von Alfred Bekker
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© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Eine Lichtung mitten im dichtesten Wald.
Fahles Mondlicht schien vom Himmel.
Ein Wolf heulte auf.
Äste knackten, ein Mann stolperte vorwärts und hielt inne, als er die Lichtung erreichte. Der Mann wirkte gehetzt. Er sah sich um, atmete schnell und schnüffelte dabei wie ein Tier, das gerade Witterung aufgenommen hatte. Seine Nasenflügel bebten.
Der Mann war blass und breitschultrig. Sein Alter war schwer zu schätzen. Der lange Ledermantel reichte ihm bis zu den Knöcheln. Das Haar war lang und grau. Der Backenbart und die eher buschigen, leicht nach oben gerichteten Augenbrauen gaben ihm etwas Wildes, Ungebärdiges. In seinen wolfsgrauen Augen spiegelte sich das Mondlicht.
Immer wieder wandte er den Kopf, ließ den Blick schweifen und blähte die Nasenflügel.
Erneut ertönte der ferne Ruf eines Wolfs...
Und nun antwortete der Mann.
Er formte aus seinen Lippen einen Trichter und stieß dann ein Heulen heulen aus, das von dem Laut eines Wolfs nicht zu unterscheiden war.
Es knackte nun auf der anderen Seite der Lichtung im Unterholz. Vögel stoben auseinander. Die schwarzen Schwingen einer Eule hoben sich dunkel gegen das fahle Mondlicht ab.
Ein hechelnder Atem drang an die Ohren des Mannes im Ledermantel. Aus dem Schatten der knorrigen Bäume kam dann ein Wolf hervor. Er war ungewöhnlich groß, die Schultern sehr viel breiter als dies normalerweise der Fall war und sein Fell war vollkommen schwarz.
Der riesenhafte Wolf näherte sich. Er senkte den Kopf und blieb etwa fünf Schritte von dem Mann im schwarzen Ledermantel stehen.
Die Blicke beider begegneten sich, aber schon einen kurzen Moment später sah der Wolf zur Seite.
Er beugte sich nieder, legte sich auf die Vorderpfoten.
Der Mann stieß derweil ein tiefes Knurren aus, er sank auf die Knie, kippte nach vorn und stützte sich mit den Händen auf. Sein Mund wurde größer, verwandelte sich innerhalb eines Herzschlags zu einer langgezogenen Wolfsschnauze. Die Haare wucherten plötzlich bis unter die Augen und bildeten ein Fell. Die Ohren stachen spitz hervor. Auch der Rest seines Körpers und seiner Kleidung veränderte sich. Sein Mantel wurde zu dichtem, grauschwarzem Fell und die Lederstiefel, die er trug, verschmolzen mit seinen Füßen zu den Hinterläufen eines Wolfs.
Dieser zweite Wolf war noch größer als der erste, der sich auf der Lichtung niedergelegt hatte. Sein Fell war von grauen Strähnen durchzogen, die an die Haarfarbe des Mannes mit dem Ledermantel erinnerte.
Das Monstrum riss das Mal weit auf, wandte den Kopf zum Mond hinauf und stieß ein lautes Heulen aus.
Alle sollten ihn hören – den Ruf der Werwölfe!
„Hey? Alles in Ordnung?“
Brian Hunter hörte die Stimme wie aus weiter Ferne. Gerade noch hatte er einen Mann mit langem Mantel vor seinem inneren Auge gesehen, der sich bei Vollmond in einen Werwolf verwandelt hatte. Eine Vision... Sie war so beeindruckend gewesen, dass er für einen Moment sogar geglaubt hatte, selbst mitten in der Nacht auf dieser Lichtung zu sein, irgendwo in einem wild wuchernden Wald mit eigenartig verwachsenen Bäumen zu sein. Aber jetzt kehrte sein Bewusstsein in die Wirklichkeit zurück.
„Hallo? Jemand zu Hause bei dir hinter der Stirn? Oder ist dir nicht gut.“ Es war die Stimme von Smith, dem Hausmeister des High School Internats Saint Morn, auf das Brian Hunter von nun an gehen würde. Smith hatte Brian vom Bahnhof in Boston abgeholt. Jetzt fuhren sie schon eine ganze Weile auf etwas einsameren Straßen herum, um nach Saint Morn zu gelangen.
„Es ist alles in Ordnung“, versicherte Brian.
„Du hast ganz blass ausgesehen!“, hakte Mister Smith nach. „Also um ein Haar wäre ich angehalten, um...“
„Es ist wirklich alles in Ordnung“, versicherte Brian noch einmal und diesmal ziemlich gereizt.
Meine Güte, was macht der für einen Aufstand!, ging es ihm dabei etwas ärgerlich durch den Kopf. Sollte er nicht extra auf die Mystic High School von Saint Morn gehen, weil man dort etwas mehr Verständnis dafür hatte, dass er eben anders war? Brian hatte diese Visionen des öfteren. Meistens zeigten sie ihm etwas, was in näherer oder fernerer Zukunft geschah. Nicht immer traf das, was er dann schlaglichtartig vor den Augen hatte, auch tatsächlich genau so ein. Manchmal hatte er nur einen kurzen Ausschnitt des Geschehens erkennen können und es stellte sich hinterher heraus, dass er den Zusammenhang völlig falsch beurteilt hatte.
Dinge, die ihm bedeutend erschienen, stellten sich später als völlig unwichtig heraus und umgekehrt. Aber was den Werwolf anging, da war er sich vollkommen sicher. Es war von Bedeutung, was er gesehen hatte, und es hatte irgend etwas mit dem Ort zu tun, zu dem er jetzt unterwegs war.
Brian konnte eine ganze Weile an gar nichts anderes mehr denken, während der Kombi von Mister Smith die Straße an der Küste entlang fuhr. Aber dann bog er ab und von da an wurde die Straße immer kleiner und gewundener. Sie führte durch einen Wald.
„Hör mal, ich wollte dir nicht auf die Nerven gehen, Brian“, sagte Mister Smith. „Aber wenn du nach Saint Morn kommst, dann solltest du lernen, etwas offener damit umzugehen, dass du ein paar besondere Talente hast.“
„Ja sicher“, gab Brian wenig interessiert zurück. Seine übersinnliche Begabung... Das war der Grund dafür, dass er an der Saint Morn High School angenommen worden war. Und dazu gehörten nicht nur seine Visionen von der Zukunft, sondern noch ein paar andere Dinge, die ihm schon manchmal ziemlich großen Ärger eingebracht hatten... In so fern war die neue Schule für Brian auch ein neuer Anfang.
Brian sah aus dem Fenster. Mister Smith bog mit dem Wagen ab. Das Meer und die Steilküste waren jetzt nicht mehr zu sehen, dafür war rechts und links der Straße dichter Wald.
„Sieht das hier überall so aus“, fragte Brian.
„Du findest in Saint Morn alles, was du brauchst: Eine Schule, eine kleine Stadt, in der es alles gibt und landschaftlich sehr schön gelegen ist. Du kannst Wassersport machen oder...“
„Ich sehr ziemlich viel Wald und sehr wenig Stadt“, stellte Brian fest. „Meine Güte, sieht wohl so aus als würden sich hier Fuchs und Hase gute Nacht sagen...“
„Woher kommst du denn?“, fragte Mister Smith.
„New York City.“
„Naja, mit einer Acht-Millionenstadt und den Wolkenkratzern von Manhattan ist das hier natürlich nicht zu vergleichen. Aber ich kann dir sagen, dass die meisten sich wohlfühlen.“
„Wir werden sehen...“
„Aber eins solltest dir merken.“
„Und das wäre?“
„Du bist hier nichts Besonderes. Hier haben alle irgendwelche besonderen Fähigkeiten – und nur deswegen bist du hier. Also brauchst du dir nichts darauf einzubilden und du solltest auch nicht auf die Idee kommen, darin den Grund zu sehen, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie sollten!“
Brian atmete tief durch. „Das hört sich ja ganz so an, wie die Predigten, die ich mir zu Hause immer anhören musste.“
„Manche Dinge sind überall gleich, Brian.“
„Ja, nur gehörte das auf meiner alten Schulte nicht zu den Aufgaben des Hausmeisters.“
Mister Smith lachte rau. „Kann sein. Aber in Saint Morn sind alle eine Gemeinschaft. Wir haben alle eine gemeinsame Aufgabe, von der sich niemand ausschließen kann – auch der Hausmeister nicht!“
„Gemeinsame Aufgabe? Das klingt ja fast so bedeutungsvoll wie geheime Mission oder so was... Meine Güte, ich dachte, es ginge nur darum, was zu lernen.“
„Du wirst es schon begreifen, wie hier der Hase läuft.“
„Nochmal eine andere Frage...“
Mister Smith hob die Augenbrauen. „Bitte, nur raus damit!“
„Gibt es hier eigentlich Wölfe in der Gegend?“
Mister Smith war überrascht. „Wie kommst du jetzt auf Wölfe?“
„Nur so...“, sagte Brian.
Mister Smith zuckte mit den breiten Schultern. „Keine Ahnung. Ich bin schon dreizehn Jahre hier – aber von Wölfen in der Gegend habe ich noch nie etwas gehört.“
Ein Van stand schräg auf der Straße. Dahinter war eine Bremsspur zu sehen. Die Frontscheibe war zerschlagen und überall war Blut.
Die Fahrertür war förmlich aus ihren Halterungen herausgerissen worden und lag ein Stück entfernt auf dem Boden.
Etwa zehn Meter vor dem Van parkte am Straßenrand ein Polizeiwagen. Diese Fahrertür stand offen, von dem Polizisten war nirgends etwas zu sehen.
Mister Smith hielt an. „Hier ist was passiert“, stellte er nur fest. Er griff zum Handy. „Bin ich da mit dem Büro des County Sheriffs verbinden? Hallo? Ja, es gab hier einen Unfall auf der Coast Road, etwa fünf Meilen von Saint Morn entfernt... Ein Einsatzfahrzeug ist hier, aber... Ah, ja...“ Mister Smith beendete das Gespräch. „Einsatzkräfte des Sheriffs sind unterwegs“, erklärte er Brian. Aber den schien das nur am Rand zu interessieren. Er stieg aus. Wieder sah er für einen Augenblick die Fratze eines Wolfsgesichts vor sich. Er spürte, dass seine Vision, irgend etwas mit dem zu tun hatte, was hier geschehen war. Dann sah er die Spuren auf dem Asphalt.
Wolfsspuren...
Das Tier hatte sich entweder verletzt oder war durch eine Blutlache gelaufen. Die Spuren selbst waren ungewöhnlich groß – und das war selbst für Brian sofort ersichtlich, der in seinem bisherigen Leben nicht allzu viel Kontakt mit der Natur gehabt hatte.
„Brian, warte!“, hörte er Mister Smith rufen. Aber Brian ließ sich davon nicht beirren. Wenn er ich etwas genau ansah, dann bekam er manchmal eine Vision, die ihm mehr darüber verriet. Entweder was damit in Zukunft geschehen würde oder was in der Vergangenheit damit geschehen war... Er warf einen kurzen Blick in den Polizeiwagen. Der Zündschlüssel steckte.
Auf dem Beifahrersitz lag eine Jacke.
'Deputy Sheriff R. Meyers' stand dort aufgenäht. Das musste der Name des Beamten sein.
Mister Smith sah inzwischen in das Innere des Vans, wohl um sich zu überzeugen, dass dort wirklich niemand mehr drin war. Auch auf den Rücksitzen nicht.
„Der Deputy Sheriff muss sofort ausgestiegen sein“, stellte Brian fest. „Selbst sein Hut liegt nicht auf dem Rücksitz. Ich nehme an, dass er zum Van gegangen ist und...“
„Da ist niemand. Nur Blut!“
Brian ging nun ebenfalls zum Van und sah sich alles genau an. Die Sitze waren zum Teil aufgerissen worden.
„Tritt nirgendwo hinein, das sieht nach einem Verbrechen aus und wir wollen es der Polizei ja nicht schwerer machen, als es ohnehin schon ist!“, sagte Mister Smith, der ganz blass aussah.
Brian blickte auf den Boden, sah sich die Blutlache an. Vor seinem inneren Auge sah er für einen kurzen Moment erneut einen riesenhaften Wolf, der irgend etwas davonschleifte.
Oder jemanden!, ging es Brian schaudernd durch den Kopf.
Dann waren plötzlich mehrere Schüsse zu hören.
Und dann drang ein durchdringendes Heulen aus dem Wald heraus.
Brian drehte sich zu Mister Smith um und eine tiefe Furche war auf seiner Stirn zu sehen. „Haben Sie nicht gesagt, es gäbe hier keine Wölfe?“
Mister Smiths Gesicht hatte jegliche Farbe verloren. „Bis jetzt hatte ich das auch angenommen!“, murmelte er.
Brian lief kurz entschlossen los. Er setzte zu einem Spurt an, noch ehe Mister Smith ihn davon hätte abhalten können. Es ging geradewegs in den Wald hinein. Er sah genau vor sich, wohin er sich wenden musste.
Und ebenso wusste er, dass er sich beeilen musste, wenn er noch etwas ausrichten wollte.
„Warte doch!“, rief Mister Smith. „Was soll das denn? Die Polizei ist doch gleich hier!“
Etwas unbeholfen hetzte der Hausmeister der High School von Saint Morn dann hinter dem neuen Schüler her, den er eigentlich nur vom Bahnhof hatte abholen und nicht auf einen Waldlauf hatte begleiten wollen.
Brian rannte so schnell er konnte, sprang über einen umgestürzten Baum, kämpfte sich durch dichtes Gestrüpp und erreichte dann ein paar Augenblicke später eine Lichtung.
Das ist es!, durchfuhr es ihn.
Auch wenn seine Vision eine nächtliche Szenerie gezeigt hatte, war er sich doch vollkommen sicher – dies war die Lichtung, die Waldlichtung, auf der sich der Mann mit dem Ledermantel in einen Wolf verwandelt hatte...
An einen Baumstumpf gelehnt, bemerkte Brian den Deputy Sheriff. Er saß am Boden und lud seinen Revolver nach. Sein Hemd war an der Schulter blutig. Offenbar war er schwer verletzt.
„Verschwinde!“, ächzte er Brian entgegen. „Hau ab! Sofort!“
Brian blieb unschlüssig stehen.
Aus der Ferne hörte er Mister Smith rufen, der einfach nicht mit seinem Lauftempo hatte mithalten können.
Dann war ein Knurren zu hören.
Am Waldrand war das Gras sehr hoch. Brian sah, wie es sich bewegte. Dann sprang einer jener riesenhaften Wölfe daraus hervor, wie Brian sie in seiner Vision gesehen hatte.
Es war jener Wolf, dessen Fell graue Strähne hatte... Die Zeichnung stimmte exakt überein!
Deputy Sheriff Meyers schoss seinen Revolver ab. Alle sechs Patronen feuerte er kurz hintereinander auf den Wolf. Die Kugeln trafen das Monstrum. Die Wucht der Geschosse riss den Wolf zurück. Er wand sich am Boden und jaulte laut auf.
Dann schleppte er sich ein Stück davon, knurrte dabei wütend. Die Schusswunden waren deutlich zu sehen. Blut quoll aus ihnen heraus, aber es dauerte nur ein paar Augenblicke, bis die Wunden sich wieder schlossen. Der Wolf streckte sich, leckte mit der langen Zunge das Blut aus dem Fell und schien dann erneut angreifen zu wollen.
Die Kugeln aus dem Revolver schienen ihm nichts anhaben zu können.
Der Deputy lud erneut voller Hektik die Waffe nach. Aber es gab keine Grund anzunehmen, warum die Kugeln diesmal irgendeine Wirkung haben sollten. Der Wolf hatte sich wieder aufgerappelt. Am Waldrand erschien derweil ein zweiter. Etwas kleiner und mit einem vollkommen schwarzen Fell.
Der kleinere Wolf schien abzuwarten.
Der größere fletschte die Zähne.
Brian lief ihm entgegen.
„Bist du wahnsinnig?“, rief Mister Smith, der inzwischen auch die Lichtung erreicht hatte. Damit lenkte er allerdings die Aufmerksamkeit beider Wölfe auf sich.
Wie auf ein geheimes Zeichen hin griffen beide im selben Moment an. Sie schnellten auf Brian zu. Die Mäuler waren weit aufgerissen. Knurrend stürzten sich beide Bestien auf Brian.
Dieser hob die Hände und stieß einen lauten Schrei aus.
Mitten im Sprung wurden die beiden zähnefletschenden Bestien gestoppt. Der erste von ihnen kam noch an Brians Arm, und er spürte für den Bruchteil einer Sekunde eine kalte Schnauze. Der zweite wurde schon früher fortgerissen. Es war, als würden die Bestien plötzlich gegen eine unsichtbare Wand aus Glas prallen. Eine schier übermächtige Kraft erfasste sie und warf sie fast zwei Meter zurück. Sie rollten sich am Boden ab, kamen wieder auf die Beine und probierten es gleich noch einmal. Wieder stieß Brian einen durchdringenden Schrei aus.
Die unheimliche Kraft packte sie erneut und schleuderte sie noch einmal ein ganzes Stück zurück. Jaulend rappelten sie sich wieder auf.
Mister Smith öffnete den Mund, als er das sah und vergaß, ihn wieder zu schließen. Der verletzte Deputy starrte Brian auf eine Weise an, die verriet, wie fassungslos er war.
Brian ging mit langsamen Schritten auf die beiden Werwölfe zu. Sie schienen noch nicht entschieden zu haben, ob sie noch einen weiteren Angriff wagen sollten. Ihre Köpfe waren gesenkt. Sie fletschten die Zähne und knurrten Brian drohend an
Dieser hob den linken Arm.
Du musst dich jetzt sehr konzentrieren... Sammle alle Kraft!, ging es ihm durch den Kopf. Er schloss die Augen, aber trotzdem sah er mit seinem inneren Auge alles, was um ihn herum geschah. Sein Gesicht wirkte angestrengt, so als würde er etwas sehr Schweres heben.
Dann krümmte er seine Finger, so als würde er etwas umfassen und riss anschließend den linke Arm ruckartig zurück.
An einem der Bäume, die am Waldrand standen, brach daraufhin ein Ast ab. Wie ein Peitschenschlag fuhr dieser auf die beide Wölfe herab, die daraufhin jaulend davonstoben.
Augenblicke später war der Spuk vorbei.
Es war nichts mehr von den Bestien zu sehen.
„Jetzt weiß ich, was deine besondere Begabung ist!“, murmelte Mister Smith. Und der Hausmeister von Saint Morn war erfahren genug, um sich gut vorstellen zu können, dass Brian Hunter sich mit diesen Kräften in der Vergangenheit nicht unbedingt nur Freunde gemacht hatte...
Mister Smith kümmerte sich zuerst um den verletzten Deputy. Dessen Schulter sah übel aus. Trotzdem war er erleichtert. „Ihre Kollegen sind gleich hier!“, versicherte Smith.
Deputy Meyers atmete tief durch.
„Ich hole den Erste Hilfe Kasten aus dem Wagen!“, kündigte Smith an.
„Nein, nein, das sieht schlimmer aus, als es ist!“, widersprach Deputy Meyers. Er versuchte aufzustehen und schaffte es schließlich. Schwankend stand er da und steckte den Revolver ein. Dann betastete er seine Schulter.
„Wo ist der Fahrer des Van?“, fragte Brian.
Deputy Meyers lachte heiser auf. „Diese Bestien... Ich fand den Van mitten auf der Straße – leer. Als ich ausstieg, hörte ich Schreie und bin sofort losgelaufen. Ich habe noch nicht einmal im Büro des Sheriffs Bescheid sagen können...“ Er schluckte. „Bis hierher bin ich gekommen, dann wurde ich angegriffen und habe versucht, mich zu verteidigen. Aber diese Biester scheinen mir extrem widerstandsfähig zu sein.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich verstehe das nicht. Wie kann das sein, dass die Kugeln sie nicht töten? Das sind Teilmantelgeschosse, die müssten sie eigentlich zerfetzen!“
„Vielleicht haben Sie ja nicht richtig getroffen“, meinte Mister Smith. Er zuckte die breiten Schultern, als Deputy Meyers ihn darauf hin verständnislos ansah. „Naja, kann doch sein! Also ich würde in so einer Situation nicht einmal einen Elefanten treffen, wenn er zwei Meter entfernt wäre!“
„Aber Sie sind auch kein Polizist und trainieren regelmäßig auf dem Schießstand!“, erwiderte er ziemlich aufgebracht. Dann wandte er sich an Brian. „Was hast du gerade eigentlich gemacht?“, fragte er.
Brian schluckte.
Je weniger Menschen von seinen besonderen Fähigkeiten wussten, desto besser. Diese Erfahrung hatte er bereits gemacht. Und das galt sowohl für seine Visionen, als auch für die anderen Kräfte, die er einsetzen konnte. Brian hatte sich darüber informiert. Telekinese nannte man das, was er konnte, wohl. Dinge durch seinen puren Willen bewegen – darauf lief es letztlich hinaus. Allerdings war es umstritten, ob es telekinetische Fähigkeiten überhaupt gab.
Für Brian war das natürlich keine Frage. Er wusste, dass es so war, denn schließlich hatte er seit frühester Kindheit lernen müssen, mit diesen Kräften umzugehen. Mit der Zeit waren sie immer stärker geworden. Ganz zu Anfang, als er noch sehr klein war, hatte er sie nur benutzt, um kleine Spielzeugautos von selbst fahren zu lassen.
„Ich kann einfach nur gut mit Hunden umgehen“, sagte Brian und hoffte, dass Deputy Meyers ihn dann in Ruhe ließ.
„Ich nehme an, Sie brauchen jetzt etwas Ruhe“, mischte sich Mister Smith ein. „Wenn man so etwas erlebt hat, dann kann es schon sein, dass man an den Dingen zweifelt, die...“
„Ich weiß, was ich gesehen habe!“, unterbrach ihn der Deputy. „Man erzählt sich alles Mögliche an seltsamen Geschichten über die Jugendlichen in dem Internat, in dem Sie tätig sind, Mister Smith.“
„Alles Vorurteile!“, erwiderte Smith.
Deputy Meyers atmete tief durch. „Teufel, da kann man schonmal den Verstand verlieren, was?“
„Ich würde diesen Namen nicht zu laut aussprechen, Deputy“, murmelte Smith.
Erstaunlich schnell trafen weitere Einsatzwagen des örtlichen County Sherrifs ein. Außerdem ein Rettungswagen. Von Mister Smith erfuhr Brian Hunter, dass sich die Zentrale des County Sheriffs ganz in der Nähe befand. „Saint Morn ist nicht groß, aber wir haben hier alles, was man braucht –
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Alfred Bekker, CassiopeiaPress
Bildmaterialien: Steve Mayer
Tag der Veröffentlichung: 05.09.2014
ISBN: 978-3-7368-3682-2
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