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1. Kapitel




Es gibt keine Kriminellen,
sondern nur normale Menschen,
die kriminell werden.
(Georges Simenon)



Er sieht mich an. Seine Augen wirken emotionslos. Kalt. Genauso kalt wie der Raum in dem wir sitzen. Die Klimaanlage in dem Caffee funktioniert wohl zu gut. Er lächelt mich an, geheimnisvoll und böse zugleich. Langsam trinkt er seinen Cafe und lässt mich dabei nicht aus den Augen. Er lässt sich sichtlich Zeit. Wir bewegen uns wie in Zeitlupe. Er hat nicht vor aufzustehen, ich aber auch nicht. Draußen stehen Leute, gespannt. Sie warten auf das, was wohl passieren wird. Sie hoffen das ich dem ganzen Horror ein Ende setze. Doch kann ich das? Bin ich schon bereit dazu? Werde ich jemals bereit dazu sein? Wird er sich stellen? All diese Fragen schwirren mir im Kopf herum, während wir uns Blicke zuwerfen, und ich hab keine Antworten. Auf keine einzige Frage. Es tut mir leid, das ich den Leuten keine Auskunft geben kann, wenn sie aufgeregt in mein Büro stürmen.
Ich hätte nie gedacht des es so weit kommen würde. Habe ich etwas falsch gemacht? Natärlich habe ich das, was für eine dumme Frage. Ich habe alles falsch gemacht, von Grund auf alles falsch. Alles meine Schuld. Alles meine Schuld. Alles meine Schuld. ALLES IST MEINE SCHULD!


Früher war ich verlogen. Ich war eine verlogene, kleine, selbstsüchtige Schlampe. Ich hasse mich. Ich hasse mich für alles. Für das was ich getan habe. Ich habe viel falsch

gemacht. Mein ganzes Leben bestand nur aus Lügen und schlimmen Sachen. So viele Chancen und Möglichkeiten boten sich mir an, mein Leben zu verändern. Doch ich packte sie nicht. Ich ließ sie einfach links liegen. Es gibt so viele Menschen, denen ich weh getan habe. Ich hätte mich entschuldigen können, hätte alles anders machen können, ich hätte einfach ganz von neu anfangen können und mein Leben wieder in die Hand nehmen können, bevor alles völlig aus den Fugen gerät. Ich hätte alle Gelegenheiten am Schopf packen können und ein friedliches, normales Leben leben können. Leider habe ich alles verpasst. Ich habe es geschafft, dass jeder mich hasst. Das kann ich meinen Liebsten auch nicht übel nehmen. Wenn ich an ihrer Stelle wäre, würde ich mich auch hassen und mich nicht um mich kümmern. Doch dazu später.
Die Angst, in den Augen der zitternden Menschen, die da Draußen vor dem Cafe stehen und warten ihr Leben endlich weiterleben zu können, lenkt mich ab und bringt meine Gedanken zum abschweifen.
Doch die Leute werden ihr Leben nicht geregelt weiterleben können und vergessen, was passiert ist, dazu sitzt der Schmerz und der Verlust zu tief. Man kann nicht vergessen was passiert ist, niemand hier kann das. Wir werden es niemals vergessen und in Angst leben, obwohl er weg sein wird, obwohl ich jetzt anders geworden bin und begriffen habe, was es bedeutet endlich zu lieben, frei zu sein, und das Lächeln glücklicher Menschen sehen zu können. Was geschehen ist, ist geschehen. Das allerschlimmste ist die Angst, die Ungewissheit und der Schmerz. Wenn man nicht weiß was auf einen zukommt, wenn man nicht mehr weiter weiß, wenn man gequält und gefoltert wird, wenn man sich ins Ungewisse stürtzt, wenn man im Dunkeln tappt und wenn man einen geliebten Menschen verliert.
In meinem Inneren hoffe ich, dass er sich einfach stellt, alles zugibt. Aber das wäre ungerecht, ich weiß das er nichts dafür kann. Im Grunde genommen ist er unschuldig.
Die Angst um mein Leben und vor der der anderen frisst mich auf. Die Angst vor der ungewissen Wahrheit sitzt tief in den Knochen.
Eigentlich weiß ich wieso er getan hat was er getan hat. Ich weiß das und ich weiß auch wessen Schuld das ist. Doch ich will es nicht wahr haben, ich will die Zeit zurückdrehen, um alles wieder gut zu machen oder die Vergangenheit zu verändern. Leider geht das nicht. Wenn alles so leicht wäre, wäre die Welt anders, ganz anders. Anders, ist genau das richtige Wort dafür. Anders, so wie alles hier auch.
Trotzallem werfe ich ihm einen vernichtenden Blick zu und frage: "Wo sind sie?"
Er lacht. Wieso lacht er?
Ich wiederhole mich: "Wo sind sie?"
"Finde es selbst heraus!"
Sichtlich wütender frage ich: "Macht es dir Spaß?"
"Nenn mich doch Garry", meint er.
"Nie im Leben!"
"Wie du möchtest, Valerie", er schlürft an seinem Kaffee. "Mir macht es Spaß und dir, mein Engel?"
"Mir macht es bloß spaß solche kranken sardistischen Psychopaten wie dich ins Gefängnis zu stecken", schreie ich.
"Du brauchst nicht gleich so zu übertreiben. Ganz ruhig", er sieht mich an. "Denkst du, dass du so den Menschen helfen kannst?"
"Denkst du das denn?" Entgegne ich.
"Ist dir meine Meinung denn Wichtig?"
"Ganz im Gegenteil."
"Na siehst du. Wieso bist du hergekommen? Denken du und deine Bullen, dass ihr es mit mir aufnehmen könnt?"
"Wir denken es nicht... Wir wissen es." Nach kurzem Abwarten frage ich nun schon zum dritten mal: "Wo sind sie verdammt nochmal!?"
Es wird ruhig. Niemand sagt ein Wort. Er kann sich ruhig verhalten, doch bei seinen Opfern verliert er die Kontrolle. Nach einer Weile habe ich die Schnauze voll. Mit zusammengebissenen Zähnen sage ich: "Du bist widerlich!"
"Ach was du nicht sagst, Kleine", er bügt sich über den Tisch, um näher an mir zu sein: "Ach was du nicht sagst." Ich kann seinen kaffehaltigen Mundgeruch riechen. Mich schüttelts. Er lehnt sich wieder ganz lässig und entspannt zurück und meint: "Wessen schuld ist das denn? Meine, deine

, die der anderen?"
Ich sehe ihm tief in seine widerlich braunen Augen, um ihn so vielleicht zum Reden zu Bringen. Ich stecke meine ganze Traurigkeit in meinen Blick. Möglicherweise hat er doch noch so etwas wie Anstand oder Schuldgefühle. Gewissen vielleicht? Oder ein Herz. Möglicherweise steckt noch etwas Freundlichkeit von früher in ihm.
Doch nein. Ich hatte recht. Kein Anstand, keine Schuldgefühle und ein kaltes Herz. Genauso wie ich dachte, unveränderbar. So wie früher, so wie seit zehn Jahren. Ich kann mich noch sehr gut an die Zeit erinnern, als er zwanzig und ich siebzehn war. Damals war er noch so voller Elan, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Heute ist heute und früher ist früher. Nichts, was man in der Vergangenheit getan hat, lässt sich ändern.
"Bitte", versuche ich es wieder, diesmal etwas freundlicher. "Sag mir, wo sind sie?"
"Weißt du das Jährlich rund 100.000 Menschen vermisst werden?"
"Ich hab keine Lust mehr auf deine kleinen Spielchen." Wütend schnaube ich auf.
"Spielst du denn nicht auch mit mir?"
Diese ganzen Entgegnungen habe ich satt.
"Sogar gerne?!"
Genauso wie alles andere was er macht. Dennoch verberge ich es. Ich will mich nicht klein kriegen lassen. Meine Wut schlucke ich runter, lehne mich gelassen zurück und versichere ihm: "Wir werden sie finden, und sperren dich dann ein", mühsam setze ich ein vielversprechendes Lächeln auf. "Für sehr sehr viele Jahre", nach einer kurzen Denkpause füge ich hinzu: "Das schwöre ich dir."
"Schwöre nichts, was du nicht halten kannst. Du glaubst doch nicht wirklich, dass ihr mich kriegen könnt. Vor 5 Jahren habt ihr es auch nicht geschafft.", grinst er zuckersüß und total unschuldig. Natürlich will er mich zur Weißglut treiben. Darauf gehe ich nicht ein. Ich werde nicht verlieren. Glaube ich. Hoffe ich.
"Vor fünf Jahren war ich auch noch nicht hier", entgegne ich ihm. Ich bin mir sicher, gleich gibt es ein wildes Wortgefecht. Genauso wie früher. Früher, an diese Zeiten will ich mich gar nicht erinnern. Zu schmerzhaft. Die Vergangenheit soll in Frieden ruhen und da bleiben wo sie ist, obwohl ich gerne alles anders gemacht hätte.
"Und mit dir wird alles besser?" Fragt er belustigt.
"Wieso nicht?"
"Wie habt ihr mich überhaupt gefunden?" will Gary wissen. "Wieso jetzt, wieso nicht früher." Das war ein Argument, muss sogar ich zugeben.
"Tja, wir sind nicht dumm. Außerdem, wie schon gesagt jetzt bin ich ja hier", das wollte ich mir selber nicht recht glauben. Nur wegen mir ist es jetzt doch nicht besser geworden. Es kann schon sein das es am neuen, und jungen, Personal liegt, aber nicht an mir. Nervös sehe ich zur Uhr. "Deine Zeit läuft ab."
"Welche Zeit? Ich habe keine Zeit. Ich brauche keine Zeit. Nur langweilige Menschen brauchen so etwas wie Zeit. Ich bin frei."
"Das meine ich ernst", ich setze ein Pokerface auf.
Er äfft mich nach. Kindisch!


"Wie lange wollen wir hier noch sitzen?" frage ich.
"So lange du willst", meint er.
Ich seufze tief. Er trinkt seinen Kaffee zu Ende. Draußen sehe ich meine Kollegen. Sie schauen mich direkt an. In ihren Blicken kann ich Verzweiflung und Furcht lesen. Ich zeige ihnen durch mein verzweifeltes Gesicht, dass ich das nicht hin bekomme. Sie lächeln mir mut machend zu. Denn ich bin die Einzige die ihn vielleicht zum Sprechen bringen kann.
Die Scharfschützen lauern auf den Häusern und hinter den parkenden Autos. Draußen stehen Leute, panisch. Panische Kinder, die weinen. Ich kann sie sehr gut verstehen. Zwar habe ich keine Kinder, und bin auch keines mehr, dennoch: Es ist schlimm einen geliebten Menschen zu verlieren. Mit so etwas musste ich früher immer alleine zurecht kommen.
Man weiß noch nicht ob die Opfer noch leben. Vielleicht wurden sie ermordet, vielleicht verhungern oder verdursten sie gerade jetzt, in diesem Moment. Sie sterben, und ich sitzte hier, gemütlich, in einem Caffee, mit einem Verbrecher und könnte heulen, weil ich ihn einfach nicht zum Reden bekomme. Ich würde alles tun um sie zu retten. Wahrscheinlich würde ich sogar mein eigenes Leben dafür riskieren.
Ich reiße mich selber aus meinen Gedanken und schaue mich um. Niemand ist hier drinnen. Ich bin ganz alleine mit Garry in dem Caffee. Meine Nerven liegen blank und mein Kopf pocht, von der ganzen harten Verfolgungsjagt hierher, und den Wochenlangen schlaflosen Nächten, in denen ich mit ganzer Mühe versucht habe heraus zufinden, wer hinter all dem steckt. Jetzt habe ich ihn ja direkt vor mir sitzen, und bin nicht glücklich darüber. Ich wünsche mir, ich hätte ihn nie gefunden, wäre nie in diesen Job eingestiegen. Ich bereue die ganzen falschen Entscheidungen in meinem ganzen falschen Leben. Es lief nie glatt. Das habe ich auch nie verlangt. Ich wollte doch nur ein bisschen Gerechtigkeit, Vernunft und Glück, doch dies habe ich nie bekommen. Mein ganzes Leben bereue ich. Alles an meinem Leben ist, bleibt und war falsch. Sogar jetzt, obwohl ich mich geändert habe, bleibt alles falsch und unecht. Mein Leben fühlt sich an, als würde ich auf einer Wolke fliegen. Aber es ist kein flauschiges und befreiendes Gefühl. Es fühlt sich eher an als würde ich in die Hölle fliegen: kalt, hart und grausam. Ich habe Höhenangst.
Nicht nur mein Leben ist falsch, ich war, bin und werde es auch immer bleiben. Es wäre viel besser wenn ich nie geboren wurde, das wär das beste für alle, für das ganze Dorf. Ich kann es nicht mehr ändern. Jetzt müssen Leute mit den Konsequenzen leben, nicht irgendwelche Leute, es sind Unschuldige die leiden und damit leben müssen.
"Du hast meine Frage noch nicht beantwortet", Gary schmeißt seinen Cafe-Becher aus Plastik achtlos auf den gefließten Boden.
"Welche Frage verdammt?! Du

hast meine noch nicht beantwortet! Und die will ich noch beantwortet haben, bevor ich hier auf diesem Stuhl, in diesem Cafee, vor Langeweile sterbe!", entgegnete ich ihm scharf.
"Na na na, werd nicht so zynisch, kleine. Ich will meine Frage auch beantwortet haben: Wie habt ihr mich gefunden?"
"Ich sage es dir, wenn du mir sagst wo sie sind."
"Vielleicht!"
"Dann sage ich es dir eben nicht", beharre ich trotzig. Jetzt bin ich nicht mehr so selbstsicher. Ich hätte nicht hierherkommen dürfen. Immerhin bin ich noch ein blutiger Anfänger. Jemand erfahreneres hätte hier sein müssen, nicht ich. Ich kann das nicht! Ich habe angst!
"Ich auch nicht!" meint er ebenso trotzig.
Wieso müssen wir beide nur so gleich sein?
"Na gut. Von Anfang an?" Nein! Jetzt habe ich mich ihm schon wieder ergeben. Wie immer!
"-türlich" versichert er mir und nickt dabei mit dem Kopf.
Ich lege meine Hand auf die Tischplatte.
"Willst du nicht deine Waffe auf mich richten, oder wenigstens bereit sein? Für den Fall der Fälle?"
"Wieso sollte ich. Mir wirst du doch sowieso nichts tun", sagte ich so sicher, wie noch nie heute.
"Woher willst du das wissen. Ich bin ein Psychopat ohne Gefühle. Ich bin unberechenbar. Das heißt, dass ich alles tun könnte. Schon vergessen. Außerdem..." Er schaut sich auf die Finger. "Du weißt doch, du hast mir so viel angetan, dass das nur berechtigt wäre, wenn ich dir weh tun würde."
Ich muss schwer schlucken. Mein Magen verkrampft sich, und zum ersten mal wird mir bewusste, dass er recht hat. Zum ersten mal hat er, in meinem Augen recht. Er könnte mich einfach erschlagen, dabei spielt es keine Rolle, ob Polizisten und Scharfschützen Draußen sind. Mit einer Handbewegung, einem Bruchteil einer Sekunde könnte ich schon auf dem Boden liegen. Ich bin in Gefahr! Doch eigentlich habe ich mir das selber zu zuschreiben.
"Kann schon gut möglich sein. Aber ich habe keine angst vor dir!" Sage ich taff und lasse ihn in diesem Glauben.
"Lügnerin", er hebt eine Hand, holt aus und tut so als würde er mich schlagen.
Vorbei! Ich zucke zusammen und ziehe blitzschnell meine Waffe aus der Hosentasche. Ein schallendes Lachen entfährt ihm. "Sag ich doch: Lügnerin. Du warst schon immer eine Lügnerin, eine miese kleine, arrogante, hochnäsige Lügnerin", beleidigt er mich.
"Und du warst schon immer ein krankes Arschloch", verspotte ich ihn.
"Hast du etwas gegen kranke Menschen?"
"Nein, nicht wenn sie morden."
"Hast du was gegen Arschlöcher?"
"Ja..." antworte ich zögernd, denn ich weiß schon, was er sagen will. Ich bin dafür bereit, mich haut so schnell nichts um.
Er räuspert sich, bevor er schlicht sagt: "Dein Freund."
Mir kommen die Tränen. Ich weiß es. Schon seit Monaten. Zoran mit meiner besten Freundin. Die, der ich immer vertraut habe, die mich immer in Schutz genommen hat, mit der ich immer so viel gelacht habe. Alles nur Illusion. So kann ein Kerl einem schon das beste im Leben nehmen was man hatte: Die beste Freundin.
Freunde sind wie Sterne, man sieht sie nicht, doch trotzdem sind sie immer da. Mein Stern ist jetzt nicht mehr da, für immer fort. Zwar kann ich einen anderen Stern finden, der ihm Äußerlich gleicht, doch wenn man genauer hin sieht und spürt, erkennt man das niemand einem gleicht. Nur ähnelt, aber das ist nicht das selbe.
Als ich endlich eine beste Freundin gefunden habe, in meinem neuen Leben, war ich so glücklich. Ich dachte, dass nichts mehr zwischen uns kommen könnte. Doch dann hat mich die Vergangenheit eingeholt.
Gary bemerkt meine Tränen und sagt zufrieden: "Du wusstest es nicht. Dein Freund ist ein Arsch... Genauso wie ich."
Hastig wische ich mir mit meinem Handrücken die Tränen weg, in der Hoffnung niemand habe es gesehen.
"Also. Erzähl mir jetzt eure Geschichte!" befielt er mir.
"Wieso willst du sie wissen?"
"Es interessiert mich eben. Das ist alles. Wenn ich schon ins Gefängnis muss, dann will ich auch wissen wie ihr schlauen Hirnis das geschafft habt."
"Das hast du selbst geschafft!"
"Bist du jetzt stolz auf mich?" Als ich ihm nicht antworte, gibt er einen tiefen Seufzer von sich und drängt: "Na komm schon, erzähl!"
"Ok. Das war so:"

Impressum

Texte: mir natürlich ;)
Tag der Veröffentlichung: 20.03.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An meine Lieben leser... Achja, bitte bewertet das Buch und gebt mir Verbesserungsvorschläge, Danke!

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