Alfred Bekker
Extra-Roman aus der Serie
“Chronik der Sternenkrieger”
Im Jahr 2242 - acht Jahre bevor Rena Sunfrost Captain des Raumschiffs STERNENKRIEGER wird - bekommt sie als junger Lieutenant ihr erstes Kommando: Sie befehligt ein bewaffnetes Raumboot im Kuiper-Gürtel. Als dort unerwarteterweise der extraterrestrische Feind der Menschheit auftaucht, droht ihre erste Mission in einer Katastrophe zu enden...
Alfred Bekker schrieb die fesselnden Space Operas der Serie CHRONIK DER STERNENKRIEGER. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL VON MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Zuletzt erschien DER BEFREIER DER HALBLINGE bei Blanvalet.
Die Hauptpersonen :
Rena Sunfrost - wurde gerade zum Lieutenant befördert und kommandiert das bewaffnete Raumboot DEFIANT-29.
Fähnrich Brent Tahano - Rudergänger der DEFIANT-29
Crewwoman Leka Gao - Triebwerkstechnikerin
Crewman Seku Delan - Kommunikations- und Ortungstechniker der DEFIANT-29
Crewman Fu Davis - Waffentechniker der DEFIANT-29, bedient die fünf Geschütze im Bug des Raumboots.
Admiral Raimondo - hält große Stücke auf Sunfrost und ist dennoch sehr enttäuscht von ihr.
Steven Van Doren - der später zum Ersten Offizier der STERNENKRIEGER degradierte Van Doren ist im Jahr 2242 noch Kommandant des Leichten Kreuzers PLUTO im Rang eines Commanders. Er steht kurz vor der Beförderung zum Captain und der Kommandoübernahme eines Zerstörers.
Commander Sörensen - Kommandant von Raumfort Matthews
Anmerkung: Der Begriff Captain bezeichnet einerseits einen militärischen Rang (zwischen Commander und Commodore), andererseits aber auch die Funktion an Bord eines Schiffs: Jeder Kommandant eines Schiffs wird mit Captain angeredet, ungeachtet des Ranges. So kann ein Lieutenant der “Captain” eines Raumbootes sein und ein Commodore oder Admiral der “Captain” eines großen Schlachtschiffs. Manchmal ist natürlich ein Captain auch tatsächlich ein “Captain”...
*
Orbitales Spacedock, Erde, Sol-System...
Jahr 2242
“Kommen Sie herein und stehen Sie bequem”, sagte Admiral Raimondo.
Rena Sunfrost, gerade zum Lieutenant des Space Army Corps befördert, hatte immer noch das Gefühl, dass die neuen Rangabzeichen an ihrer dunkelblauen Uniformkombination optische Fremdkörper waren. Das wird sich wohl noch ändern, war die junge Frau überzeugt.
“Sie gestatten, dass ich eben noch ein paar Sätze diktiere”, sagte Raimondo. “Aufzeichnung fortfahren”, wies er dann das Rechnersystem an. “In den Jahren 2236-39 stand der Bund der Humanen Welten von Sol vor seiner bisher größten Herausforderung. Die Menschheit war einem übermächtigen Gegner nahezu ausgeliefert. Die Qriid waren ihr sowohl organisatorisch als auch von ihren technologischen und militärischen Ressourcen her um ein Vielfaches überlegen. Dazu kam, dass sich der Aufbau des Space Army Corps zum Schutz der von Menschen besiedelten Planeten immer wieder verzögerte. Ich persönlich will nicht verhehlen, dass ich zeitweilig die Möglichkeit, dass unser Staatswesen diese Aggression überstehen könnte, kaum noch als realistisch angesehen habe. Und weshalb unser Feind seinen bis dahin erschreckend erfolgreichen Feldzug gegen die Humanen Welten einstellte, ist bisher noch immer ein Rätsel. Fest steht nur eins: Hätten die Qriid ihre Angriffe fortgesetzt, würde jetzt vielleicht schon gar keine Raumstreitmacht mehr existieren, die ihnen einen wenn auch noch so schwachen Widerstand entgegen setzen könnte. Wir haben also eine Verschnaufpause gewonnen - aus welchen Gründen auch immer. Und die sollten wir nutzen, denn es ist für mich keine Frage, dass der Konflikt mit dem Heiligen Imperium, wie unsere Feinde ihr Sternenreich nennen, noch nicht beendet ist. Irgendwann in naher oder fernerer Zukunft werden sie die Kampfhandlungen wieder aufnehmen - und dann Gnade uns Gott! Absatz, Aufzeichnung vorläufig beendet. Speichern und mit meiner persönlichen Kennung codieren wie in die Routine eingegeben.”
Raimondo atmete tief durch und straffte seine Körperhaltung. Gleichzeitig strich er die knapp sitzende Uniformjacke glatt.
Sunfrost hatte keine Ahnung, weshalb Raimondo sie sprechen wollte. Schließlich war der Admiral keineswegs ihr direkter Vorgesetzter. Und ihre Ernennung zum Lieutenant war nun wirklich kein Ereignis, das unbedingt eine persönliche Unterredung mit einem Admiral des Space Army Corps der Humanen Welten nach sich ziehen musste. Schon gar nicht, wenn dieser Admiral Gregor Raimondo hieß und sich ohnehin kaum noch irgendwelchen militärischen Aufgaben, sondern stattdessen vor allem sicherheitspolitischen Fragen im Humanen Rat widmete.
“Sie haben gerade etwas von den Aufzeichnungen mitbekommen, die Grundlage für eine Abhandlung über meine Sicht des Qriid-Krieges werden”, erklärte Raimondo, während er auf das große Panoramafenster zuging. Man konnte die Erde als gewaltigen Halbkreis sehen. Sie befanden sich auf dem orbitalen Spacedock, auf dem Sunfrosts Ernennung zum Lieutenant stattgefunden hatte. Und hier lag auch die DEFIANT-29, ein unterlichtschnelles bewaffnetes Raumboot, dessen Kommando Sunfrost jetzt für die nächste Zeit übernehmen würde. Operationsgebiet: Äußeres Solarsystem. Genauer gesagt: Kuiper-Gürtel.
Raimondo wandte Sunfrost den Rücken zu.
Er hatte den Daumen der rechten mit dem kleinen Finger der linken miteinander verhakt und wirkte gedankenverloren, als er ins All blickte. Ein gewaltiges Schlachtschiff der Dreadnought-Klasse entfernte sich gerade vom Spacedock. Mit majestätischer Langsamkeit glitt der mächtige Schiffskörper mit seinen zahllosen Geschützen durch das All. Das Sonnenlicht wurde durch die Spezialbeschichtung der Außenhülle reflektiert. Es war die NEW CALIFORNIA, auf der Sunfrost als junger Fähnrich des Space Army Corps gedient hatte - wobei sie kein Teil der eigentlichen Besatzung gewesen war, sondern dem Stab von Admiral Kevin Rodrigo Carlos Müller angehört hatte. Müller stammte von New Paraguay, einer Siedlerwelt im Mondahar-System und hatte ein paar Eigenarten, die jedem Bewohner der Erde oder des Sol-Systems eigenartig vorkommen mussten. Extreme Bedingungen bringen extremes menschliches Verhalten hervor, hatte Sunfrost in ihrer Zeit auf der Space Army Corps Akademie auf Ganymed in Erinnerung. Und nach allem, was sie über New Paraguay wusste, waren die Bedingungen dort tatsächlich extrem...
"Ich habe Ihren Weg seit Ihrem Abschluss auf der Space Army Corps Akademie aufmerksam verfolgt", erklärte Raimondo, ohne sich dabei zu Sunfrost umzudrehen. “Ihre bisherigen Leistungen waren sehr vielversprechend und berechtigten zu einigen Hoffnungen."
"Sir, ich weiß nicht, was..."
Raimondo hob eine Hand. Wieder, ohne sich umzudrehen.
Ein Zeichen dafür, dass ich schweigen soll, erkannte Sunfrost schluckend. Raimondos mitunter ziemlich selbstherrliche Art im persönlichen Umgang war gewöhnungsbedürftig - und Sunfrost war keineswegs die einzige, die diese Empfindung teilte.
"Eigentlich hatte ich erwartet, dass Sie sich für die Stelle eines Brückenoffiziers auf einem Flottenschiff bewerben würden", sagte Raimondo gedehnt. Noch immer wandte er ihr den Rücken zu. "Was hat Sie daran gehindert, Sunfrost?"
"Ich bin von keinem Kommandanten angefordert worden ", gab Sunfrost zurück und der Klang ihrer eigenen Stimme erschreckte sie dabei. Sie klang nämlich entsetzlich schwach. Ungewöhnlich schwach und unsicher. Normalerweise entsprach das überhaupt nicht ihrer Art.
Aber anscheinend reichte schon allein Raimondos Anwesenheit aus, um sie zu verunsichern. Vielleicht wollte er das auch. Vielleicht zielte sein ganzes Gehabe letztlich nur darauf ab, das Gegenüber zu verunsichern. Es ist sein Informationsvorsprung, ging es Sunfrost durch den Kopf. Er weiß alles über jeden und niemand kann sich so richtig vorstellen, woher er das eigentlich hat. Raimondo durfte wohl einer der am besten informierten Menschen im gesamten Gebiet der Humanen Welten sein!
Jetzt endlich drehte Raimondo sich um. Langsam, sehr langsam geschah das. Auch das eine Demonstration purer Macht. Er bestimmt, was wann geschieht - und in welcher Geschwindigkeit.
Sunfrost rätselte noch immer darüber, was sein eigentliches Anliegen war. Aber sie begann es zu ahnen...
"Wenn Sie sich beworben hätten, hätte ich dafür sorgen können, dass Sie untergebracht werden. Waffenoffizier auf einem Leichten Kreuzer zum Beispiel - wäre das nichts für Sie gewesen? Oder noch besser auf einem Zerstörer, wobei das sicher für Ihre Vita von Vorteil gewesen wäre. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob man Ihnen das aufgrund Ihrer naturgemäß noch etwas bescheidenen Erfahrung zugetraut hätte." Raimondo lächelte. “Wahrscheinlich hätte man Sie dann auf den Posten eines Kommunikationsoffiziers abgeschoben oder als zweiten Rudergänger eingesetzt. Also doch besser ein Leichter Kreuzer wie die STERNENKRIEGER von Commander Reilly. Aber nein, Sie ziehen der großen Aufgabe offensichtlich ein Kommando im heimischen Sonnensystem vor - anstatt an der Grenze des Niemandslandes darauf zu achten, dass wir nicht plötzlich von den Qriid überrannt werden.”
Die Vorstellung, dass vogelartige Qriid durch den Weltraum rannten, amüsierte Sunfrost insgeheim so sehr, dass sie ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken konnte.
Raimondo bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick.
"Es würde mich wirklich interessieren, was Sie dazu zu sagen haben, Lieutenant Sunfrost", erklärte der Space Army Corps Admiral mit all dem Nachdruck, den er in seine Worte zu legen vermochte.
"Sir, darf ich offen sprechen?"
"Ich bitte sogar darum, Sunfrost."
"Das ist eine persönliche Entscheidung, wenn Sie verstehen, was ich meine."
Raimondos Blick war jetzt geradezu durchdringend. Aber Sunfrost begegnete ihm furchtlos. Sie war fest entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Nicht einmal von jemandem, der es ganz offensichtlich gut mit ihr meinte und sich als ihr Förderer verstand.
Wenn auch ein etwas enttäuschter Förderer, wie es bei Admiral Raimondo der Fall zu sein schien.
Die Augen des des Admirals wurden schmal, während er Sunfrost noch immer fixierte.
“Wissen Sie eigentlich, was da draußen los ist, Lieutenant? Sie glauben, Sie kennen den Krieg und die Situation an der Grenze des Niemandslandes zu den Qriid, nur weil Sie eine Zeitlang in einem Stab auf einem Dreadnought gedient haben. Aber wenn ich richtig informiert bin, haben Sie die entscheidende Schlacht gegen die Qriid verpasst.”
“Ich wurde abberufen, Sir.”
“Sie sprechen von privaten Entscheidungen - aber die Qriid scheißen auf private Entscheidungen. Die wollen das Universum erobern und ihren Glauben verbreiten und wer sich ihnen dabei in den Weg stellt, der wird gnadenlos ausgelöscht. Das ist nichts Privates, Lieutenant Sunfrost! Das ist eine Gefahr für die gesamte Menschheit und es ist reine Glücksache, dass wir ihr nicht bereits alle zum Opfer gefallen sind!”
Mag ja sein, aber was hat nun alles damit zu tun, dass ich mein erstes eigenes Kommando auf einem unterlichtschnellen Raumboot antrete?, ging es Sunfrost durch den Kopf. Sie war über Raimondos Ausbruch gelinde gesagt etwas irritiert. Aber bei Raimondo konnte man nie wissen, ob er nicht das, was eintrat, in Wahrheit tatsächlich von Anfang an beabsichtigt hatte.
Eine Pause des Schweigens entstand und Sunfrost hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen.
“Sir, ich...”
“Wir sind darauf angewiesen, dass sich die Besten den Qriid entgegenstellen und all ihre Intelligenz, all ihr Können, ihre Kraft und notfalls auch ihr Leben dafür einsetzen, dass diese Gefahr die Menschheit zumindest nicht vernichtet. Von Verschonen will ich gar nicht erst reden! Das wäre angesichts dessen, was sich in den drei Jahren des Krieges gegen die Geierköpfe ereignet hat, auch wohl zuviel erwartet.” Raimondo deutete mit dem Zeigefinger auf eine Weise auf Sunfrost, die sie an den Lauf einer Projektilwaffe oder eines Nadlers erinnerte. “Was wir nicht brauchen, sind Begabte, die glauben, aus privaten Gründen einen ruhigen Dienst im Hinterhof des Sonnensystems schieben zu können. Männer und Frauen, die eigentlich Erfahrungen in der Weite des Raums sammeln müssten und sich stattdessen zurückziehen, weil sie glauben, dass andere die Kastanien für sie aus dem Feuer holen werden. Aber so wird das nicht funktionieren, Lieutenant. Das werden Sie eines Tages, so hoffe ich, auch noch begreifen.”
Es gibt eine Grenze. Und die hat er jetzt überschritten, dachte Sunfrost. Du musst jetzt dagegenhalten! Es bleibt dir gar keine andere Wahl. Wenn du es nicht tust, wird er vermutlich den letzten Rest an Achtung vor dir verlieren.
“Sir, ich denke, Sie interpretieren etwas zuviel in meine Entscheidung hinein.”
“Ach, tue ich das?”
“Ja, Sir, das tun Sie.”
“Ich dachte, es wäre vielleicht ganz sinnvoll, Ihnen etwas Stoff zum Nachdenken zu geben, Sunfrost.”
“Und Sie sollten darüber nachdenken, dass meine Entscheidung, das Kommando auf einem unterlichtschnellen Raumboot anzunehmen, anstatt auf einer größeren Flotteneinheit zu dienen, vielleicht auch etwas damit zu tun haben könnte, dass ich mir so eine Aufgabe einfach noch nicht zutraue!”
“Nein, wenn Sie ehrlich sind, dann hat es mit einer etwas komplizierten Beziehung zu tun, die Sie mit einem Mann verbindet, der für den Far Galaxy Konzern auf Sedna im Kuiper-Gürtel arbeitet und Sie auf diese Weise in seiner Nähe bleiben können.”
Das weiß er auch? Sunfrost gab sich große Mühe, sich den Ärger darüber nicht anmerken zu lassen, dass Raimondo offenbar selbst über diese nun wirklich sehr persönlichen Details ihres Lebens anscheinend bestens informiert war.
"Es tut mir leid, wenn meine Entscheidung Ihre Missbilligung findet, Sir", sagte Sunfrost. "Nichtsdestotrotz muss ich meine Entscheidungen alleine verantworten."
"Sie setzen die falschen Prioritäten, Sunfrost."
"Das wird sich herausstellen, Sir."
Raimondo nickte.
"Ich bin nach wie vor überzeugt davon, dass Sie Ihren Weg machen werden."
Ja, es ist nur die Frage, ob das in jedem Detail der Weg sein muss, den Sie für mich anscheinend vorgezeichnet haben, Sir, erwiderte Sunfrost in Gedanken. Tatsächlich blieb sie jedoch stumm. Nicht alle Wahrheiten durften von jedem auch ausgesprochen werden. "Alles, was ich Ihnen versichern kann ist, dass ich meinen Dienst so gewissenhaft wie möglich versehen werde."
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: (C) ALFRED BEKKER CASIOPEIAPRESS
Bildmaterialien: Steve Mayer
Tag der Veröffentlichung: 18.11.2014
ISBN: 978-3-7368-5709-4
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