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Es war einmal…


Ich glaube mit diesen drei Worten beginnt so ziemlich jedes Märchen.
Es war doch immer das Gleich, es gab ein junges hübsches Mädchen, ein tolles riesengroßes Schloss und einen Prinzen, der sich unsterblich in das Mädchen verliebte und zum Schluss- wie sollte es auch anders sein- bekam er das Mädchen und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. Und wenn sie nicht gestorben sind… blablabla- den Rest kennen wir ja.
Mein Leben ist kein Märchen und ich bin auch keine Prinzessin, wohne nicht in einem schönen Schloss und werde zum Schluss auch nicht den atemberaubenden Prinzen bekommen.
Ich bin Mia, 20 Jahre alt, weiblich, nicht groß, blond und braungebrannt, sondern brünett, mittelgroß, käse-weiß und ledig.
Mit 18 bin ich von Zuhause abgehauen. Meine Mutter ist vor Jahren gestorben und mein Vater ist nie richtig darüber hinweg gekommen, hat mit dem Trinken begonnen und ist auch leider nie wieder davon weg gekommen, sodass ich es vor zwei Jahren nicht mehr bei ihm ausgehalten habe und einfach weg bin.
Weg aus der trüben, eintönigen Miniaturausgabe einer Stadt und rein in das viel interessantere Großstadtleben. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass es hier auch nicht viel besser ist wäre ich gar nicht erst hierher gekommen. Ich bin zurzeit auf Job-Suche und wohne mehr in einer Pappkarton großen Bruchbude, als in einer Wohnung.
Da ich keinen Job habe ernähre ich mich übergangsweise von Tütchensuppen und 5-Minuten Terrinen.
Als ich an diesem Morgen meine „Wohnung“ verließ, war ich schon mit keinem guten Gefühl in der Magengrube aufgewacht. Dieses Gefühl milderte sich auch nicht auf meinem morgendlichen Weg zum Kiosk um die Ecke- wo ich mir jeden Tag die Zeitung hole, damit ich die Stellenangebote durchstöbern konnte- und dem darauf folgenden Gang zum Arbeitsamt.
Ich betrat den Kiosk und begrüßte den Inhaber: „Morgen Max.“
„Ah, guten Morgen Mia. Ich hab schon auf dich gewartet. Und wie geht es dir heute?“
Ich war in dem kleinen Laden schon bekannt und verstand mich gut mit Max. Er hatte sich in den ganzen Monaten als ein guter Freund erwiesen und stand mir immer mit Rat und Tat zur Seite.
„Ach ja, es geht schon.“
Ich schnappte mir die üblichen beiden Zeitungen, ging zur Kassen und überreichte Max das Geld.
„Wie sehen uns dann Morgen wieder.“
„Ja. Es sei denn es geschehen doch noch Wunder…“
Ich verließ den Kiosk und bog nach rechts ab, in Richtung Arbeitsamt.
Als ich grade die letzte Straße überqueren wollte fiel mir eine der Zeitungen, mitten auf der Straße runter.
Ich bückte mich, um sie wieder aufzuheben und hörte ein plötzliches, ohrenbetäubend lautes Reifenquietschen mit dem verbundenen Hupen, das immer lauter wurde und näher kam. Ich richtete mich schnell wieder auf und sah grade noch so das vor Schreck verzerrte Gesicht des Fahrers in dem VW.
Dann spürte ich das Metall mit einem wummern auf meinen Körper treffen und konnte von der Erschütterung und dem Schmerz nicht mehr atmen. Ich merkte wie ich in die Luft folg und auf der Windschutzscheibe des Autos wieder aufprallte und noch ein Stück rollte- ob Auf- oder Abwärts konnte ich nicht sagen, denn seit diesem Zeitpunkt hatte ich die Orientierung verloren und meine Augen geschlossen.
Dieser Schmerz war unbeschreiblich, man hatte den Eindruck man wird zerfetzt, es zertrümmert einem alles und man kann nicht mehr atmen. Ich spürte wie ich auf dem harten Asphalt aufschlug und wenige Sekunden später wurden meine Haare und Schultern nass. Ich öffnete mit letzter Kraft die Augen und sah das rote Blut vor mir, dann hörte ich schreie, Autos hielten und Türen würden zugeschlagen. Irgendjemand brüllte man solle doch bitte einen Krankenwagen rufen und die Polizei verständigen.
Jetzt fühlte sich mein gesamter Körper wie betäubt an. Ich spürte Hände, die auf meinen Schultern lagen und mich schüttelten. Es würde mir schwindlig dadurch. Ich wurde etwas gefragt: „Hallo? Können sie mich hören? Hallo?“
Ich wollte meine Lippen bewegen und antworten, ich wollte sagen ‚Ja, ja ich kann sie hören.’, doch es ging nicht, ich konnte meinen Mund nicht öffnen.
Wenn nicht so, dann eben anders, dachte ich mir und probierte zu nicken, doch auch das blieb erfolglos.
Es ging einfach Nichts, ich konnte meinen Körper nicht mehr spüren, hatte schier die Beherrschung über ihn verloren.
Ich hörte Sirenen. Wieder quietschten Autoreifen beim Bremsen. Man konnte Leute rennen hören, ihre Füße die auf die Straße trafen hallten in meinem Kopf wieder- es kam mir alles unwirklich laut vor.
Und dann- aus heiterem Himmel- wurde es gedämpft und es begann sich alles zu drehen.
Wieder wurde ich etwas gefragt, doch ich verstand außer einem monotonen Summen nichts mehr. Ich hörte alles wie durch eine dicke Schicht Watte.
Und dann sah ich es: ein winzig kleinen Punkt, der leuchtete.
Desto weniger ich hören konnte und desto mehr mir meine Gedanken entschwanden, umso größer wurde der Punkt und kam ganz langsam immer und immer näher.
Jetzt konnte ich schon Umrisse erkennen. Es war kein Punkt, sondern etwas anderes, undefinierbares.
Es kam mir immer mehr entgegen- oder ich ihm? – und dadurch wurde es auch immer größer und erkennbarer. Es war direkt vor mir und kein unerkennbares Etwas mehr und auch kein Punkt. Nein, es war ein Engel. Da war ich mir zu 100 % sicher. Er erfüllte alle typischen Klischees: langes weißes Gewand, goldene Locken und große wunderschöne weiße Flügel aus Federn. Er sprach, mit einer stimme so weich wie Samt und so harmonisch und klangvoll wie klingelnde Glöckchen oder die schönste Sinfonie.
„Hallo Mia. Wir haben dich schon erwartet. Komm mit mir.“
Ich zögerte. Der Engel war so unwirklich schön, dass er entweder nicht echt sein konnte oder eine Falle sein sollte. Der Engel schien mein Zögern zu bemerken. „Du kannst mir ruhig vertrauen- ich werde dir nichts tun. Ich bringe dich an einen Ort jenseits von Gut und Böse, einen Ort in der du der Mensch sein kannst der du wirklich bist und friedlich alles was auf der Welt vor sich geht beobachten kannst. Komm mit mir.“
Er sagte das mit solcher Überzeugung und Hingabe, dass man gar nicht anders konnte als ihm glauben und streckte mir schließlich die Hand entgegen.
Wir gingen wie von selbst. Es war leicht, schwerelos und fühlte sich an wie schweben. Ich hatte all meine Sorgen und Probleme vergessen und fühlte mich auch dementsprechend- befreit. Eine Wärme zog sich durch meinen Körper, ich fühlte mich unbeschwert, frei.
Ein hell leuchtender Nebel umgab alles. Er scheinte hell, ein wenig gelb.
Wir kamen an eine mir endlos erscheinende Treppe die nach wenigen Metern von dem freundlich fluffigen Nebel verschlungen wurde. Auch sie war hell, von dem reinsten Weiß das ich je gesehen hatte.
Wir stiegen sie hinauf. Die Zeit zog und zog sich, doch ich wurde nicht müde oder kam außer Puste. Es war alles so leicht, so befreiend. Ich hatte auch keine Angst was mich erwarten würde- was hätte es schon Schlimmes sein können.
Langsam begann ich etwas zu sehen. Die Treppe schien allmählich zu enden. Der Nebel schien heller zu werden- vielleicht waren auch schon ein paar Wolken unter ihm- er strahlte einem jetzt richtig entgegen, doch blendete mich nicht.
Ich konnte langsam erkennen was sich am Ende der Treppe befand. Es war ein riesiges golden schimmerndes Tor. Es schien aus dem Gold geflochten zu sein, das in schnörkeln in der Mitte endete.
Durch dieses Gitter drangen leuchtend helle Sonnenstrahlen dicht gebündelt zu mir.
Ich bemerkte erst das ich vor Erstaunen stehen geblieben war, als der Engel mich sanft am Arm zog.
„Komm.“
Ich ging- immer noch an seiner Hand- weiter auf das Tor zu.
Es schien die Pforte zum Himmelreich zu sein.
Langsam und- anders als ich erwartet hätte- ohne Knarcksen öffnete sich die Pforte.
Der Schein, das Licht wurde intensiver und strahle mir direkt entgegen. Es war so hell, dass ich nicht sehen konnte was sich dahinter verbarg, doch ich wusste das es der Himmel war- etwas Gutes und Wunderschönes. Ich hatte keine Angst über die Schwelle zu treten, blieb aber ehrfürchtig einige Schritte davor stehen und sah hinauf um das Tor noch einmal zu betrachten. Es war wirklich von gewaltiger Größe.
„Habe keine Angst.“, sagte der Engel zu mir, „Komm tritt ein.“
Mit einer Handbewegung lud er mich ein über die Schwelle zu treten.
Ich machte wenige Schritte und wurde vom hellen Schein, dem dichten Nebel und den leuchtenden Wolken verschlungen.
Und nun wusste ich, dass ich tot war.
Befreit, schwerelos und glücklich.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 31.01.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme diese Kurzgeschichte meiner verstorbenen Oma- dafür, dass sie immer probiert hat mich zu erziehen und es doch nie richtig geschafft hat.

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