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Das große Buch der Romantic Thriller

Sammelband mit acht Romanen

von Alfred Bekker & Ann Murdoch

 

Ein CassiopeiaPress E-Book

© by Authors

© der Digitalausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

 

Der Umfang dieses E-Book entspricht 832 Taschenbuchseiten.

 

Dieses Ebook beinhaltet folgende acht Romantic Thriller:

Der Fluch des Totengottes von Ann Murdoch

Besuch aus dem Reich der Toten von Ann Murdoch

Der gute Geist von Ravens Crest von Ann Murdoch

Unheil über Venedig von Ann Murdoch

Die Mondhexe von Alfred Bekker

Der Kristall des Sehers von Alfred Bekker

Der Schlangentempel von Alfred Bekker

Ein Hauch aus dem Totenland von Alfred Bekker

 

 

Der Fluch des Totengottes

von Ann Murdoch


Bei einer archäologischen Expedition in Mexiko kommt Professor James Austin unter geheimnisvollen Umständen ums Leben. War er nur unvorsichtig oder wollen die Götter der Azteken ihr Geheimnis nicht preisgeben? Seine Tochter Gwen glaubt nicht an einen Unfall und begibt sich auf eine gefährliche Suche nach der Wahrheit...

1

Leuchtend bunte Schmetterlinge taumelten durch schwüle, vor Hitze flimmernde Luft. Wild schimpfende Affen turnten durch das dichte Blattwerk der riesigen Bäume, und vielfarbige Vögel lärmten in den Zweigen oder flogen wie ein Schemen aus Regenbogen durch die Luft. Zikaden zirpten, und unzählige Moskitos schwirrten sirrend herum, auf der Suche nach Blut.

Es waren die ganz normalen Geräusche, die den mexikanischen Dschungel erfüllten, die man aber ignorierte, wenn man sie seit einiger Zeit ständig hörte.

Professor James Austin hatte weder einen Blick für die vielfarbigen Schönheiten noch ein Ohr für den Lärm in dieser grünen Hölle, wie sie von vielen Leuten genannt wurde. Er saß in einem Zelt, das in einen gut eingerichteten Basislager stand, weitab von der Zivilisation entfernt, und doch in Luftlinie nur einen Katzensprung von circa dreihundert Kilometern, und hatte eine Generalstabskarte auf den Knien.

Es schien eigentlich unglaublich, aber er hatte endlich Teile der versunkenen Stadt gefunden, auf die er in alten Überlieferungen immer wieder gestoßen war.

Nicht, dass der Professor ein Träumer war, er stand durchaus mit beiden Beinen fest auf dem Boden, aber den größten Teil dieser Expedition hatte er aus eigener Tasche bezahlt, weil es ein Wunschtraum von ihm war. Und nun schien es so, als sei er der Erfüllung dieses Wunsches sehr nah.

Für einen Augenblick wanderten seine Gedanken zärtlich zu seiner Tochter Gwendolyn nach England. Sie hatte gerade ihren Doktorgrad in der Anthropologie geschafft, womit sie ihm nachgeeifert war. Und schon in wenigen Tagen würde sie hierher kommen. Der Professor freute sich darauf, seiner Tochter all dies zu zeigen. Er war so stolz, als hätte er die Gebäude selbst erbaut. Aber zumindest hatte er sie ja gefunden.

Seine beiden Assistenten, Curt McAllister und Jeremy Taylor, die das Ganze zunächst eher als etwas abenteuerliche Ferien, denn als ernsthafte Expedition angesehen hatten, mussten jetzt zugestehen, dass es doch noch verborgene Schätze gab. Die beiden Männer waren nicht so begeistert gewesen, als sie hörten, dass die Tochter des Professors auch noch kommen würde. Sie hielten es für nicht gut, wenn sich eine junge Frau dieser brütenden Hitze und den eingeschränkten hygienischen Verhältnissen unterzog.

Gwen war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Austin hatte seine Frau unendlich geliebt und war untröstlich gewesen, als sie schon bald nach der Geburt ihrer Tochter starb. Danach hatte sich all seine Liebe auf das Mädchen konzentriert, sie wurde der Dreh- und Angelpunkt seines Lebens. Und nun erfüllte ihn nicht zum ersten Mal väterlicher Stolz, als er daran dachte, dass sie nun endlich ihren Doktor in der Tasche hatte. Seine Gedanken kehrten in die Realität zurück. Es würde bald dunkel werden, die Dämmerung dauerte kaum ein paar Minuten in diesen Breitengraden.

Austin hatte eine Stufenpyramide gefunden, verdeckt und überwuchert von den Dschungelgewächsen, und die Erforschung hatte er auf den nächsten Tag festgelegt. Es wurde Zeit, sich schlafen zu legen und neue Kräfte zu sammeln.

In dieser Nacht schlief Professor Austin sehr unruhig. Alpträume quälten ihn. Wirre, fratzenhaft verzerrte Gestalten zuckten vor seinen Augen hin und her, und verzweifelt versuchte er aufzuwachen. Doch er war gefangen in diesen Träumen.



2

Am Morgen erwachte er schweißgebadet, aber nach dem üblichen scheußlich schmeckenden Lagerkaffee, den er sehr heiß hinunterstürzte, ging es ihm etwas besser.

Austin hatte sich entschlossen, Jeremy Taylor auf die erste Erkundung mitzunehmen, zusätzlich einen der Helfer, der außer Spanisch auch etwas Englisch sprach. McAllister sollte auf das Lager aufpassen, es war unwahrscheinlich, dass etwas Außergewöhnliches geschah, aber man konnte nie wissen, was passierte.

Jeder der drei Männer trug eine Machete, das scharfe Haumesser, dazu ein Seil, Taschenlampen, Streichhölzer und auch einen Revolver. Ein Weg von einigen hundert Metern durch dicht bewachsenen Dschungel, in dem man schnell die Orientierung verlieren konnte, lag vor ihnen.

Aber Erregung und Entdeckerfieber machten sich in ihnen breit. Was würden sie vorfinden?



3

Gwendolyn Austin, die hübsche junge Doktorin, steckte ein wenig im Stress. Sie hatte sich noch keine Zeit genommen, sich über ihren neuen akademischen Grad zu freuen. Stattdessen war sie damit beschäftigt zu packen, den notwendigen Papierkram zu erledigen und Gepäck aufzugeben, bevor sie endlich abreisen konnte. Gwen freute sich darauf, mit ihrem Vater zusammen zu arbeiten, für den diese Expedition die Erfüllung eines Lebenswunsches war. Vor allem aber freute sie sich darauf, für einige Zeit aus dem nebligen, verregneten London herauszukommen. Gwen liebte die Sonne, in Maßen, aber sie kannte auch die Gefahren des Dschungels: Die feuchte Hitze, die den Schweiß aus den Poren trieb, die sengenden Sonnenstrahlen, die schwüle Luft, die das Atmen manchmal zur Qual machte, und natürlich die Moskitos.

Sie überlegte, ob sie auch wirklich nichts vergessen hatte, aber es schien, als wäre alles erledigt. In zwei Tagen sollte es losgehen.

Gwen schaute auf die Uhr. In Mexiko war es jetzt früher Morgen, und sie griff nach dem Telefon. Professor Austin hatte ein Mobiltelefon dabei, aber es war bisher kaum eine Verbindung zustande gekommen. Das Satellitennetz schien noch nicht so gut zu funktionieren, dass im Urwald einwandfreier Betrieb möglich war. Eine Weile versuchte die junge Frau immer wieder die Nummer anzuwählen, doch der Ruf schien in den Weiten des Weltalls verloren zu gehen. Wahrscheinlich strahlte der Satellit zum Mars und nicht auf die Erde. Nun gut, es waren ja nur noch zwei Tage. Fröhlich und vergnügt ging Gwen essen und verabschiedete sich von einigen Freunden telefonisch.

Gwen Austin hatte keinen festen Freund. Sie hatte sich bisher einfach noch nicht die Zeit für einen Mann genommen, ihre Studien schienen ihr wichtiger.

Und außerdem, dachte sie lächelnd, wer kann schon vor Daddys Augen bestehen?

Vermutlich gab es auf der ganzen Welt keinen Mann, der in den Augen des Professors seiner Tochter würdig war.

Früh ging sie zu Bett, sie wollte jetzt noch Kräfte schöpfen, wer wusste, wann es wieder ungestörten Schlaf geben würde.



4

Professor Austin wurde vom Entdeckerfieber fast übermannt. Direkt vor ihm erhob sie eine riesige Stufenpyramide. Vielleicht ein Grabmal? Die Abstufungen hatten andere Abmessungen als bei den ägyptischen Pyramiden, man konnte sie einzeln erklimmen oder eine Art Treppe benutzen, die in der Mitte der östlichen Schrägwand eingearbeitet war. Austin wusste, dass er noch mehr als nur dieses eine Gebäude finden würde. Doch dieses eine war für ihn schon Sensation genug.

Der Forscherdrang überwältigte ihn. Obwohl schon weit über fünfzig Jahre alt, fühlte er plötzlich die Spannkraft eines wesentlich jüngeren Menschen in sich. Und mit langen raumgreifenden Schritten stürmte er die Treppen hinauf.

„Professor, so warten Sie doch!“, keuchte Taylor, der kaum nachkam.

Der einheimische Helfer Emilio blieb am Fuß der Pyramide plötzlich stehen. Sein Gesicht zeigte alle Anzeichen panischer Angst.

Direkt vor ihm, wild überwuchert von Schlingpflanzen und anderen Gewächsen war eine Art Standbild zu sehen: Ein grauenerregendes Gesicht auf einem schier monströsen Körper.

Emilios Augen wurden riesig groß und rollten wild vor Angst, er weigerte sich, auch nur noch einen Schritt weiter zu gehen, er wich stattdessen immer weiter zurück.

„Professor, Emilio hat Angst vor dem Standbild und kommt nicht weiter mit“, brüllte Taylor.

„So ein Unsinn. Aber meinetwegen lassen Sie ihn da stehen, wir schaffen das auch allein“, erklang die Stimme Austins von oben.

Der Professor ließ sich nicht aufhalten, aber schon nach wenigen Schritten war er schweißgebadet. Die Luft schien an diesem Ort regelrecht zu stehen, und schwer legte sie sich auf die Atemwege.

Ein unheimliches Gefühl überkam den Professor, fast so etwas wie eine Vorahnung, oder war es vielleicht Angst? Die Sonne schien sich zu verdunkeln, und eine Art Dämmerung brach herein, die er sich nicht erklären konnte. Aber aufhalten ließ er sich davon nicht. Austin griff nach seiner Taschenlampe und beleuchtete seinen Weg. Ein inneres Gefühl trieb ihn auf die Spitze der Stufenpyramide, er fühlte regelrecht, dass sich dort etwas Entscheidendes befand.

Taylor war noch entfernt, er hatte den Professor aus den Augen verloren, aber er hörte ihn weiter oben keuchen.

Nun hatte Austin die Spitze erreicht, und auf dem Dachstein bemerkte er seltsame Schriftzeichen. Sollte dies ein Hinweis sein, wie man in das Innere finden könnte?

Er beugte sich mit der Taschenlampe nieder, um zu entziffern was da stand. Aber diese Schriftzeichen waren ihm unbekannt, der Sinn entzog sich ihm.

„Taylor, kommen Sie her!“, brüllte er. „Sie haben vielleicht die besseren Augen.“

Als der Professor dann Schritte hörte, nahm er guten Glaubens an, es sei sein Assistent. Doch plötzlich erfassten ihn von hinten zwei kräftige Hände und zerrten an ihm.

„Was soll denn das?“, schrie er. „Was machen Sie da?“ Er versuchte die Gestalt zu erkennen, die da an ihm zog und ihn die Pyramide hinunterstürzen wollte. Aber das Licht der Taschenlampe fiel nur auf ein grauenhaft verzerrtes Gesicht, an dem nichts menschlich zu sein schien. In diesem Moment war Austin wie gelähmt, und er wehrte sich nicht mehr, als er hinabgestoßen wurde. Ein entsetzter Aufschrei brach sich Bahn, als er hinunterfiel und mehrmals schwer aufschlug.

Jeremy Taylor rannte wie ein Besessener an die Stelle, an der er den Schrei gehört hatte. Als Taylor dann schließlich ankam, fand er den zerschmetterten Körper des Professors. Die Dämmerung verschwand wie von Zauberhand, und der junge Wissenschaftler starrte in die gebrochenen Augen seines Lehrers.



5

Schwüle Hitze schlug Gwen entgegen, als sie in Mexiko-City aus dem Flugzeug stieg, welch ein Kontrast zum Nebel, den sie vor ein paar Stunden verlassen hatte. Und die Menschen waren hier nicht so verbissen und deprimiert wie in London, es herrschte eine gewisse Fröhlichkeit.

Im Ausgangsbereich hielt die junge Frau Ausschau nach ihrem Vater, der sie abholen wollte. Sie konnte ihn nicht entdecken, aber schließlich sah sie Jeremy Taylor.

„He, Jerry, hier bin ich“, rief sie fröhlich.

Sie kannte Taylor schon fast drei Jahre, solange wie er mit dem Professor zusammenarbeitete, und eine lockere, rein platonische Freundschaft hatte sich im Laufe der Zeit zwischen ihnen entwickelt, und seit einiger Zeit duzten sie sich. Taylor war schlank, aber nicht sportlich, seine Haare schimmerten in einem diffusen Braun, und seine Augen wirkten manchmal eisgrau, dann wieder blau, je nach Stimmungslage. Sein Mund war fest und schmal, aber ein Lächeln ließ ihn jünger aussehen, als er mit fast dreißig Jahren war.

Der junge Mann kam nun auf Gwen zu und nahm sie in die Arme.

„Herzlich willkommen, Gwen. Komm an die Seite, hier sind mir zu viele Leute.“

Sein Verhalten irritierte sie, er schien merkwürdig erregt, und plötzlich begann sie, sich Sorgen zu machen.

„Wo ist Daddy? Sag bitte nicht, er konnte sich wieder mal nicht von seiner Arbeit lösen? Ich habe mich so auf ihn gefreut.“ Ihre Stimme klang etwas resigniert, es war nicht das erste Mal, dass der Professor trotz all seiner Liebe zu seiner Tochter die Arbeit vorschob.

Doch Taylor wich bei ihren Worten aus. „Komm, wir holen erst einmal dein Gepäck, und dann suchen wir uns eine ruhige Ecke.“

Aber Gwen war nicht die Frau, die man einfach so ablenken konnte. Von ihrer schottischen Mutter her hatte sie neben dem guten Aussehen einen wunderbaren Dickkopf geerbt. Feuerrotes Haar wirbelte normalerweise in wilden Locken um ihren Kopf, doch jetzt hatte sie die Haare im Nacken mit einem grünen Samtband gebändigt. Ihre dunklen Augen funkelten nun aber energisch, als sie Taylor beim Arm nahm und ihn streng anblickte.

„Jeremy Taylor, du wirst mir jetzt auf der Stelle sagen, wo mein Vater ist und warum er mich nicht abholt. Und was soll dein komisches Getue, du benimmst dich, als müsstest du mich in Watte packen.“

Die grauen Augen des Mannes verschleierten sich, und er senkte verlegen den Blick. Dann griff er sanft nach ihren Händen und hielt sie fest in den seinen.

„Ich - ich muss dir etwas sagen. Gwen, dein Vater ist - ich meine, er hatte...“

„Nun sag schon endlich, was los ist, und rede nicht dauernd um den heißen Brei herum.“

Taylor holte tief Luft. „Er ist tot, Gwen. Er hatte einen Unfall.“

Gwen hatte das Gefühl, als würde sich ein bodenloser Abgrund vor ihr auftun. Ungläubig starrte sie auf den Mann vor ihr, dessen Gesicht sie ernst und besorgt musterte.

„Das meinst du nicht ernst“, stieß sie dann hervor. „Das ist ein schlechter Scherz. Ihr wollt mich nur erschrecken.“

Taylor schüttelte langsam den Kopf. „Nein, Gwen. Es tut mir so leid, aber es ist die Wahrheit.“

„Aber - aber, Daddy kann nicht sterben, er kann nicht tot sein. Jerry, sag, dass das nicht wahr ist.“

Doch ein Blick in seine Augen belehrte sie, dass er die Wahrheit sprach.

Gwen schluckte schwer, doch sie wollte hier auf dem Flughafen in aller Öffentlichkeit keine Szene machen und schon gar nicht in Tränen ausbrechen. So ballte sie die Hände zu Fäusten und riss sich zusammen.

„Lass uns mein Gepäck holen“, sagte sie fast tonlos. „Und dann muss ich weg hier.“

Gwen war im Augenblick wie betäubt, und es war ihr egal, wohin Taylor sie brachte.

Er fuhr sie in ein Hotel und geleitete sie in ein Zimmer, und erst hier, als sie allein war, brach sie zusammen. Einige Tränen liefen, aber es war nicht das erlösende Weinen in tiefer Trauer, soweit hatte sie der Schmerz noch nicht erreicht. Taylor hielt sie fest in den Armen und versuchte Trost zu spenden.

Irgendwann wurde sie ruhiger. Energisch, fast trotzig wischte sie die Tränen weg und putzte sich die Nase.

„Wo ist er? Ich will ihn sehen“, sagte sie dann ganz vernünftig.

Taylor war verblüfft über ihre Beherrschung. „Ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn du ihn siehst“, murmelte er, aber sie winkte heftig ab.

„Daddy hätte nicht gewollt, dass ich viel um ihn weine, er hatte ein erfülltes Leben. Er hat mich sehr geliebt, das weiß ich, so wie ich ihn auch. Halte mich bitte nicht für herzlos, aber durch Tränen wird er nicht wieder lebendig.“

Taylor strich ihr sanft über das Haar. „Irgendwann wirst du trauern und weinen können“, sagte er leise.

Sie warf mit einer energischen Geste den Kopf in den Nacken. „Vielleicht, irgendwann. Ach, ganz bestimmt sogar, aber nicht heute. Und jetzt will ich ihn sehen.“

Taylor war bei ihren Worten gar nicht wohl, er hätte sie es lieber gesehen, wenn Gwen aus dem Gedächtnis heraus an ihren Vater gedacht hätte.

Doch sie war eine starke Frau, die sich äußerlich kaum erschüttern ließ.



6

„Sie können den Sarg schließen“, sagte Gwen mit rauer Stimme.

Der Angestellte des Bestattungsunternehmens tat es und wunderte sich darüber, dass die Frau nicht in schrilles Heulen ausgebrochen war.

Professor Austin sah nicht sehr gut aus im Tode. Aber Gwen hatte ihn lange angestarrt und nicht einmal bemerkt, dass die Tränen ihr über die Wangen liefen, obwohl sie meinte nicht weinen zu können. Jeremy Taylor stand dicht hinter ihr, berührte sie aber nicht. Es schien, als habe sie einen unsichtbaren Schutzwall um sich herum aufgebaut.

Nun straffte sie die Schultern und schluckte noch ein paar Mal schwer.

„Jerry, wir fahren zum Lager hinaus!“, befahl sie dann leise aber bestimmt.

„Das kannst du doch nicht tun“, widersprach er verblüfft.

„Und warum nicht?“, fauchte sie ihn an.

„Es ist - ich meine, dein Vater ist gerade gestorben. Und außerdem ist Curt dabei, das Lager abzubrechen. Ich denke, du solltest...“

„Überlass es bitte mir, was ich sollte“, erwiderte sie scharf. „Wir werden hinausfahren, und ich werde seine Arbeit fortführen, so wie mein Vater es gewollt hätte.“

„Gwen, du bist verrückt“, widersprach er heftig. „Du bist geschockt und in Trauer. Du weißt nicht, was du redest. Außerdem bist du eine Frau.“

Wild sah sie ihn und schüttelte energisch den Kopf, dass ihre roten Haare nur so flogen. „Willst mir vielleicht erzählen, dass es einen Unterschied macht, dass ich eine Frau bin?“

„Überleg doch nur mal die Beschwernisse des Lagers, die Moskitos, die äußeren Umstände...“

„Zur Hölle mit den äußeren Umständen. Ich hatte sowieso vor, meinem Vater zu helfen. Welchen Unterschied macht das jetzt also?“

Taylor schwieg betroffen, im Grunde hatte sie recht. Dennoch meinte er, dass sie sich jetzt nur in eine Idee verbissen hatte, um nicht trauern zu müssen. Deshalb wollte er sie davon abhalten, er fand es einfach nicht gut. Insgeheim liebte er diese junge Frau, aber das hätte er nie zu sagen gewagt, schon gar zum Professor, der hätte überhaupt keinen Mann für Gwen akzeptiert.

Aber jetzt? War jetzt nicht alles anders?

Doch eines wusste er auch: Es gab wohl niemanden auf der Welt, der Gwen von einem einmal gefassten Plan wieder abbringen konnte. Also machte er zähneknirschend gute Miene zum bösen Spiel, begleitete sie ins Hotel und half ihr beim Packen.

„Was ist jetzt mit deinem Vater?“, fragte er dann stockend. „Ich meine, willst du ihn hier beerdigen lassen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte sie dann leise. „Ich habe Anweisung gegeben, ihn einzuäschern und die Urne nach London zu schicken.“

Irgendwie besaß Gwen trotz einer gewissen verständlichen Niedergeschlagenheit eine Tatkraft, die den Mann verblüffte.

Mit einem Landrover, der zur Ausrüstung der Expedition gehörte, fuhren sie wenig später hinaus.



7

Das Gebiet, in dem der Professor gearbeitet hatte, lag annähernd vierhundert Kilometer von Mexiko-City entfernt. Das war ganz in der Nähe einiger anderer Ruinenstädte, die bereits bekannt und erforscht waren.

Gwen war sehr schweigsam auf der Fahrt, und Jeremy Taylor ließ sie in Ruhe. Er vermutete, sie würde still trauern, aber sie hatte ganz andere Gedanken im Kopf. Sie überlegte, was sie vorfinden würde und wie sie am besten weitermachen konnte.

Das Lager war schon fast vollständig abgebrochen, als die beiden eintrafen.

Curt McAllister, der andere Assistent von Professor Austin, schaute den Ankömmlingen missmutig entgegen. Er trat zu Gwen, reichte ihr die Hand und kondolierte ihr. Dann kratzte er sich etwas nachdenklich am Kopf.

„Ich glaube, Miss Austin, es ist nicht gut, dass Sie hergekommen sind. Das hier ist keine Umgebung für eine junge Frau.“

Gwen blickte ihn etwas spöttisch an. „Ich glaube, Mr. McAllister, dass ich schon mehr solcher Lager erlebt habe, als Sie denken. Schon von frühester Kindheit an hat mein Vater mich mitgenommen, wenn es sich mit meinen Schulstunden vereinbaren ließ. Da lasse ich mich sicher nicht abschrecken. Aber ich nehme es Ihnen selbstverständlich nicht übel, wenn Sie zurückfahren wollen. Ich jedenfalls werde bleiben.“

„Aber Miss Austin, das Lager ist fast abgebrochen. Wie wollen Sie hier so behelfsmäßig, ich meine...“

Plötzlich lachte Gwen hell auf. Es war einfach zu schön, wie er verlegen nach Worten suchte. Sie musterte den Mann, der vor ihr stand. Er war schlank und hochgewachsen, hatte leuchtend blondes Haar, das jetzt durch die Sonne regelrecht ausgebleicht war. Das Gesicht wirkte schmal und beherrscht, und seine Augen leuchteten tiefblau. Kleine Fältchen rings um die Augen zeigten an, dass sein jungenhaftes Wesen über das wahre Alter hinwegtäuschte. Gwen hatte schon von seinen Arbeiten gehört, und er galt in der Fachwelt als durchaus kompetent. Sie fragte sich, warum er mit ihrem Vater auf die Expedition gegangen war, Curt McAllister hätte mühelos selbst eine anführen können.

Aber egal, er war jetzt hier. Und entweder machte er weiter mit oder er fuhr nach Hause.

Die drei einheimischen Helfer tuschelten erregt, als McAllister Befehl gab, das Lager wieder aufzubauen.

Emilio, der als Mittelsmann zwischen den Wissenschaftlern und seinen Leuten fungierte, kam zu ihm und sprach erregt in Spanisch auf ihn ein. Gwen hörte eine ganze Weile zu, dann lächelte sie und antwortete mühelos ebenfalls in fließendem Spanisch.

„Ich bin ganz sicher, dass der Gott der Toten mir nichts tun wird. Ich will ihm seine Geheimnisse nicht entreißen, sondern helfen, dass man ihn besser versteht. Ihr habt großen Respekt vor ihm und verehrt ihn heute noch. Ich möchte ihn kennenlernen und eure Religion auch.“

Emilio schaute sie abweisend an, obwohl er von ihren Sprachkenntnissen beeindruckt war.

„Ich bin Emilio“, verkündete er dann. „Und ich habe am Fuße der Pyramide den Gott des Todes gesehen. Er hat unendliche Macht, wie der Tod des Professors beweist. Sie, Señorita, sollten schnell wieder weggehen, bevor Sie der Fluch des Gottes trifft.“

Gwen wurde nun etwas ärgerlich. „Niemand zwingt Sie zu bleiben, Emilio. Aber ich werde bleiben. Wie Señor Taylor mir versicherte, war der Tod meines Vaters ein Unfall. Wir wollen also kein Gerede dazu in Umlauf setzen.“

Nun traf Jeremy Taylor dazwischen und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Gwen, meinst du nicht, dass er vielleicht recht haben könnte?“

Sie wirbelte herum. „Was willst du damit sagen? Dass mein Vater nicht an einem Unfall gestorben ist? Meinst du etwa, jemand hätte ihn heruntergestürzt? Das ist unglaublich. Aber gerade dann wäre es erst recht meine Aufgabe hierzubleiben. Und nun wünsche ich keine Diskussion mehr. Entweder ihr baut das Lager wieder auf, oder ihr könnt gehen.“

Emilio schüttelte den Kopf, hatte aber sichtlich Respekt vor der energischen Durchsetzungsfähigkeit der jungen Frau. Er scheuchte seine Kollegen wieder an die Arbeit.

Gwen ging unterdessen in das Zelt ihres Vaters, das als letztes noch stand, nahm seine Aufzeichnungen hervor und studierte sie sorgfältig. Hier, wo sie mit sich und ihren Gedanken allein war, konnte sie sich mühelos das Gesicht ihres Vaters ins Gedächtnis zurückrufen und auch ein paar Tränen vergießen. Gwen wollte nicht, dass jemand sie für eine hysterische Ziege hielt, nur weil sie weinte, obwohl es ihr vermutlich niemand übel genommen hätte. Aber sie versuchte ganz einfach vor allen als starke Frau zu gelten.

Irgendwann kuschelte sie sich in den Schlafsack, löschte das Licht und schlief ein. Die Männer draußen waren fertig mit ihrer Arbeit, es war still geworden im Lager.

Gwens Schlaf wurde von Alpträumen gequält. Irgendwo da draußen schien ihr Vater zu stehen und ihr zuzuwinken. Sie wollte hinrennen, ihn erreichen, ihn noch ein letztes Mal in die Arme nehmen. Aber sie schien an ihren Platz gebannt.

Dann schob sich eine erschreckende Fratze zwischen sie beide, und Austin, der noch immer winkend dastand, verschwand plötzlich mit einem gellenden Aufschrei.

Erschreckt fuhr Gwen hoch, mit einem Schlag hellwach. Verwirrt und von Grauen geschüttelt, dauerte es einige Zeit, bis sie sich erinnerte, wo sie war. Dann schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Es war vollkommen natürlich, dass sie von ihrem Vater träumte, denn im Grunde hatte sie keinen richtigen Abschied von ihm nehmen können.

Die nächtlichen Geräusche des Dschungels übten eine beruhigende Wirkung auf die Frau aus. Es waren vertraute Laute, und Gwen horchte eine ganze Weile, schließlich schlief sie wieder ein.



8

„Señorita, Sie sollten da nicht hingehen.“ Die Stimme von Emilio klang eindringlich und warnend.

Gwen tat diese Warnung nicht mit einer Handbewegung und einem Lächeln ab, sie hatte nicht vor, unvorsichtig zu werden.

„Emilio“, sagte sie sanft. „Ich achte eure Götter, aber gerade deswegen muss ich sie nicht fürchten.“

Emilio schüttelte energisch den Kopf. „Quetzalhualpa macht keine Unterschiede zwischen Menschen, die ihn achten oder fürchten. Wer ihn stört, ist des Todes.“

„Trotzdem, Emilio, auch wenn Sie mich nicht verstehen, ich werde dem Weg meines Vaters folgen. Denn es ist sein Geist, der mir das befohlen hat.“ Gwen wusste, dass die meisten Einheimischen sehr abergläubisch waren, und darauf griff sie nun zurück.

Doch auch darauf konnte Emilio kontern. „Dann ist Ihr Vater ein sehr dummer Geist, Señorita.“

„Ich muss sein Vermächtnis erfüllen, Emilio. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie mich begleiten, aber ich gehe auch allein.“

„Nun, dann ist die Señorita auch sehr dumm“, murmelte der Mann.

Trotzdem schloss er sich nicht aus, als Gwen und Jeremy sich fertig machten für einen ersten Erkundungsgang.

Curt McAllister betrachtete das Ganze mit Argwohn und Missfallen, doch auch er schloss sich nicht aus, und sei es nur als Schutz für die junge Frau.

Als sie die Stufenpyramide erreichten, blieb Gwen fast ehrfürchtig davor stehen und reckte den Hals, um möglichst viel zu sehen. Sie bewunderte die großartige Leistung der damaligen Baumeister, und sie versäumte auch nicht, sich von Emilio das Standbild des Gottes zeigen zu lassen. Auch heute weigerte Emilio sich, die Pyramide zu betreten.

„Ja, ich verstehe. Bis hierher und nicht weiter“, murmelte Gwen.

„Dann kehren wir jetzt um?“, fragte McAllister.

Gwen drehte sich um und lächelte ihn an. „Ich bin kein Nachkomme der alten Azteken, ich muss ihre Gebote nicht halten.“

Aber sie war zumindest so vorsichtig, dass sie nicht gleich drauflos die Stufen hinaufrannte. Die drei Forscher blieben dicht beieinander.

Im Grunde gab es nichts zu entdecken, bis sie den Dachstein der Pyramide erreichten. Gwen sah die Inschrift, die Taylor noch nicht kannte.

„He, kann das einer von euch lesen?“, fragte sie.

Wieder schien sich der Himmel zu verdunkeln, wurde die Luft schwer und fast flüssig, und ein bedrückendes Gefühl legte sich auf die drei Menschen. McAllister schaute argwöhnisch zum Himmel, es schien sich hier um ein seltsames Phänomen zu handeln.

„Fragt nicht“, sagte er lakonisch. „Ich habe keine Erklärung dafür.“ Er holte eine Taschenlampe hervor und beleuchtete den Stein.

„Es wurde auch so seltsam duster, als dein Vater hier oben war“, bemerkte Taylor. „Aber einen Grund dafür scheint es nicht zu geben. Wir müssen das so akzeptieren. Vielleicht sollten wir ganz schnell wieder verschwinden.“

„Du kannst ja gehen, ich jedenfalls kann mich bremsen“, murmelte sie. Aus ihrer Tasche nahm sie ein großes Blatt Pergamentpapier und etwas Holzkohle. Mit raschen geschickten Strichen pauste sie die Schrift auf das Papier durch. Dann steckte sie es wieder ein.

„Gut, wir können jetzt erst mal wieder gehen und dann im Lager darüber nachdenken, was dies hier zu bedeuten hat.“

Fast erleichtert begleiteten die beiden Männer die Frau hinunter, wo Emilio auf sie wartete. Er sah wirklich aus, als hätte er Angst und fühlte sich erst wieder besser, als sie das Lager erreichten.

In dieser Nacht konnte Gwen lange nicht einschlafen. Immer wieder starrte sie auf die unbekannten Schriftzeichen, die ihr dennoch merkwürdig vertraut vorkamen. Aber sie hätte auf keinen Fall zu sagen gewusst, was sie bedeuteten. Irgendwann musste sie wohl doch eingenickt sein, denn wieder sah sie im Traum ihren Vater, der ihr zuwinkte, bis erneut diese merkwürdige Fratze auftauchte. Diesmal aber verschwand Austin nicht, sondern kämpfte gegen die Fratze.

Als Gwen schweißgebadet aus diesem Alptraum erwachte, war sie überzeugt davon, dass jemand ihren Vater getötet hatte. Es konnte doch kein Unfall gewesen sein.

Beim Frühstück, das aus ein paar Tacos und einem grässlichen Kaffee bestand, fragte sie Taylor nach den genauen Umständen des Unfalles.

„Ich will jede Einzelheit wissen“, beharrte sie.

„Warum?“, fragte Jeremy verstört.

„Weil ich mittlerweile fest davon überzeugt bin, dass mein Vater umgebracht wurde“, erklärte sie kühl.

„So ein Unsinn“, widersprach er. „Ich bin zwar nicht direkt dabei gewesen, aber ich hätte doch jemanden sehen müssen.“

„Vielleicht wolltest du nur das sehen, was deine Angst dir vorgaukelte“, wandte McAllister bissig ein.

Diese Behauptung löste heftige Diskussionen zwischen den beiden aus. McAllister warf Taylor offen vor, den Professor im Stich gelassen zu haben.

„Du hättest ihn auf keinen Fall gehen lassen dürfen“, rief McAllister erregt.

Taylor verteidigte sich. „Ich war damit beschäftigt, Emilio zum Mitkommen zu bewegen. Und außerdem war der Professor unheimlich schnell.“

„Das sind doch nur faule Ausreden.“

„Warum bist du dann nicht mitgegangen, statt jetzt hier kluge Reden zu schwingen?“, brüllte Taylor.

„Weil ich strikte Anweisung hatte hier zu bleiben.“

„Dann mach mir jetzt keine Vorwürfe, du hättest an meiner Stelle nicht anders gehandelt.“

„Genau das weiß ich eben nicht“, erklärte McAllister plötzlich lauernd.

„Willst du mir etwa vorwerfen, ich hätte zugelassen, dass der Professor umgebracht wird? Und von wem denn? Es war doch niemand da.“

„Woher willst du das wissen?“

„Nun, ich hätte jemanden hören oder sehen müssen.“

McAllister schüttelte über soviel Einfalt den Kopf. „Die Pyramide ist ziemlich groß“, stellte er dann trocken fest. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass dir jemand entgangen wäre. Aber trotzdem kann und will ich nicht glauben, dass man Ihren Vater umgebracht, Miss Austin. Ich sehe auch kein Motiv.“

„Niemand zwingt Sie, mir zu glauben“, erklärte Gwen spitz, die der Auseinandersetzung ruhig zugehört hatte. „Ich gebe zu, es ist ja nicht mehr als ein Gefühl, eine Vermutung, eine Ahnung, wie auch immer. Heute jedenfalls werden wir nicht hinausgehen. Ich glaube, ich fühle den Flug und die Zeitverschiebung noch in mir. Ich werde mich heute ausruhen.“

Jeder, der Gwen gut kannte, hätte in ihren Worten eine vorgeschobene Behauptung gesehen, und genau das war es auch. Gwen wollte sich wirklich etwas ausruhen, aber nur, um in der Nacht alleine auf die Pyramide zu steigen. Sie hatte genug von diesen Männern mit ihren überflüssigen Bedenken. Außerdem glaubte sie, in den Schriftzeichen irgendetwas erkannt zu haben.

Auf jeden Fall brüteten die beiden Männer den ganzen Nachmittag über dem Papier, ohne etwas erreicht zu haben.

Die kurze Dämmerung brach herein, und Gwen zog sich frühzeitig zurück, um zu schlafen, wie sie sagte.

Vier Stunden später erhob sie sich lautlos und schlich aus dem Lager. Mit ihrer Taschenlampe beleuchtete sie den Weg. Um sie herum gab es nur die nächtlichen Geräusche des Dschungels, ein vertrautes, willkommenes Konzert.

Gwen kam nicht auf die Idee, den Weg hinter sich abzuleuchten. Doch wahrscheinlich hätte es wenig Zweck gehabt, sie bemerkte so jedenfalls nicht die Gestalt, die ihr folgte. Die junge Frau schritt zielstrebig und fast traumhaft sicher aus, als wüsste sie den Weg im Schlaf. So kam sie erstaunlich schnell wieder zur Pyramide.

In aller Ruhe schritt sie die Stufen hinauf, bis sie wieder vor dem Dachstein stand. Ihre Fingerspitzen glitten über die eingemeißelten Schriftzeichen, als könnte sie sie im Dunkeln lesen. Dann glitt sie zwei Stufen hinunter und begann mit den Fingern den behauenen Felsen abzutasten. Kleine Steine, Schmutz, Moose und Flechten fühlte sie, Spinnen und Eidechsen huschten vor ihren tastenden Händen davon, aber schließlich verharrten ihre Hände über einer Erhebung. Wenn dies hier nicht nur eine zufällige Unebenheit im Stein war, dann hatte sie einen entscheidenden Hinweis gefunden. Gwen kannte die grandiosen Leistungen der alten Baumeister, und sie war felsenfest davon überzeugt, dass sie hier eine Art Öffnungsmechanismus gefunden hatte. Auf welche Art und Weise war ihr noch unklar, das musste einfach ausprobiert werden.



9

Lange verharrte sie so und überlegte, ob sie diesen Schritt allein wagen sollte. Aber schließlich verwarf sie diesen Gedanken wieder. Niemand im Lager wusste, dass sie weggegangen war, und es schien einfach zu gefährlich allein diesen Kontakt auszulösen. Sollte sich wirklich eine Öffnung bilden, würde es vielleicht keinen Ausweg geben, wenn sich die Öffnung wieder schloss.

Plötzlich hatte sie das Gefühl einer unmittelbaren Bedrohung, die sich direkt gegen sie richtete. Ihre Hände begannen zu zittern, aber mutig leuchtete sie mit der Taschenlampe umher. War es ihrem Vater auch so ergangen? Handelte es sich ganz einfach nur ein Gefühl oder gab es wirklich jemanden oder etwas, was sie bedrohte? Der Strahl der Lampe huschte umher, doch nichts und niemand war für Gwen zu sehen. Aber dieses unheimliche Gefühl blieb.

Leichte Panik breitete sich in der jungen Frau aus, aber tapfer kämpfte sie dagegen an. Wenn sie jetzt nicht aufpasste und sich unter Kontrolle behielt, würde sie vielleicht auch einfach abstürzen. Sie wich ein, zwei Schritte zurück, da war die Kante. Aufpassen!

„Wer bist du?“, rief sie gespielt mutig. „Zeige dich!“

Sie kam sich plötzlich ziemlich dumm vor, es konnte doch nicht sein, dass sie mit einem imaginären Schemen sprach, und sie lachte nervös auf. Sie schalt sich selbst dumm und hysterisch. Auf der Stelle wollte sie jetzt zurück ins Lager gehen und später mit den Männern wiederkommen.

Energisch rief sie sich zur Ruhe und bekämpfte den inneren Drang einfach wegzulaufen. Das Gefühl der Bedrohung nahm dennoch nicht ab.

Gwens Herz schlug bis Halse, als sie langsam die Stufen nach unten ging, jederzeit darauf gefasst sich gegen etwas oder jemanden zu verteidigen.

Plötzlich schien es, als würde sie von etwas gestreift, sie schlug um sich, aber da war nur Luft. Sie beruhigte sich wieder. Das war sicher nur ein Nachtvogel gewesen, der sie für eine leichte Beute gehalten hatte. Aber wieder berührte sie etwas, und diesmal schrie sie leicht erschreckt auf.

„Verdammt, wer immer du bist. Zeige dich und sage mir, was du von mir willst“, brüllte sie in die Nacht.

Von überall und nirgends ertönte plötzlich ein hämisches Lachen, und Gwen lief eine Gänsehaut über den Rücken. Hier war jemand, dessen war sie sicher. Aber dieser Jemand schien nicht greifbar.

Gwen glaubte nicht an Götter und Geister, und sie sah diese Bedrohung als etwas sehr Reales an. Vielleicht hatte einer der Einheimischen ihren Weggang bemerkt und wollte sie nun in Schrecken versetzen, damit sie diese Gegend verließ und die Expedition abbrach. Das sah sie als eine Möglichkeit. Aber vielleicht gab es hier wirklich noch Nachkommen der alten Azteken, die ihre heiligen Stätten beschützen wollten.

Gwen biss die Zähne zusammen, beruhigte sich so weit wie möglich und machte sich langsam an den Abstieg.

Alle ihre Sinne waren übermäßig geschärft, wie sie es nie für möglich gehalten hätte. Da, war da nicht etwas an der Seite? Eine schemenhafte Bewegung? Wollte man sie auch von den Stufen stürzen? Gwen hatte etwas dagegen, so leicht würde sie es einem Angreifer nicht machen wollen.

Sie blieb stehen und lauschte, nein, sie fühlte regelrecht in die Nacht hinein, und sie spürte die Anwesenheit eines anderen. Fieberhaft überlegte sie, was sie nun tun konnte, aber es wollte ihr nichts rechtes einfallen. Dann bewegte sich der Schatten, und die Bedrohung nahm an Intensität zu.

Gwen hatte plötzlich Angst, nackte panische Angst, die ihr Herz zu zerquetschen schien. Sie wollte sich von diesem Gefühl nicht überwältigen lassen, und so kämpfte sie tapfer gegen sich selbst. Sie nahm ihre Taschenlampe fest in die Hand, löschte das Licht und warf sie in die Richtung, in der sie den Schatten spürte. Die Lampe traf auf einen Körper, ein unterdrückter Aufschrei wurde hörbar, und jemand bewegte sich mit katzenartiger Geschwindigkeit davon. Das Gefühl der unmittelbaren Bedrohung schwand langsam.

Gwen blieb zitternd stehen und versuchte ihr wild jagendes Herz zu beruhigen. Sie begann auf dem Boden herumzutasten, ob sie wohl ihre Taschenlampe wiederfinden würde? Nach einer Weile gab sie auf, es war aussichtslos im Dunkeln weiter zu suchen. Sie hatte noch eine Schachtel Streichhölzer in der Tasche, und im Schein der kleinen flackernden Flämmchen suchte sie sich ihren Weg nach unten. Gwen kam es zugute, dass sie einen hervorragenden Orientierungssinn besaß. Kurz vor Erreichen des relativ sicheren Bodens übersah sie jedoch eine Schlingpflanze, verhedderte sich darin und fiel mit einem Aufschrei die restlichen Stufen hinunter. Sie prallte mit dem Körper mehrmals heftig gegen die Kanten, und schließlich durchzuckte ein heftiger Schmerz ihr Handgelenk. Aber sie verlor nicht das Bewusstsein, sie lebte, das war wichtig.

Versuchsweise bewegte sie die Hand, es schien sich um eine heftige Verstauchung zu handeln. Nun gut, wenigstens kein Bruch! Ihr ganzer Körper schien nur aus Prellungen zu bestehen. Aber sie biss die Zähne zusammen und entzündete erneut ein Streichholz, um den Weg zurück ins Lager zu finden. Wie durch ein Wunder reichte die Schachtel gerade, um mit der letzten Flamme ins Lager zu taumeln.

Der erste schmale Streifen der kurzen Morgendämmerung zeigte sich, und Emilio war bereits aufgestanden. Er sah Gwen hereinkommen: Schmutzig, mit zerrissener Kleidung und schmerzverzerrtem Gesicht.

Seine aufgeregten Rufe weckten die anderen.



10

„Bist du eigentlich von allen guten Göttern verlassen?“, schimpfte Jeremy Taylor, als er Gwen bei Licht näher betrachtete.

Curt McAllister sagte erst einmal gar nichts, er griff nach dem Verbandskasten. Mit ruhigen geschickten Fingern reinigte er Gwens Handgelenk vom Schmutz, bestrich es mit Salbe und legte einen Verband an. Dann kümmerte er sich um die kleinen Abschürfungen und Prellungen.

„Du hast kein Recht mich so herunterzuputzen“, rief Gwen zornig. „Für meine Fehler kann ich selbst gerade stehen.“

„Ja, natürlich, so gerade, wie du eben ins Lager gekommen bist“, schnaubte Taylor wütend. „Und wir sind es dann, die deine Leiche nach London schicken dürfen, wenn dir etwas passiert. Was fällt dir ein, nachts allein loszuziehen? Und was ist das für eine Geschichte, dass da jemand war?“

„Wenn ich es doch sage, ich habe jemanden gesehen und gespürt. Und bestimmt erging es meinem Vater nicht anders. Also hör endlich auf mir Vorwürfe zu machen, sondern tu etwas!“

„Und was, bitte? Soll ich vielleicht Warnschilder aufstellen: Vorsicht nächtliche Forscher?“

„Du bist unsachlich!“, warf sie ihm vor.

„Und du tödlich leichtsinnig“, kam die prompte Antwort.

„Wer euch zuhört, könnte meinen, er hätte ein altgedientes Ehepaar vor sich“, bemerkte McAllister plötzlich mit einem Grinsen.

„Wenn Sie außer dummen Sprüchen keine konkreten Vorschläge zu machen haben, sollten Sie besser schweigen“, schnaubte Gwen.

„Oh, nichts für ungut. Ich wollte eigentlich nur abwarten, bis ihr beide fertig seid.“

„Du solltest deine Zunge hüten“, fuhr auch Taylor auf. „Das hier ist nicht der Zeitpunkt für dummes Gerede. Wenn du etwas zu sagen hast, dann tu es.“

McAllister schaute die beiden lange an, und seine leuchtend blauen Augen blieben besonders lange auf Gwen liegen. Sie konnte den Ausdruck in diesem Blick nicht deuten. War es Besorgnis, Belustigung oder einfach nur Abscheu? Wie abwesend strich er noch einmal über den gerade angelegten Verband.

„Zunächst einmal, Miss Austin, sollten Sie uns das Versprechen geben, nicht mehr allein und schon gar nicht nachts loszuziehen“, sagte er dann bedächtig.

„Du meine Güte, ja, wenn ihr darauf besteht. Es war vielleicht nicht ganz richtig von mir“, gab sie unwillig zu.

„In Ordnung, damit wäre dieser Punkt schon abgehakt“, stellte McAllister zufrieden fest.

„Hast du noch weitere so kluge Vorschläge?“, erkundigte sich Taylor bissig.

„Aber sicher. Wir sollten jetzt gleich bei Tageslicht nachsehen. Und Sie sollten uns ganz genau zeigen, wo sich die Sache abgespielt hat, Miss Austin. Und dann möchte ich gern diesen angeblichen Auslöser sehen, von dem sie so überzeugt sind.“

„Was heißt hier angeblich, ich habe ihn gefunden“, beharrte sie trotzig.

„Ich glaube Ihnen ja, aber ich würde mich gern mit eigenen Augen davon überzeugen“, erklärte er sanft. „Wer weiß, vielleicht führt er uns wirklich irgendwo hin.“

„Ich halte es schon fast für ein Wunder, dass sie in ihrem Forscherdrang nicht gleich die Erkundung allein vorgenommen hat“, knurrte Taylor.

„Also wirklich, gesteh mir doch ein Mindestmaß an Vernunft zu. Ich hatte doch gar keine Ausrüstung mit“, fauchte sie ihn an.

„Ach, und das war der einzige Hinderungsgrund?“, fragte Taylor sarkastisch. „Höchst unprofessionell, würde ich sagen.“

„Es kann ja sein, dass Ihnen die Streiterei Spaß macht, aber ich glaube, sie bringt uns nicht viel weiter“, bemerkte McAllister trocken.

„Wie recht Sie haben“, flötete Gwen zuckersüß. Sie schnappte sich die Tube mit der Salbe und hinkte anmutig in ihr Zelt, wo sie die nächste halbe Stunde damit verbrachte, ihre zahlreichen Prellungen einzureiben.



11

„Hier muss es doch irgendwo sein“, sagte Gwen etwas ratlos und starrte auf die Steine zu ihren Füßen hinab. „Bei Tage sieht es doch etwas anders aus als bei Nacht“, stellte sie fast enttäuscht fest. „Aber ich weiß genau, dass ich nur zwei Absätze hinunter gegangen bin.“

„Vielleicht hast du dich ganz einfach getäuscht?“, mutmaßte Taylor.

Statt einer Antwort warf Gwen ihm einen vernichtenden Blick zu.

McAllister dachte praktischer. Er schritt den ganzen Absatz rundum ab und hielt seine Augen dicht am Boden.

„Ich glaube, hier ist es“, sagte er nach einer Weile. „Jedenfalls scheint hier jemand an den Moosen und Flechten gewischt zu haben.“

Gwen war wie der Blitz bei ihm. Ihre Finger tasteten sensibel nach den Ansatzpunkten, die sie schon in der Nacht gefühlt hatten. Dann richtete sie sich auf und schaute die beiden Männer an.

„Wenn ich jetzt diesen Kontakt benutze, kann es sein, dass gar nichts passiert. Es kann aber auch sein, dass wir eine Art Weltuntergang erleben“, sagte sie. „Wer will, kann jetzt noch gehen. Ich hoffe, ihr seid seelisch vorbereitet.“

Taylor schüttelte den Kopf, und McAllister grinste sie an. Sein blondes Haar leuchtete wie ein Weizenfeld, und seine blauen Augen funkelten vor Vergnügen. Ihm schien die Sache riesig Spaß zu machen.

„Nun machen Sie schon, oder warten Sie auf einen Countdown?“, fragte er belustigt.

Gwen würdigte ihn keiner Antwort. Sie trat mit aller Kraft auf diese kleine Erhöhung und wartete. Nichts geschah, gar nichts. Enttäuscht blickte sie die beiden Männer an.

„Und ich hatte so gehofft“, begann sie etwas mutlos.

In diesem Augenblick schien ein Erdbeben den Boden zu erschüttern, und die ganze Stufenpyramide kam in Bewegung. Haltsuchend griffen alle drei mit rudernden Armen in die Luft. Schließlich fielen sie zu Boden, und McAllister griff nach Gwen, um sie vor dem Aufprall auf eine scharfe Kante zu bewahren.

„Danke“, sagte Gwen ein wenig atemlos, als die Welt sich wieder beruhigte. „War das - ich meine, war das jetzt ein richtiges Erdbeben, oder vielleicht doch etwas anderes?“

Wortlos half McAllister ihr aufzustehen und deutete über die Kante hinaus. Dort, wo vorher die einzelnen Absätze der Pyramide eine geschlossene Einheit gebildet hatten, gähnte jetzt ein großes schwarzes Loch, mehr als mannshoch und vorher fugenlos verschlossen.

Taylor schaute düster drein. Ärgerte er sich darüber, dass Gwen mit ihrer Vermutung recht gehabt hatte oder über die selbstverständlichen Hilfeleistungen von McAllister an Gwen?

„Willst du wirklich da hineingehen, Gwen?“, fragte er eindringlich. „Überlege es dir noch einmal.“

Sie schaute ihn fast ungläubig an. „Wo bleibt dein Forscherdrang, Jerry? Du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass du eine Höhle vor dir hast und diese ungesehen lassen kannst.“

Er grinste plötzlich lausbübisch. „Ich kann das wohl kaum. Aber ich denke dabei an dich. Es könnte gefährlich sein.“

„Erzähl mir nicht wieder etwas vom Schutz des schwachen Geschlechts“, schäumte sie.

„Ich weiß, wie stur du bist und wie zäh du sein kannst. Und trotzdem mache ich mir Sorgen, wenn du mit hineingehst.“

„Vergesst ganz einfach, dass ich eine Frau bin“, riet Gwen gutgelaunt.

„Wenn das so leicht möglich wäre“, seufzte McAllister theatralisch mit einem Blick auf ihren gut gebauten Körper, der von dem Anzug nicht so verhüllt wurde, dass man ihre Rundungen nicht mehr erkennen konnte.

„Er hat recht, das fällt ziemlich schwer“, schlug auch Taylor in die gleiche Kerbe.

„Du lieber Himmel, jetzt habe ich es auch noch mit durchgedrehten Männern zu tun“, seufzte Gwen.

Sie nahm ohne weiteres Wort ihre Taschenlampe aus dem Gürtel, schulterte ihr Seil, klopfte ihre Taschen ab, ob sie auch alles dabei hatte, was wichtig war, und ging dann einfach voran. Den beiden Männern blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.

Schon nach drei Schritten wurde Gwen von der Dunkelheit verschluckt, und übergangslos wurde es kühler. Außerdem roch es modrig. Irgendwo schien Wasser zu tropfen, und kleine Eidechsen huschten im Dunklen vor Gwens Füßen umher. Die Taschenlampe warf einen scharf begrenzten Strahl auf den Weg, und ein etwas mulmiges Gefühl schien sich zwischen ihren Schulterblättern auszubreiten. Neugierig und misstrauisch leuchtete sie nach rechts und links, sah aber nichts anderes als kalte behauene Steine, überwuchert von Moosen und Flechten, geschmückt mit Tapeten aus Spinnweben. Keine Bilder, keine Skulpturen.

Der Gang, den die drei entlangschritten, führte geradeaus und ziemlich steil bergab. Wenn es sich hier um ein Grabmal handelte und es Grabkammern geben sollte wie in ägyptischen Pyramiden, so befanden sich diese tief unter der Erde.

Die beiden Männer holten auf und gingen nun direkt hinter Gwen, wobei sich McAllister etwas vordrängte. Für zwei Personen reichte die Breite des Ganges so gerade eben.

Irgendwann standen sie wieder vor einer Wand.

„Und nun?“, fragte Taylor von hinten.

„Da ich nicht annehme, dass es sich bei diesem Gang um eine Sackgasse handelt, werden wir einfach einen Öffnungsmechanismus finden müssen“, erklärte Gwen kühn. Ihre Hände tasteten über die Wände, doch außer den kaum spürbaren Fugen zwischen den dicken Steinen fand sie zunächst nichts.

„Sie wissen, dass das auch eine Falle sein kann?“, bemerkte McAllister trocken.

„Wenn wir es nicht ausprobieren, werden wir es nicht wissen“, stellte Gwen fest.

„Und wenn wir es ausprobieren, können wir anschließend ziemlich tot sein“, wandte Taylor ein.

„Du bist ein unverbesserlicher Pessimist“, antwortete sie.

„O Himmel, ich habe es so satt, ständig von dir heruntergeputzt zu werden“, maulte Taylor. „Ich versuche doch nur realistisch zu sein.“

„Und dein Realismus wie auch der deines Kollegen erschöpft sich darin, ständig neue Gefahren aufzuzeigen, ja?“

„Ich will doch nur, dass wir alle vorsichtig sind.“

„Wie willst du vorsichtig sein, wenn du nicht weißt, worauf du dich vorzubereiten hast? Wir können nur ganz einfach auf unsere Instinkte vertrauen und den Gefahren ausweichen, wenn sie sich auftun sollten.“

„Aha, und das wäre, indem ich diesen Knopf nur nach Vorwarnung drücke?“, fragte Taylor ironisch und fügte laut hinzu: „Achtung!“

Wie einstudiert warfen sich Gwen und McAllister zu Boden, während Jeremy den Knopf betätigte, den er in der Wand entdeckt hatte, und sich dann selbst zu Boden warf.

Es knirschte vernehmlich, und eine Wand schob sich beiseite. Drei untereinander angebrachte Speere schoben sich wie auf Schienen heraus in den Gang, ein aufgespießtes Skelett vor sich herschiebend. Mit einem regelrecht kreischenden Geräusch kam das Gestell zum Stillstand, dicht vor dem anderen Ende der Wand. Hätte einer der drei gestanden, wäre er mit Sicherheit aufgespießt worden.

Gwen war bei diesem Vorfall der kalte Schweiß ausgebrochen, und doch war sie noch immer wild entschlossen, weiterzumachen. Sie stand noch etwas zittrig auf und lehnte sich, ohne nachzudenken, an McAllister. Dessen Haarschopf schien selbst hier im Halbdunkel noch zu leuchten. Taylor trat näher und streichelte ihr sanft über die Wange.

„Reicht dir das jetzt endlich?“, fragte er sanft. „Willst du jetzt endlich zurückkehren?“

Sie schüttelte fast traurig den Kopf. „Nein, ich werde weitermachen. Aber ich kann und will euch nicht in Gefahr bringen. Es ist meine Sache, das Vermächtnis meines Vaters zu erfüllen. Geht! Kehrt um! Ihr wisst, wo ich bin. Gebt mir einen oder zwei Tage Zeit. Wenn ich dann nicht zurück bin, werde ich wohl tot sein.“

„Das ist absolut unverantwortlicher Wahnsinn“, schimpfte Taylor. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass wir uns jetzt zurückschicken lassen. Entweder gehen wir alle oder keiner.“

„Ich schätze, da muss ich ihm recht geben“, bemerkte McAllister mit einem Grinsen. „Außerdem lasse ich mich nicht zurückschicken, wenn ich fast sicher bin, einer heißen Sache auf der Spur zu sein.“

Gwen seufzte tief auf, und ihre Stimme klang jetzt doch erleichtert. „Mir scheint, ihr seid nicht weniger stur als ich. Also werden wir weitermachen, aber noch vorsichtiger als bisher.“



12

Es war McAllister, der durch Zufall den richtigen Hebel fand. Plötzlich schwang die Wand, die ihnen den Durchgang versperrt hatte, zur Seite. Rein instinktiv ließen sich alle drei wieder zu Boden fallen und erwarteten die nächste Falle. Aber es geschah nichts weiter.

Gespielt munter stand Gwen dann auf, klopfte sich den Staub aus der Hose und sagte auffordernd: „Es geht weiter, meine Herren!“

„Du bist so verdammt kaltschnäuzig“, beschwerte sich Taylor.

„Falsch, nur wild entschlossen“, korrigierte die junge Frau.

Wieder stachen die Lichtfinger der drei Taschenlampen in die Dunkelheit und beleuchteten den Gang, der weiter abwärts führte. Die Wände bestanden aus grob behauenem Felsen, der Boden aus gestampftem, im Laufe der Jahrhunderte fest gewordenem, Lehm. Die Luft hier unten war drückend schwül und sehr sauerstoffarm, dennoch fröstelte Gwen.

„Selbst wenn wir hier nichts weiter finden sollten“, bemerkte McAllister nach einer Weile, „allein diese Anlage mit den Gängen und Fallen war die Suche wert.“

„Als Ausbeute wäre es aber ein bisschen mager“, bemerkte Gwen trocken. „Ich glaube aber nicht, dass das schon alles ist.“

Bald darauf gabelte sich der Gang, rechts führte er sanft bergan, links ging es weiter hinab. Nach einigem Überlegen entschieden sich die drei, dem Gang bergab zu folgen, sie vermuteten, mit dem anderen Weg an die Oberfläche zurückgeführt zu werden, ohne etwas erreicht zu haben.

Gwen ging voraus, aber trotz aller Vorsicht stolperte sie plötzlich. Hilfesuchend griff sie nach einem festen Halt und berührte dabei einen Hebel in der Wand, den vorher keiner von ihnen bemerkt hatte. Ein knirschendes Geräusch ertönte, und der Boden unter Ihren Füßen tat sich in voller Gangbreite auf. Alle drei fielen wie auf einer Art Rutsche in wahnwitziger Geschwindigkeit abwärts.

„Noch ein Stockwerk tiefer“, kommentierte McAllister keuchend und sarkastisch.

Die rasante Fahrt wurde jäh abgebrochen, als alle drei vor eine Wand prallten. Benommen blieben sie zunächst einige Zeit liegen und begannen dann ihre Glieder abzutasten, ob auch alles heil geblieben war.

„Bist du in Ordnung?“, ächzte Taylor zu Gwen hinüber.

„Ja, geht schon. Und was ist mit euch?“

„Nichts passiert“, bestätigte McAllister und suchte eine Taschenlampe. „Das wird ein ganz schönes Stück Arbeit, hier wieder hinauszukommen“, stellte er dann bekümmert fest.

Nun schauten sich die drei erst einmal um, wo sie gelandet waren. Die Rutsche mündete in einen großen viereckigen Raum. Außer der Rutsche schien es keinen Ausweg zu geben.

„Sieht ziemlich leer aus“, stellte Taylor dann bedrückt fest.

„Quatsch, es muss noch einen Ausgang geben“, beharrte Gwen stur. „Sonst hätten auch die Baumeister nicht hinauskommen können. Oder habt ihr vielleicht Skelette gesehen?“

„Nach so langer Zeit? Ich denke, die werden alle zu Staub zerfallen sein.“

„Ach, du bist wirklich ein Pessimist“, warf sie Jeremy vor. Doch die Zeit verging mit Suchen, aber es war einfach nichts zu finden, das ihnen aus dieser Falle hinaushelfen konnte.

„Nichts“, knurrte McAllister nach einer Weile. Müde lehnte er sich mit dem Rücken an die Wand und rutsche daran hinunter. Dabei schien er jedoch einen Kontakt auszulösen, jedenfalls schwang ein Teil der Wand herum, und der Mann fiel mit dem Rücken nach hinten.

„Das glaube ich ja nicht“, sagte Gwen plötzlich und schluckte schwer. Sie leuchtete mit der Lampe in den Raum hinein, der sich so überraschend geöffnet hatte.

Es schien sich um eine regelrechte Schatzkammer zu handeln. Wohl geordnet lagen Statuen, Schmuckgegenstände und Waffen auf dem Boden oder auf steinernen Podesten. Schimmerndes Gold, Edelsteine, Obsidian, die wertvollen Kostbarkeiten der früheren Menschen hatten hier die Jahrhunderte überdauert.

Fassungslos traten die drei näher und berührten fast ehrfürchtig einige der Gegenstände.

„Das ist der schiere Wahnsinn“, rief Taylor. „Seht euch das hier an, eine Maske aus purem Gold.“

Er hielt sie sich vor das Gesicht, und im Schein der Taschenlampen verzerrte sich das Göttergesicht zu einer furchterregenden Fratze.

„Das trägt nicht gerade zu deiner Verschönerung bei“, bemerkte McAllister leicht spöttisch.

Gwen aber schauderte plötzlich, sie fühlte wieder eine unsichtbare Bedrohung. Aber von wo ging diese aus?

Sie setzte sich plötzlich hin und begann zu weinen.

„He, was ist denn los?“, fragte McAllister sanft. „Stimmt etwas nicht?“ Er beugte sich nieder und nahm sie zart in die Arme.

„Ach, es ist nur, ich meine, es hätte meinem Vater so viel Freude bereitet. Das hier war immer sein großer Wunsch gewesen.“

Taylor schwierig betroffen, ihm fiel nichts ein, was er der jungen Frau zum Trost sagen konnte.

Doch McAllister strich sanft über den Rücken von Gwen. „Ich bin sicher, von da, wo er jetzt ist, wird er mit großer Freude sehen, dass Sie seinen Traum erfüllt haben“, sagte er behutsam. „Sie können stolz auf sich sein. Allen Widerständen, auch unserem, zum Trotz, haben Sie getan, was Sie für richtig hielten.“

Gwen schniefte noch einmal auf. Die Worte des Mannes hatten sie auf seltsame Weise getröstet.

„Ich bin wohl ziemlich dumm“, sagte sie dann energisch und wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht.

„Du bist nicht dumm“, erklärte Taylor schroff. „Aber vielleicht kannst du jetzt endlich trauern.“

„Dazu werde ich mir später ausreichend Zeit nehmen“, beharrte sie. „Wie gehen wir nun jetzt weiter vor? Der richtige Weg wäre wohl, die mexikanischen Behörden zu verständigen und hier nichts anzutasten. Aber ich gestehe, so ganz gut gefällt mir diese Idee nicht. Ich bin ziemlich sicher, dass dann vieles, von dem was hier, liegt in undurchsichtigen Kanälen versickern wird.“

„Und was schlägst du statt dessen vor?“, erkundigte sich Jeremy.

„Wir sollten einen Teil der Gegenstände mitnehmen, uns einen Ausgang suchen, und über den Zugang zu dieser Kammer schweigen. Zumindest so lange, bis wir die Fachwelt unterrichtet haben, dann können die korrupten Beamten nichts mehr verschwinden lassen.“

„Du urteilst ziemlich hart, es klingt fast, als wäre die Gesamtheit der Beamten korrupt.“

„Nein, wohl kaum, es gibt überall gute und böse. Nur finde ich, dass gerade hier, wo praktisch jeder sein eigenes Süppchen kocht, die Gefahr am größten ist.“

Die beiden Männer machten bedenkliche Gesichter. „Das widerspricht allem, was bei internationalen Ausgrabungen üblich ist. Und vor allem verstößt es gegen die Gesetze. Und das sehen die Mexikaner ziemlich eng.“ Taylor war nicht wohl dabei.

„Das mag ja alles richtig sein“, warf McAllister ein. „Aber auch ich tendiere zu Miss Austins Ansicht.“

„Seid ihr denn beide vollkommen verrückt geworden?“

„Vielleicht“, lächelte Gwen traurig. „Aber versteh doch, es ist das Vermächtnis meines Vaters, das möchte ich nicht gern in fremde Hände abgeben, wenn ich nicht sicher sein kann, dass alles gut geregelt ist. Ich habe einfach etwas dagegen, dass sich fremde Leute bereichern könnten.“

„Ihr müsst wirklich beide total verrückt sein. Und ich mit“, seufzte Taylor. „Nun gut, machen wir es so. Lasst uns ein paar besonders wertvolle Stück auswählen und dann das Naheliegende tun: Einen Ausweg suchen.“



13

Die Auswahl fiel ausgesprochen schwer. Bis Gwen eine besonders auffällige Statue entdeckte, die sich auf einem Sockel befand.

„Nehmt ein paar von den kleineren Gegenständen“, riet sie. „Wir müssen das alles auch noch tragen. Ich werde diese Statue nehmen, sie erscheint mir als etwas Besonderes.“

Die beiden Männer hatten bereits eine Auswahl getroffen und traten nun näher, um die Statue in Augenschein zu nehmen.

„Das ist wirklich außergewöhnlich“, bemerkte McAllister bewundernd.

Gwen griff nach der Skulptur und ächzte leicht. „Mann, ist die schwer.“ Dann jedoch hatte sie sich auf das Gewicht eingestellt. Voller Bewunderung betrachtete sie die Staue von allen Seiten.

Und dann plötzlich verschob sich der ganze Raum vor ihren Augen. Es ächzte und krachte, Steine, Mörtel und Staub lösten sich von der Decke und rieselten auf die Menschen nieder. Der Boden schien zu wackeln.

Gwen schrie auf. Die Figur entfiel ihrer Hand, aber es war nicht mehr möglich sie festzuhalten. Eine regelrechte Lawine löste sich, und die drei Menschen wurden wild hin und her geworfen, bis sie schließlich bewusstlos in einer Ecke liegen blieben. Der ganze Raum hatte sich verzogen und war abschüssig geworden. Doch das bekam keiner der drei mit. Und so konnten sie auch nicht bemerken, dass sich die Steinplatte, auf der sie nun lagen, bewegte. Wie ein Fahrstuhl hob sie sich, durch einen geschickten Mechanismus vorangetrieben. Die Menschen bemerkten nichts von ihrer Reise, und auch nicht, dass sie wenig später mitten im Dschungel wieder auftauchten. Der Boden veränderte sich, bis er wieder vollkommen unberührt aussah, und keiner der Forscher hätte zu sagen gewusst, wie das vor sich gegangen war.

Und auch der Eingang, den die drei in der Stufenpyramide benutzt hatten, schloss sich lautlos und ohne Spuren zu hinterlassen. Er würde nun für alle Zeiten versiegelt sein, der Mechanismus funktionierte nur einmal. Doch das wusste noch niemand.



14

Irgendwann kam Gwen wieder zu sich. Ihr Kopf dröhnte, als sei eine ganze Schmiede bei der Arbeit, auf ihrer Haut hatten sich zahllose Flecken gebildet, die von Moskitostichen herrührten, und jeder Muskel im Körper schmerzte. Sie zitterte noch immer am ganzen Körper.

Jeremy Taylor und Curt McAllister lagen beide neben ihr, die Männer schienen noch bewusstlos.

Erst jetzt registrierte Gwen, dass es heller Tag war. Wie lange mochten sie wohl bewusstlos gewesen sein? Und wie waren sie überhaupt hierhergekommen? Sie blickte auf die Uhr an ihrem Handgelenk. Da tat sich nichts mehr. Soviel zum Thema stoßfest, dachte sie zusammenhanglos. Magnetische Felder vielleicht, mutmaßte sie dann.

Allein die Bewegung, um den Arm zu heben, hatte sie unendlich viel Energie gekostet. Doch sie riss sich zusammen und richtete sich auf. Die gesamte Erinnerung kehrte nun zurück, und Gwen stöhnte unterdrückt auf. War das nicht alles nur ein Alptraum gewesen?

Aber nein, in ihren Taschen fühlte sie noch Schmuckstücke, und neben Jeremy lag eine leuchtend goldene Kette. Die junge Frau schüttelte den schlaffen Körper des Mannes, aber er rührte sich nicht. Dann versuchte sie das gleiche auch bei McAllister. Der schien zumindest schon wieder halbwegs bei sich zu sein, denn er drehte unwillig den Kopf.

Gwen weinte fast vor Zorn und Hilflosigkeit.

„Los, wacht auf“, schimpfte sie und schüttelte noch heftiger, soweit es ihre Kräfte zuließen.

McAllister reagierte nun endlich und schlug die Augen auf.

„O mein Gott, welch ein Alptraum“, murmelte er verstört und schloss die Lider gleich wieder.

„Das ist kein Alptraum“, beharrte Gwen unerbittlich. „Los, stehen Sie endlich auf!“

McAllister schüttelte sich und richtete sich dann stöhnend auf, wobei er seinen Körper betastete, wie, um festzustellen, ob noch alles vorhanden war.

„Das war kein Alptraum, nein?“, erkundigte er sich müde. Fast verwundert nahm er eine goldene Anstecknadel aus der Tasche und betrachtete sie intensiv.

„Die Götter haben etwas gegen Besuch“, murmelte er dann.

„Und sie haben eine wenig freundliche Art, uns das klar zu machen“, ergänzte Gwen.

Sie kümmerte sich um Taylor. Da alles Schütteln nichts half, schlug sie ihm leicht gegen die Wangen, und wirklich fing er an zu blinzeln.

Wenig später war auch Taylor dann soweit, dass er die Realität akzeptierte. Dann schauten die drei sich um.

„Wo sind wir eigentlich?“, war die vorherrschende Frage.

Von der Stufenpyramide war nichts zu sehen. Sie befanden sich hier mitten im Dschungel auf einer Steinplatte, die aussah, als wäre sie seit ewigen Zeiten im Boden festgewachsen.

„Ich habe einen recht guten Orientierungssinn“, erklärte Gwen. „Und wenn ich unseren Weg geistig nachverfolgen, müssten wir uns eigentlich nördlich der Pyramide befinden. Da unser Lager südlich davon liegt, müssten wir uns generell südlich halten, damit wir in die Nähe kommen.“

„Ist Ihnen klar, dass wir hier im Dschungel hundert Meter neben dem Lager herlaufen könnten, ohne es zu bemerken?“ fragte McAllister. „Denn die Entfernung oder Abweichung können weder Sie noch ich einschätzen.“

„Na bitte, wenn Sie einen besseren Vorschlag haben, dann bringen Sie ihn vor“, erklärte sie spitz.

„Nein, habe ich eigentlich nicht. Ich wollte nur darauf hinweisen“, erwiderte er langsam. „Aber wie wäre es, wenn wir zunächst versuchen, die Pyramide wiederzufinden. Von da aus können wir das Lager gut erreichen, weil uns der Weg bekannt ist.“

Diesem Vorschlag konnte auch Gwen zustimmen. Sie hatte einen Kompass in der Tasche, etwas was die beiden Männer scheinbar vergessen hatten. So stolperten die drei wenig später müde, abgerissen und mit schmerzenden Gliedern durch den Dschungel, wichen Schlingpflanzen aus, achteten auf Schlangen, die sich gut getarnt in den Bäumen verstecken konnten, und hofften, dass die Dunkelheit nicht allzu früh hereinbrechen würde. Die Sonne hatte sich hinter einem Dunstschleier verborgen, und niemand konnte einschätzen, wie spät es wohl sein mochte. Und nicht nur Gwens Uhr war stehengeblieben.

Sie lauschte mit offenen Sinnen in den Dschungel hinein. Sie war fest überzeugt davon, dass sie es hören würde, wenn die Zeit der Dämmerung anbrach, weil sich dann die Geräusche änderten. Zwar hätte das auch nicht viel Sinn gemacht, denn einen sicheren Platz gab es nicht, sie mussten einfach weiter. Aber es gab irgendwie ein trügerisches Gefühl der Sicherheit.

Aber noch war es nicht soweit.

Und dann hätten sie die Stufenpyramide fast übersehen. Die Bäume standen so dicht wie ein Schutzwall, der keine Einblicke gewährte. Und nur, weil Jeremy plötzlich stolperte und auf Stein fiel, bemerkten sie, dass sie die Hälfte ihres Zieles erreicht hatten.

„Jetzt sind wir wohl auch noch mit Blindheit geschlagen“, stellte Gwen bitter fest. „Die ganze Expedition steht unter keinem guten Stern. Aber ich glaube einfach nicht, dass die Götter und Geister es sind, die uns das Leben schwer machen. Es ist ganz einfach eine Anhäufung von unglückseligen Zufällen, und einer zieht den anderen nach sich. Ich habe, ehrlich gesagt, keine Lust mehr.“

„Ich denke, Gwen, wir haben mehr als genug erreicht. Wir sollten das Lager abbrechen und nach England zurückkehren, bevor noch mehr passiert. Dies alles macht keinen rechten Sinn mehr“, stellte Taylor fest.

Er hatte sich bisher auf dem Rückweg sehr ruhig verhalten und war scheinbar seinen eigenen Gedanken nachgegangen, die kaum sehr fröhlich sein konnten, denn seine Miene wirkte verdrossen.

„Ich weiß gar nicht mehr, was ich noch denken und tun soll“, erklärte Gwen bekümmert. „Vielleicht sollten wir wirklich alles abbrechen. Aber einen letzten Versuch werdet ihr mir doch sicher gestatten.“

Flink, trotz der schmerzenden Glieder, lief sie die Stufen hinauf.

„Was hat sie denn nun wieder vor?“ stöhnte Taylor und folgte ihr langsam.

McAllister schloss sich wortlos an.

„Halt, warte“, brüllte Jeremy hinter Gwen her. „Entweder gehen wir alle zusammen oder keiner.“

„Ja, schon gut, dann beeilt euch doch“, rief Gwen.

„Was, zur Hölle, hast du überhaupt vor? Hast denn immer noch nicht genug von diesem Ding?“ fragte er.

„Ich will wissen, ob wir die Pyramide noch einmal öffnen können“, erklärte sie.

„Du musst vollkommen verrückt sein“, stellte Taylor nicht zum ersten Mal fest.

„Nein, ich glaube nicht“, mischte sich McAllister mit ein. „Wir sollten wirklich noch einen Versuch machen, wenn wir schon einmal hier sind.“

Dann standen die drei vor dem Kontakt und versuchten erneut den Öffnungsmechanismus zu aktivieren. Aber nichts rührte sich, egal, was sie taten.



15

Irgendwann erreichten die drei müde und stolpernd das Lager. Die Helfer liefen aufgeregt durcheinander redend umher, ohne wirkliche Hilfe zu bringen. Dann wurden die Augen riesengroß, als sie einen Teil der Kultgegenstände aus der Pyramide sahen. Der Tonfall der Worte in ihrer eigenen Sprache wurde fast bedrohlich, bis Gwen dazwischen fuhr.

„Wenn ihr etwas zu sagen habt, dann sagt es uns ins Gesicht, aber so, dass wir es auch verstehen. Aber zunächst einmal brauchen wir Wasser, Kaffee und etwas zu essen.“

So jung Gwendolyn auch noch schien, so besaß sie doch eine Autorität, der sich keiner so recht entziehen konnte. Flinke Hände reichten den drei erschöpften Personen Wasser zum Erfrischen und Waschen, Essen wurde gekocht, und der Duft des abscheulichen Kaffees durchzog gleich darauf die Luft.

Gwen hielt Emilio am Ärmel fest und zog ihn etwas beiseite.

„Jetzt erzählen Sie mir, um was es gerade ging“, forderte sie mit Bestimmtheit.

Der Mann schaute in das Gesicht der jungen Frau, das schmutzig und müde aussah. Tiefe Linien der Erschöpfung hatten sich eingegraben, aber die Augen blickten stahlhart und hellwach. Emilio wollte erst ausweichen, doch nach einem erneuten Blick in Gwens Augen zuckte er resigniert die Schultern.

„Sie haben den Fluch der Götter heraufbeschworen, Señorita, ebenso wie Ihr Vater schon. Nun werden Sie Ihr Leben damit verbringen müssen, solange es noch dauert. Sie können es ja bedauern, wenn Ihnen noch soviel Zeit bleibt.“

„Das ist doch alles dummes Geschwätz“, wehrte sie ab.

„Ganz, wie Sie meinen. Aber Sie sind in das Reich der Götter eingedrungen und haben ihnen etwas weggenommen, das werden die niemals vergessen oder verzeihen.“

„Ich wollte doch eure Götter nicht bestehlen, ich will das alles nicht behalten. Das soll in ein Museum, damit auch andere Menschen sehen und lernen, was eure Vorfahren vollbracht haben“, sagte sie sanft.

Emilio schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen. Aber das werden Sie den Göttern niemals klarmachen können, die leben in ihrer eigenen Welt.“

Er wandte sich ab, und Gwen blieb stehen, ratlos, verwirrt und furchtbar müde.



16

Zwei Tage brauchten die drei, bis sie sich wieder einigermaßen klar im Kopf fühlten.

Zwei Tage, in denen die Helfer ehrfürchtigen oder ängstlichen Abstand hielten und nur mit einer gewissen Scheu die üblichen Dienste verrichteten.

Zwei Tage, in denen das Wetter ständig umzuschlagen schien und Unwohlsein hervorrief.

Zwei Tage, in denen Gwen intensiv über Emilios Worte und den sogenannten Fluch nachdachte.

Am Morgen des dritten Tages saß Gwen gedankenverloren in ihrem Zelt und starrte auf eines der Schmuckstücke, die sie mitgebracht hatten. Jeremy Taylor trat leise ein, sie bemerkte ihn nicht. Er betrachtete sie eine Weile, bevor er sich räusperte und damit bemerkbar machte. Gwen fuhr aus ihren Gedanken auf und lächelte fast entschuldigend.

„Was hast du nun vor?“, fragte er. „Ich denke, das Vermächtnis deines Vaters hast du nun mehr als erfüllt, wir sollten endlich abbrechen und zurückkehren.“

Langsam nickte Gwen. „Ja, das werden wir auch tun.“

„Oh, ich hätte es kaum für möglich gehalten, dass du endlich vernünftig wirst“, kam es leicht ironisch.

Gwens Finger streichelten sanft über matt glänzendes Gold.

„Es ist, als würde mich eine unerklärliche Scheu davon abhalten, noch einmal die Pyramide zu betreten. Selbst wenn ich nur daran denke, überkommen mich dunkle Vorahnungen.“

„Was denn, Gwen, die Gnadenlose, hat plötzlich Angst?“, spöttelte Taylor.

Sie warf ihm einen wilden Blick zu. „Denk, was du willst, ich muss dir meine Gründe nicht näher erläutern. Ich erkläre die Expedition hiermit für beendet. Wir werden die gefundenen Stücke in England der Fachwelt vorstellen.“

„In England?“ Jetzt war Taylor total verblüfft. „Warum denn nicht gleich hier in Mexiko-City?“

Jetzt war es an Gwen spöttisch zu lächeln. „Glaubst du wirklich, dass hier alles seinen rechten Gang geht? Noch bevor wir eine Pressekonferenz einberufen hätten, wäre schon die Hälfte der Stücke verschwunden, da kannst du sicher sein. Und wahrscheinlich würden wir sogar noch verantwortlich gemacht.“

„Möglich, dass du recht hast“, gab er langsam zu. „Also erst einmal Abbruch.“

Gwen nickte bestätigend. „Ja, wir brechen ab und kehren zurück.“

Taylor wollte hinausgehen, doch er drehte sich noch einmal um. „Hast du dir eigentlich schon überlegt, wie du dann die Schmuckstücke aus dem Land schaffen willst? Ich glaube, ehrlich gesagt, nicht, dass du so einfach durch die Sperren am Zoll marschieren kannst, ohne aufzufallen...“

„Ja, dazu ist mir schon etwas eingefallen“, lachte sie. „Und nun sollten wir den anderen Bescheid sagen.“



17

Gwen hatte die Anweisungen erteilt und dann mit Emilio gesprochen. Sie hatte ihn regelrecht beschworen, über die Funde zu schweigen, und widerstrebend hatte er zugestimmt, als von irgendwoher das Brummen eines Motors erklang.

„Besuch? Wer soll das denn sein?“, fragte Gwen erstaunt.

„Goldgräber vielleicht“, mutmaßte Taylor. „Ich weiß, dass ein paar Meilen entfernt ein Lager ist.“

Gleich darauf tauchte ein Landrover auf, an dessen Steuer ein gut gekleideter Mexikaner saß, an seiner Seite ein unscheinbarer Mann, der sich auch nicht aus dem Wagen rührte. Der Mexikaner stieg aus, schaute sich um, und ein breites Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht, das ein wunderbar weißes Gebiss sehen ließ. Er kam auf die Gruppe der Wissenschaftler zu, verbeugte sich formvollendet und mit Grazie vor Gwen und reichte dann McAllister die Hand, als wäre dieser der Expeditionsleiter.

„Ich bin Fernando Largas“, sagte er voller Überzeugung, als würde das alles erklären.

McAllister stellte sich und die anderen beiden vor und schaute den Mann dann fragend an.

„Was können wir für Sie tun?“

„Oh, hat Ihnen Professor Austin nicht erklärt, wer ich bin?“ fragte er dann.

„Mein Vater ist -“, begann Gwen, doch er winkte ab.

„Ja, ich weiß, Ihr Vater ist tot. Ein schrecklicher Unfall, sehr bedauerlich. Mein Beileid, Señorita. Ich bin von der mexikanischen Regierung beauftragt, mich um Sie zu kümmern, quasi als Ihr Mittelsmann. Und es gehört zu meinen Aufgaben, mich zu erkundigen, wie Sie vorankommen. Haben Sie schon etwas gefunden?“ Diese Frage klang fast lauernd, und in Gwen versteifte sich alles. Dieser Mann erschien ihr glatt und gefährlich. Sie würde ihm bestimmt nichts erzählen, und sie hoffte, dass auch die anderen das Schweigen einhielten.

„Wir sind im Begriff, das Lager abzubrechen“, erklärte sie deswegen kühl. „Wie Sie vielleicht wissen, hat mein Vater noch eine Stufenpyramide gefunden, die vielleicht zu einer ganzen Anlage gehört. Aber ich denke, nach dem schrecklichen Verlust überlasse ich die Forschung Ihnen. Selbstverständlich bekommen Sie alle Unterlagen und Karten von uns.“

Sie blickte ihm bei ihren Worten offen ins Gesicht, aber Largas sah nicht so aus, als wäre er sonderlich befriedigt.

„Und das ist alles?“, fragte er dann ungläubig.

„Was erwarten Sie eigentlich noch?“, forschte McAllister kühl nach. „Miss Austin hat versucht, das Vermächtnis ihres Vaters zu erfüllen. Aber selbst Sie werden verstehen, dass sie nach diesem schrecklichen Verlust einfach nicht mehr in der Lage ist weiterzumachen.“

„Ja, natürlich“, beeilte Largas sich großzügig zu versichern. „Aber Sie haben jetzt mehrere Tage nach dem Tod des Professors hier verbracht. Und Sie wollen mir erzählen, Sie haben wirklich nichts gefunden?“

Es war offensichtlich, dass der Mann ihnen nicht glaubte. In Gwen kroch Wut hoch. Natürlich verbargen sie etwas vor diesem Mann. Aber er schien nicht so loyal, wie er glauben machte wollte. Gwen mochte den Mann nicht, und sie mochte seine Fragen nicht.

„Es steht Ihnen jetzt frei, selbst weiter zu machen“, erklärte sie unterkühlt.

„Sie wissen, dass alles, was Sie finden, der mexikanischen Regierung gemeldet werden muss?“, fragte er unbeeindruckt. „Ich vertrete hier die Regierung, überlegen Sie also bitte gut, was Sie zu mir sagen.“

„Wollen Sie uns gerade unterstellen, dass wir etwas unterschlagen?“, fragte Curt McAllister scharf.

„Ich will mich nur vergewissern, dass Sie an alle Auflagen denken, die Ihnen gemacht wurden“, erwiderte Largas.

„Wenn Sie so viel Angst haben, dass wir Funde nicht melden, dann durchsuchen Sie das Lager. Oder noch besser, untersuchen Sie Ihre versunkenen Städte selbst“, sagte Gwen bitter.

Largas schüttelte den Kopf. „In unsrem Land gibt es leider noch nicht genügend ausgebildete Wissenschaftler. Wie Sie wissen, haben wir noch vieles nachzuholen. Ich entschuldige mich allerdings, wenn meine Worte wie eine Unterstellung geklungen haben sollten, in aller Form.“

„Ich akzeptiere Ihre Entschuldigung“, erklärte Gwen hoheitsvoll. „Und nun, wenn Sie uns nicht beim Abbruch helfen wollen, darf ich Sie bitten, uns allein zu lassen.“

Largas sah verblüfft aus. Das kam einem Rausschmiss gleich. Dennoch zauberte er wieder ein Lächeln auf seine Lippen und verbeugte sich noch einmal vor Gwen.

„Ich bedaure sehr, dass ich Sie nicht näher kennenlernen dufte, Señorita“, sagte er bedauernd. „Es wäre eine wertvolle Erfahrung für mich gewesen.“ Er nickte Taylor und McAllister etwas hochmütig zu, wandte sich ab und stieg wieder in seinen Wagen. Mit aufjaulendem Motor fuhr er davon.

Gwen zitterte plötzlich am ganzen Körper. „So ein Widerling“, schimpfte sie. „Ich möchte mal wissen, was der ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt hier zu suchen hatte. Es scheint ja fast, als hätten die Vögel ihm was geflüstert.“

Emilio schien am ganzen Körper zu zittern. „Auch das ist der Fluch“, flüsterte er ängstlich.

„Unsinn“, fuhr sie auf. „Ich will von diesem verdammten Fluch nichts mehr hören. Und außerdem ist das alles ja jetzt vorbei.“

Mit energischen Schritten ging sie zu ihrem Zelt, und die Männer schauten der schlanken, unbeugsamen Gestalt hinterher.



18

Stunden hatten sie alle gebraucht, um alle Zelte abzubrechen und alles ordentlich in den beiden Landrovers zu verstauen. Gwen hatte darauf bestanden, dass nichts zurückblieb, auch kein Müll. Und so war die Mittagszeit schon vorüber, bis sie endlich aufbrechen konnten.

„Das werden wir heute kaum noch bis Mexiko-City schaffen“, erklärte McAllister. „Schließlich gibt es keine Straßen durch den Dschungel, und wir können die Richtung nur ungefähr einhalten. Aber das wissen Sie ja. Vielleicht sollten wir doch bis morgen früh warten.“

„Nein, ich will heute noch hier weg“, erklärte Gwen bestimmt.

McAllister zuckte die Schulter. Er verstand die junge Frau, auch ihm schien es so, als läge eine unheimliche Bedrohung über diesem Lagerplatz, und nur aufgrund ihrer Erschöpfung hatten sie nicht früher wegfahren können. Auch er war froh, dass es nun endlich fort von hier ging.

Als dann die Dunkelheit kam, hielten sie an, wickelten sich kurzerhand in Moskitonetze und schliefen im Wagen. Unbequem, aber einigermaßen geschützt.

Am nächsten Morgen ging es nach einem improvisierten Frühstück weiter.

Gwen hatte eine furchtbare Nacht hinter sich. Nachdem sie relativ rasch eingeschlafen war, hatten entsetzliche Alpträume sie gequält, und sie war schweißgebadet erwacht. Den Rest der Nacht hatte sie wach verbracht, hatte den Geräuschen des Dschungels gelauscht, und ihre Gedanken waren wieder einmal zu ihrem Vater abgeglitten. Schließlich aber hatten sich Tränen einen Weg gebahnt, und sie war von tiefer Trauer erfüllt.

Irgendwann während der Fahrt begann einer der Motorren zu stottern und setzte dann schließlich aus. Der Wagen blieb stehen.

Die Helfer standen ein wenig ratlos vor der geöffneten Motorhaube und starrten hinein, als erwarteten sie eine Offenbarung.

„Das ist der Fluch“, hörte Gwen eine geflüsterte Bemerkung. Sie wirbelte herum.

„Das ist kein Fluch, das ist ein verdammt schlecht gewarteter Motor“, schimpfte sie.

Sie schob die Männer beiseite und schaute selbst hinein. Mit geschickten Fingern löste sie den Luftfilter und schaute in den Vergaser, danach überprüfte sie den Kühlergrill, ob der vielleicht durch die zahllosen Insekten verklebt und heiß geworden war. Sie schüttelte unbewusst den Kopf.

„Starten Sie den Motor“, befahl sie dann Taylor.

Der schaute sie verblüfft an. „Bist du jetzt unter die Mechaniker gegangen?“, wollte er wissen.

Gwen grinste flüchtig. „Ich habe lange Zeit ein uraltes Auto gefahren, an dem ständig irgendetwas kaputt war. Und da ich mir die dauernden Rechnungen einer Werkstatt nicht leisten konnte, habe ich selbst etwas gelernt. Das scheint sich jetzt auszuzahlen.“

McAllister ging ins Auto und startete, stotternd und ruckelnd brummelte der Motor im Leerlauf, jederzeit bereit wieder auszugehen.

Gwen hantierte einige Zeit herum, und schließlich jaulte der Motor in vollen Drehzahlen auf. Noch ein paar Mal ließ sie ihn aufheulen, dann wurde der Klang auch im Leerlauf ruhiger, er tuckerte wieder ruhig vor sich hin.

„Dreck im Benzin“, kommentierte sie knapp. „Das hatte sich im Vergaser gesammelt. Nichts Schlimmes! Und von keinem von euch möchte ich je wieder den Begriff Fluch hören“, wandte sie sich streng an Emilio. Der Mann zog den Kopf zwischen die Schultern und stieg brummelnd wieder in einen der Wagen.

Taylor schaute nicht sehr intelligent, seine Verblüffung war sehr offensichtlich.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du das kannst“, meinte er dann.

„Unterschätze nie eine Frau“, empfahl Gwen mit einem Lächeln.

„Na ja, ich meine - wir hätten hier ziemlich dumm gestanden und nicht weiter gewusst. Wir hätten einen Teil der Ausrüstung und einen Wagen hier stehen lassen müssen. Das war wirklich klug von dir.“

„Kann schon sein“, kommentierte Gwen knapp, der dieses Lob fast zuwider war. „Aber nun sollten wir weiter fahren.“

Bewundernd den Kopf schüttelnd stieg Taylor in den Wagen. Die restliche Fahrt verlief störungsfrei, und im Hotel in Mexiko-City angekommen genossen die drei einen lang entbehrten Luxus: Eine ausgiebige Dusche, beziehungsweise ein heißes Bad.

Später gab es dann ein gutes, vielfältiges Essen, und Gwen genoss es, der Zivilisation wieder so nahe zu sein.

Nach dem Essen steckte sich Curt McAllister eine Zigarette an, eine Angewohnheit, auf die er nicht sehr oft zurückgriff, dafür aber genoss er es. Er hob sein Glas mit teurem Cognac und trank genießerisch einen Schluck. Dann schaute er Gwen aufmerksam an.

„Wie wollen Sie nun eigentlich die Funde aus dem Land schaffen?“, erkundigte er sich.

Gwen lächelte spitzbübisch. „Ich werde sie ganz normal als hier gekauften Schmuck ausgeben. Einer von euch muss mit mir noch einkaufen gehen. Ich traue Largas zu, dass er uns überwachen lässt. Und dann muss zumindest der Anschein erweckt werden, als hätten wir ihn hier in der Stadt eingekauft. Und wenn ihr euch mal auf dem Markt oder in den Geschäften umseht, werdet ihr feststellen, dass es zahllose Nachbildungen gibt, die alle sehr ähnlich sind. Und wer will das eine vom anderen ohne Experten unterscheiden. Das heißt für mich, ich werde nur den normalen Zollsatz auf das Gold zahlen müssen.“

„Das klingt wie ein genialer, wenn auch nicht ganz billiger, Schachzug“, bestätigte McAllister. „Aber glauben Sie nicht, dass Sie später eine Menge Ärger mit der mexikanischen Regierung bekommen werden?“

„Das muss ich in Kauf nehmen“, erklärte sie etwas betrübt. „Aber so kann ich vermeiden, dass irgendetwas unterschlagen wird.“

„Wann fliegen wir?“, wollte Taylor wissen.

„Übermorgen“, bestimmte Gwen. „Das lässt uns genügend Zeit für die Vorbereitungen.“

Alle drei waren müde und freuten sich auf ein ordentliches Bett. So dehnte sich der Abend nicht lange aus. Früh gingen sie schlafen.



19

Mitten in der Nacht wurde Gwen wach. Irgendetwas hatte sie geweckt. Ein Geräusch? Eine Bewegung? Oder war es nur ein Alptraum?

Noch etwas schlaftrunken langte sie nach der Nachttischlampe, um gleich darauf festzustellen, dass diese nicht funktionierte. Mit einer gemurmelten Verwünschung suchte sie nach einem Feuerzeug, als plötzlich eine Hand nach ihrem Arm griff und sich eine andere Hand auf ihren Mund presste, um sie am Schreien zu hindern. Es war so dunkel im Zimmer, dass sie nichts sehen konnte, sie hatte die Vorhänge dicht zugezogen. Aber nicht einmal das Leuchten der Augen konnte sie erkennen. Der Mann, der sie hielt, musste regelrechte Katzenaugen haben. Eine merkwürdig verzerrte Stimme sagte etwas zu ihr, aber sie verstand kein Wort.

Gwen hatte plötzlich Angst. Eine eiskalte Hand schien ihr Herz zusammenzupressen, und sie wehrte sich erbittert gegen die Hände, die sie wie Stahlklammern umfassten. Dann versuchte sie in die Hand zu beißen, die sie hielt. Und schließlich schaffte sie es. Mit einem unterdrückten Aufschrei wurde die Hand weggezogen, und Gwen holte Luft, um einen lauten Hilfeschrei auszustoßen, da bekam sie einen Schlag gegen den Kopf. Ein blendend heller Blitz breitete sich in ihr aus, dann fiel sie in schwarze Dunkelheit.



20

So fand sie am Nächten Morgen Curt McAllister, der auf hartnäckiges Klopfen keine Antwort von ihr erhielt. Er ließ mit Drohungen und schließlich Bestechung von einem Hausdiener die Tür öffnen und sah sie bewusstlos im Bett liegen. Alle Schränke waren aufgerissen, ihre sämtlichen Sachen zerwühlt, und das ganze Zimmer sah wie ein Alptraum aus.

Gerade als McAllister sich über Gwen beugte, kam sie wieder zu sich. Stöhnend griff sie sich an den Kopf, riss dann erschreckt die Augen auf und sank mit einem tiefen Seufzer in die Kissen zurück.

„Rufen Sie einen Arzt“, befahl McAllister dem Hausdiener, der mit offenem Mund in der Tür stand, und wandte sich Gwen zu. „Wie geht es Ihnen? Was ist hier passiert?“

„Ein Einbrecher“, erklärte Gwen ungläubig.

„Einbrecher?“, echote McAllister. „Und was hat er gesucht?“

„Nun, vermutlich das, was wir gut versteckt haben“, erklärte sie müde.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass wir etwas versteckt haben“, stellte er süffisant fest.

Gwen lachte auf, griff sich aber gleich an den Kopf, wo sich eine große Beule abzuzeichnen begann.

„Ich frage mich nur“, fuhr sie dann langsam fort, „ob es ein ganz normaler Einbrecher war, oder ob Señor Fernando Largas seine Finger im Spiel hatte.“

„Sie meinen doch nicht, er würde mitten in der Nacht in Ihr Zimmer einbrechen.“

„Ich weiß es nicht“, schränkte sei ein. „Vielleicht fällt dies hier ja auch unter die ganz normale Kriminalitätsrate.“

Ein Arzt erschien, aber Gwen wehrte ihn ab. Sie verlangte nur ein paar Kopfschmerztabletten.

„Wo haben Sie die Fundstücke nun eigentlich versteckt?“, fragte McAllister, als sie beide wieder allein waren.

Gwen wollte gerade antworten, als es an der Tür klopfte, und ohne Wartezeit Jeremy Taylor hereinkam.

„Was ist denn hier los?“, wollte er wissen. „Das halbe Hotel ist in Aufruhr, weil bei dir eingebrochen wurde. Bist du in Ordnung?“

Gwen überspielte diesen Vorfall und bat auch die Hotelleitung keine Polizei zu rufen, und eine Stunde später sprach schon niemand mehr davon.

Die drei fuhren zum Flughafen hinaus, um ihre Tickets zu kaufen und schon mal das Gepäck aufzugeben. Anschließend machten sie einen Bummel durch die Geschäfte, wobei sie besonders Läden aufsuchten, in denen Goldschmuck angeboten wurde.

Am nächsten Morgen flogen sie nach London zurück, wobei Gwen ganz ordnungsgemäß die Fundstücke als Nachbildungen deklarierte. Es gab keine Schwierigkeiten, obwohl die beiden Männer sehr wohl Probleme erwartet hatten.



21

Auf gewisse Weise war Gwen froh, wieder in London zuhause zu sein. Sie liebte das alte Haus, in dem sie aufgewachsen war und das ihrem Vater gehört hatte. Jetzt gehörte es ihr. Und Gwen hatte nicht vor, irgendetwas daran zu verändern, es war, so wie es war, ihr Zuhause.

Es handelte sich um ein hohes zweistöckiges Gebäude im viktorianischen Stil, außen mit zahllosen Stuckornamenten verziert, und innen mit Stofftapeten und Wandgemälden geschmückt. Betsy, die Hauswirtschafterin, lebte auch mit im Hause, und dreimal die Woche kam eine Zugehfrau, um beim Putzen der Räume zu helfen. Gwen wollte diese Regelung beibehalten. Sie hatte zum Glück keine finanziellen Sorgen, Professor Austin war sehr wohlhabend gewesen, und Gwen musste nicht auf den Penny achten.

Sie saß nun im Arbeitszimmer ihres Vaters, und eine fahle, kalte Sonne warf ein paar verirrte Strahlen in das Zimmer, gebrochen durch die leeren Äste der Bäume, die draußen in dem parkähnlichen Garten standen.

Gwen schaute sich um, als würde sie das Zimmer zum ersten Mal sehen. Zwei der Wände waren von deckenhohen Regalen bedeckt, in denen zahllose Bücher standen. Die beiden andern Wände, sofern nicht von Fenstern eingenommen, waren mit Kunstgegenständen geschmückt, darunter auch Waffen wie Speere, Blasrohre und Pfeile, wie sie von den indianischen Völkern seit Jahrhunderten benutzt wurden. Auf dem Boden lag ein alter abgetretener Teppich, dem man immer noch ansah, dass er einmal sehr teuer gewesen sein musste.

Mitten im Raum stand ein großer schwerer, schwarzer Schreibtisch, an dem Gwen jetzt saß. Rechts und links türmten sich Notizen, Unterlagen und Akten, die Professor Austin bis kurz vor seiner Expedition noch benutzt hatte. Und in einer Ecke des Raumes, dicht beim Kamin, lud eine Ledergarnitur zum gemütlichen Sitzen ein.

Der Duft von Austins Pfeife lag noch in der Luft, ebenso wie sein herbes, männliches After Shave. Im Kamin prasselte ein Feuer, und Gwen starrte versonnen in die Flammen. Dann nahm sie den Füllfederhalter auf, mit dem ihr Vater häufig geschrieben hatte. Alles in diesem Raum erinnerte an ihn, und sie fühlte sich plötzlich getröstet und eingehüllt in seine Liebe, die wohl niemals vergehen würde.

Eine vorwitzige Träne bahnte sich einen Weg aus ihrem Auge, aber energisch wischte die junge Frau sie weg. Sie wollte jetzt nicht ihrer Trauer nachhängen, sie wollte etwas tun.

Aus der untersten Schreibtischschublade nahm sie nun einen kleinen Leinensack, in dem sie alle Fundstücke aus Mexiko aufbewahrt hatte. Sie breitete die Teile einzeln auf dem Schreibtisch aus und fotografierte sie mit einer Sofortbildkamera. Zunächst beschrieb sie akribisch genau die Einzelheiten jedes Teils, dann packte sie alles wieder zusammen. Diese Dinge würde sie nun zur Bank bringen und dort in einem Safe sicher verschließen, bis sie jemanden gefunden hatte, der sich fachmännisch dieser Teile annehmen würde.

Gwen kannte den Leiter des Britischen Museums, und der würde sicher hocherfreut sein, dass er der erste sein durfte, der eine Schätzung und Beurteilung vornehmen durfte.

Gwen hatte sich noch am Flughafen von Taylor und McAllister verabschiedet und versprochen, die beiden zu benachrichtigen, sobald sie einen Termin zur Schätzung ausgemacht hatte.

Dann hatte sie sich um den notwendigen Papierkrieg für die Einfuhr der Urne ihres Vaters gekümmert. Doch dann erhielt sie von einem schockierten Angestellten die Mitteilung, dass die Urne spurlos verschwunden sei.

Gwen war zunächst sprachlos und leichenblass geworden, doch dann hatten Wut und Sorge von ihr Besitz ergriffen. Sie hatte sich vorgebeugt und ganz leise gesprochen.

„Sie werden jetzt auf der Stelle damit beginnen, meinen Vater zu suchen. Und es ist mir vollkommen egal, ob Sie dafür Himmel und Hölle in Bewegung setzen müssen. Ich will, dass die Urne mit meinem Vater morgen Mittag hier ist, denn dann will ich sie abholen. Und Gott möge Ihnen gnädig sein, wenn es nicht so ist.“

Der Angestellte war ebenfalls leichenblass geworden und zitterte am ganzen Körper. Gerade dadurch, dass Gwen so vollkommen ruhig gesprochen hatte, wirkte sie umso erschreckender. Er versprach alles Mögliche, um den Vorfall aufzuklären und entschuldige sich immer wieder.

Gwen war zornig nach Hause gefahren und hatte kaum auf die liebevollen Versuche reagiert, von der Hauswirtschafterin mit Keksen und allerlei anderen Leckereien aufgemuntert zu werden. Aber nach einiger Zeit war sie doch wieder ruhiger geworden. Sie wollte keine Energie an Dinge verschwenden, die sie ohnehin jetzt nicht ändern konnte.

Und jetzt, am anderen Morgen, machte sie sich auf den Weg in die Stadt, um anschließend wieder zum Flughafen hinauszufahren.

Gwen hatte die U-Bahn genommen und stieg direkt bei der Bank von England aus, in unmittelbarer Nähe der Westminster Bank, die ihr erklärtes Ziel war. Erleichtert legte sie wenig später die Fundstücke in ein Schließfach. Dann wollte sie wieder auf die andere Straßenseite hinüber, um die U-Bahn erneut zu benutzen. Im Londoner Stadtverkehr kam man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zeitweise schneller voran als mit dem Auto.

Die Straße war frei, und sie lief mit hastigen Schritten hinüber. Plötzlich schoss aus einer Reihe parkender Autos ein Wagen heraus und hielt genau auf sie zu. Gwen bemerkte den Wagen, aber sie stand vor Schreck wie erstarrt und konnte sich nicht rühren. In vollem Bewusstsein sah sie das Auto mit tödlicher Genauigkeit auf sich zurasen, bis sie plötzlich heftig zur Seite gerissen wurde. Reichlich unsanft landete sie auf dem Boden und löste sich endlich aus ihrer Erstarrung.

Mit quietschenden Reifen bog der Wagen um eine Ecke und war verschwunden.

Gwen starrte auf ihren Retter, der gerade vom Boden aufstand und sich den Straßenstaub vom Anzug klopfte. Er bot ihr die Hand, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein.

„Curt, was machen Sie denn hier?“, rief sie erstaunt.

Ein breites Lächeln malte sich auf dem sympathischen Gesicht des Mannes, seine blauen Augen funkelten, und er fuhr mit allen zehn Fingern durch die wirren blonden Haare.

„Ich rette Ihr Leben. Stets zu Diensten“, sagte er leicht ironisch.

„Ja, ich glaube so kann man es nennen“, erwiderte sie erschüttert.

„Das war knapp, Gwen“, stellte er dann ernst fest. „Und das war auch kein Zufall.“

Die Leute ringsum, die zuerst neugierig stehengeblieben waren, bewegten sich jetzt weiter, und die beiden standen mitten im Menschengewirr allein. Gwen schaute zum McAllister auf, ungläubig, verwirrt und fragend.

Sie legte ihm die Hand auf den Arm. „Wollen Sie etwa damit sagen, dass das hier geplant war? Unsinn. Da wird ganz einfach jemand nicht aufgepasst haben. Ein Unfall wie tausend andere auch.“

Er schüttelte ernst den Kopf, nahm sie beim Arm und zog sie sanft mit sich. „Kommen Sie, wir gehen erst einmal einen Kaffee trinken. Dabei können wir reden.“

Er führte sie in ein kleines, gemütlich, aber sehr versteckt gelegenes Lokal und bestellte zwei Kaffee und zwei Whisky.

„Haben Sie den Mann erkannt, der hinter dem Steuer saß?“, fragte er dann.

Gwen schüttelte den Kopf. „Nein, es ging alles viel zu schnell.“

„Schade, ich habe ihn auch nicht gesehen“, bemerkte er.

„Wie kommen Sie darauf, dass das kein Zufall gewesen ist?“, bohrte sie nach.

Er rührte nachdenklich in seiner Kaffeetasse. „Es sind mir einfach zu viele Zufälle in letzter Zeit, eigentlich seit Professor Austin gestorben ist. Hören Sie, Gwen, ich habe Ihren Vater sehr verehrt, und es hat mir sehr weh getan, als er gestorben ist. Und dann kamen Sie, und die Serie an unglückseligen Zufällen setzte sich fort. Das alles bringt mich zu der Ansicht, dass da jemand an unsichtbaren Fäden zieht.“

Sie lachte nervös auf. „Sie meinen doch wohl nicht etwa den Fluch? Obwohl ich fast schon beginne, daran zu glauben.“

Sein Kopf ruckte hoch, seine Augen wurden dunkel und bohrten sich in die ihren. „Warum? Ist noch etwas geschehen? Nun erzählen Sie schon!“

Gwen berichtete von der verschwundenen Urne, und sein Blick wurde womöglich noch ernster. „Ich habe das Gefühl, da will Sie jemand systematisch in den Tod oder in den Wahnsinn treiben“, bemerkte er dann nachdenklich. „Und dieser sogenannte Fluch kommt ihm dabei sehr entgegen. Aber ich halte es für einen sehr realen Menschen, der dahinter steckt.“

„Oh, vielleicht verraten Sie mir jetzt auch, noch wer das sein soll“, meinte Gwen spöttisch.

„Das weiß ich beim besten Willen nicht“, erwiderte er müde. „Aber Sie sollten sehr gut auf sich aufpassen und nach Möglichkeit nicht mehr allein bleiben. Gibt es denn keinen Freund, der Sie begleiten kann?“

„Nein, dazu hatte ich bisher keine Zeit und keine Lust.“ Dann lachte sie fast hysterisch auf. „Vielleicht sollte ich einen Bodyguard mieten, oder fällt Ihnen sonst etwas ein? Das wäre dann ja wohl die Hysterie auf die Spitze getrieben. Nein, ich glaube einfach nicht daran, Curt. Das alles ist ganz einfach eine Anhäufung von unglückseligen Zufällen, wie Sie es vorhin so schön ausdrückten.“

Er streichelte sanft über ihre Hand, und seine Augen schauten sie bittend an. „Gwen, bitte, seien Sie vorsichtig, nehmen Sie das alles nicht auf die leichte Schulter. Ich - ich möchte Sie nicht gern verlieren.“ Die Innigkeit, die aus seinen Worten sprach, wie auch aus seinem Blick, überraschten Gwen, doch dann stellte sie bei sich selbst fest, dass sie diesen Mann ebenfalls sehr mochte, und das nicht erst seit gerade eben. Das war ihr bisher noch gar nicht aufgefallen. Aber seine ruhige beschützende Art hatte sie schon in Mexiko umhüllt wie eine Woge aus lauter Liebe. Das erkannte sie jetzt schlagartig.

Ihr Blick wurde weich, und ihr Herz flog ihm zu.

„Ich verspreche dir, ich werde vorsichtig sein“, sagte sie leise. „Aber wenn du willst, kannst du mich zumindest noch bis zum Flughafen begleiten. Danach wollte ich ins Museum.“

„Mit dir ginge ich bis ans Ende der Welt“, lächelte er.

Es schien für beide überhaupt nicht ungewöhnlich, dass sie plötzlich aufstanden und sich zu einem langen Kuss fanden. Die anderen Besucher des Lokals blickten beifällig oder schauten diskret beiseite.



22

Auf dem Flughafen musste Gwen feststellen, dass die Urne ihres Vaters immer noch nicht aufgetaucht war. Doch angeblich hatte man eine Spur, jemand hatte sie in ihrem Namen abgeholt.

„Ach wirklich?“, tobte sie. „Habe ich vielleicht einen Geist, der mit meinem Ausweis vorbeigekommen ist? Meines Wissen gibt es jedenfalls keine zweite Gwen Austin, die das Recht hätte, die Urne in Empfang zu nehmen.“

Der Angestellte, es war ein anderer als am Tag vorher, war sichtlich beeindruckt von ihrem Zorn. Doch auch er konnte nichts anderes tun, als ihr immer wieder zu versichern, dass man daran arbeite.

„Wir werden jede Spur verfolgen, das verspreche ich Ihnen“, versicherte er.

McAllister nahm die zornige junge Frau sanft in den Arm. „Es hat keinen Zweck, wenn du dich jetzt weiter aufregst“, sagte er leise. „Ich bin sicher, hier wird alles getan, um dir zu helfen. Aber du wirst die Urne ganz sicher nicht herbeischaffen, indem du den armen Mann weiter herunterputzt. Er tut nur seine Pflicht.“

Gwen fasste sich. „Entschuldigen Sie bitte“, sagte sie dann beherrscht. „Ich weiß, dass Sie nichts dafür können.“

Sie wandte sich ab, und McAllister nahm tröstend ihre Hand.

„Verstehst du nun, was ich meine“, sagte er leise. „Da ist jemand im Hintergrund, der die Fäden zieht. Und das ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, kein Fluch und kein Geist. Du warst schon in Mexiko felsenfest davon überzeugt, dass man deinen Vater getötet hat. So langsam tendierte ich zu deiner Ansicht. Wir sollten herausfinden, wer ein Interesse daran hatte, den Professor umzubringen und dir das Leben schwer zu machen.“

„Nun, die Auswahl scheint mir reichlich begrenzt“, bemerkte sie spitz. „Da sind Jeremy und du, und vielleicht noch Emilio, der wohl kaum nach London kommen dürfte, um einen Mordanschlag auf mich zu unternehmen. Oder fällt dir noch jemand ein?“

„Nein, du hast wohl recht“, räumte er ein. „Also hast du jetzt die freie Auswahl zwischen Jerry und mir.“ Sein Tonfall war bitter, es schien ihn zu schmerzen, dass sie ihn überhaupt in den Kreis der Verdächtigen aufgenommen hatte. Aber auch für ihn schien es fast undenkbar, dass Jeremy Taylor hinter diesen Anschlägen stecken sollte.

„Das alles ergibt keinen Sinn“, sagte er mutlos. „Ich kann dir tausendmal versichern, dass ich nichts damit zu tun habe, aber beweisen kann ich es nicht.“

„Ich glaube, ich werde jetzt erst einmal nach Hause fahren“, erklärte Gwen. „Ich muss nachdenken.“

„Soll ich dich begleiten? Aber nein“, brach er dann widerwillig ab. „Ich weiß nicht, ob du mir trauen kannst.“

Sie schaute ihn verzweifelt an, und ihre Hand streichelte sanft über seine Wange. „Ich möchte es so gern“, flüsterte sie leise. „Ach, ich wünschte, Daddy wäre am Leben. Und ich wünschte, wir hätten diese verdammte Pyramide niemals gefunden. Und ich wünschte, ach, ich weiß nicht mehr, was ich noch wünschen soll.“ Sie brach verwirrt ab. „Lass mich jetzt einfach in Ruhe.“

Er warf ihr einen sehnsüchtigen Blick zu, während sein Herz sich verkrampfte. In den leuchtend blauen, jetzt verschleierten Augen, spiegelte sich unendliches Leid wider, weil er hilflos dabeistehen musste und ihr nicht helfen konnte. Im Stillen nahm er sich jedoch vor, eigene Untersuchungen anzustellen. Er würde diesen Mistkerl kriegen, schwor er sich.



23

Gwen fuhr völlig verwirrt mit dem Taxi nach Hause, die Gedanken purzelten in ihrem Kopf hin und her, und sie versuchte wie in einem Puzzle einzelne Teile zusammenzusetzen. Aber alles ergab keinen Sinn.

Warum sollte jemand versuchen sie umzubringen? Warum sollte jemand ihren Vater umgebracht haben?

War es vielleicht doch Emilio, der die Schmuckstücke zu seinen Göttern zurückholen wollte? Oder Fernando Largas, der im Namen der mexikanischen Regierung die Hälfte wahrscheinlich in die eigene Tasche stecken würde? Oder doch Jeremy Taylor? Nein, bestimmt nicht Jeremy! Dann blieb nur noch Curt! Aber der auch nicht, da war sie tief in ihrem Herzen sicher.

Doch eine größere Auswahl blieb ihr nicht, und eines war so unwahrscheinlich wie das andere.

Nein, das alles war doch blanker Unsinn.

Gwen bezahlte geistesabwesend den Taxifahrer, gab ein viel zu hohes Trinkgeld und ging ins Haus. Sie ging in das Arbeitszimmer ihres Vaters, verschloss die Tür fest und setzte sich auf den Schreibtischstuhl. Sie wollte allein sein und nachdenken, obwohl das wahrscheinlich auch nichts bringen würde.

Irgendwann hörte sie durch das Dunkel ihrer Gedanken die Türklingel. Nun ja, Betsy, die Hauswirtschafterin, würde schon öffnen. Und sie würde auch jeden fortschicken, Gwen wollte mit niemandem reden.

Gleich darauf klopfte es aber heftig an der Tür.

„Gwendolyn? Gwendolyn, mach auf. Mister Taylor ist da und will dich dringend sprechen.“

„Er soll zur Hölle fahren. Ich will niemanden sehen“, knurrte sie.

„Soll ich ihm das so sagen?“ fragte Betsy entsetzt.

„Nein, sag ihm einfach, ich hätte jetzt keine Zeit.“

„Er sagt aber, es ist dringend“, beharrte Betsy.

Gwen verwünschte Taylor in alle Tiefen der Hölle, stand aber auf und drehte müde den Schlüssel herum. Dann öffnete sie die Tür, und vor ihr stand Betsy, mit allen Anzeichen der Sorge. Betsy war eine gemütliche, dickliche Frau mittleren Alters, die Gwen schon als Kind großgezogen hatte, nachdem ihre Mutter gestorben war. Sie machte sich Sorgen um Gwen, die sich seit ihrer Rückkehr aus Mexiko nach dem Tod ihres Vaters verändert hatte. Augenscheinlich wurde sie mit der Trauer nicht allein fertig. Oder war da noch etwas anderes? Es war noch nie vorgekommen, dass die junge Frau sich einfach eingeschlossen hatte.

Jeremy Taylor stand noch immer an der Haustür und blickte nun erregt auf Gwen, als sie aus dem Zimmer trat.

„Du solltest dich nicht einschließen“, sagte Betsy vorwurfsvoll. „Geh lieber unter Leute.“

Gwen legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. „Es geht mir bestens, mach dir keine Sorgen.“ Dann winkte sie mit einer müden Geste Jeremy zu sich. „Komm herein, und erzähle mir, was so dringend ist.“

Betsy warf ihm einen Blick zu, der um Hilfe zu bitten schien. Vielleicht konnte er ihr Mädchen wieder auf den richtigen Weg bringen.

Jeremy schloss die Tür von innen und lehnte sich dagegen, während Gwen weiter in den Raum hineinging. Sie drehte sich um und schaute ihm voll und fragend ins Gesicht.

„Nun sag schon, was willst du?“, forderte sie.

„Was ist eigentlich los mit dir?“, fragte er aggressiv. „Schon in Mexiko warst du so komisch. Und das kann doch nicht nur am Tod deines Vaters liegen. Es scheint fast, als weichst du mir aus. Außerdem - was hast du mit McAllister zu schaffen? Ich habe euch heute Vormittag in der Stadt gesehen.“

Gwens Miene wurde abweisend. „Erstens wüsste ich nicht, was dich das angeht, zweitens haben wir uns ganz zufällig getroffen, und drittens verstehe ich deine ganze Fragestellung nicht.“ Sie hätte selbst nicht zu sagen gewusst, warum sie ihm die Sache mit dem Beinaheunfall verschwieg. Er war ihr bisher ein guter Freund gewesen, aber jetzt hegte sie plötzlich ein Misstrauen gegen fast jeden Menschen. Wurde sie doch langsam schizophren? „Was soll schon mit mir los sein?“, setzte sie lahm hinzu. „Und was heißt, ich weiche dir aus? Mir ist nicht bekannt, dass du irgendwelche Rechte auf mich hättest.“

Taylor stieß sich von der Tür ab und kam langsam auf sie zu. Sanft, fast zärtlich nahm er sie in die Arme und drückte sie an sich.

„He, Kleines“, murmelte er in ihr Haar hinein. „Ich glaube, der Tod deines Vaters hat dich mehr mitgenommen, als du selbst wahrhaben willst. Willst du dich nicht mal ausweinen bei mir?“

„Ich wüsste nicht warum“, sagte sie schroff und stand stocksteif da.

„Vielleicht deshalb, weil ich so unendlich viel für dich empfinde? Schon so lange, Gwen“, sagte er mit beschwörender Stimme. „Immer wieder hatte ich gehofft, du würdest dein Herz für mich entdecken. Aber ich habe nie gewagt etwas zu sagen, schon aus Respekt vor dem Professor nicht. Ich weiß nicht, ob er mich akzeptiert hätte. Ich weiß nicht, ob er überhaupt einen Mann für dich akzeptiert hätte.“

„Ach, und du meinst, das ginge jetzt leichter?“

„Versteh mich bitte nicht falsch, Gwen. Der Professor - ich meine, dein Vater- nein, er hätte keinen Mann akzeptiert. Und wenn es der König von England gewesen wäre. Aber früher oder später wirst du dich für einen entscheiden müssen. Und warum sollte ich derjenige nicht sein? Ich liebe dich, Gwen.“

Sie befreite sich zart aus seinen Armen und trat einen Schritt zurück. Fast bedauernd schaute sie ihn an.

„Aber ich liebe dich nicht, Jerry. Du warst mir immer ein guter Freund. Aber mehr kann nicht zwischen uns sein.“

Sein Blick wurde hart. „Ach, und McAllister? Was ist mit dem?“

„Was soll schon mit ihm sein?“

„Er hat dich geküsst, oder nicht?“, stieß Taylor hervor.

Gwen war etwas erstaunt. Hatte Jerry denn auch in dem Lokal gesessen, dass er die Szene gesehen hatte?

„Und wenn schon“, sagte sie leichthin. „Noch entscheide ich darüber, wer mich anfasst und wer mich küsst.“

„Bin ich dir vielleicht nicht gut genug?“, fragte er hart und bitter. „Nur, weil meine Familie aus kleinen Verhältnissen stammt? Nicht, wie dieser blondgelockte Affe, der aus einem uralten schottischen Clan stammt. Aber ich habe genauso hart gearbeitet wie er, und meine Anteile an der Expedition sind mindestens genauso groß wie seine. Was unterscheidet uns? Warum willst du mich nicht? Wir kennen uns außerdem schon viel länger.“

„Das alles hat doch nichts miteinander zu tun“, versuchte sie vernünftig zu erklären. „Gefühlen kann man nicht befehlen. Und ich empfinde nun einmal nichts weiter als Freundschaft für dich.“

„So, Freundschaft, ja“, höhnte. „Und ihr zwei habt nicht zufällig vor, meinen Anteil an der Expedition zu unterschlagen? Vielleicht wollt ihr alleine berühmt werden. Vielleicht wollt ihr in die Fußstapfen deines Vaters treten. Du zumindest hast es ja relativ leicht. Und auch McAllister hat einen guten Ruf, für den er nichts kann...“

„Aber Jerry, was denkst du dir?“, stieß sie hervor. „Was bringt dich nur auf eine solch absurde Idee? Setz dich und lass uns vernünftig miteinander reden. Aber wenn du das nicht kannst, dann solltest du besser gehen.“

„Was, du willst mich hinauswerfen, das ist ja wohl der Gipfel. Nicht nur, dass du hinter meinem Rücken ein Techtelmechtel mit meinem Erzrivalen anfängst...“

„Was heißt hier eigentlich Erzrivale? Sag mal, bist du vollkommen verrückt geworden? Ich sage es dir noch einmal langsam und verständlich: Mit wem ich etwas anfange, ist ganz allein meine Sache, das geht dich überhaupt nichts an.“

Taylor trat rasch vor und zog sie wieder in die Arme, diesmal mit einem eisernen umklammernden Griff. Er versuchte sie zu küssen, doch Gwen wich ihm aus.

„Hör auf!“, keuchte sie. „Lass mich sofort los und geh nach Hause. Schlaf dich erst mal aus. Und dann können wir vielleicht miteinander reden. Dir ist wohl die Zeitumstellung nicht bekommen.“

„Mir bekommt es nicht, wenn du einen anderen küsst“, erwiderte er hart und zog sie noch enger an sich. Nun wurde es Gwen wirklich zuviel. Sie erinnerte sich, dass sie noch immer ihre Schuhe mit Absätzen trug. Sie trat zu und traf Taylor heftig am Schienbein. Mit einem leisen Schrei ließ er sie los. Gwen holte aus und knallte ihm eine Ohrfeige ins Gesicht.

„Du tust gut daran, auf der Stelle mein Haus zu verlassen“, schleuderte sie ihm entgegen. „Dann bin ich vielleicht bereit, diesen ganzen Vorfall zu vergessen.“

„So kommst du mir nicht davon.“ Er starrte sie hasserfüllt an. „Du musst mir gar nichts erzählen, aber du wirst von dem Fluch verfolgt, seit dein Vater starb. Und er wird dich weiter verfolgen, bis du tot bist. Es sei denn, du gibst meinem Werben nach, denn ich bin der einzige, der ihn aufhalten kann.“

„Du?“, fragte sie fassungslos. „Fluch, dass ich nicht lache. Ich glaube, Curt hatte recht. Jemand hat diese ganzen Zufälle als Fluch mehr oder weniger inszeniert, und ich glaube, dieser Jemand warst du. Warum das alles, Jerry? Was soll das? Ich verstehe den Sinn nicht.“

Der Mann schien jetzt völlig die Beherrschung zu verlieren. Sein Gesicht hatte sich zu einer wutverzerrten Grimasse verzogen, seine Augen glühten fanatisch, und er stieß ein irres Lachen aus, bevor er antwortete.

„Dein geliebter McAllister hatte nicht ganz Unrecht, meine Liebe. Aber er war es doch, der sich in letzter Zeit immer mehr in den Vordergrund gedrängt hatte. Auch bei deinem Vater schon. Und jetzt auch bei dir. Dabei habe ich genauso hart gearbeitet wie er, eher noch mehr. Ich will, dass mein Name auch mal ganz oben genannt wird. Aber McAllister hat sich immer in den Vordergrund gespielt, und das nur, weil er in der Fachwelt schon ein paar Veröffentlichungen hatte - und ich nicht. Und deshalb wollte ich dir in Mexiko schon die Schmuckstücke abnehmen, jawohl. Ich war es, der in dein Zimmer eingedrungen ist. Und ich habe auch versucht, dich auf der Straße anzufahren, um dir die Fundstücke zu entreißen. Es wäre mein Ruhm gewesen, wenn ich damit zum Britischen Museum gegangen wäre.“

Gwen hatte fassungslos zugehört. Es erschütterte sie zutiefst, was dieser Mann jetzt sagte, welche Abgründe sich hinter seiner sonst so ruhigen Art verbargen. Sie schluckte schwer, bevor sie die nächste Frage stellte.

„Hast du vielleicht auch meinen Vater umgebracht?“

„Ich bin der einzige, der dich vor dem Fluch retten kann“, sagte er statt einer Antwort. „Denn der Fluch existiert, und er klebt an dir. Er wird dich nicht verlassen, bis ich ihn gebrochen habe. Bei mir wirst du immer gut beschützt sein. Also, es bleibt dir gar nichts anderes übrig als mich zu heiraten.“

Er merkte gar nicht, welch einen blühenden Unsinn seine Worte ergaben, aber auch Gwen ging der Sinn noch gar nicht auf, sie war noch viel zu sehr geschockt und außerdem wütend über sein Ansinnen.

„Nein“, stieß sie laut hervor. „Niemals werde ich dich heiraten.“

„Versteh doch, Gwen, der Fluch wird dich dein Leben lang verfolgen, nur ich kann ihn aufhalten, ich, Jeremy Taylor.“

„Jetzt bist du vollkommen durchgedreht“, erklärte Gwen plötzlich wieder ruhig und kühl. „Und ich denke, für einen Tag ist das mehr als genug an Aufregung. Geh jetzt endlich!“

„Nicht ohne dich“, blieb er stur.

Er kam näher und griff wieder nach ihr, aber Gwen war diesmal vorgewarnt. Mit einem raschen Schritt zur Seite wich sie aus.

„Geh weg!“, rief sie und griff nach einem Briefbeschwerer aus Stein. „Geh weg, oder ich werfe damit!“

Er lachte nur verächtlich auf. „Du wirst mich schon noch lieben lernen, meine Liebe. Dann ich bin der Mann, den du brauchst - nicht dieser Stümper McAllister. Was findest du eigentlich an ihm?“

Gwen traute sich nicht, mit dem Briefbeschwerer zu werfen, sie hatte Angst, sie könnte ihn mit dem schweren Teil ernstlich verletzen. Und so wich sie weiter zurück hinter den Schreibtisch.

„Ich will dir nicht wehtun, Jeremy“, sagte sie beschwörend. „Zwing mich also nicht zu werfen. Geh lieber!“

Doch Taylor lachte nur spöttisch und überheblich auf. Mit raschen Schritten, noch bevor sie reagieren konnte, war er neben ihr und streckte schon den Arm aus. Gwen wusste sich wirklich nicht mehr anders zu helfen, sie warf den Briefbeschwerer, zielte aber schlecht, und traf den Mann nur an der Schulter.

„Du Schlampe, ich werde dir helfen mich anzugreifen!“, brüllte er und griff nach ihr.

Doch Gwen war ihm schon entwichen und griff nun nach einer antiken Vase.

„Verschwinde, oder ich nehme keine Rücksichten mehr“, drohte sie.

„Das wird dir noch leid tun“, stieß er hervor. „Du wirst mich noch auf Knien anflehen dich zu heiraten, damit der Fluch von dir genommen wird. Aber dann werde ich nicht mehr für dich da sein. Dann werde ich dich nicht mehr haben wollen.“

„Eher gefriert die Hölle!“, versprach Gwen.

Taylor hielt sich die linke Schulter und schritt nun auf die Tür zu.

„Du hast es so gewollt“, erklärte er. „Alles, was jetzt passiert, hast du dir selbst zuzuschreiben.“

„Sag mir, hast du meinen Vater umgebracht?“, rief Gwen wild und verzweifelt.

Er hielt im Schritt inne und starrte sie an. Dann ging er wortlos hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.

Gwen war so erleichtert, wütend und gleichzeitig verzweifelt, dass sie ohne nachzudenken die Vase, die sie noch immer in der Hand hielt, gegen die Wand schleuderte.

„Hast du meinen Vater umgebracht?“, schluchzte sie plötzlich auf und brach zusammen, als kleines Häufchen weinendes Elend. „Hast du ihn getötet?“

Betsy kam ohne anzuklopfen herein. Sie war sichtlich aufgeregt über das merkwürdige Verhalten des späten Besuchers. Aber als sie Gwen jetzt in diesem Zustand sah, eilte sie auf die junge Frau zu und nahm sie zärtlich in die Arme, wiegte sie wie eine Mutter ihr krankes Kind und sprach beruhigend murmelnde Worte.

„Gwen, mein Schätzchen, was ist denn los? Was hat er dir angetan. Gwen, so weine doch nicht mehr. Er ist ja fort, es ist alles gut. Und ich werde ihn auch nie wieder hereinlassen. Der Teufel hole alle Männer, die dir etwas antun wollen.“

Gwen hob ihr tränenüberströmtes Gesicht. Ihre Augen hatten sich verschleiert und zeigten unendliche Qual.

„Betsy!“, sagte sie leise stockend. „Betsy, ich glaube, Jeremy hat meinen Vater getötet.“



24

Gwen beruhigte sich langsam wieder. Sie hatte sich an den Schreibtisch gesetzt und starrte mit abwesendem Blick zur Tür hinüber, hinter der Taylor verschwunden war. Ein Anflug von abgrundtiefem Hass spiegelte sich in ihrem Gesicht - und Angst.

Betsy, die nicht so recht wusste, was sie jetzt anstellen sollte, hatte begonnen die Scherben auf dem Teppich zusammen zu lesen. Die Hauswirtschafterin fühlte sich hilflos angesichts des unendlichen Kummers in ihrem kleinen Mädchen. Sie liebte Gwen wie eine Tochter, die sie nie selbst gehabt hatte. Und jetzt hatte jemand ihrem Mädchen weh getan. Sie selbst empfand zumindest eine starke Abneigung gegen Taylor.

„Du solltest die Polizei rufen“, empfahl sie Gwen dann.

„Warum?“, fragte die junge Frau und lachte nervös auf. „Weil er mich heiraten will?“

„Du hast doch gerade gesagt, dass du vermutest, er hätte deinen Vater umgebracht.“

„Aber ich habe keine Beweise, und zugegeben hat er es ja auch nicht. Aber trotzdem bin ich fast überzeugt davon. Oh, es ist alles so schrecklich, Betsy.“

„Gwendolyn, ich hoffe, du weißt, was du da sagst“, mahnte Betsy ernst. „Das ist eine sehr schwere Anschuldigung. Und auch, wenn Taylor sich gerade unmöglich benommen hat, so muss er nicht unbedingt ein Mörder sein. Lass das die Polizei herausfinden.“

„Du hast wohl recht. Und doch weiß ich nicht, aber es deutet alles darauf hin. Und er hat mir Furchtbares angedroht.“

„Also, nicht, dass ich ihn verteidigen will“, begann die Hauswirtschafterin von neuem. „Aber Mord ist eine sehr ernste Sache. Er hat deinen Vater doch verehrt, Gwendolyn. Warum sollte er ihn umbringen? Überlege dir gut, ob du dich nicht doch täuschst.“

„Ja, schon gut“, sagte Gwen leise. „Solange ich keine Beweise habe, werde ich es auch nicht laut wiederholen. Aber jetzt muss ich einfach mit jemandem reden.“

Sie nahm das Telefonbuch und blätterte eine Weile herum.

„Wen willst du denn um diese Zeit noch anrufen?“, fragte Betsy erstaunt. „Es ist immerhin nach zehn Uhr abends.“

„Ich muss mit Curt sprechen“, flüsterte Gwen.

„Curt? Meinst du etwa Curt McAllister?“ Betsys Stimme klang erstaunt. „Sag mal, ist da was zwischen euch, und ich weiß das nicht?“

Gwen zauberte ein winzig kleines Lächeln auf ihr Gesicht. „Das hat sich jetzt erst so ergeben. Und du kannst nicht alles wissen, Betsy.“

„Nun“, meinte die Hauswirtschafterin praktisch. „Das erklärt zumindest, warum Taylor ausgerastet ist. Er ist ganz einfach eifersüchtig.“

„Ach, wenn es das allein nur wäre“, murmelte Gwen. Energisch tippte sie auf die Tasten, verwählte sich und versuchte es erneut. Schließlich aber ging der Ruf hinaus. „Komm, melde dich endlich!“, flehte Gwen stumm.

„McAllister“, meldete sich warme, weiche Stimme des Mannes am anderen Ende der Leitung.

„Curt? Ich - entschuldige, du hast doch noch nicht geschlafen? Ich meine - du...“

„Gwen, was ist denn los? Du bist ja vollkommen aufgeregt.“

„Ich frage nicht gern. Aber könntest du vielleicht noch herkommen, auch wenn es schon sehr spät ist. Ich meine...“

„Ist schon gut, ich bin unterwegs.“ Ohne weiteren Gruß warf er den Hörer auf die Gabel und stürmte los.

McAllister wohnte am anderen Ende der Stadt in einer dieser großen Neubausiedlungen. Er warf sich in seinen Wagen und fuhr mit viel zu hoher Geschwindigkeit durch die Stadt, in der Hoffnung, dass die Polizei ihn nicht anhalten möge.

In Rekordzeit langte er vor Austins, jetzt Gwens, Haus an und nahm sich nicht einmal die Zeit, den Wagen abzuschließen. Er lief zur Haustür und klingelte Sturm. Als Betsy öffnete, nahm er sich nicht einmal die Zeit, sie ordentlich zu begrüßen, obwohl er sie durchaus schätzte. Wild schaute er um sich.

„Wo ist sie?“, wollte er aufgeregt wissen.

Betsy deutete auf das Arbeitszimmer und er rannte fast hinein.

„Gwen? Gwen, mein Liebes, was ist los?“

Noch immer sah das Gesicht der jungen Frau leicht verweint aus, aber sie lächelte ihm tapfer entgegen. McAllister nahm sie ihn den Arm. Sie fühlte seinen starken kräftigen Herzschlag, und sie war plötzlich sicher und geborgen. Dann begann sie zu berichten, und in Curt McAllister wuchs der Zorn.

„Das wird Taylor bitter bereuen“, stieß er bitter hervor.

„Ach, weißt du“, warf Gen ein. „Betsy hat vorhin schon darauf hingewiesen, dass er vielleicht nur eifersüchtig ist. Aber - ich habe den Verdacht, dass er meinen Vater ermordet hat. Doch das kann ich nicht beweisen.“

„Nein, und ich kann es auch nicht“, stellte McAllister fest. „Aber es würde sogar einen Sinn ergeben, auch wenn wir ihm das nicht zugetraut hätten. Er muss vollkommen durchgedreht sein. Immerhin war er der einzige, der dabei war, als dein Vater starb.“

„Aber das wäre doch dumm, nicht?“, fragte Gwen verzweifelt. Sie hielt es noch immer für fast unmöglich, dass jemand so niederträchtig sein konnte, noch dazu einer der Assistenten ihres Vaters. Ein Mann, dem er voll vertraut hatte. Oder war er es doch nicht? „Ich kenne Jeremy schon seit mehreren Jahren. Ich hätte nie gedacht, dass er überhaupt zu einem solchen Stimmungsumschwung fähig ist. Er war immer sanft und freundlich.“

„Das stimmt“, bestätigte McAllister. „Auch ich habe ihn eigentlich nicht anders kennengelernt. Aber vielleicht ist er von krankhaftem Ehrgeiz zerfressen. Zumindest deuten seine Worte darauf hin. Und außerdem scheint er dich sehr zu lieben.“

„Wenn du das Liebe nennst, möchte ich nicht seinen Hass kennenlernen“, flüsterte Gwen erschreckt.

„Beruhige dich, Liebste, mach dir keine Sorgen. Ich bin sicher, Jeremy wird morgen reumütig und zerknirscht hier ankommen und sich bei dir entschuldigen. Anders kann ich es mir einfach nicht vorstellen.“

„Du hast ihn nicht erlebt“, flüsterte Gwen. „Ich habe Angst, panische Angst vor ihm.“

„Was ist denn das, junge Frau, so kenne ich dich gar nicht“, sagte er gespielt munter. „Gwen, die Gnadenlose, hat plötzlich Angst?“

„Gwen, die Gnadenlose, ist ziemlich mit den Nerven herunter“, stellte sie mit einem kleinen Lächeln fest. Aber ihre Schultern strafften sich wieder etwas. Die harmlose Neckerei schien ihre Lebensgeister zu wecken.

„Du solltest vielleicht heute Nacht nicht in diesem Haus bleiben“, schlug er vor. „Komm, fahr mit zu mir.“

„Nein, auf keinen Fall“, wehrte sie ab. „Und außerdem wäre Betsy dann allein.“

„Wir nehmen sie mit“, bot er großzügig an. Gwen lachte kurz auf.

„Du bist wirklich einmalig, Curt McAllister. Und ich glaube, ich liebe dich.“

„Na, das ist zumindest schon mal ein guter Anfang. Mit diesem Thema können wir weitermachen“, erklärte er sanft. „Wenn das alles so ist, dann werde ich heute nach hierbleiben. Ich hoffe, du hast ein Gästezimmer.“

„Oh, ich fürchte, das wird Betsy nicht mehr herrichten können. Nach zehn Uhr arbeiten Hausangestellte nicht mehr“, lächelte sie. „Du musst wohl mit meinem Zimmer vorlieb nehmen.“

„Nichts lieber als das“, murmelte er und nahm sie fest in die Arme.

Was folgte, war ein langer Kuss.

Dann ging ohne Vorwarnung das Licht aus.



25

„Kann es sein, dass im Elektrizitätswerk gestreikt wird?“, murmelte Curt zwischen zwei Küssen.

„Und ich glaube, das stört uns heute Nacht nicht“, gab sie ebenso leise zurück.

Sie tasteten sich in den Flur vor, wollten gerade auf die Treppe nach oben gehen, als Betsy mit erstaunter Miene und einer Kerze aus der Küche kam.

„Das ist äußerst merkwürdig“, vermeldete sie. „Drüben bei Rutherfords brennt Licht, ganz deutlich durch die Bäume zu sehen. Und auch die Straßenlaternen sind an. Ich habe gerade die Sicherungen überprüft, die sind alle in Ordnung. Warum ist also bei uns das Licht ausgefallen?“

Plötzlich war es wieder so, dass Gwen eine unheimliche Bedrohung spürte. Wie schon in Mexiko merkte sie, wie eine imaginäre Hand nach ihrem Herzen griff und es zusammenpresste. Ein dicker Klumpen Angst bildetet sich in ihrem Magen. Ohne es zu merken, umklammerte sie die Hand von Curt und tat ihm fast weh damit.

„Jeremy ist es“, sagte sie tonlos.

„Ich fürchte fast, du könntest recht haben“, erwiderte McAllister ernst.

„Ihr meint, das ist dieser verrückte Taylor?“, warf Betsy ein. „Was hat er denn davon, wenn er uns den Strom abdreht?“

„Wenn das mal nicht der Auftakt zu irgendeiner Teufelei ist“, murmelte McAllister.

„Du glaubst doch nicht, dass er uns ernstlich etwas tun will?“, fragte Gwen ungläubig.

„Ich weiß es nicht“, presste er zwischen den Zähnen hervor. „Bleibt hier, Gwen und Betsy, ich möchte nicht, dass euch etwas passiert. Geht jetzt erst mal hinunter in den Keller und verbarrikadiert euch da.“

„Du spinnst wohl“, empörte sich Gwen „Es geht hier um mich. Betsy, mach dass du in den Keller verschwindest. Wir werden damit schon fertig.“

„Ich glaube nicht, dass mir das gefällt“, sagte die Hauswirtschafterin. „Kann es sein, dass es für euch gefährlich wird?“

„Nein, glaube ich eigentlich nicht“, meinte Gwen wider jede Vermutung, die sich in ihr breitmachte. „Und jetzt geh endlich!“

„Und was habt ihr vor?“, forschte Betsy hartnäckig weiter.

„Ich werde erst einmal die Polizei rufen“, erklärte McAllister.

Doch auch das Telefon war tot.

„Hast du dein Mobilgerät mit?“, wollte Gwen wissen.

„Nein, leider nicht“, gestand er. „Nun, dann muss ich anders Hilfe holen. Gwen, es ist wirklich das Beste, wenn du mit Betsy in den Keller gehst. Ich werde mit dem Wagen losfahren, um Hilfe zu holen.“

Sie schaute ihn plötzlich argwöhnisch an. „Das Ganze könntest du auch arrangiert haben“, flüsterte sie und schaute ihn an, als könnte sie ihre eigenen Worte nicht glauben. „Vielleicht bist du es, der den Fluch an mir vollstrecken will.“

Er blickte sie traurig an. „Das glaubst du doch nicht wirklich, Gwen“, flüsterte er beschwörend.

„Ich weiß einfach nicht mehr, was ich noch denken soll. Wenn du jetzt gehst, kann es doch sein, dass du nicht wiederkommst.“ Ihre Augen flehten darum, ihr das Gegenteil zu beweisen, und McAllister verstand ihre Angst. Zuviel war in letzter Zeit auf die junge Frau eingestürmt, und sie war völlig verwirrt. Er zog sie an sich und küsste sie sanft auf die Stirn.

„Ich glaube, ich weiß, was du meinst“, sagte er rau. „Ich werde bleiben, damit nicht noch mehr Misstrauen zwischen uns entsteht. Denn das zumindest hat er schon fast geschafft.“

„Ich - es tut mir leid“, sagte sie gebrochen. „Ich will dich doch gar nicht verdächtigen.“

„Psst“, machte er und legte ihr einen Finger auf den Mund. „Nichts mehr sagen. Betsy, ich würde es für sehr sinnvoll halten, wenn Sie sich endlich in den Keller verziehen“, wandte er sich in schärferem Tonfall an die Hauswirtschafterin, als er eigentlich wollte.

„Das gefällt nicht. Nein, das gefällt mir ganz und gar nicht“, murmelte sie widerwillig, ging aber endlich die Treppe hinunter.

McAllister griff nach Gwens Hand. „Wir versuchen es zusammen“, sagte er aufmunternd.

Curt öffnete die Haustür und schaute hinaus. Nichts Verdächtiges war zu sehen, draußen an der Straße, durch die Bäume hindurch, schimmerte das Licht der Straßenlaternen. Aber hier vor der Haustür war es fast so dunkel, dass man die Hand vor Augen nicht erkennen konnte. Der Himmel war bewölkt, und so warf auch der Mond kein Licht.

McAllister zog Gwen an der Hand hinter sich her. „Ich bin sicher, dass Taylor hier draußen irgendwo ist“, flüsterte er. „Zieh deine Schuhe aus, die Absätze klappern.“

Gwen schlüpfte aus den Schuhen, und die beiden machten zwei vorsichtige Schritte hinaus auf den Gartenweg. In diesem Augenblick schlugen zwei Gewehrschüsse dicht neben ihnen rechts und links in den Boden.

„Verdammt, er ist verrückt“, brüllte McAllister, drehte um und zerrte Gwen mit sich ins Haus zurück. Er warf die Tür zu und die Frau und sich zu Boden. Ein weiterer Schuss schlug splitternd in das Glas der Haustürscheibe. In Tausenden von Splittern regnete das zerstörte Glas auf die beiden Menschen hinab.

„Er hat ein Nachtsichtgerät, damit kann er uns belagern“, stellte Curt wütend fest.

„Aber warum? Wir können immer noch hinten heraus aus dem Fenster klettern“, schlug Gwen praktisch vor.

„Das wäre eine Möglichkeit. Wie weit erstreckt sich der Park?“

„Hinten im Garten ist ein großer Zaun. Wir könnten daran entlang schleichen und so zur Straße zurückkommen.“

„Das wäre wirklich eine Möglichkeit. Ich nehme an, dass Taylor den Eingangsbereich beobachtet, weil er annimmt, dass wir dort in seiner Reichweite auf jeden Fall vorbeikommen müssen“, stellte McAllister fest.

„Worauf warten wir dann noch“, fragte sie mit einem Anflug ihrer früheren Tatkraft und Unternehmungslust. Aber dann mussten die beiden zu ihrem Entsetzen feststellen, dass alle Fenster von außen her verriegelt waren. Und auch der Hinterausgang aus der Küche hinaus ließ sich nicht öffnen.

„So ein Mistkerl“, schimpfte Gwen missmutig.

„Wir könnten ein Fenster einschlagen“, überlegte Curt. „Aber das würde er auf jeden Fall hören und könnte reagieren. Sieht ganz so aus, als säßen wir im Augenblick in der Falle.“

„O nein, so leicht gebe ich nicht auf“, beharrte Gwen plötzlich. Sie schien ihre Trauer und Niedergeschlagenheit überwunden zu haben und war voll Wut und dem Willen, etwas zu tun, auch wenn sie noch nicht recht wusste, was.

„Dein Tatendrang in allen Ehren“, bremste McAllister. „Aber vielleicht erklärst du mir mal, was du vorhast.“

„Wenn ich das nur selbst wüsste“, seufzte sie. „Komm, wir gehen ins Arbeitszimmer. Das kann ich richtig verdunkeln, und wir können eine Kerze entzünden.“

Gwen tastete sich voran, bis sie im Arbeitszimmer die Innenjalousien erreichte, die sie ganz fest vorlegte. Erst dann zündete sie ein Streichholz an und entnahm der obersten Schreibtischschublade eine Kerze.

„Bist du auch ganz sicher, dass alles richtig verdunkelt ist?“, erkundigte sich McAllister. „Wenn Taylor Licht sieht, könnte er auf die Idee kommen, hier direkt hereinzuschießen, um auf gut Glück einen von uns zu treffen.“

„Ja, natürlich, alles ist dicht. Aber ich glaube, Taylor muss völlig durchgedreht sein“, stellte Gwen betrübt fest. „Tut mir so leid, Curt, ich hätte dich nie in diese Lage gebracht, wenn ich gewusst hätte, was Jeremy vorhat.“

„Ich glaube nicht, dass ich ihm entgangen wäre, wenn er dich zuerst erledigt hätte.“

„Vielleicht hätte ich zum Schein auf seine Ansichten eingehen und dann die Polizei rufen sollen“, überlegte Gwen. „Ich hätte ihn irgendwie beruhigen müssen.“

„He, jetzt ist aber Schluss mit den Selbstvorwürfen“, bestimmte er. „Du hast vollkommen richtig behandelt. Und ich denke, ein Mann hat sich damit abzufinden, wenn er einen Korb bekommt. Diese Erfahrung habe ich auch schon hinter mir“, setzte er lächelnd hinzu.

Auch Gwen lächelte plötzlich. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass eine Frau dir einen Korb gibt.“

„O doch, sogar einen ziemlich großen.“ Er seufzte und wurde übergangslos ernst. „Ich werde dir die Geschichte irgendwann einmal erzählen. Aber jetzt sollten wir uns etwas einfallen lassen, um die Polizei zu benachrichtigen.“

„Nun, mir fallen da schon ein paar verrückte Ideen ein“, gestand Gwen. „Aber ich glaube, die sind alle nicht sehr sinnvoll.“

„Oh, lass hören, vielleicht kann man eine Idee weiterentwickeln.“

„Wir müssten eine Möglichkeit finden, Feueralarm in der Gegend auszulösen“, überlegte sie. „Aber deswegen werde ich sicher nicht das Haus in Brand stecken.“

McAllister starrte plötzlich fasziniert und nachdenklich auf die Wand, an der mehrere Blasrohre und Pfeile hingen.

„Sag einmal, du hast nicht zufällig auch noch Curare im Haus?“, erkundigte er sich dann in gespielter Harmlosigkeit.

„Bist du nicht gescheit? Das Zeug ist offiziell nur im medizinischen Bereich zugelassen. Für Privatleute verboten.“

„Ich weiß“, grinste er. „Aber ich glaube nicht, dass sich dein Vater, so wie ich ihn kannte, um solcherlei Verbote gekümmert hat. Er war Forscher mit Leib und Seele.“

Nun grinste auch Gwen „Ich weiß, wo Vater das Gift aufbewahrt hat“, sagte sie.

Sie ging zu einem der Bücherregale, klappte einen Buchrücken herunter, und ein kleiner Teil des Regals sprang nach vorne hin aus einer Feder heraus auf. Dahinter kam ein Tresor zum Vorschein. Gwen stellte die Kombination ein und öffnete den Tresor.

McAllister war hinter sie getreten und

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: (C) ALFRED BEKKER CASSIOPEIAPRESS
Bildmaterialien: BEKKER
Tag der Veröffentlichung: 05.05.2015
ISBN: 978-3-7368-9326-9

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