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Planung ist alles

Krimi von Thomas West

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 118 Taschenbuchseiten.

 

Der Juwelier Gregory Lennert ist ein älterer, etwas ängstlicher Herr. Als er eines Tages einen schwarzen Wagen zum wiederholten Male sehr langsam an seinem Geschäft vorbeifahren sieht, ruft er die Polizei. Nur aus Vorsicht, man weiß ja nie, was geschieht. Er soll recht behalten mit seiner Vorahnung. Schon kurz nach seinem Anruf betreten zwei Männer seinen Laden. Die Gangster sind bewaffnet und fordern ihn auf, die Juwelen in die mitgebrachten Koffer zu packen...

 

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

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© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

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1

Was war das für ein süßer Traum gewesen? Lesley öffnete die Augen und blinzelte zum Fenster. Ein Sonnenstrahl fiel dort durch eine Lücke zwischen den Vorhängen. Im Lichtbalken tanzten die Staubpartikel. Ein guter Traum, zerplatzt wie eine Seifenblase. Lesley schob sich aus dem Bett. Macht nichts... die Wirklichkeit ist auch nicht zu verachten...

Auf dem Nachttisch, neben der leeren Sektflasche, sein Vertrag. Er drehte sich um. Da lag sie - blond, samthäutig, langgliedrig: Wanda Ryan. Die schönste Frau Manhattans, wie Lesley mindestens einmal am Tag betonte. Die Wirklichkeit ist auch nicht zu verachten...

Er stemmte sich von der Matratze und lief zum Fenster. Nackt, wie Gott ihn erschaffen hatte. Das Licht der Morgensonne flutete ins Schlafzimmer, als er die Vorhänge auseinander zog. "Aus den Federn, Honey!", rief er. "Der Tag riecht nach Glück!"

Nichts, aber auch gar nichts trug schon den Schatten des Grauens, das dieser Samstag für Wanda und ihn bereithielt.

Im Hinterhof der angrenzenden Mietshäuser saß eine Katze auf dem Müllcontainer und putzte ihr Fell. Ein kleines, schwarzes Mädchen kniete mitten auf dem Hof, mit bunter Kreide malte sie Blumen und Bäume auf den Betonboden. Aus offenen Fenstern drang Musik und Kinderlachen. Eine Frau im obersten Stockwerk des Hauses gegenüber goss die Blumen ihrer Dachterrasse. Aus dem Pflaumenbaum in der winzigen Gartenparzelle auf der rechten Seite des Hofes tschilpte eine Amsel ihr Morgenlied. Und der Augusthimmel war blau und wolkenlos.

"Hey, Honey! Komm her und küss mich!" Lesley schob das Fenster hoch, streckte sich und sog die noch kühle Luft in die Lungen. "Ich hab eine prächtige Idee - komm her und küss mich!"

Lesley betrachtete zufrieden die schäbige Hinterhof-Idylle - es gab Tage, an denen nervte sie ihn - und hinter ihm raschelte Wandas Bettzeug. "O Darling... zieh die Vorhänge zu - es ist noch nicht mal halb acht!" Wanda gähnte. "Komm noch ein paar Minuten unter meine Decke."

Mit zwei Schritten war er am Bett und hechtete in die Federn. "Aufstehen, Honey! Das Glück wartet nicht auf uns! Wir gehen Ringe kaufen!" Er bohrte seinen Kopf zwischen ihre Brüste und bedeckte ihre weiche Haut mit Küssen.

"Waas?!" Wanda fuhr hoch. Hellwach war sie plötzlich. "Ist das dein Ernst?!" Wie ein Mädchen, dem man am Geburtstagsmorgen ein Reitpferd ins Kinderzimmer führt, strahlte sie. "Lesley!" Sie schlang die Arme um ihn und lachte. "Lesley! Du verrückter Kerl!"

Lesley angelte den Vertrag von seinem Nachttisch. "Mitglied der Sozietät Adams & Cunningham! Fünfundsiebzigtausend Dollar im Jahr!" Er küsste den Vertrag. "Plus Prämien! Lesley Cellar ist jetzt ein gemachter Mann!" Sie riss ihm das Papier aus der Hand, küsste es ebenfalls und kicherte dabei.

Am Abend zuvor hatten sie den Vertrag mit der renommierten Anwaltskanzlei in Brooklyn Flatbush gefeiert. Mit anderthalb Flaschen Sekt. Unter dreiunddreißig Bewerbern hatte Adams & Cunningham sich für Lesley entschieden. Nun war er die längste Zeit Pflichtverteidiger des Manhattaner Bezirksgerichts gewesen.

"In der zweiten Septemberhälfte machen wir Urlaub, und am ersten Oktober fang ich bei Adams & Cunningham an." Er zog Wanda aus dem Bett. "Wir verkaufen die Wohnung und suchen uns ein Häuschen in Flatbush, vielleicht sogar in Brooklyn Heights..."

"Du spinnst ja...!" Hand in Hand liefen sie in die Dusche.

"Warum nicht? Du bekommst einen neuen Flügel und ein großes Musikzimmer. Und dann wird gelebt...!"

Wanda war Musiklehrerin. Klavier und klassischer Gesang. Ein Job von dem man einigermaßen gut leben konnte. Jedenfalls hier in der East Village, wo es eine Menge ehrgeiziger Eltern gab, die ihre Sprösslinge vorsichtshalber und a priori für kleine Rubinsteins, Goulds und Carusos hielten. Und wo Wanda mietfrei in einem kleinen Apartment leben konnte, das ihr Großvater ihr vermacht hatte.

Das Duschen zog sich hin - Wanda hatte weiche Schenkel und liebte es morgens lange geküsst zu werden. Und für Lesley - sonst ein wortkarger Morgenmuffel - gab es kein wirksameres Aphrodisiakum als beruflichen Erfolg. Jedenfalls saßen sie erst gegen halb neun auf den Barhockern vor dem Küchentresen um zu frühstücken.

"Ich werde gleich morgen einen Makler beauftragen", sagte Lesley, während er sein Früchtemüsli in sich hinein schaufelte.

"Das sind doch alles Halsabschneider!" Wanda ließ den Honig in ihren Kräutertee tropfen. "Lass uns lieber in der New York Times inserieren!" Lesleys Eifer hatte sie längst angesteckt.

"Von mir aus - und sobald wir ein Haus gefunden haben, planen wir den Hochzeitstermin..."

Sie küsste ihm den Milchbart von den Lippen. Ein einziges Mal hatten sie übers Heiraten gesprochen - an jenem denkwürdigen Abend, als sie sich in einer Harlemer Jazzkneipe kennenlernten. Wanda trat damals regelmäßig mit einer Jazzband auf. Und an jenem Abend im >Blue Note< in der hunderteinundreißigsten Straße West. Vier Jahre war das her.

Schon während des ersten Stückes hatte sie Lesley über ihr Piano hinweg entdeckt. Der Mann in dem dunklen Dreiteiler und mit dem schwarzen Stoppelhaar saß allein an einem Tischchen nicht weit von der Bühne entfernt und nippte an seinem Bier. Ihre Blicke trafen sich und ließen sich den ganzen Abend über nicht mehr los. Wanda hatte nur für Lesley in die Tasten gegriffen.

Nach dem Konzert war er auf die Bühne gekommen. Ob er sie zu einem Drink an seinen Tisch einladen dürfte, ganz unverbindlich natürlich und so weiter.

"Nein", hatte Wanda ihn angelacht. "Nix da unverbindlich! Ich suche einen Mann, der sich heiraten lässt und mit dem ich reich werden kann!"

Nie würde sie Lesleys verdutztes Gesicht vergessen. Er schluckte, lächelte unsicher und sagte: "Ich bin nicht der Allerspontanste - aber die schönste Frau Manhattans lasse ich mir nicht durch die Lappen gehen. Wenn es also nicht gleich heute sein muss, könnte man ja bei einem Drink in Ruhe über deine Pläne sprechen."

Sie sprachen dann weder übers Reichwerden noch übers Heiraten. Aber ein halbes Jahr später zog Lesley in ihr Apartment. Er studierte damals Jura im letzten Semester und war dreißig Jahre alt. Zwei Jahre älter als Wanda.

Nach dem Frühstück hinunter auf die Straße. Lesley trug weiße Jeans und ein cremefarbenes Sommer-Jackett darüber. Wanda ein hoch geschlitztes, ärmelloses Kleid. Aus roter Baumwolle und knöchellang. Ihr blauer Peugeot Cabriolet, Baujahr 1992, stand auf der anderen Straßenseite.

"Ich will fahren!" Lesley lief auf den Bürgersteig zur Fahrertür. Wanda kramte den Schlüsselbund mit dem Wagenschlüssel aus ihrer Handtasche. Über den Wagen hinweg warf sie ihm den Schlüsselbund zu. Lesley fing ihn auf, der Schlüsselring löste sich - bis auf den Briefkastenschlüssel klirrten alle Schlüssel auf den Asphalt.

Und für Sekunden sah es so aus, als wollte ein gütiges Schicksal ihnen das Grauen dieses Tages ersparen.

"Bitte nicht..." Lesley starrte auf den Asphalt zu seinen Füßen. Wohnungs- und Kellerschlüssel lagen auf dem Bürgersteig. Der Autoschlüssel war nirgends zu sehen. Dafür das Gitterrost eines Gullis zwischen Bordsteinkante und Karosserie. "Bitte nicht!"

"Was ist passiert?" Wanda kam auf den Bürgersteig gelaufen. Lesley bückte sich und blickte unter das Auto. "O Shit!" Wanda entdeckte den Gulli. "Sag, dass das nicht wahr ist!"

Regungslos und die Schläfe auf den Bürgersteig gepresst blickte Lesley unter das Auto. "Das musst du dir ansehen, Honey!"

Wanda ging neben ihm in die Knie und spähte ebenfalls unter das Auto. Der Autoschlüssel lag auf einer der zwei Finger breiten Metallstreben des Gullis. Lesley streckte den Arm aus und fischte ihn vorsichtig vom Gitterrost.

"Wenn das kein Zeichen ist!" Er sprang auf. Wie eine Trophäe reckte er die Faust mit dem Schlüssel in den Himmel. "Wenn das kein gutes Zeichen ist!" Sie fiel ihm um den Hals und lachte.

Eine geschlagene Stunde brauchten sie, bis sie sich durch die Rush-hour zur Fifth Avenue und in die Upper Midtown durch gebohrt hatten. Die letzte glückliche Stunde ihres Lebens.



2

Ein schwarzer Rover 75. Schon wieder.

Gregory Lennart spähte durch das Schaufenster auf die Fifth Avenue hinaus. Nicht gerade ein Allerweltsfahrzeug, so ein Rover 75. "Vielleicht in Edinburgh, London oder Glasgow aber nicht bei uns im Big Apple", murmelte Lennart.

Der schwarze Wagen fuhr langsam. Genau wie gestern, genau wie letzte Woche. Heute sogar noch langsamer, als die ersten beiden Male.

"Was meinten Sie, Sir?" Lorraine, schon an der Ladentür, ließ den Schlüsselbund sinken und blickte zu ihrem Chef. Der kleine dürre Mann stand noch immer vor dem linken der beiden Schaufenster und kraulte sich den weißen Kinnbart.

"Der schwarze Rover", sagte Gregory Lennart geistesabwesend. "Irgendwie komisch - hab ihn letzte Woche schon mal vorbeifahren sehen. Und dann gestern wieder..."

"Sie machen sich einfach zu viel Sorgen, Sir." Lorraine setzte ein Lächeln auf - halb tadelnd, halb bedauernd. "Hunderte von schwarzen Wagen fahren täglich über die Fifth Avenue." Sie drehte sich um und schloss die Ladentür auf. "Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als auch an Ihrem Geschäft vorbeizufahren, wenn sie nach Downtown hinunter oder nach Norden hinauf wollen." Es war Punkt neun.

"Aber nicht Hunderte von Rovers. Schon gar nicht Hunderte von Rovers 75." Lennart wandte sich vom Schaufenster ab und schlenderte zwischen Ausstellungskonsolen und Ladentisch hindurch in den hinteren Bereich seines Geschäftes. Nachdenklich wirkte er. Falten türmten sich auf seiner Stirn.

"Mein Schwiegersohn fährt so ein britisches Gerät. Hab einen Blick dafür. Gibt's nicht oft in Manhattan. Und ich hab einen Blick für Probleme, glauben Sie mir, Miss Snyder."

Vor dem Telefon neben der Kasse blieb Lennart stehen. "Wenn man zehn Stunden am Tag unter Diamanten und Goldschmuck verbringt, entwickelt man so einen Blick. Notgedrungen. Der Wagen fuhr langsamer als alle anderen..." Er verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete das Telefon. "Letzte Woche, gestern und heute schon wieder..."

Lorraine Snyder ließ den Schlüsselbund in die Schublade am linken Ende des Verkauftresens fallen. "Ihre Sorge ist übertrieben, Sir." Sie schob die Schublade zu. "Sie lässt sie Dinge sehen und hören, die es nicht gibt." >Paranoia< nennen die Psychiater so etwas, fügte sie in Gedanken hinzu.

"Ich ruf die Jungs vom Midtown Revier an." Der alte Lennart griff zum Telefon.

Lorraine verdrehte die Augen. "Sie werden sich lächerlich machen, Sir!"

"Na und?" Er tippte die Nummer des Polizeireviers in die Telefontastatur. "Lieber mach ich mich lächerlich, als mich hinterher in den Allerwertesten zu beißen, weil ich nicht auf meine innere Stimme gehört hab..."



3

Rechts schob sich der Central Park an ihnen vorbei. Links, Richtung Norden, standen die Fahrzeuge Stoßstange an Stoßstange. Richtung Süden hatte sich der Stau längst aufgelöst. Dennoch ließ Woody Remmington den Wagen im Schritttempo weiter rollen. Ein Hupkonzert erhob sich hinter ihnen.

"Gib Gas, Mann, gib Gas!" Vincent Chandler auf dem Beifahrersitz verdrehte die Augen. "Gott, nee - auffälliger kann sich kein Idiot verhalten!"

"Du bist mir ein bisschen zu nervös", knurrte Remmington. "Ja, ein bisschen zu nervös bist du mir, Vince!"

"Entschuldigen Sie vielmals, Mr. Remmington!" Wie flehend breitete Chandler beide Arme gegen den Wagenhimmel aus. "Stoppen Sie einen Moment - ich werde aussteigen und den Autofahrern erklären, dass sie sich doch bitte etwas gedulden sollen, bis wir den Juwelier-Laden gewissenhaft ausgespäht haben! Dann haben sie sich nicht nur unser Kennzeichen eingeprägt, sondern auch mein Gesicht!"

Remmington ging aufs Gas und schaltete in den dritten Gang. Der Juwelierladen auf der linken Straßenseite blieb hinter ihnen zurück. "Du bist mir ein wenig zu nervös, Vince, mal im Ernst!" Rechts tauchte das Reiterdenkmal auf der Grand Army Plaza auf. "Ich hab dir gesagt, dass unser Nummernschild gefälscht ist!"

"Der Wagentyp ist nicht gefälscht, und mein Gesicht auch nicht!"

"Warum musst du dir bloß immer in die Hosen scheißen..." Woody Remmington schüttelte den Kopf. "Wir rauben keine Bank aus, wir entführen keinen Footballstar - es ist nur eine kleine Juweliers-Klitsche, okay? Eine kleine Juweliers-Klitsche, weiter nichts..."

"Okay, okay!" Wieder hob Vincent Chandler abwehrend die Hände. "Ich bereue auch, dass ich mir in die Hosen scheiße, ehrlich, es tut mir leid!" Er deutete auf die Abzweigung in die 57th Straße. "Jetzt halt die Klappe und fahr da rein!"

Remmington setzte den Blinker nach rechts und steuerte den schwarzen Rover in die 57th Straße hinein. Chandler griff in den Fußraum vor dem Beifahrersitz. Ein schwarzer Aktenkoffer lag dort. Er zog ihn auf seine Schenkel und öffnete ihn. Jeden Griff hatte er hundertmal in Gedanken durchgespielt.

Zuerst die Jericho-Pistole. Chandler legte den Sicherungshebel um und versenkte sie in der Innentasche seines Nadelstreifenjacketts. Dann die Perücke. Er klappte den Sonnenschutz vor die Windschutzscheibe und stülpte sie über seinen Kahlkopf. Und schließlich der Bart - sorgfältig klebte er den grauen Schnurrbart unter seine schmale Hakennase. Anschließend strich er den Vollbart auf Kinn und Wangen auf.

Nichts besonderes für Chandler. Er hatte ein paar Jahre lang Nebenrollen in verschiedenen Fernsehserien gespielt. Bevor ihn ein Washingtoner Gericht für drei Jahre hinter Gitter geschickt hatte. Wegen versuchtem Banküberfall. Im Knast hatten sie sich kennengelernt, Woody Remmington und er.

Chandler klappte die Sonnenblende herunter und betrachtete sich in dem kleinen Kosmetikspiegel. "Siehst aus wie ein Bibelforscher", kicherte Remmington. Er bog nach rechts in die Sixth Avenue ein. Woody Remmington trug bereits Perücke und falschen Bart. Er war kein Allergiker wie Chandler. Dessen Haut vertrug das Zeug nicht lange.

"Und du siehst aus wie Jimmy Hendrix in Rente und nach einem Säurebad", fauchte Chandler böse. Remmingtons schwarze Kunstlocken fielen weit über seine Schultern herab. Ein kurzer, drahtiger Bart bedeckte seine untere Gesichtshälfte. Die obere verdeckte eine große Sonnenbrille. Im Gegensatz zu Chandler hatte er ein ziemlich rundliches Gesicht. Überhaupt war er schwerer und massiger.

Trotz des teuren, hellen Sommeranzugs sah er nicht besonders vertrauenerweckend aus. Remmington konnte anziehen, was er wollte - irgendwie sah er immer aus wie ein Ganove. Die Sonnenbrille verstärkte den Eindruck noch. Aber sie war unverzichtbar. Wer einmal seine Augen gesehen hatte, vergaß sie nie wieder.

In seinem Tarnaufzug wirkte Woody Remmington jünger als Chandler. In Wirklichkeit war er elf Jahre älter, nämlich sechsundvierzig. Vielleicht kam dieser Eindruck auch einfach dadurch zustande, dass Remmington mehr Fett unter der Haut mit sich herumtrug, als sein hagerer, ausgemergelt wirkender Partner. Wesentlich mehr Fett.

Und in der Innentasche seines nicht ganz billigen Sommeranzugs steckte eine ziemlich große Wumme: Ein .44er Magnum von Smith & Wesson.

Sie fuhren ein Stück zurück nach Norden, bis zum Olmsted Way, die Straße, die den Central Park südlich begrenzt. In sie bogen Chandler und Remmington nach rechts ein und parkten an der Nordseite des Plaza Hotels.

Remmington stellte den Motor ab. Von der Rückbank des Rovers holte er seinen Aktenkoffer, ebenfalls schwarz. Er entnahm ihm ein Funkgerät und schaltete es ein. "Rubin an Seagull, kommen."

"Seagull hört, kommen", antwortete eine hohe Männerstimme.

"Hast du eine gute Nachricht für uns? Kommen."

"Alarmanlage und Kamera sind ausgeschaltet. Seid ihr vor Ort? Kommen."

"Sind wir, mein Bester, sind wir", kicherte Remmington ins Funkgerät. "Und dein Brüderchen neben mir rutscht auf seinem Popo hin und her, weil er sich vorstellt alle Bullen Manhattans würden die leckeren Steinchen bewachen." Er warf einen Blick auf Chandler. Der zischte einen Fluch.

"Rede keinen Bullshit, Woody. Uhrenvergleich, kommen."

Remmington sah auf seine Armbanduhr. "9.12 Uhr. Punkt 9.30 Uhr beehren wir Sir Lennart mit unserem Besuch. 9.50 Uhr zurück in der Kiste und dann Richtung Hudson. Wir verlassen uns auf dich. Kommen."

"Ich werf den Motor an und tucker los. Sobald ich eure Meldung hab, nehm ich Kurs auf Pier 97. Over."

"Over, Seagull, over, und stell den Sekt schon mal kalt, Stanley." Remmington versenkte das Funkgerät in der Innentasche seines Jacketts. Aus seinen grauen Augen fixierte er Chandler.

"Okay, Vince. Es kann nichts schiefgehen. Kapiert? Es kann nichts schiefgehen. In spätestens einer halben Stunde sitzen wir wieder hier." Er klopfte auf seinen Aktenkoffer. "Mit vollen Taschen. Steinchen im Wert von drei Millionen Dollar."

Chandler hielt seinem Blick stand. Auf seiner Stirn glänzten feine Schweißperlen. Remmington beugte sich zu ihm. "Du bist Schauspieler, Vince - ich erwarte, dass du diese Rolle perfekt spielst: Cool und fehlerlos. Alles klar?"

"Arschloch!", fauchte Chandler. Er öffnete die Wagentür und stieg aus.



4

Aus meiner Küche roch es nach Kaffee und gebratenen Eiern mit Schinken. Geschirr und Besteck klapperten und klirrten, Schritte tippelten hin und her - Lindas Schritte. Sie hatte das Radio eingeschaltet - WNEW spielte den neusten Song von Madonna. Fürchterliches Gewimmer. Aber Linda schien es zu mögen. Sie sang mit.

Nichts Schöneres als die Stimme der Frau, die man liebt und

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: (C) ALFRED BEKKER CASSIOPEIAPRESS
Bildmaterialien: Firuz Askin
Tag der Veröffentlichung: 21.08.2017
ISBN: 978-3-7438-2920-6

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