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Jugurtha, die Geißel Roms

Historisches Serial - Gesamtausgabe

von Pete Hackett

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 555 Taschenbuchseiten.

 

 

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Prolog

Liebe Leser, ich möchte Ihnen die Geschichte meines Herrn und Freundes Jugurtha erzählen. Geboren wurde er im Jahre 593 ab urbe condita (nach Gründung Roms – n.G.R.) als Sohn des Herrschers von Numidien, dessen Name Micipsa war. Schon bei seiner Geburt war klar, dass er niemals einen Anspruch auf den numidischen Thron erheben konnte, da er lediglich mit einer von Micipsas Nebenfrauen gezeugt worden war. Den Königsthron sollten sich nach des Königs Tod seine legitimen Söhne Adherbal und Hiempsal teilen.

Im Gegensatz zu Adherbal und Hiempsal war Jugurtha beim numidische Volk außerordentlich beliebt, was dem König natürlich nicht verborgen blieb. Und das Volk forderte, dass Jugurtha den beiden legitimen Söhnen des Herrschers ebenbürtig sein sollte. Also adoptierte ihn König Micipsas. Aber, um weitergehende Forderungen seines Volkes zu unterbinden, die zum Nachteil seiner rechtmäßigen Erben gereichen hätten können, entfernte er Jugurtha gewissermaßen aus dem Rampenlicht der Öffentlichkeit, indem er ihn in die römische Provinz Hispania schickte, damit er mit einer numidischen Kavallerieeinheit den Kampf der Römer unter Scipio Aemilianus gegen die Keltiberer unter ihrem Anführer Avarus unterstützte.

Das war darauf zurückzuführen, dass es sich bei unserem Land um ein römisches Vasallenkönigreich handelte und es der Kontrolle des Imperium Romanum unterstand. Es verfügte lediglich über eingeschränkte Eigenständigkeit, das heißt, König Micipsa durfte keine eigene Außenpolitik betreiben und war verpflichtet, dem Römischen Reich im Krieg Beistand zu leisten.

König Micipsa schlug zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen stand er zu seiner Verpflichtung den Römern gegenüber, zum anderen nahm er Jugurtha aus dem Blickfeld des öffentlichen Interesses.

Jugurtha bestand darauf, dass ich ihn begleitete. Mein Name ist Gulupsa, und ich war im selben Jahr geboren wie Jugurtha. Ich war im Königspalast in Cirta aufgewachsen, weil mein Vater, sein Name war Gaupsal, ein enger Vertrauter von König Micipsa war. Als Jugurtha und ich im Jahre 619 nach Gründung Roms in der Provinz Hispania eintrafen, waren wir beide sechsundzwanzig Jahre alt.

Die Stadt lag auf einem Plateau zwischen zwei Flüssen, die ihr Bett in tiefe Schluchten gegraben hatten, und die Römer waren nach monatelanger Belagerung nahe daran, aufzugeben, denn die Stadt erwies sich für sie als uneinnehmbar. Doch damit wollte sich Scipio Aemilianus unter keinen Umständen abfinden, er wollte den Ruhm, Numantia in die Knie gezwungen zu haben, auf jeden Fall für sich beanspruchen. Ihm stand ein Heer von 40.000 Mann zur Verfügung, die Stadt konnte lediglich 4.000 Verteidiger aufbieten.

Die Römer hatten eine zusammenhängende Kette von Schanzen – es handelte sich um sieben Lager -, um die Stadt errichtet, um Ausfälle der Kelten zu verhindern und sich vor ihren Angriffen zu schützen. Diese Kette wurde von einem weiteren Befestigungsring eingeschlossen, der verhindern sollte, dass mögliche Entsatzheere den Belagerern in den Rücken fallen konnten.

Außerdem hatte man Wasser angestaut und Wachtürme errichtet, sodass die Stadt hermetisch gegen die Außenwelt abgeschlossen war.

Jugurtha war voller Tatendrang. Er wollte die Sympathie, die ihm das numidische Volk entgegenbrachte, vertiefen, sich der Dankbarkeit einflussreicher Römer versichern, vor allem aber wollte er seinem Vater beweisen, dass er der beste Mann aus dem numidischen Königshaus war und dass Numidien niemals auf ihn verzichten würde können. Und er war fester denn je ambitioniert, eines Tages den Thron in Cirta, der Hauptstadt Numidiens, zu besteigen und die Nachfolge Micipsas anzutreten.

Jugurtha war hochintelligent, besaß Charisma, war dank seiner Abstammung sehr reich, und – er war skrupellos. Lange Zeit waren ihm die Römer und die Götter wohlgesinnt.

Doch er forderte das Schicksal heraus. Und sein Schicksal war eng mit dem meinen verbunden.



Episode 1: Die Belagerung von Numantia

Das Jahr 619 n.G.R. endete und Lucius Calpurnius Piso Frugi sowie Publius Mucius Scaevola wurden vom römischen Volks für ein Jahr zu Konsuln gewählt.

Seit über einem halben Jahr lagen wir nun schon vor Numantia. Es war Frühling, die Natur begann sich wieder grün zu verfärben und die Zugvögel waren aus Afrika zurückgekehrt. Den ganzen Tag über hatten die Katapulte der Römer mit Gesteinsbrocken und Brandsätzen die Stadt beschossen. Da aber der Fluss Durius (das war der Name des Flusses Duero in der Antike) mitten durch Numantia floss, hatten die Stadtbewohner ausreichend Wasser zur Verfügung, um Brände unverzüglich zu löschen.

Als die Nacht anbrach, wurde der Beschuss der Stadt eingestellt. In den Lagern der römischen Legionäre und der verbündeten Truppenverbände wurden Feuer angefacht, die Wachen wurden verstärkt, um Ausbruchsversuche zu vereiteln, die Legionäre und ihre Verbündeten holten sich ihr Essen ab. Für die Zubereitung der Mahlzeiten waren die Männer und Frauen zuständig, die zum Tross gehörten und die an den Kampfhandlungen nicht beteiligt wurden.

Schließlich hatten wir unser Essen hinuntergeschlungen. Wir saßen in einem Kreis um das niedrige Feuer herum, das mitten in dem großen Zelt brannte, in dem Jugurtha untergebracht war. Wenn ich sage ‚wir’, dann ist die Rede von unserem Feldherrn, Jugurtha also, von mir und fünf Offizieren unserer Reiterei. Die lodernden Flammen des Feuers warfen Licht- und Schattenreflexe gegen die Zeltwände, auf den Boden und über unsere Gestalten, das Feuer spiegelte sich in den Augen der Männer wider. Manchmal knackte ein Stück Holz in der glühenden Hitze.

„Lange werden die Krieger in Numantia nicht mehr standhalten“, meinte Jugurtha, indes er versonnen in die Flammen starrte. „Die Stadt ist von jeglichem Nachschub abgeschnitten, und Hilfe von außen hat sie kaum zu erwarten. Selbst wenn es uns nicht gelingt, sie kämpfend einzunehmen – der Hunger wird Avarus dazu treiben, aufzugeben.“

„Ja, das wird so sein“, pflichtete einer der Unterführer Jugurtha bei. „Wenn man alles glauben darf, was uns an Nachrichten aus der Stadt erreicht, dann haben die Stadtbewohner bereits so ziemlich alle Haustiere geschlachtet, um sich und die in der Stadt stationierten Krieger zu ernähren.“

„Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie sich gegenseitig auffressen!“, stieß ein anderer der Unterführer hervor.

„Ja, und schließlich werden sie kapitulieren“, knurrte Jugurtha. „Es ist eine reiche Stadt. Wir werden große Beute machen, und wir werden den Ruhm, sie erobert zu haben, auch für uns in Anspruch nehmen können.“

Vor dem Zelt waren Stimmen zu hören. Gleich darauf erschien einer der Wächter und sagte: „Ein Bote des römischen Feldherrn Scipio Aemilianus möchte dich sprechen, Herr. Er sagt, es sei wichtig.“

„Lass ihn eintreten“, gebot Jugurtha. Der Wächter verschwand wieder nach draußen, und gleich darauf betrat der Legionär das Zelt. Er legte die rechte Faust gegen die Brust, neigte den Kopf und sagte: „Mich schickt der Befehlshaber der römischen Truppen und all ihrer Verbündeten in der Provinz Hispania, Publius Cornelius Scipio Aemilianus. Er bittet dich, Jugurtha, Sohn des Micipsa von Numidien, dich unverzüglich in die Kommandantur zu begeben, um an einer Lagebesprechung teilzunehmen.“ Während er sprach, hatte er die Hand sinken lassen.

„Bestell dem Feldherrn, dass ich mich zusammen mit meinem Vertrauten sofort auf den Weg mache“, sagte Jugurtha. „Die Götter mögen mit ihm sein.“

„Auch dich mögen die Götter behüten“, versetzte der Bote, legte wieder die Faust gegen den Brustpanzer, verneigte sich und verließ das Zelt. Gleich darauf erklangen trommelnden Hufschläge, die verrieten, dass er seinen Weg fortsetzte, um weitere Führer der vor Numantia versammelten Truppen zu informieren.

Jugurtha erhob sich und sein Blick heftete sich auf mich. „Gehen wir“, stieß er hervor. „Es ist niemals gut, einen einflussreichen Römer warten zu lassen.“

Während ich mich auf die Beine kämpfte, legte ein Diener Jugurtha ein weich gegerbtes Gepardenfell um die breiten, muskulösen Schultern. Ein anderer reichte ihm seinen Gürtel mit dem reich verzierten Krummschwert.

Da es ein schönes Stück Weg bis zum Hauptlager mit der Kommandantur war, nahmen wir die Pferde. Die belagerte Stadt lag im Mond- und Sternenlicht, überragt von den Wachtürmen, die sich in regelmäßigen Abständen über die Wehren erhoben. Die Dunkelheit mutete bedrohlich und unheilvoll an. Aus einem Lager in der Nähe waren verworrene Geräusche zu vernehmen; Stimmendurcheinander, Gelächter, Grölen und Johlen, manchmal das girrende Lachen einer Hure, von denen etliche mit dem Tross reisten und die den Kämpfern das Leben ein wenig freudiger gestalten sollten.

Dumpf pochten die Hufe unserer Pferde. Ein süßlicher Geruch schwängerte die Nacht – es war der Geruch der erwachten Natur nach einem strengen Winter. Von irgendwoher erklang der schauerliche Ruf einer Eule. Er galt als schlechtes Vorzeichen und ich verspürte einen leichten Schauder.

Das Hauptlager mutete an wie eine kleine Stadt. Es war rechteckig angelegt worden und besaß zwei Hauptstraßen, genannt Via Principalis und Via Praetoria, die in einem rechten Winkel zueinander verliefen. An den Enden der Straßen gab es zwei bewachte Tore, nämlich das Haupttor Porta Praetoria sowie das hintere Tor Porta Decumana. Dort, wo sich die beiden Hauptstraßen kreuzten, befanden sich das Forum und die Kommandantur. Ein Erdwall friedete das gesamte Lager ein. Die Erde hierfür stammte aus einem etwa einen Meter tiefen Graben, die nach innen aufgeschichtet und deren Außenseite mit Rasenziegeln abgedeckt worden war. Auf der Krone dieses etwa einen guten halben Meter hohen Erdwalls waren Pila Muralia (Schanzpfähle aus zugespitzten Eichenbalken) eingegraben und mit Seilen verbunden worden, so dass ein über einen Meter hoher Palisadenzaun entstanden war.

Wir gaben uns den Wachposten bei der Porta Praetoria zu erkennen und durften passieren. Im Schritttempo trugen uns die Pferde die Lagerstraße hinunter und schließlich erreichten wir das Forum mit der Kommandantur. Hierbei handelte es sich um ein großes Zelt, in dem auch das Fahnenheiligtum, in dem der Legionsadler aufbewahrt wurde, untergebracht war sowie die Legionskasse gelagert wurde.

Auch hier standen zwei römische Legionäre als Wachposten. Wir saßen ab, übergaben die Pferde zwei Knechten, die sofort herbeigeeilt waren, und betraten das Zelt, in dem vier Feuer in eisernen Becken für ausreichend Licht sorgten. An einem großen, rechteckigen Tisch saßen bereits mehrere Offiziere des römischen Heeres und auch einige Feldherren verbündeter Truppen. Am Stirnende des Tisches hatte Scipio Aemilianus Platz genommen, der im Jahr zuvor – unter Umgehung gesetzlicher Vorschriften - zum Konsul gewählt worden und somit bis zum Jahresende erster Feldherr aller römischen Legionen gewesen war.

Es handelte sich um einen zweiundfünfzigjährigen Mann mit scharf geschnittenen Gesichtszügen, der eine bemerkenswerte Karriere hinter sich hatte. Nachdem Rom im Jahre 604 n.G.R. Karthago zum dritten Mal den Krieg erklärt hatte, zeichnete sich Scipio Aemilianus wiederholt durch seinen Scharfsinn und seine Tapferkeit aus, sodass man ihn zwei Jahre später zum Konsul – es handelte sich um sein erstes Konsulat - wählte, obwohl er das gesetzlich vorgeschriebene Mindestalter noch nicht erreicht hatte. Der römische Senat war daran interessiert, dass er das oberste Kommando im Dritten Punischen Krieg übernehmen konnte.

Er eroberte Karthago und zerstörte es bis auf die Grundmauern, was ihm anlässlich seiner Rückkehr nach Rom einen außergewöhnlichen Triumphzug zuteil werden ließ.

Publius Cornelius Scipio Aemilianus, so sein voller Name, dem man den Beinamen ‚Africanus’ verliehen hatte, war in jeder Beziehung ein Aristokrat. Er vermittelte Autorität, strahlte aber auch ein hohes Maß an Ruhe aus, verlieh Sicherheit und man fasste sofort Vertrauen zu ihm.

Während ich einen Schritt zurückblieb, legte Jugurtha die rechte Faust gegen die Brust und grüßte: „Salve, mein Feldherr. Mögen dir die Götter wohlwollend gesinnt sein.“

Scipio Aemilianus lächelte und erwiderte: „Es reicht, wenn mir Mars, der Gott des Krieges, wohl gesinnt ist. Setz dich zu uns an den Tisch, Jugurtha. Dein Begleiter soll bei seinesgleichen warten.“

Auf einigen Fellen in einer Ecke des Zeltes saßen bereits einige Männer. Auf diese Gruppe deutete der Konsul. Für mich war das das Zeichen, mich zu diesen Männern zu begeben und auf einem der Felle niederzulassen.

‚Meinesgleichen’ waren die persönlichen Vertrauten oder Leibwächter der verschiedenen Truppenbefehlshaber, die Scipio Aemilianus zu sich zitiert hatte.

Es dauerte noch einige Zeit, dann traf auch der letzte der hochrangigen Offiziere ein und Scipio Aemilianus begann zu sprechen: „Avarus, der Befehlshaber in Numantia, scheint aktiv zu werden.“ Der Konsul sprach mit präziser Stimme, die jenen zwingenden Klang inne hatte, wie ihn nur die Stimme eines Mannes haben konnte, der es gewöhnt ist, Befehle zu erteilen, anzutreiben, zu fordern, anzuordnen, zu überwachen, zu loben und zu tadeln.

Scipio warf einem der Männer einen auffordernden Blick zu. Ich kannte ihn. Sein Name war Gaius Marius, er war ungefähr Mitte zwanzig, und ich wusste, dass er vom Land kam und dem Ritterstand entstammte. Seine Familie war politisch nie in Erscheinung getreten. Doch während der Belagerung von Numantia hatte Marius sich mehrmals ausgezeichnet und sich die Anerkennung sowie den Respekt Scipios erworben.

Nun erhob er sich und rief: „Ein Überläufer hat uns berichtet, dass Avarus vor drei Nächten einen Mann losgeschickt hat, der bei den Arevakern und Vaccäern eine Armee ausheben soll, mit der er uns in den Rücken fallen, uns ablenken und den Verteidigern der Stadt einen Ausfall ermöglichen möchte. Der Name des Kriegers, den Avarus ausgesandt hat, ist Rhetogenes, und er soll einer der tapfersten und besten Krieger der Kelten in Numantia sein.“

„Wie konnte dieser Rhetogenes unsere Wachen überwinden?“, fragte Jugurtha leicht befremdet.

„Er benutzte als Fluchtweg den Fluss“, versetzte Marius und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: „Er muss ein ausgesprochen guter Schwimmer und Taucher sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass er von unseren Wachposten auf den Türmen zu beiden Seiten des Flusses nicht bemerkt wurde.“

„Er ist in der Zwischenzeit sicher schon über alle Berge“, gab Jugurtha zu bedenken. „Wir werden also abwarten müssen, ob es ihm gelingt, genügend Krieger zu gewinnen, mit denen er es wagen kann, Avarus’ Plan in die Tat umzusetzen. Da Rhetogenes ein sehr durchtriebener Bursche zu sein scheint, heißt es für uns, die Augen offenzuhalten.“

„Das ist mir zu unsicher“, sagte nun Scipio Aemilianus und hielt den Blick auf Jugurtha gerichtet. „Wir müssen den Versuch dieses Rhetogenes, ein Entsatzheer auf die Beine zu stellen, im Keim ersticken.“

Fragend fixierte Jugurtha den Feldherrn.

Scipio Aemilianus fuhr fort: „Ich meine, es darf gar nicht erst soweit kommen, dass sich ein Entsatzheer bildet.“

Der Schimmer des Begreifens lief über Jugurthas scharf geschnittenes Gesicht, das von einer großen, leicht gekrümmten Nase und dunklen, stechenden Augen beherrscht wurde. „Ich verstehe. Rhetogenes muss abgefangen werden, ehe er aktiv wird.“

„So ist es“, stieß nun wieder Marius hervor, und er unterstrich die drei Worte mit mehrmaligem Nicken. „Wir wissen von unserem Informanten, dass er sich bei einem Bauern namens Belenus, der etwa drei Meilen südlich der Stadt am Fluss seinen Hof bewirtschaftet, ein Pferd beschaffen wollte.“

„Er ist längst beritten und irgendwo im Land unterwegs“, gab ein anderer der am Tisch Sitzenden, ein Centurio, zu bedenken.

„Sicher“, versetzte Marius. „Aber er wird dem Bauern verraten haben, zu welcher Ansiedlung ihn sein nächster Weg führen wird, in der er sich erhofft, Kämpfer rekrutieren zu können.“

„Wir müssen lediglich die Zunge des Bauern lockern“, mischte sich Scipio Aemilianus wieder ein. „Und diese Aufgabe sowie die Ausschaltung dieses Rhetogenes möchte ich gerne in deine Hände geben, Jugurtha. Der Grund hierfür ist ein ganz einfacher. Du verfügst über die besten Reiter unserer Armee, ihr seid auf euren Pferden schnell wie der Wind.“

„Wenn es dein Wunsch ist, mein Feldherr, dann werde ich meine besten Reiter und Kämpfer hinter Rhetogenes herschicken. Sie werden zu verhindern wissen, dass der Kelte ein Heer aufstellt, das uns gefährlich werden kann.“

„Die Angelegenheit ist viel zu wichtig, als dass ich sie irgendeinem deiner Offiziere überlassen möchte, Jughurtha“, gab Scipio Aemilianus zu verstehen. „Ich wünsche, dass du die Angelegenheit selbst in die Hand nimmst.“

Jugurthas Gesicht verschloss sich kaum wahrnehmbar, er presste einen Moment die Lippen zusammen, und in seinen Augen blitzte Zorn. Doch er behielt die Gewalt über seine Gefühle und antwortete: „Ich sehe es als besondere Ehre an, mein Feldherr, dass du mich persönlich mit dieser Mission betraust.“

„Nein“, versetzte Scipio und schürzte die Lippen. „Es ärgert dich, dass du einen Auftrag erfüllen sollst, der deiner Meinung nach unter deiner Würde ist. Doch du darfst eines nicht vergessen, Jugurtha: Wir führen seit über zwanzig Jahren Krieg gegen die keltiberischen Stämme Hispanias, die sich gegen die Besetzung ihrer Gebiete durch uns Römer wehrten. Es ist uns auch gelungen, das gesamte Land – abgesehen von Numantia – römischer Hoheit zu unterwerfen und es zu einer römischen Provinz zu machen. Aber es ist nicht so, dass die Kelten damit glücklich sind. Sie hassen uns Römer und würden uns gerne wieder los sein. Ich will damit sagen, dass uns im ganzen Land Feindseligkeit entgegengebracht wird, und so schließe ich nicht aus, dass Rhetogenes Verbündete findet, die ihm den Rücken freihalten. Daher muss die Aufgabe, den Plan Avarus’ und seines besten Kriegers, dieses Rhetogenes, zu durchkreuzen, in absolut verantwortungsvolle Hände gegeben werden. Und der Mann, der dies zu meiner vollen Zufriedenheit erledigen kann, bist du, Jugurtha. Vom Gelingen der Mission hängt viel – sehr viel ab. Ich denke, du verstehst.“

Jugurtha erhob sich, legte die rechte Hand flach gegen seine Brust und deutete eine Verneigung an. „Als ich eben erklärte, mein Feldherr, dass ich mich geehrt fühle, dann war das kein Lippenbekenntnis, sondern ich meinte es genauso, wie ich es sagte. Bei den Göttern – ich werde dich nicht enttäuschen.“

„Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann“, erklärte Scipio Aemilianus und fixierte Jugurtha dabei durchdringend, als versuchte er in dessen Zügen zu lesen. Ich war mir nicht sicher, ob seine Worte ehrlich gemeint waren. Aber ich hatte auch Jugurthas Bekenntnis vernommen und wusste nur zu gut, dass diese Worte geheuchelt waren. Aber Jugurtha war viel zu schlau, um sich durch Widerrede oder gar Ungehorsam die Missgunst des Feldherrn zuzuziehen. Er verfolgte ehrgeizige Pläne, und um sie umzusetzen, musste er sich der Gunst einflussreicher Römer versichern. Und das wichtigste Bindeglied zwischen ihm und dem römischen Senat war im Moment Scipio Aemilianus.

„Wir werden bei Sonnenaufgang aufbrechen“, sagte Jugurtha.

„Schalte Rhetogenes aus“, rief Scipio eindringlich, „und verhindere, dass viele römische Legionäre und Krieger unserer Verbündeten – auch Krieger aus Numidien – den Tod finden. Rom wird es dir danken, die Kunde von deiner Heldentat wird deinen Vater und sein Volk erreichen und man wird dir huldigen und den Namen Jugurtha preisen.“



1

Als im Osten ein gelber Schein über dem Horizont den Sonnenaufgang ankündigte, brachen wir auf. Jugurtha hatte darauf bestanden, dass ich ihn und die kleine Schar, die er ausgewählt hatte, begleitete. Über dem Fluss hingen weiße Nebelschwaden, der Mond stand als dünne Sichel im Südwesten, die Sterne verblassten und die ersten Vögel begrüßten mit ihrem Gezwitscher den Tagesanbruch.

Wir waren vierzehn Reiter. Bewaffnet war ein jeder von uns mit dem Krummschwert, einem Dolch, einer kurzen Lanze sowie Pfeilen und Bogen. Falls es zu einem Kampf kam, hatte jeder zu seinem Schutz einen kleinen, runden Schild am Sattel hängen.

Der Morgen war kühl, die Luft frisch und der Tag versprach klar und warm zu werden. Jugurtha und ich ritten an der Spitze. Die Hufe pochten rhythmisch, das Pochen vermischte sich mit dem Prusten und Schnauben der Pferde sowie dem leisen Klirren der Gebissketten. Wir mussten drei Meilen (mille passus = 1,48176 km) den Fluss hinunter. Das Wasser glitzerte im ersten Licht des Tages wie verflüssigte Bonze.

Wir ritten in Schweigen versunken. Nachdem wir die sogenannte Contravallation, den äußeren Verteidigungsgürtel gegen Angriffe von außen, verlassen hatten, ließen wir die Pferde traben. Es wurde heller, die Natur gewann an Farbe, auf den Gräsern sah man den Tau glitzern.

Die Sonne hatte sich schließlich über den Horizont erhoben, das Grau des Himmels war einem samtigen Blau gewichen, die Wärme nahm zu, erste Mücken stürzten sich auf uns, um uns und die Pferde zu quälen. Je weiter wir uns vom Lager entfernten, desto vorsichtiger wurden wir. Wie Scipio Aemilianus richtig bemerkt hatte: In diesem Land hatten wir nur Feinde. Die Römer hatten es sich mit Waffengewalt unterworfen, und nun unterjochten sie es. Die Steuern, die die Bevölkerung zu zahlen hatte, waren hoch. Wer nicht zahlte – aus welchen Gründen auch immer -, wurde drakonisch bestraft.

Die Gefahr, überfallen und brutal erschlagen zu werden, war allgegenwärtig.

Das Land war hügelig und das Blickfeld begrenzt. Unsere Augen waren dennoch unablässig in Bewegung. Wir blieben aber ungeschoren und schließlich lag das Gehöft vor uns. Auf Jugurthas Befehl hin parierten wir die Pferde und beobachteten das Anwesen. Die Tiere tänzelten unruhig unter uns, prusteten und scharrten mit den Hufen. Eines der Tiere wieherte.

Von dem Bauernhof ging ein friedfertiger Eindruck aus. Aus dem Rauchabzug in dem mit Schilf gedeckten Dach des langgezogenen Wohnhauses stieg dunkler Holzrauch. Auf einer Koppel weideten ein halbes Dutzend Kühe, in einem Pferch waren einige Ziegen und Schafe untergebracht, im Hof badeten Hühner im Staub oder staksten nach Futter pickend herum.

Von den Bewohnern war nichts zu sehen.

„Reiten wir hin!“, stieß Jugurtha im jähen Entschluss hervor. „Nehmt aber eure Schilder zur Hand und zieht die Schwerter. Wir wissen nicht, was uns erwartet.“

Er war argwöhnisch. In einem Land voller hasserfüllter Gegner konnte jeder Fehler tödliche Folgen haben. Daher war äußerste Vorsicht geboten.

Wir nahmen unsere Schilder und zogen die Schwerter. Die Pferde lenkten wir mit den Schenkeln. Voll Anspannung ritten wir auf die Gebäude zu. Und jetzt erst schien man uns zu bemerken. Jemand brüllte voller Entsetzen: „Da kommen Reiter näher! Es sind Berber! Bewaffnet euch!“

Wahrscheinlich hielt man uns für eine streunende Bande von Räubern und Mördern, von denen eine ganze Reihe das Land unsicher machte.

Natürlich waren wir aufgrund unseres Äußeren schon von weitem als Menschen berbischer Abstammung zu erkennen. Jeder von uns trug eine schwarze, am Saum mit farbigen Fäden bestickte Hose, ein langes, ebenfalls schwarzes und bis zu den Knöcheln reichendes Übergewand sowie einen Gesichtsschleier, der unseren Mund verdeckte. Unsere Kopfbedeckung waren Turbane.

Als wir zwischen zwei Ställen hindurch in den Hof ritten, hatten sich die Bewohner in den verschiedenen Gebäuden verschanzt.

Der Hof war groß und staubig. Gackernd flohen die Hühner. Wir trieben die Pferde auseinander und bildeten eine Formation, die sich nach allen Seiten decken und gegebenenfalls auch verteidigen konnte.

Wir wurden in einer Sprache angerufen, die keiner von uns verstand.

„Kommt aus euren Verstecken und zeigt euch!“, gebot Jugurtha in lateinischer Sprache, die er sehr gut beherrschte.

Und in dieser Sprache antwortete ihm nun auch ein Mann. „Wer seid ihr?“, fragte er. „Falls ihr hier seid, um uns zu berauben, so ist das sinnlos. Die Römer haben uns alles weggenommen, wir haben selbst noch kaum etwas zum Leben. Bei uns gibt es nichts zu holen – allenfalls unser Leben.“

„Wir verfolgen einen Mann“, erwiderte Jugurtha. „Sein Name ist Rhetogenes.“

„Nie gehört den Namen!“, behauptete der Mann im Wohnhaus. Er musste neben einer der leeren Fensterhöhlungen stehen, denn seine Worte waren klar und deutlich zu hören.

„Wir gehören zur Armee des Militärtribuns Scipio Aemilianus“, erklärte Jugurtha. „Sicher ist dir bekannt, dass jedwede feindselige Handlung gegen Angehörige Roms mit dem Tode bestraft wird. Dem Tod fällt überdies jeder anheim, der Feinde Roms unterstützt. Also sei vernünftig, komm aus dem Haus und beantworte meine Fragen.“

„Ich glaube dir kein Wort“, versetzte der Bauer. „Verschwindet. Wir sind hier fast zwei Dutzend Männer und Frauen und wir lassen uns von euch räuberischem Gesindel nicht einschüchtern. Auch für Räuberei verhängen die römischen Blutsauger die Todesstrafe. Seht also lieber zu, dass ihr keiner römischen Patrouille in die Hände fallt und lasst uns in Ruhe.“

„Ich bin Jugurtha, der Sohn des Königs Micipsa von Numidien, und Feldherr der in der römischen Provinz Hispania stationierten numidischen Krieger. In meiner Eigenschaft als Gesandter des Militärtribuns Scipio Aemilianus gebiete ich dir, sofort aus dem Haus zu kommen und mir Rede und Antwort zu stehen. Wir wissen, dass sich Rhetogenes bei dir ein Pferd besorgt hat. Lügen ist also sinnlos und du schadest dir damit nur.“

„Hier hast du meine Antwort!“, brüllte der Bauer. Im Fenster zeigte sich eine schemenhafte Gestalt und das Schwirren einer zurückschnellenden Bogensehne war zu vernehmen. Blitzartig, geradezu instinktiv riss Jugurtha den Schild hoch vor seine Brust und sein Gesicht, und mit einem trockenen Schlag bohrte sich ein Pfeil in das Hartholz von etwas mehr als einem Fingerbreit (röm. Längenmaß, genannt digitus = 18,522 mm) Stärke.

Und dann ging alles blitzschnell. Wir sprangen von den Pferden und rannten auf die Türen und Tore der verschiedenen Gebäude zu, in denen sich möglicherweise Menschen versteckt hielten. Ich folgte Jugurtha zum Wohnhaus, durch dessen Fenster unser Anführer beschossen worden war. Die Tür war nur aus ungehobelten, groben Bohlen zusammengenagelt worden. Hinter uns erhob sich wildes Geschrei, Schritte trampelten, ein langgezogener, gellender Aufschrei mischte sich hinein. Jugurtha warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Türfüllung und sie flog krachend nach innen auf. Vom eigenen Schwung getrieben platzte Jugurtha wie von einem Katapult geschleudert in den Raum. Ein Mann stürzte ihm entgegen, in der Hand ein Langschwert, den Arm zum Schlag erhoben. Geschickt wich Jugurtha dem Schlag aus, und mit dem nächsten Atemzug rammte er dem Angreifer sein Schwert mit einer derartigen Wucht in den Leib und durchbohrte ihn, dass die Klinge aus dem Rücken eine ganze Elle weit herausschaute.

Mit einem Ruck riss Jugurtha das Schwert wieder heraus.

Ich hatte mich in der Zwischenzeit an meinem Herrn vorbeigedrängt und widmete mich einem jungen Burschen, der geduckt vor einer Frau und zwei Kindern stand und eine Axt in der Hand hielt. Seine Augen flackerten, seine Mundwinkel zuckten, jeder Zug seines bleichen Gesichts verriet Angst.

„Lass die Axt fallen“, kommandierte ich und streckte den Arm mit dem Schwert aus, sodass die Spitze der Klinge seinen Kehlkopf berührte.

Der Bauer lag reglos am Boden, unter seinem Körper bildete sich eine Lache dunklen Blutes. Jugurtha stieg über ihn hinweg und trat von der Seite an den jungen Burschen heran, der sich nicht entscheiden konnte, ob er meine Anweisung befolgen oder angreifen sollte. Trotz seiner Furcht wirkte er sprungbereit und lauernd. Ein Mann in seiner Situation war unberechenbar, wenn ihn die Panik übermannte. Möglicherweise reagierte er wie ein in die Enge getriebenes Raubtier.

Vom Hof erklang Geschrei.

„Tu, was er sagt“, stieß Jugurtha hervor. „Wir wollen euch nicht töten. Sag uns, was wir wissen wollen, und wir reiten weiter, ohne euch ein Haar gekrümmt zu haben.“

„Mein Vater …“ Der Junge sagte es auf Latein, seine Stimme brach. „Ist er tot?“

In den Augen der Frau an der Wand las ich namenloses Entsetzen. Ihre Lippen bebten, ihre Nasenflügel vibrierten. Sie mochte Mitte dreißig sein, sah aber vorgealtert und verbraucht aus. Sicher war ihr in ihrem bisherigen Leben nichts geschenkt worden.

„Er hat es sich selbst zuzuschreiben“, knurrte Jugurtha. Und an mich gewandt befahl er: „Schaff sie nach draußen. Wir werden sie zum Sprechen bringen.“

Ich verstärkte den Druck mit der Schwertspitze am Hals des Jungen etwas und schrie den Burschen an: „Weg mit der Axt! Oder muss ich dich töten?“

Die Frau sagte etwas in ihrer Sprache, und nun öffnete sich die Hand des Burschen und die Axt fiel auf den gestampften Lehmboden.

„Und nun geht hinaus!“, gebot ich.

Sie setzten sich in Bewegung.

Es handelte sich – entgegen der Behauptung des Bauern - lediglich um vier Männer und fünf Frauen, die unsere Krieger aus ihren Verstecken getrieben hatten. Sie standen mitten im Hof und wurden von unseren Leuten in Schach gehalten. Die Frau, die beiden Kinder und der junge Bursche gesellten sich ihnen hinzu. Jugurtha und ich traten vor die kleine Gruppe hin: „Wohin hat sich Rhetogenes gewandt?“, fragte Jugurtha eindringlich und sein Blick hatte sich regelrecht am Gesicht der Frau verkrallt, die wir im Wohnhaus angetroffen hatten.

„Wir wissen es nicht“, erwiderte sie mit unsicherer Stimme und in einem absolut schlechten Latein, dabei irrte ihr Blick ab und jedem war klar, dass sie log.

„Na schön“, knurrte Jugurtha. „Schlagt ihm den Kopf ab.“ Er wies mit dem Kinn auf den jungen Burschen, den wir im Haus mit der Axt angetroffen hatten.

Sofort packten zwei unserer Krieger den Jungen, zerrten ihn von den anderen weg, drückten ihn nieder, sodass er im Staub kniete, und drückten seinen Kopf nach unten. Ein dritter unserer Männer trat hinzu, stellte sich neben den Heranwachsenden und hob die Hand mit dem Schwert, dessen Klinge im Sonnenschein blitzte.

„Nein!“, keuchte die Frau und fiel auf die Knie nieder, legte die Hände flach aneinander und hob sie in einer flehentlichen Geste. „Verschont meinen Sohn. Bei unserem Allvater Dagda (bei den Kelten der Vater aller Götter) – ich bitte dich, Herr, lass meinen Sohn am Leben. Reicht es nicht, dass du meinen Gatten getötet hast?“

„Warte“, gebot Jugurtha dem Krieger mit dem zum Zuschlagen erhobenen Schwert, dann heftete er seinen Blick auf die Frau, deren Züge nun von Verzweiflung geprägt waren. „Wohin hat sich Rhetogenes gewandt? Beeile dich mit der Antwort, Frau. Wenn ich nicke, verliert dein Sohn den Kopf. Und meine Geduld hat Grenzen.“

„Er ist nach Segontia geritten und möchte dort Krieger rekrutieren, die mit ihm nach Numantia marschieren sollen. Von Segonita aus sollen Boten in die anderen Städte der Arevaker sowie zu den Stämmen der Vaccäer, der Beller, der Lusitanen, Galiciern und Lusonen eilen, um Krieger zu mobilisieren.“

„In Segonita sind doch römische Legionäre stationiert“, gab Jugurtha mit Zweifeln in der Stimme zu verstehen. „Kaum anzunehmen, dass dieser Rhetogenes die Stirn besitzt, sich in die Höhle des Löwen zu wagen. Wenn er dabei ertappt wird, dass er zum Schaden Roms tätig ist, wirft man ihn den Hunden zum Fraß vor.“

„Ja“, pflichtete die Frau bei, „Segonita ist von den Römern besetzt, wie alle anderen Städte auch. Dennoch will Rhetogenes alles daran setzen, um ein großes Heer auf die Beine zu stellen, das die Legionen und ihre Verbündeten vor Numantia vernichten soll.“

„Und ihr habt ihm für dieses verbrecherische Vorhaben Unterstützung gewährt, indem ihr ihm ein Pferd und Ausrüstung überlassen habt. Das ist ein todeswürdiges Verbrechen.“

„Wir wurden nicht gefragt, Herr“, murmelte die Frau mit brüchiger Stimme. „Mein Mann hat ihm das Pferd, den Sattel, Zaumzeug und Proviant gegeben. Und den hast du bereits bestraft.“

Jugurtha dachte kurz nach, dann knurrte er: „Na schön, ich lasse noch einmal Gnade vor Recht ergehen und schone euer Leben. Lasst es euch zur Lehre gereichen. Ein weiteres Mal kommt ihr nicht so billig weg.“

Er gab den beiden Kriegern, die den Jungen zu Boden drückten, ein Zeichen, und sie ließen ihn los und traten zurück. Der Mann, der als Henker fungieren sollte, ließ die Hand mit dem Schwert sinken. Jugurtha rief: „Auf die Pferde! Wir reiten nach Segonita.“

 

 

2

Kaum, dass wir außer Sichtweite des Gehöfts waren, zerrte Jugurtha sein Pferd in den Stand, und als auch der Rest des Trupps die Tiere pariert hatte, rief er: „Sie hat uns angelogen. Ich denke, dass sie sofort ihren Sohn losschickt, damit dieser Rhetogenes einholt und ihn darüber informiert, dass wir seinen Plan kennen und ihn verfolgen. Wir beobachten den Hof, und wenn ich mit meinem Verdacht richtig liege, folgen wir dem Burschen. Er wird uns zu Rhetogenes führen.“

Während wir lagerten, beobachteten zwei unserer Männer den Bauernhof, und tatsächlich meldeten sie schon nach kurzer Zeit, dass ein Reiter im Galopp das Gehöft verlassen hatte. Wir warfen uns in die Sättel und folgten ihm. Sein Pferd hatte im hohen Gras deutliche Spuren hinterlassen. Das Terrain war überdies hügelig und dicht mit Strauchwerk bestückt, sodass es uns nicht schwer fiel, ungesehen zu bleiben. Es gab jedenfalls keinen Hinweis darauf, dass uns der Reiter bemerkt hatte.

Nach einer guten Stunde etwa stießen wir auf einen kleinen Weiler, der aus vier Bauernhöfen bestand. Sie muteten an wie ausgestorben, aber daran, dass in den Koppeln und Pferchen Nutztiere weideten, konnten wir erkennen, dass diese kleine Ansiedlung bewohnt war.

Wir schwärmten aus und nahmen auf Jugurthas Geheiß hin die Schilde und Schwerter zur Hand. Es konnte ein Hinterhalt sein. Im Schritttempo näherten wir uns den ärmlich wirkenden Gebäuden. Als war fast heran waren, traten hinter den Häusern, Ställen, Scheunen und Schuppen Männer hervor; sie waren langhaarig und bärtig, meistens von hochgewachsener, kräftiger Gestalt. Es waren mehr als ein Dutzend, Junge und Alte, und drei von ihnen hielten ein Schwert in der Faust. Die anderen hatten sich mit Dreschflegeln, Mistgabeln oder einfach nur armdicken, soliden Knüppeln bewaffnet.

Die Mienen waren von einer grimmigen Entschlossenheit geprägt.

Ohne ein Wort zu verlieren begannen sie zu laufen, und als sie sich uns auf wenige Schritte genähert hatten, begannen sie schrille, aggressive Schreie auszustoßen, die uns wahrscheinlich erschrecken oder verunsichern sollten.

„Macht sie nieder!“, brüllte Jugurtha und spornte sein Pferd an. Das blinkende Schwert schwingend ritt er einen der Angreifer nieder und als ihm ein zweiter in die Quere kam, spaltete er ihm den Schädel.

Ich schlug mit dem Schwert eine Mistgabel zur Seite, deren Zinken auf meine Brust zustießen, trat nach dem Burschen, der sie mit beiden Händen hielt, und als er stürzte, sprang ich vom Pferd und rammte ihm die scharfe Klinge in den Leib. Aber da sah ich aus den Augenwinkeln einen weiteren Gegner heranspringen, riss das Schwert aus dem zuckenden Leib und wandte mich dem Burschen zu. Er schwang einen soliden Knüppel und hätte mir sicher den Schädel zertrümmert, wenn ich mich nicht im letzten Moment zur Seite geworfen hätte. Aber da donnerte schon Jugurtha auf seinem Pferd heran und enthauptete ihn mit einem wilden Streich. Ein Schwall Blut ergoss sich über mich.

Pferde wieherten, Männer brüllten, die Schwerter klirrten. Die Bauern kämpften zwar wie besessen, aber wir waren im Zweikampf ausgebildet, und so hatten sie keine echte Chance. Es dauerte nur wenige Minuten, dann hatten wir sie niedergekämpft. Nur noch drei von ihnen waren am Leben, und auch sie waren ziemlich übel verletzt worden.

Einer von ihnen sprach Latein. Jugurtha ging bei ihm in die Hocke, ich blieb hinter unserem Anführer stehen, sodass mein Schatten auf ihn und den verwundeten Kelten fiel. Der Mann atmete rasselnd, sein Gesicht war mit dem Blut seiner Gefährten besudelt, das Blut vermischte sich auf seiner Haut mit seinem Schweiß.

„Warum habt ihr uns angegriffen?“, fragte Jugurtha.

Ich wurde abgelenkt, denn jetzt zeigten sich bei den Höfen Frauen und Kinder. Zaghaft näherten sie sich. Ich sah bleiche Gesichter, schreckensgeweitete Augen und zuckende Lippen.

„Wir – wir wollten euch daran hindern, dem Sohn des Belenus zu folgen“, erwiderte der Kelte mit schwacher, kaum verständlicher Stimme. In seinen Augen wütete der Schmerz, in seinem von Wind, Sonne und Regen gegerbten Gesicht zuckten die Muskeln. Mit jedem seiner Herzschläge pulsierte Blut aus der Wunde in seiner rechten Brustseite.

„Was ist sein Ziel?“

„Er – er will Rhetogenes warnen.“

„Zu wem reitet Rhetogenes?“

„Er – er wollte nach … nach …“ Die Stimme des Verwundeten brach und nur noch unverständliches Gemurmel kam über seine trockenen, rissigen Lippen.

Jetzt waren auch die Frauen und Kinder heran, einige unserer Leute aber umstellten sie und einer gebot ihnen, sich auf den Boden zu setzen. Sie gehorchten. Leises Weinen war zu hören.

„Wohin wollte er?“, fragte Jugurtha mit Nachdruck in der Stimme. Er rüttelte den Verletzten leicht, doch der schien ihn nicht mehr wahrzunehmen. Er bäumte sich auf, ein Röcheln stieg in seiner Brust empor und erstickte in seiner Kehle, haltlos fiel er zurück und seine Augen brachen.

Die beiden anderen Verwundeten verstanden kein Latein, und unsere Sprache schon gar nicht. Dasselbe galt für die Frauen. Wir erfuhren also nicht, wo wir Rhetogenes suchen mussten.

Jugurtha ließ die beiden Überlebenden des Kampfes, der uns aufgezwungen worden war, töten, wir brannten den Weiler nieder, um ein Exempel zu statuieren und entschlossen uns, weiterhin der Spur des jungen Belenus zu folgen.

Das Leben der Frauen und Kinder hatten wir verschont. Wir konnten sie auch nicht mit uns nehmen, um sie zu versklaven, denn sie wären uns nur ein Klotz am Bein gewesen.



3

Am Abend erreichten wir einen Fluss, und an seinem Ufer verloren wir die Spur. Wir lagerten. Die Dunkelheit kam schnell. Es war eine klare, kühle Nacht und am Himmel flimmerten Myriaden von Sternen.

Ich lag neben Jugurtha in eine dünne Decke gehüllt am Boden. Wir konnten uns einigermaßen sicher fühlen, denn wir hatten Wachen aufgestellt. Die Pferde hatten wir am Ufergebüsch angebunden, und zwar so, dass sie sowohl grasen als auch saufen konnten.

Tiefe, gleichmäßige Atemzüge und auch leises Schnarchen verrieten mir, dass die Krieger, die lang ausgestreckt um uns herum lagen, schliefen. Als ich einmal zu Jugurtha hinüberschaute, sah ich seine Augen im Sternenlicht glitzern. Er hatte sie also geöffnet, was bedeutete, dass er wach war.

„Warum schläfst du nicht?“, fragte ich leise.

„Ich denke nach“, bekam ich als Antwort.

„Worüber?“

„Ich frage mich, was wir tun, wenn es uns nicht mehr gelingt, die Spur des Knaben aufzunehmen.“

„Darüber habe ich auch schon nachgedacht“, erklärte ich und wälzte mich auf die Seite, sodass ich ihn sah, ohne den Kopf drehen zu müssen. „Darum schlage ich vor, dass wir trotz allem nach Segonita ziehen und die Besatzer dort informieren, dass im Land etwas im Gange ist, dass möglicherweise eine Armee von Keltiberern ausgehoben wird, die den Belagerungsring um Numantia sprengen soll. Von Segonita aus sollen Boten die anderen Garnisonen aufsuchen und sie alarmieren. Uns bleibt dann nichts anderes übrig, als umzukehren und abzuwarten.“

„Scipio Aemilianus wird von mir enttäuscht sein“, verlieh Jugurtha seiner Befürchtung Ausdruck. „Es wird meinen Ruf schädigen.“

„Warum hast du so große Furcht davor, bei den Römern in Ungunsten zu fallen?“, fragte ich, einer jähen Eingebung folgend. Es war in der Tat so: Jugurtha tat alles, um in den Augen der Römer Glanz und Gloria zu verbreiten, und das Schlimmste für ihn war wohl, dass der Eindruck entstehen könnte, er hätte in irgendeiner Hinsicht versagt.

„Ich denke, dass ich die Römer noch brauche“, erwiderte Jugurtha nach kurzer Überlegung. „Darum muss ich mir ihre Sympathien sichern. Männer wie Scipio Aemilianus können eines Tages sehr wichtig für mich sein. Mein Vater ist alt – seine Brüder, mit denen er sich die Herrschaft teilte, sind bereits gestorben. Wenn auch mein Vater stirbt, wird die Herrschaft wieder drei Brüdern obliegen – nämlich Adherbal, Hiempsal und mir. Wobei die beiden einiges dagegen haben werden, dass ich als illegitimer Sohn Micipsas ihnen gleichgestellt werde.“

„Der König hat dich adoptiert“, wandte ich ein. „Damit stehst du im Rang eines legitimen Thronfolgers.“

„Adherbal und Hiempsal haben das nie akzeptiert. Da sie den König jedoch fürchten wagen sie jedoch nicht, dies zu verlautbaren. Sobald aber Micipsas tot sein wird …“

Den Rest ließ Jugurtha offen, doch ich konnte mir an fünf Fingern abzählen, was sein Schweigen zum Ausdruck brachte.

Mir lag die Frage auf der Zunge, ob er dann den Spieß umzudrehen wollte, insofern, als er Adherbal und Hiempsal auszuschalten gedachte und sich hierfür die Rückendeckung der Römer sichern musste. Aber Jugurtha und ich waren nicht nur Freunde. Er war mein Herr, und wenn ich mir ihm gegenüber auch Dinge herausnehmen durfte, die anderen verwehrt waren, so musste ich dennoch akribisch darauf achten, ihn nicht zu verärgern. Sich den Zorn seines Herrn zuzuziehen konnte schnell den Kopf kosten.

In dieser Nacht konnte keiner von uns ahnen, dass bis zu König Micipsas Tod noch fünfzehn Jahre ins Land ziehen sollten. Eine lange Zeit, in der Jugurthas Pläne reifen und sich verfestigen würden. Der Tod des Königs sollte schließlich den Auftakt zu einem Drama darstellen, das Numidien und auch Rom viele blutige Jahre bescheren würde.

Nach einer Zeit des Schweigens sagte Jugurtha: „Dein Vorschlag ist gut. Wir ziehen morgen weiter nach Segonita.“

Als der Tag anbrach, saßen wir wieder auf den Pferden. Stunde um Stunde zogen wir durch die Wildnis. Manches Mal passierten wir Bauernhöfe, Weiler oder kleine Dörfer, doch wir hielten uns nicht mehr damit auf, Fragen zu stellen. Um Ärger aus dem Weg zu gehen machten wir einen weiten Bogen um die jeweiligen Ansiedlungen.

Einige Tage später kamen wir nach Segonita, hielten uns dort ein paar Tage auf und machten uns schließlich auf den Rückweg nach Numantia.

Es war um die hora sexta (sechste Stunde), um die Mittagszeit also, als wir eine Woche später Numantia erreichten. Das Wetter hatte in der Zwischenzeit umgeschlagen. Es war regnerisch und trüb, graue, tiefhängende Wolken bedeckten den Himmel, ein kalter Wind pfiff von Osten her, der hin und wieder Regenschauer mit sich brachte. Der Boden war aufgeweicht und sumpfig und die Pferdehufe sanken tief ein. Wir waren durchnässt, die Übergewänder hingen schwer an uns, unsere Stimmung war auf dem Nullpunkt.

Die Verhältnisse vor Numantia hatten sich in keiner Weise verändert. Wie jeden Tag schleuderten auch an diesem die Katapulte Steinbrocken und Brandsätze über die Wehren in die Stadt.

Wir ritten sofort das Hauptlager mit der Kommandantur an und Jugurtha ließ sich bei Scipio Aemilianus anmelden. Als ihn einer der Wachposten wenig später aufforderte, das Stabszelt zu betreten, saß Jugurtha ab, gab mir einen Wink, ihm zu folgen, und betrat schließlich vor mir das Zelt. Scipio saß in einem schweren Stuhl mit gepolsterten Armlehnen und musterte den numidischen Prinzen voller Erwartung. Bei ihm war Gaius Marius, der Offizier aus dem römischen Ritterstand, der zu einem engen Vertrauten des Konsuls avanciert zu sein schien.

Jugurtha hielt an, legte die rechte Faust gegen die Brust und grüßte: „Salve, mein Feldherr.“

„Auch dir Heil, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit, Jugurtha. Du warst lange fort. Was hast du mir zu melden?“

„Wenig Erfreuliches, mein Feldherr“, antwortete der Numidier. „Ich muss dir gestehen, dass wir die Spur dieses Rhetogenes leider verloren haben.“

Ein Schatten schien Scipio Aemilianus’ Züge zu verdüstern, sein Blick wurde stechend. „Das ist in der Tat keine gute Nachricht“, stieß der Militärtribun hervor.

„Wie konnte das geschehen?“, fragte Marius.

„Man hat uns auf eine falsche Spur gelockt“, antwortete Jugurtha. „Aber wir haben Vorsorge getroffen …“ Jugurtha erzählte von unserem Aufenthalt in Segonita und der Aussendung von Boten in die anderen größeren Ansiedlungen, in denen es römische Garnisonen gab. „Nur in den Städten besteht für Rhetogenes die Möglichkeit, auf die Schnelle ein großes, schlagkräftiges Heer auf die Beine zu stellen“, erklärte er. „Und wenn die Besatzer dort die Augen offenhalten, können sie das im Keim ersticken.“

Scipio Aemilianus begann an seiner Unterlippe zu nagen. Kein Zug in seinem Gesicht verriet, was hinter seiner Stirn vorging. Schließlich war es wieder Marius, der das Wort ergriff, indem er sagte: „Du hast klug und umsichtig gehandelt, Jugurtha. Ja, wenn unsere Offiziere in den Städten nicht schlafen, können sie die Aushebung eines Heeres durch Rhetogenes verhindern. Und sollte ihnen das nicht gelingen, werden sie uns zumindest informieren, dass es ein solches Heer gibt, sodass wir hier Maßnahmen ergreifen können.“

„Dies zu erreichen war meine Absicht“, gab der Numidier zu verstehen. „Und es freut mich, Gaius Marius, dass du meine Entscheidung gutheißt.“ Er heftete den Blick auf Scipio Aemilianus und fuhr fort: „Einmal wurden wir angegriffen. Es waren einige Bauern, die verhindern wollten, dass wir einen Jungen einholen, der auf dem Weg war, um Rhetogenes vor uns zu warnen. Aber wir waren sehr schnell Herr der Situation und haben die Angreifer getötet.“

„Jeder, der die Hand gegen Rom oder seine Verbündeten erhebt, muss sterben“, knurrte der Konsul. „Auch jene, die in Numantia nach wie vor Widerstand leisten, werden sterben oder in die Sklaverei gehen. Es ist sicher nur noch eine Frage der Zeit. Wenn wir richtig unterrichtet sind, dann leiden die Verteidiger der Stadt und die übrige Bevölkerung Hunger. Der Hunger ist unser wirksamster Verbündeter. Irgendwann in nächster Zeit wird er Avarus zur Aufgabe zwingen. Und dann ist die letzte Bastion, die sich der Herrschaft Roms entziehen wollte, gefallen und der langjährige Aufstand der Keltiberer ist mit der Eroberung der Stadt endgültig niedergeworfen. Ich werde im Triumphzug in Rom einziehen.“

„Und wir werden an deinem Triumph teilhaben dürfen, mein Feldherr“, beeilte sich Jugurtha zu sagen. „Meinen Vater wird die Kunde in Numidien erreichen und er wird meinen Namen nur noch mit Stolz aussprechen.“

„So wird es sein, Jugurtha“, versetzte Scipio Aemilianus lächelnd. „Im Übrigen gibt es Neuigkeiten aus Rom zu vermelden. Tiberius Sempronius Gracchus, der Führer der Partei der Popularen, wurde samt seinen Gesinnungsgenossen von Anhängern der Senatspartei erschlagen. Außerdem soll Attalos, der dritte seines Namens und König von Pergamon, im Sterben liegen. Er hat verfügt, dass er nach seinem Tod sein Reich an Rom vererbt.“

„Gracchus ist als Volkstribun mit seinem Plan von einer Landreform, die die Macht der Großgrundbesitzer beschränken und die Lage der Kleinbauern und städtischen Proletarier verbessern sollte, kläglich gescheitert“, gab Marius zu verstehen. „Ob es Gaius Sempronius Gracchus gelingt, die Arbeit seines Bruders erfolgreich weiterzuführen und dessen Absichten durchzusetzen, ist fraglich.“

„Mit dieser Frage brauchen wir uns in unserer Situation auch gar nicht beschäftigen“, sagte Scipio Aemilianus. „Ich will endlich diesen unleidigen Krieg beenden und die Provinz Hispania für alle Zeiten befrieden.“

„Dir dabei jedwede Unterstützung zu gewähren, mein Feldherr, ist mein vornehmlichstes Bestreben“, versicherte Jugurtha. „Kann ich gehen?“

Scipio Aemilianus hob huldvoll die rechte Hand – Zeichen dafür, dass der Numidier entlassen war.

Als wir zu unserem Lager ritten, sagte Jugurtha: „Der Senat Roms vernichtet seine Feinde rigoros und ohne Skrupel. Darum ist es sehr wichtig, den einen oder anderen Senator für sich wohlwollend zu stimmen.“

„Wenn Numantia fällt“, versetzte ich, „wird Scipio Aemilianus in einem feierlichen Triumphzug in Rom als Imperator das Pomerium überschreiten und man wird ihm die Corona Triumphalis aufs Haupt drücken. Alle anderen jedoch, die an seinem Sieg maßgeblich beteiligt waren, so auch du, werden kaum Beachtung finden. Die meisten der Senatoren werden deinen Namen vielleicht hören – ihn aber schnell wieder vergessen. Du bist kein Römer, und daher giltst du in ihren Augen nichts.“

„Ich habe mir sagen lassen, dass es kaum einen Senator gibt, der großen Geldgeschenken abgeneigt ist“, stieß Jugurtha hervor. „Und ich verfüge über Geld – sehr viel Geld. Und ich werde mich nicht scheuen, es einzusetzen.“

Es klang in meinen Ohren wie eine düstere Prophezeiung.



4

Mehrere Wochen verstrichen, ohne dass die Belagerer Numantias auch nur einen Schritt weitergekommen wären. Der Beschuss der Stadt mit den Katapulten erfolgte von früh morgens bis zum Einbruch der Nacht. In den Lagern der Römer wurde schon gemunkelt, dass die Eingeschlossenen ihre Toten kochten und aßen.

Wir schlugen die Tage mehr oder weniger tot, übten uns im Zweikampf mit den verschiedenen Waffen und im Bogenschießen, veranstalteten Reiterspiele und warteten darauf, dass etwas geschah – etwas, das eine Wende dieses täglichen Einerleis einläuten würde.

Scipio Aemilianus war fest davon überzeugt, dass der Hunger die in der Stadt Eingeschlossenen dazu treiben würde, einen Ausfall zu unternehmen und den Belagerungsgürtel zu sprengen, diese Blockade, die Numantia von jedwedem Nachschub abschnitt.

Marius hingegen war skeptisch. Er vermutete, dass Avarus allen Widernissen und Widerständen zum Trotz auf das Entsatzheer wartete, das auf die Beine zu stellen er Rhetogenes ausgesandt hatte.

Die Ungeduld bei der römischen Führung wuchs mit jedem Tag, der verstrich, ohne dass man einen Schritt weitergekommen wäre. An einem regnerischen Tag zitierte Scipio Aemilianus Jugurtha wieder einmal wegen einer Besprechung zu sich. Jugurtha forderte mich auf, mit ihm zu kommen. Bei Scipio war bereits der gesamte Stab des römischen Heeres versammelt. Nach dem Begrüßungszeremoniell und nachdem Jugurtha Platz genommen hatte, erhob Scipio Aemilianus die Stimme, indem er sagte: „Ich will es kurz machen: Ich habe den Entschluss gefasst, Numantia stürmen zu lassen. Wir sind den Kelten – gemessen an unserer Truppenstärke -, um das sieben- oder achtfache, vielleicht sogar um das zehnfache überlegen.“

Da Scipio Aemilianus, während er gesprochen hatte, Jugurtha ansah, fühlte sich dieser aufgefordert, zu antworten. Er sagte: „Unsere Truppen haben bereits mehrere Anläufe unternommen, um die Stadt zu erstürmen, und wir wurden jedes Mal zurückgeschlagen, wobei wir große Verluste an Soldaten und Material hinnehmen mussten. Die Bogenschützen, Schleuderer und Speerwerfer der Kelten verstehen es zu treffen.“

„Ich habe euch, meine Feldherren und Offiziere, zusammengerufen, um mit euch den Schlachtplan zu besprechen, den Gaius Marius und ich beschlossen haben“, gab Scipio zu verstehen. „Der Senat und das römische Volk erwarten einen Erfolg. Seit mehr als zwanzig Jahren führen wir hier in Hispania Krieg gegen die Kelten. Numantia ist das letzte Zentrum des Widerstandes gegen Rom. Die Sache muss endlich abgeschlossen werden, sie muss ein für alle Mal beendet werden. Daher beabsichtige ich, jetzt alles auf eine Karte zu setzen und solange gegen die Wehren der Stadt anzustürmen, bis sie fallen. Ich will nämlich nicht, dass es mir wie Hostilius Mancinus ergeht.“

Ich kannte die Geschichte des Mannes, der vor vier Jahren als Konsul hier in der Provinz Hispania agierte. Er wurde mit seinem Heer von den Kelten in einem Engpass umstellt und schloss, um sich und seine Soldaten zu retten, einen für die Kelten ausgesprochen günstigen Frieden. In Rom erkannte der Senat den Friedensvertrag jedoch nicht an, und es erging der Befehl, den Konsul an den Feind auszuliefern. Doch die Kelten wollten ihn gar nicht. So stand der entmachtete Feldherr, nackt und mit gefesselten Händen, einen ganzen Tag lang vor den feindlichen Linien, bis ihn die Römer zurückholten.

Mancinus überlebte, wurde aber aus dem Senat gestoßen. Außerdem war das Ansehen seiner Familie so nachhaltig beschmutzt, dass kein Hostilier mehr in Rom Bedeutung erlangte.

„Außerdem brennt uns die Zeit unter den Nägeln“, fügte Marius den Ausführungen Scipios hinzu. „Wir haben keine Ahnung, ob es Rhetogenes gelungen ist, ein Heer zu rekrutieren. Falls ja, wissen wir nicht, wie stark es gegebenenfalls ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Kelten einen kaum bezwingbaren Verbündeten haben. Sein Name ist Hass, er ist unberechenbar und gefährlich. Darum muss Numantia fallen, ehe uns Rhetogenes mit einem schlagkräftigen Truppenverband in den Rücken fallen kann. Andernfalls müssen wir uns gegebenenfalls nach zwei Seiten verteidigen, was auf jeden Fall vermieden werden soll.“

„Wir haben die Stadt schon mehrmals im Sturm zu erobern versucht“, wandte Jugurtha ein. „Und jeder Angriff ist kläglich gescheitert. Warum warten wir nicht ab. In der Stadt herrscht schon große Hungersnot. Menschen verhungern, und bald werden Seuchen ausbrechen. Und Avarus wird schließlich nicht umhin kommen, zu kapitulieren. Es würde uns im Gegensatz zu einem weiteren Angriff keine oder nur wenige Soldaten kosten.“

„Ich will nicht länger warten“, versetzte Scipio mit Entschiedenheit im Tonfall. „Die Stadt muss innerhalb des nächsten Monats fallen.“

Er schoss Marius einen auffordernden Blick zu, und Gaius Marius übernahm es sofort, den Feldherrn und Offizieren in der Runde den Schlachtplan im Detail zu erläutern. Er sprach lange und ausführlich und vergaß nichts. Sehr schnell war deutlich geworden, dass Scipio und er sich nicht scheuten, einen hohen Blutzoll zu riskieren, um einen endgültigen Erfolg hier in der Provinz Hispania zu erringen.

Schließlich endete Marius mit der Frage: „Hat jemand Einwände vorzubringen?“ Er schaute herausfordernd in die Runde.

Dieser Mann war noch jung, er stand am Anfang seiner Karriere. Immer wieder hatte ich versucht, ihn einzuschätzen. Und ich hatte mir schließlich ein Bild von ihm gemacht. Er war ein Mann, der in der Lage war, seinen Wünschen und Absichten rigoros Geltung zu verschaffen. Von ihm ging eine starke, zwingende und unduldsame Strömung aus.

Es gab keine Einwände, obwohl jedem der Anwesenden klar sein musste, dass die Aussichten, Numantia in einem erneuten Sturmangriff einzunehmen, gering waren. Aber Scipio war im Dritten Punischen Krieg der Bezwinger Karthagos, nachdem die Karthager unter ihrem Feldherrn Hasdrubal ein Jahr lang verzweifelt Widerstand leisteten. Auf Anordnung des Senats zerstörte er die Stadt bis auf die Grundmauern. Bei seiner Rückkehr nach Rom wurde ihm ein außergewöhnlicher Triumphzug zuteil, und wie sein Adoptivgroßvater erhielt er den Beinamen Africanus. Er musste diesem Erfolg einen weiteren folgen lassen, um den Glorienschein, der ihn umgab, aufrechtzuerhalten. Er befand sich sozusagen in Zugzwang. Und das ließ ihn sämtliche Bedenken über Bord werfen.

Nachdem wir das Stabszelt verlassen hatten und auf dem Weg zu unserem Lager waren, sagte Jugurtha: „Bei dem Angriff auf die Stadt werden nach Scipios Plan zunächst die römischen Legionäre gefordert sein. Unsere Reiterei tritt erst auf den Plan, wenn die Tore Numantias geöffnet sind und es nur noch darum geht, in der Stadt letzte Widerstände niederzukämpfen.“

Nachdem wir ein ganzes Stück geritten waren, erhob er noch einmal die Stimme und sagte: „Scipio ist ein Mann ganz nach meinem Geschmack. Er scheut keine Mittel und Wege, um den Ruf, den er sich erworben hat, aufrechtzuerhalten.“

„Du meinst“, murmelte ich, „ihm ist nichts heilig, wenn es darum geht, sich beim Senat und beim römischen Volk ins rechte Licht zu setzen.“

„Manchmal muss man diesen Weg beschreiten“, versetzte Jugurtha bedeutungsvoll. „Senatus Populusque Romanus - der Senat und das römische Volk – das sind die beiden Größen, in deren Dienst er sich und sein gesamtes Handeln gestellt hat. Denn nur sie können ihn fördern.“

„Das gilt auch für König Micipsa, für dich und für deine Brüder“, versetzte ich.

„Ja, das ist richtig“, gab Jugurtha zu. „Man behauptet zwar, dass nach dem Sieg über Hannibal Masinissas den numidischen Staat errichtet hat, tatsächlich aber ist er eine Schöpfung Roms. Numidien existiert nur kraft römischen Willens, was aber auch bedeutet, dass Rom die Verantwortung für das zu tragen hat, was sich in unserem Land abspielt. Auch mein Vater, der Masinissas nachfolgte, ist nur eine Marionette Roms. Und der, der einmal nach ihm den numidischen Thron besteigt, wahrscheinlich ebenfalls.“

„Wer wird das sein?“, fragte ich und fixierte Jugurthas Gesicht von der Seite.

„Es wird den Göttern obliegen, die richtige Wahl zu treffen. Den Göttern, und – den Römern. Sie werden den Mann fördern, den sie für den besten halten.“

Und das ist ohne Frage der Mann, der sie am meisten beeindruckt, dachte ich, verlieh diesem Gedanken aber keinen Ausdruck. Allzu vorlaute Äußerungen hätten meine Position bei Jugurtha gefährden können. Von der Gesinnung her waren er und Scipio gewissermaßen Brüder.

In den folgenden Wochen waren viele der römischen Legionäre nur damit beschäftigt, unter Anleitung der Fachleute Belagerungstürme, Sturmleitern, Rammböcke und Katapulte zu bauen. Außerdem wurden eine Vielzahl sogenannter ‚Schildkröten’ erstellt, wobei es sich um fahrbare Dächer handelte, in deren Schutz sich die Krieger den Wehren der Stadt nähern konnten.

Schließlich waren die Truppen des Scipio Aemilianus bereit zum alles entscheidenden Angriff. Rund um die Stadt wurden in sicherer Entfernung die Belagerungstürme und Rammböcke aufgefahren, die Katapulte wurden in Stellung gebracht. Im Morgengrauen nahmen die Krieger Aufstellung. Scipio schickte einen kleinen Trupp von Parlamentären zum Haupttor der Stadt und ließ Avarus die letztmalige Chance anbieten, zu kapitulieren.

Keltische Bogenschützen schossen die römischen Boten ohne jede Vorwarnung von den Pferden. „Lieber sterben wir, als Sklaven Roms zu sein!“, brüllte einer der Kelten von der Stadtmauer.

Auf einer Fanfare wurde das Signal zum Angriff geblasen, es setzte sich fort und schließlich war es auch bei den abgelegensten Truppenverbänden angelangt. Die Belagerungstürme und Rammböcke wurden in Bewegung gesetzt. Die Krieger, die sie schoben, waren von den ‚Schildkröten’, mit denen die Belagerungs- und Sturmgeräte versehen waren, geschützt. Weitere Gruppen, die Sturmleitern trugen, rückten auf die Stadt zu.

Unterstützt wurde der Angriff von den Katapulten, die unablässig Felsbrocken und Brandsätze gegen und über die Wehren Numantias schleuderten.

Ein Hagel von Pfeilen schlug unseren Kriegern entgegen. Die wenigsten der Pfeile fanden jedoch ihr Ziel. Sie bohrten sich, ohne Schaden anzurichten, in die Dächer der ‚Schildkröten’ oder in die Schutzwände der Belagerungstürme und Rammböcke. Die Männer, die unter der römischen Standarte kämpften, brüllten, fluchten und feuerten sich gegenseitig an. Und weit hinten, außerhalb des Schusssektors der Bögen, warteten die Sturmtruppen auf ihren Einsatz. Sie hatten in den vergangenen Tagen den Göttern, vor allem Mars, eine Vielzahl von Opfern dargebracht – und in dem Bewusstsein, insbesondere den Kriegsgott gnädig gestimmt zu haben, warteten sie darauf, endlich losstürmen zu dürfen.

Bleich, hager, tückisch und wütend wie ein hungriger Raubvogel schwebte Mors, die Göttin, die den Tod personifizierte, über Angreifern und Verteidigern, und sie würde unerbittlich zuschlagen.

Mors certa, hora incerta – der Tod ist gewiss, seine Stunde ungewiss …



5

Die Angreifer rückten unaufhaltsam näher. Nun schossen die Kelten mit Brandpfeilen, doch die Belagerungsgeräte der Römer waren aus frischem Holz gefertigt, das nicht so leicht anbrannte, außerdem waren sie mit in Wasser eingeweichten Rinderhäuten behängt, sodass die Brandpfeile keine Wirkung erzielten. Als die Angreifer nahe genug heran waren, traten auf den Stadtmauern die Speerwerfer und Schleuderer in Aktion. Bis zu faustgroße Steine knallten gegen die Brustwehren der Belagerungstürme und Rammböcke, Speere bohrten sich mit trockenem Schlag in das Holz und blieben stecken.

Auf den obersten Plattformen der Belagerungstürme, die ein ganzes Stück höher waren als der anzugreifende Mauerabschnitt, befanden sich Bogenschützen. Und sie jagten ihre Pfeile in die Körper der auf den Wehren postierten keltischen Krieger, da die Brustwehren kaum ausreichten, gegen die aus erhöhter Warte verschossenen Pfeile zu schützen.

Felsbrocken krachten mit Wucht gegen die Mauer, zerschellten und Wolken von Staub bildeten sich. Unten waren die Rammböcke bei den Toren und den wenigen Mauerabschnitten angelangt, vor denen es das Gelände ermöglichte, das schwere Gerät heranzuschieben. Die mit schweren Eisenköpfen verstehen Baumstämme knallten gegen die eisenbeschlagenen Tore und die solide errichteten Mauern. Kochendes Wasser und siedendes Pech wurden von der Mauer geschüttet, Felsbrocken, die so schwer waren, dass sie ein Mann alleine nicht heben konnte, wurden in die Tiefe geschleudert.

Der Lärm der Schlacht war frenetisch. Dunkler Rauch ballte sich zu Schwaden und diese hingen über diesem Schauplatz der brutalen Gewalt, gegen diesen Strom anzuschwimmen es kaum einem der Beteiligten möglich war.

Die ersten Rammböcke und Belagerungstürme begannen zu brennen. Noch mehr Rauch entwickelte sich. Grässliche Todesschreie verschmolzen mit dem übrigen Lärm.

Die untere Plattform eines jeden Turms, die sogenannte Sturmebene, hatte die Höhe der Mauerkrone. Sobald der Belagerungsturm die gegnerische Mauer erreicht hatte, wurde eine Klappe nach unten gelassen, die auf der Mauerkrone auflag, und die auf der Plattform verharrenden Kämpfer konnten die Wehrgänge erstürmen, während die Bogenschützen auf der oberen Plattform weiterhin auf die Verteidiger schossen.

In der Zwischenzeit waren auch Sturmleitern angelegt worden und die ersten Kämpfer stiegen sie behände nach oben. Aber die Kelten hatte lange Stangen bereitliegen, mit denen sie die Leitern von der Mauer wegdrücken und umstoßen konnten. Die Männer auf der Leiter hatten keine Chance und stürzten zu Tode.

Mors hielt grausame Ernte; unersättlich in ihrer Gier holte sie sich Kelten und Römer und die Krieger der Verbündeten Roms.

Jugurtha, seine Offiziere und ich beobachteten alles aus sicherer Entfernung. Die Pferde unserer Krieger waren gesattelt und gezäumt und jeder unserer Männer befand sich bei seinem Pferd. Unsere Reiterei wäre innerhalb weniger Sekunden marschbereit gewesen.

Aber die Tore und Mauern der Stadt hielten stand, die Legionäre, die von den Belagerungstürmen aus auf die Stadtmauer gelangten, wurden regelrecht abgeschlachtet. Die Kelten kämpften mit dem Mut der Verzweiflung, ihre Frauen, Kinder und Alten löschten eifrig die Brandherde in der Stadt, und ich begann mich zu fragen, wessen Götter die Stärkeren waren; die der Römer, oder die der Kelten.

Stunde um Stunde verstrich, vor der Stadtmauer häuften sich die Toten, ihr Blut tränkte die Erde, dazwischen standen die Gerippe verbrannter Belagerungstürme und Rammböcke. Brenzliger Geruch hing in der Luft und Schwärme von Fliegen stürzten sich auf blutigen Leichen.

Und das gegenseitige Abschlachten nahm kein Ende. Mors war allgegenwärtig.

„Ich habe es geahnt“, murmelte Jugurtha immer wieder. „Aber ich habe Scipio gewarnt. Warum sollte diesem Angriff Erfolg beschieden sein, nachdem alle anderen Angriffe vorher scheiterten? Nur weil Scipio und Marius von der Idee, die Stadt endlich einzunehmen, besessen sind?“

Was sollte ich darauf antworten? Er hatte recht, und mein Schweigen war nichts anderes als eine Bestätigung seiner Aussage. Es war der Irrsinn brutalster Gewalt – der Tribut, den Scipio seinem Geltungsbedürfnis zu zollen hatte, war ein hoher, und ich begann mir schon auszumalen, wie er als in Ungnade gefallener Heerführer degradiert, nackt und mit gefesselten Händen – wie einige Jahre zuvor Hostilius Mancinus -, vor dem Haupttor Numantias stand und darauf wartete, dass ihn sich die Kelten holten, um ihm ein schändliches Ende zu bereiten, indem sie ihn ihren Göttern opferten.

Die Dunkelheit kam, die Fanfaren erschallten und die Kampfhandlungen wurden eingestellt. Die Männer, die den ganzen Tag gekämpft und getötet hatten, zogen sich blutend und am Ende ihrer Kräfte zurück und suchten ihre Lagerplätze auf.

Ein Bote Scipio Aemilianus’ erschien in unserem Lager und forderte Jugurtha auf, zur Lagebesprechung bei dem römischen Feldherrn zu erscheinen. Jugurtha gebot mir, ihn zu begleiten. Als wir das Zelt Scipios betraten, herrschte dort eine fast fiebrige Unruhe. Einer der hohen Offiziere, ein Tribunus militaris, rief: „Soeben haben unsere Späher gemeldet, dass Rhetogenes mit einem Keltenheer von Nordosten her im Anmarsch ist.“

Mir entging nicht Jugurthas Betroffenheit. Er warf mir einen geradezu entsetzten Blick zu. Um seine Fassungslosigkeit zu überspielen fragte ich: „Wie weit ist dieses Keltenheer noch entfernt? Und – wie stark ist es?“

„Zweieinhalb Tagesmärsche“, antwortete der Tribun. „Bezüglich der Truppenstärke konnten die Späher keine Auskunft geben. Sie waren von der Vorhut der Kelten aufgestöbert worden und mussten fliehen.“

Scipio rief grollend: „Die Maßnahmen, die du eingeleitet hast, Jugurtha, um zu verhindern, dass uns Rhetogenes mit einem schlagkräftigen Heer in den Rücken fällt, waren scheinbar nicht ausreichend.“

Der Vorwurf in seiner Stimme war nicht zu überhören. Es klang wie eine Anklage.

Jugurthas dunkle Augen funkelten ärgerlich und sein Gesicht mutete nach der Rüge wie versteinert an. Doch er hielt sich eisern unter Kontrolle und stieß hervor: „Vielleicht habe ich Fehler gemacht, mein Feldherr. Gib mir Gelegenheit, sie wieder auszumerzen, und lass mich mit meinen Kriegern Rhetogenes und seinem Heer entgegenreiten.“

„Du kennst die Truppenstärke nicht“, gab Marius zu bedenken.

„Wir werden ihren Vormarsch zum Stoppen bringen“, versicherte Jugurtha, „und sie festnageln. Sollten sie uns derart überlegen sein, dass wir uns nicht auf den Kampf mit ihnen einlassen können, dann werde ich dich um Verstärkung bitten, mein Feldherr.“

„Ein guter Vorschlag“, lobte Marius.

Scipio kaute auf seiner Unterlippe herum und fixierte Jugurtha mit unergründlichem Blick. Schließlich nickte er: „Ja, das finde ich auch. Doch solltest du dieses Mal jedweden Fehler vermeiden. Ich muss dir sicher nicht sagen, dass wir uns in dieser Situation keine Fehler leisten können.“

In seinen Worten hatte eine nicht zu überhörende Drohung gelegen.

Jugurtha legte die Faust an die Brust und verneigte sich. „Ich werde dich nicht enttäuschen, mein Feldherr.“



6

Wir brachen am frühen Morgen des folgenden Tages auf und ritten zwei Tage nach Nordosten. Die Nacht verbrachten wir zwischen Felsen. Nachdem wir am Morgen des dritten Tages aufgebrochen und etwa anderthalb Stunden geritten waren, kamen zwei Krieger unseres Spähtrupps zurück, der sozusagen unsere Vorhut bildete.

„Wir haben das – Heer gesehen“, meldete einer der Männer, nachdem wir angehalten hatten und die beiden Späher Jugurtha ehrfurchtsvoll gegrüßt hatten. Er hatte seiner Stimme einen ziemlich spöttischen Klang verliehen.

Es war Jugurtha nicht verborgen geblieben. Er kniff die Augen etwas zusammen. „Was hat es mit dem Heer auf sich?“

„Es ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen Halbwüchsiger, und es handelt sich allerhöchstens um vierhundert Mann. Rhetogenes führt sie an. Man kann ihn leicht erkennen unter der Schar, die ihm folgt. Denn er ist der einzige, dem ein Bart gewachsen ist.“

Der Bote grinste fast belustigt.

„Wie weit sind sie noch entfernt?“, fragte ich.

„Sie werden in einer Stunde etwa hier sein.“

„Führt uns“, stieß Jugurtha entschlossen hervor. „Wir legen ihnen einen Hinterhalt und zwingen sie, die Waffen zu strecken. Und dann bringen wir das – hm, Heer zu Scipio.“

„Wenn das wirklich alles ist, was Rhetogenes auf die Beine zu stellen in der Lage war“, sagte ich, „dann wird das Avarus sicherlich zum Nachdenken anregen. Und wenn er begreift, dass er von außen keine Hilfe mehr zu erwarten hat, gibt er vielleicht auf.“

Die beiden Späher zerrten die Pferde herum und ritten an. Jugurtha gab den Befehl, den Marsch fortzusetzen. Rund um eine staubige Senke, durch die Rhetogenes mit den rekrutierten Männern kommen musste, verbargen sich schließlich unsere Leute, nachdem wir etwa eine halbe Stunde marschiert waren. Unsere Reiterei bestand aus fünf Hundertschaften, und so waren wir den Kelten allein schon zahlenmäßig überlegen. Ganz zu schweigen von der Kampferfahrung. Denn das, was sich uns näherte, waren – wenn man den Spähern glauben durfte – alles andere als kampferprobte Krieger. Sie waren wohl kaum den Kinderschuhen entwachsen.

Unsere Geduld wurde auf keine allzu lange Probe gestellt, dann kam die Vorhut der Kelten, eine Gruppe von etwas zwanzig Reitern, und wenig später zog der Rest des Heeres, angeführt von einem älteren Krieger, in die Senke. Die Hufe der Pferde rissen kleine Staubwolken in die Luft. Das Pochen der Hufe, das sich zu einem monotonen Rumoren vermischte, rollte vor ihnen her. Schließlich befand sich das gesamte Heer in der Mulde, um die herum wir auf den Anhöhen unsere Reiter im Schutz der Felsen postiert hatten.

Die Bewaffnung der Jünglinge war mehr als dürftig. Die einen trugen Schwerter, andere lediglich einen Speer. Schilde waren fast überhaupt nicht zu sehen. Ebenso wenig trugen die Burschen Kettenhemden beziehungsweise Panzer oder Helme.

Diese halben Kinder in einen tödlichen Kampf gegen tausende von römischen Legionären zu führen war lächerlich und verantwortungslos. War es diesem Rhetogenes denn egal, dass er sie in den sicheren Tod führte?

Ich dachte nicht länger darüber nach. Sie waren unsere Feinde, und ihnen Gefühle wie Mitleid oder Nachsicht entgegenzubringen, wäre fehl am Platz gewesen.

Jugurtha stieß einen Pfiff aus, der sich fortpflanzte und durch die Reihen unserer Reiter ging, bis ihn auch der letzte Krieger erreicht hatte. Es war das Zeichen, in Erscheinung zu treten. Unsere Leute trieben ihre Pferde aus der Deckung der Felsen. Viele hielten die Bogen schussbereit, andere ihre Speere, einige hatten auch nur die Schwerter gezogen. Für die Kelten musste es ein erschreckendes Bild von vernichtender Stärke und tödlicher Entschlossenheit sein, das sich ihnen bot.

Der Zug in der Senke kam zum Stehen, aufgewirbelter Staub senkte sich auf die Erde zurück.

Die Kelten waren eingekreist. Unwillkürlich griff Rhetogenes nach dem Langschwert an seiner linken Seite. Seine Rechte verkrampfte sich um den Griff der Waffe, sein unruhiger Blick schweifte über die Kämme der Anhöhen ringsum. Dabei drehte er sein Pferd auf der Stelle.

Bei den Kelten wurden Rufe laut, in den Zug geriet Unordnung, manche der Jünglinge griffen zu den Waffen.

Jugurtha wandte sich an die kleine Gruppe von Kriegern, die so etwas wie unsere Leibwache bildete. Er rief drei Namen, die Männer trieben ihre Pferde nach vorn und vernahmen Jugurthas Befehl: „Fordert Rhetogenes in meinem Namen und im Namen Roms auf, die Waffen kampflos zu strecken. Und erklärt ihm, dass er keine Zeit hat, über meine Forderung nachzudenken. Entweder bedingungslose, unverzügliche Kapitulation – oder wir schicken ihn und all diese jungen Leute in dieser Mulde in den Tod.“

Die drei Reiter setzten ihre Pferde in Gang und galoppierten in die Senke. Rhetogenes wandte sich ihnen zu und zog mit einem Ruck sein Schwert. Dann trieb er sein Pferd an und ritt den drei Parlamentären Jugurthas entgegen.

Ich warf einen schnellen Seitenblick in Jugurthas Gesicht und mir entging nicht die Anspannung, die jeden seiner Züge prägte.

Rings um die Senke verharrten unsere Krieger auf ihren Pferden, eine tödliche Bedrohung für die Kelten verströmend.

Wie würde sich Rhetogenes entscheiden?

Auch ich verspürte immense Anspannung.



Episode 2: Die Kapitulation

Unsere Gesandten und Rhetogenes trafen aufeinander und zerrten ihre Pferde in den Stand. Nachdem sie kurze Zeit verhandelt hatten, stieß Rhetogenes sein Schwert in die Scheide, unsere Krieger nahmen ihn zwischen sich und geleiteten ihn in unsere Richtung. Eine Pferdelänge vor uns hielten sie an und einer unserer Krieger sagte: „Das ist Rhetogenes von Numantia. Er möchte mit dir persönlich über seine Kapitulation sprechen, mein Herr.“

Jugurtha musterte sekundenlang den Kelten, erforschte ihn und schätzte ihn ein, und fragte schließlich: „Bist du der lateinischen Sprache mächtig?“

Rhetogenes nickte. „Seid ihr Gefolgsleute der Römer?“

„Ich bin Jugurtha von Numidien, Sohn von König Micipsa, und einer der rechtmäßigen Nachfolger des Königs. Ja, wir kämpfen auf der Seite der Römer. Du wurdest von deinem Feldherrn mit dem Auftrag ausgesandt, ein großes Heer zu aktivieren und gegen Rom in den Krieg zu führen, um Numantia zu entsetzen. Ist das alles, was dir auf die Beine zu stellen gelungen ist?“

Rhetogenes kniff einen Moment lang verbittert die schmalen Lippen zusammen, dann antwortete er: „Ich konnte die Angehörigen der verschiedenen Stämme nicht für einen Feldzug gegen Rom gewinnen. Lediglich in Lutia, der Hauptstadt der Lusonen, hat sich mir die Schar junger Leute, die du in der Senke siehst, angeschlossen.“

„Es kommt also kein größerer Truppenverband mehr hinter euch her?“, erkundigte sich Jugurtha lauernd.

„Nein. Aber die jungen Krieger sind bereit zu kämpfen und – zu sterben.“

„Den Tod können sie haben“, versetzte Jugurtha ohne die Spur einer Gemütsregung. „Schau dich um, Rhetogenes.“ Der Numidier vollführte eine umfassende Armbewegung. „Denkst du nicht auch, dass es für euch besser wäre, die Waffen zu strecken?“

„Auch das würde ihren Tod bedeuten“, versetzte der Kelte. „Jedwede Auflehnung gegen Rom wird mit dem Tod bestraft.“

„Ich werde Scipio Aemilianus bitten, ihr Leben zu schonen“, versicherte der Jugurtha.

„Dann schickt man sie in die Sklaverei, und das wäre noch viel schlimmer als der Tod“, wandte Rhetogenes ein.

Jugurthas Gesicht verschloss sich, ein Schatten schien darüber hinwegzuziehen. „Bist du es nicht gewesen, der sie wie eine Hammelherde zur Schlachtbank geführt hat? Sei dir im Klaren darüber - du bist nicht in der Situation, um irgendwelche Bedingungen zu stellen. Also entscheide dich. Aufgabe oder Tod.“

„Gestattest du, dass ich noch einmal mit meinen Kriegern spreche?“

Jugurtha drehte den Kopf ein wenig und schaute mich fragend an. „Gib mir einen Rat, Freund Gulupsa.“

„Wir sind Herr der Situation“, gab ich zu verstehen. „Wenn er noch einmal zu ihnen spricht entscheiden sie sich vielleicht, der Vernunft zu folgen und ergeben sich. Es würde alles vereinfachen.“

Jugurtha konzentrierte sich wieder auf Rhetogenes. „In Ordnung. Überzeuge die Jünglinge. Sag ihnen, dass sie weder Gnade noch Erbarmen erwarten dürfen, wenn sie den Kampf wählen.“

„Ich kann nichts versprechen“, versetzte Rhetogenes und zog sein Pferd um die linke Hand, trat es in die Flanken und es trabte schließlich davon.

Einige Pferdelängen vor der Truppe aus Lutia parierte er das Tier, dann wehte seine Stimme an unser Gehör, doch was er sprach konnten wir nicht verstehen. Allein schon deshalb nicht, weil wir der hiesigen Sprache nicht mächtig waren.

Plötzlich teilte sich das kleine Heer der Keltiberer auf und bildete vier Blöcke, die sich in die vier Himmelsrichtungen ausrichteten. Dabei nahmen die jungen Krieger ihre Waffen zur Hand, und es war offensichtlich, dass sie sich für den Kampf entschieden hatten.

„Diese Dummköpfe!“, brach es aus Jugurthas Kehle. Dann gab er den Befehl, vorzurücken. Es dauerte eine Weile, bis die Anordnung durch war, dann aber setzten unsere Reiter ihre Pferde in Bewegung und der Kreis, den sie um die Keltiberer bildeten, zog sich enger und enger zusammen.

Und dann zischten die Pfeile unserer Bogenschützen durch die Luft, zogen ihre lautlose Bahn und fanden ihr Ziel. Einige Dutzend der jungen Krieger stürzten von den Pferden, die nervös zu werden begannen, auf der Stelle tänzelten und unruhig mit den Schweifen peitschten. Wiehern erhob sich, Stöhnen und Röcheln vermischte sich damit, und ehe die Eingeschlossenen zur Besinnung kamen, schwirrten die nächste Pfeilsalve auf sie zu. Wieder bäumten sich die Getroffenen auf und kippten aus den Sätteln, und die Unruhe in den Gruppen verstärkte sich. Pferde stiegen auf die Hinterhand, andere brachen zusammen, am Boden wälzte sich ein Durcheinander von Pferden und Kriegern. Der Lärm verdoppelte sich und wehte auseinander wie eine Botschaft von Untergang und Verderben.

Einige der jungen Krieger trieben wild ihre Pferde an und stoben den numidischen Reitern entgegen, schwangen wild ihre Waffen und stießen unartikulierte Schreie aus. Die meisten anderen aber warfen ihre Waffen fort und bemühten sich, ihre scheuenden Pferde zu beruhigen.

Jene Krieger, die angriffen, kamen nicht weit. Die Pfeile unserer Männer rissen sie regelrecht von den Pferden.

Ein Reiter löste sich aus dem chaotischen Haufen und stob auf uns zu. Sein Pferd zog eine wallende Staubwolke hinter sich her.

Es war Rhetogenes. Bei uns angelangt riss er sein Pferd derart brutal zurück, dass das Tier auf der Hinterhand einbrach und gequält wieherte. Doch der Kelte hatte das Tier sehr schnell wieder unter Kontrolle und rief: „Wir geben auf! Du hast es gesehen: Meine Männer haben ihre Waffen weggeworfen.“

„Packt ihn!“, befahl Jugurtha und einige der Reiter, die sich bei uns befanden, sprangen sofort von den Pferden, um den Befehl auszuführen. Rhetogenes wurde aus dem Sattel gezerrt und entwaffnet, dann wurden ihm die Hände auf den Rücken gefesselt.

Jugurtha brüllte einige Befehle und Kuriere stoben davon, um sie an unsere Offiziere zu übermitteln.

Die Jünglinge mussten sich von ihren Pferden trennen. Unsere Leute trieben sie am Rand der Senke zusammen, jedem wurde ein Seil um den Hals gelegt und jeweils zehn Mann wurde auf diese Weise aneinander gebunden. Das Stück Seil zwischen jedem der jungen Krieger hatte eine Länge von allenfalls einem Gradus (= 74,088 cm).

Dann mussten sich die Keltiberer in Marschordnung aufstellen. Immer zehn Mann, die zusammengebunden waren, in einer Linie und in Vierreihe. Ein Block bestand also aus vierzig Kriegern. Insgesamt waren es neun Blöcke, wobei der neunte Block nur noch aus zweiundzwanzig Männern bestand. Unsere Reiter bewachten die Gefangenen.

In der Zwischenzeit befanden wir uns – die Rede ist von Jugurtha, mir und dem kleinen Gefolge von Leibwächtern -, auch in der Senke. Ungefähr fünfzig der Jünglinge hatten den Tod gefunden, wurde uns gemeldet. Jene, die so schwer verwundet waren, dass sie nicht marschieren konnten, ließ Jugurtha an Ort und Stelle töten.

Rhetogenes stand gefesselt bei dem Trupp, zu dem Jugurtha und ich gehörten. Jugurtha wandte sich an mich und gebot: „Lass ihn zwischen uns und seine Krieger bringen. Ich will an ihm ein Exempel statuieren. Diese Dummköpfe sollen sehen, dass wir nicht das geringste Vergehen gegen Rom durchgehen lassen. Rhetogenes soll vor den Augen der Jünglinge seinen Kopf verlieren.“

Ihm zu widersprechen wäre sinnlos gewesen. Er nahm niemals einen Befehl zurück. Daher saß ich ab, winkte einigen unserer Krieger und erteilte die entsprechenden Befehle. Rhetogenes wurde gepackt und weggezerrt. Er bettelte nicht um sein Leben, flehte nicht um Gnade. Aber der Blick, den er Jugurtha über die Schulter zuwarf, war von grenzenlosem Hass getränkt.

Zwischen Jugurtha und seinen Leibwächtern und dem Trupp der Gefangenen wurde Rhetogenes auf die Knie niedergedrückt. Ich konnte ihn nur von hinten sehen. Er hielt das Haupt stolz erhoben, seine Schultern waren gestrafft. Dieser keltische Krieger zeigte nicht die geringste Schwäche. Ein bemerkenswerter Mann, der nun einen völlig sinnlosen Tod sterben sollte.

Die Blicke aller waren auf ihn gerichtet. Die Gefangenen schwiegen. Eine unheilvolle Anspannung hing über der Senke, in der das Blut einiger Dutzend junger Keltiberer im Staub versickerte und die zum Schauplatz des Sterbens eines der berühmtesten Keltiberer werden sollte – des Sterbens von Rhetogenes, dem man heldenhaften Mut nachsagte und der einer der besten Krieger war.

Aber Rom kannte keine Kompromisse – und Jugurtha gab sich römischer als so mancher Römer. Dabei spielte es keine Rolle, dass es ausschließlich der Eigennutz war, der ihn leitete. Er hatte ein Ziel, und das verfolgte er mit allen Mitteln, und ich hielt sein Handeln für legitim. Nur die Ehrgeizigen konnten gewinnen – und ein naher Verwandter des Ehrgeizes waren Skrupellosigkeit und Unbarmherzigkeit.

Einer unserer Männer trat mit gezogenem Schwert neben Rhetogenes. Er wartete auf mein Zeichen. Ich nickte, er hob das Schwert, und ich nickte erneut. Die breite, gebogene Klinge blitzte im Sonnenlicht und flirrte durch die Luft, Blut spritzte in den Sand, der Kopf von Rhetogenes kippte vom Hals und der Körper fiel nach vorn. Sein Herz schien noch zu schlagen, denn aus dem Halsstumpf pulsierte dunkel das Blut des Kelten.

Entsetztes Stöhnen ging durch die Reihen der jungen Keltiberer.



1

Wir waren auf dem Marsch. Die Sonne brannte heiß auf uns hernieder, um uns herum war staubige, steinige Wildnis, in der nur Eidechsen und Schlangen überleben konnten. Die Vegetation bestand aus hartem Gras, anspruchslosem Dornengestrüpp und vereinzelten knorrigen Korkeichen.

Die Gefangenen mussten laufen. Ihre Pferde trieben einige unserer Reiter. Den Umgang mit Pferden waren wir Berber gewohnt. Zugleich mit dem Laufen erlernten unsere Kinder das Reiten. Unsere Leute wohnten selten in Städten oder Dörfern; dementsprechend gering war in unserem Land die Anzahl der Städte und kleinen Ansiedlungen. Es gab innerhalb unseres Volkes kein richtiges Stammeswesen. Die größte soziale Einheit war die Großfamilie, und nur in Zeiten der Not schloss man sich zusammen. Diese Verbindungen gingen jedoch nach Ende der Krise wieder auseinander.

Die jungen Lusonen taumelten bald nur noch dahin, Schweiß tropfte aus ihren Haaren, die zerrissenen Lumpen, die sie am Leib trugen, waren durchgeschwitzt. Das Gestein zu beiden Seiten unseres Weges speicherte die Hitze und strahlte sie wieder ab. Die Luft schien zu kochen, die Temperatur war sengend.

Die Gefangenen, die zwischen zwei Reitergruppen marschierten, mussten den von den vor ihnen reitenden Kriegern aufgewirbelten Staub schlucken. Er kroch unter ihre Kleidung und scheuerte auf der Haut, verschloss die Poren, knirschte zwischen den Zähnen und entzündete die Augen.

Ich drosselte manchmal das Tempo meines Pferdes und ließ mich zurückfallen, beobachtete den traurigen Zug aus willenlos dahinwankenden Männern und las in den verzerrten Gesichtern die Qualen und die große Not jedes einzelnen.

Hin und wieder brach einer zusammen. Sofort war einer unserer Reiter da und peitschte auf ihn ein, bis er sich wieder auf die Beine gekämpft hatte und sich weiterschleppte. Es gab aber auch welche, die nicht mehr auf die Beine kamen. Sie wurden losgeschnitten und einfach liegengelassen. Wir überließen sie ihrem Schicksal. Erst würde sich Mors um sie kümmern, dann die Geier und Wölfe, und am Ende würden ihre Knochen in der Ödnis bleichen.

Nach stundenlangem Marsch erreichten wir einen schmalen Fluss. Die Gefangenen durften trinken, sich Staub und Schweiß abwaschen und eine halbe Stunde ausruhen.

Wir versorgten unsere Pferde, dann füllten wir unsere Wassersäcke. Auch wir wuschen uns die Gesichter und aßen trockenes Fladenbrot und getrocknetes Fleisch, dazu tranken wir Wasser.

Wir marschierten bis zum Abend. Als am folgenden Morgen der Tag anbrach, trieben wir die Gefangenen wieder in die Höhe. Viele von ihnen wollten einfach nicht mehr aufstehen. Die Peitschen unserer Reiter machten sie gefügig. Es berührte uns nicht, dass offensichtlich jeder Schritt für sie eine Tortur war, dass jede Bewegung Überwindung kostete, die ihren ganzen Willen erforderte.

Mir war klar, dass diese halben Kinder gebrochene Menschen sein würden, wenn sie diesen Gewaltmarsch überlebten.

„Warum lässt du sie nicht reiten?“, fragte ich irgendwann am dritten Tag Jugurtha.

Er blickte starr nach vorn, als er erwiderte: „Es sind unsere Feinde. Ihnen Mitleid entgegenzubringen könnten die Römer – könnte Scipio Aemilianus als Schwäche auslegen. Unabhängig davon: Sie sind mit Rhetogenes gezogen, um gegen uns zu kämpfen und so viele wie möglich von uns zu töten. Keiner von denen wäre uns mit Nachsicht oder Mitleid begegnet. Also schonen wir sie auch nicht.“

„Unter diesen Umständen werden nicht viele von ihnen in Numantia ankommen“, wagte ich einzuwenden. „Hast du schon einmal daran gedacht, dass Scipio Aemilianus die Gefangenen möglicherweise als Druckmittel einsetzen will? Wenn kaum noch welche am Leben sind, wird das kaum gelingen.“

„Gib dir keine Mühe, Gulupsa. Die Gefangenen laufen. Aber ich will ihnen entgegenkommen: Von nun an legen wir alle zwei Stunden eine kurze Pause ein, sie bekommen zu trinken, und wir werden sie auch, so weit es uns möglich ist, mit Essen versorgen. Du hast recht. Die Gefangenen sind vielleicht von Wert. Und Scipio könnte verärgert sein, wenn ich diesen Faustpfand leichtfertig aufs Spiel setze.“

Einmal mehr führte mir Jugurtha vor Augen, dass er akribisch abwog, was gut war für sein Ansehen bei den Römern und was seiner Reputation schaden konnte. Er war eiskalt und berechnend, und er plante nicht nur kurzfristig.

Numantia sollte ein wichtiger Meilenstein auf seinem Weg zur Macht in Numidien sein. Männer wie Scipio sollten ihm Hindernisse, die sich ihm in den Weg

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: (C) ALFRED BEKKER CASSIOPEIAPRESS
Bildmaterialien: F. Tüshaus mit Steve Mayer
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2017
ISBN: 978-3-7396-9928-8

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