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Schneeaffären

von Sandy Palmer

 

Ein CassiopeiaPress E-Book

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© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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Sie ist eine hervorragende Schmuckdesignerin, die junge Stefanie Bergerhoff, und ihre Arbeiten finden höchste Anerkennung. Doch Stefanie fühlt sich in ihrer Werkstatt wohler als auf dem glänzenden Parkett, sie geht nur selten unter Menschen. Und so fällt es ihr sehr schwer, ihren erkrankten Vater zu vertreten, der einem arabischen Prinzen im mondänen Sankt Moritz die neueste Kollektion der Firma Bergerhoff vorstellen soll. Aber dann geschieht ein kleines Wunder: In der herrlichen Bergwelt verliert Stefanie immer mehr ihre Schüchternheit. Und daran sind gleich zwei ebenso charmante wie geheimnisvolle Männer schuld …

 

*

 

„Du schaffst das, Stefanie. Du schaffst das!“

Ich stand vor dem Spiegel in meinem geräumigen Badezimmer und sagte mir diesen Satz immer wieder vor.

Große Augen, dunkel vor Zweifel, sahen mir entgegen. Mein schmales Gesicht war blass, die Nasenflügel bebten, die Mundwinkel zuckten. Leider nicht vor Erregung, sondern vor Angst.

Himmel noch mal, warum musste Vater gerade jetzt krank werden? Er hielt normalerweise den Kontakt zu unseren wichtigsten Kunden, während ich mich in den letzten beiden Jahren immer mehr darauf konzentriert hatte, Entwürfe für unsere Schmuckkollektion anzufertigen – und natürlich diese Entwürfe umzusetzen.

Ich liebe meine Arbeit, wollte nie etwas anderes machen und habe mich bei einigen großen Schmuckdesignern umgesehen. Ich war für ein Vierteljahr in Paris bei van Cleef & Arpels, habe ein Praktikum in Antwerpen bei einem Diamantenhändler gemacht und für ein paar Monate bei Chopard hospitiert. Es versteht sich fast von selbst, dass ich meine Ausbildung mit Auszeichnung bestanden habe. Das Gesellenstück, eine Platinkette mit grauen Perlen und Aquamarinen, liegt seit zwei Jahren in einer speziellen Vitrine in unserem Geschäft.

Alles in allem könnte man mich als eine erfolgreiche junge Frau bezeichnen. Bin ich auch. Nur im Umgang mit anderen Menschen bin ich leider sehr gehemmt. Es liegt mir einfach nicht, offen auf andere zuzugehen. Statt die Kunden charmant zu umwerben, flüchte ich mich in Sachlichkeit – was nicht immer gut ankommt.

Und gerade jetzt, wo ich glatte vier Kilo zugenommen hatte, sollte ich ins mondäne Sankt Moritz fahren und mit wichtigen Kunden konferieren. Der Gedanke allein bewirkte, dass sich kleine Schweißperlen auf meiner Stirn bildeten.

„Mensch, Papa, was mach ich nur?“

Der Spiegel gab keine Antwort. So, wie mir kaum mal jemand zuhörte, wenn ich was sagte. Was ja sowieso viel zu selten vorkam. Ich war nun mal eine graue Maus, die im Schatten ihres Vaters lebte – und leider immer noch von seiner Gnade abhängig war. Schon oft hatte ich mir vorgenommen, wieder fortzugehen und irgendwo als ganz normale Angestellte zu arbeiten, aber das brachte ich einfach nicht fertig. Ich wusste doch genau, dass Vater mich brauchte, wenn er das auch nie und nimmer zugeben würde.

Also bleibe ich im Familienunternehmen und arbeite hinter verschlossenen Türen, während mein Vater die Kontakte zu den wichtigen Kunden knüpft.

Er ist gerade mal 62 Jahre alt, ein gut aussehender, grauhaariger Mann mit perfekter Figur und ausgezeichneten Umgangsformen. Er bewegt sich in einem Luxushotel oder in der Villa eines Multimillionärs genauso souverän wie in unseren eigenen Geschäftsräumen. Ich hingegen fühle mich in dem eleganten Ambiente immer ein bisschen unwohl, egal, ob ich Jeans oder eins von meinen zwei Designerkostümen trage, die ich mir auf Vaters Wunsch hin gekauft habe. Er meinte, wenn ich gut gekleidet wäre, wüchse auch mein Selbstbewusstsein.

Armer Papa! Wieder einmal hatte er sich in mir geirrt. Wieder mal wurde ich zu einer Enttäuschung für ihn. Denn egal, ob in Jeans oder Armani – ich bin und bleibe eine graue Maus!

Aber ich muss jetzt diesen Job in Sankt Moritz machen. Ich hab keine andere Wahl. Papa hatte einen schweren Autounfall! Mindestens sechs Wochen Krankenhaus stehen ihm bevor! Er hat einen komplizierten Beinbruch davongetragen, dazu einen Milzriss und eine Gehirnerschütterung.

Ich war im Grunde noch geschockter als er, als diese Diagnose feststand.

„Du schaffst das schon, Lämmchen“, sagte er leise und drückte aufmunternd meine Hand. „Im Laden hast du Hilfe von Frau Trellborg, und alles andere kann warten.“

Ich widersprach nicht. Wahrscheinlich hatte er vergessen, dass er vier Tage nach dem Unfall nach Sankt Moritz hätte fahren sollen.

Verzweifelt strecke ich meinem Spiegelbild die Zunge heraus. „Stell dich nicht so an, irgendwie wird’s schon klappen. Diese reichen Araber, die unsere Juwelen kaufen wollen, sehen dich sicher gar nicht an. Für die sind Frauen sowieso nicht wichtig. Und wenn sie nichts ordern … die Welt wird dann auch nicht untergehen.“

 

*

 

Das Hotel Snow Palace liegt auf einem Hügel am westlichen Stadtrand von Sankt Moritz. Die vier Türmchen, die ihm von weitem das Aussehen einer alten englischen Burg verleihen, tragen weiße Schneehauben, was sehr romantisch aussieht.

Mein Herz klopft ein bisschen schneller, als ich mich nach einem Taxi umsehe. Ich bin mit dem Zug hergekommen, was bei den Schneeverhältnissen in den Alpen eine richtige Entscheidung war. Außerdem bin ich nicht die souveränste Fahrerin. Ich habe nur einen kleinen Flitzer, und Vater würde mir nie seine elegante englische Limousine anvertrauen. Also bin ich mit der Bahn gefahren, habe die ganze Zeit über den Koffer mit den Juwelen am Handgelenk festgemacht gehabt.

Und dennoch ist es eine tolle Fahrt, die ich genieße.

Die ganze Landschaft des Engadin liegt unter einer dicken Schneeschicht, und die grauen Wolken, die unheimlich schnell am Horizont entlang ziehen, verkünden noch mehr Schnee.

Mit mir sind viele Urlauber aus der Rätischen Bahn ausgestiegen, fast alle haben Skier dabei. Ich sehe sehnsüchtig zu den Bergen hoch. Skifahren ist etwas, das ich ausnahmsweise kann. Sehr gut sogar.

„Sorry, aber du stehst total im Weg.“ Ein junger Mann mit roten Haaren hat mich angerempelt. Er lacht und weist auf seine riesige Sporttasche und die zwei Paar Skier, die er geschultert hat. „Ich brauch leider viel Platz heute.“

„Schon gut.“ Ich beiße mir auf die Lippen, denn sein offenes, unbekümmertes Lachen verwirrt mich.

Zum Glück fahren gerade ein paar Taxen vor und ich haste zu der ersten. Da ich nur eine kleine Reisetasche und den Juwelenkoffer dabei habe, bin ich schneller als die bepackten Urlauber.

„Wohin?“ Der Fahrer schaut nicht mal hoch.

„Zum Snow Palace, bitte.“

Als er den Namen des Luxushotels hört, dreht er kurz den Kopf und taxiert mich ungeniert. Himmel, bin ich froh, dass ich auf Paps gehört habe und meine geschorene Nerzjacke angezogen habe! Sie ist wunderschön weich und warm, voriges Jahr hab ich sie zu Weihnachten bekommen. Dazu trage ich einen dunkelblauen Business-Hosenanzug. Ich bin schließlich zum Arbeiten hergekommen und nicht, um Ferien zu machen wie die meisten anderen Menschen hier!

Die Fahrt zum Hotel führt durch eine Straße, an der sich ein Luxusgeschäft ans andere reiht. Auch die meisten namhaften Juweliere sind vertreten, und mir wird ganz elend. Warum nur sollen wir unsere Kollektion einem arabischen Scheich vorführen, wo doch hier in Sankt Moritz alles, was in der Branche von Bedeutung ist, eine Niederlassung hat?

Vor uns fährt ein dunkelroter Rolls Royce, und mein Fahrer wird auf einmal gesprächig. „Ein toller Wagen, nicht wahr? Ein Phantom V. Ein Wahnsinnsgefährt.“ Ein sehnsuchtsvoller Seufzer begleitet den Satz.

„Ja. Er ist sehr schön.“

„Schön! Ein Juwel ist das! Von dem Modell gibt’s so gut erhalten nur noch wenige Exemplare. Die Queen hat mal diesen Rolls gefahren, und John Lennon besaß einen.“ Wieder ein tiefer Seufzer. „Es wurden nur 516 Stück gebaut. Dieser Wagen da ist einfach ein Traum! Aber davon versteht ihr Frauen ja nichts.“ Er fährt mit Schwung die breite Auffahrt zum Hotel hinauf, hält dicht hinter dem Rolls Royce, dem ein dunkelhaariger Mann im silberfarbenen Skidress entsteigt. Er nimmt eine Tüte vom Rücksitz und wirft die Autoschlüssel einem Boy zu, der strahlend in den Luxuswagen steigt. Er ist offensichtlich ganz begeistert, dass er den Wagen in die Garage fahren darf.

Noch während ich den Taxifahrer bezahle, seufzt er auf und sieht dem Rolls nach, der in der Tiefgarage verschwindet. Ich bin sicher, er würde seine ganze Tageseinnahme dem jungen Pagen überlassen, wenn er jetzt hinter dem Steuer sitzen könnte.

Mein Interesse an alten Autos ist nur gering. Umso intensiver schaue ich mir den Mann an, der dem Traumauto gerade entstiegen ist. Er ist groß und schlank, sein Haar schimmert blauschwarz. Leider kann ich sein Gesicht nicht mehr erkennen, denn er geht, ohne sich umzudrehen, auf die breite Eingangstür zu, die ihm ein Mann in grauer Uniform beflissen aufhält.

Ich gehe ebenfalls auf die Tür zu, und auch mir wird mit höflichem Lächeln geöffnet. Dazu kommt ein „Guten Tag, gnädige Frau. Willkommen.“

„Danke.“ Ich lächele dem älteren Mann in der grauen Livree freundlich zu, dann gehe ich, die linke Hand um den Juwelenkoffer gekrampft, in die Halle, die so groß ist wie ein Ballsaal.

Linkerhand sind bequeme Sessel um runde Glastische gruppiert, geradeaus bemerke ich eine Bar, die nur durch zwei Marmorvorsprünge von der Halle abgetrennt ist. Spiegel vergrößern den Raum, ich sehe zwei Keeper, die Flaschen einsortieren. Drei Gäste sitzen an der Theke aus poliertem Mahagoniholz.

„Grüezi, Madam. Was kann ich für Sie tun?“ Eine der jungen Frauen an der Rezeption spricht mich an. Sie lächelt höflich und macht eine kleine Handbewegung, die wohl bedeuten soll, dass ich näher kommen möge.

„Guten Tag. Ich bin Stefanie Bergerhoff. Herr Menrather erwartet mich.“

„Bergerhoff?“ Die junge Frau schaut in ihren Computer, runzelt die Stirn. Ich spüre, wie mir der Schweiß ausbricht. Dieses Zögern von ihr reicht, um meine Unsicherheit anwachsen zu lassen.

Vorsichtig hebe ich den Juwelenkoffer ein wenig an. „Juwelier Bergerhoff aus Lindau.“

„Ach so!“ Ihr Lächeln intensiviert sich. „Dann darf ich Sie gleich hinüber ins Büro des Direktors bitten.“ Sie kommt um den Tresen herum. „Bitte folgen Sie mir.“

Ein langer Gang, mit rotem Veloursteppich ausgelegt, führt gleich hinter der Rezeption in den Teil des Hotels, der für die Verwaltung vorgesehen ist. Die dritte Tür trägt in goldenen Buchstaben die Aufschrift „Direktion“.

Nach kurzem Anklopfen ertönt ein sonores: „Herein, bitte.“

Zwei Schritte mache ich in den Raum. Er ist sachlich eingerichtet, mir fällt als erstes der große schwarze Schreibtisch auf. Gleich zwei silbrig schimmernde Computerbildschirme stehen darauf. Und eine alte englische Schreibtischlampe. Sie bildet einen irritierenden Kontrast zu dem übrigen kühlen Design.

Den Mann, der an einem Regal links von der Tür steht, bemerke ich erst auf den zweiten Blick.

Das ist sträflich, denn er sieht unverschämt gut aus. Er trägt einen anthrazitfarbenen Anzug, der den guten Schneider verrät, dazu ein weißes Hemd mit einer violetten Krawatte. Das Lächeln, das auf seinem Gesicht erscheint, als er drei, vier Schritte auf mich zumacht und mir zur Begrüßung die Hand entgegenstreckt, lässt mein Herz einen irren Trommelwirbel schlagen.

„Frau Bergerhoff! Schön, Sie zu sehen. Ich bin Markus Menrather, ich leite das Hotel.“ Sein Händedruck ist kräftig, aber nicht zu kräftig. Ich mag es nicht, wenn manche Männer mir die Finger zusammenquetschen, als müssten sie ihre Stärke beweisen. „Hatten Sie eine gute Anreise?“

„Danke, es war ein Erlebnis.“ Meine Stimme zittert ein bisschen, ich muss mich räuspern, um fortfahren zu können. „Ich bin zum ersten Mal mit der Rätischen Bahn gefahren. Die Strecke hoch ins Engadin ist wunderschön!“

„Ja. Wunderschön.“ Während der zwei Wörter schaut er mich an, sein Blick flackert, geht mir unter die Haut. Ich spüre, wie sich die kleinen Härchen auf meinen Unterarmen aufrichten, wie sich alles in meinem Innern zusammenzieht.

Eine total verrückte, unbegreifliche Reaktion auf zwei kleine Wörter!

Meine Stimme gehorcht mir immer noch nicht richtig, als ich das hervorstoße, was ich mir zu sagen vorgenommen habe: „Mein Vater lässt Sie grüßen, er wäre zu gern selbst gekommen, doch nach dem Unfall muss er noch eine Weile in der Klinik bleiben.“

„Ich hoffe, er hat das Missgeschick gut verkraftet und ist bald wieder auf dem

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: (c) 2014 der Digitalausgabe AlfredBekker/CassiopeiaPress
Tag der Veröffentlichung: 16.01.2014
ISBN: 978-3-7309-7625-8

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