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Drei Western – Sammelband 1

von Pete Hackett

 

 

Ein CassiopeiaPress E-Book

© by Author

© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

www.postmaster@alfredbekker.de

 

Das Ebook enthält folgende drei Western:

Der Verfemte

Härter als Stahl

Walker, der Verfemte

 

 

Der Verfemte

Es ging auf Abend zu. Glutrot versank die Sonne hinter den Tularosa Mountains im Westen. Noch immer hing ihr sengender Strahl über dem endlos anmutenden Land. Rötliches Licht floss über die sanftwelligen Hügel zwischen Horse Springs und den Bergen, deren Gipfel und Zinnen sich schwarz wie ein Scherenschnitt gegen den purpurnen Hintergrund abzeichneten. Vereinzelte Bäume und Strauchgruppen warfen lange Schatten in das spärliche, halbverdorrte Gras.

Am Tresen drängten sich Cowboys und Bürger. Man redete, gestikulierte, trank, lachte. Die Stimmung war ausgelassen.

Es war Feierabend, die Arbeit auf der kleinen Ranch ruhte. Nach knochenbrechender Sattelarbeit stand Brad Lintock der Sinn nach einigen Gläsern Bier in Horse Springs. Außerdem hatte er Mona versprochen, in die Stadt zu kommen.

Mona! Beim Gedanken an sie lächelte der junge Smallrancher versonnen.

Brad Lintock ritt im Schritt auf den Saloon zu. Er sah die Reihe der abgetriebenen Pferde im Lichtschein, der in eckigen Kästen aus der Tür und den beiden Frontfenstern fiel, und musste nicht erst nach dem Brandzeichen der Tiere schauen, um zu wissen, dass sich die Crew der BJ-Ranch im Saloon ein Stelldichein gab.

Brad Lintock war nicht froh darüber. Er verzog den Mund. Dann saß er ab und stellte seinen Falben neben die BJ-Gäule. Seine Schultern strafften sich, steifbeinig ging er in den Schankraum. Nach einem schnellen Rundblick drängte er sich zwischen Tischen und Stühlen hindurch, grüßte diesen oder jenen Gast, fand einen freien Platz und setzte sich. Er bestellte bei einem der wieselflink herumhastenden Keeper ein Bier. Der Bursche brachte es, Brad trank durstig, stellte das Glas auf den Tisch und wischte mit dem Handrücken den Schaum aus dem blonden Schnurrbart. Behaglich lehnte er sich zurück und streckte die Beine weit von sich.

Da legten sich ihm von hinten zwei weiche Hände über die Augen, und eine etwas rauchige, aber klangvolle Stimme erreichte sein Gehör.

»Nun rat mal, wer seit einer geschlagenen Stunde darauf wartet, dass du endlich autauchst, Cowboy?«

Brad lachte amüsiert. »Hey, Mona! Die verdammten Kuhschwänze haben wieder einmal keine Rücksicht auf dich genommen. Ich werde mal ein ernstes Wort mit ihnen sprechen müssen.«

Sie gab sein Lachen zurück und ließ ihre Hände sinken. Er wandte den Kopf und blickte an ihrer schlanken Gestalt in die Höhe in ihr ebenmäßiges, etwas grell geschminktes Gesicht. Ihr Lächeln strahlte bis auf den tiefsten Grund ihrer klaren blaugrauen Augen.

Sie legte ihre Linke auf seine hagere Schulter. »Ich hoffe doch, dass dir deine Longhorns nicht wichtiger sind als ich.«

Brad umfing mit dem Arm ihre biegsame Taille und zog sie ein wenig zu sich heran. »Für dich würde ich sämtliche Rinder der Welt verschenken, Mona. Aber setz dich doch.«

Einige Männer am Tisch bedachten sie mit schrägen Blicken, schmunzelten, um sogleich wieder ihre Gespräche aufzunehmen. Mona angelte sich einen Stuhl und ließ sich nieder. Und wieder einmal schwor Brad sich, Mona eines Tages aus diesem Milieu herauszuholen. Seiner Ansicht nach gehörte sie nicht in diesen Tingeltangel.

Brad holte sein Rauchzeug hervor und drehte sich eine Zigarette. Der Hauch von Monas Parfüm stieg ihm in die Nase. Eine ganze Woche lang hatte er diesen berauschenden Duft missen müssen. Und nun war er glücklich, dass sie bei ihm saß und er ihre Nähe spüren konnte.

Ein Mann schob sich heran, ein großer, sehniger Bursche mit breiten Schultern und einem verkniffenen Ausdruck im Gesicht.

Curly Jameson.

Der übermäßig genossene Alkohol hatte seine Augen gerötet, und als er sprach, mutete es schwerfällig und unsicher an. Er sagte: »Sieh mal an! Der Drei-Kühe-Rancher. Kommt da einfach hereingeschneit und schnappt dem alten, prächtigen Curly sofort die Braut weg.«

Er hatte den kantigen Kopf schief gelegt und starrte Brad funkelnd an. Sein verbeulter Stetson saß weit im Nacken, und in die Stirn fielen ihm einige Strähnen rotblonden Haares. Um seinen dünnlippigen Mund lag ein brutaler Zug.

Brad wich seinem Blick nicht aus. Ehe er aber etwas erwidern konnte, rief Mona entrüstet: »Ich war nie deine Braut, Curly Jameson, und ich werde es auch niemals sein. Das habe ich dir schon hundertmal gesagt.«

Curly lachte scheppernd. »Und wenn ich es noch hundertmal von dir höre, Mona, ich glaube es dir nicht. Keiner weist Curly Jameson zurück — keiner! Verstehst du?« Tückisch hatte er Brad beobachtet, während die Worte schwer aus ihm heraussprudelten.

In dessen Zügen zuckte es flüchtig. Er sog an der Zigarette, blies eine Rauchwolke vor sich hin. Und er spürte, wie langsam seine Mundhöhle austrocknete.

Ringsum war es still geworden. Die Aufmerksamkeit der sich unmittelbar in der Nähe befindlichen Gäste hatte sich auf Brad und Curly gerichtet.

Curly stemmte die Hände in die Seiten, lachte wieder schallend und hässlich.

Brad atmete schneller. Ihm wurde schlagartig klar, dass Mona nur ein Vorwand für Curly war, um mit ihm Streit anzufangen. Und sekundenlang bereute er, nicht umgekehrt zu sein, als er die Pferde der BJ-Reiter am Holm draußen sah.

»Zieh Leine, Kuhbauer!«, kam da auch schon Curlys Stimme, und in ihr lag eine unheilvolle, unverhohlene Drohung. »Ich kann dich nicht ausstehen, und du verdirbst mir die gute Laune. Das passt mir nicht. Denn ich bin hergekommen, um mich zu vergnügen. Und das kann ich nicht, wenn ich schlecht gelaunt bin.«

Gewaltsam unterdrückte Brad die aufkommende Erregung. Am Tresen standen über ein halbes Dutzend BJ-Cowboys, die nur auf einen Wink Curlys warteten, um ihn in Stücke zu reißen.

Wieder nahm er einen Zug von der Zigarette, hastig, nervös. Dann drückte er die Kippe in den Aschenbecher. Langsam stemmte er sich am Tisch in die Höhe und beugte sich ein wenig vor.

Die Stille rings um seinen Tisch hatte um sich gegriffen und den ganzen Schankraum erfasst. Die letzten Töne des Klaviers hingen noch in der Luft. Nahezu körperlich spürte Brad Dutzende von Augenpaaren, die sich an seiner Gestalt festgesaugt hatten.

»Ich will keinen Streit, Curly«, sagte er in die dumpfe Lautlosigkeit hinein und bemühte sich um eine ruhige Stimme.

Curly leckte sich über die Lippen. »Du kannst ihm aus dem Weg gehen, indem du verschwindest, lausiger Kuhbauer!«

Brad presste die Lippen aufeinander. Scharf traten seine Wangenknochen hervor. Zorn ergriff von ihm Besitz. Seine Augen wurden eng, und zwischen den Lidspalten glitzerte es. »Ich sagte es schon, Curly: Ich will keinen Stunk. Aber du kannst ihn haben, wenn du mich noch einmal einen lausigen Kuhbauern nennst. Wenn ich mich nicht täusche, dann lebt auch ihr Jamesons von der Rinderzucht. Mir aber würde nie einfallen, euch Kuhbauern zu nennen.« Die wilde Entschlossenheit kerbte scharfe Linien um seinen Mund.

Wieder lachte Curly, verächtlich, überlegen, ganz im Gefühl seiner Macht und Stärke. »Wir sind Rancher. Mein Vater ist King Bill Jameson. Du aber bist ein Fretter. Der Tag, an dem es hier nur mehr die BJ-Ranch gibt, ist nicht mehr fern. Und deine Ranch, Lintock, die Bar-L, wird ein Außenposten der BJ sein. Von dir spricht dann keiner mehr in diesem County. Denn wir werden dich zum Teufel jagen.« Curly verstummte schnaufend. Sein Gesicht hatte sich noch mehr gerötet.

Brad nickte grimmig. Dann entgegnete er spröde: »Ich weiß, dass meine Ranch der BJ ein Dorn im Auge ist. Aber ich habe es deinem Vater bereits klar und deutlich gesagt: Ich werde nicht verkaufen.«

»Verkaufen!« Curly schnaubte abfällig. »Von verkaufen redet schon lange keiner mehr.« Er winkte verächtlich ab. »Du hast in dieser Sache das letzte Wort bereits gesprochen, Lintock. Es war dumm von dir. Doch lassen wir das jetzt. Ich will, dass du auf der Stelle den Saloon verlässt. Bevor du aber gehst, wirst du dich bei mir entschuldigen, weil du dich an mein Mädchen heranmachen wolltest. Also …« Eine wilde, leidenschaftliche Herausforderung ging von ihm aus.

Monas Gestalt wuchs wie von einer Tarantel gestochen hinter dem Tisch in die Höhe. Sie legte Brad eine Hand auf den Unterarm und spürte das wütende Beben, das durch seinen hageren Körper lief. »Du bist betrunken, Curly!«, stieß sie erzürnt hervor, doch gelang es ihr nicht, Angst und Sorgen im Tonfall ihrer Stimme zu unterdrücken. »Du solltest dich schämen.«

Das zynische Lächeln, das sich wieder in Curlys Miene geschlichen hatte, zerrann. »Nicht betrunken, Mona«, grollte er nach einem tiefen Atemzug. »Nur trunken - trunken vor Verlangen nach dir.«

»Du bist verrückt!«, kam es scharf zurück.

Ohne jede Hast, mit wiegenden Schritten, näherte sich ein zweiter Mann vom Tresen her. Seine Ähnlichkeit mit Curly Jameson war auffallend. Kalt maß er Brad von oben bis unten. Seine Mundwinkel bogen sich nach unten. Wildheit und verschlagenes Lauern mischten sich in seiner Stimme, als er stirnrunzelnd schnarrte:

»Du hast gehört, was mein Bruder fordert, Lintock. Worauf wartest du noch?« Der Bursche baute sich neben Curly auf.

Die beiden wechselten einen schnellen, bedeutungsvollen Blick, und Brad entging nicht das Einverständnis, das zwischen ihnen herrschte.

Sein Herz fing an, schneller zu schlagen. Das Blut jagte durch seine Adern, und in seinen Schläfen hämmerte es. Und einige Atemzüge lang zweifelte er, ob es gut sein würde, sich der unmissverständlichen Provokation zu stellen. Aber dann erwachte in ihm der Trotz, und er entgegnete scharf und furchtlos: »Ich werde den Saloon verlassen, wenn ich es will, Dale.« Ihm blieb die Verblüffung der beiden Brüder nicht verborgen, und er sah, wie ihre ausladenden Schultern sich reckten. »Yeah. Und das kannst weder du noch dein Bruder beeinflussen.«

Dale Jamesons Züge veränderten sich zu einer Fratze der Boshaftigkeit.

Der Kreis der Umstehenden schob sich zurück. Hier würden gleich die Fetzen fliegen. Die Atmosphäre war explosiv geworden, und keiner der Unbeteiligten wollte im Weg stehen,

Füße scharrten, Stühle rückten, Tische wurden von den zurückdrängenden Leibern zur Seite geschoben. Irgendwo im Hintergrund hustete ein Mann, Dann kehrte wieder die bleierne Stille ein.

Brad atmete gepresst. Er schoss einen schnellen Blick zur Theke ab, an der die Reiter der BJ-Ranch lehnten, herüberstarrten und hämisch grinsten.

Bitter erkannte Brad, dass er hier einen ausgesprochen einsamen Stand haben würde. Und ein dumpfes Gefühl der Verlorenheit beschlich ihn.

Der Druck von Monas Hand auf seinem Arm verstärkte sich. »Du solltest wirklich gehen, Brad«, raunte sie und fixierte sein scharfgeschnittenes Profil.

Beharrlich schüttelte er den Kopf. »Nein, Mona«, grollte er grimmig. »Diesen Triumph gönne ich den Jamesons nicht. Ich könnte ja nie mehr in einen Spiegel sehen, wenn ich jetzt kneifen würde.«

Sie hatten jedes seiner Worte verstehen können. Geduckt und angespannt standen sie da, wie große Raubtiere, die sich jeden Augenblick auf ihr Opfer stürzen wollten. Plötzlich schnippte Curly mit den Fingern. Es klang wie ein Peitschenknall. Und ehe das Geräusch in der Stille versank, zischelte der Ranchersohn: »Er ist stolz, der Kuhbauer. Lieber kämpfend und mit wehenden Fahnen untergehen, als feige dazustehen, wie? Eine ungesunde Einstellung. Nun, ich werde deinen verrückten Stolz zertrümmern, Lintock. Und wenn ich mit dir fertig bin, wird kein räudiger Straßenköter von dir noch ein Stück Brot annehmen.«

Er knallte seine geballte Rechte in die geöffnete linke Hand, dass es klatschte. Geduckt kam er auf Brad zu …


*


Brad Lintock stockte der Atem. Die Welle der tödlichen Leidenschaft, die Curly ausströmte, ließ ihn frieren.

Aber dann zerfloss seine Erstarrung.

Mit federnder Geschmeidigkeit bewegte er sich von Mona weg, um sie nicht zu gefährden.

Die würgende Furcht nötigte Mona einen erlöschenden Aufschrei ab, ihre Hände pressten sich gegen den Mund, und unter das Rouge auf ihren Wangen stahl sich eine fahle Blässe.

Die Ader an ihrem schlanken weißen Hals pochte heftig.

Brad Lintock ließ seinen Gegner nicht für den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen.

Curly Jameson kam mit katzenhafter Behändigkeit heran. Leise klingelten seine Sporen. Er hatte die Hände geballt und die Arme abgewinkelt. Seine klobigen Fäuste muteten an wie schwere Schmiedehämmer. Er wirkte konzentriert, und seine Trunkenheit war wie weggeblasen.

Brad warf sich ihm entgegen. Curlys Fäuste flogen auf ihn zu. Er tauchte unter ihnen hinweg, konnte aber nicht verhindern, dass Curlys Linke schmerzhaft an seiner Schläfe entlang radierte. Mit dem ganzen Gewicht seines Körpers prallte er gegen den Ranchersohn, rammte ihn mit der Schulter.

Curly taumelte zurück und ruderte mit den Armen, um sein Gleichgewicht zu halten.

Brad verlor keine Zeit. Er setzte nach und ließ seine Rechte fliegen. Im letzten Moment konnte Curly den Kopf zur Seite reißen. Brads Haken streifte nur seine Wange.

Curly prallte gegen einen Tisch und verschob ihn. Gläser und Flaschen kippten um, klirrten auf die Dielen, Bier und Whisky versickerte in den Ritzen zwischen den Fußbodenbrettern.

Gierig sog Curly Sauerstoff in seine Lungen. In seinen Augen schimmerten Heimtücke und verzehrender Hass. Mit aller Kraft stieß er sich ab, flog förmlich auf Brad zu, versuchte ihn mit beiden Händen zu fassen und zu umklammern. Ein Schwinger, der blitzschnell und ansatzlos aus der Hüfte kam, fing ihn ab, und einen Herzschlag lang wurde sein Blick glasig. Brad zog die Linke in die Höhe, doch Curly wich instinktiv aus. Und dann legten sich seine Arme wie Stahlklammern um Brad. Er versuchte, ihn zu Fall zu bringen. Brad wand und drehte sich in dem eisenharten Griff, bekam den rechten Arm frei und knallte seinem Gegner mit Wucht die Handkante gegen die Rippen. Aus dem Mund des Getroffenen drang ein abgehackter Schrei, sein Griff lockerte sich. Sofort ließ Brad sich nach unten sacken, glitt wie eine Schlange aus Curlys Umklammerung und schlug eine Doublette. Es gab dumpfe Geräusche, als er Curly zweimal traf. Der Ranchersohn verdrehte die Augen. Der verbissene, rabiate Ausdruck verschwand aus seiner Miene und machte fassungslosem Erstaunen Platz. Seine Beine knickten ein wie morsche Stelzen, er sank auf die Knie, sein Oberkörper neigte sich langsam nach vorn, und er konnte sich gerade noch mit beiden Armen abstützen, ehe er aufs Gesicht fiel. Sein Kopf kippte nach unten und pendelte vor der breiten Brust. Speichel tropfte aus seinem aufgerissenen Mund.

Brad ließ die Arme sinken. Seine Knöchel schmerzten, sein Atem ging stoßweise,

Plötzlich waren Dale Jameson und die Cowboys der BJ-Ranch da. Sie schlossen einen dichten Ring um Lintock, und ehe er sich versah, packten ihn kräftige Fäuste und zerrten ihn herum.

Dale Jamesons rohes Gesicht war unversehens ganz dicht vor seinem. Der heiße Whiskyatem des wutschäumenden Burschen streifte seine Haut.

»Jetzt kriegst du's, Kuhbauer!«, fauchte Dale, und Brad bog den Kopf zurück.

Übelkeit schwappte in Brad hoch, der Magen krampfte sich ihm zusammen, und er spürte, wie die Verzweiflung in ihn hineinkroch.

Links und rechts wurde er festgehalten. Unerbittliche Griffe pressten ihm die Arme auf den Rücken. Er war nicht fähig, sich zu rühren. Und plötzlich tauchte Curly Jameson neben seinem Bruder auf.

»Er gehört mir«, brach es unheilschwanger aus ihm heraus. An seinem Kinn war eine Platzwunde, und das Blut lief über seinen Hals in den Ausschnitt seines Hemdes. Die Besessenheit in seinem Blick sagte Brad mehr als tausend Worte.

Curlys Faust zuckte hoch. Brad wollte instinktiv ausweichen, aber der Griff der BJ-Reiter, die ihn festhielten, lockerte sich nicht. Der unbarmherzige Schlag traf Brad. Sein Kopf ruckte in den Nacken. Der Schmerz stach wie Nadeln in seinem Schädel.

Curlys Hiebe kamen schnell und sicher. Brad hatte das Empfinden, das Kinn würde ihm zertrümmert.

Monas schriller, panischer Aufschrei riss Brad sekundenlang aus seiner Betäubung. Mona fiel Curly in die wirbelnden Arme und drängte ihn einen Schritt zurück. Verdutzt glotzte Curly sie an.

»Aufhören! Bei Gott, aufhören!«, rief sie, und in dem Ausdruck, mit dem sie in sein von Brads Fäusten gezeichnetes Gesicht starrte, spiegelten sich nacktes Entsetzen und abgrundtiefe Abscheu wider.

»Geh zur Seite, Mona!«, fauchte Curly. Seine Pranken legten sich auf ihre Schultern und wollten sie wegdrücken. Mona stemmte sich mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft dagegen.

»Du gemeiner Schuft!«, entrang es sich ihr gequält, und das Sprechen bereitete ihr Mühe. »Er ist wehrlos! Du bist ja schlimmer als ein Tier!«

Brad hörte es wie aus weiter Ferne. Nur mehr verschwommen nahm er seine Umgebung wahr. Er wankte zwischen den Kerlen, die ihn gepackt hielten. Die Schwäche kroch wie flüssiges Blei durch seinen geschundenen Körper.

Er öffnete die blutenden Lippen, und mit einer ihm selbst fremden Stimme krächzte er: »Versuch nicht, ihn aufzuhalten, Mona. Wie ich ihn einschätze, macht er nicht einmal vor dir halt.«

Das Feuer des Widerstandes flackerte für einen Augenblick in ihm auf. Er zerrte und riss und warf sich hin und her. Aber es gelang ihm nicht, sich den stahlharten Fäusten zu entwinden. Ein wuchtiger Schlag traf ihn.

Er spürte nicht mehr, wie sie ihn losließen und er schwer auf dem Fußboden landete, wie sie ihn an den Beinen hinausschleiften und in den Staub der Main Street warfen. Eine gnädige Ohnmacht umfing ihn.

Einer der Weidereiter lachte ironisch, spuckte in den Sand und sagte mitleidlos: »Der hat für alle Zeit genug. Wahrscheinlich schleicht er sich davon wie ein geprügelter Hund, und wir werden nie wieder etwas von ihm sehen. An solchen Prügeln zerbricht jeder Mann.«

Sie gingen wieder hinein. Nur Dale, der mit nach draußen gekommen war, blieb zurück. Mit hassgetränktem Blick stierte er auf den Besinnungslosen. Nach einiger Zeit wandte er den Kopf und suchte Lintocks Pferd. Ein jäher Schimmer teuflischer Genugtuung glitt über sein grobes Gesicht. Er fasste Brad unter den Achseln und schleifte ihn zum Holm, wuchtete den schlaffen Körper in die Höhe und warf ihn quer über den Pferderücken. Er band ihn mit dem Lasso fest, leinte den Falben los, zog ihn hinter sich her in die Fahrbahn, dann versetzte er ihm einen harten Schlag auf die Kruppe. Das Tier warf den Kopf hoch, wieherte und stampfte erschrocken schnaubend los. Staub wallte unter seinen Hufen auf.

Dale machte kehrt und sah Mona auf dem Vorbau stehen. Das Licht, das aus dem Saloon fiel, zeichnete scharf ihre Gestalt nach. Monas Gesicht jedoch lag im Schatten und war nur undeutlich auszumachen.

Dale gab sich einen Ruck und ging los.

Voll Abscheu starrte sie ihn an. Im Hintergrund ihrer Augen flirrten tiefe Abneigung und Verachtung. Hastig schob er sich an ihr vorbei. Knarrend schwang die Pendeltür hinter ihm aus.

Monas Blick folgte dem davontrabenden Pferd. Der Hufschlag wurde schnell leiser und verebbte schließlich.

Hass fraß sich in Monas Herz wie ein giftiger Stachel fest. Brennender, vernichtender Hass, der sich gegen Curly und Dale Jameson richtete.


*


Als Brad zu sich kam, umfing ihn tiefe Dunkelheit. Sein Kopf drohte bei jedem Schritt des Falben zu zerspringen, und in seinem Körper jagten sich Wellen ziehender und bohrender Schmerzen.

Es dauerte eine ganze Zeit, bis er seine wirbelnden Gedanken geordnet hatte. Dann aber kam das Begreifen mit aller Deutlichkeit.

Sie hatten ihn fürchterlich zusammengeschlagen, auf sein Pferd gelegt und es aus der Stadt gescheucht. Der Falbe trug ihn nach Hause. Das kluge Tier kannte den Weg in die Plains, wo seine kleine Ranch wie eine Halbinsel in King Bill Jamesons Weideland hineinragte.

Brad bewegte sich und musste feststellen, dass er mit dem Lasso auf dem Pferderücken festgezurrt worden war. Noch befand er sich mitten in der Felswildnis. Die Hufeisen klirrten auf dem steinigen Boden. Der Hufschlag wurde von den Felswänden zurückgeworfen und fand ein hallendes Echo.

Ein Schwindelgefühl erfasste Brad. Der im Mondlicht schwach schimmernde Boden zog unter seinem Blick dahin. Seine Arme pendelten neben seinem Kopf nach unten. Ächzend hob er sie hoch. Seine Rechte tastete nach dem Sattelknauf und verkrampfte sich darum. Mit der Linken suchte er nach dem Knoten. Fahrig, mit fliegenden Fingern, zerrte er an dem rauen, ineinander verschlungenen Seil, und endlich lockerte sich eines der Enden. Zoll um Zoll zog er es aus dem Knoten. Sein Arm ermüdete. Ein quälendes Ächzen brach über seine aufgeschlagenen, blutverkrusteten Lippen. Er raffte den Rest von Energie, der noch in ihm steckte, zusammen und arbeitete beharrlich weiter. Plötzlich löste sich die Fesselung. Er stemmte sich am Sattel in die Höhe und rutschte zu Boden, stand auf unsicheren Beinen und klammerte sich ans Sattelhorn. Sein Atem rasselte, und Schweiß rann ihm in die Augen.

Der Falbe hatte angehalten. Er hatte den Kopf herum genommen und äugte den erschöpften Mann an.

Nur zögernd wich die erneute dumpfe Benommenheit aus Brads Hirn.

Er hakte die Wasserflasche vom Sattel, schraubte den Verschluss auf und setzte die Öffnung an die Lippen. Er schluckte das Wasser nicht hinunter, sondern spülte seinen Mund und spuckte es aus. Dann trank er einen Schluck und glaubte zu fühlen, wie frische Kraft in seinen Körper strömte. Er schüttete etwas von dem Wasser in seine hohle Hand und fuhr sich über das Gesicht. Im ersten Moment brannte es in den Platz- und Schürfwunden wie Feuer, dann aber linderte die kühle Flüssigkeit den beißenden Schmerz.

Brad fühlte sich jetzt ein wenig besser, dennoch steckten Müdigkeit und Erschöpfung bleischwer in seinen Gliedern. Mit lahmen Bewegungen rollte er das Lasso zusammen. Keuchend kämpfte er sich in den Sattel. Er nahm den Zügel und gab dem Falben den Kopf frei. Das Klirren der Hufe schmerzte in seinen Ohren. Irgendwann bemerkte er, dass das Halfter an seiner rechten Seite leer war. Der Colt lag irgendwo im tiefen Staub der Main Street von Horse Springs.

Der Falbe trug ihn hinaus aus dem Felsgewirr, hinein in die endlos anmutende Grasebene, die im Mond- und Sternenlicht zu schwimmen schien. Weiter vorn aber begann die Finsternis, und hinter ihr war das grüne Weideland mit den purpurnen Flecken des blühenden Salbeis nur zu vermuten.

Schweigen herrschte in dieser einsamen Welt. Brad überließ es dem Pferd, den Weg zur Ranch zu finden.


*


Der sandige, geröllübersäte Hang schwang sich vor Curly Jameson steil nach oben. Dort wuchtete nackter Fels zum samtenen, wolkenlosen Himmel. Wispernd strich der Wind an den kahlen Gesteinsriesen entlang, raschelte in den Zweigen der halbverdorrten Mesquitesträucher und Ocotillos.

Heiß brütete die Sonne zwischen den Felsen. Die erdrückende Hitze machte das Atmen zur Qual.

Curly lenkte seinen Rotfuchs nach links. Der Weg führte direkt zwischen die fast senkrechten Sandsteinwände. Der Ranchersohn zerkaute eine böse Verwünschung, schob sich den Hut aus der Stirn und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß ab.

Das waren die Stunden, in denen er seinen eigenen Vater verdammte. Denn Big Bill Jameson mochte es nicht, dass seine Söhne faulenzten und sich in seinem Reichtum sonnten. Für ihn waren sie Cowboys, wie jeder andere Mann der BJ-Crew auch. Und so hatte er Curly in die felsige Einöde geschickt, um nach verirrten Rindern zu suchen.

Eine zerklüftete Senke öffnete sich vor Curlys Blick. Die Felsen zu seiner Linken warfen lange Schatten in das ausgedörrte, öde Tal. Hier gab es nur dürftiges Gebüsch, rotbraune Grasbüschel und Steinbrocken in allen Größen.

Curly zerrte an den Zügeln und schaute sich um. Und er sagte sich, dass sich hierher nie im Leben ein Rind verlief. Wie kam Dale nur dazu, ihm den Tipp zu geben, hier nach versprengten Longhorns zu suchen?

Sein forschender Blick glitt an den rötlichen Wänden hinauf. Er schüttelte den Kopf. In dieser heißen Wildnis trieben nur Klapperschlangen und Eidechsen ihr Unwesen.

Irgendwo kollerte ein Stein, schlug krachend auf harten Untergrund. Das Geräusch war Curly nicht verborgen geblieben. Er parierte das Pferd, lauschte.

Nein, ging es ihm durch den Kopf, Longhorns sind keine Bergziegen. Weiß der Teufel, was den Stein losgetreten hat. Er schnalzte mit der Zunge, und das Tier unter ihm ging wieder an.

Das Hufgeklapper erfüllte die Luft. Und Curly beschloss, die Suche nach streunenden Rindern aufzugeben. Er schaute zum Himmel. Dem Stand der Sonne nach war es später Nachmittag. Zeit, nach Hause zu reiten. Sollten die verdammten Kuhschwänze sich doch die Hälse brechen in dem Gewirr von Schluchten und Felswänden.

Curly ließ in seiner Aufmerksamkeit nach. Er achtete nicht mehr auf die Umgebung, und seine Gedanken drehten sich nur noch um eine gute Ausrede seinem Vater gegenüber, die es ihm ermöglichte, den Abend in Horse Springs zu verbringen.

Und so nahm er nicht das scharfe, metallische Knacken wahr, mit dem der Hahn eines Colts gespannt wurde und einrastete. Er achtete auch nicht auf das seltsame Verhalten des Rotfuchses. Das Tier spielte nervös mit den Ohren und schnaubte warnend.

Curly nahm es nicht zur Kenntnis.

Und als der Schuss dröhnte, war es zu spät.

Curly erhielt einen gewaltigen Schlag gegen die Brust. Glühender Schmerz drohte ihn von einem Augenblick zum anderen wie Höllenglut aufzuzehren. Von wilder Panik erfasst steilte das Pferd und drehte sich auf der Hinterhand. Nur noch unterbewusst registrierte Curly, dass er den Halt verlor. Rücklings stürzte er auf den Boden. Sein Hut segelte fort. Mit fliegenden Steigbügeln und wehender Mähne stob der Rotfuchs davon.

Das Echo des Schusses vermischte sich mit dem tackenden Hufschlag, verrollte zwischen den Felsen und versickerte in Spalten und Schluchten, und dann senkte sich tödliche Stille über die zerklüftete Steinwüste.

Curly Jamesons gebrochene Augen starrten blicklos zum Firmament. Die heimtückische Kugel hatte den Ranchersohn mitten ins Leben getroffen.

Und der Mörder verschwand genauso lautlos, wie er gekommen war - wie ein Schatten in stockfinsterer Nacht.


*


Die ersten Strahlen der Morgensonne vergoldeten die Fensterscheiben der Bar-L-Ranch Brad Lintocks und fluteten warm über die Dächer der Gebäude, zwischen denen noch die Morgendämmerung nistete. Der Tau lag noch frisch auf dem Gras, und der Morgendunst wurde vom sachten Wind zerpflückt und fortgetrieben.

Brad stand am Brunnen und wusch sich. Staubwirbel glitten an ihm vorüber.

Er fühlte sich wie gerädert. Jede Bewegung jagte Schmerzwogen durch seinen Körper, und ob er es wollte oder nicht, er stöhnte und seufzte und musste die Zähne zusammenbeißen, um das eine oder andere Mal nicht gepeinigt aufzuschreien. Überall waren Blutergüsse. Sein Gesicht war verschwollen, und von der ursprünglichen Form war nicht mehr viel übrig geblieben.

Das kalte Wasser perlte über seine Haut. Ihn fröstelte, und er angelte nach dem Handtuch, um sich abzufrottieren.

Plötzlich war ferner Hufschlag zu hören. Schnell kam er heran und verdichtete sich zu einem trommelnden Rhythmus. Brad ahnte nichts Gutes. Er hastete ins Haus, und als er wieder im Hof erschien, hielten seine Hände eine Winchester.

Fünf Reiter donnerten über die tafelflache Ebene auf die Ranch zu.

Brad riegelte eine Kugel in den Lauf und brachte das Gewehr an der Hüfte in Anschlag. In ihm war keine Furcht, nur dumpfe Beklemmung, als er daran dachte, dass Big Bill Jameson mit Sicherheit seine Revolvermannschaft mobil gemacht hatte, um ihn auf die raue Tour zur Aufgabe zu bewegen.

Aber dann konnte er die Reiter erkennen, und ein Stein fiel ihm vom Herzen. Es waren zwar Leute der BJ-Ranch, und allen anderen voran ritt Dale Jameson, aber Brad konnte auch Sheriff Lane Miles ausmachen. Seine Ruhe und Gelassenheit kamen zurück. Er senkte das Gewehr und ging den Reitern einige Schritte entgegen.

Sie parierten mit harter Hand die Pferde. Die Tiere steilten, schlugen mit den Hufen und kamen in einer Staubwolke zum Stehen.

Brad sah in düstere, maskenhaft starre Gesichter, und wieder beschlich ihn drückende Besorgnis. Ihre Mienen verhießen wenig Gutes.

»Das Gewehr weg!«, befahl der Sheriff.

Brads Blick schnellte von einem zum anderen, und er bemerkte, dass ihre Hände auf den Revolverkolben lagen. In ihren Zügen war nichts zu lesen außer eisiger Ablehnung und düsterer Feindschaft. Es sprang auf Brad über und ließ ihn erschauern.

»Was ist los, Sheriff?«, presste er hervor. »Warum …«

»Halt's Maul!«, brüllte Dale Jameson. »Die Fragen stellen wir. Weg mit der Waffe! Sonst …« Wild riss er den Colt heraus. Die Mündung zeigte im nächsten Moment auf Brad.

Der schluckte würgend. Dales Daumen lag quer über der Hammerplatte, und seine Augen drückten mörderische Entschlossenheit aus.

»Vorwärts!«, rief der Sternträger und machte eine ungeduldige Handbewegung.

Brads Hände spreizten sich. Er hatte blitzartig begriffen, dass er keine Chance hatte und sie ihm keine lassen würden. Die grimmige Bereitschaft, ihn zum Teufel zu schicken, schlug ihm unmissverständlich entgegen. Die Winchester fiel in den Staub.

Hinter Brads Stirn rotierten die Gedanken. Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Aber er war sicher, dass wieder irgendeine Teufelei der Jamesons dahinter steckte.

Der Sheriff nickte. »Okay, Lintock. Es ist gut, dass du vernünftig bist.« Langsam zog er den Revolver und richtete ihn auf Brad. Stirnrunzelnd fuhr er fort: »Die Reiter der BJ haben heute morgen in den Felsen Curly Jameson gefunden. Er war so tot, wie ein Mann nur tot sein kann, den eine 45er Kugel erwischt hat.«

Aufmerksam beobachtete er Brads Reaktion. Dessen Herzschlag stockte, und eine Bruchteile von Sekunden andauernde Blutleere im Gehirn ließ ihn wanken.

»Curly - tot?«, entrang es sich ihm atemlos und betroffen.

»Ja, mausetot«, erwiderte der Sheriff gedehnt.

Pfeifend kam die Luft über Brads Lippen. Er hob die Linke und zupfte an seinem Schnurrbart. Jähes Begreifen veränderte seine Miene. »Ihr denkt doch nicht, dass ich …«

»Wir sind sogar überzeugt davon«, schnitt ihm Dale Jameson barsch das Wort ab.

Brad schenkte ihm keine Beachtung. Sein Blick hatte sich auf das kantige Gesicht des Sheriffs geheftet. »Ich habe Curly vor sechsunddreißig Stunden zum letzten Mal gesehen, Miles«, erklärte er aufgebracht. »Und da war er noch ausgesprochen lebendig.«

»Es spricht vieles gegen dich, Lintock«, entgegnete der Sternträger. Plötzlich wurde sein Blick scharf wie der eines Raubvogels. »Wo ist dein Colt, Lintock?«

Brad zuckte zusammen. »Mein Colt?« Heißer Schreck durchfuhr ihn. »Ich habe ihn nicht mehr«, fügte er hastig hinzu. »Der ist mir verloren gegangen, vorgestern Abend, als Curly mich mit Hilfe seiner Leute in der Stadt zusammenschlug.«

Der Sheriff schob das Kinn vor. »Er ist dir also in der Stadt abhanden gekommen«, wiederholte er lauernd Brads Aussage.

»Ja.«

Lane Miles fuchtelte mit dem Colt durch die Luft. »Das ist eine hundsgemeine Lüge, Lintock. Wenn du dein Schießeisen in Horse Springs verloren hättest, dann müssten ihm Beine gewachsen sein. Wie sonst sollte es in die Felswüste kommen?«

»Ich - ich verstehe nicht«, sagte Brad, obwohl er die Tragweite dessen, was er hörte, erfasste. Und die Gewissheit, dass er in diesem höllischen Spiel die denkbar schlechtesten Karten in der Hand hielt, schien das Blut in seinen Adern gefrieren zu lassen.

»Nun, wir fanden deine Kanone keine zwanzig Schritt von dem Ermordeten entfernt im Geröll. Jedes Kind in der Umgebung weiß, dass du in den Knauf deine Initialen geschnitzt hast. Du wirst nicht abstreiten können, dass es dein Eisen ist, Lintock.«

Die Worte des Sheriffs trafen Brad wie Peitschenschläge.

Lane Miles räusperte sich, dann sprach er weiter: »Du hattest allen Grund, dich an Curly zu rächen. Er hat dich fürchterlich und schmachvoll verprügelt, und das hast du nicht verkraften können. Da hast du zum letzten Mittel gegriffen, Lintock - zum niederträchtigen und skrupellosen Mord.«

Brad öffnete den Mund, wollte etwas sagen, aber Dale Jameson kam ihm zuvor: »Wenn es nach mir gegangen wäre, Lintock, dann hätten wir Sheriff Miles überhaupt nicht bemüht und dich an einen Baum gehängt, wie man das in diesem Land mit einem Meuchelmörder macht. Dass wir dich dem Gesetz überlassen, hast du einzig und allein meinem Vater zu verdanken.«

»Ich habe Curly nicht erschossen«, beteuerte Brad kopfschüttelnd. »Und wenn mein Colt draußen zwischen den Felsen lag, dann hat ihn eben der Mörder in der Stadt gefunden und damit Curly — aus welchen Gründen auch immer - ermordet. Ich erschieße keinen Mann aus dem Hinterhalt wegen einer Tracht Prügel.«

»Okay, Lintock«, ließ sich wieder Sheriff Miles vernehmen, »du streitest es ab. Das war mir von vornherein klar. Also wird es Sache der Jury sein, die Wahrheit herauszufinden. Du bist verhaftet! Und wenn du dich der Festnahme widersetzt, sehe ich mich gezwungen, von der Waffe Gebrauch zu machen. Heb die Hände und rühr dich nicht mehr! Ich werde dir jetzt Handschellen anlegen, und dann bringen wir dich nach Horse Springs.« Sheriff Miles machte Anstalten, abzusitzen.

Brad traf die Erkenntnis, restlos verloren zu sein, wenn er erst einmal gefesselt war, wie ein Blitz, und er setzte alles auf eine Karte.

Während er langsam die Arme hob, stieß er das laute, durchdringende Fauchen eines angreifenden Pumas aus. Die Pferde scheuten erschrocken zurück, steilten und wieherten schrill.

Wie von einem Katapult geschleudert flog der Sheriff aus dem Sattel. Sein Aufschrei ging im Lärm unter, den die Tiere verursachten.

Die Reiter fluchten und zerrten an den Zügeln. Dale Jameson wollte den Revolver hochreißen, doch das nervös gewordene Pferd erforderte seine ganze Aufmerksamkeit, und er kam nicht zum Schuss.

Fluchend hieben die Männer den Pferden die Sporen in die Weichen und versetzten sie in eine noch verheerendere Panik. Staub schlug wallend auseinander und hüllte alles ein.

Mit einem Satz war Brad beim Pferd des Sheriffs, das sich im selben Moment streckte und davon preschte. Brad erwischte das Sattelhorn. Der Schwung riss ihn mit. Katzenhaft zog er sich in den Sattel und donnerte davon.


*


Vergessen waren Schmerzen und körperliche Erschöpfung. Jetzt galt es für Brad nur noch, seine Haut zu retten. Er war kein feiger Mörder und wollte sich auch nicht als solcher vor eine Jury schleppen lassen.

Er drückte dem Pferd die Absätze in die Seiten. Tief duckte er sich auf dem Pferderücken. Es schien, als berührten die Hufe kaum mehr den Boden. Gras und Dreck spritzten hoch.

Brad schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass die Männer auf dem Ranchhof noch einige Zeit mit ihren verrückt gewordenen Tieren beschäftigt sein würden.

»Schneller! Schneller!«, hetzte es über seine Lippen.

Als er einmal über die Schulter zurückblickte, sah er, dass die BJ-Reiter abgesessen waren und die Pferde rücksichtslos bändigten. Trompetendes Wiehern erreichte Brad.

Dale Jameson lief einige Schritte hinter ihm her und feuerte. Das Projektil sauste so nahe an Brads linkem Ohr vorbei, dass er das gefährliche Sirren zu vernehmen glaubte. Er warf sich noch flacher auf den Pferdehals.

Vor ihm dehnten sich die Plains. In der Ferne zeichneten sich die Schroffen und Klüfte der Mangas Mountains mit dem alles überragenden Horse Peak ab.

Hinter ihm krachten wieder Schüsse. Eine undeutliche, brüllende Stimme war zu vernehmen, noch zweimal, dreimal wummerte Dale Jamesons Colt, dann war Brad außer Revolverschussweite, und das Feuer brach ab.

Die Pferdehufe hämmerten in wildem Stakkato. Brad stellte sich in den Steigbügeln auf und verlagerte sein Gewicht nach vorn. So bot er dem Pferd die einzige erdenkliche Erleichterung. Denn von der Schnelligkeit und Ausdauer des Tieres hing nun alles ab. Brad machte sich keine falschen Hoffnungen. Sie würden ihn hetzen wie die Bluthunde, und der würde den Sattel heißreiten müssen, um in die Berge zu gelangen. Nur im Felsgewirr hatte er eine Chance, den Revolvern der BJ-Crew zu entgehen.

Sheriff Miles' Pferd war ein guter Renner, hochbeinig, mit einer breiten Brust, was kräftige und strapazierfähige Lungen verrieten. Mit unverminderter Geschwindigkeit donnerte es dahin. Der scharfe Reitwind peitschte Brads Gesicht und strich kühl über seinen nackten Oberkörper.

Im Scabbard steckte die Winchester des Sheriffs. Das Wissen, dass er wenigstens eine Waffe hatte und nicht völlig hilflos war, verschaffte Brad etwas Erleichterung. Die Berge rückten näher, schienen aber immer noch endlos weit entfernt. Wieder schaute Brad zurück.

In einer breiten Front kamen die vier Sattelwölfe der BJ-Ranch hinter ihm her gejagt. Ihre Pferde flogen förmlich über das Gras. Gewiss hatten auch sie zähe, schnelle und ausdauernde Gäule. Das dumpfe Tosen und Brausen des rasenden Hufschlags holte Brad ein.

Die Gebäude seiner Ranch versanken im Morgendunst. Er starrte wieder nach vorn.

Yard um Yard flog unter den wirbelnden Hufen dahin. Aber bis zu den Bergen galt es noch eine ganze Menge Yards zurückzulegen.

Brads malträtierter Körper wurde von jedem Schritt des Pferdes - es war ein Fuchswallach - durchgeschüttelt. Dabei lief das Tier mit monotoner Gleichmäßigkeit.

Unerreichbar mutete Brad der Felsgürtel an. Vor den Nüstern des Fuchswallachs bildeten sich Schaumflocken. Besorgt fragte Brad sich, wie lange das Tier wohl dieses Höllentempo noch durchhalten konnte. Irgendwann würde sich der Hufewirbel verlangsamen. Zunächst kaum merklich, dann immer rascher, immer deutlicher. Aber noch erlahmten die Muskeln und Sehnen des Pferdes nicht.

Als Brad wieder einmal nach hinten schaute, waren die Verfolger ungefähr zweihundert Yards hinter ihm. Ihre halbwilden Cowponys schienen noch zäher und schneller zu sein als dieser prächtige, aber an den Stall gewöhnte Fuchswallach, den er ritt.

Dazu kam der Hass, der Dale Jameson und seine Leute ihre Reittiere unbarmherzig vorwärtstreiben ließ. Der mörderische, alles vernichtende Hass, der sie an nichts anderes denken ließ, als Curly Jamesons vermeintlichen Mörder zu stellen.

Sie ließen sich nicht abschütteln. Brad konnte auf diese Entfernung ihre Gesichter erkennen - angespannte, gestraffte Gesichter, in denen die Augen unheilvoll glühten. Geduckt saßen sie auf den Pferden, bearbeiteten sie mit den Zügelenden, den Sporen und den Fäusten. Noch steckten ihre Colts in den Futteralen, die Gewehre in den Sattelschuhen,

Brad bot ein viel zu unsicheres Ziel, und jeder Schuss hätte nur vergeudete Munition bedeutet.

Ihre Oberkörper bewegten sich im rhythmischen Galopp auf und ab.

Der Abstand zu dem Gejagten veränderte sich nicht. Die sehnigen, struppigen Cowboypferde rannten wie der Teufel. Sie waren in schweißtreibender und knochenbrechender Weidearbeit unter glühender Sonne abgehärtet, und es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie den Beweis erbrachten, dass sie dem besten Rennpferd an Leistungsfähigkeit überlegen waren.

Brad als Mann der Weide wusste das. Unruhe und Ratlosigkeit befielen ihn. Und plötzlich dachte er daran, was sein würde, wenn der Fuchswallach in einen der zahlreichen Präriehundbauten trat.

Alles in ihm lehnte sich dagegen auf, sich auszumalen, was sie mit ihm anstellen würden. Also verdrängte er das Dunkle, Unheilvolle, das am Ende dieses Gedankens stand. Und er spürte die Kälte plötzlich nicht mehr nur äußerlich, sie drang mit aller Macht tief in sein Innerstes und wühlte es auf.

Greifbar nahe schien die wild zerklüftete, wie von Urgewalt zersplitterte Welt zu sein. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte sich Brad Lintock so sehr in diese karge Felswüste gesehnt wie in diesen Minuten. Die Spitzen der Felsmassive über den Geröllhängen und steilen Hügelflanken, über die gleißender Sand floss, lagen im grellen Sonnenlicht. Wenn es eine Rettung gab, dann lag sie nur dort vorn in den Spalten und Schluchten.

Aber das Schicksal spielte Brad einen Streich. Er traute seinen Augen nicht, als weit vor ihm ein Rudel Reiter vor dem rötlichen Hintergrund der Felswände auftauchte.

Es kam geradewegs auf ihn zu, und er verspürte ein Würgen in der Kehle. Unwillkürlich fiel er dem Fuchswallach in die Zügel. Sofort drosselte das Pferd sein rasendes Tempo. Ein triumphierender Schrei brandete von hinten heran.

Jähe Ratlosigkeit befiel Brad. Doch der Pulk vor ihm gab ihm nicht länger als fünf Sekunden Rätsel auf, denn er zog sich plötzlich auseinander, schwärmte aus, und Brad sah die blinkenden Reflexe, die die Strahlen der Morgensonne auf dem Metall der Waffen in den Fäusten der Reiter hervorriefen.

In einer auseinander gezogenen Reihe preschten sie heran. Der flaue Wind trieb den Geruch von dem Staub, den sie mit aus der Felswildnis brachten, und zertretenem Gras heran.

Das Hufgetrappel verdichtete sich zu einem unheilvollen Grollen, als würde ein Gewitter heraufziehen, und die Erde bebte dumpf unter den heran dröhnenden Hufen.

Die Meute vermittelte einen erschreckenden Eindruck von Wucht und Stärke, und nur ein Mann mit eisernen Nerven konnte bei ihrem Anblick die Ruhe bewahren.

Brad spürte den Strom des Vernichtungswillens, der von der heranbrandenden Schar ausging. Er musste sich zwingen, die plötzlich aufkommende Angst zu unterdrücken. Er konnte die Gesichter der Reiter noch nicht erkennen, brauchte aber nicht lange zu überlegen, um zu erfassen, dass sie zur BJ-Ranch gehörten.

Brad stellte sich keine Fragen. Sie waren da, und er befand sich zwischen ihnen und des Sheriffs Gruppe in der Zange. Schnell kamen sie näher.

Zu Brads beiden Seiten dehnte sich freies Weideland. Die Tularosa Mountains im Westen waren gut und gern zehn Meilen entfernt, und ihre Umrisse ließen sich nur verschwommen in rauchiger Ferne ausmachen. Die Hoffnung, sie zu erreichen, begrub Brad auf der Stelle.

Also stellte er sich auf ein erbarmungsloses Kesseltreiben ein. Hinter seiner Stirn jagten sich die Gedanken und Empfindungen. Das Ergebnis war deprimierend. Es war unmöglich, diese tödliche Linie zu durchbrechen. Das bedeutete, dass ihm der direkte Weg in das Felsgewirr der Mangas-Berge nördlich von ihm versperrt war.

Die Erkenntnis legte sich zentnerschwer auf ihn und fuhr ihm eisig bis ins Rückenmark. Aber mit der aufkeimenden Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit erwachten in ihm auch der Wille und die kalte Entschlossenheit, seine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Er war unschuldig, und das gab ihm Kraft und Ansporn.

Er trieb den Fuchswallach wieder an. Und mitten im vollsten Galopp riss er ihn zur Seite. Das Pferd gehorchte auf der Stelle. Brad peitschte es mit dem langen Zügelende. Sein Gesicht hatte sich vor Anstrengung gerötet und war verzerrt. Es wirkte verfallen und um Jahre gealtert. Seine Lippen bildeten nur noch einen dünnen, blutleeren Strich.

Die Reiter vor ihm durchschauten seine Absicht. Sie spornten ihre Pferde noch mehr an. Dann fielen die ersten Schüsse. Jedoch ließ das Auf und Ab der wilden Karriere keinen sicheren Schuss zu. Wirkungslos verpufften die Geschosse, ohne Brad zu gefährden. Der hing wie ein Indianer an der Flanke des Pferdes. Für einen Gewehrschuss reichte nämlich die Entfernung. Und es war nicht auszuschließen, dass einer seiner Verfolger auf die Idee kam, sein Pferd anzuhalten und ihn mit einem gezielten Schuss aus dem Sattel holte.

Dicht vor Brads Augen wehte die Pferdemähne. Schaumflocken trieben gegen seine Beine. In seinen Schläfen pochte das Blut.

Die Meute vor ihm schwenkte in seine Richtung ein, jagte eine Zeitlang in einer Höhe mit ihm dahin und versuchte dann, ihn im spitzen Winkel einzuholen.

Das Wummern der Detonationen vermischte sich wieder und wieder mit dem infernalischen Stampfen und Dröhnen der fliegenden Hufe. »Vorwärts - vorwärts!«, krächzte Brad heiser. Und der Fuchswallach raffte sich zu einer letzten Kraftprobe auf, als spürte das Tier, dass es an ihm lag, Brads Leben zu retten. Es war, als steigerte diese letzte, verzweifelt anmutende Anstrengung sein Tempo.

Die Reiter zu seiner Rechten fielen zurück, das Pochen hinter Brad schien leiser zu werden. Zwei, drei Minuten stob das Tier wie ein Pfeil dahin. Minuten, die den gehetzten Mann wie eine Ewigkeit erschienen. Aber sie reichten aus, um ihn aus der tödlichen Umklammerung herauszubringen.

Er wandte den Kopf. Die beiden Verfolgergruppen verschmolzen zu einer einzigen. Die Reiter hatten aufgehört zu feuern.

Nun wurde der Fuchswallach langsamer. »Nicht nachlassen, mein Bester!«, schrie Brad neben seinem Ohr, und der Reitwind riss ihm die Worte von den Lippen, trug sie davon. Der Schaum von den Pferdenüstern hatte seine Hosenbeine durchnässt. Unangenehm klebten sie auf der Haut.

Die Verfolger waren auf ungefähr zweihundertfünfzig Yards zurückgefallen. Brads Pferd prustete und röhrte, und Brad verspürte einen schmerzhaften Stich in der Herzgegend, weil er gezwungen war, zum ersten Mal in seinem Leben ein Pferd zuschanden zu reiten. Unwillkürlich ruckte er am Zügel und verminderte das Tempo. Er musste dem Fuchswallach eine Verschnaufpause gönnen, denn es war möglich, dass er noch einmal seine letzten Reserven mobilisieren musste.

Er ritt einen weiten Bogen und befand sich wieder auf dem Weg nach Norden.

Mit jedem Schritt des Pferdes schienen sich die Konturen der felsigen Einöde deutlicher vom blauen Hintergrund abzuheben. Das Gras wurde spärlicher, der Boden steiniger. Das Hufgeräusch veränderte sich und wurde heller.

Heißer Schreck durchflutete Brad, als er wieder einmal einen Blick nach hinten warf. Ein Teil der Verfolger hatte sich vom Rest gelöst und wieder aufgeholt. Wahrscheinlich waren die Pferde der neu hinzugekommenen Reiter frischer. Es gelang Brad nicht mehr, den Fuchswallach zu einer schnelleren Gangart zu bewegen. Das gepeinigte Tier hatte seine Grenzen erreicht und zeitweise sogar überschritten. Und nun war es am Ende.

Die ersten Felsen säumten den Weg. Mit weit aufgerissenem Maul und pumpenden Lungen stolperte das Pferd mehr als es lief zwischen sie. Der Hufschlag der Menschenjäger war wieder deutlich angeschwollen. Das rasende Stakkato wurde vom Echo zwischen den Felstürmen verzerrt.

Verzweifelt trieb Brad das Pferd durch die dornigen Comas zwischen den haushohen Steinriesen. Immer tiefer ging es in das Felsgewirr hinein, immer unwirtlicher, halsbrecherischer und mühsamer wurde der Weg. Dann öffnete sich vor Brad eine Schlucht.

Das Brausen, das die Annäherung seiner Verfolger überdeutlich werden ließ, quoll zwischen die Felsgiganten und ließ den einsamen Mann nahezu erschauern. Und er spürte den Eishauch des Todes, der mit dem tackenden und klirrenden Tosen herantrieb.


*


Brad schwang sich aus dem Sattel, zog mit einem Ruck die Winchester aus dem Scabbard und repetierte.

Er versetzte dem Pferd mit der flachen Hand einen Schlag auf die Kruppe. Der ausgepumpte Fuchswallach trottete mit hängendem Kopf und schleifendem Zügel zwischen die Felsen. Brad rannte in den engen Canyon hinein, steifbeinig, geduckt und bis in den letzten Nerv angespannt. Fest umklammerten seine Hände Kolbenhals und Schaft des Gewehres.

Unaufhaltsam kam der Hufschlag seiner Verfolger näher. Er hallte von den Sandsteinwänden in vielfältigem Echo wider. Stimmen waren dazwischen zu hören, stockheisere, die mit dem klingenden Getrappel herantrieben. Sie verstummten, ertönten aufs Neue, brachen wieder ab …

Brad atmete gepresst. Sein Blick hetzte in die Runde, flog über die Felsbarrieren, schnellte an den rauen Wänden in die Höhe, drang in die Finsternis schmaler Felsspalten und irrte wieder zurück zur Sohle des Canyons. Er lief am Fuß eines Geröllfeldes entlang und erreichte einen dichten Gürtel dorniger Comas, warf sich auf den Bauch und kroch eng an die Erde geschmiegt hindurch. Dornen zerkratzten ihm die Haut, scharfe Steinkanten rissen seine Handflächen auf und hinterließen irrsinnige Schmerzen. Er ließ das mörderische Gesträuch hinter sich und rollte in eine Felsrinne.

Aus dem Canyon ertönte ein scharfer Befehl, der Hufschlag brach jäh ab.

Brads Atem wurde ruhiger. Angespannt lauschte er. Durch die Comas strich der Wind, Flugsand wehte in Brads schwitzendes Gesicht und blieb kleben.

Von seinen Verfolgern war nichts mehr zu hören. Aber sie befanden sich in der Nähe, und er musste sich wie ein tödlich verwundetes Tier im unwegsamen Gelände verkriechen. Der Schatten der Comas fiel auf Brad. Sonnenlicht flirrte dazwischen und zeichnete goldene Kringel auf seine Gestalt. Es war anstrengend, mit den Blicken das Zweig- und Blattwerk zu durchdringen.

Er lag in der Rinne wie in einem engen, steinernen Grab. Eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken. Wie unter einem inneren Zwang ging er in die Hocke. In seinem Gesicht zuckte es, und in seinen Augen war ein fiebriges Flackern. Blut sickerte aus den Rissen in seiner Haut und vermischte sich mit dem strömenden Schweiß.

Resignation bedrückte Brad, schwemmte den letzten Rest von Zuversicht und Hoffnung aus seinem Denken. Er hätte zwar die Berge erreicht, dennoch sah er sich verloren. Um ihn herum wimmelte es von BJ-Reitern. Der Sheriff würde sich zwar eines seiner Pferde auf der Ranch gesattelt haben und ihnen gefolgt sein, aber bis er sie fand, konnte alles längst vorbei sein.

Die Angst griff mit eiskalter Hand nach Brad. Und plötzlich erschien ihm die Furche, in der er kauerte, wie eine tödliche Falle.

Auf allen Vieren robbte er zur Seite davon, zwängte sich in einen Riss im Boden, kroch über den scharfkantigen Rand und ruhte sich, flach an den felsigen Untergrund gepresst, neben einem Gesteinsbrocken aus.

Es hielt ihn nicht länger als eine halbe Minute an diesem Fleck. Keuchend und schwitzend kämpfte er sich weiter, glitt um einen Felsvorsprung, rutschte über die Kante einer Mulde und landete im weichen Treibsand.

Schritte waren zu hören. Sie stammten von drei oder vier Männern.

Brad hielt einen Moment den Atem an.

Der vorspringende Fels versperrte ihm die Sicht auf sie. Unendlich langsam, fast behutsam, zog er den Kolben der Winchester an seine Schulter. Seine Angst war wie verraucht. All seine Sinne waren nur noch auf den bevorstehenden Kampf ausgerichtet. Sein schmutziges Gesicht wirkte plötzlich wie aus Granit gemeißelt.

Winzige Steine wurden unter den Schritten der Näherkommenden zermalmt. Feinkörniger Sand knirschte unter ihren Sohlen. Helles Sporenrasseln trieb heran.

Sie kamen eng an der Felswand entlang. Und plötzlich wuchsen ihre Schatten hinter der Klippe hervor.

Brads Gewehr wanderte in die Höhe. Über Kimme und Korn hinweg starrte er auf die Stelle, an der sie in sein Blickfeld treten mussten.

Brad konnte schon ihren schnellen Atem hören. An den Schatten, die ihre Gestalten vorauswarfen, konnte er erkennen, dass es sich um vier Männer handelte. Grimmig sagte er sich, dass er das Überraschungsmoment auf seiner Seite haben würde.

Die Schattenbilder schoben sich heran, an Brad vorbei und stießen gegen einen riesigen Felsklotz, der vor Urzeiten in die Schlucht gestürzt war und gegen die Felswand gelehnt stand, als hätte ihn eine übernatürliche Macht dagegen gekippt.

Brads Zeigefinger legte sich um den Stecher, die anderen Finger schoben sich in den Ladebügel. Er durfte sie nicht zur Besinnung kommen lassen, wenn sie um den Vorsprung traten. Sie ließen ihm keine andere Wahl. Allerdings mussten die Schüsse den anderen seinen Standort verraten. Und sie würden ihn weiterhetzen, bis ihm die Zunge heraushing.

Es war ein Teufelskreis. Und am Ende stand für ihn wohl der Tod. Brad gab sich keinen Illusionen hin. Ihm würde nur der Kampf bis zum letzten Blutstropfen bleiben.

Da verschlang das Krachen eines Schusses alle anderen Geräusche.

Die Schatten verharrten abrupt. Eine kratzende Stimme raunte: »Hölle, sie haben ihn erwischt! Zurück! Vielleicht brauchen sie uns.«

In das Verrollen des Schusses hinein hämmerten ihre Tritte, Steine kollerten, ein zorniger Fluch erschallte, als einer der Kerle strauchelte und beinahe stürzte. Hastig entfernten sich die Schritte.

Fürs erste war die Gefahr gebannt. Erleichtert seufzte Brad. Er stemmte sich in die Höhe. Geduckt und lautlos wie eine Katze glitt er fort. Er arbeitete sich ein Geröllfeld hinauf und verschwand oben um den Felskegel.

Der Schuss hatte ihn vorerst gerettet. Sicher hatte einer der Kerle sein Pferd gefunden und in die Luft gefeuert, um die anderen aufmerksam zu machen. Das hatte ihm wieder ein kleines Stück Vorsprung verschafft. Es schälte sich aus seinem Unterbewusstsein heraus, und er war zunächst frei von irgendwelchen Befürchtungen.


*


Stunden waren vergangen. Gnadenlos schleuderte die Sonne ihre Lichtbündel auf Brads nackten Rücken herunter und verbrannte ihm die Haut. Sein Gaumen war trocken wie Wüstensand. Seine Zunge lag nur mehr als ausgedörrtes Etwas in seinem Mund. Wenn er schluckte, schmerzte der Kehlkopf. Die Augenränder waren entzündet und geschwollen, die Lippen rissig und spröde wie die erstarrte Fläche eines Salzsees.

Brad stöhnte und röchelte. In seinem Kopf war eine dumpfe, gähnende Leere, und seine Beine schienen das Gewicht von Blei zu haben.

Er war seinen Verfolgern entkommen und hatte den Tod durch eine schnelle Kugel gegen die glühende Hölle in der Felswüste eingetauscht.

Kreuz und quer war er durch die steinerne Wildnis geirrt, und er wusste längst nicht mehr, wo er sich befand. Und wenn ihn anfangs nur der Wille beseelt hatte, den Klauen der BJ-Mannschaft zu entkommen, so hielt ihn jetzt nur noch der Gedanke aufrecht, irgendwo zwischen den Felsen doch noch auf eine Quelle zu stoßen, an der er seinen Durst löschen konnte.

Die Sonne stand senkrecht am Himmel, und die Felstürme spendeten kaum Schatten. Die Hitze prallte vom Gestein zurück und schien die Lungen der Qual eines Feuers auszusetzen.

Der Durst wurde von Minute zu Minute unerträglicher. Schleppend setzte Brad einen Fuß vor den anderen. Die Winchester schleifte mit dem Kolben auf der Erde.

Nur nicht aufgeben, Brad! Vorwärts, du schaffst es! Du musst es schaffen. Denn du bist unschuldig und musst es ihnen beweisen. Weiter, Brad, weiter!

Brad kämpfte verzweifelt gegen die bleierne Müdigkeit, gegen die Schwindel der Benommenheit an, aber irgendwann fiel er vor Erschöpfung hin und schlief ein. Die Winchester entglitt seinen Händen und schepperte auf das Geröll. Er hörte es nicht mehr. Und er merkte auch nicht, wie die Schatten immer länger wurden, wie die Abenddämmerung in die Schluchten und Senken schlich und dass die Nacht kam. Und mit der Finsternis kam die Kälte.

Auf leisen Pfoten huschte ein Tier an ihn heran. Ein Hund, größer als ein Wolf. Seine Augen funkelten im Mond- und Sternenlicht. Der Hund beschnupperte den Mann.

Wie ein Spuk löste sich eine schemenhafte Gestalt aus dem Schlagschatten. Leise, aber schnell und mit sicheren Bewegungen kam er heran.

Der Mann beugte sich über Brad, fühlte dessen Puls, und ein Grunzton der Zufriedenheit sprang über seine Lippen. Ein Schmatzlaut war zu hören, dann zischte ein dünner Strahl aus seinem gespitzten Mund, und ein Priem klatschte gegen den Fels,

»Bei Gott, Silver«, murmelte der Mann. »Ich denke, der Junge hat seinen Schutzengel getroffen, als er Mona kennen lernte. Aber ohne dich hätte auch ich ihn nicht gefunden.« Er kraulte dem riesigen Hund das Fell, und das Tier erwiderte diese zärtliche Geste mit einem leisen Fiepen.


*


»Okay, Silver«, sagte der Mann flüsternd. »Ich hole jetzt mein Pferd. Du passt auf.«

Der Hund nahm neben Brad Platz ein und äugte hinter seinem Herrn her, der wieder mit der Dunkelheit verschmolz.

Es dauerte nahezu eine Viertelstunde, bis der Mann sein Pferd durch das unwegsame Gelände herangeführt hatte. Silver erhob

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Alfred Bekker, CassiopeiaPress
Bildmaterialien: Steve Mayer
Tag der Veröffentlichung: 28.08.2014
ISBN: 978-3-7368-3474-3

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