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1.Kapitel



Und was soll ich hier machen ohne dich?“
„Na das was du immer machst… unglaublich gut aussehen, mit den Hüften schwingen und allen Jungs den Kopf verdrehen.“
Ich lachte etwas gequält und streckte Jill die Zunge entgegen.
Auch sie lachte - es war ein trauriges Lachen, keins, was wie sonst von Herzen kam, sondern so eins, wie man es tut, um den andern seine Sorgen nicht zu zeigen- und schupste mich, so das ich ein paar Schritte zur Seite taumelte und, wie bei meinem Glück nicht anders zu erwarten, ausrutschte und hinfiel.
„Oh, wie ich diese Jahreszeit hasse! Es ist alles so kalt, nass und rutschig.“
Jetzt lachte Jill richtig, aus tiefstem Herzen. Ja, so kenne ich sie, das war meine beste Freundin. Sie musste so doll lachen, dass ihr die tränen in die Augen stießen und sie knall rot anlief, kurzzeitig dachte ich sie hätte das Atmen vergessen und ich müsste sie vor dem ersticken retten- was bestimmt kein gutes Ende genommen hätte, da ich mich nicht mehr an den Erste-Hilfe-Kurs erinnern konnte, den ich irgendwann in der sechsten Klasse gemacht hatte. Sie sah mich mit ihren tränenden Augen an und da platzte es auch aus mir raus. Unter lachen half mir Jill hoch und kaum stand ich wieder rutschte ich prompt noch mal aus und klammerte mich schnell an ihr fest. Erschrocken hang ich an ihrem Arm und wir mussten abermals lachen.
„Ich weiß nicht wie du das immer machst, aber ich habe noch nie einen Menschen gesehen der so tollpatschig ist wie du.“
„Ja, ich weiß schon- die Tollpatschigkeit in Person.“
Wieder krümmten wir uns vor lachen.
Für wenige Momente war die bedrückte Stimmung vergessen und wir waren einfach nur zwei Mädchen die vor einer Schulde standen und sich vor lachen nicht mehr ein bekamen.
Ein Auto hielt neben uns. Es war Nora, die Freundin meines Vaters. Sie hupte kurz, da wir sie nicht gleich mitbekamen.
„Hey ihr beiden, soll ich euch mitnehmen?“
„Hallo Frau Morris.“
Jill und ich gingen um das Auto zum Kofferraum und der trübe Alltag holte uns ein, als wir einen Stapel Umzugskartons in ihm entdeckten. Wir sahen uns an. Jill lächelte mich ermutigend an, doch ich kannte sie gut genug um die Trauer dahinter zu bemerken.
Wir stiegen ein und meine Stiefmutter drehte sich zu uns um.
„Na wie geht es euch beiden?“
„Danke gut. Und ihnen beiden?“, fragte meine beste Freundin Nora. Diese ließ ihre Hand auch prompt zu ihrem leicht gerundeten Bauch schnellen und ein Strahlen führ über ihr gesamtes Gesicht. Nora war im dritten Monat schwanger. Nächstes Jahr im Sommer sollte ich ein kleines Geschwisterchen bekommen. Meines Erachtens war mein Vater doch schon ein bisschen zu alt für noch ein Kind. Ich bin mir nicht sicher ob er das mit seinen 41 Jahren noch hinbekommt, aber seine 33-jährige Verlobte ermutigte ihn so sehr, dass ich denke er schafft das schon. Außerdem sah mein Vater schon immer jünger aus, als er in Wahrheit war- das sollte also auch kein Problem sein.
„Uns auch. Und hattet ihr einen schönen Tag?“
„Hmpf. Was man so als schön bezeichnet, wenn man bedenkt das wir die hälfte das Tages in einer alten modrigen Ausgeburt der Hölle sitzen müssen.“
Nora und Jill sahen mich mit großen Augen an. Jill musste das Lachen unterdrücken und auch Nora sah mich mehr amüsiert als tadelnd an.
Langsam fuhren wir die Auffahrt zu dem Parkplatz unseres Blocks auf.
Wir wohnten in einer Siedlung, in einem Wohnblock in der obersten Etage.
Die Wohnung ist riesig, hat eine große Dachterrasse und sogar zwei Etagen. Sie ist mehr ein Appartement, als eine gewöhnliche Wohnung.
In meinem Zimmer angekommen ließ ich mich augenblicklich aufs Bett fallen, Jill tat es mir gleich.
„Also irgendwie passt mir das mit eurem Umzug gar nicht.“
„Pa! Wem sagst du das. Aber Ändern kann ich ja auch nichts dran.“
„Wann ist es eigentlich so weit?“
“So wie’s bis jetzt aussieht haben sie es sehr eilig. In zwei Wochen ist ein Flug gebucht, da will Nora schon mal eine Woche das Haus in betrieb nehmen, um schon ein paar Vorbereitungen zu treffen und noch mal zwei Wochen später fliegen wir dann alle. Ich glaube sie haben es mir Absichtlich auf den letzten Drücker gesagt, damit ich mich nicht wehren kann oder mit meiner Ma absprechen kann das ich zu ihr ziehe.“
Jill gab einen kläglichen Laut von sich und legte ihre Stirn an meine Schulter.


Noch einmal fielen wir uns um den Hals. Wir beide sahen in diesem Augenblick nicht sehr gut aus.
Meine Mutter hätte mit ihren Tränen bestimmt eine ganze Regentonne füllen können. Es war ein Wunder das man noch keine Pfütze unter ihren Füßen sehen konnte.
Grade öffnete sie die fünfte Packung Taschentücher und schnaubte einmal beherzt.
Durch meine Haare flüsterte sie mir etwas ins Ohr.
„Pass auf dich auf, ja. Und mach dir keine Gedanken, die werden dich schon alle mögen. Und du wirst sehen in ein paar Wochen hast du auch gar keine Verständigungsprobleme mehr und bist bestimmt ganz beliebt. Dich kann man doch nur mögen! Und schreib mir jeden Tag eine E-Mail, telefonieren könnte auf Dauer zu teuer werden.“
Ich nickte nur. Sie ließ mich los, damit die anderen mich auch noch mal umarmen konnten.
Kai, der Freund meiner Mutter, kam auf mich zu. Er nahm mich auch in den Arm, sagte ein paar aufmunternde Worte und überließ mich dann Jill.
Von meinen anderen Freunden hatte ich mich schon verabschiedet, nur meine beste Freundin Jill war mit zum Flughafen gekommen.
Wir umarmten uns.
„Versprich mir, mir regelmäßig eine E-Mail zu schreiben, um mich auf dem Laufenden zu halten. Und geh nicht in eine Gang, zumindest nicht gleich am ersten Tag.“
Wir lachten kurz- es war ein gequältes lachen.
„Und erzähl mir von den süßen Jungs, ich bin mir sicher du krallst dir den Besten!“
„Na klar, träum weiter…“
„Okay werd’ ich tun. Jetzt aber mal ehrlich. Versprichst du es?“
„Natürlich verspreche ich es. Du bist und bleibst doch meine beste Freundin.“
Noch einmal schlang ich meine Arme um ihren Hals und die Tränen kullerten wie eine Sintflut über meine Wagen. Ich spürte wie mein Oberteil an der Schulter durchweichte.
Es waren Jills Tränen, die einen meiner Lieblings Pullover mit ihren Tränen und den damit verbundenen Mascara ruinierte. Aber es war mir egal, in diesem Moment war mir alles egal.
„Na los, wenn wir hier weiter stehen und langsam anfangen Wurzeln zu schlagen wirst du noch den Flug verpassen.“
Ich schaute ein aller letztes Mal in die schokobraunen Augen meiner engsten Vertrauten.
Sie war wirklich eines der schönsten Mädchen die ich außerhalb eines Hochglanz Magazins gesehen hatte. Der Schnitt ihrer langen roten Haare umschmeichelte ihr herzförmiges Gesicht. Zurzeit waren ihre großen Augen von verschmiertem Mascara umgeben und ihre Wimpern verklebt, aber sonst strahlten sie einen regelrecht an. Sie hat eine kleine Stupsnase und volle geschwungene Lippen. Ihre Wangen waren immer leicht gerötet, sodass sie nie Rouge brauchte. Sie war recht groß und ziemlich schlank- alles in allem ähnelte sie viel mehr einem Topmodel als einer Schülerin. Was würde ich dafür geben so schön zu sein wie sie, aber sie war schon immer der festen Ansicht, dass ich die schöner von uns beiden war, schon allein wegen meiner (angeblich) anmutigen Bewegungen. Ha- das ich nicht lache, ich und anmutige Bewegungen? Wenn jemand eine so hohe Sturzrate hat wie ich, dann ist es ziemlich schwer zu glauben, dass dieser jemand sich anmutig fortbewegen konnte.
Wir ließen uns los und zum Abschluss drückte meine Mutter mich noch mal ganz fest an ihr Herz.
„Hab keine Angst dich zu verändern, dass ist ganz normal. Du wirst dich schon nicht verlieren, was auch passieren mag.“
Es hörte sich an als wollte sie mit diesen Worten weniger mich, als sich selbst beruhigen.
Ich blickte ein letztes Mal in die himmelblauen Augen, die ich so liebte, in das makellose Gesicht mit den wunderschönen langen brünetten Haaren, sah ein letztes mal diese zierliche Gestallt, die rein vom Aussehen her gar nichts mit mir zu tun haben könnte und doch war sie meine Mutter. Sie war so wunderschön- ich wollte mit ihr Gesicht ganz genau einprägen, damit ich es mir immer vor Augen führen konnte, wenn der Schmerz gar zu groß würde.
Ich schnappte meine Koffer und vor dem Teil, an dem sie nicht mehr mit mir kommen durften, drehte ich mich noch mal um, um zu winken.
Mein Dad und Nora warteten schon bei der Kartenkontrolle auf mich.

Endlich saß ich auf meinem Platz. Die Tränen flossen mir immer noch über mein Gesicht.
Mehrere Menschen sahen mich an, aber das war mir egal, es kümmerte mich in diesem Augenblick nicht- gar nichts würde mich an diesem Tag noch großartig kümmern.
Ich hatte einen langen Flug vor mir und wenn wir landen würden, das neue Haus betreten
und ich das erste Mal allein in meinem neuen Zimmer sein würde, werde ich mich den kurzen Rest des Tages meiner Trauer und dem erbärmlichen Selbstmitleid ergeben. Normalerweise fände ich so ein Verhalten übertrieben und aufgesetzt und absolut widerwärtig, wenn ich es nicht wäre die sich so Verhalten würde und das auch nur, da ich einen guten Grund dazu hatte.
Das Flugzeug hob langsam ab und mit jedem Meter, mit dem ich mich von meinem Zuhause entfernte vermehrten sich meine Tränen und der Schmerz der von meinem Herzen aus ging wurde immer größer. Es war als würden mir langsam und schmerzhaft kleine Teile meines Lebens und meines Herzens rausgerissen.
Es würde ein sehr langer, schmerzerfüllter Flug werden.
Wäre dies ein Film oder ein Buch könnte ich die Person nicht verstehen, ich würde nie verstehen können warum es ihr so schmerzte umzuziehen- geschweige denn es nachvollziehen können. Ich fände es übertrieben und aufgesetzt. Aber ich war es die das wirklich durchmachte und es war kein schönes Gefühl. Es ist als würde man einfach alles aufgeben- sich selbst mit eingeschlossen- und würde den letzten Schritt machen und von einer tiefen Klippe in den Abgrund springen- ins Ungewisse. Man hat keinen Halt mehr, alles was einem bisher wichtig war, war weg, einfach ausgelöscht. Zwar nicht komplett, aber doch weit genug weg, damit es sich so anfühlen konnte, als wäre es aus deinem Leben gelöscht worden und hätte nichts als Leere und die Angst vor dem Ungewissen hinterlassen.
Ich musste an die letzten Worte meiner Mutter denken. Hab keine Angst dich zu verändern, dass ist ganz normal. Du wirst dich schon nicht verlieren, was auch passieren mag.
Was meinte sie damit? Du wirst dich schon nicht verlieren.
Ich meine ich hatte nie daran gedacht, dass ich mich verlieren könnte. Ich BIN Ich und daran wird sich auch nie etwas ändern.
Ich könnte mich verändern- ich würde mich verändern, das war mir bewusst und es machte mir angst.
Als vor ein paar Jahren ein Mädchen aus meiner Klasse wegzog bekam ich mit wie ihre damaligen Freunde sich Monate nach ihrem Umzug über sie unterhielten. Sie sagten sie hätte sich schon länger nicht mehr bei ihnen gemeldet und hätte sich überhaupt von Grund auf verändert. Diese Leute wurden später zu einigen meiner engsten und liebsten Freunden. Als ich ihnen von dem bevorstehenden Umzug erzählte nahm ich mir ganz fest vor nicht wie dieses Mädchen zu werden. Ich würde mich nicht verändern, mein eigenes Ich nie verlieren. Ich würde mich bei ihnen melden und wir würden Freunde bleiben, da war ich mir sicher und das war mein Ziel. Ich habe auch eine Freundin die im Kindergarten weggezogen war, wir waren damals beste Freundinnen und der Kontakt hielt bis heute. Es war nicht so wie wenn man sich täglich in der Schule sieht und sich einfach alles erzählt, aber wir telefonierten an ihrem Geburtstag und an meinem und ab und zu auch mal zwischendurch. Wir waren Freunde geblieben und ich war mir sicher wir würden es bleiben und genau das war auch mein Ziel mit meinen jetzigen Freunden. Mit Jill würde ich natürlich enger befreundet bleiben- hoffentlich.
Der Flug zog sich- sehr lang und voll gepackt mit schlechten Gedanken. Ich war froh als ich nach ein paar Stunden endlich einschlief. Es war kein guter Schlaf, dass war der Schlaf im Flugzeug wohl nie, aber es lag nicht nur daran, sonder auch an den Erlebnissen vorher. Ich hatte mir noch nie viele Gedanken über mein Leben und dessen Sinn gemacht, aber ich hatte so viel Zeit, dass ich anfing darüber nachzudenken. Im Großen und Ganzen lief es bis vor wenigen Stunden doch eigentlich ganz gut… Ich hatte tolle Freunde, mich liebende- zwar getrennt lebende- Eltern und bis jetzt lief eigentlich immer alles ganz okay. Ich war glücklich mit dem was ich hatte und wäre nie auf die Idee gekommen das mir irgendetwas fehlen könnte. Ich frage mich ob diese Stunden voller Glück irgendwann einmal wieder zu mir finden würden. Ich sollte es positiv sehen- wenn man ein Leben voller Glück hätte, immer alles nach Plan laufen würde und man niemals etwas weniger erfreuliches, geschweige denn schlechtes erlebt hätte, würde man dann das Glück was einem zu Teil würde überhaupt noch schätzen können? Würde man wissen was für ein tolles und märchenhaftes Leben man führt oder einfach alles für selbstverständlich und belanglos empfinden?
Die Gedanken drehten sich in meinem ohnehin schon viel zu vollen Kopf und ich dachte noch viel nach. der Flug zog und zog sich in die Länge und die grausamen eingeengten Stunden wollten gar kein Ende nehmen.

Ich war eindeutig nicht für lange Flüge geschaffen, da konnte man viel zu viel nachdenken.
Nicht das ich das sonst nicht schon genug täte. Eine meiner Meinung nach nervigsten Eigenschaft ist nämlich die, dass ich mir viel zu viele Gedanken mache. Ehrlich, ich denke über jedes kleine Wort nach, das jemand zu mir sagt, über jedes Lächeln, über jede noch so kleine Geste- bei der ich mir nicht sicher bin wie sie gemeint ist- zerbreche ich mir Stunden, ja manchmal sogar Tage den Kopf.
Ich dachte und dachte und dachte. Manchmal war es wie ein Teufelskreis, ich sagte dann immer, dass ich mal wieder in Kreisen denke. Das tue ich immer, wenn ich mir bei einer Sache absolut nicht sicher bin. Ich fange an darüber nachzudenken, bis ich wieder bei meinem ursprünglichen Gedanken ankommen, nur um dann noch mal von vorne anzufangen. Das ist echt nervig und man hat einen viel zu hohen Verbrauch an Kopfschmerztabletten!

Das Flugzeug landete nach einigen wenigen Zwischenstopps und einmal Umsteigen nach etlichen Stunden am Southwest Oregon Regional Airport in North Bend.
Von dort fuhren wir rund zehn Minuten zur nächstgelegenen Stadt. Coos Bay ist eine relativ kleine Stadt im Staat Oregon, mit einer Einwohnerzahl um die sechzehntausend Einwohner (nur mal zum Vergleich, in der Stadt in der ich früher gelebt habe gab es um die dreißigtausendfünfhundert Einwohner).
Dort würde ich vorläufig für den Rest meines Lebens- oder zumindest meiner Jugend- leben.
Das Taxi hielt vor einem großen, schon etwas älter aussehenden Haus. Die Fassade bestand aus weiß gestrichenem Holz, dass sich immer etwas überlappte. Es hatte eine kleine Veranda, die sich um das gesamte Haus zog. Es sah riesig aus und hatte der Optik nach zwei Stockwerke, wenn nicht noch ein Dachboden oder ein Keller vorhanden war. Ich nahm meine Taschen aus dem Auto und ging langsam den kurzen Kieselweg zum Haus. Die überdachte Veranda wurde oben, rechts und links von der Treppe, von zwei großen, ebenfalls weißen Säulen gestützt. Ich blieb vor der großen Eingangstür stehen, stellte die Taschen ab- weil ich noch auch Dad und Nora warten musste- und probierte durch das leicht milchige Glas der Tür einen Blick in das Innere des Hauses zu erspähen- leider ohne Erfolg. Da es mittlerweile Draußen schon Dunkel geworden war, war es auch im Haus dementsprechend Stock finster.
Hinter mir hörte ich das knirschen der Schuhe die auf den Kies trafen, also nahm ich meine Taschen umständlich wieder in meine Hände und wartete bis mein Dad und Nora bei mir waren und endlich den Schlüssel ins Schloss stecken und aufschließen. Doch bevor mein Dad das tat stellte er mir erstmal die Frage zu meinem ersten Eindruck.
„Und? Gefällt es dir? Ist doch ein schönes Fleckchen Erde, oder?“
„Ja, es ist nicht übel.“
Nachdem er fürs erste beruhigt war schloss er- Endlich!- die Tür auf und schaltete das Licht ein, dann hielt er uns die Tür auf und musterte angespannt meine erste Reaktion auf das Innenleben des weißen Riesen.
Es war hell und freundlich. Direkt vor mir war eine ebenfalls weiße Treppe, die zu den oberen Räumen führte. Von der Decke hing ein Kronleuchter, so wie man es von alten Filmen in den Villen irgendwelcher feinen Herrschaften gewohnt ist.
Ich zog mir meine Jacke aus und Nora nahm sie mir ab, öffnete eine Tür, direkt neben dem Eingang und hängte sie in die kleine Garderobe. Ich war platt- so was war ich definitiv nicht gewöhnt. Ich wusste zwar, dass sowohl Nora, als auch mein Dad durch ihre neuen Berufe mehr verdienten, aber dass sie sich so ein Herrenhaus leisten konnten hatte ich nun auch wieder nicht erwartet.
Ich war so baff, dass ich nicht mehr als ein einiges Wort raus brachte. „Wow.“
„Gefällt es dir?“, fragte Nora mich, „In der Woche, in der ich schon hier war habe ich so gut es ging alles schon eingerichtet- natürlich nicht ohne vorher alles ausführlich mit deinem Vater zu besprechen.“ Sie zwinkerte meinem Dad zu und ich wurde dieses komische Gefühl nicht los, dass sie etwas im Schilde führten.
„Nora, es ist überwältigend, einfach unglaublich.“
Sie zeigten mir den Rest des Hauses. Die Küche, das riesige Wohnzimmer, mit einem Kamin und Flachbildfernseher, das Esszimmer, das Gästezimmer, das Bad unten, das Bad oben, ihr Schlafzimmer, das Kinderzimmer für das künftige Baby, den Dachboden (also doch!) und ganz zum Schluss führten sie mich den langen Gang in der oberen Etage entlang und blieben vor der letzten Tür auf der linken Seite stehen.
Mein Dad sah mich mir größter Spannung an und Nora öffnete die Tür und sagte: „Und das ist dein Zimmer.“
Ich trat ein und war vollkommen überwältigt.
Das gesamte Zimmer war in einer Kombination aus Lila, Gelb und Grün gehalten und die Möbel bestanden aus Buchenholz.
Mein Zimmer hatte weichen hellgelben Boden, der dem Raum wärme verlieh und helllila Wände, an der eine dunkellila Borte aus Blumenranken angebracht war, die zu einer gewissen Eleganz des Raumes beitrug.
An der rechten Wand stand ein monströses Himmelbett zu dessen beiden Seiten zwei große Fenster den Blick in Richtung Westen offenbarten.
Auf dem Nachttisch stand eine Nachtlampe- der Lampenschirm war wie eine Blume geformt- und es lag eins meiner Lieblingsbücher auf ihm.
Die Bettwäsche hatte dieselbe Farbe wie die Wand und ebenfalls die gleichen Blumenranken.
An der mir gegenüber liegenden Seite stand ein Schreibtisch, der mit der gleichen Lampe bestückt war wie der Nachttisch. Neben dem Schriebtisch stand eine große blühende Grünpflanze und auf dem Fenstersims, der sich hinter dem Schreibtisch befand, stand eine Orchidee.
Zu meiner Linken erblickte ich zu meiner Überraschung einen Fernseher. Ich Deutschland durfte ich keinen haben, da mein Vater seine Prinzipien hatte, aber scheinbar war hier alles anders.
Ich hatte auch eine gewaltige Stereoanlage und 2 riesige CD- und DVD- Regale- mein Vater weiß genau das ich DVD’s liebe.
In dem gesamten Raum spiegelten sich meine drei Lieblingsfarben und mein Lieblingsmuster- die Blumenranken- wieder. Sie mussten eine Ewigkeit gebraucht haben bis sie die ganzen Sachen zusammen hatten. Es war fantastisch.
Ich drehte mich zu ihnen um und lächelte sie strahlend an. „Wow. Dad, Nora, ihr habt euch selbst übertroffen.“
„D-das hast du hauptsächlich Nora zu verdanken.“ Man sah meinem Dad an, dass er vor Aufregung kaum ein Wort raus brachte.
„Dreh dich mal um. Du hast eine Seite des Zimmers vergessen.“, setzte mich Nora in Kenntnis.
Ich drehte mich um und sah zu meiner Verwunderung eine große, weiß lackierte Doppeltür.
„Was ist DAS?“ Ich wette mir stand die Verblüffung und die Neugierde ins Gesicht geschrieben.
„Das ist unsere kleine Überraschung für dich. Na los, mach schon auf.“
Ich ging langsam auf die Tür zu, ergriff die goldenen Türknäufe, drehte sie und öffnete die Tür.
Und ich wollte meinen Augen nicht trauen, denn was ich in diesem Raum erblickte konnte schlicht und ergreifend NICHT die Realität sein.
Ich wette ich bin tot. Ich wurde umgebracht, bin gestorben und im Traum eines jeden modebewussten Teenagers gelandet!
Denn das was sich hinter dieser Pforte befand, WAR das Himmelreich.
Ich brachte gerade noch so drei Wörter heraus, bevor ich mich zu nicht als Ohnmacht im Stande fühlte. „Oh. Mein. GOTT.“
Ich betrat ehrfürchtig den Raum.
Ich glaube ich hatte vergessen wie man atmet, denn mir wurde auf einmal ganz schwummrig und ich begann kleine Sterne zu sehen. Schnell nahm ich die Luft wieder in meinen Körper auf.
„Und gefällt es dir?“
„Gefallen? GEFALLEN? Nein, ich glaube nicht, dass es mir gefällt. Ich glaube, dass das definitiv nicht das richtige Wort für das ist, was ich gerade fühle. Es ist überwältigen, grandios, einfach… FANTASTISCH!“
Ich sog die wunderbare Luft meines neuen, absolut perfekten begehbaren Kleiderschranks ein.
Er war sehr hell eingerichtet- mit weiß lackierten Holzmöbeln, die goldene Griffe besaßen, einem hellrosa Teppich und einer ebenfalls weißen Wand. Die Schränke waren riesig.
Ich öffnete einen- den größten- und erblickte meine gesamten Klamotten, die ich nicht mehr in Deutschland gebraucht hatte und sie Nora deswegen schon mitgenommen hatte, aber auch ein oder zwei neue, die ich mir später in Ruhe ansehen würde.
Ich ging zu dem daneben gelegenem Schrank, der ein Schuhschrank zu seien schien, denn er hatte eine Glasfront und war innen mit Metallstangen bestattet, auf der schon ein paar mir bekannte Schuhe standen.
Die kleinere Kommode die ich als nächstes öffnete war für meinen unzähligen Schmuck bestimmt. Ich brauchte dafür einen extra Platz, denn ich LIEBE Schmuck und besitze auch dementsprechend viel. Ein besonderes Augenmerk hatte ich auf Ketten mit Herzanhängern gelegt, was einen ziemlich doofen Ursprung hat, aber na ja jeder hat schließlich seine Macken…
Ich erblickte auch noch eine Art Taschenständer- ich muss sagen, dass finde ich extrem praktisch.
Dann gab es noch einen Schminktisch, an dem ein großer beleuchteter Spiegel angebracht wurde.
Zu guter letzt hing da noch einen alles überragender Spiegel.
Er reichte vom Boden bis fast unter die Decke und war an einer der Wände angebracht.
Es ist bestimmt nur ein Traum. Es kann einfach nicht wahr sein, denn das was ich hier sah war einer meiner geheimsten Wünsche seit ich circa zwölf Jahre alt war. Ich konnte nur träumen, eine andere Möglichkeit gab es gar nicht- oder doch nicht? Ist es möglich, dass es Realität ist und mir Nora und Dad wirklich diesen Begehbarenkleiderschrank geschenkt hatten? BESTECHUNG! Es war Bestechung. Sie wollten mich ernsthaft mit diesem Geschenk bestechen und alles nur, damit ich wegen meines neuen Zuhauses keinen Aufstand mache. Ich kann nicht fassen, dass sie so etwas tun! Und mir immer irgendwas von wegen Ehrlichkeit predigen…
Ohh, sie sind wirklich gut, denn leider musste ich zugeben, dass es funktioniert hatte.
Man, ich war wirklich ziemlich leicht zu bestechen. Man nehme ein schönes Geschenk, das ich mir schon seit Ewigkeiten wünschte und eine doofe Situation, die man umgehen will und schon wegesse ich Zeit und Raum…
Ich drehte mich in Richtung Tür und lächelte ein leicht ironisches- aber trotzdem aus meinem tiefsten Innern kommendes- Lächeln. „WOW! Ich weiß einfach nicht was ich sagen soll. DANKE!“, das letzte Wort quietschte ich fast drei Oktaven zu hoch und lief zu Nora und umarmte sie und danach schlang ich die Arme um meinen Dad, nur um ihn nach wenigen Sekunden mit den Fäusten gegen seine Brust zu hämmern. „Ich kann es einfach nicht fassen, dass ihr mich ernsthaft mit so was bestechen wollt!“
Mein Vater grinste leicht zerknirscht und blickte mir schließlich doch noch in die Augen. „Hat es denn wenigstens funktioniert?“
„Du fragst mich grade wirklich ob es funktioniert hat? NATÜRLICH hat es geklappt!“
Jetzt strahlte er mich an. „Weißt du es war Noras Idee- Sie weiß doch was Mädchen wie du wollen…“
Ich drehte meinen Kopf in Richtung Nora, ließ dann meinen Dad los, ging auf sie zu und viel ihr noch ein mal um den Hals. „Danke, danke, danke, danke.“
Ich würgte sie scheinbar so fest, dass sie fast keine Luft mehr bekam und nur noch ein paar Worte hervorbrachte. „Schon gut. Bitte- Luft.“
Ich ließ sie los und sie lachte über meine leicht stürmische Art.
Dann gingen wir aus dem Raum und holten meine übrigen Koffer hoch. Sie ließen mich etwas alleine, damit ich mich akklimatisieren konnte.
Kaum war die Tür geschlossen rannte ich zu eine meiner Taschen, riss den Reisverschluss auf und kramte etwas, bis ich letztlich fand, was ich suchte- meinen Laptop. Ich platzierte ihn in der Mitte meines neuen Schreibtisches und schaltete ihn ein.
Es dauerte eine Zeit bis ich das Internet installiert hatte, beim zweiten Anlauf schaffte ich es dann aber doch noch. Ich öffnete Outlook und tippte die E-Mail Adresse meiner besten Freundin ein.

Jill,
du wirst es nicht glauben!
Sie probieren mich echt mit Geschenken dazu zu bringen mich hier wohl zu fühlen- das Schlimmste daran, irgendwie klappt es auch- ein wenig…
Du errätst nie was sie mir zur Begrüßung geschenkt haben! Einen Begehbarenkleiderschrank.
Das ist doch unglaublich oder???
Ich bin immer noch total baff.
Und wie Nora mein Zimmer eingerichtet hat ist einfach traumhaft- genau mein Geschmack.
Du musst unbedingt bald kommen und dir das alles ansehen.
Das Haus ist der Hammer! Es ist so riesig und man fühlt sich wie in eine ältere Zeit versetzt- wo es noch riesige Kronleuchter und Ballsäle gab.
Wie du siehst bin ich gut angekommen und bis jetzt ist NOCH alles okay.
Ich melde mich nach dem grauenvollen ersten Schultag wieder bei dir.
Ich vermiss dich jetzt schon!
Hab dich lieb, Fay.


Dann klickte ich auf den Senden- Button.
Und öffnete eine neue E-Mail, um meiner Mutter auch zu berichten, dass es mir gut geht.
Ma

,schrieb ich.
Den Flug habe ich den Umständen entsprechend gut überstanden.
Das Haus ist riesig und mein Zimmer ist einfach TOLL! Rate mal! – Dad und Nora haben mir einen begehbaren Kleiderschrank geschenkt. Ist das nicht cool?
Mach dir keine Sorgen um mich.
Ich melde mich erst in ein paar Tagen wieder, da ich jetzt erstmal auspacken und einräumen muss.
Ich vermisse & liebe dich. Fay



Ich schaute auf die Uhr. Hier war es kurz nach acht Uhr Abends, dann müsste es in Deutschland 9 Stunden später sein- fünf Uhr Morgens.
Also würden sie meine Nachricht frühestens in zwei Stunden lesen, aber da es bei ihnen schon Samstag war bestimmt erst in vier Stunden.
Ich schloss Outlook und öffnete ein neues Fenster im Internet, dann gab ich in das Suchfeld Coos Bay ein.
Natürlich hatte ich mich schon im Vorfeld über meine neue Heimat erkundigt, doch ich wollte noch ein wenig mehr erfahren. Ich wusste also schon, dass Coos Bay um die sechzehntausend Einwohner hat und an die Stadt North Bend grenzt, die- nur so nebenbei- circa neuntausendfünfhundert Einwohner hat.
Ich erfuhr auch noch, dass Coos Bay in Coos Country und am Coos River liegt.
Worüber ich mich mit am Meisten freute war das Klima. Es war mild und feucht. Das ‚Feucht’ begeisterte mich nicht so, aber dafür die Jahresdurchschnittstemperatur, die zwischen 7,5°C und 12,5°C liegt, was bedeutete, dass es zumindest im Winter wärmer war als in Deutschland und in den Sommerferien konnte ich ja meine Ma besuchen. Und das Beste, ich habe gelesen, dass extreme Werte und Schneefälle sehr SELTEN sind! Außerdem gibt es diverse Cafes, Parks und Restaurants. Im Nordwesten befindet sich ein Waldgebiet und es gibt einen Pool. So wie es für mich aussah glich es einem kleinen Freibad für den Sommer.
Es schien ein beliebtes Ferienziel für Touristen zu sein.
Als ich in die Bildersuche ‚Coos Bay’ eingab erblickten meine Augen wunderschöne und atemberaubende Bilder eines Strandes. In dieser Stadt gab es einen Sandstrand mit weitläufigen Dünen und nach den Bildern zu urteilen kam dieser Strand dem Paradies gefährlich nahe.
Da ich mittlerweile sechzehn bin, würde ich auf die Marshfield Senior High School gehen, so viel wusste ich.
Auch wusste ich, dass ich, da es Anfang Dezember war, mitten im Schuljahr wechselte. Das machte die ganze Sache noch schlimmer. Wenn man am Anfang eines Jahres neu kommt fällt es oft nicht so auf, weil die Chancen höher sind, dass es noch andere Neue gibt. Wenn man dagegen mitten im Schuljahr an eine neue Schule kommt und dann auch noch aus einem anderen Land, zieht man die Blicke auf geradezu magische Weise an.
Ich schaute mir noch ein paar Bilder an und probierte noch mehr über meine künftige Schule und die Stadt Coos Bay heraus zu finden.
Dann kramte ich meine Waschsachen heraus, ging aus meinem Zimmer und betrat den langen Flur. Natürlich hatte ich mir nicht gemerkt hinter welcher dieser Türen sich das Badezimmer verbarg, also ging ich den Gang entlang, klopfte an jeder Tür höflich und öffnete diese schließlich. Dies machte ich wenige Male, bis ich das Bad fand.
Ich stellte meine Waschtasche ab und platzierte meine Sachen so, dass sie keinen stören würden. Dann stellte ich das Radio an und drehte die Lautstärke etwas höher. Ich dusche oft mit Musik, dadurch bekam ich meist gute Laune. Die Handtücher hatte Nora schon mütterlich bereit gelegt, sodass ich gleich in die noch gänzlich unbenutzte Dusche steigen konnte. Während das heiße Wasser auf meine Schultern rieselte entspannte ich mich langsam und dachte über den vergangenen Tag nach. Bis jetzt war es doch ganz gut gelaufen- eigentlich…
Doch die größte Bürde stand mir ja noch bevor- der erste Tag an der High School. Der erste Tag, an dem ich mit meinem hageren Englisch überleben musste und es zu allem Überdruss auch noch einigermaßen auf die Reihe kriegen musste, dass ich mich nicht gleich zum Gespött aller machte, sondern anfing ein paar Kontakte zu knüpfen. Ich hatte angst davor allein dazu stehen, nie Freunde zu finden.
Der Radiosender wechselte auf ein neues Lied, eines das hundertprozentig gute Laune macht- ‚I walking on sunshine’. Ich fing an mitzusingen. Singen war neben dem Tanzen eine meiner größten Leidenschaften - wobei ich sagen muss, dass das Zeichnen (wenn auch meist nur im Kunstunterricht) mir auch spaß macht.
Als ich unter dem heißen Wasser der Dusche stand und dieses gute Laune verbreitende Lied mitsang kam mir der grauenvolle erste Tag an der Marshfield High School plötzlich gar nicht mehr so grauenvoll vor. Ganz im Gegenteil, ich war auf einmal ganz enthusiastisch und dachte wirklich, dass es bestimmt nicht sooo schlimm werden würde. Ich würde es schon meistern und das ganze Chaos bewältigen – vielleicht, vielleicht aber auch nicht…
Wo mit ich wieder beim ausgangs Gedanken gelandet wäre. Ich seufzte, wie ich dieses Teufelskreis-Denken doch hasste.
Ich war mittlerweile damit fertig das Shampoo aus meinen Haaren zu waschen und stellte das Wasser ab. Als ich wieder auf den kühlen Fließen des Bades stand begann ich zu frieren und wickelte mich schnell noch fester in mein Handtuch. Ich bürstete mir meine Haare und machte das, was ich sonst nie machte, ich föhnte mir sofort, so wie ich war- nur mit einem Handtuch bekleidet- meine Haare. Dann stellte ich das Radio aus und machte das Fenster auf, damit die, durch das Duschen feucht gewordene Luft entweichen konnte. Ich beeilte mich in mein neues Zimmer zu kommen- es war wesentlich leichter zu finden als das Bad, da es am Ende des Flurs war- und schloss die Tür hinter mir. Dann zog ich mir meinen Schlafanzug an, der aus einer kurzen Hose- die ursprünglich für Sport oder den Strand gedacht war- und einem sonnengelben Tank-Top bestand. Da ich in Deutschland schon längst im tiefste Traum versunken wäre- weil es da ja neun Stunden später ist und somit schon fast wieder Zeit zum aufstehen- schlief ich schnell ein, ob gut war eine andere Sache.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.01.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Bitte nicht vergessen den PROLOG zu lesen. Dieses Buch widme ich meiner besten Freundin Anne, dafür dass sie immer für mich da ist, wir immer lachen können und weil sie es gerne wollte. ^^

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