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Galopp in die Hölle

von Ann Murdoch

 

Ein CassiopeiaPress E-Book

© by Author

© der Digitalausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

 

Der Umfang dieses E-Book entspricht 91 Taschenbuchseiten.

 

Eine Frau zwischen zwei Männern und ein lange verschollener Goldschatz. Und welches Geheimnis verbirgt eine Schachfigur in diesem Zusammenhang? Nur wenn die richtigen Entscheidungen getroffen werden, kann alles zu einem glücklichen Ende kommen...

 

1

Feiner Nieselregen schlug gegen die Windschutzscheibe, und die altersschwachen Wischer gaben sich redlich Mühe, den feinen Wasserfilm beiseite zu schieben. Der Wind drückte von der Seite, und Maggie O'Connor hatte alle Mühe, den kleinen Wagen auf der Straße zu halten. Das Auto hatte schon bessere Tage gesehen, und Maggie wusste, dass sie vor dem Winter auf jeden Fall einen anderen Wagen finden musste. Immerhin besaß sie das Auto nun schon mehr als vier Jahre, und es hatte ihr während des Studiums zur Tierärztin gute Dienste geleistet.

Wie auch vor ungefähr einem halben Jahr, da sie ganz überraschend nach ihren Abschluss gleich eine Stelle in einer Praxis gefunden hatte. Kevin McBride, ihr Chef, hatte ihr schon mehrmals angeboten, ihr bei der Suche nach einem anderen Auto behilflich zu sein. Maggie hatte das bisher jedoch stets abgelehnt. Und das lag vielleicht ganz einfach an dem überlegenen Lächeln des Doktors.

Klar, er hatte diese Praxis seit vielen Jahren, war angesehen und verdiente gut. Was nicht hieß, dass er kein Herz hatte. Zu oft hatte Maggie schon bemerkt, dass McBride bei älteren oder armen Menschen die Rechnung einfach vergaß.

Aber jetzt dachte sie nur noch daran, möglichst schnell und heile nach Hause zu kommen. Sie hatte gerade eine Katze einschläfern müssen, und davor gab es zwei Schafe, die von wildernden Hunden gerissen worden waren. Alles in allem kein schöner Ausklang eines anstrengenden Tages.

Die Lichtfinger der Scheinwerfer stachen in die Dunkelheit, und erst im letzten Moment erkannte Maggie die Umrisse eines Mannes, der am Straßenrand saß und winkte. Mit quietschenden Reifen kam der Wagen zum Stehen, als Maggie voll in die Bremsen stieg. Hastig stieg sie aus.

In dieser verlassenen Gegend im hohen Norden Schottlands kamen abends nur wenige Autos die Straße entlang. Hatte ihn vielleicht jemand angefahren? Oder war es ein Vagabund, der betrunken von der abends schon recht kühlen Witterung überrascht worden war?

Maggie stellte schnell fest, dass der Mann nicht nach Alkohol roch, aber dennoch einen seltsamen Eindruck machte. Er war völlig durchnässt und scheinbar stark unterkühlt. Er brauchte dringend Wärme und ärztliche Hilfe. Natürlich hatte Maggie im Zuge ihrer Ausbildung auch gelernt, einem Menschen in Not zu helfen, aber im Augenblick fühlte sie sich noch unsicher und etwas hilflos. Sie überlegte. Von hier aus war das nächste Anwesen Clarion Manors, seit ein paar Monaten in Besitz von George Felton, der aus dem fast verfallenen Herrschaftshaus mit Nebengebäuden ein Gestüt aufgebaut hatte.

Maggie schlug den am Boden liegenden Mann leicht auf die Wange, er stöhnte und kam langsam wieder zu sich.

„Kommen Sie, helfen Sie mir ein bisschen, während ich Sie auf die Füße bringe, ich packe Sie in mein Auto", sagte die junge Frau. „Sind Sie verletzt? Können Sie sich bewegen? Wenn ja, dann kommen Sie doch hoch, allein schaffe ich es nicht. Was machen Sie überhaupt hier draußen? Wie kommen Sie hierher?" Sie erwartete nicht wirklich eine Antwort, er war noch gar nicht wieder bei sich, aber sie wollte mit den Worten auch sich selbst beruhigen.

Der Mann stöhnte erneut auf und regte sich. Es dauerte eine ganze Weile, bis Maggie es geschafft hatte, den Mann in ihr kleines Auto zu wuchten. Er schien noch immer nicht ganz bei sich zu sein, und die Tierärztin gab Gas. Sie hatte das Gefühl, sich beeilen zu müssen, um dem Mann helfen zu können.

Die Straße war in schlechtem Zustand, und bei jedem Schlagloch stöhnte der unbekannte Passagier auf. Von hinten tauchten plötzlich zwei Scheinwerfer auf und näherten sich schnell. Maggie hielt sich bewusst so weit links, wie es ihr möglich war, falls der andere überholen wollte. Doch der Wagen blieb beständig hinter ihr. Der Mann neben Maggie kam plötzlich zu sich. Er schaute etwas verwirrt umher, bis er die Sachlage begriff, dann bemerkte er den Wagen hinter ihnen.

„Suchen Sie einen Ausweg“, sagte er gepresst.

„Was?“, fragte Maggie verständnislos.

„Sie müssen den Wagen loswerden.“

„Unsinn, das wird einer der Gutsherren sein, die hier in der Nähe wohnen. Sie müssen sich keine Sorgen machen. Können Sie mir jetzt sagen was Ihnen passiert ist?“

„Bitte, versuchen Sie zu entkommen“, beharrte der Mann.

Maggie hatte ohnehin vor, den Weg nach Clarion Manors einzuschlagen, und so bog sie an der nächsten Abzweigung nach links ab. Die sie verfolgenden Scheinwerfer verschwanden, doch wenig später tauchten sie wieder auf und rückten näher.

Es waren wohl noch zwei Meilen bis Clarion Manors, und Maggie hatte plötzlich ein ungutes Gefühl. Sie gab Gas, soweit es der Wagen noch hergab. Doch es war auf jeden Fall zu wenig. Von hinten gab es plötzlich einen heftigen Ruck, und die Tierärztin verlor die Gewalt über den Wagen. Sie kam ins Schleudern und fuhr in den Graben, der Wagen überschlug sich.

Irgendwann kam er zum Stillstand. Maggie spürte jeden Knochen im Körper und wünschte sich in ihr Bett.

Eine Hand schob sich in die ihre und drückte etwas hinein.

Ihr Blick fiel auf den Verletzten, dann entfuhr ihr ein heftiger Fluch.

 

 

2

George Felton stammte in gerader Linie seit Jahrhunderten von den Herren von Clarion Manors ab. Er selbst hatte nach eine ordentliche Banklehre gemacht und durch ein paar gewagte Spekulationen ein kleines Vermögen erworben. Das hatte er mit viel Geschick und Geschmack in Clarion Manors investiert. Sein Herz hing an dem Anwesen, was nur wenige wussten, und seine große Leidenschaft waren die Pferde. Und so hatte viel Geld in die Grundlage eines Gestütes gesteckt.

Er war zwar hier oben in Schottland weit ab von den großen Gestüten, die das Land bestimmten, doch einige der Tiere, die Felton besaß, hatten in der Fachwelt einen hervorragenden Ruf. Mittlerweile war Clarion Manors fast zu einer Pilgerstätte für Pferdezüchter geworden.

In letzter Zeit hatte ihn das Pech bei den Stuten verfolgt, aber andererseits standen zwei vielversprechende Dreijährige in seinen Stallungen. Und außerdem gab es da Dalrina, eine hochprämierte, wenn auch schon ältere Stute, die noch an diesem Abend fohlen würde.

Felton war schon den ganzen Tag unruhig hin und her gelaufen, hatte immer wieder den Stall aufgesucht und mit seiner Unruhe den Stallmeister Michael Sinclair schier an den Rand der Verzweiflung gebracht.

Doch jetzt würde es nicht mehr lange dauern, und Felton überlegte, ob er noch vorher den Tierarzt anrufen sollte. Kurz entschlossen wählte er die Nummer von McBride. Es waren keine Komplikationen zu befürchten, doch Felton wollte kein Risiko eingehen. Knapp zehn Minuten später klingelte es an der Haustür, und zu seinem Erstaunen erkannte Felton Maggie O’Connor.

„Du lieber Himmel, sind Sie hergeflogen?“, entfuhr es ihm.

Aber Maggie starrte ihn nur mit schreckerfüllten Augen an. Sie taumelte mehr als sie ging, in seine Arme, und er fing sie auf, ohne nachzudenken, wobei er automatisch registrierte, dass ihr weicher, nachgiebiger Körper sehr wohl mit weiblichen Rundungen ausgestattet war. Doch das war im Augenblick nebensächlich.

„Du lieber Himmel, was ist los?“, fragte er entsetzt, denn er spürte sehr wohl, dass sie nicht in ihrer Eigenschaft als Tierärztin hier war.

„Da draußen - mein Auto“, stammelte sie. „Unfall - ein Mann - Beifahrer.“

Felton starrte sie kopfschüttelnd an. Ein Unfall? Das war hier äußerst selten, denn die Menschen nahmen Rücksicht aufeinander. Und gerade die beiden Tierärzte kannten hier jeden Weg und jeden Stein. Ein Unfall war äußerst merkwürdig.

Doch er stellte keine weiteren Fragen. Maggie stand eindeutig unter einem Schock, und es schien noch jemand im Wagen zu sein, der Hilfe brauchte, wenn er ihre Worte richtig interpretierte.

Felton ging vor die Haustür.

„Sinclair“, brüllte er in Richtung der Stallungen, und wenig später tauchte der Stallmeister schweratmend wie nach einem hastigen Lauf auf.

„Ich kann jetzt nicht, Sir“, brüllte der ebenso zurück. „Dalrina ist jeden Augenblick soweit.“

Felton zog Maggie am Arm mit sich und schlug den Weg zu den Ställen ein.

„Gehen Sie und kümmern Sie sich um die Stute, sie braucht Ihre Hilfe“, befahl er ziemlich barsch, um durch den Schock zu dringen. „Sinclair, Sie kommen mit mir. Miss O’Connor hatte einen Unfall.“

Maggie hatte diesem Befehlston wenig entgegenzusetzen. Im Grunde war sie froh, dass jemand das Kommando übernahm.

Ihre Hand umklammerte noch immer den Gegenstand, den der Sterbende ihr im Auto gegeben hatte. Bisher hatte sie nicht nachgesehen, um was es sich handelte, und auch jetzt steckte sie das Teil unbeachtet in die Tasche. Es war ihr jetzt im Moment völlig egal.

Noch immer etwas taumelnd ging sie in den Stall, wo sie gleich zu Dalrina lief, deren schwerster Moment kurz bevorstand. Der Notfall machte ihre eigenen Probleme nebensächlich.

Felton machte sich auf den Weg zur Garage, und Sinclair folgte ihm auf dem Fuße, nicht jedoch ohne vorher protestiert zu haben, was Felton aber mit einem Befehl ignorierte. Es musste sich um etwas sehr Dringendes handeln, wenn Felton die sündhaft teure Stute allein ließ.



3

„Zu spät“, stellte Felton trocken fest, als sie Maggies Wagen erreichten und den Mann flüchtig untersuchten. „Sie muss gefahren sein wie ein Henker. Ich verstehe ohnehin nicht, warum sie kein anständiges Auto hat. Nun ja, das Problem dürfte sich jetzt erledigt haben.“

„Da haben Sie schon recht, Sir, diese Karre wird nicht mehr fahren“, meinte Sinclair etwas abfällig. „Gott sei Dank ist ihr nichts passiert. Ich denke, wir sollten jetzt die Polizei verständigen.“

Er blickte auf Felton, der den toten Mann nachdenklich musterte. „Kannten Sie ihn?“, fragte er dann.

„Nein - nein, er erinnert mich nur an jemanden, den ich einmal kannte. Vor langer, sehr langer Zeit“, murmelte der Gutsherr. „Sie haben recht, Sinclair, hier können wir nichts mehr tun.“ Mit einer fast unbewussten Geste schloss er dem toten Mann die Augen und wandte sich ab.

„Dalrina muss jetzt schon gefohlt haben. Hoffentlich ist die Kleine allein damit fertig geworden“, gab Sinclair zu bedenken.

„Die Kleine ist Tierärztin, und McBride spricht in höchsten Tönen von ihr“, erwiderte Felton ungewohnt scharf. „Sie wird meine Stute schon richtig behandeln, da bin ich sicher.“

Sinclair kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Sie war in keinem guten Zustand. Machen Sie sich da gar keine Sorgen?“

„Meinen Sie Maggie O'Connor oder das Pferd?“, fragte Felton leicht amüsiert.

„Wenn Sie mich so fragen - beide, Sir.“

Felton lachte kurz auf. „Ich wüsste mir für die junge Frau keine bessere Medizin als harte Arbeit in dieser Situation. Sie werden sehen, Sinclair, wenn wir zurückkommen, werden wir die beiden mit dem neuen Fohlen gesund und munter vorfinden. Und jetzt sollten wir wirklich losfahren und die Polizei verständigen. Hier gibt es für uns nichts mehr zu tun. Außerdem sollten wir dafür sorgen, dass der Wagen abgeschleppt wird. Mit diesen Überbleibseln wird Miss O'Connor jedenfalls nie wieder fahren. Ich werde ihr den kleinen Mini zur Verfügung stellen, bis sie einen neuen Wagen hat.“

„Sie sind sehr großzügig, Sir“, stellte Sinclair fest.

„Nein, eigentlich nicht. Auf diese Weise kann ich sie mir etwas verpflichten. Vielleicht sieht sie in mir dann auch mal den netten Menschen.“

„Haben Sie etwa Absichten auf die junge Frau?“, erkundigte sich der Stallmeister verwundert, und Felton grinste etwas verlegen.

„Meine Tante stellte neulich fest, dass es für mich dringend an der Zeit wäre zu heiraten. Und eine Tierärztin, die gut aussieht und aus einer ordentlichen Familie stammt, wäre doch sicher nicht die schlechteste Wahl.“

„Sagen Sie das Miss Maggie, aber vorsichtig. Und denken Sie daran, dass sie vielleicht auch Gefühle sucht.“

„Ach, Unsinn, Liebe kommt von allein. Und außerdem mag ich sie doch, was kann sie mehr wollen?“

„Wenn Sie sich nur nicht täuschen“, murmelte Sinclair so leise, dass sein Chef ihn nicht mehr verstand.



4

Maggie hatte, ohne es richtig wahrzunehmen, festgestellt, dass sie von dem Unbekannten eine kleine Schachfigur bekommen hatte, einen Turm. Ohne weiter darüber nachzudenken, steckte sie das Teil in ihre Hosentasche. Ihr fiel nicht einmal auf, dass es sich um ein besonderes Stück handelte, sie wollte und konnte darüber jetzt nicht nachdenken.

Dalrina, die Stute, stand in ihrer Box und trampelte unruhig auf und ab. Ihr gewölbter Leib war schweißig und bebte. Die Geburt stand auf jeden Fall kurz bevor. Maggie streifte die Aufregung der letzten Stunde ab, hier war sie in ihrem Element. Das Tier brauchte sie, alles andere war unwichtig.

Maggie näherte sich der Stute behutsam und sprach beruhigend auf sie ein. Ihre Hände glitten über das Tier, das angstvoll schnaubte, und untersuchten den Leib fachkundig. Eigentlich sollte es keine Probleme geben, doch Dalrina war nicht mehr die Jüngste.

Die Stute legte sich nun hin, es ging los. In Wellen glitten die Wehen über den Leib des Tieres, und bald darauf waren schon Kopf und Vorderbeine des Fohlens zu sehen. Maggie kauerte neben dem angestrengten Tier im duftenden Stroh und sah nicht zum ersten Mal das Wunder einer Geburt.

Es dauerte nicht lange, dann war alles vorbei, ein Hengstfohlen stand etwas wackelig auf, aber bei Dalrina dauerte es etwas länger. Dann jedoch begann sie das Kleine gründlich abzulecken, und das Fohlen suchte eifrig und hungrig nach Milch. Maggie half ein bisschen bei der Säuberung, indem sie den Körper des Tieres mit Stroh abrieb und dann sanft den Kopf in die richtige Richtung stupste. Schließlich waren sie alle drei zufrieden.

Maggie nahm das Kleine in die Arme, argwöhnisch beäugt von der Mutter, und schlief ganz einfach ein.



5

Der Constable kam lautstark

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: (C) ALFRED BEKKER CASSIOPEIAPRESS
Bildmaterialien: Bekker
Tag der Veröffentlichung: 22.04.2015
ISBN: 978-3-7368-9109-8

Alle Rechte vorbehalten

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