von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 799 Taschenbuchseiten.
Männer im Kampf um Recht und Rache - neun knochenharte Western Romane. Stories aus einer Zeit, in der der Colt regierte und die Luft bleihaltig war.
Dieses Buch enthält folgende neun Romane:
Ritt zum Galgen
Lady in Blei
Virginia City Showdown
Die Eisenbahnräuber
Farley und die Rancherin
Das heiße Spiel von Dorothy
Entscheidung am Salt Lake
Die Rache der McCory-Brüder
Der Geächtete
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
postmaster@alfredbekker.de
Eine Handvoll Gunslinger überfällt eine Bank in einer kleinen Rinderstadt - und damit beginnt ein Trail der Gewalt.
„Hände hoch! Keiner bewegt sich!“
Die drei Männer waren mit Halstüchern maskiert. Einer von ihnen hielt eine Winchester im Anschlag, die beiden anderen fuchtelten mit ihren Revolvern herum.
Die Männer hatten sich einen günstigen Zeitpunkt für ihr Vorhaben gewählt: Morgens früh, kurz nach Öffnung der Bank. Dann konnte man davon ausgehen, dass nur wenige Kunden am Schalter anstanden.
Jetzt standen dort – ziemlich verängstigt – zwei Frauen und ein Mann – und der war noch nicht einmal bewaffnet.
Dem schon etwas älteren Kassierer wurde eine Tasche hingehalten.
„Alles Bargeld einpacken!“, kam der kurze, schroffe Befehl. „Beeil dich!“ Der Kassierer war so nervös, dass ihm die Tasche erst einmal auf den Boden fiel. Einer der Bankräuber spannte den Hahn seines Revolvers und dieses Geräusch veranlasste den Kassierer zu größerer Vorsicht.
Sorgfältig packte er die Scheine in die Tasche.
„Schneller!“
„Da kommt jemand!“
„Das hat uns noch gefehlt!“
Die Tür ging auf. Ein Mann trat ein, aber noch ehe dieser die Situation richtig erfasste, hatte er den Kolben der Winchester auf den Hinterkopf bekommen und sackte betäubt zu Boden.
„Mann, wir müssen weg!“
„Los, Alter! Beeil dich mit dem Scheine einpacken!“
„Lass gut sein. Da ist genug drin!“
Dem Kassierer wurde die Tasche mit dem Geld aus den Händen gerissen.
Dann stürmten die drei Maskierten – noch immer mit schussbereiten Waffen – zur Tür hinaus.
Aber da war niemand, um sich ihnen in den Weg zu stellen. Sie schwangen sich auf ihre Pferde, die sie vor der Bank angebunden hatten, und preschten davon.
Als die drei Reiter einige Meilen scharf geritten waren, verlangsamten sie das Tempo. Die Halstücher hatten sie längst fallen gelassen.
„Besonders viel war’s diesmal nicht“, meinte einer von ihnen. Er hieß Sam Field, hatte pechschwarze Haare, einen schmalen Oberlippenbart und einen so dunklen Teint, dass man ihn fast für ein Halbblut halten konnte.
„Dafür ist es leicht verdientes Geld!“, meinte George Malcolm, ein hochgewachsener, fast schlaksiger Mann, dessen Haare bereits etwas angegraut waren und dessen hageres Gesicht ein kühnes Profil zeichnete.
„Glaubt mir, ich habe schon für viel weniger sehr viel schwerer arbeiten müssen!“ Malcolm lachte heiser. „Wir brauchten da nur hinein zu spazieren und das Geld abzuholen. Keiner, der sich in den Weg gestellt hat, weit und breit nicht einmal die Ahnung eines Colts, der auf dich angelegt wird!“ Er spuckte aus. „Das sind doch Arbeitsbedingungen, wie man sie sich nur erträumen kann.“ Er blickte nun zu dem dritten Reiter. „Was meinst du, Luke? Haben wir einen Grund, uns zu beklagen?“ Luke Harris hatte den schwarzen, breitkrempigen Hut tief ins Gesicht gezogen, seine Züge waren finster.
„Wenn ihr mich fragt, dann solltet ihr nicht soviel quatschen! Man hat bestimmt inzwischen schon einen Suchtrupp zusammengestellt, der die Verfolgung aufgenommen hat.“ Er spuckte aus. „Vielleicht solltet ihr daran mal ein paar Gedanken verschwenden …“
„Du bist humorlos, Luke!“, brummte Sam Field.
„Ich möchte etwas von meiner Beute haben!“, entgegnete Harris. „Nichts weiter.“
„Niemand kennt uns“, meinte Field. „Wir können in der nächsten Stadt in den Saloon gehen und unsere Beute vertrinken, ohne behelligt zu werden!“ Er lachte. „Und in der Zwischenzeit durchstreift der Suchtrupp die Gegend.
Ist das nicht eine seltsame Vorstellung?“
„Ich kenne den Sheriff“, sagte Harris. „Matthews soll früher mal ein tüchtiger Mann gewesen sein, aber er ist in die Jahre gekommen. Jetzt macht er nur noch Dienst nach Vorschrift.“ Er schüttelte entschieden den Kopf. „Ein besonderes Risiko wird der Mann nicht eingehen …“
Als die drei Reiter nach Three Little Rocks kamen, war die Sonne bereits dabei, als blutrote Scheibe hinter dem Horizont zu versinken. Von ihren Verfolgern hatten die drei nichts zu sehen bekommen.
Jetzt waren sie so gut wie sicher. Three Little Rocks war zwar nicht gerade eine Großstadt, aber doch groß genug, um dort untertauchen zu können.
„Es gibt fünf Hotels in Three Little Rocks!“, meinte Sam Field.
„Ich kenne sie alle – aber nur von außen, denn ich hatte nie genug Geld um in einem von ihnen zu übernachten.“
„Schätze, das hat sich jetzt geändert!“, setzte George Malcolm hinzu und Field nickte.
„Wo mieten wir uns ein, George? Bei McDermot? Oder bei Wilder & Griffith?“
„Jeder von uns wird sich unabhängig in einem Hotel einmieten!“, mischte Harris sich ein. „Nicht mehr lange, und Sheriff Matthews wird mit seinen Männern in Three Little Rocks auftauchen und überall nach drei Männern fragen. In den nächsten Tagen werden wir uns aus dem Weg gehen, soweit das möglich ist. Es ist besser, wenn man uns nicht zusammen sieht …“
Seit zwanzig Jahren war John Matthews der Sheriff von Rawlins. Man hatte ihm den Job damals angetragen, weil er schnell genug mit dem Colt gewesen war, um ein paar schießwütige Revolverhelden aus der Stadt zu jagen.
Das war Matthews’ erste und bisher einzige Heldentat gewesen. Rawlins war eine sehr kleine und ziemlich arme Gemeinde, die sich einen Deputy nicht leisten konnte. Aber Matthews hatte keine Probleme damit gehabt, den Job allein zu verrichten. In der Gefängniszelle, die sich in einem Gebäude mit seinem Büro und der Sheriffwohnung befand, fanden hauptsächlich betrunkene Cowboys eine Möglichkeit, ihren Rausch auszuschlafen.
Seit damals, als Matthews zum Sheriff gemacht worden war, hatte es in Rawlins kaum ein Ereignis gegeben, das der Erwähnung wert gewesen wäre – bis zum heutigen Tag, an dem man die Bank um einen guten Teil ihres Bargeldes erleichtert hatte!
Ein paar Hühnerdiebe, Streitigkeiten zwischen Ranchern um einen Wasserlauf, Cowboys, die ihren Lohn im örtlichen Saloon vertranken und anschließend über die Stränge schlugen – das waren die Dinge, mit denen sich Matthews in den letzten Jahren vornehmlich beschäftigt hatte.
Eigentlich hatte er den Job nur ein paar Jahre machen wollen, um sich dann etwas anderes zu suchen. Er hatte keinesfalls vorgehabt, in einer Stadt wie Rawlins alt zu werden. Schließlich gab es anderswo mehr zu sehen, Aufregendes zu erleben …
Aber es war anders gekommen.
Matthews hatte unterdessen einen Bauchansatz bekommen, und seine Haare waren mehr und mehr ergraut.
Ich werde alt!, durchfuhr es ihn – nicht zum erstenmal! – während er an der Spitze des Suchtrupps daherritt, die Augen angestrengt auf den sandigen Boden gerichtet, um dort nach Hufspuren zu suchen. Mit der Linken hielt er die Zügel seines Rappen und als er mit der Rechten den Colt berührte, den er im Holster trug, überlegte er: Ich bin ziemlich aus der Übung mit dem Ding!
Sicher, er war vermutlich immer noch schneller als die meisten Cowboys der Umgegend. Aber würde es noch ausreichen, um es mit den flüchtigen Bankräubern aufzunehmen?
Ich weiß nichts über sie!, durchzuckte es ihn. Vielleicht sind es nur dahergelaufene Strauchdiebe aus der Umgegend, die sich einmal an einem ehrgeizigeren Ziel versucht haben; ehemalige Cowboys vielleicht, die ihren Job verloren haben.
Dann war er ihnen überlegen, auch wenn seine letzte und einzige Bewährungsprobe schon zwanzig Jahre zurücklag.
Aber was, wenn es sich um Profis handelte? Leute, deren Geschäft es war zu schießen …
John Matthews hatte dieses Gefühl jahrzehntelang nicht gekannt, aber jetzt kroch es ihm kalt den Rücken hinauf: die Angst!
Ich darf nicht an mir selbst zweifeln!, versuchte er sich einzureden.
Er wusste, dass die Erwartungen hoch waren, die die Bürger von Rawlins an ihn stellten. Sie warteten von ihm, dass er mit den Bankräubern kurzen Prozess machte, so wie er es damals mit den Revolverhelden gemacht hatte…
Aber er wusste nicht, ob er immer noch der Matthews von damals war.
„Sieht so aus, als wären sie in Richtung Three Little Rocks geritten!“, brummte Matthews, nachdem sein geübtes Auge die Spuren studiert hatte.
„Glaubst du, die reiten einfach so in die Stadt hinein, gehen in einen Saloon, mieten sich ein Hotelzimmer …?“
Das war O’Conner, dem der Drugstore von Rawlins gehörte und der mit Rechnungen und Bilanzen sicherlich um einiges besser umgehen konnte als mit der hoffnungslos veralteten Büchse, die in seinem Sattelholster steckte.
„Warum sollten sie nicht?“, fragte Matthews. „Sie waren maskiert, niemand hat sie erkannt, die Zeugenaussagen zu ihrer Kleidung sind so unpräzise, dass sie fast auf jeden passen!“
Der Sheriff schüttelte den Kopf. „Tja, wenn die Kerle morgen bei dir in den Drugstore kämen, um sich Proviant für eine längere Reise zu besorgen – es würde dir nichts Ungewöhnliches auffallen!“
„Wir müssen sie kriegen!“, meinte O’Conner kämpferisch.
Der Tatendrang bei dem sonst eher stillen und zurückhaltenden Kaufmann wunderte Matthews nicht. Schließlich gehörte ein guter Teil der Bankeinlagen ihm.
Nicht mehr lange und die Sonne wird untergehen!, überlegte der Sheriff dann. Und wenn die Nacht erst angebrochen war, würden die Männer kaum noch die Hand vor Augen sehen können …
Plötzlich empfand Matthews die Anwesenheit des Suchtrupps als äußerst unangenehm. Er konnte nicht sagen, weshalb eigentlich; ob O’Conners Ungeduld dieses Gefühl in ihm ausgelöst hatte oder ob es an etwas anderem lag …
Der Gedanke an ein Versagen, an eine Niederlage gegen die Bankräuber, von denen sich die Spur möglicherweise irgendwo verlieren würde, hatte ihn bereits den ganzen Weg über geplagt.
Aber wenn diese Männer, die ihn jetzt begleiteten, wenn sie ihm auch kaum eine wirkliche Hilfe sein konnten, die ihm all die Jahre über vertraut hatten, Zeugen seiner Niederlage würden …
Es schauderte Matthews bei diesem Gedanken, und er beschloss, die Männer nach Hause zu schicken.
Die Dämmerung hatte sich wie grauer Spinnweben über das Land gelegt, während die gerade hinter dem Horizont verschwundene Sonne ihre letzten Strahlen aussandte.
Zwei Stunden war es her, seit Matthews die Männer fortgeschickt hatte, und nun lag Three Little Rocks vor ihm.
Er wusste, dass die Bankräuber hier waren. Er hatte die Hufspuren ihrer Pferde bis hierher verfolgt. Nun allerdings vermischten sie sich mit denen von unzähligen Reitern, Fuhrwerken und auch Fußgängern …
Wahrscheinlich werde ich unverrichteter Dinge zurück nach Rawlins reiten müssen!, erkannte John Matthews realistisch die Möglichkeiten, die er in dieser Sache hatte. Aber alles in ihm sträubte sich gegen diesen Gedanken.
In Three Little Rocks führte ihn sein Weg zunächst zu Buddy Silverman’s Saloon, denn dort vermutete er um diese Zeit seinen Freund Ed Norman, den hiesigen Sheriff.
Als Matthews sein Pferd angebunden und die Schwingtüren passiert hatte, musste er jedoch feststellen, dass Sheriff Norman noch nicht dort war. Dafür saß an der Theke – mit hochrotem Kopf und schon ziemlich betrunken – ein anderer Bekannter. Matthews ließ sich einen Whisky geben und gesellte sich zu dem Zecher.
„Hallo, Sam“, sagte er, während er das Glas hob und ihm zuprostete.
Sam Field rülpste ungeniert. Als er sich dann nach Matthews umsah, wankte er zunächst etwas nach hinten, und dann traten ihm die Augen aus den Höhlen und quollen hervor, als wollten sie in kürzester Zeit die Größe von Billardkugeln erreichen.
„Sie, Sheriff?“ Sam Field rülpste nochmals. „Was machen Sie denn hier?
Sie sind doch Sheriff in Rawlins, wenn ich mich nicht irre …“ Dann kicherte er.
„Sie irren sich nicht, Sam …“
Der Alkohol ist immer Fields Problem gewesen, überlegte Matthews. Daran schien sich nichts geändert zu haben.
Field hatte früher einen Job auf der Saunders-Ranch, ganz in der Nähe von Rawlins, gehabt. Niemand anderes als der gutmütige Jake Saunders hätte einem notorischen Säufer wie Sam Field einen Job gegeben. Seine Gutmütigkeit brachte Saunders ein paar Jahre später in Geldschwierigkeiten, und leider waren die Menschen, mit denen er zu tun hatte, weit weniger großzügig als er es ihnen gegenüber gewesen wäre. Saunders machte Pleite, seine Ranch wurde versteigert, und natürlich hatten die neuen Besitzer kaum ein Interesse daran, einen Mann wie Sam Field für sich arbeiten zu lassen, der manchmal morgens schon so betrunken war, dass er unmöglich auf einem Pferd sitzen konnte …
Danach hatte Matthews Field aus den Augen verloren. Es musste ihm verhältnismäßig gut gehen, dachte Matthews, als er die Flasche näher betrachtete, die vor Field auf der Theke stand. Champagner aus Frankreich… Diese Flasche hatte einen langen Weg hinter sich, bis sie in den Regalen von Buddy Silverman’s Saloon gelandet war. Und ihr Preis musste auf diesem Weg zu einer stolzen Summe angewachsen sein!
„Sie können sich so etwas leisten, Sam?“
„Klar, kann ich. Warum auch nicht?“ Er zog eine Grimasse, suchte an seinem Glas zu nippen und goss sich statt dessen den Inhalt übers Hemd.
„Haben Sie Arbeit?“
Auf einmal war Field ganz ruhig, seine Glupschaugen bildeten sich zurück, und er schien für einen Moment fast nüchtern zu sein.
Natürlich hatte er keine Arbeit, Matthews brauchte Fields Antwort gar nicht abzuwarten.
„Aber Sie haben genug Geld, um sich einen solchen Tropfen leisten zu können!“
Da war ein Unterton in Matthews’ Stimme gewesen, der Sam Field mit einem Mal vorsichtiger werden ließ. Er hob die Augenbrauen, verzog die Gesichtsmuskeln und rieb sich an den Schläfen.
„Warum wollen Sie das wissen, Sheriff?“
Anstatt ihm eine Antwort zu geben, packte Matthews ihn mit der Rechten am Kragen, während er mit der Linken einen Packen von Geldscheinen aus Fields zerschlissener Jacke holte.
Matthews knallte das Geld vor Field auf den Schanktisch. Es wurde von einem Papierstreifen der Bank von Rawlins zusammengehalten.
„Sehen Sie sich das an, Sam!“, schrie Matthews, während die anderen Gespräche im Schankraum mehr und mehr verstummten, verhieß Matthews’ aufgebrachter Ton doch möglicherweise ein interessantes Schauspiel, das niemand versäumen wollte!
„Das ist mein Geld!“, sagte Field schwach.
„Ach, ja? Wirklich Ihr Geld, Sam?“ Matthews packte ihn erneut beim Kragen. „Sehen Sie sich den Packen genau an! Diese Scheine kommen von der Bank in Rawlins!“
„Na und? Ich habe sie dort abgehoben!“
„Ich wette mit Ihnen um tausend Dollar, Sam, dass Sie in Rawlins nie ein Bankkonto besessen haben!“
„Ich …“
„Es ist doch mehr als merkwürdig: In Rawlins wird die Bank ausgeraubt und wenig später taucht Geld, das eindeutig von dort stammt, bei einem Herumtreiber auf!“
Wenig später war Sheriff Norman im Saloon aufgetaucht. Field wurde festgenommen und würde die Nacht im Stadtgefängnis von Three Little Rocks verbringen.
„Willst du ihn morgen schon nach Rawlins überführen, John?“, fragte Ed Norman, nachdem er die Zelle sorgfältig abgeschlossen hatte. Field schimpfte ungehalten vor sich hin. Nicht mehr lange, und er würde friedlich seinen Rausch ausschlafen.
„Es waren drei Männer, die unsere Bank überfallen haben“, erklärte Matthews. „Wenn Field einer der beiden ist, dann fehlen mir noch zwei.“
„Und du vermutest, dass sie sich ebenfalls hier in Three Little Rocks aufhalten?“
„Ja.“
Norman zuckte mit den Achseln.
„Die Männer waren maskiert. Dass du Field geschnappt hast, war ein reiner Glückstreffer …“ Er legte Matthews eine Hand auf die Schulter. „Deine Chancen stehen nicht gut, John.“
„Ich weiß. Aber wenn ich mich davon hätte abschrecken lassen, wäre ich längst umgekehrt und zu Haus, so wie die anderen Männer des Suchtrupps.
Ich hätte Field nicht bekommen.“ Er schüttelte energisch den Kopf. „Es ist einfach nicht mein Stil, schon im Voraus aufzugeben.“
George Malcolm hatte sich bei Wilder & Griffith eingemietet. Von seinem Zimmer aus hatte man einen guten Blick auf die Hauptstraße von Three Little Rocks, und Malcolm hatte sich einen Stuhl ans Fenster gestellt, sich eine teure Zigarre angezündet und beobachtet, was auf der Straße vor sich ging.
So früh am Morgen war dort allerdings noch kaum etwas los. Malcolm nahm einen tiefen Zug an seiner Zigarre und blies anschließend genüsslich den Rauch in die Luft. Es war ein gutes Gefühl, die Taschen voller Geld zu haben.
Plötzlich klopfte es.
Malcolms Rechte ging automatisch zum Revolver.
„Ich bin’s: Luke Harris!“
„Komm rein, Luke!“
Die Tür ging auf, und Harris trat herein. Er schien aufgeregt.
„Was gibt’s?“
„Ich war gestern Abend in Buddy Silverman’s Saloon!“
„Jetzt ist Mittag“, sagte Malcolm, während sie das Gefängnis auf der anderen Straßenseite beobachteten. „Alle, bis auf einen Deputy, sind zum Essen gegangen! Auf einen günstigeren Zeitpunkt können wir nicht hoffen!“ Harris lockerte den Revolver in seinem Holster.
Sie nahmen die Pferde bei den Zügeln, überquerten die staubige Straße und machten sie dann vor dem Gefängnis fest.
Es waren drei Pferde.
„Los! Bringen wir die Sache hinter uns!“, zischte Malcolm.
Dabei zogen sie sich die Halstücher über Mund und Nase, rissen die Tür auf und stürzten mit gezogenen Waffen ins Sheriffbüro.
Der wachhabende Deputy las gerade Zeitung. Es dauerte kaum den Bruchteil einer Sekunde, und er hatte die Situation erfasst.
Seine Hand glitt zum Revolverholster, und er schaffte es sogar noch, die Waffe herauszureißen und auf die Eindringlinge zu richten.
Doch dann donnerten zwei Schüsse aus kurzer Entfernung. Der Deputy sackte blutüberströmt in sich zusammen.
„Schnell!“, sagte Harris. „Die Schlüssel!“
Malcolm ging zum Fenster und beobachtete die Straße.
Nicht mehr lange, und sie würde sich mit Menschen füllen, die den Schuss gehört hatten.
Indessen hatte Harris den Schlüssel vom Haken genommen und war zu den Gefängniszellen gegangen. Sam Field war inzwischen einigermaßen nüchtern. Er hielt sich den Kopf und riss ungläubig die Augen auf, als Harris die Zellentür öffnete.
„Hey …?“
„Los, mach jetzt! Wir haben nicht viel Zeit! Deinen Kater musst du woanders auskurieren!“
Als Field wenig später den toten Deputy sah, wurde er bleich.
„Das war Mord!“, rief er. „Dafür wird man uns aufhängen!“
„Quatsch nicht!“, schimpfte Harris.
„Aber …“
„Wir hatten keine andere Wahl, Sam!“
Harris ging zu dem Toten hin und schnallte ihm mit einiger Mühe den Revolvergurt ab. Dann nahm er ihm den Colt aus den um den Griff verkrallten Fingern und steckte ihn in das zugehörige Holster.
„Hier, Sam! Nimm das! Du wirst es noch brauchen!“
„Los, raus jetzt!“, rief Malcolm, der noch immer am Fenster stand.
Mit gezogenen Revolvern stürmten sie ins Freie, zu den Pferden. Ein paar Leute hatten sich angesammelt und starrten ungläubig auf das, was vor ihren Augen geschah.
„Weg da!“, schrie Harris und gab einen Warnschuss ab, woraufhin die – größtenteils unbewaffneten – Bürger etwas zurückwichen. Die drei Männer schwangen sich auf ihre Pferde (wobei Field zunächst einige Schwierigkeiten hatte, überhaupt in den Sattel zu kommen), gaben ihnen die Sporen und preschten davon.
Harris gab noch einige ungezielte Warnschüsse ab.
Matthews und Norman hatten die Schüsse gehört und waren ins Freie gestürmt.
Sie sahen, dass vor dem Gefängnis ein Menschenauflauf entstand. Drei Männer – zwei von ihnen maskiert, bei dem dritten handelte es sich um Sam Field – ritten davon.
Matthews überlegte nicht lange, sondern nahm sich ein in der Nähe angebundenes Pferd und machte sich an die Verfolgung. Zunächst holte er etwas auf, und als er glaubte, nahe genug an den Flüchtenden heran zu sein, zog er den Revolver und feuerte ein paar Schüsse ab.
Die Flüchtenden schossen zurück, aber keine der abgefeuerten Kugeln traf ihr Ziel.
Erneut wurde hin und her geschossen, mehr auf gut Glück denn gezielt.
Ein Schrei drang dann an Matthews’ Ohren, und er dachte: Einen hat’s erwischt!
Er konnte nicht erkennen, wer von den Flüchtenden getroffen worden war, denn alle drei hingen sie tief vorgebeugt in ihren Sätteln, um möglichst wenig Zielfläche abzugeben.
Auf dem Boden sah Matthews Blut.
Er schoss (ohne allerdings ein zweites Mal zu treffen) einen Revolver leer, steckte ihn dann ins Holster zurück und versuchte verzweifelt, sein Pferd noch mehr anzutreiben.
Doch zusehends wurde der Abstand zwischen ihm und den Flüchtenden größer. Das Pferd, das er sich genommen hatte, war offensichtlich alles andere als ein ausgesprochenes Rennpferd. Mehr und mehr wurde Matthews deutlich, dass das Tier die Grenzen seiner Möglichkeiten erreicht hatte. Die Flüchtenden wurden immer kleiner und kleiner, verschwanden schließlich hinter einem Hügel, um dann noch einmal kurz aufzutauchen, bevor der Horizont sie verschluckte.
„Sie haben Deputy Jenkins erschossen!“, eröffnete Ed Norman Matthews, als dieser wenig später nach Three Little Rocks zurückkehrte. „Sie haben ihn einfach über den Haufen geschossen!“
„Sie werden nicht weit kommen!“, meinte Matthews. „Ich habe einen von ihnen erwischt.“
Er stieg aus dem Sattel und zog seinen Revolver aus dem Holster, um ihn nachzuladen. „Wenn ich ein besseres Pferd gehabt hätte, dann hätte ich sie gekriegt!“ Matthews ballte innerlich die Faust. Er war so nahe dran gewesen, er hatte sie fast in seiner Hand gehabt …
„Sie haben einen Vorsprung, John. Aber keinen, den man nicht einholen könnte!“ Norman wandte sich an die umstehenden Bürger.
„Wir stellen einen Suchtrupp zusammen! Jeder, der sich daran beteiligen will, bekommt einen Blechstern und wird als Deputy vereidigt!“
„Kein Suchtrupp!“, erwiderte Matthews. „Es reicht völlig, wenn wir beide uns auf den Weg machen!“ Matthews dachte an seine eigenen Leute aus Rawlins, die er nach Hause geschickt hatte. „Wir verlieren zuviel Zeit …“, meinte er schwach.
„Hier bin ich der Sheriff, John!“, gab Ed Norman unmissverständlich zurück. „Und ich sage, dass ein Suchtrupp gebildet wird!“
Die Hügel wurden zunehmend flacher. Die Flüchtenden durchquerten ein kleines Waldgebiet und gelangten dann auf flaches Grasland.
„Wie geht es, Luke?“, fragte George Malcolm besorgt. Er sah das blutverschmierte Hemd, das Luke Harris auf dem Leib trug, und wusste, dass seine Frage eigentlich überflüssig war. Harris hatte eine Kugel in den Rücken bekommen, und es stand außer Frage, dass er so schnell wie möglich ärztliche Betreuung brauchte.
„Es tut verdammt weh …!“, hauchte Harris schwach. Er hing vornüber gebeugt auf seinem Pferd und keuchte.
„Was machen wir jetzt, George?“, rief Sam Field. Die letzten Reste seines Vollrausches vom vergangenen Tag waren verflogen und hatten nackter Furcht Platz gemacht. „Sag doch, was wir tun sollen! Man wird uns längst auf den Fersen sein!“
„Halt’s Maul!“
„George, ich weiß nicht, ob du dir darüber klar bist …!“
„Halt’s Maul!“, schimpfte Malcolm noch einmal. „Wenn du dir gestern über einige Dinge besser im Klaren gewesen wärst, wenn du dich etwas besser unter Kontrolle gehabt, oder wenigstens nur in deinem Hotelzimmer für dich getrunken hättest, dann wäre das alles nicht passiert!“ Das war natürlich richtig, und Field wusste das ebenso gut wie Malcolm. Es blieb Field nichts anderes übrig, als seinen Ärger, seine Verzweiflung – und vor allem seine Angst – herunterzuschlucken.
„Wir dürfen jetzt auf keinen Fall den Kopf verlieren!“, mahnte Malcolm.
„Das wäre das Schlimmste, was wir tun könnten!“
„Dann sag doch verdammt noch mal, was wir tun sollen!“ Field fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht. Alles war wie ein schlechter Traum.
Aber aus diesem Traum konnte es kein Erwachen geben. Es war alles Wirklichkeit … Gestern noch hatte er sich wie ein König gefühlt, mit seinen Taschen voller Geld, heute schon fühlte er sich erbärmlicher denn je. Wie oft hatte er im Straßengraben gelegen, betrunken und nicht mehr fähig, sich auf den Beinen zu halten. Er hatte die üblen Späße ertragen müssen, die die Kinder mit ihm trieben, wenn er so hilflos dalag und vor sich hinlallte. Aber all das erschien ihm im Rückblick als Zuckerschlecken, wenn er an sein gegenwärtiges Befinden dachte.
Malcolm musterte Field kühl. Ihm war klar, was mit dem Gefährten los war.
„Nun mach mal halblang, Sam!“, sagte er ihm, wobei er sich den Hut in den Nacken schob. „Schließlich hat es Luke erwischt und nicht dich!“ Sam Field beruhigte sich ein wenig. Dann sagte er: „Wir schaffen es mit Luke nicht!“
„Du meinst, wir sollten ihn zurücklassen?“, fragte Malcolm, wobei er die Stirn runzelte. Er tat dies auf eine Art und Weise, die bewirkte, dass Field kaum zu nicken wagte.
„Ihr dürft mich nicht hierlassen!“, rief Harris, dessen Augen sich vor Schreck und Schmerz geweitet hatten. „Ihr dürft es nicht! Die hängen mich auf!“
Malcolm sagte nichts, und es schien Field, als würde er jetzt seinen Vorschlag ernsthaft in Erwägung ziehen.
„Ihr könnt das nicht tun!“, wimmerte Harris. „George!“ Doch Malcolms Gesichtsausdruck blieb regungslos. Er wandte sich an Field. „Ich habe dich auch nicht im Stich gelassen, Sam! Das alles ist doch nur passiert, weil wir dich befreit haben! Du kannst doch nicht …“
„Du kennst dich hier in der Gegend besser aus als ich, Sam“, wandte George Malcolm sich an Field. „Gibt es hier in der Nähe eine Ranch, ein Haus, irgendetwas, wo man Luke erst einmal unterbringen könnte?“
„Ja, die Farm der McCoys. Das ist nicht weit!“
„Wie viele Menschen leben dort?“
„McCoy, seine Frau und ein Baby.“
Malcolm nickte. „Damit dürften wir fertigwerden können!“
Mrs Liz McCoy schaute nach der Uhr.
Nicht mehr lange, und ihr Mann Jason würde aus der Stadt zurück sein.
Jason McCoy war am Morgen mit dem Wagen nach Three Little Rocks aufgebrochen, um Gemüse zu verkaufen, das sie auf ihrer kleinen Farm gezogen hatten.
Am frühen Abend würde er mit dem, was er in der Stadt eingekauft hatte, zurückkommen.
Mrs McCoy fand, dass es an der Zeit war, das Stew auf den gusseisernen Herd zu setzen. Es dauerte nicht lange, und in der engen Wohnstube verbreitete sich ein angenehmer Geruch.
Während Mrs McCoy in dem großen Topf das Stew umrührte, damit es nicht anbrannte, glitt ihr Blick zu der Wiege, die am Fenster stand.
Dort lag ihre kleine Tochter Liz, nach ihrer Mutter benannt. Die kleine Liz schlief friedlich, und ihre Mutter lächelte still vor sich hin.
Sie und Jason hatten ein gutes Leben, fand sie. Es war ein einfaches, aber ein gutes Leben. Die Farm ernährte sie und würde auch noch ein weiteres Kind ernähren können.
Sicher, sie hatten viel Arbeit, und Hilfskräfte konnten sie sich nicht leisten.
Aber sie hatten es geschafft, sich eine eigene Existenz aufzubauen. Sie hatten nicht viel Land, aber auf dem, was sie besaßen, waren sie ihre eigenen Herren.
Pferdegetrappel riss Mrs McCoy aus ihren Gedanken.
Aber es waren Reiter und nicht ihr Mann Jason mit dem Wagen – das hörte sie sofort.
Besuch?, fragte sie sich. Wer mochte das sein?
Ihr erster Impuls wäre gewesen, zum Fenster zu laufen und nachzuschauen, aber dann wäre ihr das Stew angebrannt und so blieb sie vorerst am Herd.
Sie hörte Stimmen von Männern. Aber sie kannte keine dieser Stimmen, und so ließ sie das Stew schließlich doch im Stich, um die Winchester aus der Ecke zu holen.
Die Waffe war nicht geladen, also ging sie zum Schrank, um Patronen zu holen.
Sie hörte schwere Schritte.
Die Stimmen waren jetzt direkt vor der Tür.
Mit zitternden Händen fingerte sie die Patronen Stück für Stück in die Winchester. Als die Tür aufging und sie in die Mündung eines Revolvers blickte, war sie noch immer nicht damit fertig.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
„Fallenlassen!“
Ein kurzer, knapper Befehl, der keinen Zweifel daran ließ, dass der, der ihn ausgesprochen hatte, es sehr ernst meinte.
Mrs McCoy ließ die Winchester zu Boden fallen, eine Patrone, die sie noch in der Hand gehalten hatte, fiel mit hinunter.
„Was wollen Sie?“
„Gibt es hier noch einen anderen Raum?“, fragte Malcolm die völlig verängstigte Frau, nachdem er die Winchester vom Boden aufgehoben und an sich genommen hatte.
Die Frau sagte nichts, die Worte blieben ihr buchstäblich im Hals stecken.
Malcolm ging zur Tür, die ins Nebenzimmer führte.
Als er sie öffnete, sah er das Ehebett der McCoys und nickte.
Jetzt kam Sam Field mit dem verletzten Harris durch die Haustür. Mrs
McCoy nahm vor Entsetzen die Hand vor den geöffneten Mund, als sie das Blut sah.
„Du kannst ihn hierher bringen, Sam!“, sagte Malcolm. „Hier ist ein Bett.“ Harris stöhnte erbärmlich.
Er musste große Schmerzen haben.
Als Field ihn bis zum Bett gebracht hatte, fiel er wie ein Stein in die Kissen.
Field zog ihm daraufhin die Stiefel aus und packte auch seine Beine auf das Bett.
„Für’s erste braucht er wohl etwas Ruhe“, meinte Malcolm. Aber vielleicht hatte Harris schon bald sehr viel mehr Ruhe, als ihm lieb sein konnte. Es sah nicht gut für ihn aus.
Field kam zurück in die Wohnstube, wischte sich den Schweiß von der Stirn und seufzte. Malcolm schloss die Tür zum Nebenzimmer. Dann warf er einen Blick auf die Wiege. Das Baby war erwacht und schaute mit großen blauen Augen in die Welt, von der es noch so gut wie nichts wusste.
Malcolms Gesicht entspannte sich etwas, als das Baby ihn interessiert musterte.
„Wie heißt es?“, fragte er, ohne den Blick von der Wiege zu nehmen.
„Liz!“, beeilte sich die Frau zu antworten.
Für einen kurzen Augenblick schien es fast, als würde die Ahnung eines Lächelns Malcolms Mund umspielen. Dann blickte er aus dem Fenster.
Währenddessen flegelte sich Sam Field in einen Stuhl und fragte: „Haben Sie so etwas wie Whisky im Haus?“
„Geben Sie ihm nichts, Ma'am!“, sagte Malcolm unmissverständlich, noch bevor die Frau irgendeine Antwort geben konnte. „Er ist ein notorischer Trinker, und wir sind in einer Lage, in der sich keiner von uns eine benebelte Birne leisten kann.“ Er bedachte die Frau mit einem kühlen Blick, der nichts anderes als eine unterschwellige Drohung war. „Ich mache Sie dafür verantwortlich, dass …“
„Machen Sie sich keine Sorgen!“, sagte die Frau. „Wir haben nichts im Haus.“
Malcolm nickte und meinte dann grinsend, an Field gewandt: „Mann, was haben wir da für ein Glück gehabt, was?“
Field verzog das Gesicht.
Er fand die Angelegenheit nicht so witzig.
Malcolm trat nun vom Fenster weg, hob die Patrone auf, die die Frau zusammen mit dem Gewehr zu Boden hatte fallenlassen und lud sie in die Winchester. Dann warf er die Waffe in Fields Richtung, der sie mit einiger Mühe auffing.
„Pass auf die Frau auf, Sam! Ich werde die Pferde in die Scheune bringen!“ Er wandte sich nochmal an die Frau. „Wo ist Ihr Mann?“
„In der Stadt!“
„Wann kommt er zurück?“
„Ich weiß nicht …“
„Sie wissen es! Sagen Sie es mir!“
Ein verbrannter Geruch hatte sich indessen in der Wohnstube verbreitet.
Malcolms Blick fiel auf das angebrannte Stew auf dem Herd. „Sie haben Essen gemacht. Er wird also jeden Augenblick eintreffen!“, schloss er. Dann deutete er auf den Kochtopf. „Machen Sie das besser runter, Ma'am. Es riecht erbärmlich!“
„Ich habe Sie schon einmal gesehen!“, sagte die Frau zu Field, als Malcolm gegangen war.
„Ach ja?“ Field schien ziemlich desinteressiert.
„Ja. Ihren Namen weiß ich nicht, aber ich bin mir sicher, dass ich Sie schon einmal gesehen habe! Sie lagen am Straßenrand und waren völlig besoffen.“ Field zuckte mit den Schultern.
„Ich schätze, ńe Menge Leute haben mich schon so gesehen.“ Die Frau schickte sich nun an, das Stew vom Herd zu nehmen. Es war nicht mehr zu retten, das stand fest.
„Vor wem sind Sie auf der Flucht?“, fragte sie.
„Auf der Flucht?“
„Tun Sie nicht so, das sieht man auf den ersten Blick! Ist der Sheriff hinter Ihnen her?“
„Quatschen Sie nicht so viel, Ma'am.“
Das Baby fing an zu schreien.
Es hatte Hunger.
„Kümmern Sie sich um Ihr Kind und halten Sie verdammt noch mal den Mund!“, setzte Field noch hinzu.
Die Frau nahm das Kind an sich. Field starrte währenddessen auf den Bretterboden, und sie studierte seine Gesichtszüge. Und dann war ein guter Teil ihrer Angst erst einmal wie weggeblasen, denn sie sah, dass ihr Gegenüber sich in seiner Haut mindestens ebenso unwohl fühlte wie sie selbst. Eine halbe Stunde verging, ohne dass sich etwas Besonderes ereignete. Malcolm hatte die Pferde in der Scheune untergebracht, und die Frau hatte das Baby gestillt und gewickelt.
Anschließend hatte Malcolm sie angewiesen, dem verletzten Harris einen Verband zu machen.
„Er braucht einen Arzt“, sagte die Frau. „Wir können hier nicht viel machen.“
„Das weiß ich auch!“, erwiderte Malcolm kühl.
Wenig später – die Frau hatte inzwischen erneut Stew auf den Herd gesetzt
– waren die Geräusche eines Pferdewagens zu hören.
„Gehen Sie ans Fenster, Ma'am!“, befahl Malcolm, während er den Revolver zog und den Hahn spannte. „Ist das Ihr Mann?“ Die Frau schaute aus dem Fenster.
Natürlich war es Jason, wer sollte es um diese Zeit sonst sein? Sie schluckte.
„Tun Sie ihm nichts!“, sagte sie.
„Wenn er nicht versucht, uns etwas zu tun, tun wir ihm auch nichts! Ist er bewaffnet?“
Sie nickte.
„Er hat ein Gewehr bei sich.“
Sie wandte sich zu Malcolm um und fuhr fort: „Er ist es nicht gewohnt mit der Waffe umzugehen. Wir sind Farmer, keine Banditen …“ Es war ihr so über die Lippen gerutscht, aber jetzt konnte sie die Worte nicht mehr zurückholen. Malcolm sah sie durchdringend an, und sie erschrak.
„Ist schon gut“, brummte er. Draußen stieg zur selben Zeit Jason McCoy vom Wagen. Sein Gewehr hatte er auf dem Bock gelassen. Woher sollte er auch ahnen, dass er es vielleicht brauchen könnte, wenn er die häusliche Türschwelle überschritt …
Malcolm trat jetzt dicht neben die Frau.
„Gehen Sie hinaus und sagen Sie Ihrem Mann, was hier los ist.“ Er deutete zur Wiege, in der die kleine Liz inzwischen wieder friedlich schlief.
„Bedenken Sie, dass wir das Kind haben, Ma'am. Irgendwelche Tricks würde ich Ihnen also wirklich nicht empfehlen!“ Die Frau nickte schluckend.
Dann ging sie wortlos zur Tür und lief Jason McCoy entgegen.
Ed Norman vereidigte die Freiwilligen, die sich zum Suchtrupp gemeldet hatten, im Schnellverfahren zu Deputies und heftete jedem von ihnen einen Blechstern an die Brust. In Matthews’ Augen wurde durch diese Prozedur nur wertvolle Zeit verloren, aber Ed Norman war ein Mann, der stolz darauf war, für sich in Anspruch nehmen zu können, sich stets an die Buchstaben der Gesetze gehalten zu haben. Nachdem die Männer sich bewaffnet und mit Munition versehen hatten, brachen sie auf.
„Wie schwer, glaubst du, hast du einen von ihnen erwischt, John?“, fragte Norman, während sie der Spur der Banditen folgten.
„Keine Ahnung!“, brummte Matthews unwirsch und vielleicht sogar etwas unfreundlicher, als er es beabsichtigt hatte.
„Ich habe geschossen, sie haben geschossen, und dann hat einer von ihnen geschrien.“
Matthews dachte über die Aufgabe nach, die vor ihnen lag.
Bei einem der Gangster – Sam Field – wussten sie inzwischen, um wen es sich handelte. Das war ein unschätzbarer Vorteil. Aber Fields Komplizen waren sehr wahrscheinlich von anderem Format.
Schließlich hatten sie ihren Gefährten aus dem Gefängnis befreit und waren kaltblütig genug gewesen, Deputy Jenkins einfach abzuknallen.
Jenkins war ein schneller und guter Schütze gewesen, das wusste Matthews.
Aber es hatte ihm nichts genützt. Über die zunehmend flacher werdenden Hügel verfolgten sie die Spuren bis zu einem kleinen Waldgebiet.
Anschließend gelangten sie auf flaches Grasland, aber sie hatten Pech: Irgendeiner der Rancher aus der Umgebung hatte seine Rinder hierher getrieben, so dass man aus der Unmenge an Hufspuren, sowohl von Rindern wie auch von den Pferden der Cowboys, die der flüchtigen Gangster unmöglich herauslesen konnte.
„Keine Spuren?“, ereiferte sich Brooks, einer der vereidigten Bürger aus Three Little Rocks. Sein eigentlicher Beruf war der eines Kirchendieners, und die Winchester, die er bei sich hatte, stammte aus den Beständen von Sheriff Norman. „Verdammt noch mal, Matthews, ich dachte, Sie sind in der Gegend bekannt für Ihre Fähigkeiten, was das Spurenlesen angeht! Und Sie finden nichts?“
„So ist es!“
Sie zügelten die Pferde, Matthews stieg aus dem Sattel und fühlte mit der Hand über den Boden. „Es ist aussichtslos“, sagte er. „Genauso gut könnten Sie versuchen, auf einem Feld eine Spur zu finden, das gerade umgepflügt wurde.“
„Und nun sollen diese Banditen so davonkommen?“, rief Brooks erbost.
„Die haben den Deputy erschossen! Ich habe Jenkins gut gekannt, wir haben oft zusammen bei Buddy Silverman Karten gespielt!“ Er schüttelte den Kopf. „Das sollen sie nicht ungestraft getan haben!“
„Wir müssen überlegen“, sagte Matthews, mehr zu sich selbst als zu den anderen. Und so nahm er kaum wahr, wie Brooks sich erneut ereiferte: „Pah! Überlegen wir, bis sie über alle Berge sind!“
„Wir müssen versuchen, uns in die Lage dieser Männer hineinzuversetzen“, meinte Matthews, ohne auf die Aufgeregtheit des Kirchendieners einzugehen. Er wandte sich an Norman. „Was würdest du tun, Ed? Stell dir vor, du wärst auf der Flucht und hättest einen Verletzten bei dir.“
„Das hinge davon ab, wie schwer verletzt.“
Matthews nickte.
„Unser Mann hat einiges an Blut verloren. Wir haben die Spuren unterwegs gefunden. Es kann also keine Kleinigkeit sein, die er abgekriegt hat.“
„Ich würde mich schleunigst nach einem Unterschlupf umsehen!“, meinte Ed Norman. „Ein Haus, eine Farm, irgendetwas, wo man einen Verletzten erst einmal versorgen könnte …“
„Ja“, sagte Matthews. „Sie sind bis hierher geritten, das steht fest. Den Wald haben sie noch durchquert. Wo gibt es hier in der Nähe eine Möglichkeit unterzutauchen?“
Jason McCoy musterte die Eindringlinge abschätzig, aber letztlich doch mit erstaunlicher Ruhe, als er zusammen mit seiner Frau die Wohnstube betreten hatte.
„Man kann sich seine Gesellschaft nicht immer selbst aussuchen“, sagte George Malcolm dazu. „Das gilt sowohl für Sie und Ihre Familie, wie auch für uns. Machen wir also das Beste draus.“ Seine Augen zogen sich etwas zusammen. „Sie verstehen doch, was ich meine, oder?“
„Ich denke schon“, sagte der Farmer. McCoy machte einen matten, niedergeschlagenen Eindruck.
Malcolm wandte sich an Field. „Du holst das Gewehr vom Wagen und bringst es her!“ Und wieder an McCoy: „Sie werden anschließend Ihre Einkäufe ins Haus bringen und sich um die Pferde kümmern. Ich denke, ich muss nicht noch besonders darauf hinweisen, dass Ihre Frau und Ihr Baby sich hier bei uns im Haus befinden.“
Als Field hinausging, um McCoys Gewehr vom Wagen zu holen, drang ein Stöhnen aus dem Nebenzimmer.
Harris war offensichtlich erwacht.
„Na, los! Schauen Sie nach, was mit ihm ist!“, wies Malcolm die Frau an.
Sie gehorchte stumm.
Field kam indessen mit dem Gewehr, und Mr McCoy ging hinaus, um den Wagen zu entladen.
„Behalt ihn im Auge!“, raunte Malcolm Field zu und folgte dann der Frau ins Nebenzimmer. Sie war gerade damit beschäftigt, Harris etwas Wasser einzuflößen.
„Er hat Fieber. Wenn Sie wollen, dass Ihr Freund eine Chance hat, dann sorgen Sie dafür, dass er einen Arzt bekommt.“ Malcolm wusste, dass die Frau recht hatte.
„Wer ist der nächste Arzt hier in der Gegend?“, fragte er.
„Dr. Andrews. Er wohnt in Three Little Rocks.“ Malcolm war der Frau bisher kühl und überlegen erschienen. Er hatte stets den Anschein erweckt, als sei er Herr der Lage. Aber jetzt, mit seinem nach innen gekehrten Blick, glaubte sie Anzeichen von Unsicherheit zu erkennen.
Er zermarterte sich das Gehirn, überlegte sie. Aber er hatte offenbar keine Lösung parat.
Wenn sie noch lange damit warten, einen Arzt zu holen, dann löst sich das Problem dieser Männer von selbst!, kam es ihr in den Sinn. Der Verletzte war jetzt schon mehr tot als lebendig.
Vielleicht ziehen sie davon, wenn er stirbt!, dachte sie und erschrak dann vor der Unbarmherzigkeit ihrer eigenen Gedanken. Wenn sie ehrlich war, dann wünschte ein Teil von ihr diesem Mann, der dort hilflos und schweißgebadet auf ihrem Bett lag, den Tod.
Mochte das Verderben diesen Mann treffen und dafür an ihrer Familie vorübergehen!
„Lassen Sie Ihren Komplizen zurück!“, sagte die Frau plötzlich, und dabei war sie von der Festigkeit ihrer Stimme überrascht.
Malcolm blickte auf und kniff die Augen zusammen.
„Sie wollen uns loswerden, Ma'am?“
„Wundert Sie das?“
Malcolm lachte freudlos.
„Nein, natürlich nicht.“
Sie trat nahe an Malcolm heran und sprach jetzt merklich leiser. „Sie sollten sich die Sache wirklich überlegen, Mister! Sie wissen so gut wie ich, dass so gut wie keine Aussicht besteht, diesen Mann in nächster Zeit so fit zu bekommen, dass er mit Ihnen flüchten kann.“
„Abwarten“, brummte Malcolm.
„Lassen Sie ihn hier! Wenn Sie warten, bis er stirbt, nützen Sie damit weder ihm noch sich selbst. Sie verschenken nur wertvolle Zeit.“
„Wir werden sehen.“
Mrs McCoy zuckte mit den Schultern.
„Jeder gräbt sich selbst sein Grab, Mister! Denken Sie darüber nach!“
„Sie auch!“, gab Malcolm eisig zurück. Die Frau zuckte zusammen, raffte dann ihr Kleid zusammen und ging wieder in die Wohnstube. Malcolm warf noch einen Blick auf den erbarmungswürdigen Harris und folgte ihr dann.
„Sie sind die Leute, die gestern Morgen die Bank von Rawlins ausgeraubt haben, nicht wahr?“, meinte Jason McCoy kauend.
Seine Frau hatte ihm und den ungebetenen Gästen jedem einen Teller mit Stew aufgefüllt. Sie selbst aß auch, aber sie merkte bald, dass sie kaum Appetit hatte. Lustlos stocherte sie im Essen herum, während ihr Mann fortfuhr: „Sie haben in Three Little Rocks den Deputy umgebracht, stimmt’s?“ Es war im Grund keine Frage, es war eine Feststellung, die Jason McCoy getroffen hatte. „Die Leute haben in der Stadt von nichts anderem geredet!“
„Es kann Ihnen egal sein, wer wir sind!“, gab Sam Field zornig zurück. „Es kann ihnen egal sein, haben Sie gehört, Mister?“ Obwohl er gar nichts getrunken hatte, war Fields Gesicht in diesem Augenblick puterrot angelaufen und seine Augen quollen hervor.
„Beherrsch dich, Sam!“, befahl Malcolm – ziemlich leise und sehr ruhig.
„Dieser Gentleman hier heißt Sam, ja?“, überlegte McCoy laut. Er musterte Field eingehend.
„Er ist ein Säufer“, meinte seine Frau. „Dir kommt das Gesicht wahrscheinlich auch bekannt vor. Vermutlich hast du ihn ebenfalls an irgendeinem Straßenrand liegen sehen …“
„Ein Säufer, der Sam heißt …“, murmelte Jason McCoy, und plötzlich blitzte es in seinen Augen. „Sie heißen Sam Field und haben früher einmal für Jake Saunders gearbeitet, nicht wahr?“
Field sagte nichts. Statt dessen warf er den Löffel wütend in das Stew in seinem Teller, so dass es spritzte.
„Ich erinnere mich jetzt an Sie“, fuhr McCoy fort. „Ich habe nämlich ebenfalls für Saunders gearbeitet, bevor ich mich selbstständig gemacht habe!“
Field war wie ein Kessel, auf dem heißes Wasser aufgesetzt worden war und den man anschließend sich selbst überließ. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er überkochen würde. Und dieser kritische Moment war jetzt gekommen. Mit der Linken fegte er den Teller mit Stew vom Tisch, so dass er zu Boden polterte und sein Inhalt sich über die Bretter verteilte. Dann stand er auf, langte über den Tisch und packte Jason McCoy am Kragen.
„Ein Wort noch …“, presste er heraus. Seine Stimme war dünn und zitterte, und sei Griff war nicht besonders fest, das bemerkte McCoy sofort.
„Da kommen Reiter!“, durchschnitt plötzlich Malcolms Stimme die gefährlich aufgeladene Luft in der engen Wohnstube. Plötzlich waren alle still, und Field ließ von McCoy ab. Statt dessen glitt seine Hand zum Revolver, den er etwas in seinem Holster lockerte.
Vielleicht wurde es jetzt ernst.
Tödlich ernst.
Alle im Raum hörten das Geräusch. Malcolm stand am Fenster, er hielt den Revolver in der Hand. Es war nichts zu sehen, die Reiter kamen wohl von der anderen Seite auf die Farm der McCoys zu, von der Seite vielleicht, an der der Herd stand. Aber dort war kein Fenster.
„Ins Nebenzimmer!“, befahl Malcolm der Frau und spannte den Hahn seiner Waffe. Mrs McCoy schluckte. „Nehmen Sie das Baby an sich, Ma'am!
Schnell!“
Sie nahm das Baby aus der Wiege, Malcolm gab Field ein Zeichen, und dann gingen sie in Richtung Nebenzimmer.
„Was haben Sie vor?“, fragte McCoy, dessen Züge jetzt sichtlich angespannt waren.
„Es hängt jetzt alles von Ihnen ab, Mister!“, erklärte George Malcolm so sachlich, wie das in einer Situation wie dieser möglich war. „Wenn gleich jemand an Ihre Tür klopft, dann machen Sie auf. Aber wer immer es auch sei: Wimmeln Sie ihn ab!“ Er deutete auf die Frau mit dem Kind. „Das Wohl Ihrer Familie hängt davon ab. Wir haben uns verstanden, ja?“
„Ja.“
„Kein falsches Wort, wenn Ihnen was an Ihrer Frau und an dem Baby liegt!“
„Ich habe verstanden!“
„Gut!“
Alle bis auf Jason McCoy verschwanden daraufhin im Nebenzimmer.
Malcolm schloss von innen die Tür, blieb aber dicht dahinter stehen, um besser mithören zu können, was in der Wohnstube gesprochen werden würde.
„Zieh deine Waffe und halte sie schussbereit!“, sagte er an Fields Adresse.
„Möglicherweise geht gleich alles sehr schnell!“ Es klopfte.
„Wer ist dort?“, fragte Jason McCoy. Seine Stimme klang einigermaßen sicher und überzeugend.
„Sheriff Norman!“, kam es von der anderen Seite der Haustür.
„Dann ist alles in Ordnung! Warten Sie, Sheriff, ich mache Ihnen die Tür auf!“
McCoy öffnete und Ed Norman trat ein. Die beiden Männer begrüßten sich mit einem herzlichen Händedruck.
„Alles in Ordnung bei Ihnen, McCoy?“
Der Farmer nickte schwach. „Klar doch, Sheriff. Alles in Ordnung!“
„Wo ist Ihre Frau?“
„Drüben, im Nebenzimmer.“ McCoy schluckte. „Mit dem Baby, verstehen Sie? Sie hat ńe Menge zu tun mit der kleinen Liz, sag ich Ihnen.“ Norman runzelte die Stirn. Kaum merklich zwar, aber doch deutlich genug, um McCoy zu beunruhigen. Der Sheriff durfte auf keinen Fall Verdacht schöpfen!
Ruhig!, dachte McCoy verzweifelt. Nur ruhig bleiben!
Um die Furcht etwas einzudämmen, fuhr er dann – scheinbar gut gelaunt und zufrieden – fort: „Wollen Sie nicht hereinkommen, Sheriff? Meine Frau hat Stew gemacht …“
Und dann sah McCoy die Teller! Keiner – auch keiner von den Banditen – hatte daran gedacht, die Teller wegzuräumen!
Es sind zuviele Teller!, durchzuckte es McCoy.
Schweiß trat ihm urplötzlich auf die Stirn, und er wischte ihn hastig mit dem Ärmel seines Hemdes weg.
Aber der Sheriff achtete nicht auf das Stew und nicht auf die Teller. Er hatte ganz andere Sorgen.
„Hören Sie, McCoy …“, setzte er an. Da fing im Nebenzimmer das Baby an zu schreien. Ed Norman lächelte matt. „Ja, so ein Baby macht bestimmt ńe Menge Arbeit – und Krach!“, sagte er dann, obwohl er etwas ganz anderes hatte loswerden wollen. „Es freut mich, dass bei Ihnen alles offensichtlich in bester Ordnung ist, denn ehrlich gesagt: Wir hatten uns schon Ihretwegen Sorgen gemacht.“
„Unseretwegen?“
„Ja. Ich bin mit einem Suchtrupp hier. Wir suchen die drei Männer, die heute Mittag den Deputy umgelegt haben.“
„Ich war heute in der Stadt“, warf McCoy ein. „Man redet dort von nichts anderem!“
„Sie können nicht weit sein“, fuhr Norman fort. „Einer von ihnen ist schwer verletzt. Sie werden sich also einen Unterschlupf suchen müssen.“ Er wandte sich zum Gehen. „Halten Sie also die Augen offen, McCoy!“
„Mach ich.“
„Und passen Sie auf sich und Ihre Familie auf!“ Norman verließ das Haus wieder.
„Bei den McCoys ist alles in Ordnung!“, rief er den Männern des Suchtrupps zu. „Lasst uns jetzt zu den Simpsons reiten!“ Jason McCoy schloss die Tür und hörte, wie der Suchtrupp davonritt.
Das erste, was Jason McCoy empfand, war Erleichterung.
Dann sah er die beiden Winchester-Gewehre, jenes, das er auf dem Wagen gehabt hatte und jenes, das üblicherweise zu Hause in der Ecke neben dem Schrank stand und das seine Frau nicht mehr schnell genug hatte laden können, um sich gegen die Eindringlinge zur Wehr zu setzen.
Die beiden Waffen standen neben dem Stuhl, auf dem Sam Field gesessen hatte, angelehnt an der Wand.
In der Eile hatten die Banditen sie einfach dort stehenlassen!
Ein Schritt, dachte McCoy, und ich habe eins von den Dingern in den Händen.
McCoy zögerte. Er dachte an seine Frau, an sein Baby.
Dann trat Malcolm mit gezogenem Revolver aus dem Nebenzimmer.
„Sie haben Ihre Sache gut gemacht!“, meinte er.
McCoy schlug das Herz bis zum Hals. Jetzt traten auch seine Frau mit dem Baby und Sam Field wieder in die Wohnstube. Die kleine Liz wurde wieder in die Wiege gelegt. Malcolm steckte den Revolver ins Holster.
„Ich denke, Sie haben den Sheriff überzeugt!“, meinte er mit entspanntem Gesicht. Dann ging er an McCoy vorbei zu den Gewehren und nahm sie an sich. Eine Winchester warf er Field zu und wechselte anschließend mit Jason McCoy einen vielsagenden Blick.
„Ihre Frau sagt, der nächste Arzt hieße Andrews.“
„Ja, das stimmt. Er wohnt in Three Little Rocks.“
„Nehmen Sie eines Ihrer Pferde und holen Sie ihn!“
„Was … was soll ich ihm denn sagen?“
„Erzählen Sie irgendetwas. Ihnen fällt schon was ein!“
Die Dämmerung war über das Land hereingebrochen, als Jason McCoy eins von seinen Pferden sattelte. Malcolm stand dabei, eine Winchester lässig auf die Hüfte gestützt.
„Sehen Sie zu, dass Sie schnell zurück sind“, brummte er.
„Wie alt ist dieser Dr. Andrews?“
„Um die fünfzig“, gab McCoy zur Antwort.
„Ein guter Reiter?“
„Gut genug. In seinem Beruf muss er sicher öfter mal schnell irgendwo sein.“
„Kann er was?“
„Selbst wenn er nichts könnte: Sie hätten keine andere Wahl, denn seit der alte Boxner verstorben ist, ist Andrews der einzige Arzt in Three Little Rocks …“
McCoy stieg in den Sattel. „Ist sonst noch was?“
„Nein. Machen Sie Ihre Sache gut.“
„Ich liebe meine Familie.“
„Wenn ich das nicht wüsste, würde ich Sie nicht losschicken.“ McCoy gab dem Pferd die Sporen und preschte davon.
Gegen Abend, wenn die Sonne im Begriff war, hinter dem Horizont zu verschwinden, konnte es empfindlich kalt werden, und McCoy hatte vergessen, sich eine Jacke überzuziehen. Aber er spürte die Kälte nicht.
seine Gedanken waren bei seiner Frau und der kleinen Liz. Nur für sie ritt er jetzt durch die Dämmerung nach Three Little Rocks, um einem Verbrecher einen Arzt zu holen, dem – wenn die Justiz seiner habhaft würde – der Galgen sicher war.
McCoy hatte Deputy Jenkins gekannt. Zu behaupten, dass sie enge Freunde gewesen waren, wäre übertrieben gewesen, aber sie hatten sich ganz gut verstanden, ab und zu in Buddy Silvermans Saloon einen Drink zusammen genommen und eine Partie Billard gespielt.
Und doch: Obwohl ihre Beziehung nur verhältnismäßig flüchtig gewesen war, empfand McCoy es als ausgesprochen unangenehm, Jenkins’ Mördern helfen zu müssen.
Aber er hatte keine andere Wahl, das wusste er. Innerlich ballte er die Faust, aber er war besonnen genug, um einzusehen, dass er nichts tun konnte, als alles zu tun, was die Banditen verlangten …
Ruhig Blut!, sagte er sich, als er die Gefühle in sich aufwallen spürte. Es würde vielleicht eine Gelegenheit kommen, diese Männer kaltzustellen oder zumindest loszuwerden. Aber er musste geduldig abwarten können, und das war schwer. Er durfte seinen Gefühlen auf keinen Fall nachgeben, wenn er nicht wollte, dass die ganze Angelegenheit in einer unbeschreiblichen Tragödie endete.
McCoy trieb das Pferd noch mehr an, obwohl er im Grunde wusste, dass es alles gab, was es zu geben hatte.
Wie oft war er diesen Weg geritten! Er kannte ihn – ebenso wie sein Pferd – fast blind.
Warum haben diese Leute sich meine Farm ausgesucht?, dachte McCoy verzweifelt. Warum nicht eine andere?
Er versuchte, diese Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Sie führten zu nichts, das wusste er.
Indessen erreichte er in scharfem Galopp das kleine Waldstück. Die Dämmerung war inzwischen weiter fortgeschritten und legte den Wald in ein gespenstisches, geradezu unheimliches Licht.
Das Pferd scheute etwas, doch McCoy trieb es unbarmherzig vorwärts.
Unter diesem Dach aus Laub und Ästen war es ziemlich dunkel, McCoy konnte kaum noch etwas erkennen, und dem Pferd schien es ähnlich zu gehen.
Ein dünner Ast peitschte ihm schmerzhaft durch das Gesicht. Er fluchte, aber es gab keine andere Möglichkeit, das wusste er. Den Wald zu umreiten bedeutete einen Umweg. Er musste also hindurch.
Ein weiterer Ast, den er in der Finsternis nicht schnell genug kommen sah, fegte ihm den Hut vom Kopf, aber er achtete nicht darauf.
Endlich kam das Ende des Wäldchens, und McCoy atmete auf. Es war jetzt wieder mehr zu sehen. Hinter den Hügeln lag Three Little Rocks.
Unbarmherzig trieb er das Pferd die Hügel hinauf. Dem Tier stand unterdessen bereits Schaum vor dem Maul. McCoy achtete nicht darauf. Es gab jetzt nur eine Sache, auf die es ankam, sonst nichts.
In der Ferne waren jetzt Lichter zu erkennen, die Lichter der näherrückenden Stadt. Bald darauf tauchten auch die schattenhaften Umrisse von Häusern auf. Inzwischen war die Sonne endgültig hinter dem Horizont verschwunden und hatte dem Mond Platz gemacht, der jetzt das Land in sein fahles Licht tauchte.
Es war Vollmond und darüber hinaus eine sternklare Nacht.
Das war gut so, fand McCoy. Es würde ihm den Rückweg mit Dr. Andrews erheblich erleichtern.
Als er Three Little Rocks erreichte, zügelte er sein Pferd. Sein wahnwitziges Tempo konnte er in den engen Straßen der Stadt keineswegs beibehalten, denn es bestand immer die Gefahr, dass er plötzlich auf ein unbeleuchtetes Gespann traf, das unverhofft aus einer Seitengasse kam. Um diese Zeit war auf den Straßen von Three Little Rocks noch eine ganze Menge los …
Hoffentlich ist der Doktor zu Hause!, überlegte McCoy. Es war unzweifelhaft besser, wenn er ihn allein sprechen konnte als beispielsweise im Saloon, wo die halbe Stadt zuhören konnte und vielleicht Verdacht schöpfte.
Ich muss perfekt sein!, wusste er. Ein Versagen konnte er sich nicht leisten, es ging um zu viel.
McCoy lenkte sein Pferd in eine namenlose Nebenstraße, an der das Haus des Doktors lag.
Als er vor Andrews’ Haus aus dem Sattel stieg, dachte er an jenen Abend, als er das letzte Mal hier gewesen war, auch völlig außer Atem, auch ohne Jacke und innerlich sehr aufgewühlt.
An jenem Tag hatte er Dr. Andrews aufgesucht, weil bei seiner Frau die Wehen eingesetzt hatten.
Im Haus des Doktors brannte Licht.
Es ist also jemand zu Hause, schloss McCoy.
Er klopfte.
„Doc! Machen Sie auf, Doc!“
Zunächst rührte sich nichts und so klopfte McCoy noch einmal.
„Aufmachen, Doc!“
Jetzt hörte er Schritte, die Tür ging auf und Mrs Andrews stand ihm gegenüber.
„Guten Tag, Mr McCoy.“
„Ma'am, ist Ihr Mann zu Hause?“
„Nein, er …“
„Wo ist er? Schnell! Es geht vielleicht um Leben und Tod!“ Und bei sich dachte McCoy: Das ist noch nicht einmal gelogen!
„Er ist auf ein Bier zu Buddy Silverman!“
Verdammt!, dachte McCoy. Wortlos wandte er sich um und schwang sich wieder auf sein Pferd. „Ich danke Ihnen!“, rief er noch und hetzte davon.
Als Jason McCoy die Schwingtüren von Buddy Silverman’s Saloon passiert hatte, sah er den Doktor mit einem Glas Bier an der Theke sitzen und sich mit einigen Männern aus der Stadt unterhalten.
McCoy ging geradewegs auf Dr. Andrews zu, packte ihn bei der Schulter und sagte: „Doc, ich muss Sie dringend sprechen!“ Dr. Andrews erschrak, als er sich zu McCoy umdrehte.
„Mann, was ist mit Ihnen los, Sie sind ja ganz bleich!“
„Kommen Sie mit, Doc!“
„Was ist passiert, McCoy?“
Der Farmer überlegte. Was sollte er dem Doktor sagen, um ihn dazu zu bewegen, mit ihm zu reiten? Er spürte die neugierigen Blicke der anderen Männer auf sich gerichtet.
Auf einmal war sein Kopf wie leergeblasen, kein geordneter Gedanke wollte sich dort bilden.
„Nun sagen Sie schon, McCoy! Was ist los mit Ihnen?“
„Mit mir?“ McCoy atmete schwer und schüttelte den Kopf. „Mit mir ist nichts los. Aber mit meiner Frau. Sie ist gestürzt! Sie müssen mit mir rauskommen!“
Dr. Andrews runzelte die Stirn.
„Schnell, Doc! Wir müssen sofort aufbrechen, oder es kann zu spät sein!“
„Sie ist gestürzt, sagen Sie?“
„Ja, kommen Sie!“
„Hat sie sich etwas gebrochen?“
„Ich fürchte, ja, aber ich weiß es nicht!“
„Soll vielleicht jemand von uns mitkommen?“, fragte Randolphs, einer der Männer, die mit Dr. Andrews an der Theke standen. „Zum Tragen vielleicht. Es ist nicht so einfach, eine Verletzte zu …“
„Nein, danke. Ich schaffe das mit dem Doktor schon!“
„Ich mach das gerne, McCoy“, sagte Randolphs. „Es ist selbstverständlich, dass …“
Oh, mein Gott!, dachte McCoy. Das hat mir gerade noch gefehlt!
„Ich brauche Ihre Hilfe nicht, Randolphs!“, brummte er dann, viel schroffer, als angemessen gewesen wäre.
Randolphs zuckte mit den Schultern.
„War nur ein Angebot.“
„Okay, okay!“, gab McCoy zurück. Und dann, an Dr. Andrews gewandt: „Kommen Sie jetzt endlich, Doc, oder es ist zu spät!“
„Ich hoffe, Ihr Mann versucht keine Tricks“, meinte George Malcolm, während er am Fenster stand und hinaus in die Dunkelheit starrte.
„Das wird er nicht“, erwiderte die Frau voller Überzeugung.
„Das hoffe ich für Sie, Ma'am!“
Sam Field hatte sich unterdessen eine Decke genommen und sich auf dem Fußboden etwas schlafen gelegt.
Die Frau wusste, dass ihr Mann eigentlich schon längst zurück sein musste.
Und Malcolm war das ebenfalls klar.
„Es kann alles Mögliche passiert sein“, meinte die Frau zu Malcolm, der zunehmend – ganz gegen seine eigentliche Art – unruhiger wurde.
„Vielleicht war Dr. Andrews nicht zu Hause und Jason musste ihm irgendwohin nachreiten …“
„Sollte sich herausstellen, dass er irgendwem auch nur ein Sterbenswörtchen davon gesagt hat, was hier los ist, dann …“ Malcolm nahm den Hut vom Kopf und fuhr sich durch die Haare.
Kühlen Kopf bewahren!, beschwor er sich selbst. Er hatte es anderen so oft gepredigt, aber jetzt musste er um seinen eigenen Verstand fürchten.
„Unser aller Nerven sind bis zum Zerreißen gespannt“, murmelte er schließlich, wobei er sich den Hut wieder aufsetzte.
Die Frau nickte.
„Sie haben recht.“
Malcolm atmete ganz tief durch und ging ein paar Schritte hin und her.
„Haben Sie über das nachgedacht, was ich Ihnen gesagt habe?“, fragte die Frau dann nach einer Weile.
„Sie meinen, dass wir ihn zurücklassen sollten …“
„Ja.“
„Ich habe darüber nachgedacht.“
„Und?“
„Warten wir zunächst ab, was der Doktor sagt.“
„Ist es nicht genug, dass einer stirbt? Ihrem Freund können Sie nicht mehr helfen, aber sich selbst können Sie noch vor dem Galgen retten. Oder sind Sie scharf darauf, zu baumeln? Man könnte fast auf die Idee kommen, wenn …“
„Schweigen Sie!“, donnerte Malcolm. „Ich möchte nichts mehr davon hören! Ihre Vorschläge können Sie sich sparen!“ Das Baby wachte auf, und auch Field drehte sich unruhig herum.
Sie ist geschickt, dachte Malcolm. Sie weiß genau, an welcher Stelle sie bei einem Menschen ansetzen muss, damit er schließlich das tut, was sie will!
Die Frau nahm das Baby auf den Arm und wiegte es etwas hin und her, damit es sich wieder beruhigte.
Zäh ist sie auch!, kam es Malcolm in den Sinn. Sie versucht es immer wieder; sie gibt nicht auf!
Dann waren Reiter zu hören!
„Ich hoffe, das ist Ihr Mann mit dem Doktor und nicht irgendjemand, den er uns auf den Hals gehetzt hat!“
„Er wird es sein!“, sagte die Frau, und dabei legte sie die kleine Liz wieder in die Wiege.
Malcolm lud die Winchester durch.
Stimmen waren zu hören. Eine davon gehörte zweifellos McCoy.
Und Schritte.
Die Tür ging auf, und McCoy trat zusammen mit Dr. Andrews in die Wohnstube.
„Mrs McCoy!“, rief Andrews aus, als er die Frau des Farmers wohlauf neben der Wiege ihres Kindes stehen sah. „Ihr Mann hat mir gesagt, Sie wären gestürzt!“
Malcolm richtete den Lauf der Winchester auf den Doktor und trat etwas näher an ihn heran.
„Was ist hier los? McCoy, was wird hier gespielt?“
„Stellen Sie keine Fragen!“, wies Malcolm ihn an. „Kommen Sie mit, Sie haben einen Patienten.“
Ein Schuss donnerte und dann gleich noch einer, aber niemand wurde getroffen.
„Hey, Simpson! Sind Sie verrückt? Ich bin es, der Sheriff!“, rief Ed Norman.
„Der Sheriff?“
„Ja! Hören Sie auf, herumzuballern!“
Die Männer zügelten ihre Pferde, einige zogen ihre Waffen.
Dann ging eine Tür auf, und der alte Simpson trat, mit einem doppelläufigen Gewehr in den Händen, nach draußen. Als er Ed Norman erblickte, entspannten sich seine Gesichtszüge.
„Sie sind es ja tatsächlich, Sheriff!“ Simpson senkte die Büchse.
„Entschuldigen Sie, aber um diese Zeit treibt sich ńe Menge Gesindel in der Gegend herum, da muss man auf der Hut sein!“ Ed Norman winkte ab.
„Schon gut, ist ja nichts passiert!“
„Täte mir sehr leid, Sheriff! Sie sind mit einem Suchtrupp unterwegs?“ Er spuckte aus und wischte sich anschließend mit dem Ärmel den weiß-grauen Bart ab. „Wem sind Sie denn auf den Fersen?“
„Wir suchen drei Männer, die heute Mittag Deputy Jenkins umgebracht haben. Einer von ihnen hat eine Schusswunde!“
„Tut mir leid! Hier ist niemand vorbeigekommen!“ Simpson hob die Doppelläufige. „Würde ihm auch schlecht bekommen, denke ich!“
„Seltsam!“, überlegte John Matthews laut. „Sie scheinen wie vom Erdboden verschluckt!“
„Nimm’s nicht so tragisch, John“, meinte Ed Norman. „Deine Vermutung, dass die Banditen irgendwo versucht haben unterzukriechen, war offensichtlich falsch.“
„Nein, das glaube ich nicht“, erwiderte Matthews schnell. Es durfte einfach nicht sein! er war so nahe an ihnen dran gewesen, und jetzt sollte die hereinbrechende Nacht sie verschluckt haben? Alles in Matthews sträubte sich gegen diesen Gedanken.
„John! Wir haben in der näheren Umgebung sämtliche Orte abgegrast, an denen sie sich versteckt halten könnten! Wir waren auf der Douglas-Farm, bei den McCoys und jetzt bei den Simpsons. Vielleicht hast du doch nicht so gut getroffen, wie du insgeheim glaubst! Vielleicht sind sie einfach weitergeritten!“
„Waren Sie auch in McIntyres altem Haus, das jetzt leer steht?“ Simpson spuckte erneut aus, das war eine schlechte Angewohnheit von ihm. „Wenn Sie mich fragen, dann ist das ein idealer Platz, wenn man sich vor irgendjemandem verstecken will!“
„Wir waren dort!“, berichtete Norman. „Nichts! Nur auf der Harper-Ranch waren wir noch nicht.“
„Harper beschäftigt ein gutes Dutzend Cowboys, die er in seinen Baracken beherbergt!“, warf Simpson ein. „Wenn ich auf der Flucht wäre, würde ich mich nicht gerade dorthin wenden!“
Norman nickte.
„Das haben wir uns auch gedacht.“
„Wir sollten trotzdem noch hinreiten“, meinte John Matthews.
„Glaubst du, drei Männer – einer davon verletzt – könnten es mit Harpers Cowboys aufnehmen?“ Norman schüttelte energisch den Kopf.
„Ein Teil der Cowboys wird die Saloons von Three Little Rocks bevölkern“, wandte Matthews ein. „Wir sollten sichergehen.“
Malcolm hatte Field geweckt und angewiesen, auf die McCoys aufzupassen.
Dann war er mit dem Doktor ins Nebenzimmer gegangen.
„Ihre Aufgabe ist es, diesen Mann soweit zusammenzuflicken, dass er mit uns fliehen kann!“
Dr. Andrews sagte nichts dazu, sondern untersuchte Harris, dem der Schweiß auf der Stirn stand. Er hatte wahrscheinlich hohes Fieber und war zu matt, um wirklich wahrnehmen zu können, was um ihn herum geschah.
Malcolm lief unruhig hin und her und hantierte nervös mit der Winchester herum.
„Bitte!“, sagte Dr. Andrews. „Ich kann bei dieser Unruhe nicht arbeiten!“ Malcolm wusste, dass der Doktor recht hatte. Ungeduldig sah er Andrews bei seinen Prozeduren zu.
„Ich kann ihm nicht helfen!“, erklärte Andrews. „Sie haben mich zu spät kommen lassen. Dieser Mann stirbt!“
Malcolms Züge versteinerten. Er fuhr sich mit der Linken über das Gesicht und schob sich den Hut in den Nacken, während er die Rechte am Abzug der Winchester ließ.
„Rufen Sie den Pfarrer, wenn Sie noch etwas für Ihren Freund tun wollen.
Ich kann hier nichts mehr machen!“
Malcolm lief rot an, er kniff seine Augen zusammen und murmelte:
„Operieren Sie ihn!“
Malcolm hatte sehr leise gesprochen, aber in seiner Stimme lag ein deutlich drohender Unterton. „Haben Sie gehört?“, fauchte er. „Sie sollen ihm die Kugel rausholen!“
„Mister …“
Malcolm trat auf Dr. Andrews zu und hielt ihm den Lauf der Winchester direkt unter die Nase. „Haben Sie mich verstanden, Dr. Andrews?“ Andrews nickte. Sein Gesicht war kalkweiß geworden.
„Operieren Sie, Doc!“
Andrews zuckte mit den Schultern.
Die Winchester vor seiner Nase war ein stärkeres Argument als eine ärztliche Diagnose.
„Wie … wie Sie meinen …“, stammelte er.
Malcolm grinste freudlos und nahm die Winchester weg, woraufhin der Doktor hörbar aufatmete.
„Sie sind kein besonders mutiger Mann, Doc!“, stellte Malcolm fest.
„Das ist richtig“, antwortete Andrews. „Es liegt bei Ihnen, ob Sie diesen Mann einigermaßen friedlich sterben lassen wollen – oder unter den Qualen einer Operation, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist!“ Malcolm packte Andrews beim Kragen und drückte ihn gegen die Wand.
Seine Augen funkelten gefährlich, jeder Nerv und jede Sehne seines Körpers stand unter Spannung.
„Wenn dieser Mann Ihnen unter dem Messer wegstirbt, Doc, dann war das Ihre letzte Operation! Dann sterben Sie mit ihm!“ Andrews zitterte.
„Wir haben uns verstanden, Doc?“
Der Doktor nickte schwach.
Malcolm ließ ihn los und ging zur Tür. Kurz bevor er hinausging, wandte er sich noch einmal um. „Fangen Sie an!“
Dann öffnete er die Tür zur Wohnstube. „Sam, komm her und pass auf, dass der Doc keine Dummheiten macht!“
Field kam herbei.
„Was hat er gesagt?“
„Er hat versucht zu bluffen. Aber das habe ich ihm ausgetrieben. Er wird ihn operieren!“
Längst schon stand der Mond am sternklaren Himmel, als de Suchtrupp erfolglos nach Three Little Rocks zurückkehrte.
Auch auf der Harper-Ranch waren die drei Flüchtigen nicht aufgetaucht, obgleich die Gelegenheit günstig gewesen wäre, denn tatsächlich war der Großteil der Cowboys in die Stadt geritten, um die Saloons leerzutrinken.
„Es will mir nicht in den Kopf!“, murmelte John Matthews nicht zum ersten Mal. Der Suchtrupp löste sich auf, die Männer gaben Ed Norman ihre Blechsterne zurück und gingen müde nach Hause.
„John, wir haben getan, was wir konnten“, meinte Norman, aber Matthews wollte davon nichts hören.
„Sie sind hier irgendwo in der Nähe“, sagte er. „Ich weiß es, ich …“
„Du steigerst dich da in etwas hinein!“
„Ed, glaubst du etwa, dass diese Leute sich in Luft aufgelöst haben?“
„Nein, natürlich nicht.“
Matthews winkte ab. Sie hatten sie nicht gekriegt, das war eine Tatsache, und er tat wahrscheinlich besser daran, sie anzuerkennen.
„Kommst du noch mit auf einen Drink zu Buddy Silverman?“ Norman schüttelte den Kopf.
„Es war heute ein anstrengender Tag. Ich werde zu Bett gehen – und würde dir dasselbe empfehlen …“
„Gute Nacht, Ed.“
John Matthews konnte ein Gähnen nicht unterdrücken, als er durch die Schwingtüren von Buddy Silverman’s Saloon ging. Er nahm den Hut ab und brachte ihn mit einem gut gezielten Wurf an den Garderobenständer.
Er lächelte kurz.
Wenigstens etwas, das ihm heute gelungen war!
Er ging zur Theke und ließ sich einen Whisky einschenken.
Wenn er genau überlegte, dann war er ziemlich müde. Aber da war etwas, das ihn nicht zur Ruhe kommen ließ. Verzweifelt zermarterte er sich das Hirn.
Alles haben wir abgesucht!, schoss es ihm durch den Kopf. Aber wir müssen etwas übersehen haben!
Er trank das Glas in einem Zug aus und stellte es hart auf den Schanktisch.
„Noch einen Drink, Mister?“, fragte der Barkeeper. In der Rechten hielt er eine Whiskyflasche.
„Nein, danke“, antwortete Matthews. „Ich glaube, ich habe genug.“ Der Barkeeper zuckte mit den Schultern und stellte die Flasche beiseite.
Matthews hörte den anderen Männern an der Theke eine Weile bei ihren Gesprächen zu. Dann horchte er plötzlich auf.
„Hey, Randolphs, kommt der Doc heute Abend gar nicht?“
„Doc Andrews? Der war schon hier, aber der junge McCoy hat ihn weggeholt.“
„Was ist denn passiert?“
„McCoy hat gesagt, seine Frau sei gestürzt und der Doc solle mit ihm reiten.
Es ging um Leben und Tod!“ Randolphs leerte sein Glas und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. „Seltsam …“, murmelte er. „Ich habe ihm angeboten mitzukommen und zu helfen, aber er hat abgelehnt … Na ja, muss er selber wissen, der gute McCoy. Ziemlich aufgeregt war er, so richtig aus der Fassung. So kennt man ihn sonst gar nicht!“ Ein Arzt!, durchzuckte es Matthews’ Hirn. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen!
Die Banditen hatten einen Verletzten, also brauchten sie natürlich einen Arzt!
Wir sind draußen bei den McCoys gewesen!, rief Matthews sich in Erinnerung. Und McCoy selbst hatte bestätigt, dass alles in Ordnung sei!
Aber vielleicht war im Nebenraum die Mündung eines Colts auf seine Frau und sein Baby gerichtet gewesen, vielleicht war McCoy dazu gezwungen worden, eine Komödie vorzuspielen …
Der Verdacht war da und er ließ Matthews nicht mehr los.
Er bezahlte seinen Drink, nahm den Hut vom Haken und verließ den Saloon.
Die Kühle, die draußen herrschte, blies die Müdigkeit hinweg, die Matthews eben noch beherrscht hatte. Er schwang sich auf sein Pferd und lenkte dessen Schritt zunächst zum Haus des Doktors. Vielleicht würde sich seine Vermutung als Irrtum herausstellen. Vielleicht war Dr. Andrews von den McCoys bereits zurückgekehrt, hatte McCoys Frau, die möglicherweise wirklich gestürzt war, versorgt und saß nun mit seiner Frau zusammen im Wohnzimmer, zurückgelehnt in die weichen Ohrensessel, die dort ihren Platz hatten.
Matthews klopfte an der Tür.
„Andrews! Machen Sie auf! Hier ist Matthews, der Sheriff von Rawlins!“ Es rührte sich nichts. „Andrews!“ Schritte waren hinter der Haustür zu hören. Es wurde geöffnet, und vor dem Sheriff stand Mrs Andrews.
„Ist Ihr Mann zu Hause?“
„Nein. Sie sind schon der zweite, der heute Abend nach ihm fragte.“ Matthews zog die Brauen hoch.
„Der zweite?“
„Ja. Der junge McCoy war hier. Ich weiß nicht, was er von meinem Mann wollte. Ich habe McCoy in den Saloon geschickt, denn Henry wollte dort auf ein Bier hin.“
Matthews nickte. „Dort ist er gewesen. Dann ist er mit McCoy zu dessen Farm geritten.“
„Um diese Zeit? Ist etwas passiert?“
„Ich … ich weiß es nicht, Ma'am. Hätten Sie was dagegen, wenn ich hereinkomme und hier auf ihren Mann warte?“
Mrs Andrews schien etwas verwirrt.
„Nein, ich …“ Sie stockte. „Kommen Sie herein, Sheriff.“
Harris’ entsetzliche Schreie ließen allen das Blut in den Adern gefrieren, und wenig später vermischten sich die Schreie des Verletzten mit denen der kleinen Liz, die aus dem Schlaf geweckt wurde und nicht verstehen konnte, was los war. Die Frau nahm sie auf den Arm und versuchte verzweifelt, das Baby und sich selbst zu beruhigen.
„O Gott, hoffentlich ist das bald zu Ende!“, schluchzte sie. Malcolm hielt währenddessen die Hände um den Griff der Winchester verkrampft.
Wieder ein Schrei, und wieder, und wieder …
Jedesmal zuckte Malcolm zusammen. Er musste unwillkürlich an die Worte des Doktors denn. Vielleicht hatte er doch nicht geblufft, vielleicht hatte er die Wahrheit gesagt!
Er schlug sich mit der flachen Hand an den Kopf. Die Schreie drangen wie ein scharfes Messer durch seine Seele. Er fühlte sich furchtbar.
Und dann war es mit einem Mal vorbei.
Kein Schrei mehr, nicht ein Laut, der noch aus dem Nebenzimmer drang.
Malcolm versteinerte. Ein schrecklicher Verdacht stieg in ihm auf. Er hielt die Winchester schussbereit.
„Nein!“, schrie er, stürmte ins Nebenzimmer und richtete das Gewehr auf den Doc
„Sie haben ihn umgebracht!“
„Nein!“, sagte Andrews matt. „Ich habe ihm Morphium gegeben.“ Malcolm keuchte und wischte sich über die Stirn. Die Grenze zum Irrsinn, dachte er, ist fließend. Und wer kann sich schon absolut sicher sein, auf der richtigen Seite dieser Grenze zu stehen?
Malcolms Blick fiel auf Harris’ Wunde, die der Doc freigelegt hatte. Er hatte schon eine ganze Menge Blut in seinem Leben gesehen, aber bei diesem Anblick zuckte er dennoch zusammen.
Field hielt sich die Hand vor den Mund, drückte sich an Malcolm vorbei durch die Tür und presste hervor: „Lös du mich mal ab, George! Ich halte das hier nicht mehr aus!“
Dann übergab er sich auf den Bretterboden.
Unterdessen hatten sich die McCoys mit der kleinen Liz mehr und mehr in Richtung Haustür gestohlen. Field bemerkte das, als er sich wieder aufgerappelt hatte.
„Schön stehenbleiben …“, murmelte er mit der Winchester im Anschlag.
„Weg da von der Tür!“
Die McCoys gehorchten. Die Frau hielt das Baby fest an ihre Brust gepresst.
„Sie wollten uns doch nicht etwa schon verlassen?“
George Malcolm hatte auf einem Stuhl neben dem Bett Platz genommen und beobachtete jede Bewegung des Arztes.
Ich müsste etwas schlafen, überlegte er. Aber selbst wenn eine Gelegenheit dazu bestanden hätte, wäre es ihm wohl kaum gelungen, ein Auge zuzudrücken.
Die Worte der Frau kamen Malcolm wieder in den Sinn. Vielleicht war es tatsächlich das Beste, Harris zurückzulassen. Wenn sie jetzt aufbrachen, dann hatten sie eine gute Chance …
Zu was für einem Hund bin ich herabgesunken, dass ich anfange, so etwas zu denken!, durchfuhr es Malcolm.
Aber diese Gedanken waren da. Sie folgten einer Logik, die jenseits all dessen lag, was Menschen für gut oder böse, für anständig oder verwerflich hielten, einer Logik, die älter war als die zehn Gebote und dennoch nichts von ihrer zwingenden Kraft eingebüßt hatte: Seine Gedanken folgten der Logik des Überlebens und ließen sich nicht einfach so davonscheuchen.
Wir könnten weit weg sein, wenn Harris nicht wäre!, überlegte Malcolm.
Und wenn Field nicht so ein hemmungsloser Säufer wäre, kam es ihm danach in den Sinn, würden wir jetzt feiern und uns unserer Beute freuen, bis sie verbraucht wäre und wir uns nach etwas anderem umsehen müssten …
Wenn, wenn …
Aber das führte alles nicht weiter, man musste die Situation nehmen, wie sie nun einmal war. Das Vergangene ließ sich nicht mehr ändern, gemachte Fehler sich nicht mehr nachträglich geradebiegen.
Dann riss ein Geräusch Malcolm aus seinen Gedanken.
Ein Reiter!
„Darf ich Ihnen nicht doch etwas anbieten, Mr Matthews?“, fragte Mrs
Andrews, wobei sie unruhig die Hände rang.
Aber Matthews schüttelte geistesabwesend den Kopf.
„Nein danke, Ma'am!“
Er hatte der Frau des Doktors von seinem Verdacht erzählt, und nun saßen sie schon eine ganze Weile im Wohnzimmer der Andrews und warteten.
Aber der Doc kam nicht zurück.
Das musste nicht gleich bedeuten, dass Matthews’ Verdacht richtig war, aber andererseits gab es so auch keine Möglichkeit, ihn ein für allemal zu widerlegen.
„Ich bin jetzt doch ziemlich beunruhigt!“, gab Mrs Andrews zu. Sie seufzte schwer, und trotz der späten Stunde nahm sie eine Tasse Tee.
„Diese Männer werden Ihrem Mann nichts tun“, versuchte Matthews die Frau des Doktors zu beruhigen. „Sie brauchen ihn, wenn sie ihren verletzten Komplizen nicht sich selbst überlassen wollen.“ Sie nickte schwach.
„Ich hoffe, Sie haben recht.“
Eine gute halbe Stunde wartete Matthews noch, aber Dr. Andrews war noch immer nicht aufgetaucht. Er erhob sich und nahm seinen Hut.
„Was haben Sie vor, Mr Matthews?“
„Ich werde noch einmal zu den McCoys hinausreiten, um festzustellen, was dort wirklich los ist.“
„Soll ich Sheriff Norman benachrichtigen?“
Matthews schüttelte den Kopf.
„Nein, jetzt noch nicht. Wenn ich in drei Stunden nicht zurück bin und Ihr Mann bis dahin immer noch nicht aufgetaucht ist, dann wecken Sie ihn bitte!“
„In Ordnung.“
„Auf Wiedersehen, Ma'am!“
„Passen Sie auf sich auf, Mr Matthews!“
Matthews versuchte, entspannt zu wirken und zu lächeln, aber das misslang ihm. Er wandte sich ohne noch ein Wort zu sagen zur Tür, ging hinaus und bestieg sein Pferd. Als er davonritt, sah Mrs Andrews ihm noch einige Augenblicke lang nach.
Als Matthews die Farm der McCoys erreichte, schien zunächst alles in Ordnung zu sein. Er machte sein Pferd fest und lockerte den Revolver im Halfter. Dann ging er zum Pferdestall und öffnete das Tor ein wenig. Im Licht des Mondes sah Matthews fünf Pferde!
Seine Hand glitt zum Revolver und zog ihn aus dem Halfter. Sein schrecklicher Verdacht schien sich zu bestätigen.
Im Wohnhaus der McCoys brannte noch Licht. Matthews schlich sich im Schutz der Dunkelheit heran, schlich unter dem Fenster der Wohnstube her, um auf die andere Seite des kleinen Hauses zu gelangen.
Dann hörte er, wie die Haustür geöffnet wurde. Matthews war gerade hinter der Hausecke verschwunden. Er presste sich an die massive Holzwand, den Revolver schussbereit.
Er hörte Schritte. Zunächst lief jemand ein paar Meter und blieb dann stehen. Vorsichtig spähte Matthews um die Ecke und sah McCoy, der sich nach allen Seiten umsah.
Man wird mich kommen gehört haben!, überlegte Matthews.
McCoy wirkte unsicher und ängstlich, nicht wie jemand, der seinen Besitz kontrollierte. Mehrere Male wandte er sich zur Haustür um, geradeso, als würde dort jemand hinter ihm stehen.
Er ist unbewaffnet!, kam es Matthews in den Sinn. Wenn ich um diese Zeit einen Reiter hören würde, der auf meiner Farm auftaucht, würde ich ein Gewehr mitnehmen! Zumindest, wenn man so einsam wohnt wie die McCoys!
Jason McCoy wandte sich erneut zur Haustür um und zuckte mit den Schultern. Es schien Matthews so, als wartete McCoy auf ein Signal von drinnen.
Als dieses (so vermutete Matthews) endlich kam, drehte er sich nochmals nach allen Seiten um.
Da erblickte er das Tor zum Pferdestall, das Matthews halb geöffnet gelassen hatte. McCoy schüttelte den Kopf, ging zum Stall und schloss das Tor wieder. Er schien nicht recht zu wissen, was er davon halten sollte.
Als er zum Haus zurückging, zuckte er mit den Schultern und sagte: „Da ist niemand, Sie müssen sich verhört haben!“
John Matthews schlich auf die andere Seite des Hauses. Dort gab es nur ein kleines Fenster, etwa in Augenhöhe angebracht.
Matthews blickte hindurch und sah Dr. Andrews, der sich über das Bett beugte. Aber dort lag nicht etwa McCoys Frau, sondern ein Mann, dessen Rücken einen üblen Anblick bot.
Der verletzte Gangster!, schoss es Matthews durch den Kopf. Sein Verdacht hatte sich endgültig bestätigt, die Banditen waren hier, auf dieser einsamen Farm, untergekrochen und hatten die Bewohner als Geiseln genommen!
Was war jetzt zu tun?
Nach Three Little Rocks zurückreiten und Ed Norman benachrichtigen?
Matthews verwarf diese Möglichkeit rasch wieder. Bis Ed den Suchtrupp wieder zusammengetrommelt hatte und sie den Weg zur McCoy-Farm hinter sich gebracht hatten, würde eine kleine Ewigkeit vergehen.
Und wer garantierte, dass die Banditen dann noch hier waren? Vielleicht waren sie jetzt gewarnt, vielleicht hatten sie Matthews’ Pferd gehört und waren jetzt gewarnt …
Schließlich hatten sie den Farmer nach draußen geschickt, um sich nach einem eventuellen Besucher umzuschauen, das war eindeutig.
Wer weiß?, überlegte Matthews. Vielleicht wird ihnen ihr verletzter Komplize sehr schnell gleichgültig, wenn sie sich entdeckt glauben und damit rechnen müssen, dass in absehbarer Zeit ein Suchtrupp das Haus umstellen wird, und machen sich einfach davon …
Es sind zwei Männer, dachte Matthews. Den Dritten konnte man nicht rechnen, der lag kampfunfähig unter dem Messer von Dr. Andrews. Zwei!
Und einer davon hieß Sam Field und war ein Trinker, der seinen Revolver nie ruhig genug würde halten können, um ein wirklich guter Schütze zu werden. Mit dem konnte man fertigwerden.
Blieb noch einer, dessen Möglichkeiten Matthews nicht einzuschätzen wusste.
Ich werde es allein versuchen!, entschied Matthews. Mit zwei Männern müsste ich es aufnehmen können!
Plötzlich hörte er in seinem Rücken ein Geräusch.
„Hände hoch!“
Matthews warf sich zu Boden und feuerte blind in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war.
Er sah das Mündungsfeuer eines Gewehrs und dann einen Schatten, der hinter der Hausecke verschwand.
Matthews rollte sich zur Seite und kroch hinter einen Stapel Brennholz, der ihm notdürftig Deckung bot. Hastig lud er den Revolver nach. Nichts rührte sich, aber er wusste, dass diese Ruhe trügerisch war. Irgendwo in dieser Dunkelheit lauerte ein Gegner auf ihn, der mit ihm kurzen Prozess machen würde.
Dann donnerte ein Geschosshagel heran, der Matthews sich dichter hinter den Holzstoß kauern ließ. Die Kugeln sirrten dicht über ihn hinweg oder schlugen vor und neben ihm in den staubigen Boden ein.
Matthews versuchte, zurückzuschießen. Er ballerte einfach in die Finsternis hinein, in die Richtung, aus der die Schüsse kamen. Bei einem der zaghaften Blicke, die er riskierte, sah er zwei Mündungsfeuer aus unterschiedlichen Richtungen in der Nacht aufblitzen.
Dann folgte eine kurze Feuerpause. Sie müssen nachladen, erkannte Matthews.
Er konnte es kaum wagen, sich auch nur ein wenig zu bewegen. Wenn man es recht bedachte, dann war er in keiner guten Lage …
Matthews versuchte über den Holzstoß hinüberzuspähen, um vielleicht herausfinden zu können, wo genau sich seine Gegner befanden. Ein Schuss donnerte und zerfetzte eines der Holzstücke, so dass er den Kopf sogleich wieder einzog.
„Sie haben keine Chance!“, rief jemand, und Matthews musste ihm insgeheim recht geben. „Werfen Sie Ihre Waffe herüber und kommen Sie mit erhobenen Händen hervor, wenn Sie nicht wollen, dass wir aus Ihnen ein Sieb machen!“
Das war deutlich genug.
„Okay!“, rief Matthews also. „Ich gebe auf!“
Er warf seinen Revolver über den Holzstoß in die Richtung, aus der auf ihn geschossen worden war.
„Jetzt Sie, Mister!“
Vorsichtig stand Matthews auf und hob die Hände. Zwei Männer traten jetzt aus der Dunkelheit.
„Sieh an, Sheriff“, sagte Sam Field. „So kann sich das Blatt wenden. Ist noch gar nicht so lange her, da war ich in Ihrer Gewalt. Jetzt sind Sie in unserer!“
„Sind Sie allein?“, fragte der andere Mann. Er war grauhaarig, ziemlich groß und schlaksig. Matthews hatte ihn noch nie gesehen.“
„Ja, ich bin allein.“
„Kommen Sie mit in die gute Stube!“, fuhr der Mann dann fort. „Es wird zwar langsam ein bisschen eng in der Hütte, aber für Sie werden wir noch ein Plätzchen finden!“
„Davon bin ich überzeugt!“
Field hob Matthews’ Revolver vom Boden auf und steckte ihn hinter seinen Gürtel. Dann führten sie den Sheriff zur Haustür. Matthews spürte den Druck eines Revolverlaufs im rücken. Das war kein gutes Gefühl.
Field öffnete die Tür, und sie traten in die verhältnismäßig helle Wohnstube der McCoys. Den Farmer und seine Frau hatten die Gangster jeweils an ein Tischbein gefesselt, die kleine Liz lag in ihrer Wiege und schrie. Jetzt, da die Schießerei aufgehört hatte, begann sie sich langsam zu beruhigen.
„Sie bekommen Gesellschaft!“, sagte George Malcolm an die McCoys gerichtet, als er den Sheriff hereinführte. Und an Matthews: „Wir haben noch ein paar Tischbeine frei, wie Ihnen nicht entgangen sein dürfte!“ Dann fiel sein Blick auf den Sheriffstern an Matthews’ Brust. „Sie müssen Matthews sein, der Sheriff von Rawlins!“
„Ja, der bin ich.“
Dann veränderte sich sein Gesicht mit einem Mal. Malcolm versteinerte förmlich und sagte dann in eisigem Tonfall: „Sie haben unserem Freund eine Kugel in den Rücken gejagt!“
Matthews sagte nichts, er sah nur das gefährliche Blitzen in den Augen seines Gegenübers. Malcom trat dicht an den Sheriff heran und sah auf ihn herab.
„Begreifen Sie es als Gunst, die ich Ihnen erweise, dass ich Sie jetzt am Leben lasse und nicht einfach über den Haufen schieße!“ Er zog die Augen zusammen. „Ich habe keinen Grund, Sie am Leben zu lassen, denn man kann nur einmal gehenkt werden, ganz gleich wie viele Menschen man dafür umgebracht hat. Und an Geiseln herrscht bei uns derzeit auch nicht gerade Mangel, wie Sie vielleicht bemerkt haben! Denken Sie daran, wenn Sie irgendwelche Dummheiten vorhaben sollten! Denken Sie daran, dass ich Sie nicht brauche und bei der geringsten Kleinigkeit erschießen werde!“ Matthews wurde daraufhin – wie die McCoys – an ein Tischbein gefesselt.
Er überlegte.
Bis Mrs Andrews Ed Norman alarmieren würde, würde noch eine ganze Weile vergehen …
„Na, kein gutes Gefühl, Sheriff, oder?“, meinte Field mit gehässigem Tonfall. Er genoss den Triumph über Matthews offensichtlich und wollte ihn nun voll auskosten. „Sie sind auch nicht mehr der, der Sie einmal waren, Matthews! Sie sind alt und fett geworden! Sie hätten bei Ihren Hühnerdieben und betrunkenen Cowboys bleiben sollen! Das sind Aufgaben, denen Sie gewachsen sind!“ Er spuckte vor ihm aus, und seine Züge waren voller Verachtung.
Matthews schwieg. Immer wieder sagte er sich, dass er sich von Fields Auswürfen nicht verletzt zu fühlen brauchte. Aber Fields Worte hatten genau getroffen. Matthews war verletzt und gedemütigt, er konnte nichts gegen dieses Gefühl tun.
Dann kam ihm etwas in den Sinn, was es ihm erleichterte, sein Gleichgewicht und seinen kühlen Kopf zu behalten.
Es muss schrecklich für ihn gewesen sein, als ich so plötzlich in Buddy Silverman’s Saloon auftauchte und seinen Traum zunichte machte!, überlegte er. Ein Wesen aus der Gosse, das nichts als Schmutz kannte und plötzlich die Taschen voller Geld hatte, und dann, mit einem Mal, war alles vorbei, der Traum verwandelte sich in einen Alptraum, der noch nicht zu Ende war und durchaus das Zeug hatte, sich noch zu einer Tragödie auszuwachsen …
Er muss mich hassen, wurde es Matthews klar. Ich muss ihm als der Zerstörer seines Glücks erscheinen.
Aus dem Nebenzimmer war Harris’ Stöhnen erstmals seit langem wieder zu hören. Malcolm hatte die Tür geöffnet, um gleichzeitig den Doc und die anderen Gefangenen im Auge behalten zu können.
„Was ist los, Doc? Wollen Sie ihn umbringen?“
„Das Morphium hört auf zu wirken“, erklärte Dr. Andrews.
„Dann geben Sie ihm neues!“
„Ich habe ihm alles gegeben, was ich bei mir hatte!“
Field war von Malcolm angewiesen worden, Matthews’ Pferd zu den anderen in den Stall zu bringen. Als das geschehen war, kam der Doc aus dem Nebenzimmer. Er wischte die blutverschmierten Hände an einem Küchenhandtuch ab.
„Was ist los, Doc?“, wollte Malcolm wissen.
„Die Kugel ist raus“, antwortete Andrews knapp. Er hatte Ringe unter den Augen.
„Wann kann er reiten?“
„Reiten?“ Andrews schüttelte verständnislos den Kopf. „Es grenzt an ein Wunder, dass er bis jetzt noch nicht tot ist, und Sie wollen ihn auf ein Pferd setzen …“
„Wann?“, beharrte Malcolm, jetzt mit einem gefährlichen, drohenden Unterton in der Stimme.
„Gehen Sie rüber und schauen Sie ihn sich an, dann können Sie sich die Frage selbst beantworten!“
„Sam, binde den Doc zu den anderen an ein Tischbein!“ Wir sind überreizt!, dachte Malcolm. Wir alle sind völlig überreizt!
Während Field sich um den Doktor kümmerte, ging Malcolm hinüber ins Nebenzimmer. Luke Harris lag mit Schweißperlen auf der Stirn auf dem Bett ausgestreckt, und Malcolm spürte, dass nicht mehr viel Leben in dem Gefährten war. Sein Atem ging sehr flach und war manchmal gar nicht mehr zu hören …
Es half alles nichts, sie mussten jetzt bald aufbrechen. Ganz gleich, ob mit Harris oder ohne ihn oder mit seiner Leiche. Sie hatten keine andere Wahl mehr.
Länger durften sie nicht warten, egal um welchen Preis.
Sie hatten ohnehin nichts zu verlieren – und Harris sowieso am wenigsten.
Bis zum Morgengrauen müssen wir weg sein!, erkannte Malcolm. Und wenn du dann noch lebst, dann nehmen wir dich mit!
„Sam!“, rief Malcolm dann. „Geh in den Stall und sattele die Pferde!“
Field ging in die Nacht hinaus. Er sah die Sterne funkeln und fühlte, wie der kühle Wind durch seine Kleider ging. Er lenkte seine Schritte zum Stall hin, aber dann erstarrte er.
Hufgeräusche!
Irgendwo, etwas weiter draußen in der Finsternis, bewegte sich etwas, Stimmen drangen an sein Ohr.
Vom Fenster der Wohnstube her drang Licht bis zu ihm. Er war also für diese nächtlichen Verhältnisse eine ideale Zielscheibe!
Es ging alles sehr schnell.
Noch ehe Field die Situation richtig erfasst hatte, donnerten ein paar Schüsse, die rings um ihn herum in den Boden einschlugen.
Field warf sich zu Boden und rollte sich ab, wobei er mit der Winchester ungezielt in die Dunkelheit feuerte.
„Licht aus!“, schrie er verzweifelt.
Es wurde dunkel, und damit hatte er eine Chance. Einer Schildkröte ähnlich
– nur viel schneller – robbte er zurück zur Haustür, die Malcolm ihm öffnete.
„Hast du etwas abgekriegt, Sam?“, fragte dieser, als Field die Wohnstube erreicht hatte und sich keuchend erhob.
„Nein, ich habe Glück gehabt!“
Jetzt schoss niemand mehr. Malcolm schloss die Tür und stellte sich neben das Fenster. Vorsichtig blickte er hinaus. Ein paar sich bewegende Schatten waren dort auszumachen, nicht mehr.
„Wir sitzen in der Falle, George!“, rief Field, der sich unterdessen von dem kürzlichen Vorfall genug erholt hatte, um der Panik, die in ihm herrschte, Ausdruck zu verleihen.
„Halt’s Maul!“, war Malcolms lakonische Antwort. Ihn interessierten im Moment vor allem die Schatten dort draußen. Manchmal konnte man ein paar Wortfetzen hören.
„Wir kommen hier nicht mehr raus, George! Es ist alles aus!“
„Hier spricht Ed Norman, der Sheriff von Three Little Rocks!“, rief draußen jemand. „Können Sie mich hören?“
Malcolm öffnete das Fenster, um Norman besser verstehen zu können, aber er vermied es tunlichst, sich länger als den Bruchteil eines Augenblicks im Sichtfeld seiner Gegner aufzuhalten.
„Ich höre Sie gut, Sheriff!“, rief er zurück.
„Kommen Sie mit erhobenen Händen und unbewaffnet heraus! Die Farm ist umstellt! Sie haben keine Chance zu entkommen!“
„Das ist richtig“, gab Malcolm zu. „Aber bedenken Sie, dass Sie ebenfalls keine Möglichkeit haben, uns hier herauszuholen, wenn Sie das Leben der McCoys nicht gefährden wollen!“ Er wartete einen Moment, um die Wirkung seiner Worte abzuwarten. Es kam keine hörbare Reaktion, und so setzte er hinzu: „Direkt unter dem geöffneten Fenster steht die Wiege mit dem Baby!“
Es folgte noch immer keine Antwort. Malcolms Züge entspannten sich ein wenig. Auf der anderen Seite schien man im Moment mindestens ebenso ratlos zu sein, wie sie es waren. „Meinetwegen schießen Sie ruhig noch ein bisschen, Norman. Sollte eine verirrte Kugel dann die kleine Liz getroffen haben, können Sie sicher sein, dass dies Ihre letzte Amtsperiode als Sheriff war, denn wer wird einen Mann wählen, der das Leben eines kleinen Kindes rücksichtslos aufs Spiel setzt?“
„Wohin soll das führen?“, fragte Norman. Malcolm glaubte, einen Schuss Verzweiflung aus der Stimme des Sheriffs heraushören zu können. Und das gab ihm wieder einen gehörigen Teil Mut und Sicherheit zurück. Auch auf der anderen Seite wird nur mit Wasser gekocht!, dachte er.
„Was wollen Sie?“, rief Norman dann mit erhobener Stimme. „Wollen Sie ein Blutbad? Haben Sie nicht schon genug angerichtet? Reicht es Ihnen noch nicht?“
„Wenn wir uns ergeben, wird man uns hängen, nicht wahr, Sheriff?“ Von drüben kam keine Antwort. Sie erübrigte sich ohnehin.
„Sagen Sie mir, was wir zu verlieren haben“, fuhr Malcolm fort. „Sie schweigen, Sheriff. Dann will ich für Sie antworten: Für uns ist es egal, ob wir nur für den toten Deputy oder noch ein paar weitere Leichen an den Galgen kommen. Man hat nur ein Leben und kann es daher auch nur einmal verlieren!“
Malcolm atmete tief durch, er war jetzt sehr ruhig, sehr beherrscht. Er begann langsam wieder Herr der Situation zu werden, und das gab ihm Auftrieb.
Sheriff Norman antwortete nicht, aber es hatte auch niemand mehr geschossen. Das war ein ermutigendes Zeichen.
Schließlich rief Norman: „Sie müssen verrückt sein – wer immer Sie auch sind!“
„Das kann Ihnen egal sein“, erwiderte Malcolm ruhig. „Ich möchte nur, dass Sie verstehen, dass wir es ernst meinen. Wenn Sie etwas unternehmen, dann spielt sich hier drinnen eine Tragödie ab, das kann ich Ihnen versprechen.“
In der nächsten Viertelstunde geschah nichts Besonderes. Beide Seiten belauerten sich, ohne sich hervorzuwagen. Malcolm schloss das Fenster, damit man draußen die Gespräche nicht hören konnte, die sie miteinander führten.
Dann fing das Baby an zu schreien.
Malcolm ging zur Wiege und schaukelte sie ungeschickt hin und her, aber es hörte nicht mehr auf. Also wurde die Frau losgebunden, damit sie sich um die kleine Liz kümmern konnte.
„Was hast du für eine Idee, George?“, fragte Field mit einer für ihn ungewöhnlichen Ruhe. „Ich meine: Wie soll es jetzt mit uns weitergehen?“
„Das weiß ich noch nicht“, war die wenig ermutigende Antwort.
„Was ich sagen will, George, ist folgendes.“ Field sprach sehr vorsichtig, so als würde er jedes Wort genau abwägen – ganz gegen seine sonstige Gewohnheit. Malcolm zog die Brauen in die Höhe. Er hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend, als Field nach einigem Zögern schließlich weitersprach: „Ich habe den Deputy nicht erschossen, George.“ Aha!, durchzuckte es Malcolm. Jetzt ist es also endlich heraus! „George, vielleicht ist es für mich besser, wenn ich mich ergebe …“ Malcolms Augen zogen sich ein wenig zusammen, seine Mundwinkel waren verkniffen.
„So, meinst du, Sam?“, meinte er eisig. Field schluckte, sein Kopf lief rot an.
„Ich verstehe dich, George! Du hast keine andere Wahl mehr, das ist klar …
Aber ich …“ Field schluckte nochmals. „Ich habe niemanden erschossen, also wird man mich auch nicht aufhängen können, nicht wahr?“
„Ich hoffe, du hast recht, Sam.“
„George! Es ist doch nur so ein Gedanke!“
„Du kannst gehen, Sam. Ich werde dich nicht aufhalten. Dort ist die Tür!
Geh hinaus und warte ab, was die draußen mit dir tun werden! Du hast dein bisheriges Leben im Dreck zugebracht. Wenn du jetzt hinausgehst, wirst du im günstigsten Fall dein Leben in einem weiteren Dreckloch zubringen.
Wenn dir das gefällt, Sam, wenn dir das genug ist, dann geh hinaus! Es würde zu dir passen.“
Field schwieg und sah zu Boden.
Er wird nicht gehen!, wurde es Malcolm in diesem Moment klar. Er wird nicht gehen, weil er weiß, was es bedeutet, im Dreck zu leben. Aber das, was vielleicht noch auf uns zukommt, kann er sich schwer vorstellen …
Vom Nebenzimmer her war ein Stöhnen zu hören, schwach nur, sehr schwach … Die Frau, die gerade das Baby versorgt und wieder in die Wiege gebettet hatte, wurde von Malcolm angewiesen, nach dem Verletzten zu sehen. Sie war kaum hineingegangen, da kam sie bereits wieder zurück.
„Was ist?“, bellte Malcolm unwirsch.
„Er ist tot“, antwortete sie.
Die Frau konnte Malcolms Gesicht in der Dunkelheit nicht sehen, sie bemerkte nur, dass er sich mit der Hand über die Augen fuhr. Er sagte nichts. Dann ging er selbst ins Nebenzimmer, um sich zu überzeugen. Durch das kleine Fenster fiel Mondlicht auf Harris’ Gesicht und ließ es gespenstisch erscheinen. Malcolm fühlte nach dem Atem, nach dem Puls.
Aber da war nichts mehr. Harris war eingeschlafen – für immer. Matthews’
Kugel hatte ihn dahingerafft.
Für ihn ist es vorbei, dachte Malcolm.
Wer konnte schon im Voraus wissen, ob Harris am Ende nicht doch das beste Los von ihnen gezogen hatte?
Unsere Unternehmung schien anfangs unter einem so günstigen Stern zu stehen!, erinnerte er sich bitter. Es war so leicht gewesen, in die Bank von Rawlins zu gehen und das Geld mitzunehmen…
Er atmete tief durch.
Nach vorne blicken!, versuchte er sich verzweifelt einzureden.
Dann ging er zurück in die Wohnstube und öffnete das Fenster.
„Sheriff Norman! Hören Sie mich?“
Zunächst blieb alles ruhig.
„Norman! Ich will mit Ihnen reden!“
„Worüber? Haben Sie es sich überlegt und geben nun doch auf?“, kam es zurück.
„Ganz im Gegenteil. Wir haben vor abzureisen!“ Auf der anderen Seite folgte zunächst eine Pause. Dann rief Norman:
„Reden Sie keinen Unsinn!“
„Ich rede keinen Unsinn! Fünf Menschen befinden sich in unserer Gewalt, darunter ein Baby! Denken Sie daran!“ Malcolm atmete aus, dann fuhr er nach kurzer Pause fort: „Sie werden einen von uns zum Stall gehen lassen, um Pferde zu satteln und zum Haus zu bringen! Die Frau und das Baby werden mit uns reiten, und wenn Sie ihr Leben nichts aufs Spiel setzen wollen, dann lassen Sie uns durch! Wenn Sie uns folgen wollen, dann kann ich Sie selbstverständlich nicht daran hindern. Aber bitte in respektvollem Abstand, wenn Sie dem Leben der Geiseln einen Wert beimessen!“
„Mister! Das ist doch sinnlos! Damit kommen Sie nie durch!“
„Lassen Sie das unsere Sorge sein“, erwiderte Malcolm kühl.
„Es kommt nicht in Frage, dass …“
„Spielen Sie sich nicht so auf, Norman! Sie wissen so gut wie ich, dass Sie keine andere Wahl haben, als zu akzeptieren, was ich Ihnen gesagt habe.
Den Geiseln geht es bisher gut. Ich denke, Sie wollen nicht, dass sich das ändert!“
Field wurde hinausgeschickt, um die Pferde zu satteln, während Malcolm lauernd am Fenster stand, die Winchester in der Hand.
„Nehmen Sie mich als Geisel!“, meldete sich Jason McCoy. „Nehmen Sie mich statt meiner Familie.“
„Nein“, sagte Malcolm, ohne in die Richtung des Farmers zu sehen.
„Ich bin ein guter Reiter! Sie würden schneller vorankommen!“
„Die Sache ist entschieden, Mr McCoy, und Sie werden sich damit abfinden müssen.“
„Dann lassen Sie wenigstens das Baby aus dem Spiel!“
„Halten Sie den Mund!“
Es dauerte nicht lange, und Field kam mit drei gesattelten Pferden zurück.
Norman und seine Leute ließen ihn gewähren.
„Packen Sie alles ein, was Sie für das Kind brauchen!“, befahl Malcolm der Frau. Sie packte eine kleine Tasche.
Dann kramte sie ein Tuch aus der Kommode und nahm das Baby aus der Wiege. Das Tuch schlang sie um den Oberkörper, um damit das Kind vor der Brust zu tragen.
„Sind Sie fertig?“, fragte Malcolm mürrisch.
Sie nickte.
„Ja.“
Malcolm gab das Zeichen zum Aufbruch. Die Frau griff noch nach einem Umhang, der an einem Haken an der Wand hing und den sie um sich und die kleine Liz schlang.
„Sie gehen zuerst!“, wies Malcolm die Frau an. Sie traten hinaus in die Nacht, zuerst die Frau, dann Malcolm, der ihr den Winchesterlauf in den Rücken drückte, und zum Schluss Field.
Drüben, wo die Männer des Sheriffs lauerten, rührte sich nichts.
Sie werden es nicht wagen, etwas zu unternehmen!, versuchte Malcolm sich einzureden. Im anderen Fall hatten sie ausgespielt, das war klar.
„Steigen Sie aufs Pferd, Ma'am. Aber schön langsam!“ Die Frau quälte sich mit dem Baby in den Sattel. Sie hatte einige Mühe damit, aber weder Field noch Malcolm machten irgendwelche Anstalten, ihr zu helfen. Als sie es endlich geschafft hatte, keuchte sie und sagte: „Ich habe es Ihnen gesagt, Mister! Ich habe gesagt, dass es das Beste für alle wäre, wenn Sie möglichst bald verschwinden und Ihren Komplizen zurücklassen würden.“
„Halten Sie den Mund!“, erwiderte Malcolm rau.
„Ihr Warten hat ihn nicht am Leben erhalten können. Es war sinnlos, aber das habe ich Ihnen ja prophezeit.“
„Sie sollen den Mund halten!“
Malcolm sagte das so, dass die Frau jetzt das Gefühl hatte, dass es besser war, sich danach zu richten.
Sie hat etwas von einer Termite, dachte Malcolm bei sich. Sie frisst und sägt unaufhörlich an einem, weil sie sicher ist, dass man irgendwann zusammenbrechen wird.
Die beiden Männer bestiegen jetzt ebenfalls ihre Pferde.
Mrs McCoys Zügel hatte Malcolm an seinen Sattelknauf gebunden und hielt nach wie vor seine Waffe auf sie gerichtet.
Sie würden ständig auf einer Höhe reiten, zumindest bis sie die Reihen dese Suchtrupps passiert hatten. Malcolm konnte jederzeit abdrücken und seine Drohung wahrmachen.
Wenn er näher darüber nachdachte, dann wusste er nicht mit letzter Sicherheit, ob er es tun würde. Aber es musste zumindest so aussehen, als wäre er zu allem entschlossen.
Jetzt keine Zweifel!, versuchte er sich selbst einzureden. Solche Gedanken waren jetzt Gift, es galt jetzt, auf andere Dinge zu achten.
Field ritt gut einen Meter hinter Malcolm und der Frau.
An das, was sein Komplize im Ernstfall möglicherweise tun oder nicht tun würde, wagte Malcolm gar nicht zu denken. Auf Field konnte man sich nicht verlassen, das stand für ihn fest.
Und plötzlich wurde er durch seinen Komplizen im Rücken mehr beunruhigt als durch seine Gegner, die da irgendwo vor ihm in der Finsternis auf ihn lauerten.
Was, wenn Field sich auf einmal doch noch entschloss, zur anderen Seite überzulaufen? Was, wenn ihm einfiel, vielleicht bei der Justiz Punkte sammeln zu können, wenn er sich nicht nur ergab, sondern dem ganzen Spuk ein Ende bereitete, indem er ihm, Malcolm, eine Kugel in den Rücken jagte?
Langsam setzten die Pferde einen Huf vor den anderen, die Zeit schien so schrecklich gedehnt.
Eine Gestalt tauchte aus der Dunkelheit auf. Es war Ed Norman.
„Ich werde Sie ziehenlassen“, sagte er mit einer Spur von Resignation in der Stimme. „Wo und wann werden Sie die Frau und das Baby freilassen?“
„Das werden wir sehen“, gab Malcolm zur Antwort.
Malcolm zügelte kurz sein Pferd und das der Frau.
Er wechselte mit Norman einen undefinierbaren Blick.
„Ich werde dafür sorgen, dass Sie nicht davonkommen, Mister!“, sagte der Sheriff dann, nach ein paar Augenblicken des Schweigens. „Man wird Sie überall jagen, an jedem Sheriffbüro wird man einen Steckbrief von Ihnen angenagelt finden …“
Ed Norman holte zwar noch einmal Luft, aber es kam nichts mehr über seine Lippen.
„Tun Sie, was Ihre Pflicht ist, Sheriff!“, erwiderte Malcolm leise. „Und ich werde tun, was mich vor dem Galgen bewahrt!“
„Davor werden Sie sich nicht retten können! Eines Tages wird man Sie kriegen. Früher – oder später.“
Malcolm ritt mit der Frau an Norman vorbei, ohne noch etwas zusagen, und Field folgte ihnen in geringem Abstand.
Es dauerte nicht lange, und die Dunkelheit hatte die drei Pferde samt ihren Reitern verschluckt.
Matthews rieb sich die Hände, als ihm die Fesseln abgenommen wurden.
„Wir müssen ihnen nach!“, hörte er Jason McCoy rufen. Nachdem man den Farmer ebenfalls losgebunden hatte, verlangte er lauthals nach einem Gewehr, und wenn Ed Norman ihn nicht daran gehindert hätte, wäre er wahrscheinlich auf den Rücken des nächstbesten Pferdes gesprungen und hätte versucht, die Männer einzuholen, die seine Familie entführt hatten.
„Ich verstehe Sie“, sagte Ed Norman. „Aber wir müssen jetzt unseren Verstand gebrauchen. Wir werden ihnen folgen, aber mit einem gewissen Abstand. Sie wollen doch auch, dass Ihre Frau und das Baby wohlbehalten zu Ihnen zurückkehren!“
McCoy seufzte.
Natürlich wollte er das. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und raufte sich die Haare. Die Anspannung der letzten Stunden war von seinem Gesicht deutlich abzulesen. Und es war noch nicht vorbei …
„Drüben, im Schlafzimmer, liegt der dritte der Gangster“, meldete sich Dr.
Andrews zu Wort. „Ich habe ihm die Kugel aus dem Rücken geholt, aber er hat es nicht überlebt.“ Er schüttelte den Kopf. „Es bestand von Anfang an keine Chance, aber das wollte man mir nicht glauben!“
„Ein Gewehr!“, rief McCoy erneut. „Ich brauche ein Gewehr! Unsere Winchester haben die Entführer!“
„Nehmen Sie die Waffen des Toten“, schlug Sheriff Norman vor. „Ihm werden sie nichts mehr nützen können, schätze ich. Aber wenn Sie mit uns reiten wollen, dann müssen Sie Disziplin üben! Auch wenn Sie am liebsten losballern würden, Sie dürfen dem nicht nachgeben!“
„Okay, Sheriff.“
Der Morgen graute bereits, die Sonne sandte die ersten Strahlen des Tages über den Horizont, und sie ritten noch immer.
Zwischendurch hatten sie Pausen einlegen müssen, damit die Frau das Baby versorgen konnte. Aber diese Verzögerungen nahm Malcolm gern in Kauf, standen dem – was die Auswahl der Geiseln betraf – doch unbestreitbare Vorteile gegenüber.
Die Frau würde nichts unternehmen, was das Leben der kleinen Liz gefährdete, das wusste Malcolm. Fluchtversuche und ähnliches verboten sich für sie daher von selbst.
„Man wird uns folgen“, sagte die Frau plötzlich in die morgendliche Stille hinein. „Haben Sie das in Ihre Rechnung mit einbezogen?“
„Das habe ich“, erklärte Malcolm ruhig. Er hatte sein Gleichgewicht zum Großteil wiedererlangt.
Auf dem ersten Teil ihres Rittes hatte er noch die Winchester (die ja noch aus dem Besitz der McCoys stammte) stets auf seine Geisel gerichtet gehabt, aber inzwischen hielt er das nicht mehr für notwendig und hatte das Gewehr fortgeworfen, nachdem er ihm die Munition entnommen hatte. Er brauchte es nicht mehr, und seine eigene Winchester steckte in seinem Sattelhalfter.
„Was haben Sie für einen Plan?“, fragte die Frau nach einer längeren Pause.
Sie ritten in Richtung der Berge, das hatte sie inzwischen bemerkt. Das Land stieg an, sie quälten sich immer steilere Hänge hinauf. Aus den Tälern stieg Nebel auf, der zusammen mit der aufgehenden Sonne zu erstaunlichen Lichteffekten führte.
Malcolm hielt es nicht für notwendig, der Frau auf ihre Frage zu antworten, und schwieg daher hartnäckig. Doch anstatt sich geschlagen zu geben, wandte sie sich an Field.
„Wie ich Ihren Freund kenne, Mr Field, hat er auch mit Ihnen noch nicht über seine weiteren Pläne gesprochen. Ich habe doch recht, nicht wahr?“ Field verzog das Gesicht. Er hatte Ringe unter den Augen und schien ziemlich erschöpft. Und bestimmt war er durstig, schließlich hatte er einen ganzen Tag lang keinen einzigen Tropfen Whisky bekommen. Die Frau wartete seine Antwort gar nicht erst ab, sondern fuhr fort: „Ihr Freund liebt die einsamen Entschlüsse, nicht wahr?“
„Er ist ein verdammt gerissener Kerl“, brummte Field. „Er weiß schon, was er tut.“
„Ach, Sie haben es gut, Mr Field! Sie brauchen Ihr schwaches Köpfchen nicht anzustrengen. Sie haben jemanden, der für Sie denkt!“ Der Pfeil, den die Frau abgeschossen hatte, hatte genau ins Schwarze getroffen. Fields Gesicht lief rot an, seine Augen traten hervor und er machte für einige Momente den Eindruck eines Dampfkessels, der jeden Moment auseinanderbersten konnte.
Field blies sich auf, geradeso, als wollte er eine Tirade unflätiger Beschimpfungen ausstoßen, aber es kam nichts als Luft über seine Lippen.
Er atmete heftig aus, und diesen günstigen Moment nutzte die Frau, um fortzufahren.
„Wenn Ihr Freund glaubte, dass Sie auch nur ein Gramm Gehirn besäßen, das man verwerten könnte – glauben Sie nicht, Mr Field, dass er Sie dann um Rat fragen, sich mit Ihnen darüber austauschen würde, was werden soll?“
Sie sah plötzlich etwas Blinkendes vor ihrem Gesicht und erschrak. Dann ertönt ein Geräusch, wie der Hahn eines Revolvers es verursacht, wenn man ihn spannt.
Malcolm hatte ihre beiden Pferde gezügelt und blickte die Frau durchdringend an. Sie wusste sofort, dass sie die Grenzen dessen erreicht hatte, was sie sich erlauben konnte.
„Ma'am, Ihre Predigten brauchen wir nicht! haben Sie mich verstanden!“
„Ja, Sir!“
„Für unsere Zwecke würde es völlig reichen, das Baby mitzunehmen. Ich muss Ihnen nicht noch einmal erklären, dass es mir nichts ausmachen würde, Sie über den Haufen zu schießen.“ Malcolm nahm den Revolver weg und steckte ihn wieder ein. „Sie machen das sehr geschickt, Ma'am. Sie versuchen, einen Keil zwischen Sam und mich zu treiben. Am liebsten wäre Ihnen wahrscheinlich, wenn wir zwei uns gegenseitig umbrächten, dann wäre die Sache für Sie ausgestanden, nicht wahr? Leider können wir Ihnen diesen Gefallen nicht tun.“
Als die Sonne höher stieg, gewannen ihre Strahlen an Kraft und verdrängten die Morgenkühle und den Nebel. Ein schöner, angenehm warmer Tag würde vor ihnen liegen.
Field ging es zu langsam. Seine Ungeduld wuchs von Stunde zu Stunde.
Endlich wagte er es, sich Malcolm gegenüber Luft zu machen.
„Wenn es in diesem Schneckentempo weitergeht, werden wir den Sheriff und seine Leute nie abschütteln können!“
„Abwarten“, meinte Malcolm desinteressiert.
„George, lassen wir die Frau und das Kind einfach zurück, sie halten uns nur auf!“
Die Frau horchte auf. Sie witterte eine neue Chance, bald heil aus der ganzen Geschichte herauszukommen.
Aber sie hütete sich, etwas zu sagen.
Malcolm schüttelte unterdessen den Kopf.
„Die beiden sind unsere – Lebensversicherungen. Noch ist es nicht an der Zeit, sie gehen zu lassen.“
„Wann ist es soweit, verdammt noch mal?“
„Das werde ich entscheiden, wenn es soweit ist.“ Field pustete und machte eine wegwerfende Handbewegung.
Die Frau hat gesät!, wurde es Malcolm klar. Sie braucht nichts weiter zu tun als warten. Warten, bis ihre Saat aufgeht …
Nachdem ihre Pferde eine halbe Stunde lang einen mit Gras bewachsenen Hang hinaufgeächzt waren, erreichten sie die Kuppe eines Hügels, der fast schon die Ausmaße eines kleinen Berges hatte, und blickten für einige Momente zurück. Man hatte eine gute Sicht von hier aus. Grasbewachsene Hügel mit wenig Baumbewuchs, so weit das Auge reichte.
In der Ferne war eine Gruppe von sich langsam bewegenden Punkten zu erkennen.
Sowohl die beiden Männer als auch die Frau wussten, was das bedeutete.
Malcolm nahm für einen Moment den Hut ab und fächelte sich damit Luft zu. Inzwischen war es ziemlich heiß geworden …
„Da sind sie …“, flüsterte Field. „Sie sind uns auf den Fersen, George!“ Malcolm zuckte mit den Schultern.
„Solange sie in so respektvollem Abstand bleiben, soll mich das nicht stören.“
„Sie werden weiter aufholen!“, gab Field zu bedenken.
„Ja, aber sie werden uns in Ruhe lassen, weil wir die Frau und das Baby bei uns haben. Sie können nichts tun!“
Die Punkte in der Ferne, die unzweifelhaft ihre Verfolger waren, verschwanden schließlich im nächsten Tal.
Aber das machte sie für Field nicht weniger bedrohlich. Im Gegenteil! Es war schlimmer, sie nicht zu sehen, nicht zu wissen, wo sie waren, wie weit sie schon aufgeholt hatten …
Field musste an das denken, was die Frau getan hatte. Obwohl er ihn aus dem Gefängnis gerettet hatte, obwohl er einen Ausweg aus der scheinbar aussichtslosen Lage gefunden hatte, in der sie auf der McCoy-Farm gewesen waren, empfand er zunehmenden Widerwillen gegen Malcolms selbstherrliche Art.
Und dann schoss es ihm durch den Kopf: Ich habe nicht auf den Deputy geschossen! Ich hatte überhaupt keine Gelegenheit dazu, denn ich saß ja noch in der Zelle!
Malcolm hatte nichts mehr zu verlieren, ihn würde unweigerlich der Galgen erwarten, aber für Field stellte sich die Situation anders dar …
Vielleicht schaffte Malcolm es ja. Vielleicht gelang es ihm, sich und ihn zu retten und ihre Verfolger irgendwie auszutricksen.
Das war die eine Möglichkeit – und zwar die bessere, wie Field fand. Die andere war, den Helden zu spielen, wenn die Aussicht auf eine erfolgreiche Flucht aussichtslos würde. Field brauchte nur seinen Revolver zu ziehen und Malcolm so lange festzuhalten, bis die Meute sie erreicht hatte.
Für den Befreier einer Mutter mit ihrem Kind würden die Geschworenen ein mildes Urteil finden.
Das Baby schrie.
Das Geschrei hallte über die Täler. Vielleicht bis zu den Verfolgern, wer konnte das schon genau sagen …
„Ruhig, Lizzie! Ruhig!“
Die Mutter wiegte die kleine Liz hin und her. Sie war frisch gewickelt und hatte zu trinken bekommen, aber sie schrie trotz alledem.
„Was fehlt der Kleinen?“, fragte Malcolm mit gerunzelter Stirn. „Hat sie nicht alles bekommen, was sie braucht?“
„Hat sie“, bestätigte die Frau. „Aber so ein Dauerritt ist eben nichts für ein Kleinkind!“
Dagegen ließ sich nichts sagen.
Das Baby schrie weiter.
Field blickte sich ziemlich oft um.
Jeden Moment, so wollte es ihm scheinen, würden Sheriff Norman und seine Männer hinter ihnen auftauchen. Alles in allem bin ich jetzt in einer schlimmeren Situation als im Gefängnis von Three Little Rocks!, überlegte er sich.
Bankraub!, so durchschoss es seinen Kopf. Das wäre das einzige gewesen, was man mir vor Gericht hätte vorwerfen können!
Aber inzwischen war Geiselnahme hinzugekommen. Field glaubte, vom Regen in die Traufe gekommen zu sein.
Einige Zeit später machten sie eine kurze Rast an einem Bach. Sie gaben den Pferden die Gelegenheit zu trinken und füllten ihre Feldflaschen mit dem glasklaren Nass, das hier aus der Erde sprudelte.
Das Kind schrie unterdessen nicht mehr. Vielleicht hatte es sich beruhigt, vielleicht war es aber auch einfach zu erschöpft …
Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit sonderte Malcolm sich von den anderen etwas ab und ging zu den Pferden.
Er schien nachdenklich und besorgt.
Er weiß nicht mehr weiter!, durchfuhr es Field mit einem Mal, als er den Gefährten in die Ferne blicken sah – dorthin, woher die Verfolger zu erwarten waren.
Es hilft nichts!, wurde es Field klar. Ich muss jetzt anfangen, mir meine eigenen Gedanken zu machen!
Er sah zu der Frau hin, ihre Blicke kreuzten sich, und er wusste auf einmal, dass sie seine Gedanken kannte.
„Ich würde vielleicht zu Ihren Gunsten aussagen“, sagte sie sehr leise.
Malcolm sollte es möglichst nicht mithören.
„Was?“
Fields Frage war überflüssig, er selbst wusste das am besten, denn er hatte natürlich sofort verstanden, was die Frau meinte.
„Bei Gericht. Sie verstehen doch …“
Field schluckte, er blickte zu Malcolm hinüber, der noch in Gedanken vertieft schien.
„Ma'am“, brachte er unsicher hervor.
„Lassen Sie mich und die kleine Liz frei!“
In diesem Moment kam Malcolm zurück. seine Züge verrieten Misstrauen.
„Hat sie versucht, dich zu bequatschen, Sam?“
Field sagte nichts, und Malcolm schien auch gar nicht auf eine Antwort seines Komplizen zu warten. Er wandte sich statt dessen gleich an die Frau.
„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie das sein lassen sollen, Ma'am!“
„Ich …“
„Ich dachte, Sie hätten mich verstanden!“
Da lag nicht nur bloße Drohung in der Stimme, das spürte die Frau sofort.
Da schwang ein Gutteil Verzweiflung mit.
Field war weit weniger feinfühlig, aber auch ihm entging der Unterschied nicht.
„George …“, presste er hervor. Man hörte, dass ihm nicht wohl bei dem sein würde, was er jetzt zu tun beabsichtigte.
Malcolm wandte sich nicht zu Field um, sondern fixierte mit seinem Blick noch immer die Frau.
„Wir reiten jetzt weiter, Sam“, murmelte er. „Die Pause ist beendet!“
„George, bitte mach mir keine Schwierigkeiten und leg deinen Revolver ab!“
Malcolm hörte das Klicken. Field hatte den Hahn seines Colts gespannt.
„Nicht bewegen, George. So schnell bist auch du nicht!“ Malcolm hatte sich noch immer nicht umgedreht. Für einen Moment hing alles in der Schwebe, war nichts entschieden. Jeder Muskel, jede Sehne an Malcolms Körper war angespannt. Field wusste, dass er dem anderen in jeder Beziehung unterlegen war. Sein einziger Vorteil war, dass er seine Waffe bereits in der Hand hielt, dass sein Hahn bereits gespannt und sein Finger schon am Abzug war.
„Mach keinen Unfug, Sam!“
„Ich mache keinen Unfug, George, und ich hoffe, dass du auch keinen machst! Alles ist wohlüberlegt!“
„Sam …“
„Die Waffe weg! Und zwar ganz langsam!“
„Sam! Die Frau hat dich bequatscht! Ist es so?“
„Waffe weg, habe ich gesagt!“
Field war selber überrascht vom Klang seiner Stimme, von der Überzeugung und Festigkeit, mit der er diese Worte ausgesprochen hatte.
Auch Malcolm schien jetzt langsam klar zu werden, dass er es ernst meinte.
Verdammt ernst.
„Okay, okay, ich werfe den Revolver ins Gras!“ Langsam, so wie Field es gesagt hatte, holte er die Waffe aus dem Halfter und ließ sie fallen. „Zufrieden, Sam?“
„Geh einen Schritt zurück!“
Malcolm gehorchte.
„Noch einen!“
„Was soll das?“
Field trat nun vor und bückte sich nach Malcolms Revolver.
„Sam, hältst du das etwa für besonders klug? Willst du uns mit aller Gewalt an den Galgen bringen?“
„Dich, George. Nur dich werde ich an den Galgen bringen. Mir droht er ohnehin ja nicht.“
„Sam …“
„Es geht nicht anders, das siehst du doch ein, nicht wahr?“
„Wir hätten eine gute Chance gehabt, der Meute zu entwischen!“
„Nein, George, keine gute Chance, sondern eine miserable. Eine hundsmiserable – und du weißt es so gut wie ich. Jemand wie du, der nichts mehr zu verlieren hat, muss eine solche Chance vielleicht akzeptieren. Aber ich nicht.“
„Ich hätte dich heute Nacht auf der Farm, als du diese Anwandlungen zum ersten Mal bekommen hast, gleich über den Haufen schießen sollen!“
„Dazu ist es nun zu spät.“
„Wenn Sie wollen, dann hole ich das Lasso von Ihrem Pferd“, meldete sich die Frau zu Wort. „Ich denke, wir werden Ihren Freund fesseln müssen!“ Malcolm musterte sie.
„Ach, sieh an!“ Er spuckte verächtlich in ihre Richtung.
„Wie sollen wir das machen?“, fragte Field. „Ich kann ihn nicht gleichzeitig fesseln und mit der Waffe in Schach halten! Und wenn Sie ihn fesselten, Ma ám, das wäre zu gefährlich. Nein, ich denke, es ist das Beste, wenn wir einfach abwarten, bis der Sheriff und seine Meute kommen!“
„Ich werde ihn in Schach halten“, sagte die Frau bestimmt. „Und Sie können ihn dann fesseln. Ich werde mir eine Winchester nehmen.“
„Sie?“
„Keine Sorge, ich kann damit einigermaßen umgehen!“
In Malcolms Kopf herrschte ein heilloses Chaos, und das war eine ziemlich neue Erfahrung für ihn. Alles schien sich zu drehen, er war kaum imstande, einen vernünftigen Gedanken zu fassen.
Seine Chancen waren ohnehin schlecht genug gewesen. Was Field dazu gesagt hatte, traf völlig zu, und in diesem Augenblick erkannte er das auch an.
Und jetzt, so schien es, zerrann der letzte Rest dessen, was er noch an Möglichkeiten gehabt hatte …
Verzweiflung drohte sich in ihm auszubreiten.
Es ging jetzt um Alles oder Nichts, um Leben oder Tod …
Um seinen Tod!
Malcolm sah, wie die Frau das Baby an einer geschützten Stelle in ihr Tragetuch einwickelte und ins Gras legte. Dann ging sie zu den Pferden und nahm sich Fields Winchester aus dem Sattelhalfter und das Lasso vom Knauf.
Ich muss etwas unternehmen, bevor die beiden mich zu einem wohlverschnürten Paket für den Sheriff verarbeitet haben!, wurde ihm klar.
Er musste abwarten. Vielleicht würde sich ja noch eine Gelegenheit ergeben, um das Blatt zu wenden.
Die Frau kam zurück, warf Field das Lasso zu und vergewisserte sich dann, dass die Winchester auch geladen war.
„Es kann losgehen“, sagte sie zu Field. „Schnüren Sie ihn gut ein!“ Sie hatte jetzt eindeutig das Kommando übernommen, aber Field schien das nicht zu stören.
Er braucht jemanden, dessen Anweisungen er folgen, dessen Gedanken er ausführen kann, überlegte Malcolm. Pech für mich, dass sie anscheinend ein besseres Angebot für ihn hat, als ich es ihm bieten kann!
Die Frau hielt die Winchester drohend auf Malcolm gerichtet. Field ging mit dem Lasso einen Bogen und näherte sich ihm dann von hinten. Den Revolver hatte er zurück ins Halfter gesteckt, denn er würde beide Hände brauchen, um seinen Gefährten zu fesseln.
Was wird geschehen, wenn ich mich wehre?, fragte Malcolm sich.
Würde die Frau schießen, wenn er Field angriff (mit dem er fertigwerden konnte, wie er annahm)?
Sie wird zunächst an ihr Kind denken!, wurde es Malcolm klar. Sie würde versuchen, sich und das Baby in Sicherheit zu bringen!
Vielleicht irrte Malcolm sich und schätzte die Frau falsch ein. Aber das Risiko musste er auf sich nehmen.
Field trat von hinten an ihn heran.
„Die Hände auf den Rücken!“
Malcolm verpasste ihm im Drehen einen unverhofften Faustschlag, der seinem Gegner das Blut aus der Nase trieb. Einen weiteren Schlag schmetterte Malcolm auf Fields Unterkiefer, während er ihm fast gleichzeitig ein Bein stellte und ihn zum Stolpern brachte.
Field war in erbärmlicher körperlicher Verfassung. Er keuchte und versuchte, seinen Revolver zu ziehen.
Malcolm trat ihm auf die Hand. Es knackte, Field schrie und ließ die Waffe los.
Malcolm hob sie auf, ohne den Fuß von Fields Hand zu nehmen, und richtete sie auf ihren Besitzer.
Und dann dachte er: Sie hat nicht geschossen!
Seine Augen suchten sie für den Bruchteil eines Augenblicks, dann nahm er das Pferdegetrappel wahr und sah, wie sie mit ihrem Baby den Hang hinunterritt, den sie sich vor kurzem noch hinaufgequält hatten.
Malcolm verzog das Gesicht.
Er hatte recht behalten.
Er war noch am Leben.
„George, geh von meiner Hand runter!“
Malcolm spannte den Hahn des Revolvers. Seine Züge versteinerten.
„Nein, George!“, wimmerte Field.
„Ich glaube, wir haben uns nichts mehr zu sagen, Sam“, sagte Malcolm kalt.
Dann drückte er ab.
Jason McCoy wirkte angespannt, seine Mundwinkel waren verkniffen.
„Lassen Sie den Kopf nicht hängen, McCoy!“, meinte John Matthews, der neben ihm ritt. „Glauben Sie mir, es wird alles wieder gut werden.“ McCoy zuckte mit den Schultern.
„Sie haben gut reden, Matthews“, erwiderte der Farmer bitter. „Ihre Familie befindet sich nicht in den Händen skrupelloser Verbrecher.“ Natürlich hatte McCoy recht, das musste Matthews zugestehen.
„Wir werden alles tun, um eine Tragödie zu verhindern“, erklärte er schwach, obgleich er wusste, dass man im Augenblick kaum etwas tun konnte.
„Hat sich einer der Gentlemen schon überlegt, wie die Sache zu Ende gebracht werden kann?“, fragte Brooks, der Kirchendiener aus Three Little Rocks, mit provokantem Unterton. „Oder wollen wir diese Gangster für die nächsten hundert Meilen eskortieren?“ Er spuckte aus. „Es kotzt mich an, im Spaziertempo hinter diesen Männern herzuziehen, ohne dass wir Anstrengungen unternehmen, sie endlich zur Strecke zu bringen!“ Niemand sagte etwas dazu.
Die Antworten konnte sich jeder selbst geben, auch Brooks, wenn er genau nachdachte.
„Hey, seht mal! Da hinten!“, rief Ed Norman plötzlich aus, wobei er mit der Linken zum Horizont deutete.
Ein kleiner, sich bewegender schwarzer Punkt tauchte auf und wurde von Augenblick zu Augenblick größer.
„Ein Reiter!“, sagte jemand, aber das war keine große Erkenntnis. Der Punkt näherte sich immer mehr dem Suchtrupp, wurde größer und größer, bis Einzelheiten erkennbar wurden.
Es war eine Frau, ihre Haare flogen im Wind. Vor der Brust trug sie ein Kind im Tragetuch.
„Na, sehen Sie!“, sagte Matthews zu McCoy. „Ich habe keine Ahnung, was vorgefallen ist, aber das da vorne ist ohne Zweifel Ihre Frau!“ Irgendwo hinter dem Horizont war ein Schuss zu hören.
Die Frau wandte sich kurz im Sattel um, ohne dass dieser Blick irgendwelchen Aufschluss gab. Es dauerte noch einige Minuten, dann hatte sie die Reitergruppe erreicht. Sie atmete heftig und wischte sich den Schweiß
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: (C) ALFRED BEKKER CASSIOPEIAPRESS
Bildmaterialien: Steve Mayer
Tag der Veröffentlichung: 07.10.2015
ISBN: 978-3-7396-1725-1
Alle Rechte vorbehalten