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2. Kapitel



Ich schreckte unter Keuchen hoch und musste erstmal realisieren das ich mich schweiß gebadet in meinem Bett befand.
Sie hallten noch immer in meinem Kopf und vernebelten meine Sinne. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Immer wenn ich mir vor Augen führen wollte, was passiert war, entfleuchten mir meine Gedanken wieder und sie tauchten auf. Es war genauso sinnlos, wie Wasser in den bloßen Händen halten zu wollen- es machte nur eine Heidenarbeit und führte zu Nichts.
Aber was gerade geschehen war konnte ich nicht so einfach verdrängen, schon allein wegen der Tatsache, dass sie einfach nicht verschwinden wollten- diese Stimmen. Sie hielten mir seit drei Nächten regelmäßig meine schlimmsten Befürchtungen vor Augen und raubten mir meinen Schlaf, den ich doch so dringend gebraucht hätte, da mir- trotz meines gestrigen Schlaf-Tages – immer noch die Zeitverschiebung zu schaffen machte.
Ich wagte einen Blick auf die Uhr- halb Sechs Uhr morgens.
Ich war in dieser Nacht schon öfters aus meinen Alpträumen gerissen worden, jedoch immer wieder in die Welt meiner schlimmsten Ängste versunken. Doch ich spürte, dass es jetzt anders war. Ich hätte noch etwas schlafen können bevor mein Wecker mir mit diesem immer lauter werdenden monotonen Piep-Geräusch verkündet hätte, dass es Zeit ist sich für den Gang nach Kanossa- den erschreckenden ersten Schultag- fertig zu machen. Jedoch war ich mir sicher, dass ich nicht einfach wieder meine Augen schließen und der Sog der Traumwelt mich erfassen konnte. Nicht nur, weil ich viel zu aufgewühlt war, sondern auch, weil sie mich noch immer verfolgten, mich nicht los ließen. Ich bildete mir noch immer ein die Hand auf meiner Schulter zu spüren, den Anflug von Adrenalin- das sich langsam von der Mitte meiner Handflächen aus in meinem Körper zu verteilen begann- wahrzunehmen.
Ich drehte mich, sodass meine nackten Füße aus dem Bett baumelten und bekam von der kühlen Luft- die im krassen Gegensatz zu der mollig warmen unter meiner Decke stand- augenblicklich Gänsehaut. Schnell sprang ich aus meinem Bett, um das Fenster zu schließen, das ich nach meiner dritten Schlafstörung weit aufgerissen hatte. Die hellgelben Seidengardinen, Rechts und Links vom Fenster flatterten in dem Hauch von Wind, der durch das Fenster blies. An ihren enden verschlungen sie sich ineinander, es sah aus als würden sie miteinander tanzen oder raufen.
Ich stellte mich vor das Fenster und legte meine Hände auf den eiskalten Sims.
Eine Weile starrte gedankenlos ich in die Finsternis, bis ich mich endlich losriss.
Ich taumelte, noch leicht schlaftrunken, raus auf den Flur und die Suche begann von Neuem.
Zu meinem Erstaunen wurde sie diesmal wesentlich schneller beendet.
Schon nach der zweiten Tür hatte ich das Bad gefunden. Ich war überrascht, dass ich mir schon nach einigen wenigen Tagen einigermaßen merken konnte wo sich das Badezimmer befand- ich hatte noch mit mindestens einer Woche gerechnet. Wenn es um solche Dinge wie Orientierung ging hatte ich ein drei Sekunden Gedächtnis, wie eine Fliege.
Als das warme Wasser der Dusche auf meine Schultern wie ein Sommerregen prasste fing ich an mich ein wenig zu entspannen. Ich probierte die Nacht zu vergessen, mich abzulenken. Ich dachte an Nachher. Ich hatte noch eine menge Zeit, sonst hätte ich mir auch nicht die Haare gewaschen, aber da ich unfreiwillig aus meiner Ruhe gerissen wurde konnte ich es mir erlauben.
Mit einem Handtuch bekleidet ging ich in mein Zimmer und setzte mich auf mein Bett.
Es hatte funktioniert, die Stimmen waren während des Duschens langsam verklungen und jetzt mehr Erinnerung oder gar Einbildung als Realität.
Träge stand ich auf und ging in meinen Kleiderschrank.
Ich weiß nicht wie lange ich schon hier stand. Mittlerweile waren die Türen sämtlicher Schränke geöffnet und doch konnte ich mich nicht entscheiden was ich anziehen sollte.
Ich wusste nicht was man hier so trägt. Bereits seit meiner Ankunft plagte ich mich in meinem Unterbewusstsein mit dieser Frage, hatte es doch aber immer weiter vor mir her geschoben.
Zum Glück hatte ich noch so viel Zeit, es hätte sicher keinen guten Eindruck gemacht gleich am ersten Tag zu spät zu kommen.
Selbst in Deutschland hätte ich noch genug Zeit gehabt und da hier die Schule etwas später begann brauchte ich auch nicht zu hetzen.
Ich stand also vor den geöffneten Türen meiner Kleiderschränke und betrachtete meine gesamten Klamotten und doch wusste ich nicht recht was ich anziehen sollte.
Ich wusste nicht genau was sie hier so tragen und ob es in etwa das Gleiche war wie an meiner alten Schule. Ich hatte schon immer einen Hang für Dinge die kein Anderer je tragen würde. Manchmal stieß ich mit meinem Geschmack auf positive Reaktionen und manchmal musste ich mit Kritik leben, doch ich dachte mir wenn ich es nicht ausprobieren würde, würde ich auch nie wissen was gewesen wäre wenn ich es angezogen hätte. Ich mochte außergewöhnliche Dinge, knall Buntes, aber auch Schlichtes und Unscheinbareres.
Ich entschied mich für ein weißes nur leicht durchlässiges T-Shirt. Es hatte einen runden Ausschnitt und fiel von dort leicht gerafft meinen Bauch entlang. Man konnte eigentlich Nichts sehen- noch nicht mal meinen Bauchnabel- nur den weißen BH den ich darunter trug, doch das hatte mich in Deutschland nicht gestört und würde es hier genauso wenig. Man sah ihn ja auch nicht so richtig durch, lediglich das weiß war an dieser Stelle durchdringender.
Dazu hatte ich mich für eine Röhrenjeans entschieden, dessen Blau sehr intensiv war- meine Lieblingshose. Ich mochte den Kontrast des schlichten weißen T-Shits und des kräftigen Blaus der Hose.
Ich schnappte mir im Vorbeigehen mein Handtuch und ging zurück ins Bad.
Ich hing mein Handtuch ordentlich zum Trocknen auf, öffnete das Fenster und kramte den Föhn hervor.
Ich steckte den Stecker in die Steckdose und schaltete ihn ein.
Mir blies die warme Luft ins Gesicht, wie ein Windhauch im Sommer am Meer. Ich mochte diese Wärme in meinem Gesicht, wie meine Haare flatterten, als würde ich auf einen Schiff stehen und mir der Fahrtwind ins Gesicht peitschen. Ich schloss meine Augen und stellte mir vor ich würde auf einem hohen Felsen stehen, der zu einer Klippe am Meer gehört. Es tat gut sich wenigstens dieses Gefühl von Freiheit vorzustellen. Ich mochte es mich frei zu fühlen, es war so leicht und unbeschwert.
Ich merkte, dass meine Haare trocken waren, als sie wie Federn im Sturm um meinen Kopf tanzten und öffnete wieder meine Augen.
Ich stellte den Föhn ab und verstaute ihn an seinem Platz im Regal.
Währenddessen ich die Bürste an den Ansatz meines Schopfes legte und sie langsam zu den Spitzen meiner Haare führte betrachtete ich mich im Spiegel.
Ich sah ein Mädchen mit langen blonden Haaren, grün-blauen Augen, roten Lippen, einer kleinen Stupsnase, die mit einigen Sommersprossen bedeckt war- selbst im Winter!- und geröteten Wangen. Ein ganz normales junges Mädchen, ich, Valentina Morris.
Es gab nichts Besonderes an mir, keine ungewöhnlich aussehenden Narben, keine Male die Jemanden immer an mich erinnern ließen. Das Einzige was ein wenig außergewöhnlich war, war eventuell meine Augenfarbe, die sich je nach Lichteinfall von Blau zu Grün änderte, aber das war’s dann auch schon wieder.
Ich war auch nicht auffallend hübsch und hatte keine tollen Talente, wie andere Jugendliche in meinem Alter. Meine Freundinnen sagten mir zwar immer das ich welche hätte, aber mal einen guten Schnappschuss beim Fotografieren zu haben oder durch Zufall in Musik ein Lied zu erwischen das man gut singen konnte, sodass mein eine Eins bekommt bezeichne ich nicht gerade als eine Gabe Gottes.
Ich war durch und durch durchschnittlich. Keine graue Maus, aber auch kein heller Stern. Ich hatte bisher kein Problem damit gehabt, dass ich nie aus der Menge raus gestochen bin, doch jetzt dachte ich darüber nach das ich so wie ich war vielleicht nie jemanden auffallen würde, der mit mir befreundet sein würde und so den kläglichen Rest meiner gerade erst begonnenen High School- Zeit allein versauern müsste.
Da mir der Verlauf meiner Zukunftsvorstellung alles andere als gefiel verwarf ich ihn schnell wider und begann mich zu schminken. Make Up hatte ich noch nie gebraucht, da meine Haut schon immer ziemlich rein war- mehr als drei Pickel hatte ich in meinem bisherigen Leben nicht ertragen müssen- also trug ich nur etwas Lidschatten und Wimperntusche auf, der Lipgloss würde erst nachher kommen, da ich ja noch etwas essen wollte.
Ich liebte Lipgloss, warum wusste ich auch nicht so genau, doch ich mochte es wenn meine Lippen so schön schimmerten.
Schon als ich die Treppe runter ging hörte ich das Klappern des Geschirrs. Nora musste wohl schon Frühstück machen- kein Wunder, seit ich aufgestanden war ist über eine Stunde vergangen.
Ich betrat die Küche und Nora sah mich verwundert an.
„Nanu, schon wach? Und auch schon fast fertig. Was ist denn mit dir los?“
„Ja, ich konnte nicht mehr schlafen.“, ich log, „Vielleicht die Aufregung.“ Na gut, ich hatte nicht komplett gelogen, aber zum größten Teil.
Ich setzte mich an den Tisch. Nora war wirklich ein Engel. Sie hatte den Tisch mit lauter meiner Lieblingsspeisen bestückt, nur um mich ein bisschen aufzumuntern.
Vor mir stand Pflaumenmus, Marmelade und sogar Nutella, mein absoluter Favorit wenn es um Brotaufstrich ging. Sie hatte extra Brötchen und Croissons gemacht. Es sah köstlich aus und doch würde mir schlecht als ich das ganze Essen vor mir stehen sah.
Ich beäugte es misstrauisch und wog die Chance ab, ob ich ein Nutellabrötchen in mir behalten würde, wenn ich es essen würde. Ich denke sie standen nicht so gut.
Ich fühlte mich wie bei meiner letzten Magen-Darm Grippe. Ich würde also keinen Bissen runter bekommen. Den Teller etwas von mir weg geschoben saß ich nun auf meinen Stuhl und starrte all die leckeren Dinge an.
„Ich kann dir auch noch Eierkuchen machen, wenn du magst.“
„Oh nein, mach dir keine Umstände. Ich bekomme sowieso nichts runter.“
Ich wurde zunehmend nervöser, dabei hatte ich immer noch eine menge Zeit.
Ich rutschte auf meinem Stuhl von Links nach Rechts und zappelte herum.
„Fay, es wird schon alles gut gehen. Ich werde dich nachher fahren und dich auch wieder abholen. Wenn irgendetwas schlimmer oder gar peinliches passiert kannst du mir es gleich erzählen und wir werden eine Lösung finden, dass weißt du doch hoffentlich.“
„Ja, danke.“
Ich drehte mich zu ihr um und lächelte sie an. Sie war immer zu nett und warmherzig. Jetzt da ich meine Mutter so selten sah war es mir ein Trost sie in meiner Nähe zu wissen.
„Aber da das ja eh nicht passieren wir muss ich mir auch keine Lösung ausdenken. Du bist so ein netter Mensch, jeder der dich nicht leiden kann ist dumm.“
Ich lachte kurz auf. „Das sagst du auch nur, damit ich mich besser fühle. Aber danke.“
„Und du willst wirklich nichts essen?“
„Nein. Oder willst du das ich gleich an meinem ersten Tag fehle, weil ich brechen muss?“
„Ich glaube das Risiko will ich dann doch nicht eingehen.“
„Ich wette Dad wird sich freuen, dass ich ihm so viel übrig gelassen habe.“
„Oh, der hat schon gegessen. Er ist schon vor einer halben Stunde los.“
„Schon so früh?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Na ja, wer weiß was in der Bank los ist.“
Ich stand auf, drückte Nora zum Dank leicht an mich und ging hoch in mein Zimmer.
Meine Sachen hatte ich schon gestern zusammen gepackt, damit konnte ich mich also auch nicht ablenken. Ich lies meinen Blick durch das Zimmer schweifen, bis meine Augen letztlich an dem Buch auf meinem Nachttisch hängen blieben. Ich nahm es und schlug die Seite auf an der ich aufgehört hatte zu lesen.
Irgendwann klopfte es an meiner Tür, trotzalledem das es ein so leises Klopfen gewesen war erschrak ich.
Ich schrak hoch und sah, dass durch die ein Spalt breit geöffnete Tür ein Augenpaar in meine Richtung sah- Noras.
„Fay, wir müssen bald los. Machst du dich fertig.“
Ich stöhnte. Auch das noch. Es ist also doch unvermeidbar.
Eigentlich wusste ich ja, dass ich dieses Ereignis leider nicht umgehen konnte und doch hatte ich mit Erstaunen feststellen müssen das sich in mir doch noch ein Funken von Hoffnung versteckt hatte.
Ich nickte nur und Nora schloss die Tür.
Ich ging in meinen Kleiderschrank- immer noch erstaunt davon wie naiv ich doch war- und riss einen Cardigan von einen der Kleiderbügel.
Wenn es nach mir ginge hätte ich keinen gebraucht- ich hatte Deutschland mit einer Schicht von weißem Puderzucker und Minusgraden verlassen und war hier bei Plusgraden und wolkigem Himmel gelandet- aber ich wusste, dass ich, wenn ich nur mit einem T-Shirt bekleidet in die Schule gehen würde noch extra Aufsehen erregen würde und genau das war es, was ich am wenigsten wollte!
Also schnappte ich mir ohne hinzusehen dieses Ding, zog es mir über und warf noch einen letzten flüchtigen Blick in den Siegel.
Zum Glück hatte ich mir die Haare geföhnt, sonst würden sie jetzt in wilden Kringeln und chaotischen Locken über meine Schultern fallen. So waren sie relativ glatt und hatte auch nicht ihren eigenen Willen, sonder lediglich einen lockeren Schwung, der sie lebhafter erscheinen ließ.
Vor Nervosität stolperte ich mehr die Treppe hinunter, als das ich sie ging.
Vor Aufregung zog ich mir sogar zwei verschiedene Schuhe an.
Kaum war die Autotür zugeschlagen und Nora saß neben mir machte ich auch schon wieder Anstallten den Gürt zu lösen und die Tür zu öffnen, doch wie ich auch rüttelte und hämmerte sie ließ sich nicht öffnen. Ich ließ mich zurück in den Sitz sinken und warf Nora, die mich lediglich verschmitzt anlächelte einen finsteren Blick zu. Es erstaunte mich wie gut sie mich doch inzwischen kannte. Fast schon so gut wie meine Freundinnen und meine Mutter- na ja eine Freundin war sie ja auch schon geworden. Sie half mir in jeder Situation und wenn mein Dad sich von mir nicht überzeugen ließ schaffte sie es. Und was das Beste war: Sie liebte es zu shoppen. Eigentlich war sie die perfekte Mutter und sie machte sich auch gut in ihrer Rolle. Sie konnte total verrückt und jung sein, aber auch ihre Autorität einsetzten. Ich mochte es sie mit Schürze vor dem Herd zu sehen. Es kam einem immer vor wie in einem Märchen vor, man wartete förmlich nur noch darauf das die Tür aufschwang, Schneewittchen herein stürmte und eine Schar von singenden Vögeln mit sich brauchte. Natürlich gäbe es in diesem Märchen dann keine böse sondern eine gute und hübsche Stiefmutter.
Dad sagte immer er hoffe, dass das Baby ihre Augen bekommt, da er sich auf Anhieb in das dunkle Nussbraun verliebt hatte. Ihre ebenfalls braunen Haare fielen in einem großen Wirrwarr über ihre Schultern und waren meist in einem hohen Zopf gebunden. Anders als der größte Teil der Frauen hielt sie ihre Haare nicht mit einem Zopfgummi zusammen sondern nahm Bänder, dies hatte ich mir schon in der ein oder anderen Situation von ihr abgeguckt.
Sie war genau wie meine Ma recht groß, stand aber in den größten Teil ihrer anderen Eigenschaften im krassen Gegensatz zu ihr.
Meine Mutter hatte ebenso wie ich blonde Haare, doch sie waren von einem anderen Blond. Überhaupt hatte ich selten Menschen gesehen die auch nur annähern so ein Blond haben wie ich. Sie trug ihre Haare in einem kurzen, frechen Bob.
Die Farbe ihrer Augen war einfach unbeschreiblich, noch nie hatte ich jemanden mit einem so klaren Saphirblau gesehen, sie wirkten fast wie ein Kristall. Ich hatte auch noch nie Jemanden gesehen der so chaotisch und ausgeflippt war wie meine Mutter. Sie vergaß ständig irgendwelche Dinge, kam fast immer zu spät und tat so verrückte Dinge wie mich in den Ferien morgens um Acht zu wecken und mich spontan zum Klettern zu schleppen. Kochen war einer ihrer großen Schwächen, mehr als Rührei und Kartoffeln stand nicht auf ihren Menüplan. Aber egal wie sehr man sich manchmal über sie aufregen konnte- man musste sie einfach lieben.
Als ich langsam aus den Erinnerungen an meine Mutter wieder auftauchte vernahm ich, dass wir grad auf den Parkplatz der Schule fuhren. Mein Herz begann von Null auf Hundert wie wild gegen meine Brust zu Hämmern, ich hatte sogar schon Angst, dass es mir bald aus dieser raushüpfen würde. Wir wurden schon beim Einparken von ein paar neugierigen Blicken erhascht. War ja klar, wenn es so ein „großes“ Ereignis wie eine Neue aus einem anderen Land gab war jeder Augenblicklich informiert, wenn es aber um solche Dinge wie die Unterschrift unter einer Fünf ging vergaßen es die Leute gerne mal.
Wie stiegen aus, Nora kam mit mir zum Sekretariat. Selbst während des Gehens spürte ich die Blicke, die sich anfühlten als würden sie mich qualvoll durchbohren wollen. Im Sekretariat angekommen musste ich erstmal tief durchatmen. Nora sprach mit der Sekretärin und füllte noch schnell ein Formular aus, dann kam sie zu mir und verabschiedete sich und von da an fühlte ich mich so allein auf der Welt wie noch nie zuvor in meinem Leben. Die rundliche Sekretärin kam zu mir und begrüßte mich, natürlich auf Englisch. ‚Na super’, dachte ich mir, ‚von nun an kann ja nur noch alles Schlimmer werden.’ Vor lauter Aufregung hatte ich nicht richtig hingehört und sie nicht verstanden. An ihrem Gesichtsausdruck erkannte ich, dass sie mich etwas gefragt haben musste. Sie wiederholte die frage noch mal ganz langsam und betonte jedes einzelne Wort- als wäre ich total bescheuert, dabei wollte sie mir doch nur klar machen, dass sie mich jetzt in meinen ersten Kurs bringen würde. Sie drückte mir noch schnell einen Zettel in die Hand und sagte etwas von wegen Kombination für mein Schließfach und dann noch Einen- mein Stundenplan. Ihm entnahm ich, dass ich jetzt wohl zu Kunst gebracht werden würde. Zu meinem Entsetzen musste ich feststellen das ich in der zweiten Stund Deutsch habe. Klar, sie hatten mich ja auch probiert zu überreden diesen Kurs zu belegen und ich Dussel dachte mir das es bestimmt keine schlechte Entscheidung sein würde, da Deutsch ja meine Muttersprache war, aber wenn ich jetzt so drüber nachdachte war es doch keine so gute Wahl gewesen. Ich würde doch vor Aufregung und Anspannung keinen sinnvollen Satz raus bringen. Im Englischen ging das ja noch, da konnten sie es wenigstens auf meinen Mangel an Kenntnis zurückführen- ach wenn ich in immer eine sehr gute Zwei gehabt hatte, immer kurz an der Eins vorbei- aber wenn ich nun in Deutsch auch nur Stotterte würden Die doch denken ich habe entweder einen Sprachfehler oder bin komplett Irre- und bei meinem „Glück“ würde es Zweiteres sein.
Ich würde durch lange menschenleere Gänge geführt, der Unterricht musste schon längst begonnen haben. Plötzlich blieb die kleine runde Frau stehen und deutete auf einen hohen, metallenen Kasten.
„Dein Schließfach. Wenn du möchtest kannst du gleich deine Jacke rein tun.“
Wow, ich war erstaunt das ich alles ohne Probleme verstanden habe. Klar es war eine einfache Aussage, aber bei dieser verdammten Nervosität war bei mir mit so gut wie Nichts mehr zu rechnen.
Ich drehte das kleine Rädchen in der angegebenen Reinfolge, es machte ‚Klick’ und ich öffnete diesen überdimensional großen Riesen.
Wir gingen weiter und steuerten gradewegs auf eine Tür am Ende des langen Ganges an.
Oh mein Gott, ich werde einen Herzinfarkt erleiden! In genau Drei, Zwei, Eins…
Die Sekretärin ergriff die Klinke und sah mich an.
„Okay. Wollen wir?“
Ich verzog mein Gesicht.
„Nur wenn es sein muss.“
„Na dann.“
Sie klopfte an und öffnete das Tor in die Hölle.
Ich sah zuerst nur den Lehrer der uns entgegen kam. Ein großer, fast glatzköpfiger Mann. Ich probierte ihr freundlich anzulächeln, in der Hoffnung, dass er es nicht als eine Grimasse deuten würde. Es würde erklärt, dass ich das Mädchen aus Deutschland war. Er begrüßte mich und stellte sich mir als Mr. Brown vor, dann bat er mich mit einer Geste einzutreten.
Und da war auch schon das Unheil. Mindestens fünfundzwanzig Augenpaare waren auf mich gerichtet. Mein eben noch zaghaftes Lächeln verschwand und an dessen Stelle setzte ein rasender Herzschlag ein, der drohte mich zu ersticken. Ich blieb stehen und ließ meinen Blick durch die Reihen wandern. Die unterschiedlichsten Gesichtsausdrücke würden mir geboten. Von freudig, erwartend, über völlig kalt gelassen oder Mitleidserfüllt bis hin zu missbilligend und verurteilend fand ich wirklich Alles.
Mr. Brown wies mir einen Platz in der- na ratet mal- ersten Reihe an. Na super! Klar, ich bin mal wieder die, die das schlechteste Los in diesem Drama gezogen hat. Als ich mich setze spürte ich die Blicke, die mich von nun an wahrscheinlich auf Schritt und Tritt verfolgen würden, in meinem Rücken.


* * *




Als sie den Raum betrat war es, als würde die Sonne plötzlich anfangen zu scheinen und ein trüber, wolkenverhangener Tag hätte sich in einen wunderschönen Sommertag verwandelt.
Die leicht geöffneten Fenster folgen ruckartig weiter auf und ein milder Windhauch blies durch das Zimmer und spielte zärtlich mit ihrem atemberaubenden Haar. Es war von einem Blond das ich fast noch nie gesehen hatte. Es war nicht ein Ton, sondern Viele. Jede ihrer Strähnen war von einem anderen Blondton, doch im Ganzen wirkten sie Golden schimmernd und Honigfarben. Den einzigen Menschen, der eine annähert so außergewöhnliche Haarfarbe hatte wie sie, war mein Bruder.
Ihr Gang war ebenso unglaublich wie der Rest ihrer Gestallt. So außergewöhnlich anmutig und grazil. Wenn ich nicht ihre Füße gesehen hätte, die ohne jeden Zweifel den Boden berührten, hätte ich geglaubt, dass sie schweben würde.
Doch das vermutlich Ausdrucksvollste an ihrer gesamten Erscheinung waren ihre Augen.
Dieses dünne, blonde, groß gewachsene Mädchen hatte Augen von solcher Intensität, dass sie mir selbst aus der letzten Reihe auffielen. Sie stahlen förmlich. Es war ein Blau, dass die Farbe vom Himmel des sonnigsten Sommertages hatte. Noch nie hatte ich ein Lebewesen mit solchen Augen gesehen.
Ich konnte meinen Blick einfach nicht abwenden, war wie gebannt von ihren Bewegungen und Gesten.
Sie war wohl eines der schönsten Mädchen, die ich je gesehen hatte und die scheinbar noch nicht mal was davon wusste. Man merkte es an ihrer Art sich zu geben, zu präsentieren. Ein Mädchen, dass wusste wie es auf Andere wirkt hätte niemals so schüchtern, wie sie es tat, den Blick gesenkt, beim betreten des Raums. Als die Tür geöffnet wurde hatte sie noch ein zaghaftes Lächeln zustande gebracht, doch als die die aus sich ruhenden Blicke bemerkte war dieses sofort verschwunden. Ein Mädchen, das sich ihrer sicher war hätte sich in einer solchen Situation, der ungeteilten Aufmerksamkeit doch erst richtig wohl gefühlt. Doch sie machte alles andere, als den Anschein, dass sie sich in diesem Augenblick wohl fühlte, ganz im Gegenteil, sie sah aus als hatte sie grad die schlimmste aller schlimmen Folterungen hinter sich. Und trotz dieser Unsicherheit wirkte sie doch so bezaubernd auf einen.
Ich ließ meinen Blick nur für einige wenige Sekunden durch das Zimmer wandern, um zu sehen wie der Rest auf sie reagiert hatte. Ich sah die unterschiedlichsten Gesichtsausdrücke, doch hinter all diesen Fassaden versteckte sich das Gleiche- Beeindruckung.
Ich weiß nicht was ich erwartet hatte, aber nicht dieses Mädchen!
Vielleicht hatte ich mir ein Mädchen im Dirndl mit blonden, geflochtenen Zöpfen vorgestellt.
Wenn ich darüber nachdenke war mein klischeehaftes Denke sehr töricht und dumm. Hätte ich denn gewollt, dass wenn ich in ein neues Land ziehe und an eine neue Schule gehen, dass alle denke ich wäre ein ausschließlich Fastfood essender, dicker Pummel? Ich glaube kaum.
Gerade würde die Arme zu allem Überfluss auch noch aufgefordert sich vorzustellen- als wüssten die Meisten nicht sowieso schon das es ab Heute eine Neue aus Deutschland bei uns geben würde…
Sobald sie den Mund öffnete und den Blick auf eine Reihe strahlend weißer Zähne freigab verstummten die letzten Tuscheleien zwischen den Mädchen die sich aus purem Neid schon jetzt die Mäuler über sie zerrissen.
Sich wirkte ziemlich unsicher und äußerst nervös, hatte aber eine Stimme aus Samt und Honig.
Sie sagte ihr Name sei Valentina Morris und das war auch schon die einigste Information, die sie preisgab, die an dieser Schule noch keiner wusste. Der Rest war schon bekannt- 16, aus Deutschland, weiblich und eine wahre Schönheit.
Der Rest der Stunde schien fast zu verfliegen und ich wette in dieser Zeit liefen die Leitungen der Handys heiß. Es ging ganz sicher schon ein heimlich geschossenes Foto rum. Das arme Ding wird bestimmt keinen einfachen Start hier haben.
Nach dem Klingeln hatte ich die Mädchen noch nie so schnell raus rennen sehen. Besonders Katie hatte es eilig.
Ich ließ mir etwas mehr Zeit und zu meinem Bedauern musste ich zugeben, dass ich es nur tat um noch einen Blick auf sie zu werfen- genau wie der ganze Rest des männlichen Teils dieser Klasse. Doch scheinbar konnte sich keiner dazu durchringen sie anzusprechen und zu ihrer nächsten Stunde zu begleiten.
Eine Gruppe von vier Jungs ließen lautes Grölen und Pfeifen los, nachdem sie den Raum verlassen hatte. Ein paar Andere machten ehr bedröppelte Gesichter, weil sie ihre Chance verpasst hatten.
Als ich mit gesenktem Blick den Raum verließ stieß ich gegen etwas Hartes, das sich als ein Rücken herausstellte. Als ich meine Augen hob starrte ich in das entschuldigende Gesicht von Valentina Morris.


* * *




„Oh Entschuldigung. Es tut mir leid…“
„Ist okay. Ich hätte auch etwas mehr aufpassen können.“
Ich schaute verlegen zu Boden und wusste nicht recht was ich sagen soll. Ich wollte ja schließlich keinen Mist reden und bei meinem Englisch kann da schnell mal Mist rauskommen. Da ich nichts mehr sagte ergriff er das Wort.
„Welche Stunde hast du denn jetzt.“
Ich kramte einen Zettel aus meiner Hosentasche und entfaltete ihn.
„Ähm… Deutsch.“
Na welche Ironie des Schicksaal… Ich wette diese Entscheidung wird sich noch als ein Riesenfehler herausstellen. Natürlich hatten sie mich gefragt welche Fremdsprache ich belegen will und aus meiner Dussligkeit heraus hatte ich prompt Deutsch gewählt. Ich hielt es für eine gute Idee, da ich es ja schon sprechen konnte. Doch als ich später darüber nachgedacht hatte war ich mir nicht mehr so ganz sicher ob es wirklich eine so tolle Idee gewesen ist. Ich meine die werden doch bestimmt nur Hochdeutsch sprechen und alles perfekt grammatikalisch Richtig und nicht wie ich, mit Kürzeln und Teenagersprache. Es könnte also unter Umständen ein NOCH peinlicherer Tag werden.
Als der Junge ohne Namen mich erwartend ansah wurde ich aus meinen Gedanken gerissen.
Ich sah ihn erschrocken an und als ich nichts erwiderte sagte er nur: „Komm, ich werd dich jetzt zu Deutsch bringen.“
Ich lächelte schnell und nickte. Gott, er musste mich für völlig gestört halten…
„Du heißt Valentina.“
Es war keine Frage, sondern eine Aussage. Doch als er Nichts weiter sagte, sagte ich schnell: „Nenn mich bitte Fay.“
„Fay? Wie kommt es denn zu diesem Spitznamen?“
„Oh… Also eigentlich weiß ich das selber nicht so richtig. Meine Eltern riefen mich schon so als ich noch ganz klein war.“
Ich blickte zu ihm rauf und lächelte ihn verlegen an.
„Mmm, das ist interessant… Und kommt deine Familie aus Italien?“
„Nein. Wie kommst du darauf?“
„Ich dachte nur, weil du Valentina heißt.“
„Oh… Nein, nein. Meine Eltern mochten diesen Namen nur einfach.“
Und abermals lächelte ich ihn verlegen an. Wenn das nicht bald aufhört wird er noch denken ich wäre das schüchternste Mädchen auf dem gesamten Planeten Erde.
Er blieb vor einer Tür stehen. „So, da wären wir, das ist dein Raum. Also ich werde dann auch mal verschwinden. Viel Spaß noch an deinem ersten Tag Valentina Morris. Wir sehen uns dann in Musik.“ Und mit einem letzten verführerischen Zahnpastalächeln verschwand er- grade als ich nach seinem Namen fragen wollte.
Ich betrat das Klassenzimmer und stellte mich der Lehrerin vor- Miss Berg.
Zu Beginn der Stunde „durfte“ ich mich mal wieder Vorstellen, doch diesmal zum Glück auf Deutsch. Die Stunde verging relativ schnell und als ich meine Sachen zusammenpackte tippte mir jemand auf die Schulter. Ich drehte mich um und ein braunhaariges Mädchen strahlte mich an.
„Hi. Ich bin Bridget.“
„Hey Bridget, ich bin Fay.“
„Fay? Ich dachte du heißt Valentina.“
„Ja, das ist auch so, aber die meisten Leute nennen mich Fay.“
Bridget begleitete mich zu meinem nächsten Unterricht und es stellte sich heraus, dass wir vor der Mittagspause noch zusammen Geschichte hatten. Sie lud mich ein mit ihr und ihren Freunden zu essen. Puh, damit wäre also dieses Problem auch aus der Welt geschafft.
Von da an fanden sich nach jeder Stunde ein oder manchmal auch mehrere Personen, die sich trauten mich anzusprechen und mich zu meinem Raum begleiteten.
Den gesamten Tag musste ich an diesen Jungen, dessen Namen ich nicht kannte, denken. Mir ging sein strahlend weißes Lächeln einfach nicht aus dem Kopf.
Nach Geschichte bat ich Bridget mich noch schnell zu meinem Schließfach zu bringen, da ich schnell ein paar Sachen los werden wollte. Als wir dort ankamen traf mich doch glatt der Schlag. Keine fünfzehn Meter entfernt stand tatsächlich der Zahnpastalächeln-Junge.
Er stand lässig an sein geschlossenes Schließfach gelehnt, neben ihm scheinbar ein Freund. Beide umringt von ein paar anderen Jungs und langbeinigen Schönheiten.
Ich verstaute mein Zeug und während ich mein Schließfach abschloss konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Die Frage durchzuckte mich und brannte auf meiner Zunge, wartete nur noch darauf herauszuplatzen.
„Hey Bridget, wer sind denn die da drüben?“ Mit einem Kopfnicken deutete ich auf die Gruppe.
„Oh das sind die Thomson-Zwillinge- Jason und Ryan Thomson- mit ihrer Scharr von anderen Beliebten. Sie sind eine der begehrtesten Jungs und grundlegend verschieden…“
Bridget hatte Recht, ihr aussehen war so verschieden wie Wasser und Feuer. Sie waren beide groß und schlank. Doch der eine durchtrainierter und der andere wirkte im Gegensatz zu seinem Muskelpaket von Bruder schmächtiger, obwohl auch er Muskel besaß, die sich durch sein T-Shirt deutlich abzeichneten. Das Muskelpaket war Strohblond und ein wenig größer. Seine Haare waren ohrlang und verwuschelt- auf ihn passte dieses Popstarimage perfekt. Mal abgesehen von seinem ohnehin unumstritten blendenden Äußeren hatte her strahlendblaue Augen, die mir selbst auf diese Entfernung auffielen. Sein Bruder hatte kürzere dunkelbraune Haare, die einen dazu einluden durch sie zu fahren und sie zu zerstrubbeln. Seine Augen waren Schokobraun, es waren aber keine großen Rehaugen, wie die von Bridget, sondern ehr mandelförmige. Die Beiden waren wie einer amerikanischen Teenieserie entsprungen. Die Personifikation des Sunnyboys.
Bridget hatte sie genauso eingehend betrachtet wie ich, bis sie schließlich sagte: „Wie gesagt ihre Charaktere sind genauso unterschiedlich wie ihr Aussehen. Während Ryan, das ist der mit den blonden Haaren, sich alle paar Wochen eine Neue sucht und sich wie der Playboy Nummer 1 verhält, war Jason schon immer viel mehr auf der Suche nach der großen Liebe. Ist ja eigentlich total Romantisch, wenn seine Wahl nicht letztendlich auf die Oberschlampe Lindsay gefallen wäre, die wie ein weiblicher Ryan ist und die Jungs wie Trophäen sammelt. Ich glaube die Beziehung zu Jason war bisher ihre Längste, das liegt aber bestimmt nur daran das sie endlich den Besten hat und somit den letzten fehlenden Kronjuwel erobert hat. Also verschwende deine Zeit lieber nicht, sich mit Lindsay anzulegen ist wie Selbstmord und mit Ryan ist es wie mit einer Grippe- es erwischt dich total schlimm, dauert ein bis zwei Wochen und dann hat es sich auch schon wieder gegessen.“
„Keine Angst, ich hatte nicht vor irgendjemanden zu erobern. Los ich hab Hunger, lass uns gehen.“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.03.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch widme ich der Dritten im Bunde- Lisa. :) Mit dir habe ich immer was zu lachen und wir mögen die gleichen Bücher. ^^ <3

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