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Leben am Ende der Welt.

Neok Aanee lebte am Rande eines Waldes. Im Sommer war es schön hier. Unendliche grüne Weiten, Bäume und wilde Natur. Neok liebte die verschiedenen Jahreszeiten. Er war das ganze Jahr über unterwegs, erforschte die Fauna, kartografierte die Flora und genoss die Abgeschiedenheit von Alaska. Er lief oft stundenlang durch unwegsames Gelände, kletterte über umgestürzte Baumstämme und kontrollierte seine Fotofallen. Die Fallen hatte er aufgestellt, um die Bären zu beobachten. Sie waren genau wie er, vor zwei Jahren hier aufgetaucht. Als hätten sie eine heimliche Verabredung, mit ihm gehabt, von der er nichts gewusst hatte. Seitdem hatte er sich über den Grizzly Bären informiert. Grizzly Bären, waren keinesfalls die Monster, als die sie Hollywood hinstellte. Ganz im Gegenteil, es waren sehr soziale Tiere. Zwar waren die Männchen Einzelgänger und ziemlich aggressiv, wenn sie auf einen Rivalen trafen. Doch die Weibchen kümmerten sich liebevoll um ihre Jungen. Sie brachten ihnen bei, wie sie Lachse jagten, was sie fressen konnten und was besser nicht. Neok erinnerte sich an seine eigene Kindheit. Auch er war ohne Vater aufgewachsen. Doch seine Mutter hatte ihm alles beigebracht, damit er überleben konnte. Sie war sogar mit ihm fischen und jagen gegangen. Nicht aus Freude am töten; nein. Um ihm zu zeigen, wie er überlebte. Sie hatten nie viel Geld gehabt, es reichte gerade für das Nötigste und so war es einfacher gewesen, ihre Mahlzeiten zufangen, als sie im Supermarkt zu kaufen. Neok fragte sich manchmal, was aus ihm, hier in der Wildnis geworden wäre, hätte ihm seine Mutter nicht gezeigt, wie man ohne Supermarkt und anderem Komfort überlebte.

Ein paar Jahre zuvor.
Neok lenkte seinen Wagen in die Einfahrt seines Hauses, als er die Blaulichter sah, trat er auf die Bremse und sprang aus dem Wagen, noch bevor dieser richtig stand. Er rannte auf die Haustür zu, doch er kam nicht weit. Ein Mounty hielt ihm am Arm fest und versperrte ihm den Weg. „Das ist ein Tatort, sie können dort nicht rein.“ Neok, versuchte sich an ihm vorbei zudrängeln. „Ich muss, meine Mum ist dort drin.“ Sagte er verzweifelt. Die Miene des Mounty nahm einen mitleidigen Ausdruck an. Dann schüttelte er den Kopf. „Tut mir Leid Junge, sie ist Tod.“
An diesem Tag war seine heile Welt einfach auseinandergebrochen. Er hatte nicht mehr ein noch aus gewusst. Ein Anwalt hatte zwei Tage später Kontakt mit ihm aufgenommen und ihn, zu sich ins Büro gebeten. Neok hatte keine Ahnung gehabt, dass seine Mutter ein Testament verfasst hatte. Geschweige denn, dass sie eine Lebensversicherung abgeschlossen und ihn als begünstigten, hatte eintragen lassen. Sie hatte ihm eine halbe Million Dollar vererbt. Da war seine Welt abermals eingestürzt, doch er hatte sich aufgerappelt, sein Studium als Biologe beendet und den Forschungsauftrag für Alaska bekommen. Nun war er seit zwei Jahren am Ende der Welt und fühlte sich pudelwohl. Sein Tag war ausgefüllt.
Er machte Feuer, kochte sich Kaffee, aß sein Frühstück und machte sich dann auf den Weg. Jetzt im Winter gab es nicht so viele Tiere zu beobachten und die wenigen, welche keine Winterruhe hielten, waren gut getarnt. Doch auch er war, in seinen weißen Sachen, kaum zusehen und da er meist zu Fuß unterwegs war, konnte er sich ihnen nähern, ohne dass sie die Flucht ergriffen. Am meisten jedoch sorgte er sich vor dem Frühjahr, denn dann kämen die Holzarbeiter wieder. Sie würden den knappen Lebensraum der Tiere, die er mittlerweile, als seine Familie ansah, noch weiter einschränken und das konnte er nicht zulassen. Also suchte er fieberhaft nach einer Möglichkeit, diese Gegend in einen Nationalpark umzuwandeln. Doch dafür brauchte er eine seltene Tierart, oder Pflanze. Während er so vor sich hingrübelte, lief er über den zugefrorenen See. Ungefähr in der Mitte blieb er stehen, sah sich nach einer guten Stelle um und setzte den Eis Bohrer an. Nach etwa zehn Minuten hatte er ein kreisrundes Loch in die Eisdecke gebohrt. Er ließ seine mit einem Köder bewährte Angelsehne hineinsinken und wartete. Dann goss er sich einen Tee aus seiner Thermoskanne in die Tasse und dachte über sein Problem nach. Er hatte nur noch einen Monat, wenn er bis dahin nichts fand, würde er unverrichteter Dinge abreisen müssen. Wenn er doch nur endlich einen Beweis dafür hätte, dass sich eine neue Bärenart hier entwickelte. Dann würde die Artenschutzbehörde, seinem Antrag zustimmen. Doch die Fotofallen hatten wenig gebracht. Er hatte unzählige Fotos von Schneehasen, Füchsen, Eulen und Grizzly Bären, aber keines mit dem Alaska Bär, wie er ihn nannte. Er hatte diesen Bären nur einmal gesehen, doch er war sicher, dass er sich noch irgendwo in der Nähe aufhielt. Schließlich gab es hier den besten Lachs und auch andere Leckereien, die für Bären unwiderstehlich waren. Wie Honig und Brombeeren. Die Angelsehne in seiner Hand ruckte. Sofort war Neok hellwach. Stand auf und holte die Schnur langsam ein. Ein großer Lachs hing am Haken und würde ein gutes Mahl für ihn abgeben. Neok leckte sich bei dem Gedanken genüsslich über die Lippen. Schnell nahm er seinen Kescher und holte das Tier an Land. Der Fisch schlug noch ein paar Mal mit der Schwanzflosse, dann blieb er ruhig liegen. Die Kälte bewirkte, dass der Fisch binnen Sekunden betäubt war und schließlich friedlich einschlief. Neok rollte seine Angelschnur ein, nahm seine Tasse und wusch sie im Eisloch aus. Als er die Tasse wieder aus dem Loch holte, sah er etwas, das seinen Atem stocken ließ. Es war ein Fisch, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Der Fisch war klein, doch sein leuchtend blauer Körper, war wunderschön. Neok nahm langsam seinen Kescher. Jetzt bloß keine hastigen Bewegungen. Dachte er. Wenn er ihn verschreckte, wäre diese Chance für immer vertan. Er kniete sich vors Loch, ließ langsam den Kescher eintauchen und entfalten. Der Fisch zuckte mit der Schwanzflosse und schwamm ein Stück weiter. Neok holte tief Atem und versuchte sich zu beruhigen. Da drehte der Fisch sich um und schwamm direkt hinein. Neok hob den Kescher soweit an, dass der Fisch nicht hinausschwimmen konnte, aber noch immer mit Wasser bedeckt war. Er wollte ihn unbedingt lebend. Er goss den Tee aus seiner Thermoskanne, füllte etwas Wasser hinein und dann den Fisch. Wenn dieser Fisch …
Nein er sollte nicht zu früh hoffen. Also packte er seine Sachen zusammen und lief nach Hause. Er hatte gut eine Stunde Fußmarsch hinter sich, als er die kleine Blockhütte erreichte. Es war bereits dunkel. Zu dieser Jahreszeit gab es nur 4 Stunden Tageslicht. Dies war ein großes Problem für die meisten hier. Selbst die Menschen, die in Alaska geboren und aufgewachsen waren, litten unter den kurzen Tagen, an denen es nie richtig hell wurde. Viele hatten daher ein Problem mit dem richtigen Maß an Alkohol. Neok nicht, er hatte nie getrunken, seine Mutter hatte Alkohol verabscheut und nach ihrem Tod, hatte er auch erfahren warum. Denn sein Vater war so einer gewesen, einer mit einem Alkoholproblem, wie es so schön hieß. Für seine Mum hatte es bedeutet, dass ihr Mann sie schlug, bis sie schließlich weglief. Sein Vater hatte sie nach zwanzig Jahren Suche wieder gefunden, hatte die Fotos von Neok gesehen und ihr Vorhaltungen gemacht. Nachdem ihm klar wurde, was er getan hatte, hatte er auch sein Leben beendet. Das war der Grund dafür, dass Neok niemals trank, nicht mal einen Schluck. Er fürchtete sich davor wie sein Vater zu sein und er hatte Angst, dass wenn er erst mal anfing zu trinken, er nicht mehr aufhören könnte.
Er betrat seine Hütte, legte den Lachs in die Küche und ging mit seiner Thermoskanne in der Hand in sein Büro. Es war kein richtiges Büro, sondern nur ein vom Wohnzimmer abgetrennter Bereich. Ein kleiner Schreibtisch, auf dem geradeso sein Laptop passte und ein Stuhl waren die einzigen Möbel. Mehr brauchte er auch nicht. Er schaltete den Laptop ein und stellte eine Internetverbindung her. Dank einer Satellitenschüssel war dass selbst in dieser Einöde möglich. Er suchte auf den einschlägigen Seiten, doch er fand ihn nicht. Ganz ruhig sagte er zu sich selbst, noch ist nichts bewiesen. Er kippte den Fisch samt Wasser in eine Glasschale. Dann schoss er ein Paar Fotos und mailte sie an seinen ehemaligen Professor vom Biologischen Institut. Er klappte den Laptop wieder zu, denn er musste Strom sparen, der Diesel für den Generator ging allmählich zur Neige und das Tankflugzeug würde erst in zwei Tagen eintreffen.

Zwei Tage später saß er neben der hübschen Pilotin und war mit seiner wertvollen Fracht, auf dem Weg nach Anchorage. Sein Professor hatte ihm begeistert zurück gemailt und um ein Treffen gebeten. Offenbar handelte es sich bei diesem Fisch, um eine Zwischenstufe zweier Arten, die bisher als ausgestorben galt. „Kann ich vielleicht einen Tee haben Neok?“ Riss ihn die Stimme seiner Pilotin aus seinen Träumereien. „Da ist kein Tee drin Soramae.“ Die Frau runzelte die Stirn. „Was denn dann?“ Neok grinste. „Die Antwort auf meine Gebete.“ Nun sah sie ihn völlig entgeistert an. „Nein ich bin nicht verrückt. Es ist ein ganz besonderer Fisch, und wenn wir Glück haben, ist er so wichtig für die Wissenschaft, dass sie aus diesem Stück Natur einen Nationalpark machen.“ Soramae nickte nachdenklich. „Und du meinst wirklich, dass die wegen eines Fisches, so etwas tun?“ Neok nickte. „Dass werden wir bald wissen.“ Zwei Stunden später erreichten sie den Flughafen von Anchorage. Der Professor wartete bereits, mit einem weiteren Mann, auf Neok und sie begrüßten sich herzlich.
Der andere Mann entpuppte sich als Mitarbeiter des Nationalpark Instituts. Neok fuhr mit ihnen, in ein kleines Labor, wo er den Fisch in ein Aquarium entließ. Dann wartete er gespannt. Die Minuten verstrichen, ohne dass einer der Herren etwas sagte. Schließlich hielt Neok es nicht mehr aus. „Und, was meinen Sie?“ Er sah von einem Mann zum anderen, noch immer verzog keiner eine Miene. Schließlich fing der Mann vom Nationalpark Institut an zu lächeln und nickte wohlwollend. „Ja ich denke, Mister Aanee, sie sind da auf etwas gestoßen. Dass wohl in die Geschichtsbücher eingehen wird. Dieser Fisch ist ein Vorfahr des uns bekannten Oncorhynchus nerka (Rotlachs). Es wäre wirklich wichtig diese Fische und ihren Lebensraum zu erhalten.“ Nun mischte sich auch der Professor ein. „Neok wären sie bereit ihren Forschungsauftrag zu verlängern?“ Neok nickte, er hatte es nicht eilig, von seiner Hütte wegzukommen. Seit er wieder in der Stadt war, fühlte er sich eingeengt und er sehnte sich regelrecht nach seiner Hütte. Eigentlich sehnte er sich nach seiner Heimat, denn zu dem, war dieser Ort in den letzten zwei Jahren für ihn geworden.

Eine Woche später saß er wieder an seinem Eisloch, mitten auf dem zugefrorenen See und wartete, dass ein Fisch anbiss. Er lächelte versonnen denn heute Abend, würde Soramae zum Essen kommen.

Ende

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei mir.
Bildmaterialien: Alle Rechte liegen bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 02.02.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle Bookrix leser, ich hoffe meine kleine Geschichte gefällt euch.

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