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Viermal Bergwelt: Sammelband

Vier Romane von Alfred Bekker & Anna Martach

Drama und Schicksal vor dem Hintergrund der alpinen Bergwelt. Hass, Neid und Missgunst regieren auch in den Tälern und an den Berghängen, aber am Ende siegt die Liebe.

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 396 Taschenbuchseiten.

 

Dieses Buch enthält folgende vier Romane:

Alfred Bekker: Der Bergführer und die Gipfelstürmerin

Anna Martach: Alpendoktor Daniel Ingold – Band 1 Gefährlich Wetten und heiße Liebeleien

Anna Martach: Alpendoktor Daniel Ingold – Band 2 Madln und Berge – geliebt und gefährlich

Anna Martach: Alpendoktor Daniel Ingold – Band 3 Ich will mein Herz nur dir schenken

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Authors

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

 

 

Der Bergführer und die Gipfelstürmerin

von Alfred Bekker


Ein fesselnder Roman über ein dramatisches Schicksal im Schatten der Berge.


1

Flink glitten die geschickten Finger der Maria Oberhofer über die feinen Vorsprünge und Vertiefungen, die in der steilen Felswand zu finden waren.

Die bildschöne Magd vom Kernmeier-Hof war eine Klettererin, wie es so schnell keine zweite gab.

Einer Katze gleich zog sie sich empor und mit sicherem Gespür fanden ihre schlanken, zarten Finger immer wieder Punkte im Fels, an denen man sich festhalten konnte.

Mit traumwandlerischer Sicherheit fanden ihre schmalen Füße noch die kleinsten Tritte.

So schnell machte ihr das keiner nach!

Und obgleich man es der Maria nicht ansah, hatte sie eine enorme Ausdauer dabei. Sicher gab es so manchen Bergführer, der Mühe gehabt hätte, mit dem jungen Madel auch nur halbwegs mitzuhalten.

Aber Maria war schon seit frühester Jugend in jeder freien Minute in den Bergen gewesen. Die steilen Wände und die schneebedeckten Gipfel, hinter denen in der Ferne abends die Sonne unterging - das alles hatte sie schon von jeher fasziniert.

Das war bis zum heutigen Tag so geblieben.

Nichts Schöneres gab es für Maria, als neue Gipfel zu erklimmen und dann den Blick über das weitgespannte Panorama der Bergwelt zu genießen. Die Stunden vergingen für sie dann im Flug.

Maria atmete tief durch.

Ja, es gab nichts, was sich mit dem fantastischen Panorama der Bergwelt vergleichen ließ.

Aber diese idyllische Bergwelt barg auch Gefahren. Maria wusste das nur zu gut.

Von Ferne her war ein dumpfes Grollen zu hören, das Marias Kopf herumfahren ließ. Sie blickte zum Horizont, wo sich in der letzten halben Stunde ein immer bedrohlicher werdendes Wolkengebirge aufgetürmt hatte.

Maria Oberhofer wusste natürlich, was ein plötzlicher Wetterumschwung in den Bergen bedeuten konnte. Schon so mancher unerfahrener Bergwanderer hatte bei einem solchen Ereignis den Tod gefunden.

Und selbst erfahrene Kletterer waren schon in arge Gefahr geraten!

"Mei!", entfuhr es Maria.

Es klang fast wie ein sorgenvoller Seufzer.

Die junge Frau war bereits beim Abstieg. Die ersten Zeichen für den Wetterwechsel hatte sie nicht so ernst genommen.

Schließlich hatte sie es bis zum Gipfel schaffen wollen. Was war das für eine Bergtour, die bereits zu Ende war, kurz bevor man zum Ziel gelangt war!

Die Maria hatte geglaubt, es wagen zu können, doch nun schien es, als würde sie eines besseren belehrt.

Das schlechte Wetter war schneller herangekommen, als sie geglaubt hatte.

Und wieder grollte es dumpf, ein Geräusch, das sie unwillkürlich erschauern ließ.

Mit gewandten Bewegungen setzte sie ihren Abstieg fort.

Endlich!

Sie hatte festen Boden unter den Füßen und stand auf einem vorspringenden Felsplateau, das wie eine flache Kanzel über den tiefen Abgrund ragte.

Inzwischen fing es an zu regnen und die ersten Blitze zuckten über den Himmel.

Maria wickelte das Seil auf, mit dem sie sich zuvor gesichert hatte. Ihre Bewegungen wurden immer schneller. Sie wusste, dass sie sich beeilen musste.

Dicke Regentropfen kamen vom Himmel und es dauerte nicht lange, da klebte dem Madel das lange blonde Haar nur so am Kopf.

Mit schnellen Schritten stieg sie einen schmalen, rutschigen Pfad hinab. Sie musste aufpassen, um nicht auszugleiten und in die Tiefe zu stürzen. Aber sie war sehr behände.

Dann ging es über einen schmalen Grat. Wenn man nach unten blickte, so konnte einem schwindelig werden - doch die Oberhofer-Maria kannte dieses Gefühl nicht. Ihr machte die Höhe nichts aus - und ebenso wenig konnte der Blick in die Tiefe ihr einen Schrecken einjagen.

Aber vor dem Wetter, da hatte sie Respekt. Sie wusste nur zu gut, dass bei einem solche Wetterwechsel die Temperatur urplötzlich fallen konnte - und damit natürlich auch die Grenze von Schnee und Eis. Immer wieder hörte man von unvorsichtigen Kletterern, die erfroren waren - sogar mitten im Sommer. Eine andere Gefahr waren die Erdrutsche, die durch heftige Regenfälle ausgelöst werden konnten. Wenn der Berg erst einmal in Bewegung geriet, dann gab es kaum noch eine Rettung.

Die Blitze zuckten jetzt immer öfter über den Himmel und der Regen nahm an Heftigkeit noch zu.

Maria war inzwischen klar, dass sie es nicht mehr bis zum heimatlichen Kernmeier-Hof schaffen würde. Das war völlig undenkbar.

Aber die junge Frau kannte sich in der Gegend aus. Und so wusste sie, dass es da eine Berghütte gab, zu der sie es schaffen konnte.

Bis auf die Haut war Maria inzwischen nass. Aber das Madel behielt die Ruhe. Sorgfältig verankerte sie das Seil, um sich an einem Steilhang hinabzulassen.

Sie prüfte, ob es wirklich hielt, dann ging es hinunter.

Die Hütte lag etwas oberhalb des Hochwaldes und bis dahin war es noch ein ganzes Stück.

Diesmal war ich zu leichtsinnig!, erkannte das Madel. Aber diese Erkenntnis nützte ihr jetzt auch nichts mehr.

Den Steilhang brachte sie gekonnt hinter sich. Dann ging es weiter.

Wenn sie Glück hatte, dann würde von der ganzen Sache nichts weiter bleiben, als eine kräftige Erkältung.

So oft war ihr das Glück treu geblieben.

Doch diesmal schien es nicht so.

Rasch huschten ihre Füße über den glitschigen Untergrund, doch dann verlor sie auf einmal das Gleichgewicht. Sie rutschte ein Stück den Hang hinunter, bis sie sich an einer knorrigen Wurzel festhalten konnte.

Nur ein paar Dutzend Meter war sie herabgerutscht - und dieser Hang war noch nicht einmal steil.

Schon glaubte das Madel, dass dies nur ein dummes Missgeschick war, ohne schlimmere Folgen. Doch als sie sich dann zu erheben versuchte, fühlte sie einen Schmerz am Knöchel...

"Nein!", hörte sie sich selbst rufen. "Das darf doch net war sein!"



2

Das hatte ihr gerade noch gefehlt! In Bergnot und dann auch noch verletzt!

Maria biss die Zähne aufeinander. Aber der Schmerz trieb ihr ein paar Tränen über die Wangen.

Und niemand weit und breit, der mir zu Hilfe kommen könnte! ging es ihr durch den Kopf.

Sie versuchte mehrfach, sich aufzurichten und den Hang wieder hinaufzukommen. Aber es gelang ihr nicht. Und der Fuß schien immer schlimmer zu werden.

Bitterkalt war es in der Zwischenzeit geworden und Maria zitterte wie Espenlaub.

Und dann hörte sie auf einmal, durch die Geräusche von Wind und Regen hindurch eine Stimme.

Einer Männerstimme.

"Hallo! Ist da wer?"

Maria blickte auf. Im ersten Moment glaubte sie schon, sich verhört zu haben.

Das konnte es doch nicht geben, dass sich jemand bei diesem Wetter hier her verirrt hatte!

Aber als der Unbekannte dann ein zweites Mal rief und das Echo zwischen den Steilwänden verhallte, da wusste die junge Frau, dass sie sich nicht verhört und sich auch nichts eingebildet hatte.

"Hier! Hierher!", rief sie daher sogleich aus vollem Halse.

Wenig später sah sie etwas oberhalb eine Gestalt auftauchen, die sicherlich genauso durchnässt war wie sie selbst.

"Mei, ein Madel!", sagte der Mann.

Verwunderung sprach aus der Art, wie er das sagte. Damit schien er nicht gerechnet zu haben.

Die Stimme kam der Maria Oberhofer bekannt vor, aber im Moment konnte sie nicht sagen, wer es war. Es war ihr auch nicht so wichtig.

Ein Seil kam hinab und der Mann ließ sich zu ihr hinunter.

Der Filzhut klebte ihm am Kopf und troff nur so.

Er runzelte verwundert die Stirn und brachte dann erstaunt hervor: "Mei, bist du net die Oberhofer-Maria? Die Magd vom Kernmeier-Hof? Ich kenn dich!"

Maria sah zu ihm auf und nickte.

"Freilich bin ich die!", presste sie heraus, denn der Fuß schmerzte immer noch sehr.

Maria erkannte den jungen Mann. "Und du bist doch der Greiner-Thomas, net wahr?"

Er lächelte matt.

"So ist es."

Der Greiner-Thomas war Bergführer und lebte mehr schlecht als recht von diesem Gewerbe.

Doch insgeheim hatte Maria den Thomas immer darum beneidet, dass er sein Geld mit einer Sache verdienen konnte, die auch ihr die größte Freude war.

Auch wenn der Thomas sicher kein reicher Mann durch sein unsicheres Gewerbe geworden war - er war sicherlich zufriedener als manch anderer, der sich seinen Lebensunterhalt mit saurer Arbeit verdienen musste. Insgeheim beneidete die Maria den jungen Bergführer dafür ein bisschen.

"Den Fuß hab ich mir wohl verstaucht - oder gar schlimmeres!", berichtete Maria und hielt sich den Knöchel.

"Mei, was machst du denn hier droben - bei einem solchen Wetter!"

Maria lachte.

"Klettern natürlich. Allerdings war es leichtsinnig von mir, weiterzumachen, als die ersten Vorboten des Wetterwechsels sichtbar wurden... Mei, in Zukunft weiß ich es besser!"

Um die Lippen des Greiner-Thomas spielte ein freundliches Lächeln.

"Ich will's hoffen", meinte er.

"Ganz bestimmt!"

"Es ist wirklich net ungefährlich bei diesem Wetter. Aber was rede ich klug daher - ich bin ja selbst hier oben!"

Der junge Bergführer sah sie dabei einen Moment lang an, in dem sich ihrer beider Blicke trafen. Maria wurde dabei ganz warm ums Herz, obwohl sie doch so fröstelte.

Ein fescher Bursche!, ging es ihr durch den Kopf. Schon allein der Klang seiner Stimme schien einen seltsamen Zauber auf das Madl auszuüben. Einen Zauber, dem sie sich kaum entziehen konnte.

"Komm", sagte der Thomas dann, während er vorsichtig ihren Arm nahm. "Ich werde dir helfen, sonst holst dir hier noch den Tod!"

"Ich hoffe, dass es gehen wird...", murmelte das Madl.

Thomas zog sie empor und stützte sie, während Maria das Gesicht schmerzerfüllt verzog.

"Es geht schon...", flüsterte sie gepresst. Denn sie wusste, dass sie hier nicht bleiben konnte.

Sie mussten weiter.

"Kennst du die Hütte vom alten Graudl?", fragte Thomas.

Maria nickte.

"Freilich kenne ich die. Dahin war ich ja unterwegs! Meine letzte Hoffnung war diese Hütte, bis ich dann von dort oben abgerutscht und allein net mehr hinaufgekommen bin!"

"Zu zweit werden wir es schon schaffen!", versprach Thomas auf eine Art und Weise, die Maria nicht einen einzigen Augenblick lang daran zweifeln ließ, dass der junge Bergführer recht behalten würde.

Mit einiger Mühe schafften sie es schließlich wieder den Hang hinauf, wo sie auf dem schmalen Pfad weitergehen konnten.

"Wie kommt es, dass du mich hier gefunden hast, Thomas?", erkundigte sich Maria dann nach einer Weile, in der sie allerdings noch nicht sehr viel voran gekommen waren.

"Mei, gesehen hab ich dich! Vom gegenüberliegenden Hang aus!", berichtete der junge Bergführer.

Maria war erstaunt.

"Und dann bist extra hier her gekommen!"

"Es sah so aus, als bräuchte jemand meine Hilfe..."

Und dann erschraken sie beide.

Ihre Köpfe wirbelten herum, als hinter ihnen ein mörderisches Getöse zu hören war.

"Mei...", flüsterte Thomas Greiner fast andächtig und dann blieb sein Mund offen stehen.

Eine Mischung aus Ehrfurcht und Entsetzen stand überdeutlich in sein Gesicht geschrieben.

Maria schluckte indessen, während ihr Blick an dem gegenüberliegenden Hang festzuhängen schien.

Wie gebannt starrten sie beide dorthin.

Der Berg war in Bewegung geraten und eine gewaltige Lawine aus Fels und Geröll stürzte hinab, um alles unter sich zu begraben, was ihr in den Weg kam.



3

Ludwig Kernmeier, der seit dem Tod seines Vaters den Kernmeier-Hof führte, blickte aus dem Fenster und machte ein besorgtes Gesicht.

"Mei, was stehst denn da so am Fenster?", hörte er von hinten eine Stimme.

Es war Anna Kernmeier, seine Mutter, die zusammen mit Korbinian Haber, dem Großknecht des Hofes, am Tisch in der Stube saß.

Die Männer hatten ihre Arbeit draußen unterbrechen müssen, als das Unwetter hereingebrochen war.

Und jetzt saßen sie hier bei der Kernmeierin in der Stube bei heißen Getränken und einer Brotzeit.

Doch Ludwig schien keinen Appetit zu haben.

"Die Maria ist noch immer net zurück", flüsterte er. Das Madl hatte heute seinen freien Tag gehabt und war zu einer Klettertour in die Berge aufgebrochen.

"Die Maria wird sich schon zu helfen wissen", mischte sich nun Korbinian, der Großknecht ein. "Schließlich klettert sie ja schon fast so lange, wie sie laufen kann..."

"Ja, das ist schon wahr", mußte Ludwig zugeben. "Aber das Wetter ist plötzlich umgeschlagen..."

"Auch das passiert net zum ersten Mal!", erwiderte der Korbinian, während er seinen Becher zum Mund führte und einen kräftigen Schluck nahm. "Wart's ab, Ludwig! Wahrscheinlich hat sie früh genug kommen sehen, was sich da zusammenbraute und ist umgekehrt..."

"Und wenn net..."

Ludwig seufzte schwer.

"Dir liegt das Madel sehr am Herzen, was Ludwig?", meinte die Kernmeierin.

Und der junge Bauer nickte.

"Freilich!", gab er zu.

Er hatte in der Tat ein Auge auf die Oberhofer-Maria geworfen, die als Magd auf dem Hof lebte. Er konnte sich kaum eine bessere Bäuerin für den Hof vorstellen, aber bisher hatte Maria sich noch nicht festgelegt.

Ludwig konnte das eigentlich gar nicht verstehen.

Schließlich würde die junge Frau von einer einfachen Magd zur Bäuerin des größten Hofs der Umgebung aufsteigen.

Schon oft hatte Ludwig sich gefragt, warum die junge Frau sich so zierte.

Aber wahrscheinlich musste er ihr etwas Zeit geben.

Jedenfalls hatte er sich das fest vorgenommen.

"Wenn du mich fragst, dann solltest du dich nach einer anderen umschauen", meinte indessen die Mutter. Ihr hatte der Gedanke noch nie gefallen, dass aus der Magd vielleicht eines Tages die Herrin des Hofes werden könnte.

"Geh, Mutter", schalt sie der Ludwig.

Er hatte keine Lust, mit ihr darüber zu reden. Schon oft hatten sie über diese Angelegenheit geredet.

"Ludwig", murmelte die Kernmeierin sanft.

Aber ihr Sohn sagte: "Du willst doch nur, dass unser Hof noch größer wird - als ob er net groß genug wäre!"

"Ist es so falsch, wenn ich mir das wünsche? Man muss doch an die Zukunft denken! Und die großen Höfe haben es nun einmal leichter zu überleben, als die kleinen Gehöfte... Mei, ich will doch nur das Beste für dich, Ludwig! Und entscheiden musst du dich letztlich ohnehin selbst."

"So ist es!", nickte Ludwig. Und er hatte nicht die leiseste Absicht, sich in dieser Angelegenheit von der Mutter dazwischenreden zu lassen.

"Ich kann dir nur raten!", meinte seine Mutter seufzend. "Aber eine Magd... Mei, das will mir net in den Kopf. Außerdem scheint das Madel noch längst net daran zu denken, sich fest zu binden..."

Aber der Ludwig machte nur eine wegwerfende Geste. Die Kernmeierin hatte den wunden Punkt an der Sache getroffen und so hatte der junge Bauer kein Interesse daran, sich weiter darüber zu unterhalten.

"Ich mach mir halt Sorgen um die Maria", erklärte er ernst. "Und ich kann nur hoffen, dass sie net in Bergnot geraten ist!"

Jetzt meldete sich der Korbinian zu Wort, indem er sagte: "Und selbst wenn es so wäre, Ludwig! Im Augenblick könntest du sowieso nix tun, als warten..."

Ludwig ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten.

"Mei, ich wünschte, es wäre anders", flüsterte er dann.



4

Als Thomas Greiner zusammen mit Maria die Hütte vom alten Graudl endlich erreichten, war bereits die Dämmerung hereingebrochen.

Der Thomas klopfte an die Tür.

"Mach auf, Graudl!", rief er und einen Augenblick später war zu hören, wie jemand die Tür aufschloss und sie anschließend öffnete. Erst nur einen Spalt breit. Kaum mehr als eine knollige Nasenspitze war zu sehen.

"Lass uns rein, Graudl! Ich bin's, der Greiner-Thomas!"

Die Tür ging vollständig auf. Vor ihnen stand ein Mann mit weißen Haaren, grauweißem Bart und einem Gesicht, das durch tiefe Runzeln und eine wettergegerbte Haut geprägt war.

Der alte Graudl war eine Art Einsiedler. Früher hatte er im Dorf als Geigenbauer gelebt, aber nach dem Tod seiner Frau war er wunderlich geworden - jedenfalls nach Meinung der Leute aus dem Tal. Er war hinauf in die Hütte am Rande des Hochwalds gezogen und seitdem hatte man ihn nur noch selten zu Gesicht bekommen. Manchmal sah man ihn im Dorf, wenn er Besorgungen machte und anschließend im Wirtshaus ein Glas Rotwein trank.

Oder es verirrten sich Bergwanderer zu seiner Hütte.

Felix Graudl galt zwar allgemein als menschenscheu, aber einen in Not geratenen Bergwanderer hätte er nie und nimmer von der Schwelle gewiesen.

"Kommt herein!", knurrte er.

Und da ließen sich Thomas und Maria natürlich nicht lange bitten. Der Thomas half dem Madl bis zu einer Bank, auf der Maria sich niederlassen konnte.

Sie verzog ein bisschen das Gesicht. Ihr Knöchel schien noch immer ziemlich zu schmerzen.

"Mei, ich hoffe nur, das nix gebrochen ist", kam es ihr über die Lippen.

"Ein furchtbares Wetter ist das!", meinte der Graudl an Thomas Greiner gewandt. "Keinen Hund würde man bei diesem Unwetter nach draußen jagen!"

"Da hast allerdings recht, Graudl", nickte der junge Bergführer.

Indessen wandte sich der Graudl an Maria. "Dich hab ich auch schon mal gesehen...", murmelte er dann.

"Freilich. Ich bin Maria Oberhofer, die Magd vom Kernmeier-Hof..."

Felix Graudl lächelte.

"Ich hab von dir gehört! Du sollst ja eine ganz außergewöhnliche Klettererin sein!"

"Mei, was die Leut' halt so reden", erwiderte Maria, fast etwas schüchtern.

Und dann berichtete Thomas dem alten Einsiedler was geschehen war.

"Rein zufällig hab ich das Madel entdeckt!", sagte er. Und an Maria gewandt fuhr er dann fort: "Ein bisserl leichtsinnig warst schon, net wahr?"

"Und du? Warst du net genauso leichtsinnig?", erwiderte sie herausfordernd.

"Und bei ihm wiegt es doppelt schwer!", erklärte Felix Graudl. "Schließlich ist der Thomas ja ein erfahrener Bergführer, in dessen Obhut sich in jeder Saison hunderte von Bergwanderern begeben..." Dann wandte er sich der jungen Frau zu und sah sich die Verletzung am Fuß an. Sein Gesicht war skeptisch.

"Weiter könnt ihr heute net mehr", erklärte der Alte dann mit großer Bestimmtheit. "Das steht jedenfalls fest."

"Mei", flüsterte die Maria. "Auf dem Hof wird man sich Sorgen um mich machen. Ich muss dort Bescheid geben..."

Graudl lachte kurz in sich hinein und schüttelte dann den Kopf. "Das wird net möglich sein..."

Die Maria blickte überrascht drein. "Aber weshalb net?"

"Weil der Graudl kein Telefon hat", erklärte anstelle des alten Einsiedlers der Thomas.

Graudl nickte.

"Ihr werdet die Nacht über wohl hierbleiben müssen. Groß ist meine Hütte ja net, aber für in Not geratene Bergwanderer halte ich sie immer offen. Wie wär's mit einer warmen Suppe? Wenn sie für drei reichen soll, wird sie zwar etwas dünner werden, aber es ist sicher genug für uns alle da!"

"Nix dagegen einzuwenden!", meinte Thomas.



5

Später, nachdem sie sich mit der Suppe gestärkt und dann noch über dieses und jenes unterhalten hatten, war der alte Graudl in seinem Korbsessel eingeschlafen. Sein Schnarchen mischte sich mit dem Knistern des Kaminfeuers.

Maria und Thomas redeten zunächst nicht viel miteinander.

Aber Maria bemerkte sehr wohl, dass der junge Bergführer sie immer wieder verstohlen ansah.

Als sich dann einmal ihre Blicke trafen, war es für Maria als ob ein Schauer ihren Rücken hinunterlief. Eine leichte Röte überzog ihr Gesicht.

"Mei, es ist schon ein merkwürdiger Zufall, der uns zusammengeführt hat", meinte sie dann. Sie sprach eher aus Verlegenheit heraus als aus dem Bedürfnis, etwas mitzuteilen.

Thomas zuckte die breiten Schultern.

"Ja, ich muss mir auch erst ins Ohr kneifen, damit ich glauben kann, was heute geschehen ist. Außerdem - ein Madel, das derart gut klettern kann ist mir noch net begegnet!"

"Seit frühester Jugend bin ich schon zwischen den Felsen herumgekrochen", erwiderte Maria. "Ich weiß auch net, aber ich komme davon einfach net los... Es fasziniert mich immer wieder aufs Neue."

Thomas nickte langsam und sah die junge Frau dabei nachdenklich an.

"Ja, das kann ich verstehen... Mir geht es ganz genauso. Es gibt nix schöneres, als die frische, klare Luft der Berge und vor einem der Blick auf schneebedeckte Gipfel!"

"Du hast es gut", stellte Maria freundlich fest. "Du verdienst damit deinen Lebensunterhalt!"

Thomas hob die Schultern.

"Mei, mal geht das Geschäft besser, mal schlechter. Es liegt immer daran, wie viele Fremde hier her kommen... Vor drei Jahren, da habe ich sogar zwischenzeitlich beim Sägemüller als Aushilfe arbeiten müssen, weil es mit meinem Gewerbe zu schlecht ging..."

"Trotzdem", sagte die Maria. "Trotzdem bist du zu beneiden..." Und bei sich dachte sie: Ein netter Bursche ist, der Greiner-Thomas! Und richtig fesch sieht er aus!



6

Am nächsten Morgen war es der alte Graudl, der als erster aufgestanden war und sie weckte.

"Mei, wollt ihr den ganzen Tag verschlafen!", grantelte er, aber er meinte es sicherlich nicht böse. Thomas und Maria stellten erstaunt fest, dass der alte Einsiedler bereits den Tisch für sie gedeckt hatte. Ein zünftiges Frühstück wartete da auf sie und der Kaffee erfüllte mit seinem köstlichen Duft die ganze Hütte.

Aber Maria warf nur einen kurzen Blick auf den Tisch. Dann ging sie langsam zum Fenster und sah hinaus.

"Das Unwetter ist vorbei", stellte sie fest. "Alles hat sich wieder beruhigt..."

"Freilich", sagte Graudl. "Oft geht so ein Wetter genauso schnell wieder, wie es gekommen ist."

"Schon seltsam, wie friedlich jetzt alles wieder ist", seufzte die junge Frau, während ihr Blick über das beeindruckende Panorama der Bergwelt ging. Ja, der alte Graudl hatte sich schon einen besonderen Platz zum Leben ausgesucht. Der Blick aus den Fenstern seiner Hütte war etwas, das man einfach nicht mit Geld aufwiegen konnte. Maria konnte sich schon vorstellen, weshalb der alte Mann es vorzog, hier zu leben und dafür auf jede Art von Luxus zu verzichten.

"Es wunderbar hier", stieß das Madl hervor. Und Felix Graudl konnte ihr da nur zustimmen.

"Ja, das ist wahr. Es gibt nix, was sich mit dem Anblick dieser Berge vergleichen ließe..."

Maria wandte dann den Kopf und ihr Blick fiel auf die Uhr an der Wand.

"Mei, spät ist es schon! Ich muss los! Auf dem Hof werden sie wer weiß was denken!"

"Ihr werdet net gehen, ohne gefrühstückt zu haben!", bestimmte Graudl in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Ein sanftes Lächeln erschien dabei auf dem wettergegerbten Gesicht des Einsiedlers.

Dann setzten sie sich an den gedeckten Tisch.

"Mei, das sieht ja köstlich aus", meinte Thomas und langte gleich kräftig zu.

Maria zögerte zunächst etwas, ließ es sich dann aber auch schmecken.

"Greift nur zu, es ist genug da!", forderte sie der Einsiedler auf. "Und allzu oft habe ich ja keine Gäste zu bewirten." Dann wandte er sich an Maria. "Wie geht es deinem Fuß, Madl?"

"Tut noch ein bisserl weh, aber ich denke, es wird schon gehen..."

Graudl nickte zufrieden, während er einen Bissen nahm.

"Dann ist es ja gut. Ein Wagen hätte nämlich Schwierigkeiten, hier heraufzukommen."

"Kann ich mir gut vorstellen", erwiderte Maria.

Als sie dann zu Ende gegessen hatten, brachen sie auf.

Wortreich verabschiedeten sie sich vom alten Graudl, der an der Hüttentür stand und ihnen nachsah. Marias Gang war etwas hinkend, denn es tat ihr noch immer weh, wenn sie mit dem verstauchten Fuß zu sehr auftrat.

Aber so zimperlich war sie nicht.

Schließlich war es nicht das erste Mal, dass sie sich auf eine ihrer Bergtouren eine kleinere Verletzung zugezogen hatte. Das blieb selbst bei aller Vorsicht und der größten Erfahrung nicht aus.

Je weiter sie ins Tal kamen, desto schweigsamer wurde die Maria. Zunächst plätscherte das Gespräch der beiden so vor sich hin, aber dann verstummte das Madl mehr und mehr.

Es schien fast so, als wäre sie mit ihren Gedanken so sehr beschäftigt, dass sie kaum noch hörte, was der Thomas ihr sagte.

"Mei, was ist nur los mit dir, Maria? Stumm wie ein Fisch bist geworden", stellte der Thomas schließlich fest und Maria sah ihn etwas erstaunt an.

"Es war halt sehr anstrengend, was wir so erlebt haben..."

Aber das war natürlich nicht die Wahrheit. Damit hatte das nicht das Geringste zu tun. Sicher, die Tatsache, dass sie aufgrund ihrer Unvorsichtigkeit in Bergnot geraten war, hatte ihr schon einen gehörigen Schrecken eingejagt. Aber das war es nicht, was ihr im Kopf herumspukte und ihre Gedanken gefangennahm.

"Es ist wirklich nix, Thomas! Und es hat schon gar net mit dir zu tun!", versicherte sie dem jungen Bergführer, den sie wirklich sehr gern hatte. Auf keinen Fall sollte der Thomas denken, irgend etwas verkehrt gemacht zu haben.

Thomas atmete tief durch.

"Na, da bin ich aber beruhigt", meinte der Bergführer dann, aber er schien dem Braten nicht so recht zu trauen.

"Ich bin einfach nur etwas müde", behauptete Maria und versuchte dabei, soviel Überzeugungskraft wie irgend möglich in ihre Stimme zu legen. Aber das Gesicht vom Thomas blieb skeptisch.

"Weißt, ich bin sehr froh, dass wir uns getroffen haben", bekannte er. "Und es wäre schön, wenn wir uns in Zukunft öfter sehen könnten..."

"Mei, du weißt, wie viel Arbeit bei uns auf dem Hof zur Zeit ist..."

"Aber eine Magd beim Bauern ist ja keine Sklavin, die Tag und Nacht schuften muss, bis sie umfällt", gab Thomas zu bedenken und machte ihr damit klar, welchen Unsinn sie geredet hatte. "Also... Für eine gemeinsame Bergtour ab und zu müsste uns beiden doch Zeit bleiben. Meinst net auch? Und weniger gefährlich ist es auch, als allein in den Felsen herumzuklettern!"

Ein Lächeln ging über Marias Gesicht.

Und ehe sie richtig darüber nachgedacht hatte, hatte ihr Mund bereits gesprochen.

"Gern!", sagte sie.

Thomas sah sie an und wieder spürte sie jenen seltsamen Zauber, der von seinem Blick auszugehen schien.

"Ich freue mich!", bekannte er.

"Ich mich auch!"



7

Als Maria erst gegen Mittag des folgenden Tages auf den Kernmeier-Hof zurückkehrte, stellte Ludwig sie zur Rede.

Korbinian, der Großknecht, war mit dem Wagen im Dorf gewesen und hatte sie von dort mitgebracht.

"Sorgen haben wir uns hier alle gemacht!", rief der Ludwig.

"Mei, wo hast denn gesteckt?"

Maria erzählte in knappen Worten, was ihr widerfahren war.

"Und heute Morgen war ich noch beim Arzt im Dorf, weil ich sicher sein wollte, das nix gebrochen ist! Der Greiner-Thomas hätte mich sicher auch noch hier her gebracht, wenn uns net der Korbinian über den Weg gelaufen wäre..."

Ludwig atmete tief durch.

Etwas ruhiger erkundigte er sich dann: "Und? Was ist mit dem Fuß?"

"In ein paar Tagen wird er wieder ganz in Ordnung sein. Ich soll ihn nur net zu sehr belasten!"

"Maria!", stieß Ludwig dann hervor. "Was hätte alles passieren können da droben in den Bergen! Leichtsinnig war's von dir, überhaupt aufzubrechen!"

"Mei, es ist doch nix passiert!"

"Dank dem Greiner-Thomas!", knirschte Ludwig zwischen den Lippen hindurch. "So ein Glück kannst net immer haben!"

"Ich habe stets darauf vertraut", erklärte Maria selbstbewusst.

Ludwig fasste sie bei den Schultern.

"Du musst schon entschuldigen, Maria. Ich hab dich net so anherrschen wollen!"

Maria lächelte und nickte dann. "Ist schon vergessen..."

Und dabei wurde ihr Blick etwas in sich gekehrter. Ihre Gedanken gingen zu den Ereignissen des letzten Tages zurück und vor ihrem geistigen Auge stand das feingeschnittene, freundlich wirkende Gesicht des Greiner-Thomas, dessen hellblaue Augen sie anblickten.

Maria fühlte, wie aufgewühlt sie innerlich war - auch wenn sie sich das nicht so recht eingestehen mochte.

Die ganze Zeit schon waren ihre Gedanken immer wieder zu Thomas zurückgekehrt, diesem jungen Bergführer. Sicher war sie im auch zuvor schonmal begegnet, hatte ihn im Dorf gesehen, aber eigentlich war er ihr nie besonders aufgefallen.

Bis zum gestrigen Tag.

Was mochte nur geschehen sein, dass dieser junge Mann ihre Gedanken so beherrschte?, fragte sie sich.

Hatte sie sich etwa verliebt?

"Ich werde jetzt mal ins Haus gehen", meinte sie dann einsilbig an den Ludwig gewandt und zuckte dabei die Schultern. "Wer weiß, vielleicht hat die Kernmeierin ja eine Aufgabe für mich, bei der ich die Füße nicht brauche..."

Sie hatte sich bereits von ihm gelöst und war einige Schritte in Richtung des großen, rustikalen Bauernhauses gegangen, das den Mittelpunkt des Kernmeier-Hofes bildete, da drang Ludwigs Stimme in ihre Gedanken.

"Maria!"

Sie drehte sich herum.

"Was ist noch, Ludwig?", fragte sie.

Er folgte ihr, blieb dann stehen und seufzte hörbar. Der junge Bauer schien nach den richtigen Worten zu suchen. Maria ahnte bereits, was er von ihr wollte, noch bevor er es ausgesprochen hatte.

"Maria, ich... ich wollte nur sagen, dass mein Angebot immer noch gilt! Das Angebot, dass ich dich vor den Altar führe und du hier die Herrin über den größten Hof im ganzen Tal wirst! Du weißt, dass ich das net zum ersten Mal frage..."

"Ludwig..."

"Hast du vielleicht inzwischen darüber nachgedacht?"

Der Maria war, als ob ein dicker Kloß in ihrem Hals steckte. Sie mochte den Ludwig, daran gab es keinen Zweifel.

Und die Aussicht, hier Bäuerin zu werden, war durchaus verlockend.

Aber andererseits spürte sie ein Unbehagen.

Ein Unbehagen, das da herrührte, dass ihr im Innersten ihres Herzens klar war, dass es sicherlich nicht die wahre Liebe war, die sie mit Ludwig Kernmeier verband. Sicher, der Ludwig war ein netter Mann, der wohl auch ein guter Bauer war - aber Maria empfand nichts Tieferes für ihn.

"Ich muss jetzt ins Haus!", sagte die Maria dann und strich sich etwa verlegen eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht.

Sie wollte den jungen Bauern nicht vor den Kopf stoßen, deshalb sagte sie ihm nicht klipp und klar, dass aus ihnen eigentlich keine Eheleute werden konnten...

Außerdem...

So ganz sicher war sich Maria nicht.

Schließlich muss ich auch an meine Zukunft denken!, ging es ihr durch den Kopf. Eine Zukunft als Bäuerin des größten Hofes der Umgebung war allemal besser als eine Zukunft als Magd.

"Mei, ich hab noch einiges zu tun", meinte die Maria dann und dabei rieb sie mit ihren Händen die Schürze entlang, die sie sich vor das Dirndl gebunden hatte.

Aber der Ludwig hielt sie am Arm.

"Lauf net einfach davon und lass mich ohne Antwort stehen, Madl! Ich muss es jetzt wissen, ob wir bald Verlobung feiern können!"

Ja, dachte Maria, lang genug habe ich ihn ja nun auch wirklich hingehalten. Sie konnte dieses Spiel nicht bis in alle Ewigkeit weitertreiben.

Immer wieder hatte sie die Entscheidung vor sich hergeschoben. Aber weder für sie noch für den Ludwig blieb die Zeit stehen und sie konnte schon verstehen, dass der junge Bauer seine Zukunft gerne planen wollte.

Mei, du bist eine Närrin!, schalt sich die Maria schließlich. Wegen der flüchtigen Begegnung mit einem Bergführer kannst du doch net deinen ganzen Lebensplan umschmeißen!

Sie kannte den Ludwig lange genug, um zu wissen, dass der junge Bauer ein guter, verlässlicher Ehemann und Familienvater werden würde. Und was wollte man mehr?

"Nun red schon, Maria! Habe ich noch Grund zu hoffen - oder muss ich mich bei den anderen Madeln im Tal umsehen?"

"Nein, Ludwig, das musst du net."

Der junge Kernmeier-Bauer sah die Maria einen Augenblick lang völlig entgeistert an.

Er schien eine Weile zu brauchen, um wirklich begreifen zu können, was er da soeben gehört hatte. Dann fragte er: "Mei, heißt das ja?"

Maria nickte und seufzte dann hörbar.

"Freilich."

"Dann wirst du hier die Bäuerin!"

Er nahm sie bei den Schultern, fasste sie und hob sie hoch wie ein Fliegengewicht. "Ich kann dir gar net sagen, wie sehr mich das freut, Maria. Hast mich ja lang zappeln lassen. Aber andererseits..."

Maria sah ihn fragend an.

"Andererseits was?", hakte sie nach.

"Naja, andererseits finde ich es eigentlich ganz gut, wenn ein Madl net gleich auf den ersten besten fliegt, sondern genau prüft, mit wem sie vor den Altar tritt!"

"Ach, Ludwig..."

Ein seltsames Gefühl beschlich die Maria. Es war eine Art Unbehagen, ein Kribbeln in der Bauchgegend. Einerseits hatte sie nichts gegen eine Zukunft als Bäuerin auf dem Kernmeier-Hof einzuwenden, andererseits blieben da doch noch Zweifel...

Das Lächeln auf ihrem Gesicht wirkte ein wenig gezwungen.

Mit Macht versuchte sie diese Gedanken zur Seite zu scheuchen.

Sei keine Närrin!, sagte sie sich abermals. Steh deiner Zukunft net im Wege!

Der Ludwig redete indessen lauthals von ihrer gemeinsamen Zukunft und malte sich in den schönsten Farben aus, wie sie ihr Leben in den folgenden Jahren gestalten würden.

In diesem Moment trat Anna Kernmeier aus der Tür des Wohnhauses heraus. Seit dem allzu frühen Tod ihres Mannes hatte sie einen harten, etwas verhärmten Zug um die Mundwinkel.

"Ludwig! Man hört dich ja über das ganze Tal hinweg reden! Was ist denn los?"

"Ja, denk nur, Mutter! Die Maria und ich, wir werden ein Paar!"

Die grauen Augen der Kernmeierin musterten die Magd von oben bis unten, fast so, als begegneten sie sich zum erstenmal. Das Gesicht der Anna Kernmeier blieb völlig unbewegt und es war ihr nicht anzusehen, wie sie über die Sache dachte.

Als der Blick ihrer grauen Augen sich dann mit dem des Madels traf, fühlte Maria unwillkürlich einen leichten Schauder.

Sie hätte lieber, wenn sich ihr Sohn eine andere ausgesucht hätte!, wurde es der Maria sogleich instinktiv klar. Die Kernmeierin hatte es nie so gern gesehen, wenn der Ludwig sich um die hübsche Magd bemühte. Vermutlich hatte sie gehofft, dass er sich schon anderweitig umsehen würde, wenn sich das Madl noch lange zierte.

Aber nun war es anders gekommen.

"Ja, dann werden wir wohl einige Vorbereitungen treffen müssen", meinte der Ludwig dann.

"Vorbereitungen?", fragte die Kernmeierin.

"Geh, Mutter! Für eine zünftige Verlobung! Das ganze Tal soll es wissen!"

"Ja, natürlich!", murmelte die Kernmeierin. Dann reichte sie der Magd die Hand. "Willkommen in der Familie!", sagte die Bäuerin, aber es kam nicht so recht von Herzen.

Das fiel sogar dem Ludwig in seinem Überschwang auf.

Die Kernmeierin ging wieder ins Haus.

Als sie gegangen war, meinte Ludwig in gedämpftem Tonfall: "Sie meint es net so, Maria. Das musst du mir glauben. Weißt, seit dem der Vater net mehr lebt, da..."

"Ich weiß, Ludwig", unterbrach Maria ihn. "Ich weiß."



8

In der folgenden Zeit begannen auf dem Kernmeier-Hof die ersten Vorbereitungen für die Verlobung.

Ludwig wollte den Termin so bald wie möglich gelegt haben, denn er konnte es gar nicht mehr erwarten, endlich dem ganzen Tal kundzutun, dass er mit der Maria Oberhofer vor den Altar treten würde.

Seine Mutter hatte es da weit weniger eilig. Sie versuchte, die Sache so weit wie möglich hinauszuzögern.

"Net, solange die Ernte net eingebracht ist", beharrte die Kernmeierin stur. "Schließlich haben wir alle dann mehr als alle Hände voll zu tun und können an eine Feier gar net denken..."

"Mutter, so viel Zeit ist immer!", gab der Ludwig zu bedenken.

Und auch Korbinan, der Großknecht bestätigte die Auffassung des jungen Bauern. "Das schaffen wir schon", war er zuversichtlich.

Die Kernmeierin warf ihm dafür einen vernichtenden Blick zu, konnte sich aber gut genug beherrschen, um nichts weiter dazu zu sagen. Schließlich hatte der Korbinian in dieser Sache nun wirklich am wenigsten zu sagen.

Stattdessen wandte sich Anna Kernmeier an ihren Sohn. Und dabei versuchte sie, den harten Zug in ihrem Gesicht durch ein Lächeln etwas abzumildern.

"Es soll doch eine zünftige Feier werden, net wahr?", meinte sie in gedämpftem Tonfall.

"Freilich", bestätigte der Ludwig.

"Und wie ich dich kenne, willst das halbe Tal dazu einladen..."

"Mei, wir sind der größte Hof in der Gegend! Wie würde das aussehen, wenn wir..."

"Ich versteh dich schon!", unterbrach ihn seine Mutter. "Aber so etwas will gut vorbereitet sein! Und das geht net von heut' auf morgen!"

Maria hatte der Unterhaltung bislang mehr oder minder passiv zugehört und nichts dazu gesagt. Gedankenverloren hatte sie am Fenster gestanden und ihr zukünftiges Leben wie in einem Film vor ihrem geistigen Auge abspulen lassen. Sie sah sich als Bäuerin an der Seite vom Ludwig, sie sah sich mit ein paar Kindern, die schneller heranwuchsen, als es ihr recht war und sie sah sich graue Haare bekommen und in einem Schaukelstuhl sitzen - immer noch als Bäuerin des Kernmeier-Hofs.

Mei, soll das mein Leben sein?, fragte sie sich. Eigentlich war nichts dagegen einzuwenden. Aber andererseits...

Das Bild des Greiner-Thomas erschien ihr in ihrem Innern und sie erschrak.

Sie hatte sich in diesen feschen Burschen zweifellos ein bisschen verliebt. In dem Punkt hatte es keinen Sinn, sich selbst etwas vorzumachen.

Wenn ich die Wahl zwischen dem Ludwig und dem Thomas hätte!, ging es ihr durch den Kopf. Aber gab es diese Wahl?

Nein, überlegte sie. Thomas war nur ein armer Bergführer, der Mühe hatte, sich selbst mit seinem Gewerbe über Wasser zu halten.

Ein gemeinsames Leben mit ihm war völlig utopisch.

Und doch...

Aber weitere Gedanken in dieser Richtung gestattete sie sich nicht.

Die Stimmen von Ludwig und seiner Mutter drangen ihr wieder ins Bewusstsein und holten sie ins Hier und Jetzt.

Sie wandte sich an Ludwig und erklärte schließlich: "Vielleicht hat deine Mutter recht, Ludwig. Und ein paar Wochen zu warten ist doch auch kein Weltuntergang, oder? Schließlich soll die Ehe ja ein ganzes Leben lang halten!"

Diesem Argument hatte der junge Bauer nichts entgegenzusetzen. Auf dem Gesicht der Kernmeierin hingegen war Verwunderung zu lesen.

Sie hatte wohl nicht erwartet, ausgerechnet von Maria Unterstützung zu bekommen.

"Mei, da bin ich wohl überstimmt!", meinte der Ludwig dann.

Aber er war nicht ärgerlich darüber.

Ein Termin wurde festgelegt. Gut sechs Wochen waren es bis dahin noch. Auf eine weitere Verschiebung ließ der junge Bauer sich nicht ein.

Und die Kernmeierin dachte insgeheim bei sich: Wer weiß, ob sich einer der beiden jungen Leute die Sache net doch noch einmal überlegt!

Zumindest hoffte sie das.

Schließlich wäre es net das erste Mal!, redete sie sich selber Mut zu. Und wenn das wirklich eintraf, dann war vielleicht doch noch Raum für ihren Traum, den Kernmeier-Hof mit einem der andren großen Höfe aus dem Tal zu vereinigen.

Jedenfalls war die Kernmeierin keine, die so schnell aufgab!



9

Ein paar Tage später war Maria Oberhofer ins Dorf gegangen, um für die Bäuerin einige Besorgungen zu machen. Es war schon später Nachmittag.

Die Sonne war schon recht milchig geworden und schickte sich an, glutrot hinter den schneebedeckten Berggipfeln zu versinken.

In der Nähe des Wirtshauses traf sie dann auf Thomas Greiner. Der junge Bergführer verabschiedete sich gerade von einer Touristenschar, die er offenbar durch die Berge geführt hatte.

Eigentlich hatte sich das Madl vorgenommen, gleich weiterzugehen, aber sie konnte nicht anders, als stehenzubleiben und den Blick zum Thomas hinzuwenden.

Und blickte er zurück.

Ein freundliches Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

"Wart einen Moment!", rief er zu ihr hinüber. "Ich bin gleich soweit, dann komme ich zu dir 'rüber!"

Maria war unfähig, irgend etwas zu erwidern. Ein dicker Kloß schien ihr im Hals zu stecken. Sie versuchte zu schlucken.

Thomas verabschiedete indessen die Touristen, die allesamt gut gelaunt, wenn auch etwas müde von der Wanderung schienen.

Dann kam er zu ihr.

"Schön, dass wir uns wieder über den Weg laufen!", meinte er, weil ihm offenbar auch nichts Gescheites einfiel. Er wirkte ein bisschen verlegen.

"Freilich", nickte sie.

"Wie geht es deinem Fuß?"

"Ist schon fast wieder gut."

"Das freut mich."

Einen Augenblick lang standen sie nur so da und keiner von ihnen sagte ein Wort. Schließlich war es Thomas, der die unbehagliche Stille brach.

"Ich würde dich gerne wiedersehen, Maria", erklärte er.

Aber Maria schüttelte den Kopf, wobei sie es vermied, ihn anzusehen.

"Das geht net", sagte sie halblaut.

Thomas runzelte die Stirn. "Was?" fuhr er auf. "Warum soll das net gehen?"

"Weil ich... Weil ich in Kürze verlobt sein werde. Mit dem Ludwig Kernmeier."

Nun war es also heraus. Der junge Bergführer atmete tief durch. "Das ist wirklich schade", bekannte er.

"Es ist aber net zu ändern! Ich habe mich entschlossen, seine Frau zu werden und dabei wird es bleiben!"

"Liebst ihn denn, den Ludwig?"

"Mei..."

Sie sagte nichts und schien nach Worten zu ringen. Und da wiederholte der junge Bergführer seine Frage noch einmal.

Maria erwiderte schließlich: "Ich will jetzt net mit dir darüber reden, Thomas!"

Thomas zuckte die Achseln. Die Enttäuschung war ihm ins Gesicht geschrieben.

"Freilich", meinte er dann. "Du wirst dir deine Entscheidung sicher reiflich überlegt haben..."

"Das hab ich!", beteuerte die Maria, fast mehr, um sich selbst davon zu überzeugen als den Thomas.

Der Thomas biss sich auf die Lippe. Hatte er je ernsthaft hoffen können, die Maria für sich zu erringen? Er hatte ein paar Augenblicke lang davon geträumt, ja. Aber musste er die Sache nicht realistischer sehen? Was konnte er ihr schon bieten? Jedenfalls nicht das, was der junge Kernmeier-Bauer ihr bieten konnte.

"Ich muss jetzt wieder zurück zum Hof", sagte Maria indessen. "Die Bäuerin wartet schon auf mich."

"Gehen wir noch ein Stückerl zusammen?"

"Freilich. Warum denn net?"

Und nachdem sie ein paar Schritte gegangen waren, meinte der Thomas noch: "Ich wünsch dir viel Glück auf dem Kernmeier-Hof! Und zwar von ganzem Herzen!"

Sie sah ihn mit einem matten Lächeln an und meinte: "Danke."

Aber innerlich fühlte sie einen dicken Stein, der an ihrem Herzen hing und immer schwerer zu werden schien.

"Ich hoffe nur, dass du dir auch sicher bist, das richtige zu tun", hörte sie den Greiner-Thomas sagen.

"Das bin ich!", behauptete sie. "Das bin ich wirklich..."

Aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass das nicht der Fall war. Sie hatte das Gefühl auf eine Straße geraten zu sein, von der sie wusste, dass sie nicht dorthin führte, wo sie hinwollte.

Und doch schien es kein Zurück mehr zu geben.

Entschieden ist entschieden!, sagte trotzig zu sich selbst.

Auf einmal war der Maria dann so eng um die Brust. Sie rang nach Luft und fühlte sich plötzlich so, als hätte sie eine steile Bergwand hinter sich gebracht!

Nur, dass das natürlich nicht der Fall war und diese Schwäche praktisch aus heiterem Himmel kam!

Ihr wurde schwindelig und dann wurde ihr einen Moment lang schwarz vor Augen. Sie taumelte ein Stück zur Seite und hatte das Gefühl zu fallen.

Mei, was ist nur mit mir?, ging es ihr durch den Kopf.

"Maria!", hörte sie Thomas' Stimme wie durch einen Nebel. Im nächsten Moment fühlte sie dann, wie die starken Arme des jungen Bergführers sie auffingen. "Maria, was ist mit dir?

Was ist los?"

Langsam kam die Maria wieder zu sich. "Mei, ein kleiner Schwächeanfall!", flüsterte sie. "Nix weiter..."

"Wirklich net?"

"Geh, Thomas! Was soll schon sein?"

Sie fühlte wie die Kraft in ihren Körper zurückkehrte, auch wenn sie sich noch immer etwas wackelig auf den Knieen fühlte. Thomas ließ sie zögernd los.

"Es ist schon in Ordnung!", meinte Maria.

"Vielleicht solltest du mal zum Arzt gehen und dich gründlich untersuchen lassen!", schlug der Thomas vor. Sein Gesicht drückte echte Besorgnis aus.

"Thomas! Du übertreibst. Einen Augenblick lang war mir ein bisserl schwarz vor Augen, aber das ist nun schon wieder vorbei! Wirklich!"

Sie versuchte ein Lächeln.

Doch das erstarrte sogleich, als sie am Ende der Straße den Ludwig stehen sah, der gerade aus dem örtlichen Landhandel herausgetreten war.

Er kam näher und seine Stirn schien etwas umwölkt zu sein.

Die Maria erschrak unwillkürlich.

Mei, ob er gesehen hat, wie der Thomas mich gerade in den Armen gehalten hat?, ging es der jungen Frau siedend heiß durch den Kopf. Den Grund dafür konnte ihr zukünftiger Mann ja nicht wissen...

"Ludwig!", stieß Maria hervor, als der junge Bauer sie erreicht hatte.

"Maria!", erwiderte Ludwig und bedachte den Thomas mit einem misstrauischen Blick.

"Der Greiner-Thomas hat mir geholfen, als ich in Bergnot war", sagte Maria. "Du weißt, davon habe ich dir ja erzählt..."

"Freilich, und davon, dass ihr in der Hütte vom alten Graudl übernachtet habt!", knurrte der Kernmeier-Ludwig.

"Wie ich gehört habe, wollt ihr euch verloben", sagte nun der junge Bergführer.

Ludwig nickte.

"Das ist richtig", bestätigte er.

"Mei, zu dem Madl kann man dich nur beglückwünschen, Kernmeier!"

Der Ludwig wurde jetzt ohne ersichtlichen Grund etwas unwirsch und knurrte: "Das weiß ich selbst, Greiner!" Er atmete tief durch und wandte sich an Maria: "Komm, lass uns zum Hof zurückgehen!"

"Sicher", murmelte Maria. Sie wandte sich kurz zu Thomas herum und meinte dann: "Auf Wiedersehen, Thomas!"

"Auf Wiedersehen, Maria."

Als Ludwig und Maria dann wenige Augenblicke später allein waren, wandte sich das Madl an ihren zukünftigen Mann.

"Ich weiß gar net, warum du so grantig zum Greiner-Thomas gewesen bist! Das hat er keinesfalls verdient!"

"Mei..."

"Wenn er net gewesen wäre und mir geholfen hätte, dann wäre ich da droben in den Bergen in schlimme Bedrängnis gekommen!"

Ludwig zuckte mit den Schultern. "Mag schon sein. Aber ich mag ihn halt net."



10

In den nächsten Tagen verbreitete sich die Nachricht von der bevorstehenden Verlobung des Kernmeier-Bauern mit seiner Magd in Windeseile im ganzen Tal. Eine solche Nachricht war wie ein Lauffeuer und innerhalb kürzester Zeit wusste jedermann Bescheid.

Anna Kernmeier, die Mutter des zukünftigen Bräutigams, sah das natürlich mit gemischten Gefühlen, doch es gab nichts, was sie dagegen unternehmen konnte. Die Dinge nahmen einfach ihren Lauf, der nicht aufzuhalten war - genau so wenig wie der Lauf eines reißenden Wildbachs.

An diesem Tag machte die Kernmeierin einen Besuch auf dem Nachbarhof, der der Familie Maybacher gehörte und fast die Größe des Kernmeier-Hofs besaß.

Mit Liese Maybacher, der Bäuerin, war die Kernmeierin seit vielen Jahren eng befreundet und die Tochter des Hofs hatte sich die Kernmeierin immer als künftige Ehefrau für den Ludwig gewünscht.

Veronika hieß sie und war ein hübsches, gescheites Madl mit brünetten Haaren und einem freundlichen, wenn auch manchmal recht energischen Wesen.

Aber da sie das einzige Kind der Maybacher-Bauern war, würde sie eines Tages einen großen Hof übernehmen müssen, und da galt es schon etwas, sich auch durchsetzen zu können.

Liese Maybacher begrüßte ihre Nachbarin recht herzlich, als diese auf dem Maybacher-Hof eintraf.

"Mei, es ist ja schon eine ganze Weile, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben", meinte die Maybacherin.

Die Kernmeierin nickte schuldbewusst.

"Das ist schon wahr", gab sie zu. "Aber es war einfach zu viel auf dem Hof zu tun. Euch wird es net anders gegangen sein."

"Das stimmt." Ein flüchtiges Lächeln ging über das Gesicht der Maybacherin, einer herzlich wirkenden und etwas rundlich geratenen Frau Mitte fünfzig. "Aber wenigstens haben wir uns dann auch ein paar Neuigkeiten zu erzählen... Man hört ja so einiges vom Kernmeier-Hof!"

"So?", fragte die Kernmeierin, die natürlich genau wusste, was die Nachbarin meinte.

"Ach, komm doch erst einmal herein!"

Die beiden Frauen gingen ins Wohnhaus des Maybacher-Hofes und ließen sich gemütlich in der Stube nieder.

"Bei euch gibt es bald eine Verlobung, habe ich gehört?", meinte die Maybacherin.

"Ja, so ist es. Es war dem Buben einfach net auszureden. Du weißt, dass ich mir immer etwas anderes gewünscht hätte."

Die Maybacherin zuckte die Achseln.

"Es wäre schon schön gewesen, wenn aus unseren beiden Höfen dereinst mal ein großer geworden wäre..."

"Du sagst es!"

"Aber man kann in Herzensangelegenheiten nix befehlen. Auch wenn man das im einen oder anderen Fall vielleicht gerne möchte. Ich wünsche deinem Sohn jedenfalls alles Gute mit der Maria. Die ist es doch, die vor den Altar führen wird, net wahr? Jedenfalls, wenn es stimmt, was ich so gehört hab."

Die Kernmeierin hob die Hand und meinte: "Geh, soweit ist es noch net!"

Der Maybacherin schaute etwas verwundert drein und strich sich eine verirrte Strähne ihres üppigen Haars aus dem Gesicht. "Ich dachte, das wäre bereits alles festgemacht!"

"Ist es auch", sagte die Kernmeierin. "Aber bis es so weit ist, vergeht noch einige Zeit. Und wer weiß, vielleicht ändert bis dahin ja einer der jungen Leute noch seinen Sinn!"

"Geh, das kann ich mir net vorstellen!"

"Es ist schon so manches passiert, was keiner für möglich gehalten hat!", meinte die Kernmeierin vielsagend. "Damals, als die Eltern der Maria so früh durch einen Verkehrsunfall ums Leben kamen und ich das Madl zu uns auf den Hof aufnahm... Da hätte ich auch net gedacht, dass sie sich einmal anschicken würde, mein Schwiegertochter zu werden. Obwohl sie es sicher ziemlich bald darauf angelegt hat. Mei, da bin ich mir sicher!"

Jetzt war die Maybacherin richtig ein wenig erschrocken über die Art und Weise, in der ihre Nachbarin nun sprach.

"Man könnte denken, du sprichst von einer Teufelin - und net von deiner zukünftigen Schwiegertochter!", entfuhr es der Maybacher und dann legte sie sogleich die Fingerspitzen an die Lippen.

Aber es war zu spät.

Gesagt war gesagt und was einem einmal über die Lippen gegangen war, ließ sich nicht wieder zurückholen. Und so setzte die Maybacherin sogleich noch hinzu: "Schau, ich kenne die Maria Oberhofer ja auch ein bisserl und finde eigentlich, dass sie ein recht nettes Madl ist. Und bestimmt wird sie dem Ludwig eine gute Ehefrau und eurem Hof eine gute Bäuerin sein."

"Ich will ja auch nix gesagt haben!" erwiderte die Kernmeierin, die wohl einsah, dass sie etwas zu weit gegangen war.

Andererseits entsprach das, was sie gesagt hatte nur dem, was sie in ihrem innersten dachte.

Und mit irgendwem musste sie sich ja aussprechen. Und wer sollte das nach dem Tod ihres Mannes schon sein, wenn nicht eine gute Freundin wie die Maybacherin?

"Schau", sagte die Maybacherin nun, "ich bedaure ja auch, dass das mit der Veronika und deinem Ludwig nix hat werden sollen. Aber das müssen wir akzeptieren. Und an meiner Veronika hat es ja auch net gelegen. Die hat den Ludwig immer recht nett gefunden, aber dein Sohn, der..."

"...er hat net nach links und net nach rechts geschaut, weil die Maria ihn ganz narrisch gemacht hat!", vollendete die Kernmeierin bitter. "Und nun ist sie ja wohl beinahe am Ziel..."

"Beinahe?", echote die Maybacherin.

Anna Kernmeier sah ihre Freundin an und machte dabei ein sehr entschlossen wirkendes Gesicht.

Dann sagte sie: "Mei, glaubst du denn im Ernst, dass ich vor habe, tatenlos zuzusehen, wie alles den Bach runtergeht? Geh, Maybacherin, da solltest du mich aber besser kennen!"

Liese Maybacher zog die Augenbrauen ein wenig zusammen.

Sie begriff nicht so recht, worauf die Freundin letztlich hinaus wollte.

"Ich versteh net...", meinte sie.

"Ich werde net tatenlos dasitzen, sondern etwas unternehmen!", erklärte die Kernmeierin dann sehr entschlossen. Unwillkürlich hatten sich die Hände der grauhaarigen Frau dabei zu Fäusten geballt.

Die Maybacherin zuckte die Schultern.

"Und was, wenn ich fragen darf? Also ich wüsste nix, was man da machen könnte!"

Jetzt hob die Kernmeierin das Kinn und versetzte: "Du wirst es auf jeden Fall als erste erfahren! Darauf kannst dich voll und ganz verlassen!"



11

Wie grauer Spinnweben hatte sich bereits die Dämmerung über die Berge gelegt, als Maria Oberhofer das Haus des Dorfpfarrers erreichte.

Stefan Gröbinger hieß er und war ein großgewachsener Mann mit ergrautem, aber vollem Haar und einem gütigen Gesicht.

Die Maria kannte ihn schon von klein auf und hatte Vertrauen zu ihm. Und sie wusste, dass Pfarrer Gröbinger immer ein offenes Ohr hatte, wenn jemand aus seiner Gemeinde ein Problem hatte.

Bislang war die Maria nie in der Situation gewesen, sich einmal auf diese Weise an den Pfarrer wenden zu müssen. Aber nun war es an der Zeit, fand sie. Sie war sich nämlich nicht sicher, ob der Weg, den sie eingeschlagen hatte, auch der richtige war.

Und mit wem hätte sie darüber reden sollen? Ihre Eltern waren tot und mit ihren Freundinnen aus dem Dorf wollte sie darüber nicht sprechen.

Sie hatte das Gefühl, sich an jemand mit mehr Lebenserfahrung wenden zu müssen. Jemanden, auf dessen Rat man sich verlassen konnte.

Und da war ihr niemand anderes als der Pfarrer eingefallen.

Zweimal schon hatte Maria an der schweren Holztür des Pfarrhauses geklopft und noch immer hatte niemand geöffnet.

Vielleicht ist der Gröbinger gar net zu Hause!, ging es Maria durch den Kopf.

Schließlich war der Dorfpfarrer ja ein vielbeschäftigter Mann, der eine weit verstreut liegende Gemeinde zu versorgen hatte.

Gerade wollte Maria ein drittes Mal klopfen, da öffnete sich knarrend die Tür.

Maria blickte in das runzlige, wettergegerbte Gesicht der Haushälterin. Maria kannte sie natürlich. Sie hieß Franziska Neureuter und hatte bereits dem Vorgänger des jetzigen Pfarrers die Wirtschaft geführt.

Für Generationen von Kindern war sie eine Art Schreckgestalt gewesen, weil sie diese immer davonzujagen pflegte, wenn sie unerlaubterweise nach der Schule auf dem Kirchplatz Ball spielten, anstatt nach Hause zu gehen.

Die Maria hatte das auch erlebt und hatte von daher natürlich auch noch eine gehörige Portion Respekt vor der Neureuterin.

"Mei, die Oberhofer-Maria! Schön dich zu sehen!", rief Frau Neureuter. Sie pflegte lauter zu sprechen, als es eigentlich notwendig war, was daran lag, dass die alte Frau schlecht hörte, sich aber strikt weigerte ein Hörgerät zu tragen. Davon würde sie immer ein wundes Ohr bekommen, behauptete sie stets.

Also konnte man sich mit nur mehr oder minder lauten Zurufen unterhalten.

"Ist der Pfarrer Gröbinger zu sprechen?", fragte Maria. Aber die Neureuterin legte nur die Stirn in Falten.

"Was?", rief sie.

"Ob der Pfarrer da ist! Ich muss dringend mit ihm sprechen!"

"Geh, der Pfarrer ist net da!", rief die Wirtschafterin.

"Wann kommt er denn zurück?"

"Eigentlich müsste er schon längst wieder hier sein! Willst net auf ihn warten, Maria?"

Maria überlegte kurz, dann nickte sie.

"Ja!"

Jetzt war sie schon einmal hier, da konnte sie auch auf den Gröbinger warten.

"Komm in die Stube!", forderte die Neureuterin und ging voran. Sie traten in eine gemütliche Stube ein, die wie eine Bibliothek wirkte.

Die Wände waren mehr oder minder von Bücherregalen bedeckt.

Pfarrer Gröbinger besaß sicherlich mehr Bücher, als die Gemeindebibliothek.

Die Neureuterin bot Maria einen Platz an und diese setzte sich in einen der großen Ohrensessel.

"Worum geht es denn?", fragte die alte Dame dann. Für ihre Neugier war sie im ganzen Tal bekannt.

"Das muss ich schon mit dem Pfarrer selbst besprechen", gab Maria reserviert zurück.

Aber die Haushälterin gab nicht so schnell auf.

"Ich hab gehört, du willst dich mit dem Ludwig Kernmeier verloben..."

"Ja, das stimmt."

"Mei, dann hast es weit gebracht, Madl! Von einer Magd bis zur Frau des größten Bauern im Tal!"

Die Art und Weise, in der die Neureuterin das sagte, gefiel Maria nicht. Und die andere Sache, die ihr auffiel war, dass sie mit einem Mal ein sehr viel besseres Gehör zu haben schien, als noch vor wenigen Augenblicken.

Aber Maria entschloss sich, standhaft zu bleiben und kein einziges Wort mehr über die Lippen zu bringen, das die Neureuterin anschließend in ihrer Gerüchteküche verwenden konnte.

Eine geschlagene halbe Stunde dauerte es noch, bis der Gröbinger endlich kam und das arme Madl dachte zwischendurch schon daran, es vielleicht an einem anderen Abend zu versuchen.

Aber dann hatte sich ihre Geduld doch letztendlich gelohnt.

Der Pfarrer entschuldigte sich wortreich und berichtete, er habe eine Reifenpanne mit seinem Wagen gehabt. "Mei, wird Zeit, dass ich mir bald einen neuen anschaffe. Im nächsten Winter bin ich sonst völlig auf Schusters Rappen angewiesen!", meinte er dazu. Dann wandte er sich an die Neureuterin und sagte: "Wäre nett, wenn du mich und mein Schäfchen jetzt ein bisserl allein lassen würdest!"

"Bitte! Wenn's so gewünscht wird!", erwiderte die Neureuterin etwas pikiert. Wahrscheinlich hätte sie in diesem Moment ihren rechten Arm dafür gegeben mithören zu dürfen, was hier jetzt gesprochen würde!

So verließ sie etwas widerstrebend den Raum und schloss sogar die Tür hinter sich.

Pfarrer Gröbinger lächelte nachsichtig.

"Das ist eine ihrer guten Eigenschaften, Maria! Um richtig lauschen zu können, hört sie denn doch zu schlecht!"

"Allerdings ist sie auch net ganz so taub, wie sie manchmal tut", meinte Maria.

Daraufhin lachte der Pfarrer schallend. "Das ist allerdings auch wahr!", gab er zu. "Nun sag mir aber, was du auf dem Herzen hast, Madl. Es muss ja schon etwas wirklich wichtiges sein, das dich in mein Haus treibt..."

"Gewiss, Herr Pfarrer. Mit irgendeiner Lappalie würde ich Sie net belästigen."

"Das weiß ich doch. Also, heraus mit der Sprach! Wo drückt dich der Schuh, Maria!"

Und dann sprudelte es nur so aus dem jungen Dirndl heraus.

Sie erzählte ihm von der bevorstehenden Verlobung mit dem jungen Kernmeier-Bauern und davon, dass ihr Herz eigentlich dem Thomas Greiner gehörte und dass sie sich nicht sicher war, ob sie den richtigen Weg eingeschlagen hatte.

Der Pfarrer hörte ihr geduldig zu und sie hatte das Gefühl, dass ihr da jemand gegenübersaß, der sich wirklich Mühe gab, sie zu verstehen und ihr zu helfen.

Schließlich hatte sie geendet und der Pfarrer atmete tief durch. "Hm", brummte er tief aus der Brust heraus und lehnte sich dann zurück. "Und nun willst du von mir einen Rat bekommen, was du tun sollst?"

"Ja."

"Du bist eine erwachsene junge Frau, Maria - auch wenn ich dich noch aus der Zeit kenne, als du noch ein kleines Mädchen warst... Entscheiden musst du letztlich ganz allein. Aber wenn

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: (C) ALFRED BEKKER CASSIOPEIAPRESS
Tag der Veröffentlichung: 05.07.2015
ISBN: 978-3-7396-0361-2

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