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Prolog


Seit ich hier lebe bin ich fast nie alleine, immer ist jemand da und will auf mich aufpassen. An meinem linken Handgelenk sind vier Bänder, ein rotes, ein blaues, in schwarz und in weiß. Sie zeigen jedem hier wer ich bin. Sie sagen die Wahrheit. Ein halbes Jahr soll ich hier bleiben. Voraussichtlich. Ich habe gelernt, das man sich hier mit eigentlich niemandem anfreunden darf, denn sie verlassen einen alle, es ist hoffnungslos, genau wie alles hier, genau wie ich…


Kapitel 1


Ich saß alleine in meinem Zimmer auf dem Boden und blickte abwesend zum Fenster hinaus, dort wo die Bäume mit dem Wind spielten und die Vögel zwitscherten, sie sangen ein Lied der Freiheit. Ich wartete wie so oft auf die ersten Sonnenstrahlen, die in mein Zimmer fielen, dabei blickte ich mich weiterhin um und spielte unbewusst mit meinen drei Bändchen, blau, schwarz und weiß. Vom Fenster abgelenkt wurde ich durch einen plötzlichen Schatten an der Wand. Ich sah mich um. Doch dort, war nicht besonderes, nichts außergewöhnliches, oder spannendes nur ein einsames, verlassenes Bett. Es war ordentlich gemacht und schrie fast schon, dass niemand in ihm schlief, denn sie war tot. Emily die sich vorher mit mir dieses Zimmer geteilt hatte, war verstorben. Vor zwei Tagen hatte sie sich das Leben genommen. Kein Einzelfall hier und sicherlich nicht der letzte. Das war auch Grund für meine Regel Nummer 1, die neben meinem Bett an die Wand geschrieben wurden. „ Freunde dich mit niemandem an, sie verlassen dich alle.“, mit Emily hatte ich diese Regel gebrochen und nun erhielt ich die Strafe dafür, ich vermisste sie. Emily hatte nur zwei Bändchen getragen, ein weißes und ein gelbes. Kein schwarzes, denn niemand hatte es geahnt. Jetzt war es zu spät. Langsam wand ich meinen Blick wieder zum Fenster und sah gen Horizont. Die Sonne kam. Bald schon schienen die ersten Strahlen hinein und wärmten sanft meine Haut. Ein schwaches Lächeln huschte über meine Lippen und ich stand auf und lief zu meinem Bett. Hinter diesem, im Lacken der Matratze eingewickelt, befand sich mein Messer, mein einziger wahrer Freund. Ich setzte mich aufs Bett und zog den Ärmel meines Pullis hoch. Die Klinge an meinem Arm funkelte im Sonnenlicht, genau das was ich sehen wollte. Der erste Schnitt war immer was Besonderes. Rotes, warmes Blut drückte sich zwischen meiner Haut hervor und lief langsam hinunter. Ein Lächeln. Die nächsten Schnitte wurden flacher und kleiner. Weniger Blut. Ich besah mir meinen Arm und bemerkte die einzelne Träne, die auf ihn fiel und sich mit dem Blut vermischte. Mir war kalt und war und ich wusste, dass der Tag a jetzt erträglicher werden würde. Erträglicher, nicht besser. Ich drückte ein Taschentuch fest auf die frischen Wunden. Es färbte sich sofort rot und schon hatte ich mein eigenes Blut auch an den Fingern. Ich seufzte. Was war nur aus mir geworden, wieso erlebe ich diesen Tag? Ich wusste, es würde sich nicht lohnen. Ich versteckte mein Messer wieder, nicht ohne es vorher am Taschentuch zu säubern, das Lacken sollte mich nicht verraten. Mein Arm blutete nach wie vor, doch es machte mir nichts aus. Ein Taschentuch nach dem anderen wurde rot und nass, ich legte sie auf die Fensterbank und wartete einfach ab. Nicht lange dauerte es noch, dann kam kein Blut mehr. Ich warf die ganzen Tücher in eine Schale, kippte etwas Wodka drauf und setzte es mit einem Streichholz in Brand. Ich beobachtete Die Flammen und meine Erinnerungen, sie durften nie gefunden werden. Die Asche beförderte ich aus dem Fenster, wie schwarzen Staub wirbelte sie durch den Wind und kam nicht sichtbar am Boden an. Ich sah ihr trotzdem hinter her. Dann wischte ich meine letzte Träne weg und zog meinen Ärmel wieder herunter. Ich war fertig. Es war geschafft. Ich setzte mich auf mein Bett, dachte nach…schloss die Augen. Bald würde Jan kommen, mit seinen fettigen Haaren, der dämlichen Brille mit den runden Gläsern und seinem abschätzenden Blick. Er war sowas wie mein persönlicher Betreuer, meine goldene Vernunft, wie er sich selbst nannte. Ich hasste ihn. Er war arrogant, überheblich und verurteilte mich seit ich hier war auf Grund meiner Bänder. Trotzdem brauchte ich ihn, denn ohne ihn durfte ich dieses Zimmer nicht verlassen. Niemals. Noch während ich darüber nachdachte, klopfte es an der Tür, er schloss sie auf und trat ein. „Willst du raus?“, fragte er gelangweilt und sah mich an. „Ja.“, antwortete ich ruhig und lief auf ihn zu, im Vorbei gehen zeigte ich ihm meine Bänder, denn ohne die durfte ich auch nicht raus. Er folgte mir schweigend durch den kahlen Gang mit den pastellgelben Wänden, ohne Bilder, ohne Ausdruck. Hin-und-wieder trafen wir andere Patienten, oder wie ich sie nannte „Hölleninsassen“ und andere Betreuer, die „Teufelgehilfen“. Ich ignorierte jeden, so war es am einfachsten, kein Lächeln, das ich irgendwem schuldig war, ich schuldete niemandem irgendwas, höchstens mir selber. „Ich will eine rauchen.“, teilte ich ihm mit, sah ihn aber nicht an. „Vergiss es.“, entgegnete er zornig, ich rollte genervt mit den Augen, ignorierte ihn aber. Hinter der nächsten Korridortür aus massivem Glas, die Jan auch auf- und zu schließen musste, hielt er mich am Arm zurück. Mein Instinkt sagte mir ich sollte auf Grund des Schmerzes Zusammen zucken, doch es hätte mich verraten, ich sah ihn finster an. „Mach nichts Unüberlegtes.“, warnte er mich und sah mich durchdringend an, ich wusste genau was er meinte. „Das tu ich nie.“, antwortete ich kalt, riss mich los und lief bestimmt in den sogenannten Aufenthaltsraum. Er war genauso kalt und unfreundlich gestaltet, wie die Gänge. Ich setzte mich auf ein Sofa, alleine und Jan ging weg, ab jetzt hatten die zwei Betreuer vor Ort auf mich auf zu passen. Ich sah mich kurz um. Drei weitere Leute waren hier, zwei Jungs und ein Mädchen, alle in meinem Alter, aus der Ferne erkannte ich nur, dass der eine Junge ein rotes Band trug. Ich wich seinem blick automatisch aus. Als ich mich weiter umsah, bemerkte ich aus dem Augenwinkel, dass die beiden Betreuer, gerade aus dem Fenster sahen und sich unterhielten. Ich schmunzelte. Langsam und lautlos erhob ich mich und schlich zur Tür. 3..2…1…und weg war ich. Ich glitt an der Wand entlang, um der Überwachungskamera zu entgehen und huschte durch die graue Stahltür in ein kaltes Treppenhaus mit einer Metalltreppe. Ich hechtete möglichst leise die Treppe hinunter. Durch die nächste Tür kam ich in einen kleinen, nicht einzusehenden Innenhof. Dort befanden sich lediglich eine alte Bank, ein ähnlich alter Tisch und ein halbtoter, kleiner Baum. Ich atmete tief durch, lief langsam zur Bank und setzte mich. Leise rückte ich den Tisch etwas beiseite und zog aus meinem kleinen Erdloch verborgen darunter einen Beutel, dann stellte ich den Tisch wieder an seine Stelle. Der Inhalt des Beutels war auf eine halbleere Packung Papers, eine Tüte mit Tabak und einem Döschen mit Filtern beschränkt. Mein kleines Überlebenspacket. Ich zog ein Pape heraus und klebte den Filter an seine Stelle, dann nahm ich etwas Tabak und begann ihn rund zu drehen, wickelte das Pape zu und leckte die Klebefläche an. „Du weist das du hier nicht rauchen darfst?“, hörst ich plötzlich eine mir fremde Männerstimme, erschrocken drehte ich mich um…

Kapitel 2


Ein circa 20jähriger Mann streckte seinen Kopf durch die Tür und sah mich an. Er war ein Betreuer, das erkannte ich sofort an seinem T-Shirt, mit dem Logo der Klinik. Ich seufzte, klebte das Pape zu und zog unter der Bank ein kleines Feuerzeug hervor. Beim dritten Versuch erschien eine kleine Flamme, die allerdings sofort wieder verschwand. Ich seufzte erneut. Plötzlich stand er hinter mir und hielt mir ein Feuerzeug mit offener Flamme hin. Ich musterte ihn verwirrt, nahm es ihm aus der Hand und zündete mir meine Zigarette selbst an. Dann gab ich es ihm wieder, nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch mit genießerisch geschlossenen Augen in die Luft. Er setzte sich neben mich, ich rückte automatisch ein Stück weg von ihm, was ihn aber nicht zu stören schien, ich war mir nicht mal sicher, ob er es bemerkt hatte. Wir schwiegen. Kurz darauf zog er sich selbst eine Kippe aus der Tasche, entzündete sie und rauchte. Ich sah die gegenüberliegende graue Wand an. Kein Wunder, das man hier depressiv wurde, dachte ich mir, und lunzte aus dem Augenwinkel zu ihm. Ein Betreuer, der mich rauchen ließ, seltsam. Ich ließ unbemerkt meinen Ärmel über meine Bänder rutschen, es ging ihn nichts an. Hier in der Klinik wurden einem seine Probleme ans Handgelenk gebunden, mein blaues stand für Depression, damit kam ich her. Dann fügten sie das weiße für den Selbsthass hinzu, wobei ich nie verstand woher sie das wissen wollten. Das schwarze stand für Suizid-gefährdet. Emily hatte kein schwarzes gehabt und trotzdem war es passiert. Theoretisch müsste ich wie der Junge von oben noch ein rotes tragen, doch keiner wusste von meinem Messer, oder davon, was ich tat. Das war mein Geheimnis und so sollte es auch bleiben. Plötzlich riss der junge Mann mich aus meinen Gedanken, indem er sich räusperte und mich ansah. Ich wand mich zu ihm um. „Wie heißt du?“, fragte er mich. „Lena.“, antwortete ich schlicht, es war eine Lüge. Er nickte und sah wieder weg. Bald trat ich meine Kippe aus, stopfte alles wieder in den Beutel, überlegte kurz, ob ich es wagen könnte ihm das Versteck zu zeigen, rückte dann aber doch den Tisch beiseite. Tisch wieder gerade und ich ging. Jedenfalls hatte ich das vor, doch er stellte sich mir in den Weg. Er hob seinen Zeigefinger um meine Aufmerksamkeit zu bekommen, zog noch einmal an seiner Kippe, warf sie dann unachtsam weg, drehte sich um und schritt mir voran zur Tür. Ich runzelte verwirrt die Stirn, folgte ihm aber. Die Treppe hinauf. Vor der Tür zu meinem Stockwerk blieb er stehen. Er sah mich an. Ich ihn. Er hatte schwarze ziemlich kurze Haare, blaue Augen und nach-wie-vor ein dezentes Lächeln auf den Lippen. „Du solltest vorsichtiger sein, wenn du sowas machst.“, teilte er mir mit, dann öffnete er die Tür, sah sich um und winkte mich dann zu ihm. Ich nickte und verschwand in den Aufenthaltsraum, doch kaum war ich durch die Tür, knallte ich gegen jemanden, verlor fast das Gleichgewicht, doch wurde von demjenigen aufgefangen, den ich gerammt hatte. Mir fiel schlagartig die Farbe aus dem Gesicht. Es war Jan. Wütend sah er mich an und hielt mich am Arm fest. Es tat weh. „Jan, ist schon okay, sie war bei mir.“, meinte der junge Mann mit den schwarzen Haaren ruhig und stellte sich wie selbstverständlich neben mich, ich sah von einem zum anderen. „Das hatte sie aber nicht zu sein.“, fauchte Jan zornig. Plötzlich merkte ich, dass einer meiner Schnitte, wegen Jans Druck aufgerissen war. Es blutete. Ich trug einen hellgrauen Pullover, der bald schon rot wurde. Ich wurde noch bleicher. Jan blickte verwirrt zu seiner Hand, sah sie an und sah wieder mich an. Die rote Stelle an meinem Pulli, seine blutverschmierte Hand. Fassungslos musterte mich der andere ebenfalls. Mein Herz schlug immer schneller. Ich war aufgeflogen. Panik machte sich in mir breit. „Mitkommen!“, fauchte Jan und schubste mich beiseite, benommen lief ich ihm nach. Ich wusste was passieren würde, er brachte mich in einen der Räume, in denen man durchgecheckt wurde. Dort drückte er mich auf einen Stuhl, wand sich jedoch erst zu ihm um. „Verschwinde, ich regle das.“, meinte er bestimmt. „Nein.“, entgegnete der andere, schob sich an ihm vorbei und setzte sich mir gegenüber. Verwirrt und wütend sah Jan ihn und mich an, zog sich einen Stuhl dazu und starrte mich an. „Ärmel hoch.“, zischte er. Mir wurde schlecht, ich sah hilfesuchend den dritten im Raum, seine Lippen waren nun zu einem geraden Strich verzogen, von ihm konnte ich keine Hilfe erwarten. Langsam schob ich den Ärmel hoch und entblößte zahlreiche Schnitte, ältere, frische und Narbe von früherer Zeit. Jan und er sahen sie an, sahen mich an. Ich schluckte. „Alex?“, brachte Jan zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, wand seinen Blick nicht von mir ab und strich sich mit einer Hand durch seine glänzenden haare. Sofort erhob Alex sich und holte aus einer Schublade ein Taschentuch. Er gab es mir und ichdrückte es auf meine Wunden. Ich wich ihren Blicken aus. Plötzlich fiel mir der zweite Gegenstand in Alex’ Hand auf. Ein rotes Armband. Ich hatte einen Kloß im Hals und sah ihn flehend an, doch er sah nicht so aus, als würde er weich werden. Mit einem einzigen Blick forderte er mein Handgelenk und ich hielt es ihm hin. Er befestigte es und sah mich fast enttäuscht an. Blau, schwarz, weiß und rot. Ich sah sie an. „Ich bring sie auf ihr Zimmer.“, gab Alex zu verstehen und noch bevor Jan sich darüber aufregen konnte war ich mit wackeligen Beinen auf gestanden und folgte ihm aus dem Raum heraus. Nach wie vor drückte ich das nun rote Tuch auf meinem Arm. Ich sah mein Spiegelbild in der gläsernen Korridortür. Ich sah aus wie eine Leiche, kreidebleich, mager, ich zitterte und konnte kaum noch laufen. Alex schloss auf und folgte mir langsam durch den Gang zu meinem Zimmer. Es war noch offen. Ich huschte hinein, ließ mich aufs Bett fallen und wollte ihn noch einmal ansehen, doch er war schon weg, die Tür fiel ins Schloss und er schloss ab. Ich brach in Tränen aus, versteckte mein Gesicht in den Kissen und schrie vor Angst. Genau das was ich nie wollte war passiert. Ich hatte Angst, war wütend, wütend auf mich selbst. Auf mich.. Ich versuchte mit zitternden Händen das Messer zu erhaschen. Es gelang mir und ich setzte mich auf. Ich setzte die klinge an und verharrte kurz in dieser Situation. Ein Fehler, denn plötzlich flog die Tür ein und dort vor mir stand Alex. Wütend sah er mich an, dann erschrocken und wieder wütend, er entriss mir das Messer und fixierte mich mit seinem Blick. Mit Tränen in den Augen sah ich zu ihm empor. Er schüttelte den Kopf. Wieder fing ich an zu weinen, warf mich in meine Kissen und schrie. Er setzte sich neben mich und strich mir über den Rücken, doch ich wand mich weg, sodass er mich nicht berühren konnte. Stumm stand er auf und ging. Wieder war ich alleine. Mein Messer war weg und ich hatte das rote Band. Das Band was ich auf keinen Fall haben durfte.

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen ausschließlich bei mir und es dürfen keine Textstellen oder ganze Passagen kopiert werden.
Bildmaterialien: Unbekannt.
Tag der Veröffentlichung: 24.02.2013

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