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- Prolog -

 

 

 

Oft suchen wir einen Platz im Leben wo wir hin gehören,

doch ich habe meinen längst gefunden.

In deinen Armen zu liegen und zu wissen, dass du mich liebst,

ist mehr wert als alle Besitztümer dieser Welt.

 

 

 

Dir allein wird meine ganze Liebe gehören, denn du bist mein Anker in schweren Zeiten. Die Stütze wenn ich einmal Halt brauche. Als ich aufgegeben habe und gefallen bin, warst du da um mich sicher wieder aufzufangen. Ich bin geborgen in deinen Armen gelandet. Von deiner Wärme und Fürsorge umgeben, habe ich neuen Lebensmut gefunden. Mich neu gefunden und angefangen für das zu kämpfen woran ich glaube. Ich verdanke dir so viel, dass ich es nicht einmal in Worte fassen kann. Du gibst mir mehr, als ich jemals für möglich gehalten hätte. Genau aus diesem Grund bin ich bereit alles aufzugeben und hinter mir zu lassen, wenn ich dich dafür in meinem Leben halten kann. Mein Herz schlägt allein für dich. Um dir zu zeigen, dass wir füreinander bestimmt sind, werde ich es mit meinem Blut besiegeln und mich für immer an dich binden.

 ...

 

Leise knisterte das Feuer im Kamin, während es ganz still im Zimmer wurde. Ausdruckslos starrten sich die beiden Frauen an. Während die eine von den Jahren gezeichnet wurde, sprühte die andere noch voller Leben und ewiger Jugend.

„Du weißt nicht, was du da tust, Kind. Durch deine blinden Entscheidungen brichst du diese Familie in zwei. Weißt du eigentlich, was du da von Jasmin verlangst? Hast du eine Ahnung, was dies für das Mädchen bedeutet oder für unsere Familie?“

„Ja!“, kam es knapp von ihrer Tochter. Ihre Stimme war ausdruckslos. Ohne jegliche Emotion. Die Augen voller Verbitterung, von jener Erinnerung, die sie für immer prägte. „Es bedeutet Ansehen. Wir können unsere Ehre damit zurück gewinnen. Können endlich die Schande, was Richard uns angetan hat, ein für alle mal von uns abwaschen.“

Müde schüttelte die alte Frau den Kopf. Traurig blickten ihre Augen in die Ferne. Das weiße Haar war zu einem strengen Dutt nach oben gebunden. Hier und da lösten sich bereits die Strähnen und kringelten sich um ihr schmales Gesicht.

„Bist du sicher, dass dies die richtige Entscheidung ist, mein Kind?“

Frustriert raufte sich die junge Frau die Haare, welche ein sattes Rotbraun hatten und von dichten Locken durchzogen waren. Sie trug die Haare zu einem Seitenzopf, welcher über ihre linke Schulter viel. Bei ihrem Äußeren hätte man sie niemals auf Ende fünfzig geschätzt. Sie hatte lange Zeit das Elixier der Jugend genossen, welches sie durch ihren früheren Gatten erhalten hatte. Nun war er nicht mehr da. Für seine Sünden hatte man ihm die Todesstrafe auferlegt und ihm einen Pfahl mitten durchs Herz gerammt. Doch sie trauerte längst nicht mehr um ihn. Dafür suchten sie die dunklen Erinnerungen heim, welche sie nur ihm zu verdanken hatte.

Seufzend wandte sie sich ihrer Mutter zu. Sie hatte die ewigen Diskussionen darüber satt.

„Das hatten wir doch alles schon, Mutter. Es wird an der Zeit, das Jasmin ein wenig Verantwortung übernimmt.“

„Blödsinn“, zischte die alte Frau ungehalten und vergaß für einen Moment ihre guten Manieren. Wenn es um das Glück ihrer Enkelin ging, würde sie nicht lange fackeln, sondern direkt handeln. Es war an der Zeit ihre Tochter zur Vernunft zu bringen. Mühsam stemmte sie sich aus dem Sessel hoch, indem sie gesessen hatte.

„Mach nicht den selben Fehler wie ich, Nesrin. Jasmin ist alt genug ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.“

Wütend ballte Nesrin ihre Hände zu Fäusten. Niemals würde sie es akzeptieren. Niemals würde sie die Pläne über den Haufen werfen, egal was ihre Mutter davon hielt.

„Ich hab mich mit Dogan darüber unterhalten. Er findet auch das es eine hervorragende Idee ist“, erwiderte die junge Frau hochmütig und sah ihrer Mutter dabei herausfordernd in die Augen.

„Wage es nicht diesem Nichtsnutz das Glück meiner Enkelin anzuvertrauen. Der war doch schon immer nur hinter dem Familienerbe her. Das er in diesem Haus geduldet wird, bedeutet nicht, dass er jemals zu dieser Familie gehören wird!“, donnerte die alte Frau aufgebracht und schritt auf ihre Tochter zu. Wut funkelte in ihren grauen Augen.

„Meine Entscheidung steht fest, Mutter. Jasmin wird Lord Duningham heiraten!“

Damit rauschte Nesrin aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.

- 1 -

Nachdenklich betrachtete er die junge Frau, die vor wenigen Minuten an ihm vorbei gerannt war, ohne ihn jedoch zu bemerken. Er wusste nicht ob es gut oder schlecht war. Letztendlich gab es ihm die Möglichkeit sich jedes einzelne Detail ihres Körpers genau einzuprägen. Sie war ein Anblick den man durchaus genießen konnte. Hektisch sah sie sich zu allen Seiten um, als befürchtete sie, jemand wäre ihr gefolgt. Das weiße Kleid an ihrem Körper hatte seine besten Tage hinter sich. Der untere Rockreif war zerrissen und mit Dreck befleckt, als wäre sie einen weiten Weg über die Felder gerannt, welche einige Kilometer hinter der Stadt begannen. Die Panik in ihren Augen war unübersehbar und ließ ihn wachsam werden. Das klare Grün war getrübt, strahlte Kummer und Sorge aus. Was auch immer sie aus der Fassung gebracht hatte, er konnte es förmlich mit den Händen greifen. Zu gerne würde er wissen, was in ihrem Kopf vor sich ging. Was ihr solch eine Angst verursachte, dass sie mitten in der Nacht durch die dunklen Straßen von Faunen rannte, wo sich jetzt das ganze Gesindel in den Gassen aufhielt. Ihn konnte man schon fast dazu zählen. Er war ein Verstoßener, nur weil er sich nicht dem Willen seiner Eltern beugen wollte und sich eine Frau nahm, die wie eine Marionette an seiner Seite das Ansehen der Familie repräsentieren sollte. Sein Cousin war da ganz anderes. Ihm tat die Frau leid, welche bald schon in die Fänge dieses Mannes fallen würde. Mürrisch schüttelte er den Kopf um die unangenehmen Gedanken zu vertreiben und lieber dem Schauspiel zu folgen, welches sich ihm bot. Atemlos blieb die junge Frau abrupt auf der Brücke stehen. Keuchend stemmte sie die Hände in die Hüften. Rang nach Luft. Ihr Brustkorb hob und senkte sich in raschen Zügen. Der Körper war in das helle Licht der Straßenlaterne getaucht. 'Sie sieht aus wie ein verlorener Engel, welchem man die Flügel gestohlen hatte, nur damit er nicht mehr davon fliegen konnte', dachte er wehmütig. Ein trauriges Lächeln legte sich auf seine Züge. Zu gerne hätte er sie in seine Arme gezogen. Ihr Trost gespendet. Doch das war in diesem Moment nicht möglich. Er konnte nicht aus seinem Versteck um sich ihr zu zeigen. Am Ende würde sie nur schreiend davon laufen und sich bei der Flucht wohl möglich auch noch beide Beine brechen.

'Nein!', stoppte er sich selbst. Das konnte er nicht riskieren. Die Reh braunen Locken wurden vom Wind zerzaust und kringelten sich um ihr schmales Gesicht. Die Wangen waren mit einem leichten Rosa bedeckt, welches von der körperlichen Anstrengung her rührte. Verzweifelt umklammerte sie das Brückengeländer, als würde sie den Halt suchen um nicht zu fallen. Tränenspuren zogen sich über ihr bildhübsches Gesicht. Und auch jetzt noch sah er die Tränen in ihren grünen Augen schimmern. Ihr Anblick berührte etwas tief in ihm und zerriss förmlich sein Herz. Sein Blick war gebannt auf das Wesen gerichtet, nahm jede noch so kleine Bewegung wahr. Wunderschön würde nicht einmal ansatzweise ausreichen um sie zu beschreiben. Sie war wie eine Blüte, die nach einem starken Gewitter neu erstrahlen würde. Sie gab ihm Hoffnung. Auch wenn er nicht genau wusste worauf. Zitternd umklammerten ihre kleinen Hände die Eisenstange des Geländers noch fester. Müde schloss sie die Augen, atmete tief durch, ehe sie für einen kurzen Augenblick reglos verharrte, als würde sie auf etwas warten.

'Vielleicht wartet sie ja tatsächlich auf jemanden?', dachte er resigniert. 'Ein heimlicher Liebhaber?'

Aus einem unerfindlichen Grund machte ihn dieser Gedanke wütend. Unbewusst ballte er die Hände zu Fäusten. Knirschend biss er die Zähne fest zusammen, während er versuchte ruhig zu bleiben. Viel zu rasch zog er die Luft durch die Nase ein obwohl er eigentlich kein Sauerstoff brauchte. Doch solange er sich unter Menschen bewegte, musste er so natürlich wie möglich wirken. Nach fast sechshundert Jahren, war es ein leichtes und zu einer lästigen Gewohnheit geworden. Es störte ihn weniger, als die Tatsache, dass seine Eltern ihm seine Freiheit nehmen wollten, indem sie ihn zur Ruhe zwangen. Ihn praktisch in eine Ehe zwängen wollten. Die Minuten vergingen. Es blieb alles ruhig. Nichts geschah. Noch einmal lauschte er in die Dunkelheit damit er auch nichts übersah. Jedoch war nichts zu hören, außer ihr keuchender Atem, welcher einen kleinen Dampfnebel bildete. Die Temperaturen fielen und bewegten sich langsam auf den Null-Punkt zu. Trotzdem schien dieses atemberaubende Geschöpf nicht zu frieren, oder sie wollte es sich nicht anmerken lassen. Ihre Augenlider zuckten, während sie schwer zu schlucken begann. Als sie die Augen wieder aufschlug, schimmerte Entschlossenheit in ihnen. Das Grün begann praktisch zu leuchten, gewann an Farbe zurück. Noch ehe er richtig begriff was da vorne im Schein der Laterne geschah, setzte sie bereits einen Fuß nach dem anderen auf das Geländer und machte Anstalten hinüber zu klettern.

'Sie wird doch wohl nicht etwa...?'

Entsetzt machte er einen Schritt aus der Dunkelheit auf sie zu. Er wusste nicht woher sein plötzlicher Beschützerinstinkt her kam, doch er wusste, er musste verhindern das sie sprang, bevor es zu spät war.

„Sie sollten das besser nicht tun“, flüsterte er leise, aber bestimmt. Beruhigend sollten die Worte ihre Sinne fluten und sie an ihrem Vorhaben hindern. Unmerklich verkrampfte sie sich, als würde sie Schmerzen haben, und hielt in ihrer Bewegung inne.

„Was wissen Sie schon? Mein Leben ist der reinste Alptraum!“

Verbitterung schwang in jedem einzelnen Wort mit. Sie drehte sich nicht einmal um, während sie mit ihm sprach. Ihr Körper zitterte ganz leicht und Gänsehaut bildete sich auf ihren nackten Armen. Ein Zeichen dafür, dass sie fror. Doch in Anbetracht der Kälte und Jahreszeit, wunderte es ihn nicht. Kein normaler Mensch würde sich in einem solchen Aufzug aus der Tür trauen. Aber was war an dieser Frau schon normal. Kopfschüttelnd sah er an ihr herunter. Die Ärmel des Kleides reichten ihr gerade mal knapp bis zur Schulter. Zumindest die Länge stimmte, denn die Beine verschwanden komplett darunter. Tief atmete er durch um nicht durchzudrehen. Ganz leicht raufte er sich die schwarzen Haare. Die Situation war mehr als verworren und überhaupt das seltsamste, was ihm jemals passiert ist. Und das musste schon viel heißen, wenn man mehrere Male um die ganze Welt gereist war. Ihre Wärme schwappte zu ihm rüber, umhüllte ihn. Ein leicht süßlicher Blumengeruch wehte ihm um die Nase, setzte für einen kurzen Moment seinen Verstand aus. Genüsslich zog er den Geruch tief in seine Lunge, ließ sich davon berauschen. Es lenkte ihn ab, machte ihn unaufmerksam, weswegen er zu spät sah, dass sie sich bis auf die andere Seite des Geländers gekämpft hatte. Mit dem Rücken stand sie zu ihm. Die Hände hinter sich links und rechts um den Griff geklammert. Nun gab es nichts mehr, dass sie würde halten können. Ob sie nun freiwillig sprang oder aber mit ihren hohen Absätzen abrutschen würde. Es gab nichts, was zwischen ihr und dem freien Fall, in fünfzehn Meter Tiefe, stand.

„Sie haben Recht. Ich weiß nichts über Sie oder Ihre Probleme“, redete er ruhig auf sie ein. „Aber Sie sollten das nicht tun!“

Sanft machte er einen Schritt auf sie zu, bereit nach ihr zu greifen.

„Kommen Sie nicht näher!“, fauchte die junge Frau aufgebracht. „Und sagen Sie mir nicht, was ich tun sollte und was nicht!“

Beschwichtigend hob er seine Hände, als Zeichen seiner Kapitulation und um ihr zu zeigen, dass er ihr für den Moment den Willen ließ. So ein verrücktes Weib war ihm noch nie untergekommen. In seinem ganzen Leben noch nicht.

„Seien Sie doch vernünftig“, wagte er einen erneuten Versuch. Mühsam rang er um Beherrschung. Er musste sich sehr zusammen reißen um nicht nach vorne zu stürzen und nach ihren Armen zu greifen.

'Verrücktes Weibsbild!', dachte er knurrend. Sollte sie heil aus dieser Sache heraus kommen, würde er sie über seine Knie legen und sie windelweich prügeln, bis sie ihm versprach nie wieder auch nur daran zu denken, von irgendwo runter zu springen.

„Erzählen Sie mir nichts über Vernunft. Ich hab es so satt vernünftig zu sein und mich wie jemand zu verhalten, die ich einfach nicht bin!“

Wütend schnaubte das Geschöpf, welches anmutig da stand und einen vorsichtigen Blick in die Tiefe wagte. Ruckartig zog sie den Kopf ein, versuchte ihre Panik im Keim zu ersticken. Eigentlich wollte sie nicht springen. Das wusste er. Doch irgendetwas schien sie regelrecht zu diesem Schritt zu zwingen.

„Es gibt sicher eine andere Lösung. Meinen Sie nicht?“

Statt einer Antwort schüttelte sie nur den Kopf. Tief atmete sie durch.

„Für dieses Problem gibt es keine Lösung. Ich hab es wirklich versucht. Ich hab versucht so zu sein, wie sie mich wollen. Doch es funktioniert einfach nicht.“

Ein leises Schluchzen war zu hören und eine einzelne Träne rang ihr über die Wange, während sie dabei nervös auf ihrer Lippe kaute. Und obwohl er sie nicht kannte, tat sie ihm leid. Zu gerne hätte er ihr etwas von dieser Last genommen. Bestimmt war dieses Geschöpf stärker, als es jetzt den Anschein machte. Sie zeigte sich ihm. Zeigte ihm ihre verletzliche Seite. Entblößte ihre Seele vor ihm. Abwartend stand er da und betrachtete den kleinen süßen Engel.

„Wissen Sie. Mein Leben ist ein einziges Netz aus Regeln und Forderungen. Es interessiert niemand, wie es einem dabei geht, solange man das Ansehen der Familie nicht beschmutzt.“

„Ich kann sehr gut verstehen wie Sie sich dabei fühlen. Da geht es mir wie Ihnen.“

„Sie scheinen jedoch kein Problem damit zu haben. Nicht wahr?“

Nun wandte sie ihm doch ihr Gesicht zu. Es traf ihn wie einen Schlag. Amors Pfeil ging mitten durch sein Herz. Plötzlich hatte er das Gefühl nicht mehr richtig atmen zu können. Eine Hitze breitete sich in seiner Brust aus. Verbrannte ihn von innen. 'Was zum Teufel war das...?'

Diese Frau sah nicht nur aus wie ein Engel. Sie war einer. Diese Augen, die ihn so verletzlich entgegen sahen. Das Flehen sie endlich von ihrem Leid zu erlösen. Und plötzlich wie aus heiterem Himmel begann sein Herz wieder in seiner Brust zu schlagen. Das Herz, welches seit 600 Jahren reglos, kalt wie ein Stein verharrte. Kräftig und viel zu laut schlug es in ihm.

„So würde ich es nicht sagen. Ich habe mich vor längerer Zeit mit meinen Eltern überworfen und weigere mich, mich ihrem Willen zu beugen.“

„Verstehe.“

Gedankenverloren betrachtete sie ihn, als würde sie über irgendetwas nachdenken.

„Vermutlich wäre das alles einfacher zu ertragen, wenn sie mir nicht das einzige nehmen würden, dass mir noch blieb.“

Wehmütig starrte sie in die Ferne, wandte ihren Blick von ihm ab.

„Und was genau wollen sie Ihnen nehmen?“

„Meine Freiheit“, erwiderte der Engel knapp. Traurig schüttelte dieses Wesen den Kopf.

Betroffen starrte er die Fremde an und wusste zum ersten Mal in seinem Leben nicht, was er darauf antworten sollte. Bisher war es ihm noch nie passiert, dass er keine passende Erwiderung parat hatte.

„Ich... tut mir leid. Ich hätte Ihnen das alles nicht erzählen sollen.“

„Schon gut. Es tut sicher gut, mal darüber zu reden.“

„Ja... Schon irgendwie“, stammelte sie leise. „Danke.“

Schweigend blickten sie einander an. Die Minuten verstrichen, in denen niemand etwas sagte. Es war eine seltsame Stille, in der jeder seinen Gedanken nachhing. Nicht wissend, was sie dem anderen als nächstes sagen sollten. Plötzlich kam eine Windböe auf, zerrte an ihren Kleidern. Die Blätter raschelten und Äste wogen im Wind. Das Zittern in ihrem Körper wurde noch stärker, ließ ihre Glieder taub werden. Sie hatte keine Chance sich noch länger festzuhalten. Müde löste sich der Griff. Die hohen Absätze der Schuhe rutschten ab. Ein hysterischer Schrei kam aus ihrer Kehle, als sie bereits fiel. Ohne nachzudenken hastete er nach vorne und griff nach ihrer Hand. Die Wucht mit der er den Fall verhinderte, ließ ihn gegen das Gerüst taumeln und zog ihn beinahe selbst in die Tiefe.

„Verrücktes Weibsbild“, ätzte er und biss die Zähne fest zusammen. Es war schon etwas her seitdem er das letzte Mal von einem Menschen getrunken hatte. Nun spürte er es in jedem einzelnen Knochen. Ihm fehlte die Kraft und sein innerer Dämon war keine große Hilfe. Denn dieser war noch von ihrem Anblick fasziniert und wie in Transe. Zappelnd hing die junge Frau in seinem Griff.

„Verdammt“, fluchte er leise. „Halten Sie still!“

„Nicht loslassen!“, kam es ängstlich aus ihrem Mund, während sie mit ihrer zweiten Hand die seine umklammerte. Sich versuchte an ihm fest zu halten. Ihre Fingernägel bohrten sich unangenehm in seine Haut, doch gab er keinen Mucks von sich. Das alles war mehr als nur verrückt. Niemals hätte er gedacht, dass sich sein Abend so gestalten würde. Er musste den Verstand verloren haben. Eindeutig. Anderes konnte er sich nicht erklären, wie er nur in diese Lage geraten konnte.

'Das hast du nun davon schöne Frauen retten zu wollen!', tadelte ihn seine innere Stimme. 'Engel fallen nun einmal nicht einfach vom Himmel!'

„Beruhigen Sie sich. Ich werde Sie nicht los lassen“, versuchte er den Engel irgendwie zu beruhigen. Dabei klopfte ihm das Herz selber bis zum Hals.

„Wie konnte ich nur so dumm sein...?“, murmelte sie leise. „Ich hätte das niemals tun sollen. Das alles ist doch nur passiert, weil ich mich weigere den Mann zu heiraten, den meine Eltern für mich ausgesucht haben.“

„Für Reue ist es ein bisschen spät. Finden Sie nicht?“, erwiderte er leise. „Zumindest geben Sie zu, dass es eine bescheuerte Idee ist, Mitten in der Nacht von einer Brücke zu springen.“

„Ja. Ich gebe zu, dass es idiotisch von mir ist. Aber in meiner Lage wären Sie auch in Panik ausgebrochen. Es war eine Kurzschlussreaktion.“

Einen Augenblick schwiegen sie, ehe die junge Frau leise seufzte.

„Es tut mir leid. Okay?“, kam es leise von ihr. „Würden Sie nun die Güte haben mich hinauf zu ziehen?“

„Verraten Sie mir nur noch eins“, murmelte er abwesend, während er sie langsam hinauf zog. „Wer wird der Glückliche sein, der Sie zu seiner Braut nimmt?“

Nervös kaute sie auf ihrer Lippe herum und wich seinem Blick aus. Unschlüssig darüber, ob sie ihm seine Frage beantworten sollte.

„Es ist noch nicht offiziell...“, murmelte sie abwesend. Ihr Blick trübte sich. Schmerz flackerte in dem sanften Grün. „Wenn ich könnte, würde ich mich dem ganzen entziehen. Aber eine Tochter aus reichem Hause soll nun einmal heiraten.“

Ein trauriges Lächeln lag auf ihren Lippen. Die Augen waren ganz glasig, als würde sie mit den Gedanken weit weg sein.

„Sie sollten diese Entscheidung selbst in die Hand nehmen und einen Mann wählen, der Ihnen würdig ist und Sie vom ganzen Herzen liebt.“

Darauf konnte sie nichts erwidern, denn ihm war klar, dass ihr diese Entscheidung schon längst abgenommen wurde. Er hatte sie fast hinauf gezogen, als sie ihn mit ihren Worten völlig aus der Fassung brachte.

„Ich denke Lord Edward Duningham ist ein guter Mann.“

„Nein!“, stieß er zwischen zusammen gebissenen Zähnen aus. Fassungslos blickte er auf die Frau nieder, die ihm in diesem Augenblick aus den Händen glitt.

- 2 -

 

Plötzlich war es, als bliebe die Zeit stehen. Stille breitete sich um mich herum aus. Ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen, den steten lauten Herzschlag in meiner Brust. Hörte mein Herz wie verrückt hämmern, während sich in mir das Adrenalin ausbreitete, durch meine Venen pulsierte. Die Gedanken rasten durch meinen Kopf und doch bekam ich keinen einzigen davon zu fassen. Der schrille Schrei, der meiner Kehle entwichen war, klang noch in mir nach. Mit einem Mal fühlte mein Körper sich leichter an und doch riss es mich ohne Vorwarnung in die Tiefe. Ich wusste, dass es vorbei gehen würde. Ich wusste nur zu gut, dass es nur noch einen kurzen Augenblick dauern würde, bis der Aufprall mich zerriss. Mich in tausend Einzelteile zerlegen würde. Bis nichts mehr übrig war, außer der Leere. Hilflosigkeit machte sich in mir breit, ließ mich mit den Armen wild rudern, als würde es irgendetwas bringen. Nur zu gut wusste ich, dass mich nichts mehr retten konnte. Das Schlimme daran war, dass ich es mir selbst zu zuschreiben hatte. Meine Dummheit hatte mich in diese Lage gebracht. Dabei hatte ich mir nichts sehnlicher Gewünscht, als meine Freiheit zurück zu erlangen. Mit weit aufgerissenen Augen sah ich, wie mich die Dunkelheit langsam verschluckte, ich in das Nichts hinab fiel. Dichter Nebel umgab mich, hüllte meine Gestalt ein, als würde er mich jeden Augenblick verschlingen. Mein Blick fiel auf den Unbekannten, welcher noch immer auf der Brücke stand. Sein Körper war weit über das Geländer gelehnt, als würde er planen mir hinterher zu springen. Er hatte mich nicht retten können, und doch hatte er weit mehr für mich getan, als die meisten Menschen. Seine blauen Augen verfolgten mich und eine Qual stand in ihnen, die ich nicht verstehen konnte. Er war ein unglaublicher Mann. Düster und geheimnisvoll und das letzte das ich erblicken würde. Mit einem resignierten Lächeln schloss ich meine Augen. Ich gab mich meinem Schicksal hin. Wartete auf das Unvermeidliche.

„Verdammt!“, hörte ich ihn in der Ferne fluchen, als sich auch schon zwei starke Arme um mich schlangen. Im nächsten Moment wurde ich an eine harte Brust gepresst. Warmer Atem traf meine Wange und ein unvergleichbarer Duft stieg mir in die Nase. Es roch nach Wald, Regen und einer Note, die ich nicht ganz zuordnen konnte. Ich riss meine Augen auf und starrte in seine. Ernst blickte er mich an, doch das Blau seiner Augen war ganz weich.

„Was tust du nur mit mir, Engel“, murmelte er dicht an meinem Ohr. Fest hielt er mich umklammert, während sein Körper sich noch dichter an meinen schmiegte, als wollte er mich vor der Gefahr abschirmen. Doch war es längst zu spät. Der Schaden war bereits angerichtet. Sanft drückte er seine Wange an meine, atmete tief ein. Sog meinen Duft in sich auf. Genau wie ich es auch bei ihm tat. Prägte mir alles von ihm ein, in der Hoffnung, dass mir die Erinnerung an diesen Moment für immer im Gedächtnis bleiben würde. Egal was auch kommen mochte. Meine Hände lagen fest an seiner Brust. Vorsichtig ließ ich sie an seinem Körper hinauf gleiten, ehe ich sie in seinen Nacken legte und mich dort fest hielt. Er fühlte sich hart und zugleich weich an. Warm lag sein Körper an meinem. Und doch ging auch eine Kälte von ihm aus, die ich nicht verstehen konnte.

„Eigentlich müsste ich mich von dir fern halten, dich mir aus dem Kopf schlagen...“

„Und doch bist du gesprungen“, ergänzte ich seinen Satz leise. Eine tiefe Trauer erfüllte mein Herz, als ich daran dachte, dass es nun auch sein Tod bedeuten würde.

„Ich kann nicht zulassen, dass es vorbei ist, noch bevor es überhaupt angefangen hat!“

Zärtlich löste er einen Arm um meinen Körper, nur um mir im nächsten Moment mit einer liebevollen Gäste mit dem Daumen über die Wange zu streichen. Seine Augen folgten der Berührung und blieben an meiner Lippe hängen. Sanft schmiegte ich meine Wange in seine Handfläche, während er mein Gesicht fest umschlossen hielt.

„Spielt es noch eine Rolle?“, wollte ich leise wissen. „Hat es überhaupt noch eine Bedeutung, wo doch eh alles sein Ende findet?“

„Ich konnte nicht einfach tatenlos zusehen, wo du doch eine Seite in mir berührt hast, von der ich geglaubt habe, sie vor langer Zeit aufgegeben zu haben.“

Seine Worte ließen mich schwer schlucken und trieben mir zugleich Tränen in die Augen, welche ich mühsam zurück halten musste. Dieser Mann war nicht nur dunkel, sondern auch gefährlich für mein Seelenheil, denn ich wusste schon jetzt, dass er meine Welt auf den Kopf gestellt hatte. Ich würde nie wieder die selbe sein. Nie würde ich seine Worte vergessen können, wo sie mir doch ein wohliges Gefühl von Wärme vermittelten.

„Ich weiß, du wirst noch meinen Untergang bedeuten“, hauchte er, ehe seine Lippen sacht meine Wange streiften. Federleicht strich der Kuss über meine Haut. „Du bist so wunderschön, Engel.“

Dann traf sein Mund auf meinen. Weich drückte er seine Lippen auf meine. Zischend atmete ich aus. Die Berührung jagte einen Stromschlag durch meinen Körper. Die Haut begann zu kribbeln, während ein Schwarm Schmetterlinge durch meinen ganzen Körper jagte. Plötzlich fühlte ich mich leichter, als hätte sich alles in mir aufgelöst, nur um sich mit einem Schlag wieder zusammen zu setzen. Es war, als würde die Zeit stehen bleiben. Mein erster Impuls war mich dagegen zu wehren, es nicht zu zulassen. Es als Falsch abzustempeln. Doch dann besann ich mich. Ließ es zu, endlich etwas tun zu können, was ich wollte. Endlich meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Ganz gleich welche Konsequenzen es auch haben mochte. Seufzend schloss ich meine Augen, genoss das Gefühl seiner Lippen auf meinen. Ich gab mich ganz dem Kuss hin. Erwiderte ihn. Drängte mich seinem Körper entgegen. Seine Hände packten meine Oberschenkel und schlangen sich die um seine Hüften. Eine Hitze sammelte sich zwischen meinen Beinen. Genau an dem Punkt wo sie sich vereinten. Kribbelnd stieg es in mir empor. Machte mich ganz verrückt. Unruhig rieb ich mich an ihm, ohne zu wissen, was ich sonst tun sollte um mit diesen tiefen Empfindungen zurecht zu kommen. Noch nie hatte ich so etwas gespürt. Noch nie wurde ich auf diese Weise von einem Mann geküsst, geschweige denn berührt. Um ehrlich zu sein, war dies mein erster Kuss.

„Du schmeckst süß. Wie flüssiger Honig“, murmelte er dich an meinen Lippen.

„Mhm...“, machte ich ganz gedankenverloren. Dann besann ich mich. Kehrte in die Wirklichkeit zurück. „Es tut mir leid!“

„Was genau tut dir leid?“

Aufmerksam musterte er mich. Sah mir dabei tief in die Augen, als würde er dort die Antwort finden, die er suchte.

„All das“, flüsterte ich und breitete die Arme aus, um ihm erneut unsere Situation ins Gedächtnis zu rufen. Es fühlte sich bereits wie eine halbe Ewigkeit an, seitdem wir in die Tiefe fielen. Mittlerweile war ich an dem Punkt angekommen, dass ich mir wünschte, es würde endlich ein Ende finden, um die Anspannung in meinem Inneren entgehen zu können. „Es wird unser Ende sein. Und dabei hätte es nur mich treffen dürfen.“

Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Es braucht weit mehr, um mich zu töten. Dich zum Beispiel gehen zu lassen. Nie wieder wird es etwas vergleichbares geben, wie dein Geschmack auf meiner Zunge. So rein und süß. Einfach himmlisch.“

„Aber...“, wollte ich widersprechen, weil ich wusste, dass seine Worte keinen Sinn ergaben. Doch hinderte sein Blick und der Finger auf meinen Lippen mich daran. Stumm schüttelte er den Kopf, als wollte er meinen Protest als Lüge strafen. Dabei wusste ich es besser. Wir Menschen waren sterblich. Niemand konnte diesen Fall aus fünfzig Metern Höhe überleben. Niemand. Nicht einmal er. Auch wenn ich es gerne glauben würde.

„Hab ein wenig Vertrauen“, hauchte er. Das Blau seiner Augen begann gespenstisch zu leuchten und bekam eine noch intensivere Farbe. Etwas in mir krampfte sich bei diesen Worten zusammen. Hilflos klammerte ich mich an seinen Armen fest. Ich spürte die Muskeln unter meiner Handfläche arbeiten. Doch seine Hände hielten noch immer meine Beine fest umfangen, ließen mich eng an ihn gedrückt. Mein Herz krampfte sich noch weiter zusammen, als ich daran dachte, dass gleich etwas schreckliches geschehen würde. Mein Griff wurde noch fester, obwohl ich es für unmöglich hielt. Meine Fingernägel bohrten sich bereits schmerzhaft in seine Haut, doch er blieb still. Kein einziger Laut kam ihm über die Lippen. Nur unser Atem war in der Stille zu hören. Seiner war ruhig, während meiner stoßweise meinen Körper verließ. Dabei musste er Schmerzen haben, denn sein Blut ran mir warm über die Finger.

„Halte dich gut fest, es könnte jetzt etwas holprig werden.“

Seine Muskeln spannten sich weiter an. Sein ganzer Körper begann zu zittern und das Silberblau seiner Augen glühte noch stärker. Verdunkelte sich zunehmend. Eine seltsame Veränderung ging in ihm vor, doch bevor ich darüber nachdenken konnte, landeten wir mit einem dumpfem Geräusch auf festem Untergrund. Leicht ging er in die Knie. Sein Herz schlug hart in seiner Brust, welche fest an meine gedrückt wurde. Zitternd holte er Luft. Ansonsten regte er sich nicht. Noch immer hielt er mich fest umklammert, als würde er befürchten, ich könnte irgendwie zu schaden kommen. Sein Kopf ruhte auf meiner Schulter. Das Gesicht hatte er an meinem Hals vergraben. Sanft leckte er mit der Zunge über die empfindliche Haut, ließ sie über meinen Puls gleiten. Schmeckte mich erneut, als würde er nicht genug von mir bekommen.

„Alles okay?“, hörte ich ihn plötzlich fragen, als er langsam seinen Kopf hob und mich ansah. „Hast du dich verletzt? Tut dir irgendetwas weh?“

Seine Fragen stürmten auf meinen Verstand ein, doch drangen sie nicht wirklich zu mir durch. Stumm starrte ich den Mann vor mir an. Ich wusste nicht wie das möglich war, doch er hatte uns gerettet. 'Wir sind am Leben!', war das einzige woran ich jetzt in diesem Augenblick denken konnte.

„Ich... mir... mir geht es gut“, stammelte ich verwirrt.

„Gut!“, war alles was er heraus brachte, bevor er mich dicht zu sich heran zog und mich erneut küsste. Leidenschaftlich lagen seine Lippen auf meinen. Hungrig glitt seine Zunge in meinen Mund, umspielte meine Zunge. Neckte mich, forderte mich heraus. Keuchend erwiderte ich den Kuss mit einer genauso starken Intensität. Verzweifelt klammerte ich mich an ihn. Zerrte an seinem Hemd, welches einmal weiß gewesen war, doch jetzt von unzähligen dunklen Flecken bedeckt wurde. Hier und da war es ganz zerknittert oder sogar eingerissen. Doch das war egal. Ich wollte ihn. Wollte diesen Mann. Wollte alles, was er mir zu geben bereit war. Mit einer Hand griff er in mein Haar. Hielt mich auf diese Weise dicht bei sich, während er noch tiefer mit seiner Zunge in meinen Mund eindrang. Ihn rücksichtslos plünderte und alles nahm, was ich ihm bereitwillig gab. Rücklings saß ich plötzlich auf seinem Schoss, ohne zu wissen, wie ich da hin gekommen war. Meine Beine waren fest um ihn geschlungen, während unsere Körper sich fest aneinander schmiegten. Keiner von uns war bereit den anderen gehen zu lassen. Dabei wusste ich, dass es nur diesen einen kurzen Augenblick geben würde, bevor jeder wieder in sein eigenes Leben zurück kehrte und die Realität uns in die Gegenwart zurück holte. Langsam löste ich mich von ihm, obwohl alles in mir dagegen protestierte. Ich musste es beenden, bevor mein Verstand sich endgültig verabschiedete. Hart schlug mir das Herz in meiner Brust. Schwer schluckte ich, als ich meinen ganzen Mut zusammen fasste um die Worte auszusprechen, die ich zwar niemals so meinte, die dennoch entscheidend waren, um das herannahende Unglück aufzuhalten, ehe es uns überrollte.

„Danke für die Rettung und dafür, dass du mich nicht aufgegeben hast. Aber... ich kann das alles nicht. Ich kann nicht leugnen, wer ich trotz allem noch bin und wem ich schon bald gehören werde. Ich... ich muss gehen. Es tut mir leid“, stammelte ich die Worte dahin, ehe ich hastig aufstand und vor dem Unbekannten zurück wich.

„Nein, mir tut es leid. Lord Duningham kann sich glücklich schätzen eine so atemberaubende Braut die seine nennen zu dürfen“, kam es dunkel von ihm, als er auch schon verschwunden war und mich verwirrt in der Dunkelheit zurück ließ. Noch immer völlig aufgelöst, wandte ich meinen Blick von der Stelle, wo er bis eben noch auf dem Boden gekniet hatte. Und obwohl er weg war, konnte ich noch immer seine Präsenz spüren, als würde er direkt neben mir stehen. Gedankenverloren strich ich über meine geschwollenen Lippen. Noch immer spürte ich den Kuss, das Kribbeln, welches mich dabei erfasst hatte.

 

- 3 -

Nervös lief ich auf und ab, noch immer ganz durcheinander von letzter Nacht. Ich hatte kaum ein Auge zu gemacht. Immer wieder hatte ich mich unruhig hin und her gewälzt, während die Bilder wie eine Dauerschleife in meinem Kopf umher gewandter sind.

„Das ist nicht möglich“, murmelte ich immer wieder leise vor mich hin. Wie ein Mantra wiederholte ich die Worte, um mir selbst ins Gedächtnis zu rufen, dass es so etwas unmöglich gab. In der Hoffnung, es würde irgendetwas an der Situation ändern. Noch immer sah ich mich, wie ich hart an den Felsen aufschlug. Und doch lebte ich. War wohl auf, als hätte mich eine übernatürliche Macht in Form eines Mannes gerettet. Nachdenklich kaute ich auf meiner Unterlippe. Spürte noch immer den Kuss. Die weichen Lippen, die meine so zärtlich berührt hatten. Schmeckte noch immer den leicht würzigen Geschmack auf meiner Zunge. Mein geheimnisvoller Fremder mit den stechend blauen Augen. Ich war nicht verliebt oder so. Aber er faszinierte mich. Sprach etwas tief in mir an, was ich bis dato niemals gespürt hatte.

„Du bist ja ganz aufgeregt, Jasmin. Ist irgendetwas passiert über das du vielleicht mit einer alten Dame reden möchtest?“

Fragend zog meine Grandma die Augenbraue hoch und sah mich forschend an. Ein wissender Ausdruck trat in ihre Augen, als würde sie genau wissen, was mir gerade durch den Kopf ging.

„Ja. Ich meine Nein“, stammelte ich verwirrt und runzelte die Stirn. Wie sollte ich mit meiner Grandma darüber reden, ohne das sie mich für komplett verrückt hielt. Ich begriff es ja selbst nicht einmal. Wie also sollte ich es dann ihr erklären. Schmunzelnd saß die alte Dame einfach nur da. Sah mich abwartend an. Ihre Augen sagten 'Nur Mut, Kleines'. Doch konnte ich wirklich den Mut aufbringen mit ihr darüber zu reden?

„Ich weiß auch nicht, Grani. Mir ist heute Nacht etwas seltsames passiert.“

„Ach ja?“, fragte sie ganz unschuldig. Doch ihre Augen verrieten sie. Das Grau begann zu leuchten und die Neugierde stand praktisch darin. So war meine Grani. Immer wissbegierig. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie die einzige aus dieser Familie war, der ich etwas bedeutete. Die sich für mein Leben wirklich interessierte und immer auf dem neusten Stand bleiben wollte.

„Du würdest mich für verrückt erklären, wenn ich dir das alles erzählen würde. Ich kann es ja selbst nicht glauben. Das alles ist einfach unglaublich. So etwas kann es einfach nicht geben“, sprudelte es einfach aus mir heraus.

„Du würdest staunen, was alles möglich ist. Wie viel Wunder auf dieser Welt existieren“, sagte meine Großmutter geheimnisvoll.

„Gestern Nacht. Ich hab jemanden kennen gelernt. Es war eine ziemlich seltsame Begegnung. Er hat mich auf eine Weise berührt, wie ich es noch nie für möglich gehalten habe. “

„Das ist keineswegs verrückt. Das ist toll, Kleines. Kenne ich den jungen Mann? Wer ist er?“

Lauter Fragen prasselten auf mich nieder. Ich wusste, dass meine Grandma Ivy mich dafür nicht verurteilte, obwohl sie genau wusste, wie die Dinge lagen. Frustriert fuhr ich mir mit der Hand durch die braunen Locken, ehe ich geknickt zu Boden starrte.

„Ich fürchte das weiß ich nicht. Er war so plötzlich da, wie er auch verschwunden ist. Es war eine seltsame Begegnung. Und vermutlich auch unsere einzige“, murmelte ich leise. Enttäuschung schwang in meiner Stimme mit, obwohl ich das nicht wollte. Es sollte mir eigentlich nichts ausmachen, dass ich den Unbekannten nie wieder sehen würde. Doch ich fürchte das tat es und in diesem Moment wünschte ich, ich könnte meiner Grani mehr von ihm erzählen. Ihr mehr Details offenbaren. Ihr eine richtige Geschichte erzählen. Doch nichts davon war der Fall.

„Nur Mut, Kleines. Wenn es zwischen euch geknistert hat, dann wird es auch ein Wiedersehen geben“, erwiderte Ivy entschlossen und klatschte in die Hände. „Ich finde du solltest der ganzen Sache eine Chance geben.“

Stumm starrte ich meine Grandma an, als hätte sie den Verstand verloren.

„Du weißt, das kann ich nicht Grani. Ich bin längst einem anderen versprochen. Ob mir das nun gefällt oder nicht.“

Traurig starrte ich aus dem Fenster, sah wie bereits die ersten Schneeflocken des Winters zu Boden fielen. Wir hatten bereits November. Das ich mir gestern in meiner knappen Aufmachung nicht den Tod geholt hatte, war wohl einem Wunder gleichzustellen. Stille erfüllte den Raum. Nur das leise Prasseln des Feuers im Kamin war zu hören. Und obwohl es kuschelig warm im Raum war, begann ich plötzlich zu frösteln. Schützend schlang ich die Arme um meinen Oberkörper. Ich trug ein dunkelblaues Kleid, dass sich wie eine zweite Haut an meinen Körper schmiegte und jede meiner weiblichen Rundungen betonte. Das Haar trug ich offen, sodass es mir seidig über den Rücken floss. Ich hatte mich heute fein zurecht gemacht, obwohl mir nicht danach war. Ich wollte ihm gefallen, was totaler Blödsinn war, wenn man bedachte, dass ich ihn niemals wiedersehen würde.

„Ach Kindchen“, riss meine Grandma mich plötzlich aus meinen trüben Gedanken. „Du weißt, dass ich nicht viel davon halte, was deine Mutter gerade macht. Die Entscheidungen, die sie trifft, hab ich selten gut geheißen. Es wird Zeit, dass sie das begreift. Jeder sollte für sich selbst entscheiden, wem er sich verspricht. Ich hab damals den Fehler begangen und für sie entschieden, sowie es auch damals für mich getan wurde. Heute weiß ich, dass es ein Fehler war.“

„Ich weiß einfach nicht, was ich von ihm halten soll“, seufzte ich schwer und ließ mich neben meiner Grandma auf das Sofa sinken. Meine Worte waren von einer solchen Verzweiflung getränkt, wie ich sie in den letzten vierundzwanzig Jahren noch nie verspürt hatte. Doch Ivy lächelte nur selig vor sich hin, als wäre das alles völlig normal. Als wäre dies der Lauf der Dinge, so wie es irgendwann jeden einmal treffen würde.

„Man sollte seine Gefühle niemals in Frage stellen. Egal wie verworren sie auch sein mögen. All diese Dinge passieren aus einem bestimmten Grund. Nichts passiert einfach so.“

Mehr sagte sie dazu nicht. Und ihre seltsame Weisheit verwirrte mich nur noch mehr. Es ergab überhaupt keinen Sinn. Ich fühlte mich hilflos, meines Verstandes beraubt. So viele widersprüchliche Gefühle wallten in mir. Ich wusste selbst nicht mehr, was ich denken oder fühlen sollte.

„Sag mir, warum das so ist, Grani. Was für ein Sinn steckt dahinter? Wieso passieren diese Dinge? Ich verstehe nicht, wie mir das helfen soll, wo ich doch keine Ablenkung gebrauchen kann. Mein Herz ist so schon verwirrt. Noch mehr widersprüchliche Gefühle ertrage ich nicht!“

„Das wirst du schon selbst herausfinden müssen, meine Kleine.“

Behutsam griff sie nach meiner Hand, drückte sie aufmunternd. Ihr blick wanderte dabei in die Ferne, als würde sie sich an etwas erinnern.

„Als ich damals so alt war wie du, lernte ich deinen Großvater kennen“, gestand sie mit leiser Stimme. Ein verträumtes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Das einst blonde Haar war längst einem Grau gewichen und kunstvoll zu einem Dutt hoch gesteckt. Und obwohl man ihr schon deutlich das Alter ansah, war sie doch noch immer eine bildhübsche Frau.

„Was war ich damals verliebt. Er hatte mein Herz im Sturm erobert.“

„Wie habt ihr einander kennen gelernt?“

Ich hatte meinen Großvater kaum gekannt, als er gestorben war. Nun war ich umso neugieriger zu erfahren, wie er so als Mensch gewesen war. Ich wusste nicht besonders viel über die Liebesgeschichte, nur das sie einander versprochen wurden. Neugierig blickte ich meine Grandma an. Begierig darauf alles darüber in Erfahrung zu bringen, nur um mich von meinem eigenen Unglück abzulenken.

„Du weißt sicher, dass dein Großvater und ich einander versprochen waren, noch bevor wir einander überhaupt gekannt hatten“, fing Ivy an zu erzählen und warf mir einen kurzen Blick zu. Gespannt lauschte ich ihren Worten. „Somit hatte ich keine Ahnung wer er war. Ich wusste nur, dass seine Familie sehr hoch angesehen war, in der damaligen Zeit.“

Eine kurze Pause folgte, ehe sie weiter sprach. Mühsam schluckte sie, als würde ihr das Sprechen zunehmend schwerer fallen.

„Wir waren also zu diesem bedeutsamen Ball eingeladen. Erst später erfuhr ich, dass dort unsere Verlobung bekannt gegeben werden sollte“, schmunzelnd schüttelte Grani leicht den Kopf. „Ich hatte also gar keine Ahnung, was mich an diesem Abend eigentlich erwartete.“

Wieder trat dieses verträumte Lächeln auf ihre Züge.

„Wie dem auch sei“, riss sie sich aus ihren eigenen Gedanken. „Wir gingen also diese Treppe zum Anwesend hoch, als ich mit meinen Absätzen plötzlich an der vorletzten Stufe hängen blieb. Ich wäre vermutlich die gesamten Treppenstufen hinunter gefallen, wenn er nicht wie aus dem Nichts hinter mir gestanden hätte, um mich aufzufangen und in seine starken Arme zu ziehen.“

„Und was ist dann passiert?“, wollte ich leise wissen, als sie nicht weiter sprach.

„Wir haben einander in die Augen gesehen. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Die Welt blieb einen kurzen Augenblick stehen, so erschien es mir zumindest, bevor sie sich um einen neuen Mittelpunkt drehte. Etwas in meinem Körper veränderte sich. Ich wurde kräftiger. War als Mensch nicht mehr ganz so zerbrechlich. In diesem kurzen innigen Moment wusste ich, er war der Eine. Der Mann mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen würde. Bis heute.“

„Fehlt er dir, Grani?“

„Jeden einzelnen Tag. In den letzten zwanzig Jahren hab ich oft an ihn gedacht.“

Ein trauriger Ausdruck trat in ihre Augen. Ich wusste, wie sehr sie ihn vermisste. Das sie ihm nach all der Zeit noch immer hinterher trauerte. Jeder Tag der verging, lebte sie im Gedenken an ihn. Es zerriss mir das Herz sie so zu sehen, zu wissen, dass ich nichts für sie tun konnte.

„Hast du nicht manchmal darüber nachgedacht dich neu zu binden? Eine neue Liebe zu finden?“, wollte ich vorsichtig wissen, um sie nicht zu kränken. Doch sie schüttelte nur stumm den Kopf. Ihre grauen Augen sahen mich eindringlich an.

„Ich hatte die Chance, das Gefühl von bedingungsloser Liebe zu erfahren und war ein Jahrhundert lang glücklich. Ich hatte etwas von dem viele Menschen ihr Leben lang träumen.“

Ihr Blick ging in die Ferne.

„Weißt du, meine Kleine. Man verliebt sich nur einmal im Leben. Ein einziges Mal vergibt man sein Herz.“

„Aber man kann sich doch sicher neu verlieben?“

Nachsichtig lächelte mich die alte Dame an.

„Wenn du irgendwann soweit bist, wirst du wissen, was ich meine.“

Ihre Worte brachten mich zum nachdenken, als ich plötzlich über etwas Entscheidendes stolperte.

„Wie hast du das eigentlich gemeint, dass du ein Jahrhundert lang glücklich warst. So alt bist du doch noch gar nicht“, widersprach ich ihr stirnrunzelnd.

Stumm drückte meine Großmutter meine Hand, ehe ihr Gesichtsausdruck ganz ernst wurde.

„Das was ich dir jetzt offenbaren werde, wird alles andere als leicht zu verstehen sein. Ich hatte deine Mutter davor gewarnt, dass es irgendwann passieren würde.“

„Was...? Wie meinst du das, Grani?“

„Deine Mutter hat vor langer Zeit die Augen davor verschlossen, weil sie geglaubt hatte dieser Welt entfliehen zu können, doch wir befinden uns mittendrin. Sie ist und bleibt eine Gefährtin, genau wie du und deine Schwester Rosalia. Ich kann nicht länger dabei zusehen, wie sie dich unwissentlich in dein Unglück laufen lässt.“

Zärtlich strich sie mir über die Wange. Ein wehmütiger Ausdruck lag nun in ihren Augen. „Es tut mir leid, dass du es nun auf diese Weise erfahren musst, aber dein Vater und dein Großvater waren beide samt Vampire. Wesen der Nacht, wenn du es so nennen willst.“

„Aber... ich versteh nicht. Vampire? So einen Unsinn gibt es nicht!“, ereiferte ich mich und sprang ruckartig vom Sofa auf. Die Hand meiner Grandma, die eben noch an meiner Wange lag, fiel kraftlos auf das Polster. Unruhig lief ich auf und ab. Schützend schlang ich die Arme um mich, versuchte das gesagte zu begreifen. Meine Gedanken waren in Aufruhr. Mehrere Stimmen schrien in meinem Inneren. Versuchten Richtig und Falsch miteinander abzuwägen. Immer wieder atmete ich tief durch um mich irgendwie zu beruhigen.

„Ich weiß, deine Mutter hatte kein Recht dir so etwas wichtiges zu verschweigen. Doch ihre Angst war einfach größer, als die Vernunft.“

„Warum? Ich verstehe das nicht? Wie konnte sie mir so etwas verheimlichen? Wieso tut sie mir so etwas an? Wieso tut sie uns so etwas an? Weiß Rosa darüber Bescheid? Oder tappt sie auch im Dunkeln“, wollte ich erzürnt wissen. Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Mein ganzer Körper zitterte vor unterdrückter Wut, denn meine Grandma traf eigentlich keine Schuld. Nun verstand ich, warum sie mir in meiner Kindheit oft die Geschichten von den Nachtwesen erzählt hatte. Mir eingebläut hatte, dass es übernatürliches gab.

„Auch Rosa weiß nichts davon. Nesrin wollte euch beide schützen, indem sie euch so lange wie möglich von dieser Welt fern hielt, obwohl ich sagen muss, dass es unmöglich ist.“

„Schützen?“, keifte ich wütend. „Von wegen. Sie hat mich die ganze Zeit belogen!“

„So würde ich das nun nicht sagen“, erwiderte Ivy schlicht und versuchte mich zu beruhigen. „Deine Mutter hatte gute Gründe zu schweigen, auch wenn es falsch war. Nachdem dein Vater deine Mutter im Blutrausch fast getötet hatte, beschloss sie, es sei besser euch im Unwissen zu lassen.“

„Das ist noch lange kein Grund“, kam es kalt von mir. Noch immer war ich so wütend auf meine Mutter, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte.

„Da stimme ich dir voll und ganz zu, Kleines. Zumal dein Bruder ein Vampir ist. Und das kann man nun wirklich nicht ignorieren oder gar leugnen, auch wenn deine Mutter gerne die Augen davor verschließt, nur um ihm nicht mit Abscheu zu begegnen.“

„Was?“, geschockt und völlig entgeistert starrte ich meine Grandma an. Mir blieb vor staunen der Mund offen stehen.

„Sie mich nicht so an, Jasmin. Das ganze ist das Werk deiner Mutter“, schmunzelte die alte Dame, während sie in sich hinein lachte, als wäre es nichts außergewöhnliches.

„Nun genug davon“, lenkte sie vom Thema ab. „Erzähl mir lieber von deinem Unbekannten.“

Ungeduld schwang in jedem Wort mit. Mein Grandma konnte es kaum abwarten die ganze Geschichte zu hören.

Schmunzelnd setzte ich mich wieder neben sie auf das Sofa. Meine Wut war vergessen. Stattdessen waren meine Gedanken bei der letzten Nacht, während ich stockend zu erzählen begann.

„Er war so höflich. So zuvor kommend und weltgewandt, als hätte er schon viel von der Welt gesehen. Sein ganzes Wesen war so beherrscht, zurückhaltend und dunkel. Es war, als würden seine blauen Augen mich in seinen Bann ziehen. Für den Moment war die Welt vergessen. Eine dunkle, gefährliche Aura umgab ihn, dennoch fühlte ich mich bei ihm sicher, weil ich wusste, er würde mir nichts tun.“

Nachdenklich strich ich mit dem Zeigefinger über meine Lippen, genau da, wo mich seine Lippen vor wenigen Stunden berührt hatten.

„Er hatte etwas verwegenes an sich, was ihn in meinen Augen nur noch attraktiver machte. So wie ich mich in seiner Gegenwart gefühlt habe. Ich kann dieses Gefühl nicht einmal beschreiben. Es war einfach unglaublich.“

Mir fehlten die Worte um es meiner Grani zu beschreiben. Doch das brauchte ich gar nicht. Wissend nickte meine Großmutter, als wüsste sie genau, wo von ich sprach. Als hätte sie es selbst alles schon einmal erlebt.

„Es hat eine Prägung statt gefunden. Ein Band das eure Seelen miteinander verbindet.“

Verwirrt blinzelte ich ein paar Mal, nicht sicher, ob ich mich gerade verhört hatte.

„Das Schicksal bestimmt, welcher Vampir zu welcher Gefährtin gehört. Nur euer Blut kann diese Verbindung für immer besiegeln.“

Angewidert rümpfte ich die Nase. Nur der Gedanke daran, dass ich Blut trinken sollte, ließ mich schon fast würgen.

„Das ist ja widerlich“, beklagte ich mich.

„So denkst du jetzt noch.“

„Es war auch für mich damals ein ziemlicher Schock, als dein Großvater mir seine wahre Natur offenbart hatte. Aber meine Liebe zu ihm war stärker, als meine Angst“, gestand meine Grandma, bevor sie sich von ihrem Platz erhob.

„Das Schicksal kann man niemals bezwingen, Kleines. Vergiss das nicht.“

- 4 -

 

Seitdem Gespräch mit meiner Großmutter, war bereits mehr als eine Woche vergangen. Niemand kannte mein kleines Geheimnis, dass ich mit meiner Grandma teilte. Ich verging vor Sehnsucht nach ihm. Mein Herz fühlte sich ganz schwer an. Wehmütig wanderte mein Blick immer wieder in die Ferne, als könnte ich mich an einen anderen Ort flüchten. Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich mich in Tagträumen verlor. Wie mir oft ein leises Seufzen entwich, bei dem Gefühl es könnte real sein. Doch ich wusste es besser. Nichts desto trotz ließ ich meine Gedanken davon galoppieren. Weit weg von der Gegenwart, zurück in die Vergangenheit. Zurück an jenen Ort, wo alles begonnen hatte. Zu diesem einen Augenblick, der alles verändert hatte. Würde ich es nicht besser wissen, könnte man fast glauben, dass ich an so etwas wie Liebeskummer litt. Wenn ich Grani glauben durfte, dann würde dieses Gefühl noch an Intensität zunehmen und mich in den Wahnsinn treiben, bis ich mich dem ganzen hingab. Mich darauf einließ. Das Schicksal, dass man mir auferlegt hatte, akzeptierte. 'Als ob es so einfach war!' Außerdem war es nicht gerade so, als hätte ich meinen Retter noch einmal wieder gesehen. Es war ja eigentlich auch nicht anderes zu erwarten. Statt die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und nach ihm zu suchen, hatte ich mich stattdessen in meinem Zimmer verschanzt, nur um meiner nervigen Mutter, so gut es eben ging, aus dem Weg zu gehen. Ich hatte gerade echt keinen Nerv mich auch noch mit ihr auseinander zu setzen. Sie würde nur wieder ihr herzallerliebstes Thema anschneiden. Sich über die bevorstehende Verlobung auslassen. Mich mit ihren Ideen zu der Planung überhäufen und mich damit wohl endgültig erdrücken. Bei dem Gedanken verfinsterte sich mein Blick, ließ meinen Magen sich schmerzhaft zusammen krampfen. Niemand würde gerne in meiner Haut stecken. Das konnte man mir glauben. Mürrisch schüttelte ich den Kopf, versuchte mich wieder auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Ich drehte mich hin und her, zupfte immer wieder unsicher an meinem Kleid herum, obwohl es bereits perfekt saß. Etwas zu eng, aber ich bekam immerhin noch Luft. Das war doch ein gutes Zeichen oder? Skeptisch ließ ich meinen Blick über meine Gestalt wandern und starrte mit ausdruckslosen Augen in den Spiegel. Das grün meiner Augen war matt, etwas zu leblos, doch konnte ich mich nicht dazu durchringen Freude zu verspüren, wo ich doch wusste, dass mein Weg mich heute in das Anwesend der Duninghams führte.

„Du bist wunderschön, Kleines“, erklang die Stimme meiner Großmutter unvermittelt hinter mir. Ihre Worte streichelten meine Seele und stärkten mein Selbstbewusstsein. Sie legte mir eine Hand auf die Schulter und übte leichten Druck aus. Ließ mich auf diese Weise wissen, dass sie für mich da war, egal was kommen mochte.

Ich trug für den Anlass eine rotes Kleid. Die dazu passende Korsage saß fest um meine Brust, drückte meinen Busen dabei leicht nach oben und zeigte ziemlich viel Dekolleté, betonte meine weiblichen Kurven dafür umso mehr. Schmückte mich noch ein bisschen weiter aus. Mein Bauch war ganz flach. Passend zu der Korsage, trug ich einen langen, roten Rock, mit weißer Spitze am Rocksaum, welcher sich elegant um meine Beine schmiegte und bei jedem Schritt, den ich machte, mitschwang und meine Bewegungen noch eleganter wirken ließ. Die silbernen Schuhe mit den hohen Absätzen rundeten das Outfit noch ab und ließen mich nicht nur größer, sondern auch noch attraktiv wirken, da meine Beine auf diese Weise endlos lang wirkten. Zu den silbernen Schuhen, trug ich noch Ellenbogen lange Seidenhandschuhe.

„Ehe ich es vergesse. Das wurde gerade für dich abgegeben, Jasmin.“

Lächelnd hielt sie mir ein schwarzes Samtkästchen hin, sah mir dabei auffordernd in die Augen, als ich zögerte und keine Anstalten machte, es entgegen zu nehmen.

„Na nimm es schon, Kleines. Es ist für dich. So wurde es Ausdrücklich verlangt.“

Aufmerksam beobachtete meine Großmutter meine Reaktion. Ein sanfter Ausdruck trat in ihre Augen und ein kleines Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Geduldig wartete sie darauf, dass ich nicht länger wie eine Statur da stand, sondern ihr die Schachtel entgegen nahm. Ich wusste nicht, was mich erwartete. 'Hatte er es mir geschickt?', fragte ich mich im stillen. Stumm hoffte ich, dass es so war. Das er mich gefunden hatte. Wusste, wer ich war. Mich vielleicht sogar wiedersehen wollte, obwohl es uns eigentlich verboten war. Doch genau das machte die Sache doch aufregender, spannender. Ließ das Blut in deinen Adern kochen. Mit klopfenden Herzen nahm ich vorsichtig die Schatulle. Meine Hände zitterten wie verrückt. Aufregung überkam mich, machte mich ganz kribbelig. Ein seltsames Flattern stieg in meinem Bauch auf, schien immer schlimmer zu werden. Tief atmete ich durch, ehe ich endgültig das Geheimnis lüftete. Nur um im nächsten Moment den Mund sprachlos auf und zu zuklappen, ohne überhaupt ein Wort heraus gebracht zu haben. Mühsam versuchte ich mein Fassung zu bewahren, nicht all zu viel von meinen Emotionen preis zu geben. Mich nicht wie ein offenes Buch lesen zu lassen, auch wenn sich außer Grandma niemand im Raum befand.

„Wer auch immer er ist, dein Unbekannter, er hat erkannt und begriffen, wie besonderes du bist“, bemerkte Ivy, als sie einen kurzen Blick über meine Schulter warf und die Kette entdeckte.

„Ihm ist klar, dass du das Risiko wert bist. Dass du eine Frau bist, die man in jedem Fall für sich gewinnen möchte. Und egal wie du darüber denkst, dem Schicksal kann man sich nur selten widersetzen.“

„Nicht Grani...“, flüsterte ich heißer, weil meine Stimme mir nicht ganz gehorchen wollte. Die Angst lähmte mich. Angst davor, dass man uns vielleicht gehört haben könnte.

„Die Kette ist wunderschön, Kleines.“

Zustimmend nickte ich, unfähig auch nur ein Wort heraus zu bringen. Ehrfürchtig strich ich ich über das Schmuckstück. Es war aus reinem Weißgold und wirkte unglaublich edel. Sicher hatte es ein halbes Vermögen gekostet. Eigentlich viel zu teuer, um es annehmen zu können. Und doch würde ich sie tragen. Ihm dieses kleine Geschenkt machen. Ich würde diese Kette mit Stolz tragen, mich immer daran erinnern, was mich mit ihm verbannt. Es war ein wunderschöner Anhänger in Form eines Engels. Der Kopf war stolz zum Himmel erhoben, die Flügel aufgerichtet, als würde er sich jeden Moment vom Boden erheben und davon fliegen. Die Hände waren fest an die Brust gepresst. Fest umklammerten die Hände schützend ein glitzerndes Herz, so als müsste der Engel Angst haben, dass man ihm dieses jeden Augenblick entriss. Dieses Geschenk war von unglaublichen Wert, rührte mich so sehr, dass ich die aufsteigenden Tränen zurück halten musste. Es gab nur einen einzigen Mann, der mir diese Geste der Aufmerksamkeit gemacht haben konnte. Bei diesem Gedanken, schlug mein Herz gleich viel schneller, ließ die Hitze in mir aufsteigen und brachte mein Gesicht zum glühen.

„Es war auch noch eine Karte beigefügt. Jedoch ohne Absender“, riss mich meine Großmutter unsanft aus meinen Gedanken. Nachdenklich betrachtete ich den cremefarbenen Umschlag. Unsicher ob ich es wirklich wagen sollte. Es wagen konnte, die ganze Sache noch weiter zu vertiefen. Leicht stupste Grani mich an. Auffordernd hielt sie mir die Karte unter die Nase. Noch immer unsicher nahm ich mit zitternden Händen die Nachricht an mich. Noch bevor ich den Umschlag überhaupt öffnen konnte, stach mir das Siegel, welche die Karte verschloss, entgegen und ließ mich hörbar nach Luft schnappen. 'Das ist unmöglich!', hallte es in meinem Verstand immer wieder. 'Das musste ein Irrtum sein.'

„Grani...“, flüsterte ich erstickt. Panisch griff ich nach ihrem Arm und drückte ihn ganz leicht. 'Jetzt bloß nicht zusammen brechen', redete ich mir immer wieder im Stillen zu. 'Ganz ruhig!'

„Es... der Umschlag. Das ist ein Brief aus dem Königshaus. Bist du sicher, dass dieses Päckchen wirklich für mich bestimmt ist?“

„Natürlich. Ganz sicher sogar“, nickte meine Großmutter unbekümmert. „Ich hab nur die Anweisung befolgt. Der Kurier hat ausdrücklich nach dir Verlangt und das du so schnell wie möglich dieses Nachricht erhalten sollst.“

„Aber...“, begann ich, unterbrach mich dann selbst. „Ich verstehe das ganze nicht.“

„Der Verstand begreift oft nicht, was das Herz längst begriffen hat. Nimm es hin. Genieße es. Lass dich treiben und schau wo dich das Leben hin führt.“

Kopfschüttelnd sah ich meine Grandma an. Sie war vermutlich die letzte, die wollte, dass ich den Regeln meiner Mutter folge leistete. Doch zu welchem Preis? Mein Leben konnte wohl kaum noch komplizierter werden. Ohne noch länger auf meine Umgebung zu achten, riss ich den Umschlag auf und nahm vorsichtig den Brief heraus. In einer schönen, geschwungenen Schrift, stand in schwarzen Buchstaben eine bedeutsame Nachricht drauf.

 

Meine liebste Jasmin,

ich gebe z, es hat etwas gedauert, sie ausfindig zu machen. Doch jede Mühe Sie zu finden hat sich gelohnt. Nie werde ich das Grün Ihrer Augen vergessen. Wie sich Ihr Körper an meinen geschmiegt hat. Und ob Sie einem anderen Versprochen sind oder nicht. Es wird nichts daran hindern, dass ich Sie mehr als alles andere will. Nehmen Sie dieses Kette als Erinnerung daran, was uns verbindet. Der Anhänger ist ein Talisman, welcher schon seit vielen Generationen im Besitz unserer Familie ist. Es ist von großer Bedeutung. Er wird schon bald verkünden, zu wem du gehören, Jasmin. Der Engel erinnert mich an dich, weil du auch einer bist

 

Gezeichnet D.

 

 

Fassungslos ließ ich den Brief sinken. Mein Mund öffnete und schloss sich immer wieder, ohne das ich jedoch auch nur einen Satz heraus bekam. Das alles war so surreal und unwirklich. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. In einem Moment hatte ich gedacht, dass ich meinen Unbekannten nie wieder sehen würde. Im nächsten trampelte er durch mein Leben wie ein Wirbelsturm. So schnell, dass ich es nicht einmal erfassen konnte. So förmlich der Brief am Anfang auch war, am Ende zeigte er mir deutlich, gab mir zu verstehen, was er wollte. Das er mich wollte. Bei dem Gedanken begann alles in mir zu kribbeln. Unsicher kaute ich auf meiner Lippe, bevor ich den Brief sorgfältig in den Umschlag zurück schob und damit aus dem Wohnzimmer marschierte, um ihn an einen Sicheren Ort aufzubewahren.

- 5 -

 

Das ruhige Schaukeln der Kutsche und das gleichmäßige Traben der Pferde, beruhigte meine aufgewühlten Nerven nur ein klein wenig. Zu aufgeregt war ich. Die Kette, mit dem Engelsanhänger um meinen Hals, fühlte sich schwer an. Ich hatte mich dazu entschieden sie zu tragen, auch wenn es vermutlich ein Fehler war. Jeder würde sie sehen, würde wissen, dass ich gezeichnet wurde, noch bevor er mich richtig berührt hatte. Bisher hatte er mir nur meine unschuldigen Küsse geraubt, mich süchtig nach ihm gemacht. Doch was würde nun geschehen, wo er mir offen gezeigt hatte, dass er mich nicht so einfach ziehen lassen würde? Er wusste nur zu gut, dass ich schon einem anderen Mann versprochen war. Niemals wirklich frei sein würde. Und doch hatte er es mir für eine einzige Nacht ermöglicht. Mich von den fesseln befreit. Tief atmete ich durch. Unsicher wie der heutige Abend verlaufen würde. Unsicher wie ich mich dem Lord gegenüber verhalten sollte. Ich wusste nicht, ob es überhaupt noch ein Falsch oder Richtig gab. All diese Dinge gingen mir durch den Kopf. Äußerlich wirkte ich gefasst, fast schon gelassen, doch tief in meinem Inneren war ich total aufgewühlt. Ein verkniffenes Lächeln lag auf meinen Lippen. Gedankenverloren starrte ich aus dem Fenster der Kutsche, welches nur zum Teil von einem Vorhang verdeckt wurde, während meine Hände unruhig auf meinen Oberschenkeln trommelten.

„Ganz ruhig, Kleines“, sprach Ivy ruhig auf mich ein. Sanft umschloss sie meine Hände mit ihren, drückte sie aufmunternd. Die Kutsche kam langsam zum Stillstand. Verkündete damit unsere Ankunft am großen Herrenanwesen.

„Egal was passiert, genieße den Abend, denn deine Mutter wird nicht hier sein, um dich wieder in ihre auferlegten Fesseln zu drängen.“

Lächelnd zwinkerte sie mir zu.

„Denk immer dran. Es wird alles gut werden.“

Damit ließ sie sich aus der Kutsche helfen und verschwand in der Dunkelheit. Ich blieb jedoch noch einen kurzen Augenblick sitzen, bevor auch ich Anstalten machte auszusteigen. Noch ehe ich die Tür öffnen konnte, hielt man sie mir bereits auf.

„Miss Delains“, erwiderte der Bedienstete förmlich. „Sie werden bereits erwartet. Bitte folgen Sie mir, damit ich Sie zu meinem Herrn bringen kann.“

„Ähm“, erwiderte ich nicht gerade geistreich. „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“

Misstrauisch betrachtete ich den jungen Mann, der mit ausdrucksloser Miene da stand und mich aus dunklen Augen musterte. Er war ziemlich groß und muskulös. Die braunen Haare waren ordentlich nach hinten gegellt. Seine Haut war blass und wirkte fast durchscheinend. Die Züge wirkten hart und kantig. Er wirkte genauso kalt wie es seine Augen taten. Ich war mir nicht sicher, ob ich seiner Aufforderung wirklich folge leisten sollte.

„Ich habe strikte Anweisungen Sie zu Mister Wayn zu bringen. Wenn Sie sich weigern, werde ich Sie mit Bestimmtheit zu ihm bringen. So lautet sein Befehl!“

Seine Augen verdunkelten sich bei diesen Worten, als rechnete er damit, dass ich mich noch immer weigerte. Mich gegen die Anweisungen widersetzte. Doch konnte ich das wirklich riskieren? Denn scheinbar war er kein Angestellter von den Duninghams, was mich nur minimal beruhigte. Denn nun tat sich mir die Frage auf. 'Wer zum Teufel war dieser Mister Wayn?'

„Ivy?“, rief ich laut nach meiner Grandma und umrundete die Kutsche. „Würde es dir etwas ausmachen schon mal vor zu gehen? Ich hab noch etwas zu klären, was ich nicht aufschieben kann.“

Ich wusste, es würde gleich unangenehm werden, weswegen ich meine Großmutter aus der Schusslinie haben wollte. Ich würde diesem Muskelprotz meine Meinung sagen und das würde wirklich hässlich werden.

„Bist du sicher, Liebes?“, besorgt musterte Ivy den Kerl dicht hinter mir mit einer steilen Sorgenfalte auf der Stirn.

„Absolut. Mach dir keine Gedanken.“

Beruhigend lächelte ich ihr zu, bevor ich mich abwandte. Ich entfernte mich ein paar Schritte von der Kutsche, während mir der Kerl mit einem kleinen Abstand folgte. Als ich glaubte weit genug entfernt zu sein, blieb ich abrupt stehen.

„Hören Sie mir jetzt gut zu, sie muskelbepackter Idiot“, zischte ich ungehalten. Normalerweise achtete ich auf meine Ausdrucksweise, doch in diesem Augenblick lagen meine Nerven blank und ich hatte keine Lust mich auch noch mit diesem Blödsinn herum zu schlagen.

„Ich sage es nur ein einziges Mal. Also schreiben Sie es sich besser auf. Ich pfeife drauf, welche Anweisungen Sie von Mister Wayn bekommen haben. Fakt ist, dass ich mich weigere ihm Folge zu leisten. Ich schlage also vor, sie richten ihrem Herrn und Meister aus, dass er sich seine Befehle sonst wo hin schieben kann.“

Damit machte ich auf dem Absatz kehrt und stapfte auf den Eingang des Anwesend zu. Doch ich kam nicht weit. Im nächsten Moment verlor ich den Boden unter den Füßen. Mit einem Ruck wurde ich über eine muskulöse Schulter geworfen. Starke Arme schlossen sich um meine Oberschenkel und hielten mich an Ort und Stelle. Aufgebracht begann ich wie wild zu zappeln.

„Lassen Sie mich runter!“, schrie ich, gefolgt von festen Fausthieben, welche ich auf den Rücken prasseln ließ. „Haben sie Tomaten auf den Ohren? Lassen sie mich sofort runter!“

Ungerührt ging der Riese weiter, ohne auf meine Proteste zu achten. Wir bogen um eine Ecke, betraten einen Hintereingang. Eine geschwungene Treppe führte nach oben und brachte uns in einen kleinen Raum, der nur spärlich beleuchtet war. Eine Doppeltür führte auf die Terrasse. Hinter den Vorhängen, die im Wind flackerten, machte ich eine dunkle Silhouette aus. Doch noch bevor ich das Bild genau betrachten konnte, ließ mich der Muskelprotz runter, stellte mich zurück auf meine Füße, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Nicht einmal eine Entschuldigung kam ihm über die Lippen. Und diese war weiß Gott angebracht gewesen.

„Machen Sie das immer so“, fauchte ich ungehalten. „Frauen gegen ihren Willen zu verschleppen und an fremde Orte zu bringen? Ist das bei Ihnen so üblich?“

Doch noch immer schwieg der Kerl. Starrte ausdruckslos auf mich hinunter. Eine angespannte Stille erfüllte den Raum, machte mich noch rasender.

„Ich weiß nicht ob ich Sie erwürgen oder doch lieber erschießen soll“, knurrte ich wütend.

„Idiot“, setzte ich dann noch hinterher, als ich mich bereits abwandte und auf Abstand ging. Ein kehliges Lachen war vom Balkon zu hören. Gefolgt von einem amüsierten Schnauben.

„Eigentlich war nicht die Rede von einer Entführung gewesen, Dean.“

Diese Stimme. Die kannte ich doch. Mein Herz begann heftig in meiner Brust zu klopfen. 'Konnte das wirklich möglich sein?' Nervös ging ich auf die Doppeltüren zu, wollte wissen, wer den Auftrag erteilt hatte mich hier her zu bringen. Sanft schob ich den Vorhang zur Seite, nur um mich im nächsten Moment in meerblauen Augen wieder zu finden.

„Mein Gott“, hauchte ich fassungslos, als ich meinem Retter plötzlich ohne jede Vorwarnung gegenüber stand. „Sie sind es wirklich.“
„Ja. Und Sie sind noch immer genauso schön wie bei unserer ersten Begegnung.“

Das Blau seiner Augen glühte. Aufmerksam betrachtete er mich, ließ mich keine einzige Sekunde aus den Augen, als fürchtete er, ich würde wieder verschwinden. Dabei könnte man das Gleiche auch bei ihm vermuten. Unruhig wanderte mein Blick hin und her, nicht wissend wo ich eigentlich zuerst hinsehen sollte. Nun konnte ich ihn in seiner ganzen Pracht betrachten. Er war einfach atemberaubend in seinem schwarzen Anzug mit den silbernen Umschlägen. Dazu trug er ein schlichtes weißes Hemd. Die oberen Knöpfe trug er offen. Seine Haut hatte die Farbe von flüssigem Kupfer und schien in dem leichten Licht, das durch die Vorhänge drang, zu schimmern. Sein Gesicht war scharf geschnitten und wirkte so ernst. Das leichte Lächeln auf den Lippen konnte diese Schärfe kaum mindern. Faszinierend strich ich ihm leicht über die Wange. Prägte mir jede einzelne Kontur davon ein. Verträumt fuhren meine Finger über die weiche Haut, liebkosten sie. Als ich merkte, was ich da tat, zog ich meine Hand abrupt zurück, peinlich berührt, dass ich mich überhaupt dazu hatte hinreißen lassen.

„Tut... tut mir leid“, stammelte ich nervös.

„Nicht“, stieß er aus. Sanft griff er nach mir, hielt meine Hand in seiner fest, führte sie wieder zu seinem Gesicht zurück. Vorsichtig schmiegte er seine Wange in meine Handfläche. „Berühre mich, Engel! So lange hab ich darauf warten müssen.“

Zärtlich strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus meiner Hochsteckfrisur gelöst hatte. Sein Blick, mit dem er mich musterte, war sanft und voller Wärme.

„Sie sind also Mister Wayn“, wisperte ich ehrfürchtig, nur um die aufkommende Stille zu brechen. Diese Feststellung war komplett überflüssig und obendrein auch nicht gerade besonders intelligent. Er musste auch denken, dass ich die merkwürdigste Frau bin, die ihm je begegnet ist.

„Wieso so förmlich. Ich glaub wir sind schon längst über diese Grenze hinaus“, lächelte er charmant. „Für dich bin ich einfach nur Darren.“

„Warum das ganze, Darren?“, wollte ich leise von ihm wissen. „Wieso bemühst du dich so um eine Frau, die du niemals haben kannst?“

Ein dunkler Ausdruck trat in seine Augen, bevor er mich näher an sich zog. Ein gefährliches Lächeln trat auf seine Lippen. Die Muskeln unter seiner Haut spannten sich an, als ich gegen seinen starken Körper gedrückt wurde.

„Scheiß drauf“, murmelte er mehr zu sich, als das er wirklich mit mit sprach. „Ich bin ohnehin dabei sämtliche Regeln zu brechen. Auf die eine kommt es nun auch nicht mehr an.“

Damit krachten seine Lippen auf meine. Erneut zog es mich in einen Strudel aus Leidenschaft und unglaublicher Lust. Wie paralysiert stand ich einfach da und ließ es geschehen. Drängte mich dem Kuss sogar entgegen. Meine Hände klammerten sich an der Anzugjacke fest, damit ich nicht den Halt verlor. Meine Hände fühlten sich wie Wackelpudding an. Gierig leckte seine Zunge über meine Unterlippe, forderte um Einlass, den ich ihm bereitwillig gewährte. Stöhnend ließ ich meine Zunge vorschnellen, bis sie die seine umspielte. Es war ein wilder und hemmungsloser Kuss. Und obwohl ich so etwas noch nie gespürt habe, wusste ich, dass ich es bei ihm konnte. Dennoch ließ es sich nicht leugnen, dass ich noch nie so etwas getan hatte. Ich war noch Jungfrau, weswegen ich den Kuss unterbrach, weil er dabei war außer Kontrolle zu geraten.

„Es... tut mir leid. Ich kann das nicht“, flüsterte ich beschämt und wandte den Blick ab, damit er mir nicht in die Augen sehen konnte.

„Es gibt nichts, was dir leid tun müsste.“

Zärtlich umfing er mein Kinn, zwang mich mit leichtem Druck den Kopf zu heben und ihn anzusehen. „Du bist eine bemerkenswerte Frau, Jasmin. Seitdem du in mein Leben getreten bist, ist es so viel aufregender.“

Lächelnd gab er mir einen kleinen Kuss auf den Mund.

„Ich kann mit Sicherheit sagen, dass es mit dir niemals langweilig werden wird. Du bist zügellos und leidenschaftlich. Du hast ein großes Herz und so viel Wärme und Liebe zu geben. Und egal wie lange ich auch warten muss. Ich werde es tun.“

„Das geht nicht“, brachte ich nur mühsam heraus. „Ich bin längst Lord Edward Duningham versprochen. Egal was das auch zwischen uns ist. Es darf nicht sein.“

Knurrend packte er mich bei der Hüfte. Presste mich hart gegen die Wand und drängte mich mit seinem Körper dagegen, sodass ein Entkommen unmöglich war. Seine Augen funkelten wütend. Die Hände hatte er rechts und links neben meinem Kopf abgestützt.

„Du machst mich wahnsinnig, Weib“, knurrte er zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. „Es ist mir egal, wem du versprochen wurdest. Ich werde um dich kämpfen, bis du endlich nach gibst. Und sicher ist, dass ich dabei alles andere als fair spielen werde. Denk an meine Worte, während du dir weiterhin etwas vor machst, denn sie sind ein Versprechen an dich!“

Federleicht strichen seine Finger dabei über die Kette. Ein besitzergreifender Ausdruck trat auf seine Züge. Tief atmete er durch die Nase ein. Genüsslich inhalierte er meinen Geruch, bevor er von mir zurück trat und mich für den Moment frei gab.

Impressum

Texte: alle Rechte des Textes liegen bei der Autorin, also mir, Kopieren und vervielfältigen sind weder erwünscht noch erlaubt...
Bildmaterialien: alle Rechte liegen bei Glaux
Cover: alle Rechte es Covers liegen bei Glaux und sind zur verwendung dieses Buches gedacht
Tag der Veröffentlichung: 05.11.2017

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch widme ich meiner lieben Beta-Leserin, weil sie mich auf dieses wunderbare Idee gebracht hat. Danke dir kitty27. Damit du weißt, was die Vergangenheit so alles mit sich gebracht hat :)

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