Bergroman von Alfred Bekker und W. A. Hary
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© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Thomas Lederer ist der neue Förster und zu seinen Aufgaben gehört es auch, die Wilderei im Hochwald zu verhindern. Der Vorgänger des Försters - der Kammerer Ludwig - hatte die Bekämpfung der Wilderei vernachlässigt.
Aber der junge Thomas Lederer will in dieser Beziehung hart durchgreifen. Der junge Förster hat keinen leichten Stand, denn die beiden Gehilfen - Maxl Dorfner und Stefan Kornbichler - , die er von seinem in Pension gegangenen Vorgänger übernommen hat, legen ihm allerlei Knüppel in den Weg.
Thomas Lederer hat einen Verdacht, wer der Wilderer ist. Kann es sein, dass es sich bei dem Wilderer um den Vater seiner großen Liebe Maria handelt? Als Thomas versucht, ihn zu stellen, löst sich ein Schuss...
Ein Ast knackte, als der Lederer Thomas vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzte. Es war finsterste Nacht. Der Mond schien zwischen den ausladenden Baumkronen hindurch. Hier oben im Hochwald standen die Bäume nicht so dicht wie unten in den Tälern.
Thomas fasste die doppelläufige Jagdbüchse mit beiden Händen und beobachtete aufmerksam das dichte Unterholz. Stimmen drangen leise an sein Ohr. Der Wind, der leicht von den schneebedeckten Gipfeln hinabblies, trug ihren Klang an Thomas' Ohr.
Der junge Förster lauschte angestrengt.
Doch mehr als undeutliche Gesprächsfetzen hörte er nicht.
Wenn ich nur eine der Stimmen einwandfrei wiedererkennen könnt, ging es dem jungen Förster grimmig durch den Kopf. Seit er vor einigen Wochen sein Amt angetreten hatte, jagte er nun schon mehr oder minder vergeblich hinter einer Bande von Wilderern her, die des Nachts auf verbotene Trophäenjagd gingen.
Das Schlimme war, dass er dabei mehr oder minder auf sich allein gestellt war. Niemand in der Umgebung unterstützte ihn. Ja, nicht einmal die beiden Forstgehilfen, mit denen er zusammenarbeitete, waren voll und ganz auf seiner Seite.
Sie dachten genauso, wie die meisten in der Gegend. Dass nämlich der junge Förster in seinem Diensteifer gehörig übertrieb. Der Kammerer Ludwig, sein Vorgänger, hatte da ein weitaus lockereres Regiment geführt und nicht selten beide Augen zugedrückt. Schließlich war er mit vielen befreundet oder verschwägert gewesen, von denen er vermuten konnte, dass sie an den illegalen Jagden beteiligt waren.
Thomas Lederer allerdings war da weniger kompromissbereit. Er sah vor allem den Schaden, den die Wilderer anrichteten und hatte kein Verständnis dafür, dass einige der Männer aus den umliegenden Tälern sich damit ein paar zusätzliche Groschen verdienten.
Der junge Förster schlich leise vorwärts, immer tiefer in das Unterholz hinein. Die Stimmen, die er vor wenigen Augenblicken noch vernommen hatte, waren verstummt. Jetzt hörte der junge Förster nichts weiter, als die nächtlichen Geräusche des Hochwaldes. Ein Uhu ließ seinen dunklen Ruf ertönen.
Wie viele Nächte hatte er sich schon damit um die Ohren geschlagen, nach den Wildschützen Ausschau zu halten und jetzt, so schien es, hatte er endlich eine Spur.
Der Lederer Thomas schlich vorsichtig durch das dichte Gestrüpp. So gut es ging, versuchte er dabei, jedes Geräusch zu vermeiden.
Schließlich erreichte er eine Lichtung. Das fahle Mondlicht beleuchtete sie. Thomas bemerkte eine Bewegung.
Gestalten tauchten aus dem Schatten der hohen Nadelbäume auf. Aber die Gesichter waren nicht zu erkennen, so sehr sich Thomas Lederer auch darum bemühte. Er trat noch etwas näher heran und nahm hinter einem Busch Deckung.
Sein Fuß kam dabei auf einen Ast.
Es knackte laut und vernehmlich.
Plötzlich knallte es. Zweimal kurz hintereinander krachten Schüsse los und das Mündungsfeuer einer Büchse blitzte in der Dunkelheit auf.
Die Kugeln zischten dicht am Lederer Thomas vorbei – so dicht, dass einem schon der Schreck in die Glieder fahren konnte.
„Mei, doa isser!”, rief eine heisere Stimme. „Ich glaub, i hab ihn erwischt!”
Jetzt aber trat der junge Förster vorsichtig aus seiner Deckung hervor und gab dabei einen Warnschuss in die Luft ab – weniger, um die Wilderer damit einzuschüchtern, als vielmehr, anzuzeigen, dass er weder ein Keiler noch ein Hirsch oder irgendein anderes jagdbares Wild war.
„Herrschaftszeiten noch einmal, bleibt stehen und gebt euch zu erkennen!”, rief er. „Hier ist der Förster und es gibt wohl keinen Grund, der eure Knallerei zu nachtschlafender Zeit hier droben rechtfertigen könnte!”
Thomas Lederer erhob sich nur zögernd aus seiner Deckung.
Schließlich wusste er nicht, wie sich die heimlichen Jäger verhalten würden. Illegal Wild zu erlegen und dabei irrtümlich auf einen Förster zu schießen war eine Sache. Aber auch noch zu feuern, nachdem dieser sich zu erkennen gegeben hatte, eine völlig andere!
Eigentlich konnte sich Thomas Lederer kaum vorstellen, dass es in jenem Tal, in dem er schließlich aufgewachsen war und seine Jugend verbracht hatte, jemanden gab, der skrupellos genug war, um so etwas tun.
Andererseits konnte letztlich auch niemand dafür garantieren, dass sich bei diesen Wildschützen gerade noch rechtzeitig das Gewissen meldete, bevor sie die Abzüge ihrer Jagdbüchsen betätigten.
Und so ging der Lederer Thomas lieber auf Nummer sicher.
„Stehenbleiben!”, rief er noch einmal.
Aber das war vergebens.
Die Wilderer nahmen nach allen Seiten in panischer Flucht Reißaus.
Zwar schossen sie nicht auf den jungen Förster, aber es dachte auch keiner von ihnen daran, sich ihm zu stellen. Offenbar ging jeder von ihnen davon aus, dass er unerkannt geblieben war.
„Nix wie weg!”, hörte Thomas einen von ihnen rufen. Wieder war es dieselbe heisere Stimme und diesmal kam sie dem Thomas irgendwie bekannt vor.
Mei, wenn ich sie doch jetzt nur richtig zuordnen könnt, durchzuckte es den jungen Förster. Aber so sehr er sich auch das Hirn zermarterte, es wollte ihm einfach nicht einfallen, wo er sie schon mal gehört hatte.
Einige Augenblicke lang hörte der junge Förster Schritte, knackende Äste und andere Geräusche im angrenzenden Wald. Hin und wieder mischte sich auch ein Gesprächsfetzen hinein.
Die Wilderer waren offenkundig in alle Himmelsrichtungen davon gestoben und jetzt sah nur noch jeder für sich zu, dass er in Sicherheit kam.
Eine Verfolgung wäre aussichtslos gewesen. Jeder von ihnen kannte sich grad so gut hier oben aus - besser wohl als der Förster selber - und wen hätte er jetzt als einzigen verfolgen sollen? Er konnte sich ja nicht teilen, der Lederer Thomas!
Mei, diese feige Bande, ging es dem Förster ärgerlich durch den Kopf. Net einmal genug Anstand haben sie, um sich den Konsequenzen ihrer verbotenen Pirsch zu stellen!
Thomas hetzte den Flüchtenden freilich trotzdem hinterher, von heiligem Zorn getrieben, rannte durch das hohe Gras der Lichtung und folgte den Wildschützen anschließend in das dichte Unterholz des Tannenwaldes. Doch dort war es nahezu stockdunkel - und noch aussichtsloser.
Nichtsdestotrotz rannte Thomas vorwärts. Er stolperte dabei über einen Ast, konnte sich aber dennoch auf den Beinen halten.
Dann erstarrte er.
Zwischen den Bäumen glaubte er für einen kurzen Moment, eine Gestalt zu sehen. Aber schon im nächsten Moment erkannte er, dass er sich getäuscht hatte.
Thomas lauschte.
Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken und den Lauf des Gewehrs herumreißen. Ein großer Uhu erhob sich mit schwerem Flügelschlag aus den Bäumen und hob sich als dunkler Schatten gegen das Mondlicht ab.
Von den Wilderern war nichts mehr zu sehen oder zu hören. Als hätte sie grad der Erdboden verschluckt.
Der Lederer Thomas atmete tief durch.
Mei, diesmal seid ihr Schurken mir noch einmal entwischt, durchfuhr es ihn. Aber glaubt net, dass ihr auch in Zukunft immer davonkommen werdet!
Maria Brandner seufzte. Das fesche Dirndl mit den langen blonden Haaren saß im Nachthemd in dem großen Ohrensessel, den ihre jüngere Schwester Resi bei sich in der Kammer stehen hatte.
Maria war zwanzig und arbeitete auf dem Hof ihres Vaters, des Brandner-Bauern. Der Brandner-Bauer hoffte sehr, dass seine älteste Tochter dereinst den Hof weiterführen würde, der schon seit unzähligen Generationen im Besitz der Familie war.
Resi, das jüngere der beiden Madeln, wusste noch nicht so recht, wo es einmal mit ihm hingehen sollte. Sie war achtzehn, hatte die Schule fertig und sah gar nicht ein, jetzt so schnell schon darüber zu entscheiden, wie ihre Zukunft aussehen sollte. Schließlich gab es auf dem väterlichen Hof einstweilen Arbeit genug, so dass auch sie dort ihr Auskommen finden konnte.
Was danach kam, so war sie zuversichtlich, dass der Herrgott ihr den rechten Weg schon zeigen würde, auch wenn Vater und Mutter sich in dieser Hinsicht etwas mehr an Zielstrebigkeit gewünscht hätten.
„Mei, jetzt ist es schon weit nach Mitternacht – und wir sitzen hier immer noch und haben noch net ein Auge zugedrückt”, meinte Maria. „Aber ich glaube, im Moment bin ich auch einfach viel zu aufgewühlt, um Schlaf zu finden, gell?”
Über Resis Gesicht ging ein schelmisches Lächeln.
„Ja, so ein fescher Bursche wie der Lederer Thomas kann einem schon den Schlaf rauben.”
„Geh, Resi! Hör doch auf!”
„Ist es denn etwa net wahr? Den ganzen Abend hast fast über nix anderes geredet, als darüber, dass der Thomas jetzt wieder im Tal ist und die Nachfolge vom Kammerer Ludwig als Förster angetreten hat.”
„Ich geb’s ja zu! Den Thomas hab ich immer schon gut leiden können. Und dass er jetzt wieder da ist – mei...” Ein versonnener Gesichtsausdruck erschien im Gesicht der Brandner Maria. Ihre Gedanken schienen auf einmal ganz weit weg zu sein. In aller Ausführlichkeit hatte sie ihrer Schwester geschildert, dass sie den jungen Förster im Dorf getroffen hatte.
„Das Forsthaus ist ja eigentlich auch zu groß für einen einzelnen Junggesellen.” Resi legte noch etwas Holz ins Feuer.
Maria machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Geh, so weit sind wir doch noch lange net, Schwesterherz.”
„Wer weiß! Das geht manchmal schneller, als man glaubt.”
„Aber wenn ich es dir doch sag.”
„Ich weiß nur net, was der Vater dazu sagen würde.”
Maria verzog das Gesicht. „Bloß kein Wort zu ihm, hast mich gehört, Resi?”
Die Resi hob beschwichtigend ihre Hände und schüttelte den Kopf. „Geh, Maria, wo denkst du denn hin? Ich würde dich doch niemals verraten – nur falls sich das mit dir und dem Thomas weiter entwickelt, wirst dem Vater schon irgendwann reinen Wein einschenken müssen.” Resi lachte fröhlich auf. „Spätestens, wenn’s Hochzeitsglöcklein bimmelt, gell?”
„Mei, du bist mal wieder in deinen Gedanken ein paar Riesenschritte voraus.”
„Jetzt behaupte du nur, dass du net längst auch schon darüber nachgedacht und dir zumindest vorgestellt hättest, wie es denn wäre, wenn ihr zwei vor den Altar treten würdet…”
Maria seufzte so tief und herzzerreißend, dass Resi ihre Bemerkung im nächsten Moment fast schon wieder bereute. Schließlich hatte sie die Schwester ja nur etwas necken wollen.
„So war das net gemeint, Maria”, versicherte Resi.
„I woaß”, murmelte Maria. ”Mei, schön wär’s halt! Aber den Vater trifft der Schlag, wenn ich ihm damit anfange.”
„Wieso? Meinst du, er wird es net irgendwann akzeptieren müssen, dass seine älteste Tochter erwachsen ist und ihre eigenen Wege geht?”
Maria lächelte verhalten.
„Dass mir das ausgerechnet meine jüngere Schwester sagen muss”, murmelte sie dann in gedämpftem Tonfall. Aber das war durchaus kein Zufall. Schließlich war es ja die Maria, die sich entschlossen hatte, ihre Zukunft in der Landwirtschaft zu sehen, während das für ihre Schwester noch längst nicht entschieden war.
„Insgeheim träumt der Vater doch immer noch davon, dass du dereinst den Artner Hans heiratest.”
„Damit zwei große Höfe zusammen kommen.”
„Genau, Maria.”
Die beiden Madeln lachten und verstummten sogleich wieder. Maria legte mahnend den Zeigefinger auf den Mund. Schließlich wollten sie nicht die Eltern wecken.
Nach einer kurzen Pause meinte Maria im Brustton der Überzeugung: „Da mag der Vater nun träumen soviel er will – die Größe des Hoferbes wäre auch wirklich das einzige, was mich mit dem Sohn vom Artner-Bauern verbinden würd’.”
Resi hob die Augenbrauen.
In ihren Augen blitzte es herausfordernd.
„Wirklich nur das?”, hakte das Madel nach.
Maria straffte den Oberkörper und verschränkte dabei die Arme vor der Brust. „Geh, Resi, was soll das denn nun wieder heißen?”
„Na, ganz einfach. So wie ich die Situation beobachtet habe, habt ihr zwei euch doch immer gut verstanden. Vielleicht sogar mehr als nur gut…”
Maria machte eine wegwerfende Geste. „Jetzt red’ aber net so viel Schmarrn daher, Schwesterherz!”, forderte sie.
„Schmarrn?”
„Ja, freilich! Mei, ich hab mich bei allem gut mit dem Artner Hans verstanden, was das Geschäftliche betrifft und…”
„Und dass du ihn darüber hinaus ganz nett findest, willst jetzt ernsthaft abstreiten? Geh, Maria, das ist net dein Ernst!”
„Na, das net…”
„Siehst du!”
„Nix da – siehst du! Zwischen jemanden nett finden und jemanden von Herzen lieben, so dass man Schmetterlinge im Bauch hat und es richtig kribbelt, ist halt schon ein Unterschied!”
„Und bei dem Thomas, da kribbelt es so richtig, meinst das?”
Maria Brandner kam vorerst nicht dazu, auf die Frage ihre Schwester zu antworten.
Ein Geräusch ließ die beiden Dirndl zusammenzucken.
Draußen waren Schritte zu hören und im nächsten Moment machte sich jemand an der Haustür zu schaffen.
„Mei, wer kann das sein?”, flüsterte Resi.
Maria zuckte die Achseln.
„Was woaß denn i?”, wisperte sie.
Einen Moment noch verharrten die beiden jungen Frauen in ihrem Schrecken, aber dann siegte doch die Neugier.
Maria sprang auf. Barfuß lief sie zur Kammertür, öffnete fast lautlos einen Spaltbreit, um aufmerksam hinaus zu spähen, und trat dann barfuß auf den Korridor, als die Luft rein zu sein schien. Die Resi folgte ihr.
„Wenn’s nun ein Einbrecher ist?”, flüsterte die Jüngere ihrer Schwester von hinten ins Ohr. „Maria, sollen wir net besser die Eltern und den Xaver wecken?”
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Alfred Bekker, CassiopeiaPress
Bildmaterialien: Steve Mayer
Tag der Veröffentlichung: 29.08.2014
ISBN: 978-3-7368-3528-3
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