von Timothy Stahl
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author
© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Dieses E-Book enthält folgende Romane:
In Devil Town ist die Hölle los
Die Legende vom goldenen Mustang
Ein Greenhorn auf gefährlicher Spur
Zwei wie Dynamit und Feuer
Vier actionreiche Western Romane von Top-Autor Timothy Stahl. Harte Männer, veführererische Frauen und bleihaltige Gefechte - darum geht es in diesen Romanen, die die harte amerikanische Pionierzeit so authentisch und tabulos darstellen, wie es lange niemand gewagt hat.
Alle Romane sind auch einzeln lieferbar.
Der Himmel sah aus, als koche der Teufel ein ganz besonders giftiges Süppchen! Dunkle Wolken brodelten von Horizont zu Horizont. Das weite Land lag in schwefligem Licht. Der Wind heulte gespenstisch und ließ Geister aus Staub um den einsamen Reiter her tanzen.
"Hell and damnation!", fluchte Cameron Hunt ungehalten. Devil Town lag noch meilenweit entfernt. Der Sturm würde ihn mit aller Gewalt erwischen, hier draußen in diesem gottvergessenen Niemandsland, wo es weit und breit nichts gab, das ihm Schutz bieten konnte.
"Hey!" Während es ringsum immer dunkler wurde, ging in Cameron Hunts Gesicht plötzlich die Sonne auf. Vielleicht hatte der Allmächtige dieses Fleckchen Erde ja doch nicht vergessen und obendrein noch ein Auge auf Cameron Hunt!
Denn dort am Rand der kargen Ebene, allerhöchstens eine Meile voraus, lag eine Farm.
Cameron Hunt trieb sein Pferd zu schnellerer Gangart. Dennoch dauerte es noch eine Weile, bis die Farm wirklich näher rückte, nahe genug, dass Hunt Einzelheiten ausmachen konnte. Und als es schließlich soweit war, zügelte er den Gaul und seufzte enttäuscht.
Was aus der Ferne wie eine Farm von durchaus stattlicher Größe ausgesehen hatte, erwies sich aus der Nähe zwar immer noch als solche, ihr Zustand war allerdings erbärmlich. Die Gebäude wirkten heruntergekommen, in Wänden und Dächern klafften Löcher, aus denen das Gebälk hervorlugte wie das Skelett eines Riesen. Fensterläden, Türen und Tore hingen teils schief in den Angeln. Und nirgends rührte sich etwas.
Die Farm schien verlassen. Ausgestorben.
Cameron Hunt zuckte die Schultern. Letztlich war es egal. Er würde dort zumindest ein Dach über dem Kopf finden, das ihn vor dem Sturm schützen würde. Vorausgesetzt dieser Sturm war nicht stärker als die morschen Bauten da drüben. Was Hunt durchaus befürchtete.
Er ritt durch das offene Tor im Gatter auf den Hof der Farm. Die freie Fläche war umstanden von einer Scheune, einem Stall und dem Wohnhaus. Daneben gab es eine Handvoll kleinerer Bauten, darunter ein Hühnerstall, die anderen Verschläge mochten als Geräteschuppen genutzt worden sein, irgendwann einmal. Und dahinter wiederum lag eine Reihe umzäunter Pferche unterschiedlicher Größe.
Mit beiden Händen auf das Sattelhorn gestützt, nickte Cameron Hunt anerkennend. Tatsächlich musste diese Farm einst ein recht ansehnliches Anwesen dargestellt haben. Jetzt allerdings… Schade drum. Verdammt schade, dass so ein schönes Fleckchen Land derart verkommen musste.
Hunt sah nach oben. Der Himmel hatte sich weiter verdunkelt, die Wolken waren dichter, der Wind stärker geworden. Der Staub stach Cameron Hunt wie mit winzigen Nadeln ins Gesicht.
Es wurde Zeit, dass er sich in Sicherheit brachte. Der Sturm konnte gleich losbrechen. Und Hunt wusste die Vorzeichen gut genug zu deuten, um prophezeien zu können, dass dieser hier einer von der ganz üblen Sorte werden würde.
Er trieb sein Pferd hinüber zu der Scheune, saß ab und zog das Tor auf. Die Angeln schrien nach Öl, die untere Kante des Tores schleifte über den staubigen Boden. Im Zwielicht war im Inneren der Scheune nicht viel zu erkennen. Ein paar Feldgerätschaften standen herum, weiter hinten etwas, das wie ein Einspänner aussah. Schief, wie das Gefährt dastand, schien die Achse gebrochen zu sein.
Cameron Hunt führte sein Pferd in die Scheune hinein und schlang die Zügel um einen Trägerbalken. Aufmunternd klopfte er dem Tier dann gegen den Hals und sagte: "Bleib ganz ruhig, alter Junge. Wird zwar ein bisschen rau werden, aber dir wird nichts passieren, verstanden?"
Das Pferd schnaubte und bewegte den Kopf auf und ab, gerade so, als habe es ihn tatsächlich verstanden.
Mit einem Grinsen wandte sich Cameron Hunt ab und stakste, noch steif vom langen Ritt, aus der Scheune hinaus. So sorgfältig wie möglich schloss er das Tor, dann ging er auf das zweistöckige Haupthaus zu.
Aufmerksam sah Cameron Hunt sich um und lauschte. Der Wind rauschte und heulte, und irgendwo schlug ein loser Fensterladen monoton hämmernd gegen eine Wand. Hunts Blick wanderte über die Fenster des Hauses. Die Scheiben waren blind von Staub. Unmöglich zu erkennen, ob sich dahinter etwas rührte.
"He!", rief er laut. "Ist da jemand?" Selbst wenn sich im Haus oder in der Nähe jemand aufhielt, war es unwahrscheinlich, dass dieser Jemand ihn hörte. Der Wind verschluckte seine Stimme beinah.
Abgesehen davon glaubte Cameron Hunt ohnehin nicht, dass noch jemand auf der Farm lebte. Das Anwesen machte schlicht und ergreifend einen unbewohnten, mehr noch, einen toten Eindruck.
Was natürlich die Frage aufwarf, welche Umstände dazu geführt haben mochten, dass die Farm von ihren einstigen Besitzern verlassen worden war… Denn andererseits sah es auch nicht so aus, als hätten sie ihren Weggang vorbereitet. Die Geräte in der Scheune und andere Kleinigkeiten ließen Cameron Hunt vielmehr vermuten, dass die Farmer kurzerhand alles liegen und stehengelassen hatten. Nur, aus welchem Grund? Was mochte hier passiert sein – und wann?
Natürlich dachte Cameron Hunt an einen Überfall. Banditen mochten die Farm heimgesucht haben, vielleicht auch Indianer. Das Anwesen lag weit vom Schuss, und so konnte es durchaus sein, dass dieser Überfall bislang noch von niemandem bemerkt worden war.
Cameron Hunt wappnete sich innerlich für das Schlimmste. Er hatte das ungute Gefühl, dass ihm kein erfreulicher, noch nicht einmal ein angenehmer Anblick bevorstand. Der Tod hatte nur hässliche Gesichter…
Darauf allerdings, was ihn wirklich erwartete, war Cameron Hunt nicht vorbereitet!
Und dass er es überlebte, verdankte er einzig und allein den Reflexen, die ihm im Laufe der Jahre in Fleisch und Blut übergegangen waren.
Als der Schuss krachte, hielt Hunt das Geräusch im allerersten Moment für den ersten Donnerschlag des Sturms. Trotzdem ließ er sich fallen, so schnell, als seien ihm die Beine unter dem Leib weggeschlagen worden.
Dennoch sirrte die Kugel noch spürbar nah über ihn hinweg. Cameron Hunt fühlte ihren sengend heißen Hauch im Nacken.
Und wer immer es auf ihn abgesehen hatte, er schoss weiter!
*
Die zweite Kugel schlug genau dort in den Staub, wo Cameron Hunt eben noch gelegen hatte. Sie hätte ihn getroffen, würde er sich nicht zur Seite gerollt haben, kaum dass er den Boden berührt hatte.
Und er drehte sich weiter, wälzte sich durch den Staub auf das Haus zu, während dicht hinter ihm zwei, drei weitere Kugeln in den Boden hackten.
Der Schütze hatte sich im Haus verschanzt, daran bestand kein Zweifel. Aus welchem Fenster er jedoch schoss, konnte Cameron Hunt nicht feststellen. Er versuchte, in den toten Winkel zu kommen. Wenn er es nahe genug an die höhergelegene Veranda heran schaffte, dann war er aus dem Blickfeld seines Gegners verschwunden.
Noch zwei, drei Umdrehungen, dann –
Hunt spürte ein Zupfen am Hosenbein, und eine brennende Spur zog sich über seine Wade. Streifschuss! Tat höllisch weh, blutete übel, war aber kein echter Grund zur Sorge. Nicht jetzt jedenfalls, nicht in dieser Lage. Hier ging es um mehr – um sein Leben, verdammt!
Im Liegen warf sich Cameron Hunt vor. Die Bretterverschalung des Veranda-Unterbaus bremste ihm. In ihrem Schutz kam er zur Ruhe, und endlich konnte auch er seine Waffe ziehen. Das vertraute Gewicht des Colts in seiner Hand ließ Cameron Hunts Stimmung gleich um ein paar Punkte steigen.
"Okay, Bastard!", knurrte er. "Jetzt wollen wir mal sehen, wer am Drücker ist!"
Wie ein Kastenteufel richtete sich Hunt blitzschnell und nur für einen Augenblick lang auf und feuerte blindlings einen Schuss über die Veranda. Der andere reagierte wie erhofft – er schoss ebenfalls. Und damit verriet er Cameron Hunt seinen Standort. Er hockte hinter dem Fenster rechts von der Eingangstür. Dort war das Mündungsfeuer seiner Waffe aufgeflammt wie eine orangefarbene Blume.
Wieder in Deckung nickte Hunt zufrieden. Jetzt wusste er, wo sein Kontrahent steckte. Das bedeutete zumindest eine Angleichung der Chancen. Der andere befand sich zwar immer noch in der besseren Situation, schließlich diente ihm das Haus als Deckung. Aber Cameron Hunt wusste jetzt immerhin, worauf er seine Aufmerksamkeit zu lenken hatte.
Dennoch verfluchte sich Cameron Hunt. Oder den verdammten Sturm zumindest! Wäre das Unwetter nicht heraufgezogen, hätte er, Hunt, hier nicht Halt gemacht, sondern wäre an dieser elenden Farm vorbeigeritten und unbehelligt geblieben.
Manchmal war Cameron Hunt davon überzeugt, ein Magnet zu sein, der das Unheil anzog. Und andersrum wurde auch ein Schuh daraus: Das Unheil zog auch ihn an.
Deswegen war er ja eigentlich unterwegs nach Devil Town. Weil ihn das dort nistende Übel anzog. Einen vernünftigen Grund, in diese schlimmste Stadt im Westen zu reiten, gab es nicht. Man musste selbst total verkommen oder wenigstens verrückt sein, Devil Town aufsuchen zu wollen. Oder man musste einen ganz persönlichen und besonderen Grund dafür haben…
Cameron Hunt schüttelte den Kopf, als könne er seine Gedanken damit wieder in andere Bahnen lenken. Dies war weder der rechte Ort noch die Zeit, um darüber nachzudenken, was ihn nach Devil Town trieb. Erst einmal musste er dafür sorgen, dass er seinen Ritt dorthin fortsetzen konnte. Und dem stand immer noch dieser hinterhältige Schießer im Wege!
Wer er wohl war?, überlegte Hunt. Einer der Typen vielleicht, die diese Farm überfallen hatten. Oder jemand, der nach den Banditen oder Indianern gekommen war, wie ein Aasgeier, um sich etwas von dem zu holen, das die anderen übriggelassen hatten.
Egal. Das würde er noch früh genug herausfinden. Hoffentlich… Jetzt war es an der Zeit, etwas zu tun. Cameron Hunt musste und wollte handeln und diesem Scheißspielchen ein Ende setzen – und er wollte dieses Spiel als Gewinner beenden!
Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, kurzerhand auf die Tür des Hauses loszustürmen und dabei mit beiden Colts in Richtung des versteckten Gegners zu feuern. Aber er verwarf die Idee. So etwas funktionierte, wenn einem jemand Rückendeckung gab und den Kontrahenten mit Dauerfeuer dazu zwang, den Kopf unten zu halten. Im Alleingang kam eine solche Aktion einem Selbstmord gleich.
Hunt rief sich den Anblick der Farm in Erinnerung. Links des Wohnhauses hatte er einen Anbau gesehen, einen kleinen, windschiefen Schuppen, der vermutlich als Vorratskammer genutzt wurde. Sein Dach befand sich in Höhe der zweiten Etage des Hauses.
Cameron Hunt nickte. Von dort aus musste es möglich sein, eines der Fenster im oberen Stockwerk zu erreichen. Und wenn er es erst einmal bis in das Haus geschafft hatte, würden seine Chancen noch ein bisschen besser stehen. Dann wäre er näher an seinem Gegner und hätte bessere Deckungsmöglichkeiten als hier draußen.
"Dann los!", rief Hunt sich selbst zu.
Noch einmal schnellte er in die Höhe, feuerte zwei Schüsse in Richtung des Fensters, hinter dem er den Schützen wusste. Der schoss zurück und verriet Hunt damit, dass er noch an derselben Stelle lauerte.
Gut!
Cameron Hunt warf sich wieder zu Boden und kroch los. Wie eine Schlange schob er sich durch den Staub, erreichte die Ecke der Veranda und glitt herum.
Jetzt zählte vor allem Schnelligkeit.
Kaum hatte Cameron Hunt den Punkt erreicht, an dem er von dem anderen nicht mehr gesehen werden konnte, kam er hoch, nahm Anlauf und steckte dabei die Waffe ins Holster. Dann sprang er. Seine Hände bekamen die Kante des schrägen Anbaudachs zu fassen. Ein Klimmzug brachte ihn hinauf.
Oben angelangt, kehrte der Revolver wie von selbst zurück in seine Faust. Eine halbe Sekunde nahm sich Cameron Hunt, um zu lauschen. Er hörte nichts Verdächtiges. Offenbar hatte sein Gegner nicht gemerkt, dass Hunt die Position gewechselt hatte.
Zwei Fenster waren von dem Dach aus zu erreichen. Sie lagen links und rechts davon, jeweils etwa einen knappen Schritt von der Kante aus entfernt.
Hunt entschied sich für das rechte.
Zwei Schritte mussten als Anlauf genügen. Die Dachkonstruktion gab unter seinem Gewicht nach und knirschte gefährlich. Ein heftiger Windstoß brachte ihn zudem noch ins Wanken.
Trotzdem stieß sich Cameron Hunt ab. Einen Moment lag er fast waagrecht in der Luft, vor ihm das Fenster, hinter ihm das Dach, unter ihm der Erdboden. Ein Sturz aus dieser Höhe hätte ihn nicht umgebracht, aber vermutlich genug verletzt, um für den heimlichen Schützen leichte Beute zu werden.
Doch darüber brauchte sich Hunt keine Gedanken zu machen. Er erreichte das Fenster mit seinem Sprung. Die Arme schützend vor den Kopf gelegt, schlug er wie ein überdimensionales Geschoss durch die Scheibe. In einem klirrenden und funkelnden Splitterregen flog er in das Zimmer dahinter. Er prallte zu Boden, verwandelte den Sturz in eine Rolle und kam sofort wieder hoch, den Colt in Blickrichtung vorgestreckt.
Einen Augenblick lang blieb er leicht geduckt stehen und schaute sich um. Er befand sich in einem Schlafzimmer, das offensichtlich seit einer Weile nicht mehr genutzt worden war. Der Staub lag halbfingerdick auf dem Mobiliar, das Bettzeug war feucht und roch modrig.
Eine Tür führte hinaus auf einen Flur.
Im unteren Stockwerk rumorte es. Irgendetwas fiel dumpf scheppernd um. Jemand fluchte halblaut. Dann hörte Cameron Hunt hastige Schritte. Sie wurden lauter, und dem Geräusch nach stieg jemand eine Treppe hoch.
Perfekt!
Rasch versetzte Hunt der Tür einen Tritt, der sie jedoch nicht ins Schloss klappen ließ. Dann stellte er sich dahinter in den toten Winkel.
Wenn er Glück hatte, würde sein Gegner nicht gleich wissen, in welches Zimmer er eingedrungen war. Dann lag das Überraschungsmoment auf Cameron Hunts Seite.
Der andere hatte das Ende der Treppe erreicht. Ein Schuss krachte, blind in den Flur hinein gefeuert. Hunt ließ sich nicht aus der Reserve locken.
Wieder klangen Schritte auf, vorsichtig und langsam diesmal. Jemand schlich draußen an der Tür vorüber.
Cameron Hunt zählte in Gedanken bis drei. Dann trat er lautlos vor, riss die Tür auf und sprang hinaus auf den Flur, die Knie gebeugt und nunmehr seine beiden Colts in die Richtung haltend, in der er seinen Gegner wusste.
Seinen Gegner?
Cameron Hunts Zeigefinger krümmten sich um die Abzüge, aber sie schafften es nicht, abzudrücken. Er fühlte sich selbst wie gelähmt, war vor Überraschung erstarrt.
Diesen Anblick hatte er nicht erwartet, verdammt!
Vor ihm stand – eine Frau!
Und Hunt brachte es einfach nicht fertig, auf eine Frau zu schießen!
Sein Pech…
Denn die Frau kannte solche Hemmungen nicht!
Sie funkelte Cameron Hunt mit wildem Furienblick an.
Und drückte ab!
*
Cameron Hunt überwand seine Starre in dem Moment, da der Zeigefinger der schießwütigen Hexe sich um den Abzug krümmte.
Hunt ließ sich nach hinten fallen, als der Schuss krachte und ein feuriger Dorn aus der Mündung ihres Revolvers stach. Er spürte, wie die Kugel über sein Gesicht sengte, millimeterknapp.
Im Sturz riss Cameron Hunt den Fuß hoch. Seine Stiefelspitze traf das Gelenk der Schusshand des Frauenzimmers. Sie kreischte auf. Ihr nächster Schuss fuhr in die Decke des Flurs.
Und dann war Cameron Hunt auch schon wieder auf den Beinen und bei ihr. Als sie den Revolver von Neuem auf ihn richten wollte, blockte er ihre Bewegung mit dem Unterarm ab.
"Du bekommst mich nicht, du Hurensohn!", keifte sie mit verzerrtem Gesicht. Ihre Augen brannten in kaltem Feuer, und ihr schwarzes Haar flog wie von eigenem Leben beseelt.
"Wer sagt denn, dass ich dich will?", gab Hunt trocken zurück. "Und kein böses Wort mehr über meine Mutter, klar? Sie musste ihr Geld im Schweiße ihres Schoßes verdienen!"
Die eigenen Waffen hatte Cameron Hunt weggesteckt. Während er jetzt mit der linken Hand den Waffenarm der Frau aus seiner Richtung hielt, ballte er die rechte zur Faust und schlug zu. Nicht hart, und der Hieb tat vermutlich ihm mehr in der Seele weh als der Frau am Kinn. Mann, er hasste es, das tun zu müssen. Aber andererseits – verdammt, es ging um sein Leben. Und an dem hing er eben.
Aber der Schlag genügte, um sie auszuknocken. Hunt hatte den richtigen Punkt getroffen. Die Teufelin verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war, dann kippte sie seufzend nach hinten weg. Cameron Hunt fing sie auf und ließ sie behutsam zu Boden gleiten.
Zunächst wand er ihr den Colt aus den Fingern und nahm die Patronen aus der Trommel. Dann nahm er sich einen Moment lang Zeit, die Frau zu betrachten.
Sie war noch keine Dreißig, und sie war hübsch. Jetzt, da ihr Gesicht keine von Furcht und Wahn verzerrte Grimasse mehr war. Wie schlafend lag sie da, und ihr üppiger Busen hob sich unter gleichmäßigen, tiefen Atemzügen. Ihr Kleid hatte schon bessere Tage gesehen, es war schmutzig und stellenweise zerrissen.
Was mochte ihr passiert sein?, fragte sich Cameron Hunt. Ohne Zweifel lag etwas Schlimmes hinter ihr, etwas, das ihr immer noch Angst einjagte. Weshalb sonst hätte sie auf ihn, einen harmlosen Reiter, schießen sollen, ohne jeden Versuch, ihn zu warnen oder auch nur anzusprechen? Hunt nahm an, dass er mit seiner Vermutung, die Farm sei überfallen worden, wohl doch nicht so falsch gelegen hatte.
Wie auch immer, er würde ein paar Takte mit der Lady zu reden haben, wenn sie wieder zu sich gekommen war. Was nicht mehr lange dauern konnte. Hunt kannte die Dosierungen seiner Punchs.
Er fasste die Bewusstlose unter und trug sie in das Schlafzimmer, durch dessen Fenster er in das Haus eingedrungen war. Dort legte er sie auf dem Bett ab, das selbst unter ihrem Leichtgewicht protestierend knarrte.
Ein paar Minuten blieben ihm sicher noch, bis die Schöne wieder aufwachte. Die Zeit wollte Cameron Hunt nutzen, um sich im Haus umzuschauen. Möglicherweise fand er ja etwas, das Rückschlüsse darauf zuließ, was hier vorgefallen war.
Er vergewisserte sich noch einmal, dass die Lady fest schlief, dann verließ er das Zimmer. In die übrigen Räume des oberen Stockwerks warf er nur jeweils einen kurzen Blick. Sie machten keinen allzu bewohnten Eindruck. Überall lag Staub, und muffiger Geruch hing in der Luft.
Die Frau schien sich ausnahmslos im Erdgeschoss aufzuhalten. Und Ordnungsliebe schien nicht ihre größte Leidenschaft zu sein. In den Zimmern herrschte ein ziemliches Durcheinander, und in der Küche türmten sich schmutziges Geschirr und verkrustete Töpfe.
Hinweise auf einen zweiten Bewohner der Farm entdeckte Cameron Hunt nicht. Die Frau schien alleine hier draußen in dieser Einöde zu wohnen. Was doch verdammt seltsam war, wie Hunt fand.
Er knurrte unwillig. Die Lady würde ihm die Fragen, die ihm auf der Zunge brannten, hoffentlich beantworten können.
Hunt wollte sich umdrehen, um wieder nach oben zu gehen und nach der Frau zu sehen. Doch er erstarrte inmitten der Bewegung.
"Hallo, schöner Mann."
Die Stimme kam von der Treppe her. Ihr Timbre ließ die Luft zittern, und etwas strich Cameron Hunt wie ein unsichtbarer, aber glühend heißer Finger übers Rückgrat. Er schauderte. Dann endlich schaffte er, sich ganz umzudrehen – und hatte das Gefühl, von einem Pferdehuf getroffen zu werden!
Er hatte die Frau nicht kommen hören. Wie ein Geist musste sie die Treppe herabgeschlichen sein.
Jetzt stand sie an der Küchentür, lehnte lasziv am Rahmen. Sie spielte mit ihrem vollen schwarzen Haar und schenkte Hunt einen Blick unter halbgesenkten Lidern hervor, der ihm durch und durch ging – genau wie ihre Aufmachung…
…denn sie war splitternackt!
*
"Zieh dir was über, Mädchen", knurrte Cameron Hunt, nachdem er seine Überraschung verdaut hatte. "Du frierst dir sonst noch deinen süßen Hintern ab."
Dass sie fror, war nicht zu übersehen. Ihre Nippel klebten wie Kirschkerne an ihren vollen Brüsten, und ein sichtbarer Schauder kroch über ihre alabasterfarbene Haut, als sie die Fingerspitzen um ihre Brustwarzen kreisen ließ. Ihre Zunge huschte über die Lippen und hinterließ ein mattes Schimmern.
"Warum kommst du nicht zu mir und wärmst mich?", fragte sie rau. Ihr Lächeln verursachte Cameron Hunt ein Kribbeln in den Adern.
Trotzdem sagte er: "Schlag dir die Nummer ganz schnell aus dem Kopf, Süße. Darauf fall ich nicht rein."
"Was meinst du?" Entweder schauspielerte sie ihr Unverständnis perfekt, oder sie wusste wirklich nicht, was Hunt meinte.
Er glaubte durchschaut zu haben, was sie vorhatte. Sie wollte ihn einlullen, ihm die fleischgewordene Sünde vorspielen, um im richtigen Moment an seine Revolver heranzukommen. Und dann würde sie nicht zögern, abermals auf ihn zu schießen.
Wie gesagt, das glaubte Cameron Hunt. Aber im Gesicht der jungen Frau war irgendetwas, das ihn irritierte. Das seine Überzeugung untergrub. In ihren Zügen lag ein fast mädchenhafter, naiver Ausdruck, der es schwermachte, ihr zu misstrauen.
Und dazu kam noch, dass Frauen unbewusst immer seinen schwachen Punkt trafen. Und der lag nun mal zwischen seinen Zehen – zwischen den beiden großen…
Hunt wünschte sich, der Anblick der nackten Schönen hätte ihn kaltgelassen. Aber das tat sie nicht. Im Gegenteil, sie machte ihn heiß, wie sie da stand, sie törnte ihn an. Und er spürte, wie ihm die Hose im Schritt eng zu werden begann.
Aber immerhin schaffte er es, diese Gefühle einigermaßen zu ignorieren. Und wie um sich auf das Wesentliche zu besinnen, ließ er beide Hände auf die Colts an seinen Hüften fallen, die Zeigefinger locker am Abzug.
"Hör auf mit der Show!", raunzte er die Nackte an. "Erzähl mir lieber, was hier passiert ist, okay?"
Die Schwarzhaarige indes dachte gar nicht daran, seiner Aufforderung nachzukommen. Lächelnd löste sie sich vom Türrahmen und tänzelte elfenhaft auf Cameron Hunt zu. Er hatte alle Mühe, seinen Blick von dem flaumigen Dreieck ihres Schoßes zu lösen, um stattdessen ihre Hände im Auge zu behalten.
"Warum konzentrieren wir uns nicht lieber auf das, was hier gleich passieren könnte?", säuselte sie. Ihre Lider flatterten wie Schmetterlingsflügel. Und mindestens ein Dutzend Schmetterlinge meinte Cameron Hunt in seinem Bauch flattern zu spüren.
Als die Schöne die Arme nach ihm ausstreckte, wie um sie ihm um den Hals zu legen, wich er zurück. In der Bewegung zog er die Colts.
"Finger weg!", schnarrte er. "Und stehenbleiben!"
Diesmal gehorchte sie. Sie blieb stehen und ihre Schultern sanken herab, als sei sie enttäuscht. Und in ihrem Gesicht las Hunt wieder dieses unschuldige Nichtverstehen, das ihn an ein Kind erinnerte.
"Gefalle ich dir nicht?", fragte sie, die Arme leicht ausgestreckt, und damit er sie besser begutachten konnte, drehte sie sich noch dazu um ihre eigene Achse.
Grundgütiger, sie hatte den schärfsten Hintern, den Cameron Hunt seit Langem gesehen hatte! Knackig und genau richtig gerundet, mit einem Grübchen dort, wo die Bäckchen zusammentrafen.
"Darum geht's nicht", sagte er, aber die Schärfe war aus seiner Stimme gewichen. Sie klang fast fremd in seinen eigenen Ohren.
Als sie vorsichtig einen Schritt näherkam, ließ er sie gewähren.
"Sondern?", fragte sie. "Worum geht's dann?" Ein misstrauisches Funkeln trat in ihre dunklen Augen. "Magst du etwa keine Frauen?"
Cameron Hunt grinste schief. "O doch, Ma'am!", rief er. "Frauen sind mein liebstes anderes Geschlecht."
Sie lachte glockenhell. Wieder drehte sie sich, und diesmal stand sie so nahe, dass ihre Hand, wie zufällig, Cameron Hunts Schritt streifte. Er musste sich auf die Zunge beißen, um nicht aufzustöhnen.
"Wie heißt du eigentlich?", fragte er, nur um irgendetwas zu sagen.
"Madison", antwortete sie. "Aber alle nennen mich Maddy."
"Alle?", hakte Hunt nach. Er ließ den Blick schweifen. "Wer sind denn alle? Ich sehe hier niemanden außer dir. Du lebst doch allein hier, oder?"
Madison hielt einen Augenblick lang inne, als müsse sie nachdenken. Dann, ganz kurz nur, lief ein Zittern über ihre Züge, doch es verschwand so schnell, dass Hunt es für eine Täuschung hielt. Schließlich nickte Maddy. "Ja, allein. Bin ganz allein hier."
"Muss langweilig sein."
Sie hob die Schultern. "Ab und zu. Aber manchmal kommt jemand vorbei, um mich zu besuchen."
Cameron Hunt grunzte. "Jemand wie ich, wie?"
Sie lächelte. Süß.
"Versuchst du jeden Besucher umzulegen?", wollte Hunt wissen.
"Umlegen? Was meinst du…?" Wieder schien sie tatsächlich nicht zu wissen, worauf Cameron Hunt anspielte.
"Na hör mal!", rief er. "Immerhin wolltest du mir ein halbes Pfund Blei in den Pelz jagen! Das kannst du ja wohl kaum vergessen haben."
"Ach? Wollte ich das? Sowas…" Madison schüttelte den Kopf. Dann lachte sie. "Ich mache manchmal so seltsame Sachen. Böses, böses Mädchen…" Sie sprach wie zu sich selbst.
"Seltsam", murmelte Cameron Hunt und nickte. "In der Tat, sehr seltsam."
Madison hörte ihn nicht, oder tat zumindest so.
Und Cameron Hunt hatte keine Lust mehr, ihr zuzuhören. Wobei 'keine Lust' vielleicht der falsche Begriff war… Aber er wollte definitiv nicht warten, bis er seiner Lust nicht länger zu widerstehen vermochte!
Was immer diese Frau für ein Problem hatte, es war nicht seines. Und er wollte nicht, dass es zu seinem wurde! Er hatte eigene. Und er war unterwegs, um sie zu lösen. In Devil Town wartete ein ganzer Haufen von Schwierigkeiten auf ihn. Cameron Hunt lachte innerlich auf, verbittert und freudlos. In diesem Fall war 'Schwierigkeiten' ganz bestimmt der falsche, weil verharmlosende Begriff…
"Hör zu, Schätzchen", sagte er und steckte die Revolver weg. Dabei achtete er darauf, dass die Distanz zwischen ihm und der Nackten groß genug war, dass sie nicht an die Schießeisen in seinem Gürtel herankam. "Ich dachte, ich könnte hier warten, bis der Sturm vorbeigezogen ist. Aber das scheint mir keine so gute Idee mehr. Ich mach mich vom Acker, okay?" Er tippte sich an die Hutkrempe. "So long, Sweetie."
"Aber –" Madison schaute ihn aus großen Augen an.
"Kein Aber", fiel ihr Hunt ins Wort. Er wandte sich zum Gehen.
Wenn er Glück hatte, würde der Sturm weniger heftig, als er befürchtete. Oder vielleicht schaffte er es zumindest, einen anderen Unterschlupf zu finden, bevor der Sturm richtig losbrach.
Doch Cameron Hunt hatte Pech.
Über dem Haus explodierte der Himmel in weißer Glut, so grell, dass Hunt einen Moment lang geblendet die Augen schloss. Zwei Sekunden später ließ dröhnender Donnerschlag die Welt erzittern, und zugleich öffnete der Himmel sämtliche Schleusen. Sturzbachartig ging draußen der Regen nieder, trommelte wie Gewehrfeuer auf das Dach, und sein Rauschen war so laut wie das eines Wasserfalls.
Einen Fluch auf den Lippen trat Cameron Hunt an eines der Fenster und schaute nach draußen.
Der Hof hatte sich binnen weniger Sekunden in einen schlammigen Pfuhl verwandelt. Hunt knurrte etwas Unverständliches. Er würde es nicht einmal bis zur Scheune hinüber schaffen, wo er sein Pferd zurückgelassen hatte. Und das hieß, dass er hier festsaß – verdammt!
Er spürte, wie Madison von hinten an ihn herantrat. Er fühlte ihre nackten Brüste in seinem Rücken. Ihre Hand glitt sanft über seine Brust, dann über seinen Bauch hinab und tiefer, und ihr warmer Atem streifte seinen Nacken.
Cameron Hunt seufzte resignierend.
Es gab weiß Gott schlechtere Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben…
*
Devil Town… Merv Griffith hasste die Stadt, die ihm sein Lebtag lang Heimat gewesen war!
Er hasste sie, seit ihr wahrer Name in Vergessenheit geraten war. Seit ein rauer Wind durch die Straßen der Stadt wehte, der jeden brach, der sich ihm nicht beugte. Merv Griffith hatte eine Menge Männer gesehen, die sich diesem rauen Wind nicht hatten beugen wollen. Und ein paar von ihnen hatte Merv sterben sehen.
Devil Town… Bei Gott, der Name passte zu dem, was aus der Stadt geworden war! Die übelsten Sünder wurden von ihr angezogen wie die Schmeißfliegen vom Mist, und sie fühlten sich hier wie zu Hause.
Merv Griffith ballte die Fäuste, so fest, dass seine Fingerknöchel knackten und spitz und weiß hervortraten, kleinen, knöchernen Hügeln gleich. Die Kiefer presste er so fest aufeinander, dass es wehtat.
Natürlich hatte Merv Griffith daran gedacht, seinen Gemischtwarenladen aufzugeben und die Stadt zu verlassen. Aber er hatte es nicht getan. Nicht einmal wirklich versucht hatte er es.
Warum er immer noch hier ausharrte, wusste Merv Griffith selbst nicht genau. Vielleicht lag es daran, dass er immer noch Freunde hatte in der Stadt. Und vielleicht hoffte er, dass irgendwann wieder bessere Zeiten anbrechen würden.
Der letzte Gedanke ließ Merv Griffith bitter auflachen. Er brauchte nur die Augen aufzumachen und sich in seinem Laden umzusehen, dann sah er wie weit entfernt diese besseren Zeiten waren!
Die drei Kerle bedienten sich aus den Regalen und schleppten kistenweise Vorräte hinaus. Lebensmittel vor allem, aber auch Haushaltswaren, einen Topf, eine Pfanne. Ein hübsches Kleid, das Merv vor ein paar Tagen erst hereinbekommen hatte. Einer der Kerle hielt es sich unters unrasierte Kinn und tänzelte plump im Kreis herum, die anderen beiden grölten.
"Sie wird großartig aussehen in dem Fetzen!", meinte einer. Merv kannte nur seinen Vornamen: Fred. Fast Freddy nannten sie ihn. Und Merv wusste, weshalb. Er hatte mitangesehen, wie Fast Freddy einen Mann niedergeschossen hatte – das hieß, es war so schnell geschehen, dass Merv es eben kaum hatte sehen können…
"Mir gefällt sie ja besser ohne Klamotten", sagte ein anderer geifernd. Glatzköpfig, hageres Gesicht, schiefe Zähne und wässrige Augen. Sein Spitzname war Spit. Zweifelsohne deshalb, weil er beim Sprechen spuckte wie ein Springbrunnen.
"Hört auf mit dem Scheiß und beeilt euch!", mischte sich der dritte Kerl ein. "Hab' keine Lust, den ganzen Tag hier zu verplempern."
Diesen Dritten kannte Merv Griffith. Sein Name war Pete Lyndon. Er stammte aus Devil Town. War kein übler Junge gewesen. Früher. Bevor er sich hatte anstecken lassen von dem, was in die Stadt eingezogen war: vom Bösen…
Merv grinste freudlos.
Das Böse…
Das klang verdammt melodramatisch. Aber es traf den Nagel so einigermaßen auf den Kopf.
Das Trio packte noch ein paar Sachen zusammen, dann schickten sich die Kerle an, Merv's Mercantile zu verlassen.
"Hey!", rief Merv Griffith, bevor die drei zur Tür hinaus waren. "Was haltet ihr davon, das Zeug zu bezahlen?"
Stille senkte sich über den Laden. Die drei Kerle schienen in der Bewegung einzufrieren, und sekundenlang war nichts zu hören außer dem Bullern des Kanonenofens, der an der rückwärtigen Wand des Ladens stand. Auf der Bank daneben saßen zwei Oldtimer, die hereingekommen waren, um ihre alterskalten Knochen aufzuwärmen. Jetzt hockten sie so starr da, als seien sie gestorben.
Merv wusste selbst nicht recht, welcher Teufel ihn ritt. Aber er hatte einfach nicht schweigend zusehen können, wie ihm die Typen seine Waren buchstäblich vor der Nase wegklauten. Er hatte die Schnauze voll, und das Fass, seit längerem schon randvoll, war schließlich übergelaufen.
Es war der glatzköpfige Spit, der sich als Erster rührte. Langsam wandte er sich um. Ohne Eile schlenderte er auf Merv zu. Fast Freddy schloss sich ihm an. Nur Pete Lyndon hielt sich ein wenig im Hintergrund.
"Nichts."
Spit spuckte dem Ladenbesitzer die Antwort förmlich ins Gesicht.
"Gar nichts halten wir vom Bezahlen." Fast Freddy hatte sich neben Spit aufgebaut, die Hände wie zufällig auf den Griffen der beiden Colts, die links und rechts an seinen Hüften hingen. "Aber du solltest uns vielleicht ein bisschen Dankbarkeit zeigen", fuhr er fort.
"Wofür?" Merv Griffith hatte Mühe, nicht zu zittern, aber er schaffte es einigermaßen. Selbst als Fast Freddy ihm blitzschnell den Lauf eines seiner Revolver vor die Nase hielt, zuckte Merv kaum zurück.
"Wofür?", äffte Freddy ihn nach. "Dafür vielleicht, dass wir dir nicht die ganze Bude ausräumen? Oder dafür, dass ich dir dein Scheißleben lasse?"
"Scheißleben!" Merv schaffte es tatsächlich, verächtlich aufzulachen. "Das ist wohl wahr. Ein Scheißleben ist das hier, seit ihr –"
Fast Freddy grinste verschlagen. "Oh", machte er, "das hört sich ja ganz so an, als würdest du nicht an deinem Scheißleben hängen, wie? Vielleicht würde ich dir ja einen Gefallen tun, wenn –"
Sein Daumen zog den Hahn des Revolvers zurück. Das Klicken klang überlaut.
Eine Schweißperle rann Merv Griffith von der Stirn ins Auge und ließ ihn blinzeln.
Fast Freddys Finger krümmte sich.
Merv schloss die Augen.
"Gottverdammt, hör auf mit diesem Mist, du Idiot!"
Pete Lyndons Stimme. Schnelle Schritte auf dem Holzboden.
Ein Schuss!
Fast Freddy presste einen Fluch hervor.
Merv öffnete die Augen.
Pete Lyndon war Fast Freddy in den Arm gefallen. Die Kugel, die Merv Griffith zwischen die Augen hätte treffen sollen, war in die Decke gefahren. Jetzt funkelten die beiden Kerle einander an, und einen Moment lang war Merv davon überzeugt, dass Freddy jetzt den jungen Pete umlegen würde –
Und vielleicht hätte er es getan…
Wäre in diesem Augenblick nicht die Ladentür aufgeflogen, so heftig, als würde sie von einem Sturmwind fast aus den Angeln gerissen.
Eine dunkle Gestalt füllte den Türrahmen fast aus. Breitschultrig, hochgewachsen, gekleidet ganz in Schwarz. Das Gesicht lag im Schatten der breiten Hutkrempe. Nur auf Höhe der Brust funkelte etwas, strahlend hell und golden. Ein Stern.
Nathan Rourke.
Der Sheriff.
Aber in dieser Stadt war das Auftauchen des Sheriffs kein Grund zur Beruhigung oder auch nur zum Aufatmen.
Nicht mehr, seit man sie Devil Town nannte.
*
"Probleme?"
Nathan Rourke sagte nur dieses eine Wort. Seine Stimme war ein dunkles, dumpfes Geräusch, als käme sie aus einem tiefen Loch, einem Grab vielleicht oder einer Gruft. Und dazu passte, dass Rourke wie von einer kalten Aura umgeben schien. Gerade so, als trage er einen Mantel aus Eis, dessen Kälte jedermann in sener Nähe zu spüren bekam.
Der Sheriff trat vor, langsam, aber festen Schrittes, die Schöße seines Mantels zurückgeschlagen, die Daumen lässig hinter den Gürtel gehakt.
Pete Lyndon und Fast Freddy lösten sich voneinander.
"Nein, keine Probleme", beeilte sich Pete zu sagen.
Aber Freddy fuhr ihm in die Parade. "Unser guter Merv hier", er wies mit dem Daumen über die Schulter, "ist auf die Idee gekommen, dass wir neuerdings bezahlen müßten, was wir uns hier holen. Ich wollte ihm diese Idee austreiben, mitsamt seines verdammten Gehirns, aber der liebe Pete war dagegen."
Pete Lyndon wand sich, als würde er von Fast Freddys stechendem Blick aufgespießt wie ein Wurm am Angelhaken.
Sheriff Rourke baute sich vor ihm auf. Er überragte Pete Lyndon um Haupteslänge, aber der junge Bursche schien noch um ein Vielfaches kleiner. Gesenkten Blickes stand er da, seine Finger krampften sich nervös ineinander.
"Ich dachte nur", sagte er leise, "wir brauchen Merv noch. Er ist der Mann, der uns mit allem versorgt, oder? Und –"
Nathan Rourke ließ einen grollenden Laut hören. "Hmmm. Keine dumme Ausrede, Petey."
Er wandte sich ab und Merv Griffith zu. Der Ladenbesitzer stand nach wie vor säulenhaft starr hinter dem Verkaufstresen. Rourke trat so nahe vor ihn hin, dass Merv den sauren Atem des Sheriffs riechen konnte.
"Aber", setzte Nathan Rourke dann an, "wenn der gute Merv meint, er bräuchte nicht mehr nach meinen Regeln zu spielen, dann…"
Den Rest ließ er unausgesprochen. Seine Drohung verfing auch so. Merv Griffith wusste, was mit Männern passierte, die sich Nathan Rourkes Regeln widersetzten – sie verschwanden. Auf Nimmerwiedersehen. Im Namen des Gesetzes (und diese Gesetze bestimmte in Devil Town allein Sheriff Rourke) oder durch Unfälle, die so wenig zufällig waren, dass ein Blinder mit Krückstock ihre wahren Ursachen erkannt hätte. Fast Freddy beispielsweise war eine solche 'Unfallursache'…
"Also?", knurrte Nathan Rourke. "Wie schaut's aus, Merv? Haben meine Männer und ich noch Kredit bei dir, oder – ?"
Auf einen knappen Wink des Sheriffs hin trat Fast Freddy an dessen Seite. Den Colt hatte er noch nicht wieder weggesteckt. Er ließ die Waffe um den Finger kreisen.
Merv Griffith schwieg. Sein Gesicht war grau. Weniger vor Angst. Vor allem vor Wut. Merv war wütend auf sich, dass er es zuließ, dass man so mit ihm umsprang. Aber er war auch wütend auf jeden anderen in der Stadt; auf jeden Mann, der nichts unternahm gegen Nathan Rourke und seine Deputys, wie er diesen Haufen von Galgenvögeln selbst nannte. Eine Schande für das ehrenwerte Amt und eine Beleidigung für all die anständigen Männer, die es in anderen Städten bekleideten!
"Ich kann dich nicht hören, Merv", zischte Fast Freddy, ohne in seinen Fingerübungen innezuhalten.
Merv Griffith sagte nichts. Aber er nickte immerhin. Wenn auch wie gegen seinen Willen, knapp und steif.
"Gut." Nathan Rourke nickte. Und Freddy ließ den Revolver ins Holster rutschen. Auf seinem Gesicht meinte Merv Griffith eine Spur von Enttäuschung zu sehen.
Der Sheriff drehte sich um, grüßte die beiden Oldtimer neben dem Ofen mit übertriebener Höflichkeit, dann winkte er seinen Männern, ihm zu folgen. Sie verließen Merv's Mercantile und traten auf die Main Street hinaus.
Fast Freddy, Spit und Pete Lyndon hatten die Sachen, die sie in Mervs Laden 'erstanden' hatten, auf zwei Pferde gepackt. Sheriff Rourke überprüfte die Ladung und nickte zufrieden.
"Okay, das sollte genügen", meinte er und fügte mit breitem Grinsen hinzu: "Als Mitbringsel."
Fast Freddy und Spit lachten geifernd.
Pete Lyndon hielt sich heraus. Er fühlte sich nicht wohl, nicht bei dieser speziellen Sache und nicht in seiner Haut, nicht mehr. Er kam sich ein bisschen vor wie ein kleiner Junge, der fasziniert mit dem Feuer gespielt hatte und jetzt plötzlich zusehen musste, wie dieses Feuer immer weiter um sich griff, immer größeren Schaden anrichtete, und er war einfach nicht imstande, etwas dagegen zu tun.
"Wann geht's los?", fragte Spit speichelnd. Fast schien er in die Hände klatschen zu wollen, wie ein ungeduldiges kleines Kind. "Wann reiten wir?"
Nathan Rourke warf ihm ein schiefes Grinsen zu. "Wer sagt, dass du mitkommen darfst?"
Spit erstarrte. Seine feuchte Unterlippe zitterte. Pete Lyndon ekelte sich vor dem Kerl. Spit sah aus, als würde er gleich anfangen zu heulen.
"A-aber… Boss!" Er jaulte wie ein getretener Straßenköter. "Ich… w-warum nicht?" Spit hustete, weil er sich an seinem Geifer verschluckte.
Rourke lachte auf. "Krieg dich ein, Spit. Natürlich kommst du mit. Ich weiß doch, wie scharf du auf den Ausflug bist."
Fast Freddy grinste. "Nee, Nate, Spit ist nicht scharf auf den Ausflug. Nur auf den scharfen Ritt!" Er bewegte sein Becken vor und zurück.
Spit lachte ebenfalls. "Ja, will unsere kleine Stute wieder zureiten!"
Pete Lyndon trat neben Rourke.
"Nate", sagte er zögernd, "ich… macht's dir was aus, wenn ich nicht mitkomme?" Er wollte nicht, verdammt, er wollte das nicht mitmachen!
"Warum nicht?", fragte Nathan Rourke eisig.
Pete rieb sich den Magen. "Ah, mir geht's nicht besonders. Vielleicht sollte ich mich einfach ein bisschen hinlegen oder so."
"Unsinn!", unterbrach ihn der Sheriff. Mit der flachen Hand schlug er Pete auf den Bauch. "Wahrscheinlich hast du einfach nur zuviel Druck auf der Leitung. Wird Zeit, dass du ihn loswirst. Und deswegen kommst du mit. Ist doch die beste Gelegenheit!"
Er ging zu seinem Pferd und saß auf. "Los!", rief er. "Die anderen warten schon." Er wendete sein Tier und ließ es in Richtung des Sheriff's Office trotten.
Spit und Fast Freddy schwangen sich ebenfalls in den Sattel. Sie nahmen außerdem die beiden Packpferde an der Leine und führten sie mit sich, als sie Nathan Rourke folgten.
Pete Lyndon schloss sich ihnen notgedrungen an. Er fühlte sich mieser noch als vor ein paar Sekunden. Aus seinem Bauchdrücken war ein Gefühl geworden, als habe er einen Ziegelstein verschluckt. Er wusste, wohin sie unterwegs waren, und er wusste, weshalb sie dorthin ritten. Er war zum ersten Mal mit von der Partie, hatte die anderen aber schon davon erzählen hören. Und er war verdammt nicht scharf darauf, dieses Spiel mitzuspielen.
Aber noch weniger scharf war er darauf, sich Nathan Rourkes Zorn oder auch nur Unmut zuzuziehen. Immerhin hatte Pete Lyndon schon eigenhändig mitgeholfen, Männer zu begraben, auf die Sheriff Rourke sauer gewesen war…
"Ja, genau", kicherte Spit, "die anderen warten – und unser Zuckerpüppchen wartet auch! Auf uns nämlich! Sehnsüchtig!" Er johlte begeistert, voller Vorfreude.
Fast Freddy nickte überzeugt. "So ist es. Und 'ne Lady lässt man nicht warten, stimmt's?"
"So eine nicht!", geiferte Spit. "Nicht, wenn's einer so brennt unterm Rock wie unserer scharfen Mad Maddy!"
Drei Augenpaare verfolgten den Abzug von Nathan Rourke und seiner Meute.
Merv Griffith und die beiden Oldtimer standen hinter der breiten Fensterscheibe von Merv's Mercantile. Reglos. Wie ein Tribunal. Und sie dachten alle drei den gleichen Gedanken.
Aber nur Merv Griffith sprach ihn aus. Leise und kalt.
"Wo ihr auch hinreitet und was ihr auch vorhabt, ihr Bastarde – ich hoffe, dass ihr dem Teufel in die Arme lauft. Und dass er euch mitnimmt in die Hölle!"
*
Madison ließ Cameron Hunt durch die Hölle gehen und bescherte ihm zugleich den Himmel auf Erden! Er war beileibe kein Grünschnabel, was Bettgeschichten anging, aber eine Frau wie Madison hatte er noch nicht gehabt.
Während draußen das Unwetter tobte, entfesselten sie im Haus einen Sturm ganz anderer Art. Im schattenlosen Licht der Blitze funkelte der Schweiß auf ihren nackten Körpern wie Perlen, und der Donner ließ das Bett unter ihnen erbeben und fachte ihre Leidenschaft noch mehr an.
Mit Zärtlichkeit hatte das, was sie miteinander trieben, nur wenig zu tun. Viel mehr erinnerte es an einen Kampf!
Cameron Hunt stöhnte auf, als ihm Madisons Fingernägel brennend über den Rücken fuhren. Aber er verstand ihr Zeichen und bewegte sich heftiger und härter. Maddy schrie ihre Lust hemmungslos hinaus, bis der Donner ihre Stimme übertönte.
Immer wieder flüsterte sie Hunt heiser Schlüpfrigkeiten ins Ohr und schürte damit noch seine Lust.
Bisweilen glaubte er, es mit einer Schlangenfrau zu tun zu haben. Madisons Leib schien durch und durch biegsam, als habe sie weder Knochen noch Gelenke. Ihre Beine wanden sich förmlich um seine Hüften, und wie eine erfahrene Reiterin diktierte sie auf diese Weise seine Gangart. Mal trieb sie ihn zu harten Stößen, dann wieder durfte er nur langsam in sie eindringen.
Aber Madison nahm nicht nur, sie gab auch. Sie verwöhnte Cameron Hunt. Sie 'kämpfte' mit ganzem Körpereinsatz. Sie nahm ihn auf in das tiefe Tal ihres herrlichen Busens, sie ließ ihn ihre flinke kleine Zunge und ihre vollen Lippen spüren. Und sie schien einen besonderen Sinn dafür zu haben, wenn sie es langsamer angehen lassen musste, um das Spiel nicht zu früh zu beenden.
Irgendwann aber – nach einer Ewigkeit, wie es Hunt schien – konnte er nicht mehr an sich halten. Sein ganzer Körper schien sekundenlang in Flammen zu stehen. Dann sank er stöhnend neben Madison in die Kissen und Laken.
Trotzdem ließ Cameron Hunt die Schöne nicht aus den Augen. Er hatte nicht vergessen, dass sie ihm vor Kurzem noch nach dem Leben getrachtet hatte. Als sie ihm die Kleidung ausgezogen hatte, war Hunt darauf bedacht gewesen, seinen Waffengurt außerhalb ihrer Reichweite abzulegen. Und jetzt achtete er darauf, dass sie sich nicht klammheimlich in dessen Nähe stahl.
Schließlich wusste er nicht, welcher Teufel dieses Mädchen ritt. Konnte ja sein, dass das Schicksal ihr die Rolle einer fleischgewordenen Schwarzen Witwe zugedacht hatte, die ihren Gespielen nach dem Akt genüsslich tötete. Vielleicht saß Madison ja hier draußen wie eine Spinne im Netz und wartete nur darauf, dass sich männliche Beute darin verfing…
Aber Madison tat nichts dergleichen. Sie tat gar nichts. Lag nur stumm und reglos neben Cameron Hunt und starrte im Dunkeln zur Decke empor.
Im Licht der unregelmäßig aufflackernden Blitze konnte Hunt ihr Gesicht sehen. Es wirkte seltsam ausdruckslos, die Züge schlaff. Und ihre Augen sahen aus wie gläserne Murmeln. Wie – tot…
"Maddy?"
Er beugte sich zu ihr hinüber. Sie reagierte nicht.
Hunt berührte sie. Ihre Haut unter seinen Fingern zu fühlen ließ ihn alle Erschöpfung vergessen. Das Gefühl weckte in ihm die Lust aufs Neue, die Lust auf mehr, auf Runde zwei.
"Alles in Ordnung, Madison?", fragte er leise und ganz nah an ihrem Ohr. Seine Lippen berührten ihren Hals und wanderten weiter zu ihrem Kinn, um –
Bevor er Madison küssen konnte, schrie sie auf! So dicht an seinem Ohr, dass er meinte, ihm würde das Trommelfell platzen!
Zugleich stieß sie ihn von sich, rückte von ihm ab und sprang aus dem Bett.
"Fass mich nicht an, du Scheißkerl!", kreischte sie. "Lass mich in Ruhe!"
Cameron Hunt setzte ihr nach.
"Verdammt, was ist denn in dich gefahren?", fragte er erschrocken.
Er wollte nach Maddy greifen, doch sie schlug seine Arme beiseite und trat nach ihm. Es gelang ihm halbwegs, ihrem Tritt auszuweichen. Ihr Fuß erwischte ihn nur an der Hüfte. Dennoch stöhnte er auf, wenn auch mehr vor Wut als vor Schmerz.
Rasch brachte Cameron Hunt sich zwischen die Tobende und den Stuhl, an dem sein Revolvergurt hing. Aber auf den hatte Madison es offenbar gar nicht abgesehen. Und sie versuchte auch nicht länger, ihn anzugreifen.
Stattdessen wich sie weiter zurück, bis zur Wand hin. Sie lehnte sich dagegen, rutschte daran entlang zu Boden und blieb mit angezogenen Knien hocken.
Wieder flammte ein Blitz auf und tauchte das Zimmer sekundenlang in grelles Licht.
Madison wirkte darin bleich wie ein Gespenst. Ihre Lippen zitterten, und ihre weit offenen Augen füllten sich mit Tränen. Dann barg sie das Gesicht in den Händen und begann zu schluchzen. Ihr Körper zitterte wie von Krämpfen geschüttelt.
Cameron Hunt verstand gar nichts mehr. Was war nur los mit dieser Frau? Sie fiel von einem Extrem ins andere, grundlos, wie es schien. Und er hatte nicht die geringste Ahnung, was mit ihr los war, geschweige denn, wie er ihr helfen könnte.
Behutsam, um sich nicht noch mehr zu erschrecken (wenn er das denn überhaupt getan hatte), näherte er sich ihr und ging vor ihr in die Knie. Langsam streckte er die Hand aus und strich ihr durchs Haar – oder wollte es zumindest tun…
…denn kaum spürte Madison seine Berührung, heulte sie regelrecht auf und warf sich zur Seite. Sie sah Hunt mit solch entsetztem Ausdruck im Gesicht an, als sei er ein Ungeheuer und nicht der (wohl schlecht rasierte, aber ansonsten doch passabel aussehende) Mann, mit dem sie eben noch in heißer Leidenschaft entflammt war.
"Um Himmelswillen, was ist denn los?", fuhr Hunt auf. Er empfand nicht wirklich Wut. Es war die Hilflosigkeit, die ihn laut werden ließ. Und er bereute es in dem Augenblick, da Madison wimmernd von ihm wegkroch.
Irgendetwas stimmte mit ihr nicht, ganz und gar nicht! Was immer mit ihr los war, es ging über simple Launenhaftigkeit hinaus, weit hinaus! Madison schien vollkommen durcheinander zu sein, regelrecht… verrückt.
Einen Moment lang war die Versuchung, einfach zu verschwinden, so schnell wie möglich und trotz des Sturms, riesengroß. Aber Cameron Hunt gab ihr nicht nach, natürlich nicht und nicht nur, weil der Sturm ihm Respekt einflößte. Nein, er konnte Madison nicht einfach sich selbst überlassen. Er wollte ihr helfen, irgendwie; er musste es tun. Und das lag nicht daran, dass er mit ihr im Bett gewesen war. Mochte er vorhin auch noch gehofft haben, dass ihr Problem, was es auch sein mochte, nicht das seine war, jetzt betrachtete er die Angelegenheit mit anderen Augen.
Irgendetwas an dieser jungen Frau rührte ihn an, berührte sein Herz. Er spürte eine ganz eigenartige und nicht in Worte zu fassende Verbindung zu ihr. Als sei es – aus irgendeinem Grund, den er sich nicht erklären konnte – seine Pflicht, Madison beizustehen.
Ein weiteres Mal wollte Cameron Hunt versuchen, sich ihr zu nähern. Noch vorsichtiger diesmal. Aber er kam nicht dazu.
Jedoch nicht, weil Madison irgendetwas getan hätte, um sich seiner zu erwehren.
Nein, das Fenster ging splitternd zu Bruch! Wie ein armstarker Balken von draußen dagegen geschlagen war und jetzt wie ein Geschoss ins Zimmer jagte!
Das zersplitterte Ende des Holzes bohrte sich in die Kissen, in denen sich Cameron und Maddy eben noch gewälzt hatten. Federn wölkten auf und stoben wie Schnee durch den Raum.
Madison schrie auf, kreischte, und beruhigte sich nicht mehr.
Hunt fluchte und bewegte sich geduckt auf das zerstörte Fenster zu.
Von draußen drang Lärm herein, der zweifelsohne nicht mehr nur vom Donner herrührte. Vielmehr klang es, als ginge da draußen die Welt zu Bruch, im wahrsten Sinne des Wortes!
Sturmwind fuhr herein, zerrte und rüttelte wie mit unsichtbaren Fäusten an allem. Möbel begannen sich zu bewegen, und die stiebenden Federn reduzierten die Sicht.
"Bring dich in Sicherheit, Maddy!", schrie Cameron Hunt gegen das Brüllen des Sturmes an. Er sah die junge Frau nicht mehr.
Endlich hatte er sich gegen den Sturm bis ans Fenster herangekämpft und zog sich hoch. Vorsichtig lugte er hinaus –
– und fluchte wüst, während Panik ihre kalten Finger nach ihm ausstreckte und an seiner Seele zupfte!
"Ach du heilige Scheiße!"
Blitzschnell duckte er sich, als etwas Dunkles auf ihn zuraste. Eine Dachschindel, die haarscharf über ihn hinwegrasierte und hinter ihm scheppernd an der Wand zersplitterte.
Dann schaute Hunt abermals hinaus. Er wollte seinen Augen nicht trauen. Aber sie hatten ihn nicht getäuscht –
"Was?" Maddy schrie ihm ins Ohr. Irgendwie hatte sie es bis zu ihm ans Fenster geschafft, und was immer sie eben noch in diese panische Stimmung versetzt hatte, schien jetzt wie verflogen.
Erklär mir einer die Weiber!, ging es Cameron Hunt durch den Kopf.
Sie hielt sich an seinen nackten Schultern fest, doch die Berührung ihrer Brüste ließ ihn diesmal bucstäblich kalt. Er fror.
"Was ist los? Der Sturm – ?", hörte er Madisons Stimme an seinem Ohr.
Cameron Hunt stieß einen irren Laut aus.
"Das ist nicht mehr irgendein Sturm!", sagte er endlich.
"Was denn – ?"
Hunt musste erst Atem holen, ehe er antworten konnte. Der Sturmwind nahm ihm förmlich die Luft.
"Ein Wirbelsturm!", schrie er dann. "Ein gottderdammter Twister!"
*
Es sah aus, als wachse dort drüben, keine hundert Meter entfernt, ein gewaltiger Pfeiler aus dem Boden, der den sturmdunklen Himmel stützte. Doch diese Säule stand nicht still. Sie rotierte, sie kochte und brodelte, und sie bewegte sich vom Fleck. Eine monströse Vernichtungsmaschine, von Mutter Natur konstruiert, beseelt vom fauchenden Atem eines titanischen Dämons.
Sekundenlang konnte Cameron Hunt nichts anderes tun, als die zerstörerische Säule aus Wind und Staub nur anzustarren.
Der Twister hatte einen der kleineren Schuppen regelrecht zerlegt, und er spie die Trümmer des Gebäudes in alle Richtungen.
Jetzt erreichte der Wirbelsturm den nächsten Schuppen. Er diente als Hühnerstall, wie Cameron Hunt im nächsten Augenblick feststellte. Die Bretterwand wurde aufgefetzt, und dann sah Hunt das Federvieh. Die armen Viecher wurden buchstäblich in der Luft zerrissen.
Und der Twister kam näher, fraß sich regelrecht auf das Haupthaus der Farm zu. Eine Spur der Zerstörung nach sich ziehend.
"O mein Gott!", rief Madison neben ihm entsetzt. "Wir müssen etwas tun!"
Hunt hielt sie fest. "Wir können nichts tun!", erwiderte er laut.
"Aber meine Farm – !"
"Wir müssen uns in Sicherheit bringen!", erklärte Cameron. "Gibt es hier einen Keller oder etwas in der Art?"
Einen Moment lang sah Madison ihn an, als würde sie ihn gar nicht wahrnehmen und durch ihn hindurchschauen. Dann lief ein Ruck durch ihre nackte Gestalt, sie blinzelte wie verwirrt oder so, als wache sie auf. Und endlich nickte sie.
"Ja", sagte sie. "Unter der Vorratskammer gibt es sowas wie einen Keller. Mehr ein Loch im Boden", sie zuckte wie entschuldigend mit den Schultern, "in dem wir Sachen kühl lagern können."
Sie hatte wir gesagt. Hunt registrierte das sehr wohl. Aber er hatte jetzt keine Zeit, dieses Wir zu hinterfragen. Später. Vielleicht…
"Dann los!", forderte er sie auf und wollte Madison zur Tür, die aus ihrem Schlafzimmer führte, dirigieren.
Zu spät!
Maddy schrie auf.
Und Cameron Hunt spürte, wie sie seinem Griff entglitt, mehr noch, förmlich entrissen wurde!
Madison sah aus, als würde sie um sich schlagen. Tatsächlich aber hatte ein Ausläufer des Twisters sie gepackt, gerade so, als hätten unsichtbare Riesenhände zum Fenster hereingelangt und sie ergriffen. Madison wand sich, wollte sich gegen diesen Griff wehren. Aber sie hatte gegen diese Naturgewalt keine Chance.
Der Twister hielt sie eisern fest. Und riss sie mit sich!
Kreischend verschwand Madison durch das Fenster.
Und kaum war sie Cameron Hunts Blick entschwunden, vernahm er auch schon ihre Schreie nicht mehr.
Der Twister brüllte hundertfach lauter als Madison.
Und in Camerons Ohren klang dieses Brüllen des Sturms wie Triumphgeheul.
*
Cameron Hunt zögerte nicht. Er konnte nicht anders, als Madison zu folgen. Irgendetwas anderes schien seinen Verstand ausgeschaltet und die Kontrolle seines Körpers übernommen zu haben.
Mit einem Sprung setzte er durch das zerbrochene Fenster hinaus. Draußen griff er nach allem, was auch nur halbwegs Halt versprach. Er klemmte seine Finger in Spalten der Bretterverkleidung der Hauswand, langte nach einem Stützpfosten des Verandadachs. So gelang es ihm, dem Sturm zu widerstehen. Die Klauen aus eisigem Wind schlugen zwar nach ihm, und sie trafen ihn schmerzhaft, aber sie vermochten ihn nicht zu packen oder gar mit sich zu reißen.
"Madison!"
Hunt schrie ihren Namen aus Leibeskräften. Aber das Toben des Sturmes war zu laut. Cameron Hunt konnte seinen Ruf selbst kaum hören. Zudem schien der tosende Wind ihm buchstäblich die Luft zum Atmen zu rauben.
Keuchend kämpfte er sich weiter. Aus zusammengekniffenen Augen schaute er sich um. Es war fast nichts zu erkennen. Was er sah, genügte Hunt gerade, um sich einigermaßen zu orientieren.
Die Chance, Madison zu finden und ihr zu helfen, schmolz mit jeder Sekunde.
Der Lärm, den der Twister auf seinem Zerstörungsfeldzug verursachte, war ohrenbetäubend. Holz brach berste, Trümmer krachten gegeneinander. Und ein ums andere Mal schaffte Cameron Hunt es nur mit sehr viel Glück, herabstürzenden Teilen auszuweichen. Die meisten davon waren schwer genug, um ihn kurzerhand zu erschlagen.
"Maaaaddyyy!"
Hunts Kehle schmerzte, so angestrengt brüllte er.
Er lauschte, versuchte das Brüllen des Sturms zu ignorieren.
Da! War da nicht etwas gewesen? Eine Stimme, leise, kaum verständlich –
"Madison!"
Hunt stemmte sich gegen den Sturm und lief ein paar Schritte in die Richtung, aus der er ihre Stimme gehört zu haben glaubte.
Ja! Da war sie wieder. Sie rief seinen Namen. Oder – ?
Cameron war sich unsicher. Vielleicht entsprang Maddys Stimme ja nur seiner Einbildung, der Hoffnung, etwas für sie tun zu können. Oder der Twister imitierte sie, gerade so, als sei er tatsächlich von einem bösen Geist beseelt, der ihn, Hunt, zum Narren halten wollte.
Das Wüten des Twisters nahm zu. Der brodelnde Pfeiler aus Wind, Staub und Trümmern schien Hunt jetzt zum Greifen nahe. Mit Riesensätzen rannte er davon, während die Sturmsäule hinter ihm nun direkten Kurs auf das Wohnhaus nahm. Schon hörte Hunt, wie das Verandadach knirschend in Stücke ging. Die Trümmer regneten prasselnd zu Boden.
Wieder rief er Madisons Namen.
Und diesmal zweifelte er nicht daran, ihre Stimme zu hören! Sie antwortete ihm und rief: "Hier! Ich bin hier drüben – !"
Hunt sah sie. Eine schemenhafte Gestalt in den Staubwirbeln. Sie taumelte auf ihn zu, wankte hin und her, orientierungslos und verletzt.
"Maddy!"
Hunt lief los, auf Madison zu. Und er sah, wie etwas auf sie zuraste. Ein dunkles, langes Etwas, wie der Speer eines Riesen.
Er wollte sie warnen, aber er hatte die Lippen kaum geöffnet, als Maddy auch schon getroffen wurde. Lautlos stürzte sie vornüber und blieb reglos liegen. Das Balkenstück polterte neben ihr in den Staub.
Und für eine Sekunde wurde es still um Cameron Hunt.
Totenstill?
*
Der Sturm schien nur Atem geschöpft zu haben. Der Moment, in dem Cameron Hunt den Eindruck gehabt hatte, die Welt selbst würde stillstehen, verging. Und der Twister schien jetzt mit noch größerer Macht zu wüten.
Trotzdem nahm Cameron Hunt den Sturm kaum wahr. Er hatte sich neben Madison auf die Knie niedergelassen. Vorsichtig umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen. Ein Netz aus dünnen Blutfäden lag darüber.
Aber Madison atmete. Lebte.
"Dem Himmel sei Dank!", stöhnte Hunt.
Der Balken hatte ihr nicht, wie er aus der Distanz befürchtet hatte, den Schädel zertrümmert. Das Holz hatte lediglich ihre Stirn gestreift. Maddy hatte nachgerade unverschämtes Glück gehabt.
Aber die Gefahr war noch nicht vorbei!
Um sie herum regneten Trümmer nieder wie monströse Hagelkörner, und jedes einzelne davon konnte tödlich sein.
Hunt hielt hektisch nach einem Unterschlupf Ausschau. Er dachte an das Kellerloch, von dem Maddy gesprochen hatte. Es befand sich vermutlich unterhalb des Anbaus, über dessen Dach Hunt vorher in das Haus eingedrungen war.
Er lachte freudlos auf. Das konnte allenfalls eine Stunde oder anderthalb her sein. Dennoch schien es ihm wie eine Ewigkeit. Was hatte sich seither nicht alles verändert?
Hunt sah hinüber zum Haus. Der Anbau lag vielleicht dreißig, höchstens vierzig Meter entfernt. Und er erinnerte sich daran, eine Tür gesehen zu haben, durch die man von draußen in den Anbau gelangen konnte.
Es war eine Chance. Eine schlechte, aber zugleich auch die einzige, die sie hatten.
Cameron Hunt lud sich die bewusstlose Frau über die Schulter, dann lief er los.
Das Haus rückte näher.
Hunt schaffte die halbe Strecke.
Dann stolperte er und fiel. Irgendetwas war ihm zwischen die Beine gewirbelt und hatte ihn zum Sturz gebracht.
Benommen richtete er sich auf. Ein rascher Blick zeigte ihm, dass Maddy durch den Fall nicht noch stärker verletzt worden war. Gut. Wenigstens etwas.
Aber damit riss die ohnedies eher mickrige Glückssträhne, die ihnen beschieden war, auch schon ab.
Der Twister hatte sich weiter entlang der Veranda gefressen. Und damit war er auch näher an Cameron und Madison herangerückt.
Der Trümmerregen um sie herum nahm zu. Hunt warf sich über Maddy, um sie mit seinem Körper zu schützen. Holzteile und Schindeln schlugen auf seinen Rücken. Es tat weh, aber die Verletzungen war nicht schwer. Noch nicht…
Dass Hunt den Balken auf sich zufliegen sah, war Zufall. Unbewusst sah er im richtigen Augenblick in die richtige Richtung.
Aber es war zu spät, um dem Geschoss auszuweichen!
Dieses Ding würde ihm den Schädel zertrümmern, ohne jeden Zweifel!
Gleich musste es heran sein. Jetzt –
Im Reflex schloss Cameron Hunt die Augen.
Und mit seinem Leben ab.
*
Es war ein Laut, wie Cameron Hunt ihn nie zuvor in seinem Leben gehört hatte!
Ein entsetzlicher Schrei, ein schrilles Brüllen, geboren aus schlimmstem Schmerz und Todespanik.
Und Hunt erkannte die… 'Stimme'. Es war die seines Pferdes.
Er riss die Augen auf. Genau in dem Moment, da ein riesenhafter Schatten auf ihn fiel. Ein schwerer Körper fiel vor ihm zu Boden. Staub wölkte auf, drang Hunt in Augen, Mund und Nase. Er hustete und blinzelte, und dann endlich sah er, was geschehen war.
Sein Pferd lag sterbend vor ihm. Aus seiner blutigen Flanke ragte, wie ein riesenhafter Pfeil, das Balkenstück, von dem Cameron Hunt geglaubt hatte, es würde ihn treffen und töten.
Natürlich glaubte Hunt keine Sekunde lang daran, dass sein Pferd ihn bewusst gerettet hatte. Schließlich war es nur ein Tier. Ein gutes Pferd, ein treuer Gefährte, sicher, aber letztlich eben doch nur ein Tier.
In seiner Panik musste das Pferd in dem Moment herangeprescht sein, da Hunt mit seinem Leben abgeschlossen hatte. Und zu seinem Glück hatte das Trümmerstück das Tier erwischt. Was nicht hieß, dass Cameron Hunt kein Mitleid mit dem Tier empfand. Er hätte ihm gern weiteres Leiden erspart, aber seine Waffen, mit denen er dem Pferd den Gnadenschuss hätte geben können, lagen unerreichbar weit entfernt. So musste sich Hunt darauf beschränken, dem Tier beruhigend zuzureden.
Zugleich aber war er eigennützig genug, um den Pferdeleib als Deckung zu nutzen. Er brachte sich und Madison so dicht wie möglich an das Tier heran, duckte sich dahinter, und tatsächlich fanden sie so ein wenig Schutz.
Hunt hörte, wie weitere Trümmer auf das Pferd niederhingen, und er hörte, wie die Knochen des Tieres unter den Schlägen brachen. Blut spritzte und troff vom Leib des Pferdes wie warmer Regen. Und schließlich lag es still. Tot. Endlich…
Irgendwann wurde das Heulen des Twisters leiser.
Und irgendwann schlug Madison die Augen auf. Ihr Blick war trüb, klärte sich aber, als Cameron Hunt ihr den Finger unters Kinn legte und ihr Gesicht leicht anhob.
"Du?", fragte Madison leise, müde. Verwunderung schwang in ihrem Ton.
"Ja", antwortete Hunt zögernd, "ich –"
Sie lächelte zaghaft, ein trauriges Lächeln. "Das kann nicht sein." Madison schüttelte den Kopf.
Hunt schwieg. Wovon redete, was meinte sie? War dies ein neuerlicher Umschwung ihrer Stimmung? Eine neue Facette ihres seltsamen Wahns? Dagegen sprach, dass sie ihm nie so klar vorgekommen war wie in diesem Augenblick. Er hatte das Gefühl, zum allerersten Mal Maddys wahres Gesicht zu sehen.
"Du bist tot", sagte Madison, und ihr Lächeln erlosch. Nur Trauer blieb übrig in ihren Zügen, eine so tiefe Traurigkeit, dass Cameron Hunt einen schmerzhaften Stich in der Brust spürte.
"Du bist tot, Liebster", fuhr Madison fort. Sie nickte vage. "Ich habe dich selbst sterben sehen."
Dann schloss sie die Augen.
Und der Sturm erstarb.
*
Der Sturm lag mittlerweile fast einen Tag zurück. Die Spuren, die er auf der Farm hinterlassen hatte, waren freilich noch deutlich und allgegenwärtig.
Dennoch war der Schaden insgesamt weniger schlimm, als Cameron Hunt befürchtet hatte. Nur einige der Wirtschaftsgebäude waren zerstört, allesamt aber waren sie beschädigt worden. Und nicht alles würde sich reparieren lassen.
Das Wohnhaus hatte der Twister nur gestreift. Trotzdem hatten seine Klauen und Zähne aus kochendem Wind natürlich einigen Schaden angerichtet. Der Sturm hatte sozusagen die Front des Hauses 'rasiert'. Die Veranda und deren Überdachung waren buchstäblich verschwunden,die Fassade sah aus wie nach einem Granatenbeschuss.
Nichtsdestotrotz ließ sich das Haus gefahrlos betreten. Es würde nicht einstürzen. Davon hatte sich Cameron Hunt gewissenhaft überzeugt, bevor er Madison hineingeschafft hatte.
Madison schlief. Seit Stunden, tief und fest, und ein ums andere Mal überzeugte sich Hunt davon, dass die junge Frau noch atmete, weil er wieder und wieder fürchtete, sie sei tot.
Er hatte sie gesäubert und ihre Wunden versorgt, so gut es ging. Soweit er es zu beurteilen vermochte, war Maddys Kopfverletzung in der Tat nicht so schlimm, wie sie erst ausgesehen hatte. Eine üble Platzwunde, und vermutlich hatte Madison eine Gehirnerschütterung. Schlaf war für sie mithin der beste Weg zur Genesung.
Zwischendurch gelang es Hunt, ihr ein paar Löffel von der Suppe einzuflößen, die er aus Zutaten improvisiert hatte, die er in der Vorratskammer fand. Ein relativ geschmackloses Gebräu hatte er da zusammengerührt, aber es füllte wenigstens den Magen. Er selbst hatte sich noch einen Rest gebratener Bohnen einverleibt, die er in einem Topf auf dem Herd gefunden hatte, dazu ein paar Bissen altbackenes Maisbrot.
Drei- oder viermal war Madison aufgewacht. Jeweils nur für ein paar Minuten, und jedes Mal war Cameron Hunt froh gewesen, als sie wieder einschlief.
Weil Maddy ihm unheimlich war. Das hätte er so natürlich nie zugegeben, nicht einmal sich selbst gegenüber, aber unleugbar beunruhigte ihn etwas an dieser jungen Frau. An ihrem Verhalten…
…es veränderte sich fortwährend. Wann immer Madison aufgewacht war, hatte sie sich anders benommen als zuvor. Mal hatte sie vor Angst nur geschrien, dann wieder hatte sie die laszive Verführerin herausgekehrt, und schließlich hatte sie erneut den Eindruck erweckt, als wolle sie Cameron Hunt töten, zur Not mit bloßen Händen. Zum Glück hatte ihr für den bloßen Versuch die Kraft gefehlt, und der Schlaf hatte sie eingeholt, bevor sie irgendetwas in dieser Richtung hatte tun können.
Cameron Hunt zweifelte nicht mehr daran, dass Madison schlicht und ergreifend das war, was man gemeinhin als verrückt und wahnsinnig bezeichnete.
Trotzdem interessierte ihn, wie es dazu gekommen war.
Aber das war nicht der einzige Grund, weshalb er nach wie vor auf der Farm war, und auch seine Sorge um Maddy war nur ein weiterer, nicht aber
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Alfred Bekker, CassiopeiaPress
Bildmaterialien: Steve Mayer
Tag der Veröffentlichung: 20.07.2014
ISBN: 978-3-7368-2666-3
Alle Rechte vorbehalten