennst du mich denn nicht?“ Fragt der Typ nun, ich kann nur mit dem Kopf schütteln. „Ich bin es. Michael.“ Noch immer klingelt es nicht bei mir, doch woher kennt der Typ meinen Namen. „Matts Cousin.“ Hilft er mir auf die Sprünge und endlich weiß ich, woher ich dieses Grinsen kenne. Matt hatte auch immer so gelächelt, wenn er sich überlegen fühlte und ich hatte es schon bei ihm nicht ausstehen können. Mittlerweile zittere ich so heftig, dass es sogar Michael auffällt. Er streckt einen Arm nach mir aus, doch ich weiche wieder zurück. „Komm schon Claire, ich fahr dich zu mir, damit du aus den nassen Sachen rauskommst, sonst holst du dir noch den Tod. Ich wohn keine fünf Minuten von hier.“ Ich weiß, ich sollte ablehnen, doch mir fehlt die Kraft dazu und mir ist so unendlich kalt. Also gebe ich nach und steige ein. Schweigend fahren wir zu seinem Haus. Es ist ein unpersönlicher quadratischer Bau im Bungalow Stil. Die Inneneinrichtung besteht aus nur wenigen Möbeln. Eine große Designer Couch, ein niedriger Tisch und ein Fernseher, mehr gibt es im Wohnzimmer nicht. Es sind auch keine Bilder oder persönliche Gegenstände zu sehen, die Rückschlüsse auf den Bewohner zugelassen hätten. Michael läuft an mir vorbei, und als er zurückkommt, reicht er mir eine Jogginghose und ein T-Shirt. Dann zeigt er mir das Bad. „Du kannst deine Sachen in den Trockner tun.“ Sagt er, noch ehe er die Badtür hinter mir schließt. Eilig wende ich mich um und drehe den Schlüssel im Schloss. Erst dann ziehe ich die nassen Sachen aus, wasche mir das Gesicht und steige in die Sachen, die Michael mir gegeben hat. Beides ist viel zu groß, doch nachdem ich den Gummizug der Jogginghose festgezurrt habe, geht es. Meine nassen Sachen stopfte ich den Trockner und stelle ihn an. Ich betrachtete mein Spiegelbild und versuche ein Lächeln, doch es gelingt mir nicht. Ein paar stumme Tränen laufen mir über die Wangen, als mir der Gedanke an meine ausweglose Situation in den Sinn kommt.

Ein lautes Donnergrollen reißt mich aus meinen Gedanken und katapultiert mich in die Gegenwart zurück. Plötzlich wird mir bewusst, dass ich mich in einer ähnlichen Situation befinde wie damals. Nur das diesmal ich es bin, die geht. Auch bin ich diesmal nicht mittellos, ganz im Gegenteil. Dennoch überkommt mich dasselbe Gefühl von Einsamkeit. Seufzend starrte ich aus dem Fenster. Blitze zucken zornig am Himmel die Nacht scheint vor elektrischer Spannung zu vibrieren. In der Scheibe spiegelt sich mein Gesicht. Es wirkt traurig und ausgezerrt, so als hätte ich seit Wochen nichts gegessen. Unwillkürlich schüttle ich den Kopf. Ich hatte an alles gedacht, eine Fahrgelegenheit, einen Unterschlupf, Kapital, nur eins habe ich in meiner Planung völlig vergessen. Blut. Ich werde Blut brauchen und zwar bald.

*

Die Jagd geht weiter


Ich halte mich nicht länger mit dem Bahnangestellten auf. Zielstrebig wende ich mich zu der Tafel mit den Fahrplänen um. Der Zug hat mehrere Stunden Vorsprung, die einzige Möglichkeit ihn einzuholen, wäre zu fliegen. Doch was, wenn sie vor Berlin aus dem Zug steigt? Was dann? Ich habe keine Ahnung, doch mir bleibt keine andere Wahl. Ich muss sie einfach wieder bekommen, muss wenigstens noch einmal mit ihr über die Sache reden. Ich kann sie nicht einfach gehen lassen, ohne es wenigstens versucht zu haben. Ich reiße mich von der Anzeigentafel los und laufe aus dem Bahnhof, hinaus in eine dunkle Gasse. Schnell sehe ich mich um. Doch es ist niemand in der Nähe. Also erhebe ich mich, stoße mich vom Boden in den Nachthimmel und folgte den Schienen in Richtung Berlin. Es würde schneller gehen, wenn ich mich translozieren würde, doch das kostet zu viel Kraft. Und es hatte einen weiteren Vorteil, denn wenn ich ihr nach flog, würde ich merken, sollte sie vor Berlin den Zug verlässt. Ich folgte den Gleißen, diesen Narben aus Stahl und Stein, welche die Landschaft zerteilen und während ich flog, denke ich an unsere erste Begegnung zurück.

Es war dunkel und regnerisch an diesem Morgen. Die Sonne würde in weniger als 30 Minuten ihre volle Kraft entfalten und mir somit meine Kraft entziehen. Als ich an der Bushaltestelle vorbei raste, nahm ich im Augenwinkel eine Person wahr, von der ich geglaubt habe, sie nie wieder zu sehen. Claire. Matts Claire, stand an einer Bushaltestelle mitten im strömenden Regen, und noch während mein Gehirn es registrierte, ergoss sich eine Flutwelle über Claire und begrub sie. An der nächsten Hauseinfahrt wendete ich und fuhr zurück. Als ich sie dort stehen sah, mit all dem Dreck und durchnässt bis auf die Haut, bekam ich eine gewaltige Wut auf meinen Cousins. Was fiel ihm ein, Claire hier mitten in der Pampa allein zu lassen. Ich erinnere mich noch immer, an den verängstigten Blick, den sie mir zu warf. Diese traurigen und vor Angst geweiteten Augen, brannten sich mir tief in die Seele ein. Eine Seele die ich eigentlich gar nicht besitzen sollte. Zumindest wenn man den Autoren glaubte, welche die Welt mit erfundenen Vampir- Märchen überschwemmen.

Ein Blitz zuckt über den Himmel und reißt mich aus meiner Erinnerung in das Hier und Jetzt zurück. Resigniert betrachtete ich den Himmel. Bei einem Gewitter zu fliegen, ist gefährlich. Mir bleiben nicht viele Optionen. Entweder ich lande und versuche am Boden mein Glück oder ich transloziere mich. Die zweite Möglichkeit gefällt mir besser. Ich rufe mir noch einmal den Fahrplan ins Gedächtnis. Der Zug wird jedem Moment in einer kleinen Stadt halten, ehe er 15 Minuten später nach Berlin weiter fährt. Gut, das ich mich in Halle auskenne. Denke ich noch, ehe ich die Realität um mich herum beuge und durch den geschaffenen Tunnel meinem Ziel entgegen strebe. Als sich die Realität wieder verdichtet und der Tunnel sich hinter mir schließt. Staune ich nicht schlecht darüber, wie viel sich in den letzten 20 Jahren verändert hat. Alles wirkt so anders, so neu, ohne den ganzen Dreck und Schmutz. Das Bahnhofsgebäude erstrahlt in hellen, sandfarbenen Backsteinen und wirkt regelrecht einladend auf mich. Ich trete durch die Glastüren und finde mich in einer großen Halle wieder. Links und rechts von mir reihen sich Geschäfte aneinander und preisen ihre Waren an. Für einen Moment bin ich wie erschlagen. Dann fällt mein Blick auf die Ankunftstafel. Claires Zug steht am Gleis 5. Ohne noch einen Blick nach links oder rechts zu werfen, strebe ich den Aufgängen zu den Gleisen zu. Mein Herz schlägt vor Aufregung so laut in meiner Brust, dass ich nichts anderes mehr wahrnehme. Am Ende der Treppe angekommen starre ich den Zug an. Zweifel, Angst und Schuld zwingen mich zum Stehen bleiben. Habe ich das Recht dazu, wäre es nicht besser für Claire, sie einfach gehen zu lassen. Jemand stößt von hinten gegen mich. Schubst mich einen Meter näher zum Zug. Schließlich fällt mir Claires Abschiedsbrief wieder ein und ich weiß, was ich zu tun habe.

*

Entscheidungen


Es ist mir noch nie leicht gefallen Entscheidungen zu fällen, das hat sich auch nicht da durch geändert, das ich nun kein Mensch mehr bin. Wenn ich es mir genau überlege, fällt es mir nun, da ich die Ewigkeit vor mir habe, sogar noch schwerer. Das Unwetter hat sich mittlerweile ein wenig beruhigt und die Felder und Wiesen weichen Häusern und Straßen. Die mir sehr bekannt vorkommen. In wenigen Minuten, wird der Zug in meiner ehemaligen Heimatstadt anhalten. Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit, nur zu gerne würde ich einen Blick riskieren. Nachsehen, was sich alles verändert hat. Der Zug hält und als er wieder weiter fährt, sitze ich noch immer auf meinem Platz. Halle ist nicht mehr meine Heimat. Meine Heimat habe ich vor wenigen Stunden verlassen. Ob Michael wohl froh ist, mich los zu sein. Würde er überhaupt bemerken, dass ich nicht mehr da bin. Und auch nie mehr zurück kommen werde. Bei diesem Gedanken zieht sich mein Herz zusammen. Es tut Weh, verdammt Weh sogar. Die Tür zu meinem Abteil wird plötzlich aufgerissen und da steht er. Mein dunkler Engel, mein Leben.

*

Ich renne durch den Zug, zerre eine Abteiltür nach der anderen auf. Nichts und wieder nichts. Die Angst schnürt mir die Kehle zu, sonst hätte ich vor Verzweiflung geschrien. Claire wo bist du nur? Schießt es mir immer wieder durch den Kopf. Ich reiße eine weitere Tür auf, das Knirschen von dem zerbrochenen Schloss, nehme ich nur am Rande wahr. Alles, was ich sehe,verdichtet sich auf einen Punkt, Claire. Mein ganzes Sein strebt auf sie zu. In einer stürmischen Umarmung, reiße ich sie an mich und schwöre mir, sie nie wieder loszulassen. „Oh Claire.“ Flüsterte ich immer wieder. Mein ganzer Körper erzittert unter dem Adrenalinschub, sie endlich wieder zu haben. Mehrere Minuten halte ich sie so. Dann dringt etwas zu mir durch. Etwas fehlt. Sekunden verstreichen, ehe mir bewusst wird, dass Claire die Umarmung nicht erwidert. Ich löse mich schweren Herzens soweit von ihr, dass ich ihr ins Gesicht sehen kann. In ihren Augen, sehe ich ihren Unglauben und die Zweifel. Es bricht mir beinahe das Herz, sie so zu sehen. Oh Claire. Was habe ich nur angerichtet?

*

Michael! Schrie ich stumm, voller Angst mir das alles nur einzubilden. Bin ich letztendlich doch noch verrückt geworden? Langsam lässt er mich los. Ich sehe in sein Gesicht. Erleichterung und Schmerz kämpfen darin um die Vorherrschaft. Noch immer ungläubig hebe ich eine Hand und lege sie an seine Wange. „Du bist ja echt!“ Sprudelt es aus mir heraus, ehe ich die Worte daran hindern kann. „Aber warum?“ Michael sieht mich an, ich habe das Gefühl, dass er mir bis auf die Seele blickt. Dann zieht er mich wieder in seine Arme, es tut beinah Weh, so fest hält er mich. Wäre es möglich? Schießt es mir durch den Kopf. Dass ich ihm doch etwas bedeute? Ich liebe ihn so sehr, dass ich alle meine Bedenken beiseite schiebe und mich an ihn klammere. Ich will ihn nie mehr loslassen und genau aus diesem Grund, löse ich mich von ihm. „Warum bist du hier?“ Frage ich und staune selbst darüber, wie fest meine Stimme klingt. Michael sieht zu Boden. Zittert er etwa?

*

Wie sagt man der Liebe seines Lebens, dass man sie liebt und ohne sie, nicht mehr leben kann. Ich habe wirklich keine Ahnung. Mein Plan endet damit, Claire wieder zu finden, weiter habe ich noch nicht nachgedacht. Liebt sie mich überhaupt noch? Ich schlucke hart, dann sehe ich sie an und sage das Erste, was mir einfällt. Es muss reichen. Es muss einfach, denn zu mehr bin ich im Moment einfach nicht in der Lage. „Ich liebe dich Claire. Bitte. Bitte verlass mich nicht.“ Ihre Augen werden feucht, ich sehe, wie sie dagegen ankämpft, doch es hilft nichts. Die Tränen laufen nur so an ihren Wangen hinunter, als seien es Sturzbäche. Ich schlucke abermals. „Bin ich … komme ich zu spät?“ Sie sagt noch immer nichts. Claire zeigt überhaupt keine Reaktion, außer das nur noch mehr Tränen, aus ihren Augen quellen. Plötzlich und wie aus heiterem Himmel fängt sie an zu lachen. Sie lacht aus vollem Halse und wirft ihre Arme um mich. Ich bin starr vor Überraschung. Erst als sie mir ihre Lippen auf den Mund presst, komme ich wieder zu mir. Stürmisch erwidere ich ihren Kuss und knabbere sanft an ihren Lippen. Sie lässt ihren Mund über mein Kinn wandern. Knabbert an meinem Ohrläppchen und haucht Küsse auf meinen Hals. Und noch ehe ich weiß wie mir geschieht, schlägt sie mir ihre Zähne in die Halsvene. Das hat sie noch nie gemacht, schießt es mir durch den Kopf. Ehe jeder vernünftige Gedanke verschwindet und durch brennende Leidenschaft ersetzt wird.

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Vor diesem Schritt habe ich immer zurück geschreckt. Nicht weil ich es nicht gewollt habe. Nein. Weil ich Angst hatte, damit noch mehr in seiner Schuld zu stehen. Denn wenn ein Vampir von einem anderen Vampir trinkt, dann verbinden sich ihre Seelen. „Oh Claire ich liebe dich. Bitte verlass mich nicht.“ Höre ich Michaels Stimme in meinem Kopf sagen. Nun da ich den letzten Schritt getan habe, kann ich nicht nur seine Gedanken hören. Sondern ich spüre auch seine Gefühle. Er fühlt sich schuldig, weil er Linné nicht hat retten können und weil er mir mein Leben genommen hat. Du Dummkopf denke ich. Du hast mir das Leben geschenkt. Ich verschließe die Wunde an seinem Hals und küsse die Stelle noch einmal sanft. Lange stehen wir da und halten uns einfach nur fest, klammern uns aneinander, als hätten wir Angst davor, uns zu verlieren, sobald wir uns loslassen.

Die Realität


Der Zug ruckelt und ich schrecke aus meinem Traum auf. Meine Güte denke ich benommen, während ich mich langsam wieder in die Realität kämpfe. Das hat sich viel zu echt angefühlt. Suchend sehe ich mich in meinem Abteil um, doch es ist leer. Das Türschloss heil, nichts deutet daraufhin, dass Michael hier gewesen ist. Tränen quellen aus meinen Augen und ein Wimmern entringt sich meiner Kehle, als mir Bewusst wird, dass alles nur ein Traum gewesen ist. Ich habe Michael nie am Strand getroffen, bin nie zum Vampir geworden und habe auch nie, die große Liebe gefunden. Ich blicke aus dem Fenster und verfolge traurig die vorbeiziehende Landschaft. „Hallo. Ist hier noch ein Platz frei?“ Schreckt mich eine raue, volltönende Stimme auf. Ich nicke nur und blicke weiter stur aus dem Fenster. Wir fahren gerade an einem Feld voller Sonnenblumen vorbei, als die Stimme wieder erklingt. „Bitte Endschuldigen sie die Störung; fahren sie auch ans Meer?“ Wieder nicke ich bloß. Ich habe einfach keine Lust, mich mit irgendwem zu unterhalten. Womöglich jammert er mir dann die restlichen 5 Stunden Fahrzeit die Ohren voll. Nein darauf kann ich nun wirklich verzichten. Ich schließe die Augen und hoffe darauf, meinen Traum von vorhin, weiter träumen zu können. Ich möchte so gern, dass dieser Traum Real ist. Mein gegenüber räuspert sich und ich hebe nun doch den Blick und sehe ihn an. Während meine Augen sein Gesicht und seinen Körper erfassten, weigert sich mein Gehirn eins und eins zusammenzuzählen. Es weigert sich zu glauben, was es sieht. Jetzt lächelt mein gegenüber. Ich muss echt bescheuert aussehen, denke ich noch, während aus meinem Mund, nur ein einziges Wort kommt. „Michael!“ Stoße ich atemlos hervor.

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Endlich Urlaub. Zwei Wochen nichts als Sand und Meer. Der Stress in den letzten Wochen, hat mich beinah aufgefressen. Doch nun werde ich nicht mehr an die Arbeit denken. Ich habe mir fest vorgenommen, den ganzen Urlaub über, nicht einen einzigen Satz zu schreiben. Mein Buch ist fertig um den Rest wird sich mein Verleger kümmern. Bis in zwei Wochen die Lesungen und Autogrammstunden beginnen, werde ich nicht einen Gedanken mehr, an mein Buch verschwenden. Ich nehme meinen Koffer und steige in den Zug. Es handelt sich um einen dieser altmodischen Züge, in denen man in abgetrennten Abteilen sitzt. Aus den ersten beiden Abteilen dringt Kindergeschrei. Im Dritten sitzen Fußballfans und im Vierten findet gerade ein Kaffeekränzchen statt. Fünf reizende Damen die bei Kaffee und Kuchen über die Enkelkinder tratschen. Ich höre ihre Stimmen noch, als ich bereits drei Abteile weiter bin. Beim letzten Abteil sind die Vorhänge zugezogen, sodass ich nichts sehen kann. Ich lausche, höre aber nichts, also klopfe ich an. Als keine Antwort kommt, schiebe ich die Tür zur Seite hin auf und erblicke eine Frau. Ich kenne diese Frau nicht und bin mir absolut sicher, sie noch nie im Leben gesehen zu haben, und dennoch spüre ich, eine seltsame Verbindung zu ihr. So als würde ich sie von früher, oder aus einem anderen Leben kennen. Auf meine Frage, ob ich mich setzen dürfe, nickt sie bloß. Sie sieht mich nicht einmal an. Ich bin mir nicht sicher, ob sie mich überhaupt richtig wahrnimmt. Sie starrt die ganze Zeit gebannt aus dem Fenster. Eine Weile betrachte ich sie schweigend, ihr Gesicht sehe ich nicht, aber sie wirkt traurig, dass erkenne ich an ihrer ganzen Körperhaltung. An den hängenden Schultern und der gebeugten Haltung ihres Rückens. Doch so schnell gebe ich nicht auf. „Wollen sie auch ans Meer?“ Sie nickt, sagt aber nichts. Enttäuscht lasse ich die Schultern hängen und räuspere mich. Ich will ihr schon sagen, dass ich auch gehen könne, wenn ich ihr auf die Nerven gehe. Doch da hebt sie den Blick. Das ist die Frau aus meinem Traum, der Traum, den ich vor ein paar Monaten hatte. Sie ist die Inspiration meines Buches. Diese Frau spielt die Hauptrolle in dem Buch, dass ich in zwei Wochen veröffentlichen werde. „Claire!“ Stoße ich hervor. Während sie zur selben Zeit „Michael“ sagt.

*

Träume werden wahr


Ich starre den Mann vor mir an. Er ist definitiv der Mann aus meinem Traum und was noch viel verwirrender ist, er kennt meinen Namen. Was passiert hier? Frage ich mich und schließe für einen Moment die Augen. Ich fasse mir an die Stirn. Alles Normal, ich habe kein Fieber. Mein Puls schlägt etwas zu schnell, aber regelmäßig. Also bin ich nicht krank und leider auch kein Vampir. Noch immer starrt der Mann mich verblüfft an. Schließlich strafft er sich und bietet mir seine Hand zum Gruß. Ich zögere einen Moment, greife dann aber doch danach und schüttele sie kurz. Hitze breitet sich von meiner Hand in meinem gesamten Körper aus. Ich muss schlucken, ehe ich sprechen kann. „Woher kennen sie meinen Namen?“ Bringe ich stockend hervor. „Und sie, woher kennen sie meinen?“ Ok. Ich muss zugeben, das ist eine durchaus berechtigte Frage. „Ich habe zu erst gefragt.“ Der Mann nickt. „Ich hatte vor einigen Wochen einen Traum. Ich weiß das klingt komisch und ein wenig verrückt, aber ich schwöre, es ist die Wahrheit. Ich habe von ihnen geträumt.“ Mir fällt die Kinnlade herunter. Wie können zwei Menschen, die sich vorher nie gesehen haben, dass selbe träumen. Das ergibt einfach keinen Sinn. „Ich auch … ich mein, ich habe von ihnen geträumt.“ Ich spüre, wie ich rot werde, als ich daran denke, was ich geträumt habe. Als ich den Blick hebe, sehe ich, dass Michael lächelt. Offenbar denkt auch er daran. Eine Weile schweigen wir und jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach.
*

Ich kann es nicht glauben und beiße mir auf die Zunge, nur um sicher zugehen, dass ich nicht wieder träume. Es tut weh, also muss das hier Real sein, wirklich und wahrhaftig. Eine Stunde vergeht, ehe es an der Abteil Tür klopft und der Schaffner die Fahrkarten kontrolliert. Als der Schaffner geht, fasse ich einen Entschluss. Ich werde diese einmalige Chance nicht verstreichen lassen. „Ich fahre übrigens nach Rügen.“ Sage ich in der Hoffnung, Claire wieder zum Reden zu bringen. Wann hat man schon mal die Möglichkeit, sich mit seiner eigens ausgedachten Romanfigur zu unterhalten. „Ja ich auch.“ Sagt Claire und schweigt wieder. „Ferienwohnung oder Hotel?“ Versuche ich es noch einmal. Claires Augen bekommen einen träumerischen Ausdruck. „Ich habe einen Leuchtturm direkt an einem kleinen Strand gebucht.“ Freude durchströmt mich darüber, dass Claire endlich mal etwas mehr, als nur drei Worte, von sich gibt. Jetzt darf ich bloß nicht locker lassen. Fieberhaft überlegte ich, was ich noch fragen, noch erzählen könnte. „Wovon handelte ihr Traum?“ Durchbricht Claire meine Gedanken. Ich hebe den Blick und sehe, wie Claire rot wird. Offenbar hat sie sich mit dieser Frage selbst überrascht. Ich denke einen Moment darüber nach. Schließlich möchte ich nicht zu viel verraten. Die Strandszene war sehr schön, aber wahrscheinlich zu romantisch, zumindest im Moment. Schließlich entscheide ich mich für eine andere Szene. „Einmal sind wir auf einem Jahrmarkt in Paris gewesen und sind Riesenrad gefahren.“ Gespannt sehe ich Claire an, warte auf eine Reaktion von ihr. Ich hoffe, dass auch sie von diesem Abend geträumt hat. Denn dass war der Abend, an dem ich mich in sie verliebt habe. Wenn man darüber nachdenkt, klingt dass völlig bescheuert. Wie kann man sich in eine Frau verlieben, die man nur in seinen Träumen trifft, eine Frau, die nicht einmal existiert.

*

Ich weiß sofort, von welchem Abend, Michael spricht. An diesem Abend hoch über Paris, da haben wir uns zum ersten Mal geküsst. Tausend Schmetterlinge flogen in meinem Bauch umher, als seine Lippen die meinen berührten. Es war so Real gewesen, dass ich in Tränen ausbrach, sobald ich aufgewacht bin. Mit jedem weiteren Traum, wurde das Gefühl, allein zu sein, immer schlimmer. Bis es so schlimm wurde, dass mein Arzt mir schließlich diese Reise vorschlug, um Abstand zu gewinnen. Um endlich wieder in die Realität zurückzufinden. „Das tut mir leid.“ Durchbrach Michaels Stimme meine Gedanken. Habe ich das etwa laut gesagt? Denke ich und verberge mein Gesicht in den Händen während ich mich seitlich von ihm weg drehe. Ich will kein Mitleid und ich will ihn auch nicht ansehen. Diese Besessenheit muss endlich aufhören. Ich höre, wie Michael aufsteht, und spüre, wie er sich neben mich setzt. Er streichelt mir sanft über den Rücken und löst damit Hitzewellen in meinem Körper aus. Ich ergebe mich den sanften Streicheleinheiten und seufzte, als ich meinen Kopf an seine Schulter lehne. Es ist so herrlich, so viel besser als im Traum. Denn nun spüre ich die Wärme, die sein Körper ausstrahlt, und rieche sein Aftershave. Er riecht nach Meer und Frieden. Ich merke, wie ich Müde werde, schließe die Augen und gleite sanft in einen Traum hinüber.

*
Ich betrachte die schlafende Claire. Sie sieht aus wie ein Engel und wirkt zum ersten Mal, seit ich sie getroffen habe, richtig entspannt. Ihr Kopf ruht an meiner Schulter, direkt über meinem Herzen. Und ich könnte schwören, dass mein und Claires Herz, im gleichem Rhythmus schlagen. Ihr Duft, eine Mischung aus Lilie und wildem Jasmin, berauschen mich und regen meine Fantasie an. Ich erinnere mich an unseren Mondschein Spaziergang durch den botanischen Garten. Wir liefen Hand in Hand durch die einzelnen Gewächshäuser und versuchten die botanischen Namen fehlerfrei zu entziffern. Für mich war es nicht sonderlich schwer, schließlich war ich ein Vampir. Doch das wusste Claire zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich musste also so tun, als ob ich genauso wenig sah, wie sie. Nachdem Spaziergang brachte ich sie Heim und Claire lud mich noch auf einen Kaffee ein. Ich kam mit rauf in ihre Wohnung. Doch sobald die Tür ins Schloss fiel, vergaßen wir beide den Kaffee und fielen voller Leidenschaft übereinander her. Ich weiß noch immer nicht, wer in dieser Nacht das größere Raubtier war. Doch ich wusste nach dieser Nacht, dass ich nie mehr ohne Claire sein wollte. Wie verrückt muss man sein, um sich in eine Frau aus einem Traum zu verlieben. Damals glaubte ich, ich würde den Verstand verlieren. Doch jetzt, mit der Frau aus meinen Träumen in den Armen, wird mir bewusst wie verrückt ich wirklich bin.

*

Claires Traum


Der Zug ruckelt und ich schrecke aus meinem Traum auf. Meine Güte, denke ich benommen, während ich mich langsam wieder in die Realität kämpfe. Es war alles so Real gewesen. Ich glaube sogar den Geschmack seines Blutes, auf meiner Zunge zu schmecken. Doch die Realität sieht anders aus, denn außer mir ist niemand hier. Ich bin allein. Resigniert schließe ich die Augen und hoffe wieder einschlafen zu können. Ich rufe mir den Traum nochmals in Erinnerung und lasse ihn in einer endlos Schleife vor meinem geistigen Auge ablaufen. Immer und immer wieder lasse ich die Szene Revue passieren, rufe mir jede Einzelheit ins Gedächtnis. Denn dieser Traum war schöner, als die Realität und am liebsten würde ich niemals wieder daraus aufwachen. Ich spüre einen leichten Luftzug im Raum und dann trifft mich der Duft. Er ist berauschender, als jeder Traum und vielversprechender, als jede Wahnvorstellung. Es riecht nach Leidenschaft und Gefahr, nach Paradies und Albtraum, eine Mischung, die ich jederzeit wieder erkennen würde. Noch bevor ich weiß, was ich mache, schlage ich die Augen auf und werfe mich in Michaels Arme. Ich vergrabe mein Gesicht in seiner Halsbeuge und atmete tief ein. Erst langsam wird mir bewusst, dass ich seine Gedanken in meinen Kopf hören kann. Seine Gefühle wahrnehme, und das er nicht mit leeren Händen gekommen ist. Nur widerwillig löse ich mich von ihm und sehe ihn an. Sein Lächeln ist atemberaubend schön, fast zu schön um wahr zu sein. Da erst wird mir bewusst, dass alles, was ich für einen Traum hielt, wirklich passiert ist. Michael ist hier, er ist gekommen, um mich zurückzuholen und ich habe ihn gebissen. Ihn schien es nichts auszumachen, im Gegenteil, er schien sich darüber zu freuen. Als ich immer noch nichts sage, hält er mir einen Pappbecher mit Strohalm hin. „Hungrig?“ Fragt er süffisant und grinst. Ich nehme ihm den Becher ab und stelle ihn hinter mir, auf das kleine Tischchen. Dann lächle ich. „Und wie!“ Gebe ich zurück und lasse meinen Blick über seinen Körper wandern. Ich nehme jede Einzelheit wahr. Sein schwarzes Seidenhemd, welches sich über seine muskulöse Brust spannt. Die Jeans, die sich wie eine zweite Haut an seine schmalen Hüften und die starken Beine schmiegt und seine wundervollen Hände, die, wenn er es will, mich in den Siebten Himmel tragen können. Wenn das hier wieder bloß ein Traum ist, möchte ich nie mehr aufwachen.

*

Ich betrachte Claires Gesicht, sie lächelt im Schlaf und reibt ihre Wange an meiner Brust. Augenblicklich bemerke ich, die eindeutige Reaktion meines Körpers. Alle meine Muskeln spannen sich an und mein Herzschlag beschleunigt sich. Ich vergrabe mein Gesicht in ihrem Haar und atme tief ein. Welch ein berauschendes Aroma von ihr ausgeht? Geht es mir durch den Kopf und drücke ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie seufzt und ihre Hände wandern über meinen Oberkörper, zeichnen die Muskelstränge nach und verweilen schließlich an meinem Bauch. Ein Schauer der Erregung erfasst mich und mein Atem wird unregelmäßig. Ich weiß, dass ich sie aufhalten sollte, doch es ist so schön endlich von ihr berührt zu werden. Ihre Hände wandern weiter über meinen Körper, streichen an den Seiten entlang zu meiner Jeans. Sie zerrt an meinem Hemd und im nächsten Moment spüre ich ihre Hände auf meiner Haut. Mir wird heiß und meine Hose ist zu eng, sie schnürt mich ein. Gern würde ich sie ein wenig öffnen, um mir wenigstens ein bisschen Erleichterung zu verschaffen. Doch das lässt Claire nicht zu, denn sie schiebt ihre Arme unter die meinen und umklammert mich mit aller Kraft. Fasst so, als hätte sie Angst, dass ich fort gehe, sobald sie mich loslässt. Ich könnte ihr sagen, dass diese Angst völlig unbegründet ist, doch dafür müsste ich sie wecken und das möchte ich nicht. Denn wenn ich sie vorhin richtig verstanden habe, dann hat sie Angst vor den Gefühlen, die sie für mich hegt. Das kann ich nicht riskieren, nicht jetzt, wo sie mir gerade so nah ist. Ihre Hände öffnen meine Hemdknöpfe und schieben die beiden Hälften zur Seite. Mir stockt der Atem als ihre Lippen meine Brust berühren. Sie küsst meine Brustwarzen und die kleine Kuhle wo der Hals beginnt. Ich spüre mein Blut durch die Adern rauschen, höre meinen wild schlagenden Puls und dann spüre ich den Schmerz. Für den Bruchteil einer Sekunde überlege ich, woher dieser Schmerz auf einmal kommt, doch dann wird mir alles klar. Sie hat mich gebissen. Plötzlich reißt sie sich von mir los und sieht mich aus schreckgeweiteten Augen an.

*

Zwischen Traum und Wirklichkeit



Ich verliere den Verstand, oder habe ihn bereits verloren. Ich kann Realität und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderhalten. Ich weiß einfach nicht mehr, wer oder was ich bin. Ständig dieses Hin und Her zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen schlafen und wachen. Langsam wird mir bewusst, was ich gerade getan habe … Ich habe einen Menschen gebissen. Oder ist das hier der Traum, und das Andere, ist die Realität? Ich betrachte den Mann neben mir. Seine Arme sind noch immer weit geöffnet, so als wollte er, dass ich mich wieder hinein schmiege. Sein Hemd steht offen, ich kann den Zahnabdruck meines Mundes an seinem Halsansatz sehen. Während ich ihn betrachte, verfärbt er sich und nimmt eine dunkelrote Färbung an. Das wird einen Knutschfleck geben. Denke ich bei mir und spüre meine Mundwinkel zucken. Doch als ich meinen Blick an seinem entblößtem Oberkörper entlang gleiten lasse, vergeht mir das Lächeln. Er sieht atemberaubend aus, als wäre er eine aus Marmor gehauene Statue. Mein blickt folgt den schön definierten Muskeln und bleibt an der Beule in seiner Jeans hängen. Speichel sammelt sich in meinen Mund und ich muss schlucken. „Ist alles in Ordnung Claire?“ Seine Stimme hüllt mich ein wie warmer Mantel. Ich nicke nur, da es mir die Sprache verschlagen hat. Langsam lässt er seine Arme sinken und lenkt so meine Aufmerksamkeit auf seine Hände. Oh diese zauberhaften Hände, die mich schon mehr als hundert Mal in den Himmel getragen haben. Doch dann schüttle ich den Kopf über mich selbst, denn das alles, diese ganze Beziehung mit ihm, gibt es nicht. Nicht in echt. Nicht in der Wirklichkeit. Ein Schluchzen ertönt von irgendwo her, und erst als ich die Nässe in meinem Gesicht spüre, wird mir klar, dass ich es bin, die dieses Geräusch von sich gibt. Ich schlage die Hände vors Gesicht und wische die Tränen fort, doch es kommen immer neue nach.
*
Claire so aufgelöst zu sehen zerreißt mir schier das Herz. Für einen Moment sitze ich unschlüssig da und im nächsten Moment schlinge ich die Arme um sie. Ihr Körper ist ganz erstarrt, als ich sie an mich ziehe, doch dann entspannt sie sich und sinkt in meine Arme. „Sch … alles wird gut.“ Versuche ich sie zu trösten und ziehe sie noch dichter zu mir. „Es wird alles gut, ich bin bei dir.“ Flüstere ich immer wieder und allmählich wird sie ruhiger, bis ihre Tränen ganz versiegen und sie sich von mir löst. Sie öffnet den Mund doch ihr Geflüstertes „Danke“ ist so leise, dass ich es mehr von ihren Lippen ablese, als höre. Die Abteil Tür wird geöffnet und eine Frau unbestimmten Alters lächelt uns freundlich an. „Wünschen sie einen kleinen Imbiss, einen Kaffee vielleicht.“ Wie zur Antwort beginnen unsere Mägen zu knurren, worauf wir beide kichern. „Ja, wir nehmen zwei Baguettes und Kaffee.“ Sage ich und nehme die Sachen entgegen. Nachdem ich bezahlt habe, sind wir wieder allein und essen schweigend. Es ist ein angenehmes Schweigen, eines, was sich nur dann einstellt, wenn man sich wohlfühlt. Nachdem ich fertig bin, nehme ich mein Handy aus der Tasche und sehe kurz nach meinen Mails. Eine ist von meinem Verleger.

~ Michael das neue Buch von dir ist grandios. Ich kann dir jetzt schon sagen, dass du damit ganz groß raus kommen wirst. Ich wünsch dir einen schönen Urlaub und erhol dich gut. Denn dafür wirst du in den nächsten Monaten keine Zeit mehr haben. Ich schicke dir dann nächste Woche eine Liste mit deinen Terminen. Tschau.~

Heute Morgen hätte mich diese Mail unendlich glücklich gemacht, doch nun. Jetzt wo ich weiß, dass es Claire, meine Claire, wirklich gibt, frage ich mich, was sie von der ganzen Sache hält? Ob es ihr wohl etwas ausmacht, wenn alle, ihre Geschichte lesen können? Angefangen bei Matt, ihrem Exmann und schlussendlich, wie sie sich in einen Vampir verliebt hat? Wenn die echte Claire, auch nur ein wenig, mit der Claire in meinen, unseren Träumen gemein hat, dann wird sie daran zerbrechen. Benommen stecke ich das Handy in meine Tasche zurück und stehe auf. Im Augenwinkel sehe ich, wie Claire mich ansieht, so voller Zuneigung und Interesse. Ich öffne die Tür des Abteils und trete auf den Gang. Die Tür fällt hinter mir zu und ich öffne ein Fenster, sauge die kalte klare Morgenluft tief in meine Lungen. Eine Weile stehe ich mit geschlossenen Augen da, genieße den Wind auf meinem Gesicht, denke einfach an gar nichts.

*

Wird fortgesetzt.
Hinterlasst mir bitte einen Kommentar, wenn es euch gefallen hat. Und wenn nicht auch. Grins

Impressum

Texte: Kathrin Große
Bildmaterialien: Kathrin Große
Tag der Veröffentlichung: 02.12.2011

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