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Im Dienste des Königs der Min‘dar

von Hendrik M. Bekker

 

Ein CassiopeiaPress E-Book

© by Author

© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

www.postmaster@alfredbekker.de

 

Der Umfang dieses Ebook entspricht 86 Taschenbuchseiten.

 

 

Erster Teil: Drachenjagd

Derut reichte Mandagar ein Stück Zwieback. Dieser verzog angewidert das Gesicht. „Schon wieder?“, fragte er genervt.

Derut nickte. „Reicht halt nicht für ein Festmahl“, stellte er fest.

Während Derut kurzgeschorenes Haar trug, hatte Mandagar sein Haar in dicken verfilzten dunklen Locken mit einem Band notdürftig gebändigt. Sie kauten beide eher lustlos auf ihren Zwiebackstücken herum und sahen in die Flammen. Die dritte Gestalt am Feuer hatte ähnlich lange Haare wie Mandagar, doch ihre waren rötlich. Vor sich hatte sie eine kleine Kochschüssel, in der sich Wasser befand. Sie sah auf das Wasser, doch schien ihr Blick viel weiter zu gehen. Ihre Augen blickten in weite Ferne.

„Siehst du ihn?“, fragte Mandagar.

Sie schüttelte langsam den Kopf. „Ich spüre ihn. Aber ich sehe nichts“, erklärte sie. Sie wirkte immer noch etwas abwesend. Das Wasser im Topf begann immer wieder Wellen zu schlagen, ohne dass etwas die Erschütterungen auszulösen schien. „Er ist keiner von den großen Klugen, die reden können. Aber er ist dennoch unsichtbar in der Magie.“

Mandagar nickte. „Du wirst ihn heute nicht finden, lass gut sein.“

Sie sah ihn an und hob fragend die Augenbrauen. „Du wusstest es?“

„Natürlich“, erwiderte er. „Irgendwie muss ein Vater doch die Fortschritte seiner Tochter verfolgen können. Hinterher bringe ich dir noch Dinge bei, für die du viel zu unbegabt bist.“

Sie verzog den Mund schmollend, lächelte dann aber. „Ich hätte es mir denken können. Na gut, ist Osten also in Ordnung?“

Er nickte. „Er bleibt in der Nähe des Waldes. Ich bin gespannt, wie die Min‘dar das finden.“

Er reichte Selia ein Stück Zwieback aus dem Rucksack.

Entnervt stieß sie die Luft zwischen ihren Zähnen aus.

„Schon wieder Zwieback?“

Derut lachte leise.



1

„Was noch?“, fragte Zathurel der Zweite, König der Min‘dar Galathams, das man oft auch das Mittelland nannte. Elb oder Elf war nur das Wort, das die Menschen manchmal gebrauchten, um sie zu betiteln. Zathurel war in direkter Linie ein Nachfahre der Min‘dar-Imperatoren, des Herrschergeschlechts des Imperiums, das vor Jahrtausenden über dieses Land beinahe uneingeschränkt geherrscht hatte. Inzwischen war der Min‘darische Machtbereich deutlich geschrumpft und einstige primitive Rassen und Spezies hatten sich weiterentwickelt. Die Menschen hatten ein neues Imperium gegründet und regierten seitdem über Galatham mit einem Bündnis, dem auch die Min‘dar angehörten. So war aus dem Imperator ein König geworden.

„Da wäre noch die Drachensichtung in den Ländereien, die an den Boshalarn grenzen. Es gab einige Tote, auch in der Nähe von Nitea“, erklärte Rethera. Er war die rechte Hand des Königs und eine auffallende Persönlichkeit. Er trug meist eine dunkle Robe und eine Augenbinde, denn die Fähigkeit zu sehen, hatte er bereits in jungen Jahren verloren. Er nahm nur noch durch die Magie die Welt wahr, was einem schwächeren Magier kaum möglich gewesen wäre. Doch im Gegensatz zu den meisten nur durchschnittlich magisch begabten Min‘dar war seine Begabung angeblich stark genug, um besser zu sehen, als er es mit seinen wahren Augen je könnte.

„Welche Justra wären verfügbar?“, fragte Zathurel. Er blickte durch die breite weiße Halle, in der er bis eben noch Audienzen abgehalten hatte. Marmorne Säulen erhoben sich zur Linken und Rechten. Er selbst stand auf einer erhöhten Plattform, einige Schritte entfernt vom Drachenzahn. Man nannte den Min‘darischen Königsthron so, da er aus einem unbekannten, weißen Material gefertigt war, das angeblich ein Drachenzahn sein sollte. In früheren Jahrhunderten, als das Min‘dar-Imperium gegen die Drachen Krieg geführt hatte, habe es solch große Exemplare noch gegeben, sagte man.

„Karthel und Nedatha wären verfügbar. Sie haben bisher immer zufriedenstellende Ergebnisse geliefert“, erklärte der Blinde. Der König nickte. „Lasst nach ihnen schicken.“


*


Karthel und Nedatha betraten die große Audienzhalle des Elbenkönigs in Mindithar. Sie waren schon öfter hier gewesen, trotzdem wirkte dieser gigantische Saal stets beeindruckend auf sie.

Karthel trug seine langen schwarzen Haare zu einem Zopf zusammengefasst und versuchte nicht allzu laut zu sein. Das war nicht einfach für ihn, obwohl er ein Min‘dar war. Sie bewegten sich zwar für menschliche Verhältnisse leise, jedoch war seine eigene Art empfindlicher. Er trug ein ledernes Wams, auf das kleine, matt bronzene Plättchen genäht waren. Jedes Plättchen war geprägt mit einem magischen Zeichen. Es verursachte bei jedem seiner Schritte immer ein leises Klingen, das für die Ohren seinesgleichen deutlich vernehmbar war. Seine beiden auf dem Rücken locker über Kreuz umgegürteten Schwerter wirkten leise im Vergleich zu diesem für manche Min‘dar störenden hohen Geräusch.

Nedatha hingegen wirkte unbeeindruckt wie eh und je. Kein einziger Tropfen Schweiß war auf seiner Glatze zu sehen, über die sich eine kunstvolle Tätowierung zog. Er trug ein ärmelloses Kettenhemd aus einem mattschwarzen Stahl, dazu ein um die Hüfte gegürtetes Schwert.

„Mein König“, sagten sie beide synchron, während sie auf ihr rechtes Knie vor ihrem König niedergingen.

„Ihr habt uns gerufen, wie können wir Euch dienen?“, begann Karthel das Gespräch.

„Ja, es gibt eine Reihe von blutigen Morden nahe Nitea und dem Boshalarn-Wald. Augenzeugen berichten überzeugt davon, dass ein Drache verantwortlich sein soll. Ihr sollt herausfinden, ob es tatsächlich ein Drache ist. Was es auch ist, beendet das Töten“, erklärte König Zathurel der Zweite.


*


Keine zwei Stunden später saßen Karthel und Nedatha in ihren Sätteln auf zwei weißen Pferden, die man ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Sie ritten hinaus aus der Stadt. Dabei benutzten sie den nördlichen Ausgang Mindithars, der durch das Penwala-Tor markiert wurde, ein großes Tor, das an den beiden Säulen und dem Bogen versehen war mit hunderten Szenen aus der Zeit des alten Imperiums. Beim Hinausreiten konnte Karthel Szenen sehen, die den Sklavenaufstand zeigten, den Krieg gegen die grauhäutigen Orks und auch den Roten Tod, die Seuche, die das Imperium heimgesucht hatte. Aber auch Bilder über den Krieg gegen die wilden Drachen waren im Torbogen verewigt, eine der leuchtendsten Stunden des Imperiums. Nedatha hatte Karthels Blick bemerkt und schüttelte den Kopf.

„Du weißt, dass dir der Anblick die Laune verdirbt“, stellte er sachlich fest und Karthel nickte.

„Der einstige Glanz. Was ist von dem Reich unserer Großväter geblieben? Wie konnten die kurzlebigen Rassen in solcher Zeit so mächtig werden?“, fragte Karthel.

„So sind wir, die Unsterblichen, in großer Not.

Unsterblich, selbstherrlich, arrogant herrschten wir,

nun holt uns der letzte Feind, der Rote Tod.

Expandierten immer weiter, endlos uns‘re Gier.

Im Niedergang ist nun unser altes Geschlecht.

Verloren wir die Macht, den Sinn fürs Recht.


Gedenket unserer schweren Stunde,

in der wir ernteten, was wir gesät.

Durch die Gezeiten bring ich Kunde,

in Hoffnung, dass ihr sie nicht verschmäht.

Den Min‘dar ist gegeben die Pflicht und Macht

zu halten über gerechter Welt die Wacht“, erwiderte Nedatha in einem alten Min‘dar-Dialekt. Es waren Verse aus Alfarich Herabthas Gedichten über den Roten Tod, eine Seuche, die das Imperium in früheren Jahrhunderten heimgesucht hatte. Er war ein Min‘dar-Dichter gewesen und hatte sich während des Niederganges immer mehr von seinesgleichen distanziert. Manche sagten, dass dadurch seine Gedichte und Texte einen faszinierenden Blick auf die Geschehnisse im Imperium gaben.

Nedatha mochte seine Gedichte im Gegensatz zu vielen anderen seines Volkes. Trotzdem waren Alfarichs Worte im Torbogen verewigt, wie viele andere Verse berühmter Min‘dar. Zathurel der Zweite hatte es dort hinzufügen lassen, in Gedenken an die Worte seines Vaters. Sein Vater, Zathurel der Erste, hatte, so erzählte man sich, seinem Sohn erklärt, dass die Min'dar nur zu ihrer Macht zurückkommen könnten, wenn sie einsähen, dass sie keine Herrenrasse seien. Sie sollten vielmehr ihre Macht und ihre Fähigkeiten nutzen, um zu den Hütern des Friedens zu werden.

Diese Ansicht hatte für heftige Diskussionen innerhalb des Imperiums geführt, die bis heute andauerten. Imperium, dachte Nedatha dabei bitter. Ein Königreich war es nur noch.

Schweigend ritten sie dann Richtung Nitea, immer nach Norden. Der Wald, der Mindithar dicht umgab und nur durch wenige den Min‘dar bekannte Pfade zu durchqueren war, lichtete sich langsam, während es dunkler wurde. Als der Mond aufging, erreichten sie die letzten Ausläufer von Buest‘Ithar, dem Ewigen Wald.



2

Nach drei Tagen erreichten sie das Ufer des Flusses Peria. Sie wandten sich nach Osten, denn nach den Karten, die Nedatha sich in der Stadt besorgt hatte, sollte es dort eine Fähre geben.

„Ich hoffe sehr, der Kartenverkäufer meinte es ernst, dass die Karte auf dem allerneusten Stand sei, kein Jahr alt“, bemerkte Karthel. „Wenn es eine von Menschen betriebene Fährverbindung ist, ist zu befürchten, dass eine etwas ältere Karte von einem Fährmann spricht, der schon lange tot ist.“

„Dann wird sicher sein Sohn die Fähre fahren“, erwiderte Nedatha. „Niemand würde so eine Position aufgeben, es müssen immer wieder viele über den Peria.“

Karthel erwiderte darauf nichts, und so ritten sie schweigend weiter. Schließlich tauchte ein kleines Gehölz vor ihnen auf. Ein einzelnes Haus schmiegte sich daran.

Das Erdgeschoss bestand aus steinernen Grundmauern. Der Rest ging in hölzerne Anbauten über. Die Bäume, die neben und hinter dem Haus wuchsen, waren knorrige, Jahrzehnte alte Apfelbäume. Nedatha machte eine Bewegung aus. Zwischen den Bäumen raschelte es und er legte ruhig die Hand auf den Schwertknauf.

Karthel bemerkte die Geste und betrachtete ebenfalls aufmerksam die Bäume. Das Gras um sie herum war beinahe hüfthoch und wurde wohl nur selten von den Bewohnern geschnitten.

Plötzlich sprang etwas aus einem der Bäume und landete im hohen Gras. Ein Kinderlachen war zu hören und mehrere Menschenkinder tauchten aus den Bäumen auf. Insgesamt fünf waren es.

Nedatha nahm die Hand vom Schwertgriff.

„Keine Gefahr“, stellte Karthel noch einmal leise fest. Ob er dies zu Nedatha oder sich selbst sagte, war nicht auszumachen.

„Papaaaaa“, rief eines der Kinder, das gefolgt von den anderen zum Haus rannte.

„Da ist Kundschaft“, rief ein anderes.

Die Tür ging auf und ein untersetzter Mensch mit fleischigen Armen tauchte auf. Er klemmte die Daumen hinter den ledernen Gürtel, der sein weites Hemd zusammenfasste, und musterte die Ankömmlinge. Seine Hose hatte dasselbe schmutzige Braun wie seine Stiefel.

„Spitzohren, hmm?“, knurrte er.

„Wir bitten um eine Passage. Wie viel werdet Ihr nehmen?“, fragte Karthel. Er musste sich verkneifen, „werdet Ihr uns abknöpfen“ zu sagen. Er nahm an, dass es den Menschen verstimmen würde. Doch das Funkeln in den Augen des Mannes machte klar, dass er ihnen mehr „abnehmen“ würde als anderen.

„Nuja, eigentlich wollte ich heut‘ gar nicht mehr rüber. Aber wenn ihr‘s eilig habt. Nu, dann wären das“, er machte eine Pause und schien zu rechnen, „zwei Min‘dar-Goldmünzen“, erklärte er. Karthel hob eine Augenbraue und sah zu Nedatha. Dieser nickte.

Karthel zuckte kaum merklich mit den Schultern, doch er wusste, dass Nedatha die Geste verstehen würde. Er erinnerte sich daran, dass es der König zahlte und es eilig war.

Also griff er in den kleinen ledernen Beutel, den er am Gürtel trug, und holte zwei Goldmünzen mit dem eingeprägten Bild der Silhouette der Türme Mindithars heraus.

Er warf eine dem Fährmann zu. In Erwartung der zweiten streckte dieser die Hand aus, doch Karthel schüttelte den Kopf.

„Nein, die andere gibt es auf der anderen Seite des Flusses“, erklärte er, und der Fährmann verzog ärgerlich das Gesicht, sagte aber nichts Weiteres dazu.

Er betrat noch einmal kurz seine Hütte und Karthel konnte hören, wie Worte in der Sprache der Menschen gewechselt wurden. Eine Frauenstimme antwortete ihm. Zwischendurch rief ein Kind etwas, doch Karthel ignorierte, was gesprochen wurde.

Der Fährmann trat hinaus und führte sie zu seiner am Ufer vertäuten Fähre.

Karthel und Nedatha stiegen von ihren Pferden ab und führten sie auf die Fähre, was diese über sich ergehen ließen. Die Fähre war recht breit und lag sicher auf dem Wasser. Mehrere weitere Pferde hätten auf ihr Platz gefunden, oder auch ein Wagen.

Eine eiserne Kette war von einer breiten Eiche zu einer Buche auf der anderen Seite des Ufers gespannt. Auf der Fähre war ein Zahnradmechanismus, durch den die Kette geführt wurde, dessen Rad nun der Fährmann drehte, um sie über den Fluss zu bringen.

Der Mechanismus knarzte dabei immer wieder. Karthel fragte sich, ob er zerspringen würde, bevor der Fährmann unter der Anstrengung zusammenbrach.

Nedatha schien das gleiche wie Karthel zu denken, denn er gesellte sich zu dem Fährmann. Auf der anderen Seite des Mechanismus war ein zweites Rad angebracht, falls ein Mann alleine es nicht schaffte. Dieses begann nun Nedatha zu drehen, wodurch sie merklich schneller vorankamen.

„Lass das, ich kann das auch alleine“, giftete der Fährmann ihn an. Sein Kopf war inzwischen hochrot.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: (C) ALFRED BEKKER CASSIOPEIAPRESS
Tag der Veröffentlichung: 12.01.2015
ISBN: 978-3-7368-7074-1

Alle Rechte vorbehalten

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