Alfred Bekker
Die Fehde vom Bergsee
Roman
© by Alfred Bekker
All rights reserved
Ein CassiopeiaPress Ebook
Ausgabejahr dieser Edition: 2011
****
"Vorsicht!" rief der Waldner Franzl, als das Boot plötzlich heftig hin und her schaukelte. "Franziska! Lisa! Seid ihr denn jetzt ganz narrisch geworden! Wo habt ihr denn eure Gedanken?"
Sie waren zu dritt auf dem kleinen Boot - der Waldner Franzl und seine beiden Töchter. Und das bedeutete nicht nur, daß es ziemlich eng war, sondern daß jeder der drei auch sehr genau auf seine Bewegungen achtgeben mußte, damit das Fischerboot nicht kenterte. Zwar waren sie alle drei gute Schwimmer, aber nach einem unfreiwilligen Bad im eiskaltem Wasser des Bergsees stand dem Waldner nicht der Sinn.
Und von seinen Töchtern war das eigentlich auch nicht anzunehmen.
Die beiden bildschönen Madln sahen ihren Vater etwas erschrocken an.
"Mei, was ist denn los mit euch?" fragte der Waldner.
"Wenn man mit dem Fischerboot auf den See fährt, ist das net gerad' der rechte Moment, um herumzuträumen..."
"Geh, Vater! Reg dich net auf, es ist ja nochmal gutgegangen!" erwiderte Franziska.
Der Waldner atmete tief durch.
"So gerade eben", gab er dann zu. Seine umwölkte Stirn hatte sich unterdessen aber schon wieder sichtbar geglättet.
Wirklich böse sein konnte er den beiden Dirndln sowieso nicht.
Die Sonne stand schon tief über den schneebedeckten Gipfel, die den Kreuztaler See umgaben. Das Abendrot spiegelte sich auf der azurblauen Wasseroberfläche.
Der Waldner Franzl genoß diesen Anblick jedesmal aufs Neue, wenn er mit seinem Boot hinausfuhr. Das gewaltige Panorama der Bergwelt beeindruckte ihn immer wieder.
Daran hatte sich in all den Jahrzehnten nichts geändert, in denen er nun schon seine Fischerei auf diesem malerischen Bergsee betrieb, dessen glasklares Wasser überall seinesgleichen suchte.
Zusammen mit seinen Töchtern Franziska und Lisa war er mit dem Boot hinausgefahren, um die Reusen zu leeren. Die beiden Madln waren zu hübschen, jungen Frauen herangewachsen und halfen fleißig im elterlichen Fischerei-Betrieb mit.
Franziska war die jüngere der beiden. Sie hatte blondes, leicht gelocktes Haar, daß sie mit einem Haarband zu bändigen pflegte. Ihre himmelblauen Augen waren von derselben Farbe wie die Oberfläche des Kreuztaler Sees bei gutem Wetter.
Ihre ältere Schwester Lisa hatte etwas dunkleres, aber immer noch blondes Haar, das ihr bis auf die Schultern herabfiel. Sie galt allenthalben als die Temperamentvollere und Mutigere der beiden. Und so hatte Franziska nicht selten das Gefühl, etwas ins Hintertreffen zu geraten - besonders wenn es darum ging, einen der feschen Burschen aus der Gegend anzusprechen.
Lisa wagte mehr und auf grund ihrer charmanten Art gewann sie auch fast immer. Sich einen Korb einzufangen, davor hatte das Madl keine Angst. Außerdem spielte sie ganz gerne mit dem Feuer. Franziska war da von etwas vorsichtigerer und nachdenklicherer Natur.
Im ganzen waren die beiden Schwestern allerdings meistens ein Herz und eine Seele - trotz oder gerade wegen ihrer Unterschiedlichkeit.
Der Waldner mochte gar nicht daran denken, was geschehen würde, wenn die beiden Madeln irgendwann einmal nicht mehr im Betrieb mithalfen. In diesem Fall mußte er dann einen Gehilfen anstellen. Auch wenn seine Frau ihm schon seit längerem riet, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen, so wollte der Fischer davon doch erst einmal nichts wissen.
"Geh, Vater, du mußt schon ein bisserl aufpassen, daß du net vom Kurs abkommst!" sagte die Franziska plötzlich.
Franzl Waldner stellte fest, daß seine Jüngere recht hatte.
Er war so in Gedanken gewesen, daß das Boot jene Uferstelle mit ziemlicher Sicherheit verfehlt hätte, an der die Reusen festgemacht waren. Selbst ohne Fernglas konnte man sie jetzt bereits sehen. Die Pflöcke, an denen sie befestigt waren, ragten leicht über die Wasseroberfläche.
Der Waldner riß die Pinne des Außenbordmotors herum, so daß das Boot auf Kurs kam.
"Mei, ich war halt ein bisserl in Gedanken", sagte der Waldner. "Aber das gilt heute ja wohl net allein für mich, geh?"
Sie erreichten gerade die Reusen, da tauchte in der Ferne ein weißes Kajütboot auf und die drei blickten einige Augenblicke lang wie gebannt dorthin.
"Das ist die BERGSEE-KÖNIGIN", stellte Lisa fest und begann zu winken.
"Geh, Lisa!" meinte die Schwester. "Auf die Entfernung sieht dich doch sowieso niemand!"
"Der Martin wird mich schon bemerken!" meinte Lisa selbstbewußt. "Wer weiß, vielleicht schaut er gerade jetzt mit dem Fernglasl in unsere Richtung..."
"Das ist doch Schmarrn!" stieß Franziska hervor.
"Mei, was bist denn so kratzbürstig!"
"Du tust ja gerade so, als wärst gut bekannt mit dem Martin!"
"Und was würdest du sagen, wenn ich's wär?"
"Dann würde ich sagen, daß du da gewiß net allein bist, Schwesterherz!"
"Ich weiß gar net, was du hast, Franziska! Du hast doch deinen Peter! Was ist denn dagegen einzuwenden, daß ich's mir genau anschau, wenn ein neues Mannsbild in der Gegend auftaucht!"
"Gegen das Schauen hat auch keiner was gesagt, Lisa!"
Der Waldner hatte seinen beiden Töchtern eine Weile erstaunt zugehört. "Mei, was ereifert ihr euch denn? Der Brandner Martin hat scheinbar einen nachhaltigen Eindruck auf euch gemacht...."
Lisa zuckte die Achseln. "Ganz fesch ist er ja..."
"...aber wie man so hört, läßt er ja nix anbrennen!"
ergänzte Franziska.
Lisa sah ihre Schwester mit erstauntem Gesicht an.
"Das braucht ja deine Sorge net zu sein - oder?"
Martin Brandner war vor einiger Zeit am Kreuztaler See aufgetaucht und hatte eine Tauchschule eröffnet. Dem Waldner hatte es erst gar nicht gefallen, daß dadurch mehr Touristen in die Gegend gezogen wurden. Mißtrauisch hatte er das Kajütboot des Brandners betrachtet und schon geargwöhnt, daß das Treiben des Neulings vielleicht negative Folgen für den Fischfang haben könnte. Inzwischen war er zu der Erkenntnis gelangt, daß der strahlend blaue Kreuztaler See vielleicht doch groß genug für sie beide war.
"Nun verdreht mal net vollends eure Hälse!" meinte der Waldner schließlich, während seine beiden Töchter dem weißen Kajütboot nachblickten. "Oder wollen wir den Fang heute in der Reuse lassen?"
Die beiden Madln lachten und dann machten sich die drei ans Werk.
*
Es dämmerte schon, als der Waldner mit seinen Töchtern zum heimatlichen Fischerhaus zurückkehrte. Es lag idyllisch am Seeufer. Ein schmucker Bootssteg führte ins Wasser hinein.
Und ganz in der Nähe befanden sich ein paar Räucherstuben.
Schon von weitem sah Franzl Waldner, daß zwei Personen auf dem Bootssteg waren und ihnen zuwinkten. Die eine Person war seine Frau. Und bei der anderen handelte sich um den Niedermayer Peter.
"Scheint, als wäre Besuch für dich da!" brummte der Waldner zu Franziska. "Jedenfalls nehme ich an, daß der Niedermayer deinetwegen gekommen ist..." Der Waldner seufzte. "Mei, mußte es den ausgerechnet einer von denen sein?"
"Geh, Vater! Hast irgend etwas gegen den Peter vorzubringen? Er ist ein rechtschaffener Bursche - und für das, was damals unserem Bruder passiert ist, kann er nix!"
Das Gesicht des Waldners wurde düster.
"Eingebildet ist er, der Sohn des Großbauern! Hält sich wohl für was Besseres als unser eins!"
"Das ist net gerecht, was du jetzt sagst!" entgegnete Franziska sehr ernst.
Vor Jahren hatte der Waldner neben seinen beiden schmucken Töchtern auch einen Sohn gehabt. Xaver hatte er geheißen.
Zusammen mit Hans, dem älteren Sohn des Niedermayer-Bauern, war er zu einer waghalsigen Bergtour aufgebrochen. Die beiden jungen Männer waren in ein Unwetter hineingeraten und nicht zurückgekehrt. Später hatte man sie beide nur noch tot bergen können. Seitdem war der Waldner nicht gut auf alles zu sprechen, was den Namen Niedermayer trug, denn er machte Hans' Leichtsinn für den Tod seines Sohnes verantwortlich.
Allein, so pflegte er immer zu sagen, hätte der Xaver sich niemals auf ein so riskantes Unternehmen eingelassen.
Und nun ging seine Tochter mit dem jüngeren Sohn des Großbauern! Selbst von einer Verlobung war schon die Rede!
Der Waldner konnte es sich einfach nicht vorstellen, daß ihre beiden Familien auf diese Weise miteinander verbunden sein sollten. Allein der Gedanke daran war ihm schon unerträglich, denn jedesmal, wenn er den Peter sah, wurde er an diese tragische Geschichte erinnert. Die Wunde in seinem Inneren, die nur sehr langsam heilen wollte, wurde dann immer wieder aufs Neue aufgerissen.
Erschwerend kam noch hinzu, daß Peter Niedermayer seinem älteren Bruder wie aus dem Gesicht geschnitten war und sich darüber hinaus in seiner Freizeit auch, genau wie dieser, als eifriger Kletterer betätigte.
Unwillkürlich ballte der Waldner die Hände zu Fäusten, als er den Peter auf dem Steg stehen sah.
Kann der sich net ein anderes Dirndl aussuchen? ging es dem Fischer ärgerlich durch den Kopf. Muß es denn ausgerechnet meine Franziska sein?
Andererseits war Franzl Waldner Realist genug, um zu wissen, daß er nichts dagegen unternehmen konnte. Aber vielleicht, so hoffte er nach wie vor, würde das Madl doch noch zur Besinnung kommen und sich anderswo nach einem geeigneten Mann umschauen.
Manchmal wünschte er sich sogar, daß Franziska etwas mehr von der Leichtlebigkeit ihrer Schwester gehabt hätte. Dann hätte sie den Bauernsohn gewiß längst vergessen gehabt, war er überzeugt.
"Ich sag dir, der ist nix für dich!" meinte er, obwohl er wußte, daß Franziska ihm kaum zuhören würde. "Der Peter ist genauso leichtsinnig wie sein Bruder war. Du willst es nur net wahrhaben!"
"Weil es auch net der Wahrheit entspricht, Vater!"
versetzte Franziska bestimmt.
"Geh, Madl! So gut kannst ihn noch gar net kennen", schüttelte der Waldner den Kopf. "Der Peter ist doch mit dem goldenen Löffel geboren. Genau wie sein Bruder! Und nur deshalb ist er so leichtsinnig. Laß es dir gesagt sein."
"Ach Vater! Wenn du die Vergangenheit doch nur vergessen könntest!"
"Vergessen?" fragte der Waldner etwas unwirsch. "Du sprichst von deinem Bruder!"
Franziska seufzte.
"Das vergesse ich schon net. Darauf kannst dich verlassen!
Aber ein bisserl freundlicher könntest trotz alledem zum Peter sein..."
Das Boot erreichte bald den Steg. Franziska sprang an Land und machte es mit geschickten Handgriffen fest.
Ihre Mutter begrüßte die Ankömmlinge mit einem herzlichen Lächeln. "Früh seit ihr diesmal zurück", stellte Maria Waldner fest. "Ich hoffe nur, daß auch etwas in den Reusen war!"
"Mei, ein bisserl war es schon", murmelte die Franziska und blickte geradewegs an ihrer Mutter vorbei.
"Ja, du hast Besuch, mein Kind", kommentierte die Waldnerin. Dann beugte sie sich etwas vor und murmelte in gedämpftem Tonfall: "Tu mir einen Gefallen und laß es heut'
abend net zu spät werden..."
"Na, das wird es schon net!" erwiderte Franziska.
Und diese Erwiderung hatte ihren guten Grund.
In letzter Zeit hing zwischen den beiden nämlich ein bißchen der Haussegen schief. Nicht, daß sie sich lauthals gestritten hätten, aber der Peter redete dauernd vom Heiraten und das Madl war sich einfach nicht sicher, ob sie dazu schon bereit war. Irgendwie fühlte sie sich für solche Gedanken noch ein bißchen zu jung. Erst einmal etwas vom Leben haben, bevor man sich die ganze Verantwortung auf den Hals läd! so sagte eine Stimme in Franziska. Es gab da noch eine zweite, widerstreitende Stimme, der es eigentlich kaum schnell genug damit gehen konnte, vor den Altar zu treten und einen eigenen Hausstand zu gründen. Aber die zweite Stimme war im Moment noch die Schwächere.
"Grüß dich, Peter", seufzte sie, als sie dem Sohn des Niedermayer-Bauern gegenüberstand. "Das ist nett, daß du vorbeischaust..."
Einträchtig gingen sie den Steg entlang und erreichten schließlich das feste Land. Weil das Seeufer recht flach war, ragte der Steg ziemlich weit in den See hinein.
Der Niedermayer Peter war ein fescher Bursche.
Hochgewachsen, mit breiten Schultern und hellwachen Augen, mit denen er das Madl begehrlich anblickte.
"Mei, selbst in deiner Arbeitskleidung siehst hübsch aus, Franziska", meinte er anerkennend. "Und die ist ja nun net gerade figurbetont..."
"Geh, Peter..."
"Das war als Kompliment gemeint!"
Franziska lächelte.
"Ich hab's auch so aufgefaßt. Aber du übertreibst damit ein bisserl!"
"Ich seh das schon richtig..."
"Ich werde mich trotzdem erstmal umziehen, bevor wir zwei was unternehmen... und ich denke, da wirst wohl kaum etwas dagegen einzuwenden haben!"
Eine halbe Stunde später spazierten die beiden etwas abseits des Fischerhauses am Seeufer entlang. Die Berge rings um den Kreuztaler See herum strahlten in den unterschiedlichsten Rottönen. Die weißen Flächen der hochgelegenen Schneehänge leuchteten hell. Die Sonne sank immer tiefer und würde bald hinter den gezackten Gipfeln verschwinden. Schon lagen große Schatten auf dem Hochwald und den Almen.
Hand in Hand gingen die beiden jungen Leute eine ganze Weile lang schweigend am Ufer entlang. Ein aufkommender Fallwind kräuselte die Wasseroberfläche und begann, kleinere Wellen zu erzeugen.
"Mei, ich versteh net, warum du die Sache noch so weit hinauszögern mußt, Franziska", begann schließlich der Peter mit dem Thema, das das Madl schon die ganze Zeit über gefürchtet hatte und dessentwegen sie sich auch gar nicht mehr so richtig auf die Treffen mit dem feschen Bauernsohn freute. "In ein oder zwei Monaten könnte Verlobung sein und im Herbst dann die Hochzeit! Bei uns auf dem Hof ist Platz genug, um das ganze Dorf einzuladen! Mei, das würde ein Fest..."
"Geh, Peter - hat das net noch Zeit?"
"Aber wenn man sich doch liebt!"
"Auf der einen Seite hast ja recht - aber..."
Franziska sprach nicht weiter. Sie stockte und brach ab. Zu ungeordnet waren die Gedanken in ihr, als daß nicht etwas über ihre Lippen kommen würde, das sie später vielleicht bereut hätte.
Sie wollte Peter nicht verletzen. Und eigentlich mochte sie ihn ja auch wirklich gern.
Könnte er mir net einfach ein bisserl mehr Zeit lassen?
ging es dem Madl durch den Kopf. Sie konnte es nicht ausstehen, zu etwas gedrängt zu werden. Das war schon als Kind so gewesen und ihre Eltern hatten das hin und wieder seufzend zur Kenntnis nehmen müssen.
"Aber was?" hakte Peter jetzt nach.
Sie blieben stehen.
Ihre Blicke trafen sich. Peter faßte sie bei den Schultern.
Auf seiner Stirn stand eine ernste Falte.
Franziska öffnete halb die Lippen. Sie wollte etwas sagen, brachte aber nicht einen einzigen Ton heraus. Ein Kloß saß ihr im Hals.
"Es ist wegen deines Vaters, net wahr?" stellte Peter dann fest.
"Na..."
"Gib's doch ruhig zu! Wir zwei können doch ehrlich miteinander sein! Ich nehme net an, daß dein Vater dir gegenüber anders redet, als er es sonst im Dorf tut, wenn er zum Beispiel beim Wirt am Schanktisch sitzt!"
"Peter..." versuchte Franziska ihren Liebsten zu beruhigen.
Aber das war im Grunde sinnlos.
Eigentlich hatte er ja recht, was die Einstellung des Waldners anging.
Nur stimmte es nicht, daß diese nun etwa der tiefere Grund dafür gewesen wäre, daß Franziska bislang auf Peters Heiratsabsicht eher zurückhaltend reagiert hatte. Über die Ablehnung ihres Vaters hätte sich das willensstarke Madl notfalls hinweggesetzt. Irgendwann, so war ihre Überzeugung, hätte der dann schon seinen Groll aufgegeben. Spätestens dann, wenn sich Enkel einstellten.
"Dein Vater glaubt, daß ich genauso wär wie mein Bruder.
Das ist doch richtig, oder? Und den macht er für den Tod seines Sohnes verantwortlich - obwohl der Xaver gewiß ein genauso risikofreudiger Kletterer gewesen ist wie der Hansi!"
"Mei, das mag schon sein, Peter!"
"Mach ich vielleicht deine ganze Familie dafür verantwortlich, daß mein Bruder in den Bergen ums Leben gekommen ist? Das ist doch einfach lächerlich so etwas. Die zwei waren Freunde, haben sich in Gefahr begeben und leider das Risiko falsch eingeschätzt. Das ist alles. Und so traurig das auch sein mag - aber soll diese Geschichte vielleicht die Zukunft vergiften? Unser Leben?"
"Ach, Peter..."
"Dein Vater wird schon über seinen Schatten springen...", war der Bauernsohn überzeugt. Ihrer beider Blicke trafen sich, verschmolzen für Augenblicke miteinander. Franziska hatte in diesem Moment fast das Gefühl, seine Gedanken lesen zu können. Er hingegen schien nichts von dem erfaßt zu haben, was in ihr vorging.
Franziska seufzte.
"Mit meinem Vater hat das nix zu tun", sagte sie dann.
Peter sah sie etwas erstaunt an.
Einen Augenblick lang sagte er kein Wort. Dann ließ er ihre Schultern los.
"Womit dann?" fragte er nach. "Bist dir vielleicht doch net so sicher, ob du mich liebst? Glaubst vielleicht, daß da noch was Besseres kommt?"
Peter atmete tief durch. Es war ihm anzusehen, wie sehr er innerlich aufgewühlt war.
"Peter, wie kannst nur so etwas denken!" erwiderte Franziska. "Natürlich liebe ich dich... Ich möchte halt nur, daß wir uns etwas mehr Zeit geben. Wir sind doch jung! Läuft uns die Hochzeit vielleicht davon?"
Peter schüttelte den Kopf.
"Ich versteh dich net, Franziska. Tut mir leid." Er schüttelte wütend den Kopf.
Nun war es also richtig zum Hader zwischen ihnen beiden gekommen. Das hatte Franziska immer befürchtet. Deswegen war sie auch Peter gegenüber bislang nicht mit der vollen Wahrheit herausgekommen.
Doch nun war es geschehen. Und Worte, die einmal gesprochen waren, konnte man nicht wieder zurückholen.
"Ich frage mich, was wirklich hinter deiner Zögerlichkeit steckt, Franziska... oder besser gesagt: wer!"
"Peter!"
"Mei, man muß doch nur eins und eins zusammenzählen, um darauf zu kommen..." Peter faßte sich an den Kopf. "Nun ergibt alles plötzlich einen Sinn..."
"Peter! Das ist doch net wahr, was du da sagst!"
"Ach, nein?"
Peter hatte die Hände zu Fäusten geballt.
"Laß uns doch in Ruhe über alles reden. Mei, was ist schon dabei, wenn wir die Sache net so überstürzen?"
"Vielleicht ist es wirklich besser, wenn wir alles noch einmal überdenken, Franziska."
"Was soll das heißen?" fragte Franziska tonlos.
"Genau das, was ich gesagt habe. Net mehr und net weniger..."
"Aber da ist wirklich kein anderer, Peter! Das mußt du mir glauben!"
Franziska nestelte am Jackenkragen des Niedermayer Peters herum.
Dieser knurrte etwas Unverständliches vor sich hin.
"Mei, lange kannst mir doch sowieso net bös sein, Peter!
Also laß es besser ganz!"
"Ganz narrisch machst einen!" erwiderte Peter. Aber sein Gesicht war schon wesentlich weniger ärgerlich. Doch ein gewisses Mißtrauen blieb. Und Franziska wußte nur zu gut, daß sie dies auch nicht im Handumdrehen ausräumen konnte.
Schließlich gab sich Peter einen Ruck. Er legte den Arm um Franziska, und sie schmiegte sich an seine Schulter.
"Mußt net alles so ernst nehmen, was ich daherrede", meinte er dann. "Aber die Sache hat mich halt so aufgewühlt... Im Grunde will ich doch nix anderes, als mit dir zusammen glücklich werden, Franziska..."
*
Martin Brandner blickte von der Veranda seiner Tauchschule aus auf den abendlichen Bergsee. Das Kajütboot, mit dem er seine Tauchschüler hinausfuhr, lag gut vertäut an der Anlegestelle. Thomas Hofer, sein Gehilfe, hielt eine Angel in der Hand, aber das Glück war ihm nicht hold. Immer wieder warf er den Köder aus, aber an diesem Abend war es wie verhext. Er bekam nichts an den Haken.
"Laß es gut sein, Thomas!" rief Martin. "Heute fängst du doch nix mehr!"
Thomas Hofer sah das etwas später selbst ein. Er rollte die Angelschnur ein und kehrte in Richtung der Tauchschule zurück.
Martin Brandner hatte sie in einem leerstehenden Fachwerk-haus eingerichtet, das zuvor schon jahrelang leer gestanden hatte.
"Mei, was machst denn für ein griesgrämiges Gesicht, Martin?" meinte Thomas. Er war einige Jahre älter als sein Arbeitgeber und hatte zuvor als Großknecht auf einem der umliegenden Höfe gearbeitet. "Das Geschäft geht doch net schlecht!"
"Hast du eine Ahnung!" murmelte Martin, und sein Gesicht verfinsterte sich dabei etwas.
Thomas sah Martin verwundert an.
"Mei, was soll das denn heißen? Waren denn net genug Touristen auf dem Boot, die sich die Taucherei zeigen lassen wollten? Mehr hätten wir doch kaum verkraften können - es sei denn du stellst noch ein paar Hilfskräfte ein. Aber so leicht wird wohl niemand zu finden sein, der genug vom Tauchen versteht..."
"Unsere Kosten sind einfach zu hoch, Thomas. Und jetzt am Anfang drückt natürlich auch noch ein Berg Schulden. Ich muß mir was überlegen."
"Ich versteh das net", schüttelte Thomas den Kopf. "Die Tauchschule ist doch gut angelaufen..."
"Nicht gut genug, Thomas", entgegnete Martin Brandner. "Ich will dir keine Angst machen, aber die Situation ist so ernst, daß es im Handumdrehen vorbei sein kann."
"Ich würde das sehr bedauern", meinte Thomas dann, nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte. "Schon deshalb, weil ich die Arbeit sehr gerne mache... aber wenn's hart auf hart kommt, dann kann ich jederzeit beim Bauern wieder anfangen!"
"Ich hoffe net, daß es soweit kommt!"
Thomas Hofer nickte. "Es wird sich schon eine Lösung ergeben."
"Dein Wort in Gottes Ohr!"
"Mit ein bisserl mehr Zuversicht lebt es sich doch entschieden leichter!"
Martin Brandner schwieg dazu, dachte sich aber seinen Teil. Du hast gut reden! ging es ihm durch den Kopf. Dein Geld ist es ja auch net, von dem alle Ausgaben bestritten werden müssen!
Daß es am Anfang nicht leicht sein würde, so ein Geschäft aufzubauen, damit hatte er gerechnet.
Aber daß er schon nach so kurzer Zeit mit einem Bein im Ruin stand, das konnt er selbst noch kaum glauben. Aber die Zahlen ware eindeutig.
So oft er darin auch herumrechnete, sie wurden dadurch einfach nicht rosiger. Sollte ich mich wirklich so verschätzt haben? ging es ihm durch den Kopf. Das Tauchen war seine Leidenschaft und vielleicht hatte ihn das blind und leichtsinnig gemacht.
"Vergiß net, das das größte Kapital für uns dort liegt!"
hörte er nun die ermunternde Stimme seines Gehilfen, der bei diesen Worten hinaus auf den See deutete. "Es dürfte kaum ein Gewässer mit so klarem Wasser geben. Ein Paradies für jeden Taucher!"
"Mei, ich weiß", seufzte Martin. "Aber was auch immer werden wird - dieser Tag ist erstmal vorbei... Für heute ist jedenfalls Feierabend und ich werde versuchen, keinen Gedanken mehr an die Zahlen zu verschwenden!"
Das war natürlich ein Wunsch, der sich wahrscheinlich nicht realisieren ließ. Die Sorgen würden Martin Brandner nicht loslassen, so sehr er sich das auch gewünscht hätte.
Thomas nickte und verabschiedete sich.
Einen Augenblick später hörte Martin ihn mit dem Wagen davonfahren.
Nachdenklich blickte der Brandner Martin dann eine ganze Weile auf das weiße Kajütboot. Ein schöner Anblick, wie es da am Steg lag. Martin hatte viel in das Boot investiert. Ich hoffe nur, daß ich das alles halten kann! ging es ihm durch den Kopf.
*
Als Lisa Waldner die Tauchschule an diesem Abend erreichte, sah sie den Brandner Martin in der Nähe des Steges. Lisa war am Flußufer entlanggegangen.
Aber es war durchaus kein Zufall, daß ihr Spazierweg sie geradewegs an der Tauchschule vorbeiführte. Sie hatte gehofft, den Martin hier zu treffen. Natürlich sollte es ganz zufällig aussehen.
Und wie es schien, sollte das Madl Glück haben.
Martin Brandner war sogar allein!
Lisas Herz schlug etwas schneller.
Seit sie den Martin zum ersten Mal gesehen hatte, mußte sie dauernd an ihn denken. Immer wieder kreisten ihre Gedanken und Empfindungen um diesen Fremden, der zum Kreuztaler See gekommen war, um hier Touristen das Tauchen beizubringen. Gut sieht er aus! dachte Lisa. Das dunkelblonde, leicht gewellte Haar, die hochgewachsene Gestalt...
Jetzt nur net den Mut verlieren! ging es ihr durch den Kopf.
Die Madln aus Kreuztal waren ganz narrisch, seit Martin Brandner in die Gegend gekommen war. Und fast immer sah man ihn in Begleitung. Beim Dorftanz rissen sich die Dirndln geradezu um die Chance, mit dem Martin über den Tanzboden zu wirbeln. Er war inzwischen überall als heiterer, geselliger Mensch bekannt, der gerne scherzte und ein gekonnter Süßholzraspler war. Aber so recht festgelegt hatte er sich bislang wohl noch nicht. Jedenfalls hoffte Lisa, daß es so war.
Sie faßte sich ein Herz und ging weiter.
"Servus", grüßte sie, als er sich eher zufällig nach ihr umdrehte.
Er nickte ihr zu.
"Servus....!" Sein Lächeln wirkte sympathisch. Der Blick seiner braunen Augen ging Lisa durch und durch. "So allein am Abend?"
"Mei, es ist halt nix los heute im Dorf."
"Freilich, da sprichst ein wahres Wort!"
"Aber das größte Schauspiel findet hier sowieso täglich statt." Sie deutete zu der Kette schroffer Gipfel, hinter der die Sonne inzwischen versunken war.
"Du meinst den Sonnenuntergang am Kreuztaler See?"
"Ja. Ich glaub, mir wird es auch in Jahren noch net lang, das anzuschauen!"
Martin zuckte die Achseln. "Ich bin zwar noch net so lang hier, aber ich kann wohl nachempfinden, was du meinst..."
Er zog ein wenig die Augenbrauen zusammen, als er sie musterte.
"Bist du net die Waldner Franziska?" fragte er dann. "Die Tochter des Fischers?"
Lisas Gesicht wurde dunkelrot, teilweise vor Scham, zum anderen Teil aus Wut.
"Na, ich bin net die Franziska!" erwiderte sie, wobei sie sich große Mühe geben mußte, einen gekränkten Unterton zu verbergen. Das fing ja gut an! Verwechselte dieses Mannsbild sie einfach mit ihrer Schwester!
Bin ich denn so unscheinbar? ging es ihr ärgerlich durch den Kopf.
Im allgemeinen war es so, daß sie die Kontaktfreudigere und Mutigere von beiden war, so daß man ihren Namen daher auch schneller in Erinnerung behielt. Daß es mal umgekehrt sein könnte, paßte Lisa überhaupt nicht.
"Mei, aber..."
"Ich bin Lisa Waldner, net Franziska. Das ist meine Schwester!"
"Tut mir leid, dann habe ich euch wohl verwechselt!"
Lisa versuchte so zu tun, als hätte ihr das überhaupt nichts ausgemacht. Sie zuckte die schmalen Schultern und meinte: "Woher solltest du dich auch an mich erinnern? Wir haben uns ja auch auf dem Dorftanz letzte Woche nur einen Tanz lang in den Armen gehalten..."
Ein bißchen Verschnupftheit klang nun aber doch aus ihren Worten heraus.
Und Martin bemerkte das.
Er sah sie an.
"Mei, ich hab vielleicht den Namen verwechselt - aber das Gesicht, das hab ich net vergessen!" behauptete er. "Ich meine, was ist schon ein Name? Es gibt sogar hier in Kreuztal mehrere Madln, die Franziska oder Lisa heißen! Aber mit einem Gesicht ist das ganz etwas anderes... Das ist einmalig. Und deins ganz besonders..."
Lisa hob den Kopf.
"Ach, daß sagst jetzt so..."
"Ich sag nix, was ich net auch so meine!" erwiderte Martin im Brustton der Überzeugung.
"Ach, wirklich?"
Sie mußten beide lächeln.
"Freilich!" bekräftigte Martin.
"Komisch, aber dir geht da ein ganz anderer Ruf voraus, Martin!"
Er näherte sich ihr etwas. Sie standen jetzt nur noch etwa einen Schritt voneinander entfernt. Der Anfang ist gemacht! dachte Lisa. Er sah sie auf eine Weise an, die ihr gefiel.
Sie glaubte Schmetterlinge in ihrem Bauch zu haben.
Und gleichzeitig erhob sich eine warnende Stimme in ihrem Inneren. Sei auf der Hut! sagte diese Stimme. Du wärst net die Erste, die auf dieses umwerfende Lächeln schon hereingefallen ist und anschließend keinen freien Willen mehr hatte.
"Mei, wie das halt so ist, wenn ein Fremder in ein Dorf wie Kreuztal kommt", meinte Martin dann, während Lisa wie gebannt an seinen Lippen hing. Der Klang seiner Stimme schien sie zu verzaubern. "Es wird eben viel geredet über den, der als Fremder kommt! Das ist gewissermaßen ein Naturgesetz.
Aber ich kann dich beruhigen! Das meiste von dem, was du wahrscheinlich gehört hast, stimmt net!"
"Daß du ein Süßholzraspler erster Klasse bist, stimmt aber!" erwiderte Lisa in gedämpftem Tonfall. "Davon habe ich mich heuer selbst überzeugen können..."
Martin zuckte die Achseln.
"Was bleibt mir anderes übrig - wenn ich unverhofft einem so schönen Dirndl begegne?"
"Jetzt tust du es wieder!"
"Freilich - ich werde durch deine Anwesenheit förmlich dazu gezwungen!"
Sie lachten beide.
Und dann verschmolzen für einem Moment ihrer beider Blicke miteinander.
Sie schwiegen, lauschten einen Augenblick den kleinen Wellen, die der von den Bergen herabwehende Fallwind auf der Seeoberfläche bildete und die in einem steten Rhythmus ans Ufer spülten.
"Es freut mich sehr, daß wir uns heute abend hier getroffen haben", sagte Martin dann. Und das meinte er wirklich so, denn Lisas Anwesenheit hatte genau das bewirkt, wonach er sich zuvor so gesehnt hatte.
Martin hatte die Sorgen, die ihn plagten, für eine kurze Zeit vollkommen vergessen.
"Es muß dabei net bleiben", sagte sie dann. "Ich komme öfter hier vorbei..."
"Warum habe
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: (C) ALFRED BEKKER CASSIOPEIAPRESS
Bildmaterialien: STEVE MAYER
Tag der Veröffentlichung: 13.01.2015
ISBN: 978-3-7368-7087-1
Alle Rechte vorbehalten