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Das blonde Gift vom Wirtshaus

Bergroman von Alfred Bekker

 

Ein CassiopeiaPress E-Book

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© 2012 der Digitalausgabe 2012 by AlfredBekker/CassiopeiaPress

www.AlfredBekker.de

 

Peter Krönacher atmete tief durch und blickte den Hang hinab. Die Gruppe von Bergtouristen, mit der er den ganzen Tag unterwegs gewesen war, folgte ihm.

"Mei, einen Durst hab ich nach der ganzen Kletterei!", meinte ein etwas dicklicher Geschäftsmann aus der Stadt, der mit seiner Frau diese Tour mitgemacht hatte.

Der junge Bergführer Peter Krönacher deutete mit ausgestreckter Hand ins Tal hinab. Auf halben Weg zu dem kleinen Dorf, dessen Häuser sich um um einen Kirchturm scharten, war ein schmuckes Wirtshaus zu sehen.

"Das ist das Wirtshaus zur 'GOLDENEN GAMS'", erklärte Peter. "Soweit ich das beurteilen kann, gibt es dort den besten Rotwein im weiten Umkreis!"

"Ich bin im Moment net gerade wählerisch", gestand der Geschäftsmann. "In diesem Augenblick wäre mir wohl alles recht!"

Und seine Frau ergänzte: "Eine zünftige Brotzeit, das wär's jetzt!"

Aus insgesamt zehn Personen bestand die Gruppe, mit der der Krönacher-Peter am Morgen losgezogen war.

Die Aussicht, in ein Wirtshaus einziehen zu können, beflügelte die Teilnehmer der Bergtour. Die bleierne Müdigkeit, die sich noch wenige Augenblicke zuvor über die Gruppe gelegt hatte, war von den meisten auf einmal abgefallen.

Und so brauchten sie nicht allzu lang, bis sie endlich die GOLDENE GAMS erreicht hatten.

Sie betraten gut gelaunt den Schankraum und setzten sich an die rustikalen Holztische.

An den Wänden hingen stilechte Brandmalereien von Kunsthandwerkern aus dem Tal. Und wenn man durch das Fenster blickte, so konnte man das beeindruckende Panorama der Bergwelt sehen, die hohen, vom Hochwald umkränzten Gipfel und steilen Hänge.

"Mei, das war schon ein außergewöhnliches Erlebnis", wandte sich einer der Teilnehmer mit Dankbarkeit an den jungen Bergführer.

"Schön, wenn es Ihnen gefallen hat", erwiderte Peter Krönacher freundlich.

"Mit Ihnen würde ich jederzeit wieder auf Tour gehen, Herr Krönacher!"

"Mei, ich hätte nix dagegen", meinte der Peter.

Aber er hatte kaum ein Ohr für den Mann, der sich jetzt seine Jacke auszog, sie an den Haken hängte und sich dann zu den anderen an den Tisch setzte.

Die Augen vom Peter hingen die ganze Zeit über an dem wunderschönen, blitzsauberen Madel, das hier in der GOLDENEN GAMS bediente.

Ein schickes Dirndl trug sie und das blonde Haar hatte sie zu einem Zopf nach hinten gebunden. Ihr Gesicht war feingeschnitten und das Blitzen in ihren Augen machte die gesamte männliche Bevölkerung des Tals ganz narrisch, auch wenn zumindest der verheiratete Teil das nie und nimmer zugegeben hätte.

Es war die Marianne Sendlinger. Das bildhübsche Madel arbeitete seit einiger Zeit hier in der GOLDENEN GAMS. Und seit der Niedermayer-Xaver, dem das Lokal gehörte, gesundheitlich so angeschlagen war, war sie fast so etwas wie eine Geschäftsführerin.

Der Peter seufzte still, als er die Marianne so ansah.

Mei, ich hab mich halt bis über beide Ohren in das Madel verliebt, war dem jungen Mann klar.

Aber das junge Dirndl ließ nichts anbrennen. Ganz zum Leidwesen von Peter Krönacher, der die Marianne lieber heute als morgen vor den Altar geführt hätte...

Die anderen Teilnehmer der Bergtour forderten den Peter lautstark auf, sich zu ihnen zu setzen, aber der junge Mann hatte zunächst anderes im Sinn.

Er wartete ab, bis die Marianne sich um sie gekümmert und ihre Bestellungen aufgenommen hatte.

Als sie dann an ihm vorbei kam, sprach er sie an.

"Hallo, Marianne!"

"Grüß dich, Peter! Alles gut gegangen auf deiner Bergtour?"

"Gewiss!"

Das Madel lachte und dabei blitzten ihre strahlend weißen Zähne. Ihr Lächeln war bezaubernd.

"Die Leut', mit denen du aus den Bergen zurückkommst, sind immer besonders hungrig!", stellte sie dann fest. "Aber das ist nur gut fürs Geschäft!Und ein stattliches Trinkgeld wird sicher auch diesmal herausspringen. Da bin ich mir eigentlich ziemlich sicher!"

Der Peter erwiderte ihr Lächeln.

"Da siehst, wie ich zu bin, Marianne! Ich bringe die ganzen hungrigen Bergsteiger zu dir!"

Die Marianne lachte.

"Mei, ein Kunststück ist das! Wo es doch nur ein einziges Wirtshaus in weitem Umkreis gibt - und das ist eben die GOLDENE GAMS!"

Jetzt wollte die Marianne weiter, aber der Peter hielt sie am Arm. "Marianne...", kam es in gedämpftem Tonfall über seine Lippen.

Er musste schlucken.

Und plötzlich wusste er auch gar nicht mehr so recht, was er ihr eigentlich hatte sagen wollen. Sein Kopf schien mit einem mal völlig leer.

Marianne sah ihn auf eine Art und Weise an, die ihm nicht gefiel. Etwas mitleidig eben.

"Mei, wa ist denn Peter?", fragte sie, während die Bergtouristen am Tisch schon zu gucken anfingen, was denn da vor sich ging.

"Ich dachte, du hättest es dir vielleicht noch einmal überlegt. Ich wäre keine schlechte Partie, Marianne! Du weißt, dass ich einmal die Sägemühle meines Vaters übernehmen werde..."

"Gewiss...", unterbrach das Madel, dad diese Unterhaltung eigentlich nicht weiter fortsetzen wollte. Sie konnte sich nämlich schon denken, was jetzt kam. "Du bist sicher ein netter, rechtschaffener Bursche, Peter. Und ich hab dich auch sehr gern. Aber will einfach noch net soweit denken, in nächster Zeit mit jemanden vor den Altar zu treten."

"Ist das dein letztes Wörtl?"

"Im Moment schon, Peter. Und jetzt muss ich wirklich weiter. Man schaut schon zu uns herüber..."

Der Peter ließ sie los. Er erkannte, dass er sich hier und jetzt nur lächerlich machen würde.

Mei, eigentlich hast doch nix anderes erwarten können, ging es ihm ärgerlich durch den Kopf. Das ganze Tal ist schließlich in das Dirndl verliebt! Warum sollte sie gerade mich nehmen?

Der junge Bergführer sah der Marianne nach, die inzwischen in der Küche verschwand.

Dann setzte Peter Krönacher sich zu den Bergtouristen an den Tisch.

Ein Glas Rotwein, das würde auch ihm guttun. Und dazu eine zünftige Brotzeit. Schließlich war die Bergtour - so sehr er auch daran gewöhnt war - auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen.

 

*

 

Es war schon nach Mitternacht, als die letzten Gäste die GOLDENE GAMS verlassen hatten. Marianne Sendlinger bewohnte eine Kammer im Dachgeschoss des Hauses. Ihre Eltern waren früh verstorben und so war das Dirndl ganz auf sich allein gestellt.

Nachdem die letzten Gäste gegangen waren und die Marianne ihre Abrechnung in Ordnung gebracht hatte, ging sie dann die Treppe hinauf. Die Füße taten ihr weh und sie war hundemüde.

Es war ein anstrengender Tag gewesen. Das Geschäft ging zwar gut und die Trinkgelder waren in Strömen geflossen, aber jetzt fühlte Marianne sich völlig zerschlagen. Sie gähnte in der Gewissheit, von niemandem beobachtet zu werden.

"Marianne", wisperte eine Stimme, als sie den ersten Treppenabsatz erreicht hatte.

Es war die alte Sepha, die der Xaver Niedermayer als seine Pflegerin in die GOLDENE GAMS geholt hatte, seit es ihm so schlecht ging und er krank darnieder lag.

Früher war die Sepha Magd auf einem der großen Höfe in der Umgebung gewesen. Mit dem Niedermayer war sie sehr weitläufig verwandt.

"Mei, du hast mich aber erschreckt", sagte Marianne und atmete dann erst einmal tief durch. "Was ist denn los? Du bist so spät noch auf?"

Das Gesicht der alten Sepha war sehr ernst.

So ernst, dass die Marianne unwillkürlich zusammenzuckte.

Das Madel spürte, dass irgend etwas nicht in Ordnung war...

"Etwas Furchtbares ist geschehen, Marianne", brachte die alte Sepha dann stockend heraus.

Sie fasste Marianne bei der Schulter.

"Was?", flüsterte das Madel, obgleich sie es bereits ahnte

"Der Xaver..."

"Soll ich den Arzt rufen?"

Die Sepha schüttelte traurig den Kopf.

"Na, das hat keinen Sinn mehr. Der Xaver ist tot, Marianne."

Marianne fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. "Na, das darf doch net wahr sein...", kam es flüsternd über ihre Lippen. Sie hatte sich dem Niedermayer sehr verbunden gefühlt, denn schließlich hatte der ihr hier eine Stelle gegeben, als sie dringend darauf angewiesen war.

Ein gütiger Mensch mit einem freundlichen Gemüt, so war der Wirt der GOLDENEN GAMS immer gewesen. Und jetzt lebte er nicht mehr...

Marianne mochte es noch gar nicht so recht glauben.

"Wir müssen uns mit den Tatsachen abfinden", hörte das Madel indessen die alte Sepha sagen. "So schwer das auch fallen mag..."

"Ach, Sepha!"

"Für dich wird sich erstmal nix ändern Kind."

Die Marianne sah die alte Frau erstaunt an. "Heißt das auch, dass..."

"Dass die GOLDENE GAMS morgen wie an jedem anderen Tag geöffnet haben wird, ja. Das war sein ausdrücklicher Wille."

Marianne zuckte die Schultern.

"Gut, wenn du es sagst!" Nach kurzer Pause setzte Marianne dann noch hinzu: "Es muss trotzdem ein Arzt gerufen werden. Selbst, wenn er nur noch den Tod feststellen kann!"

Der Blick der alten Sepha war auf einmal etwas abweisend.

Ihre funkelnden Augen blickten das junge Madel ein paar Augenblicke lang durchdringend an. Dann, nachdem die alte Frau eine Zeitlang überlegt zu haben schien, nickte sie schließlich.

"Mei, du hast vielleicht recht", murmelte sie. "Ja, früher in den alten Zeiten, ist das alles halt ein bisserl anders gewesen...."

 

*

 

Es war ein sonniger Tag, aber trotz allem hatte der Krönacher-Peter heute keine Touristengruppe, die er in die Berge führen musste. Und so half er seinem Vater, dem Sägemüller in der Säügemühle.

Bis zum Mittag war das laute Kreischen der Säge weithin über das Tal zu hören. Dann kam die Frau des Sägemüllers, um die beiden Männer zu einer Brotzeit zu rufen.

"Ich hab keinen Hunger", brummte der Peter.

"Mei, was ist denn los mit dir? Was machst so ein missmutiges Gesicht?" Die Krönacherin runzelte die Stirn. So kannte sie ihren Jungen gar nicht.

"Es ist nix", behauptete der Peter. Aber das Gesicht, das er machte strafte ihn lügen.

"Komm schon", sagte sein Vater. "Etwas essen musst du schon! Schließlich kann man net mit leerem Magen schwere Arbeit verrichten!"

Auch dem Sägemüller war nicht entgangen, dass sein Sohn an diesem Morgen ungewöhnlich wortkarg gewesen war. Irgendein Kummer schien ihn zu bedrücken.

Aber der Krönacher kannte seinen Sohn gut genug, um zu wissen, dass er nicht versuchen durfte, weiter in ihn zu dringen. Sonst würde er sich nur noch mehr verschließen.

"Er wird uns schon sagen, was los ist, wenn er meint, dass es an der Zeit ist", war der Krönacher überzeugt und blickte seine Frau zuversichtlich an.

Die Frau des Sägemüllers wollte etwas erwidern, aber dann ließen ein paar schnelle Schritte alle drei in Richtung des Wohnhauses blicken, das von der Sägemühle nur ein paar Dutzend Meter entfernt war.

Es war Claudia, die Tochter des Dörfner-Bauern, dessen Besitz ganz in der Nähe lag und einer der größten in der Gegend war.

Ein hübsches Madel war die Claudia.

Das braune Haar fiel ihr lang über die Schultern und ihr feingeschnittenes Gesicht strahlte viel Freundlichkeit und Heiterkeit aus.

Freundlich begrüßte Claudia die Krönachers. Sie war gekommen, um die Rechnung ihres Vaters zu bezahlen, für den der Krönacher eine Fuhre Holz zersägt hatte. Der Sägemüller nahm da Geld, das Claudia ihm reichte und steckte es in die Tasche.

"Mei, wen nur alle so pünktlich ihre Rechnungen zahlen würden wie ihr das tut", meinte der Krönacher.

Und dann hatte das Madel auch noch eine Neuigkeit zu berichten.

"Habt ihr schon gehört, was passiert ist?", fragte sie.

"Na, nix haben wir gehört", erwiderte die Krönacherin, die unwillkürlich etwas den Hals reckte.

"Der Niedermayer-Xaver ist tot!"

"Der Wirt der GOLDENEN GAMS?", fragte Krönacherin überflüssigerweise und ihrem Mann entfuhr ein unwillkürliches: "Jesses, das hat ja kommen müssen..."

Die Claudia seufzte indessen. "Mei, lang ist er ja schon krank gewesen. Und auf seinen Arzt hat er wohl auch nie gehört..."

"Und wie geht es jetzt mit dem Wirtshaus weiter?", meldete sich plötzlich der Peter zu Wort. Denn seine Gedanken waren nicht nur bei dem Toten, den er gut gekannt hatte. Er dachte auch an die Marianne.

Die Claudia, die insgeheim immer für den Peter geschwärmt und ihre Hoffnungen nie ganz aufgegeben hatte, wusste sofort, weshalb Peter sich danach erkundigte. Ihre Stirn umwölkte sich.

"Das ist noch net raus", sagte sie. Und dann setzte sie noch mit einem etwas bitteren Unterton hinzu: "Aber du kannst ja die Marianne fragen. Die wird sicher mehr wissen!"

"Das werde ich auch", murmelte Peter und ging sogleich davon.

Die Krönacherin seufzte. "Ob das was mit der Marianne zu tun hat, dass unser Junge so schlechte Laune hat?"

"Mei, mir gefällt das net, dass der Peter dem Madel noch immer hinterherläuft, obwohl sie doch ganz offensichtlich nix Ernsthaftes mit ihm anfangen wollte." Der Sägemüller zuckte die breiten Schultern. "Kruzifix nochmal, ich hab gedacht, dass diese Sach längst vorbei wäre! Aber da habe ich mich wohl getäuscht!" Dann wandte sich die Frau des Sägemüllers an Claudia Dörfner. "Mei, wir wollten gerade eine Brotzeit nehmen! Hast net auch ein bisserl Hunger?"

Aber das Madel, das auf einmal ziemlich traurig wirkte, schüttelte den Kopf.

"Na, vielen Dank, aber ich muss gleich wieder zurück. Ich hab noch viel zu besorgen."

Als sie davonging, sahen der alte Krönacher und seine Frau ihr nach und der Sägemüller raunte: "Ich versteh den Jungen net! Läuft dieser Marianne nach, anstatt einmal die Augen aufzumachen! Die Claudia, das wär' schon eine Schwiegertochter nach meinem Geschmack!"

"Mei, der Junge wird schon noch zur Besinnung kommen", war indessen die Krönacherin zuversichtlich.

 

*

 

In der GOLDENEN GAMS war um diese Zeit kein Mensch. Nur die Marianne stand am Fenster und sah nachdenklich hinaus. Sie drehte sich herum, als sie hinter sich jemanden durch die Tür kommen hörte.

"Mei, Peter!", stieß sie hervor.

"Marianne!"

Das Madel hob die Schultern. "Heut ist net gerade viel Betrieb in der GOLDENEN GAMS", meinte sie.

Der Peter trat auf sie zu und sah sie an. Aber der Blick ihrer hellblauen Augen wich dem seinen aus.

"Ich hab gehört, was mit dem Wirt passiert ist", brachte er dann heraus. "Und ich wollte dir eigentlich nur nochmal sagen, dass mein Angebot immer noch gilt! Du kannst zu uns auf die Sägemühle kommen..."

"...und mit dir vor den Altar treten!", vollendete die Marianne und schüttelte dann energisch den Kopf.

Nein, das kam für sie nicht in Frage! Schon gar nicht mit einem Mann, den sie zwar ganz nett fand, für den sie aber keine Liebe oder gar Leidenschaft empfinden konnte.

Der Peter schluckte.

"Kruzifix nochmal, es ist doch das Beste!"

"Geh, Peter! Wann wirst es endlich begreifen? Ich hab's dir doch schon so oft erklärt..."

"Wer wird denn hier alles erben?"

Die Marianne zuckte die Achseln. Das Unbehagen stand ihr im Gesicht geschrieben.

"Das ist noch net heraus", meinte sie, froh, das Gespräch vielleicht auf ein anderes Gebiet lenken zu können. "Die Sepha hofft, dass der Wirt sie bedacht hat. Schließlich stand sie ihm in der letzten Zeit am nächsten und hat ihn gepflegt. Außerdem meint sie, der Niedermayer habe weiter keine Verwandtschaft mehr gehabt..."

"Und wie sieht es mit deiner Zukunft aus?"

"Sie Sepha meint, es solle erst einmal alles so weiterlaufen wie bisher", berichtete das bildhübsche Madel wahrheitsgemäß. "Es wird schon alles gut werden", setzte sie dann noch hinzu.

"Das sagt sich so einfach!"

"Hör mal, Peter! Ach du dir mal um mich keine Sorgen! Ich werd' schon zurechtkommen!"

Der Peter nickte etwas niedergeschlagen. Aber er fühlte sich einfach so sehr zur Marianne hingezogen, dass er nicht anders konnte, als sie immer und immer wieder zu fragen. Auch wenn er die Antwort längst im Vorhinein gewusst hatte.

"Vielleicht überlegst es dir ja noch einmal", meinte er dann.

"Geh, Peter!"

"Bitte, Marianne!"

 

*

 

Die Tage gingen einer wie der andere ins Land. Der Wirt der GOLDENEN GAMS wurde zu Grabe getragen und da ganze Tal trauerte um den Xaver Niedermayer, der Zeit seines Lebens immer viele Freunde in der Gegend gehabt hatte.

Wer das Lokal indessen erben sollte, blieb nach wie vor offen. So sehr die Sepha auch herumgesucht hatte, ein Testament oder dergleichen war nicht aufgetaucht.

"Es muss eines geben", hörte die Marianne sie einmal zu sich selbst sagen. "Es muss einfach! Es kann doch net sein, dass ich mich hier ganz umsonst geplagt hab!"

Das ließ das junge Madel aufhorchen.

Bisher hatte Marianne immer gedacht, dass die alte Sepha das aus reiner Menschenfreundlichkeit getan hatte. Und zu ihrem Nachteil war es ja auch nicht gewesen, schließlich hatte sie in der GOLDENEN GAMS wohnen können, denn in ihrer vorherigen Bleibe hatte sie nicht länger sein können.

Mei, wie man sich doch täuschen kann, dachte die Marianne, als die alte Sepha in den nächsten Tagen ihr hartes Gesicht zeigte.

Sie scheuchte die Marianne umher, meckerte an allem herum, redete ihr in alles herein und war mit nichts von dem zufrieden, was das Madel tat.

Und wenn die Marianne dann etwas erwiderte, bekam sie nur zu hören: "Mei, wenn es dir hier halt net mehr passt, dann such dir halt eine andere Stelle!"

Gereizt und bösartig wurde die Sepha. Die Ungewissheit darüber, was mit dem Erbe des Niedermayers nun geschehen würde, schien die alte Frau ganz narrisch zu machen.

Vielleicht liegt es daran, dass sie mit der neuen Lage einfach nicht fertig wird, versuchte die Marianne das ungewohnte Verhalten zu entschuldigen.

Aber es fiel dem Dirndl immer schwerer, Verständnis für das Verhalten der Älteren aufzubringen.

Insgeheim überlegte sie schon, ob es nicht vielleicht wirklich das Beste war, sich etwas anderes zu suchen.

Ein paar Tage später tauchte dann ein junger Mann in der GOLDENEN GAMS auf, der sich unter dem Namen Raimund Wiesner in das Gästebuch eintrug.

Er hatte helles Haar und ein freundliches Lächeln um die Lippen.

Mei, dachte die Marianne. Ein Stadtbursche halt. Keiner nach ihrem Geschmack, so hatte sie schon auf den ersten Blick für sich entschieden.

"Wollen Sie für länger hier Urlaub machen?", fragte das Madel den Wiesner-Raimund, um etwas Konversation zu machen.

Raimund nickte.

"Ja, ich denke schon."

"Es gibt hier in der Nähe einen guten Bergführer, den ich Ihnen nur empfehlen kann - falls Sie ein Kletterer sind!"

Der Wiesner-Raimund lächelte.

"Ich bin ein Kletterer", gab er zu. Das war allerdings für die Marianne auch nicht schwer zu erraten gewesen, schließlich hatte das Madel einen Blick auf das Gepäck geworfen, das der junge Mann mit sich führte.

Und die Kletterschuhe, die er am Griff seiner Tasche festgebunden hatte, ließen kaum einen Zweifel zu.

"Dann gehen Sie am besten zum Krönacher-Peter. Das ist wirklich ein guter Bergführer. Auch für fortgeschrittene Ansprüche..."

"Danke", sagte der Fremde. "Aber sei doch net so förmlich, Madel! Wir sind doch in einem Alter! Ich bin der Raimund!"

Aber das ging der Marianne dann doch zu weit. Wenn sie ihm jetzt den kleinen Finger gab, wollte er am Ende gleich die ganze Hand.

"Hier sind Ihre Zimmerschlüssel, Herr Wiesner", sagte Marianne also und gab dem Fremden die Schlüssel.

"Danke", nickte der Fremde. "Mei, wie läuft denn das Geschäft so?"

"Ich weiß net, was das eigentlich Sie interessiert, Her Wiesner", erwiderte die Marianne kühl.

Raimund Wiesner zuckte die Schultern.

"Es interessiert mich halt..."

"Ob Sie es nun glauben oder net, aber ich lass mich net so gerne ausfragen", versetzte das Madel und ließ den etwas verdutzten Wiesner damit einfach stehen.

Dieser zuckte anschließend nur mit den Achseln und schickte sich an, die Treppe hinaufzusteigen, um zu seinem Zimmer zu gelangen.

Ein einfaches Zimmer war es, aber nett hergerichtet. Der Wiesner war zufrieden.

Er setzte sich auf das Bett und atmete tief durch. Der Xaver Niedermayer, dem die GOLDENE GAMS gehört hatte, war sein Onkel gewesen. Allerdings hatte der junge Mann erst recht spät von dem Tod seines Onkels erfahren. Daraufhin war er gleich hier geeilt.

Schließlich war er wohl der einzige Verwandte, den der Niedermayer gehabt hatte, auch wenn der Kontakt zwischen den beiden schon vor Jahren abgerissen war.

Also würde die GOLDENE GAMS wohl an ihn fallen.

Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie man ein Wirtshaus mit Hotelbetrieb zu führen hatte. Für ein paar Jahre war er in der Welt herumgezogen und hatte dabei auch in Hotels gearbeitet. Als Tellerwäscher oder Gepäckträger zumeist. Nie hätte er auch nur zu träumen gewagt, dass ihm eines Tages mal ein solcher Betrieb gehören sollte. Und er wusste auch noch nicht so recht, was er mit der GOLDENEN GAMS am Ende wirklich anfangen sollte.

Vielleicht war es das beste, das Wirtshaus einfach meistbietend an jemanden zu verkaufen, der Ahnung von diesem Gewerbe hatte!, dachte der Wiesner bei sich.

Zumindest wollte der junge Mann sich erst einmal etwas umschauen, bevor er sich als der Erbe des Niedermayers zu erkennen gab. Denn sobald das jemand im Tal mitbekam, da war der Raimund sich sicher, würde niemand ihm noch unbefangen gegenübertreten.

Mei, ich werde es der Zeit überlassen, was geschieht, entschied Raimund. Ob er nun hier sesshaft werden und der Wirt von der GOLDENEN GAMS werden oder mit einem Batzen Geld, den ein Verkauf bringen konnte, weiterziehen würde...

Ein schönes Wirtshaus ist es ja, ging es dem jungen Mann durch den Kopf. Er stand auf und ging zum Fenster. Sein Blick ging verträumt über das imponierende Bergpanorama. Sie waren schon beeindruckend, die schneebedeckten Gipfel und schroffen Felswände...

Und darüber ein klarer blauer Himmel, von dem die Sonne herabschien.

Aber es war beileibe nicht nur das Wirtshaus, was ihm hier gefiel.

Nein, da war noch etwas anderes, das er nicht vergessen konnte und ihm immer wieder vor dem inneren Auge stand. Und das war die Marianne. Ein bisschen kratzbürstig vielleicht, dachte er. Aber das würde sich mit der Zeit sicher noch ändern.

Sicher, sie hatte dem Raimund erst einmal einen regelrechten Korb gegeben. Aber der junge Mann dachte nicht im Traum daran, so schnell aufzustecken und das Spiel verloren zu geben.

Ein Madel, in das man sich richtig verlieben könnte..., so ging es ihm durch die Gedanken. Das Madel war allerdings auch ein weiterer Grund dafür, sich nicht allzu bald als Erbe des Niedermayer-Xavers zu erkennen zu geben. Nein, dachte Raimund.

Wenn, dann will ich ihr Herz auf ehrliche Weise erringen, ohne damit locken zu müssen, dass ich der Besitzer der GOLDENEN GAMS bin!

 

*

 

Am nächsten Tag wunderte sich die Marianne, dass der neue Gast nicht zum Frühstück erschienen war. Sie klopfte mehrfach an die Zimmertür, aber Raimund Wiesner gab keine Antwort.

Soll er doch den Tag verschlafen!, dachte die Mariaqnne schließlich. Aber er sollte nicht denken, vielleicht zur Mittagszeit noch Frühstück zu bekommen!

Der Gast war zwar König in der GOLDENEN GAMS, aber das ging dann doch zu weit.

Merkwürdig war, dass auch die Sepha nirgends aufzufinden war. Und so blieb der Sendlinger-Marianne nichts anderes übrig, als alle anfallenden Arbeiten allein zu verrichten.

Seltsam war das schon. Wenn die Sepha ansonsten etwas zu erledigen gehabt hatte, dann hatte sie immer zuvor Bescheid gesagt.

"Hat sie dir net wenigstens ein Wörtel gesagt?", wandte sich das Madel an Jakob Bergener, der schon seit ewigen Zeiten der Koch in der GOLDENEN GAMS war und gerade seine Frühstückspause machte.

Der Bergener-Jakob war ein mittelalter, rundlicher Mann, der wohl so rund geworden war, weil er seine eigenen Mahlzeiten so gerne ausgiebig abschmeckte.

Er wischte sich mit der Hand über die Stirn und schüttelte dann den Kopf.

"Mei, gesagt hat mir die Sepha nix, aber..."

"Aber was?"

Der Bergener seufzte und sah die Marianne einen Moment lang nachdenklich an. "Mei, ich weiß net, ob ich dir das sagen soll!"

"Meinst vielleicht, dass ich net vertrauenswürdig bin?", empörte sich das Madel und stemmte dabei die schlanken Arme wütend in die Hüften.

Der Koch hob abwehrend die Hände.

"Geh, Marianne, wie kannst nur so etwas denken!"

"Dann heraus mit der Sprache, was ist los? Du weißt doch etwas!"

Der Koch druckste noch etwas herum. "Du weißt, dass ich eigentlich nix davon halte, Gespräche zu belauschen. Und ich hab ja auch nur ganz zufällig mitangehört, wie die Sepha telefoniert hat..."

"Worum ging es?", hakte das Dirndl nach. Sie wollte jetzt einfach nicht locker lassen. Hier ging es um irgend etwas Wichtiges, das hatte sie instinktiv im Gespür.

"Mei..."

"Na komm schon, Jakob! Lass mich net so im Regen dastehen!"

"Aber zu niemandem auch nur ein einziges Sterbenswörtl, hast gehört?"

Marianne hob die Hand und deutete einen Schwur an.

"Zu niemandem!", erklärte sie feierlich.

Der Koch atmete tief durch und kratzte sich nachdenklich am Kinn. Dann berichtete er: "Also, alles hab ich auch net mitbekommen, aber sie hat wohl mit dem Anwalt telefoniert, der immer die Interessen des Niedermayers vertreten hat..."

Marianne runzelte die Stirn. Sie ahnte, dass das nur etwas damit zu tun haben konnte, er die GOLDENE GAMS nun erben würde...

"Ist vielleicht doch noch ein Testament aufgetaucht? Dann kommt dieser Anwalt aber ziemlich spät damit heraus, sollte der Niedermayer es bei ihm zur Aufbewahrung gegeben haben..."

Doch der Koch schüttelte den Kopf.

"Na, das glaube ich weniger. Es ging um einen Verwandten des Niedermayers..."

"Ich dachte, er hatte niemanden mehr..."

"Mei, das hat die Sepha wohl auch gedacht und dem Anwalt dann erklärt, über wie viele Ecken sie selbst mit dem Niedermayer verwandt gewesen sei. Aber dieser andere ist wohl enger verwandt gewesen. Ich hab nur gehört, wie die Sepha dann noch schreckensbleich ausrief, dass dieser Mann dann ja jeden Augenblick hier auftauchen könnte, um sein Erbe in Besitz zu nehmen..."

Marianne wirkte auf einmal sehr nachdenklich.

Wenn das der Wahrheit entsprach, veränderte das natürlich alles.

Der Koch zuckte seine breiten Schultern und meinte mit einem aufmunternden Lächeln: "Mei, wir sollte einfach abwarten, was kommt!"

"Ja", nickte Marianne in sich gekehrt. "Etwas anderes wird uns wohl auch gar net übrig

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: (C) ALFRED BEKKER CASSIOPEIAPRESS
Bildmaterialien: Steve Mayer
Tag der Veröffentlichung: 28.01.2015
ISBN: 978-3-7368-7412-1

Alle Rechte vorbehalten

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