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Prologe

 
Legenden.


Einst erzählte man sich viele Geschichten über sagenhafte Wesen. -Wesen die schon seit tausenden von Jahren auf dieser Erde verweilten. Es gab viele Legenden, Erzählungen über Mythen in der Gestalt eines Menschen. Doch nur wenige schienen der Wirklichkeit zu entsprechen. Doch wenn man davon sprach, gab es nur eine Kreatur, welche man normalerweise so nie kannte. Ein Monster, was sich von reinem und klarem Blut ernährte. Doch man erzählte sich auch, dass es keinesfalls Vampire waren. Diese Wesen ernährten sich nicht nur von der Angst der Menschen, sondern auch von ihren Erinnerungen. Frei konnten sie sich in der Sonne bewegen, aßen wie Menschen und doch wusste man, es waren keine. Die Menschen fingen an sich zu fürchten, begannen panisch zu werden. Nur was man kannte und einschätzen konnte, durfte auf dieser Erde bleiben. Sie fürchteten sich vor dem Unbekannten. Bei diesen Wesen wusste niemand, was es wirklich war. Man nannte sie nur voller furcht ‚Seelenfresser‘. Sie saugten das Blut so lange aus dem Körper, bis auch der letzte Tropen erloschen war und die Seele aus dem Körper entweichen konnte. Menschen lebten mit Angst und versuchten diese Kreaturen auszulöschen. Dabei wurden alle gejagt und verbrannt die giftgrüne Augen besaßen. Sie hatten das Böse in sich. Und obwohl viele von ihnen starben, löschte man sie nicht vollständig aus. Noch heute verweilten die Überlebenden unter uns.

 

 

***Alpträume zum Nachdenken***


Blitze zuckten über den Himmel und ein lautes Grollen erklang. Laut hörte man die Donnerschläge, die tief in mein Ohr drangen. Leicht bebte mein Körper unter den beängstigenden Klängen. Platzregen prasselte erbarmungslos auf mich nieder und benetzte meine nackte Haut. Schwarz war die Nacht geworden, in der ich so allein und verlassen in dieser Gasse ihm gegenüber stand. Eindringlich musterten mich seine moosgrünen Augen, welchen einen sanften bläulichen Rand aufwiesen. In der Irres hatte sich ein kleiner rötlicher Punkt gebildet. Genau diese Augen sahen mich fast jede Nacht tadelnd an. Erwartungsvoll schimmerten sie und bekamen einen seltsamen Glanz, als ob sie auf etwas Bestimmtes warten würden. Ich wusste nicht wie ich reagieren sollte. Fürchtete mich vor der seltsamen Situation, in der ich mich gerade befand. Zwar wusste ich auch, dass ich keine Angst zu haben brauchte. Doch wer garantierte mir, dass keine Gefahr drohte? Niemand konnte mir sagen, ob ich dem Fremden trauen konnte. Meine Träume gehörten längst nicht mehr mir, denn er steuerte sie und entschied darüber, was ich sehen sollte und was nicht. Er bestimmte die Handlungen die geschehen würden. Er war ein Eindringling, denn ich eigentlich vertreiben sollte, nur konnte ich es nicht. Eine seltsame Anziehung ging von ihm aus. Eine Macht ergriff meine Seele und umklammerte sie fest. Irgendetwas rief mich zu ihm. Ich war mir sicher, er würde mir bald erzählen, was sein Auftauchen zu bedeuten hatte. Er würde mir schon bald den Grund für all das verraten. Plötzlich kam Bewegung in ihn. Ein breites Lächeln legte sich über seine Lippen. Böse blickten seine Augen mich an. Etwas Teuflisches lag in seinem Gesicht und ich bekam es erneut mit der Angst zu tun. Sprachlos stand ich einfach nur da. Konnte mich nicht rühren. Doch anstatt auf mich zuzugehen drehte er sich einfach um und stürmte auf die fünf Kerle zu, die das Mädchen bedroht hatten, welches nun ich selbst war. Es gab da nun keine dritte Person mehr. Sondern nur noch ihn und mich. Ich wollte ihn noch aufhalten, etwas sagen, doch blieb ich stumm. Schüchtern und bestürzt zugleich machte ich einen Schritt auf die Männer zu, blieb dann aber wo ich war. Nichts rührte sich mehr in mir. Meine Aufmerksamkeit galt nur noch dem Geschehen vor mir. Die Szene, die meine Augen mit ansehen mussten, schockte mich zu tiefst. Dabei schien ich nichts anderes mehr wahr zu nehmen. Kälte drang schon durch meine Kleidung und schien meine Haut zu unterkühlen. Wassertropfen benetzten meine nackten Arme. Es war wie ein böser Traum, der sich immer und immer wieder wiederholen würde. Das einzig Gute daran war, ich wusste, dass ich bald schon erwachen würde. Bald schon würde ich feststellen, dass das alles gar nicht wirklich passierte. So war es schon immer gewesen. Denn er konnte alles bestimmen, doch sicher nicht, wann ich erwachen würde. Die Alpträume begleiteten mich durch mein Leben, schienen mir die Augen vor einer Wahrheit öffnen zu wollen, die ich jedoch nicht verstand. Still betrachtete ich den Kampf vor mir, sah wie das Blut spritze, als er meine Peiniger noch weiter von mir wegzerrte und dann mit der bloßen Hand durchbohrte. Klauenartig hatten seine Hände sich verändert. Während er einen nach dem anderen das Leben nahm, erschien ein zufriedenes Lächeln auf seinen Lippen. Die Augen waren schwarz und undurchdringlich. Er schien Spaß am Töten zu haben, was mich leicht erschauern ließ. Mein Atem ging stoßweise, als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen. Angst schnürte mir die Kehle zu, lähmte mich und ließ meine Muskeln verkrampfen. Das Herz raste in meiner Brust. Ich glaubte sogar, dass es gleich heraus springen würde, nur um die Flucht zu ergreifen. Jeder Muskel von mir war angespannt, bereit zu reagieren wenn die Zeit dazu gekommen war. Und obwohl ich eine so große Furcht verspürte und einfach nur noch weg wollte, war mir klar, dass es nichts gab wovor ich Angst haben musste. Er würde mir nichts tun. Dafür war schon zu viel Zeit vergangen. Das wusste ich. Es gab keinen Grund mich zu töten. Zumindest glaubte ich das. ‚Wieso sollte er auch?‘ Seine Anwesenheit war täglich zu spüren. Und wenn er nur in Gedanken zu mir sprach. Mit einer Stimme, die kaum verständlich war. – Einer Stimme, die sicher nicht seine war. Aber meistens schwieg er. Zu gerne würde ich den Klang seiner Stimme hören. Doch ich war nur Zuschauerin, ohne zu wissen, warum er das tat. Ich wusste nun schon lange, dass er mir diese Träume schickte, dass er dafür verantwortlich war, was ich sehen sollte und wie alles ablaufen würde. Aber ich war dabei nie zu Schaden gekommen. Es gab höchstens einen Schreckmoment. Er war trotz der seltsamen Umstände dennoch mein Beschützer. Das Mädchen, das ich die ganze Zeit gesehen hatte, war niemand anderes als ich selbst. Und das war erschreckend. Er hatte mich beschützt. Er hatte die Angst erträglicher gemacht. Bei dem Gedanken  zuckte ein greller Blitz über den Himmel. Gefolgt von einem lauten Donnerschlag, als wolle man meinen Worten wiedersprechen. – Als wolle man meine Lüge enttarnen. Eine Lüge, die nicht existierte. Wind kam auf, jagte durch die Gasse und zerrte unangenehm an meinen Haaren. Ein Schauer lief mir eiskalt den Rücken runter und eine feine Gänsehaut legte sich auf meinen Körper. Nun begann ich zu frösteln. Erst jetzt nahm ich die Kälte wirklich wahr. Alles fühlte sich so real an, sodass ich zu zweifeln anfing. Nun fragte ich mich, ob es nur ein Traum war oder ob ich mir dies einfach nur wünschte. Wer konnte mir jetzt noch sagen, dass es nicht gerade alles passierte? Niemand garantierte mir, dass ich gleich wieder aufwachen würde. Bei dem Gedanken wurde mir ganz schlecht. Schützend schlang ich die Arme um meinen Körper und versuchte mich wieder zu beruhigen, die Kälte von mir fern zu halten. Meine Augen waren die ganze Zeit über auf den Fremden gerichtet, der nicht weit von mir weg stand. Seine Augen fixierten mich. Um ihn herum die leblosen Körper meiner Peiniger. Überall war Blut, einzelne Körperteile lagen zerstreut, doch das schien den Fremden nicht zu stören. Jetzt hatte ich Angst, die Nächste zu sein. Panik ergriff mich. Ich wollte schreien und doch kam kein Ton aus meinem Mund. Ich öffnete die Lippen, aber ich blieb stumm. Langsam kam er auf mich zu. Natürlich hatte ich es sofort registriert, nur konnte ich nicht fliehen. Schweigend musste ich zusehen, wie er immer näher kam. Mit geweiteten Augen starrte ich ihn an. Ich konnte mir gut vorstellen, dass mir die blanke Angst ins Gesicht geschrieben stand. Alles in mir schrie: ‚Lauf!‘ Doch konnte ich es nicht. Meine Beine blieben an Ort und Stelle, als wären sie da festgewachsen. Irgendetwas hinderte mich daran. Er schien nicht zu wollen, dass ich ging oder vor ihm fliehen konnte. Ich war ihm ausgeliefert und konnte nichts dagegen tun. Mit geweiteten Augen starrte ich ihn an. Konnte seine Schönheit einfach nicht begreifen. Er war wunderschön. Aber das war wohl nicht der richtige Zeitpunkt um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Direkt vor mir blieb er dann stehen. Ich konnte seinen kühlen Atem auf meiner Haut spüren. Eine Kälte ging von ihm aus, die mich frösteln ließ und meinen Körper noch weiter abkühlte. Sein betörender Duft stieg mir in die Nase. Eine Mischung aus Wind, Meer und der Priese des Waldes mit einer zusätzlichen Note, die ich nicht definieren konnte. Doch es schien anziehende Wirkungen zu haben. Genießerisch zog ich die Luft durch den Mund ein. Schmeckte ihn auf meiner Zunge und ließ den Geschmack langsam zergehen. Sanft strich ein Daumen über meine Wange, liebkoste mich. Diese Berührung ließ mich erschauern und ich zuckte erschrocken zusammen. Vorsichtig strich er mir die Strähnen aus dem Gesicht, klemmte sie hinter mein Ohr. Dabei war er so behutsam, als habe er Angst ich könnte gleich unter seiner Hand zerbrechen. Seine Lippen waren mir nah, als er mir einen sanften Kuss auf die Stirn hauchte.

„Es ist schon lange her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben!“, säuselte er mir ins Ohr. „Ich hab dich unglaublich vermisst, Elenora!“

Verwirrt blinzelte ich gegen die Worte an. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Ja es war lange her. Das letzte Mal war er vor 10 Jahren in meine Träume eingedrungen. So lange hatte ich auf ihn warten müssen. Doch er war nie komplett weg gewesen. Ich wusste immer, dass er irgendwie da war. Eine hauch dünne Präsens war immer in meiner Nähe um mich herum geschwirrt. ‚Woher kannte er nur meinen Namen? Wer war dieser Fremde?‘ Meine Gedanken rasten. So vieles ging mir durch den Kopf. Worte jagten durch meine Gedanken ohne einen wirklichen Sinn zu haben. Gerade öffnete ich meine Lippen, wollte etwas sagen, doch entwich meiner Kehle kein einziger Ton.

„Sscht“, raunte er und legte mir dabei einen Finger auf die Lippen. Leicht schüttelte er den Kopf. Machte eine anklagende Geste.

„Nicht. Zerstör mir nicht diesen Moment. Ich versuche die wenige Zeit, die mir bleibt mit dir zu genießen. Es sollte das einzige sein, das uns noch bleibt!“

Meine Augen weiteten sich.

„Wie meinst du das?“, fragte ich verständnislos.Er schüttelte nur den Kopf und wandte sein Gesicht leicht von mir ab.

„Was hat das alles zu bedeuten? Warum schickst du mir diese Träume? Was genau willst du mir damit sagen?“

So viele Fragen hatte ich und hoffte inständig, er würde sie mir beantworten. Doch meine Hoffnung darauf war nicht besonders groß, denn irgendwie wusste ich, dass er schweigen würde. Es war unser stilles Abkommen gewesen. Ich würde keine Fragen stellen und er würde dafür schweigen und mich aus allem raus halten. Aber er hatte seine Abmachung gebrochen. Er hatte die Regeln einfach geändert. Ich musste wissen, was das alles zu bedeuten hatte.

„Das kann ich dir nicht sagen. Ich würde dich nur noch mehr in Gefahr bringen. Schon jetzt wo ich einfach nur bei dir bin, bringe ich dich in Schwierigkeiten. Es ist mir verboten. Der Kontakt zu dir ist mir verboten. Eigentlich dürftest du gar nicht mehr leben. Ich kann das alles nicht länger ertragen. El, du musst dich von mir fern halten. Wach auf und vergiss, dass es mich je gegeben hat!“

Überrumpelt blickte ich ihn an, verstand nicht was hier geschah. Ich wusste nur eins, ich wollte nicht dass er ging. Dieses Mal würde es wohl für immer sein.

„Bleib! Lass mich nicht allein! Ich will mehr über dich erfahren!“

„Nein, dass willst du nicht!“, knurrte er wütend.

„Verrat mir deinen Namen!“, ignorierte ich seinen Protest.
Bedauernd sah er mich an und schüttelte nur wieder mit dem Kopf.

„Ich kann dir darauf keine Antwort geben.“
„Aber warum?“

Doch anstatt mir auf meine Frage zu antworten, sprach er einfach weiter.
„Du solltest in deiner Welt bleiben. Mehr Wissen über mich oder die Träume würden wohl möglich deinen Tod bedeuten. Meine Nähe ist gefährlich. Nimm dich in Acht, schon bald werden wir uns wieder sehen. Doch die Begegnung wird anderes enden, als die Träume!“

Ich wollte noch irgendetwas sagen, doch da war er schon weg. So schnell wie alles geschehen war, war es auch wieder vorbei. Ein seltsamer Traum. –Ein Traum, welcher mich nachdenken ließ. Es war nicht wie sonst. Noch nie hatte er seine Worte direkt an mich gerichtet. Doch nun verstand ich besser. Das Mädchen, das ich die ganze Zeit gesehen hatte, war ich, wenn ich einmal älter sein würde. Den letzten Traum hatte ich mit sieben. Wie hätte ich da wissen sollen, dass ich irgendwann einmal so aussehen würde. Seine Stimme, sie hatte so melodisch und doch auch so eindringlich, ja sogar ziemlich ernst geklungen. Nun wusste ich nicht, was ich tun sollte. Es hatte mich verunsichert. Er verschwieg mir etwas. –Etwas das von sehr großer Bedeutung war. ‚Wollte er bei mir sein und doch auch nicht?‘ Ich musste ihn fragen. Ich musste wissen, warum er wieder da war. Zehn Jahre hatte er mich schließlich schon warten lassen. Doch jetzt wo es meiner Mutter immer schlechter ging, schien er mir beistehen zu wollen. Oder wünschte ich es mir nur, dass es so sein würde? Ich hoffte nur, er würde nicht wieder gehen.

***Ungutes Gefühl***


Es klingelte zum Ende der Stunde. Erschrocken zuckte ich zusammen, blieb jedoch regungslos sitzen. In mir rührte sich nichts. Gedankenverloren starrte ich vor mich hin.  Bilder jagten durch meinen Kopf. Schreckliche und schöne Bilder zu gleich. So unglaublich viel ging mir durch den Kopf. Auch seine Worte. Er war so zärtlich und doch auch grausam. Das alles ergab für mich keinen Sinn.


Mein Traum.
Noch immer musste ich darüber nachdenken. Er war nach so langer Zeit wieder zurück gekehrt. Aber warum nur? Ich wusste es nicht. Aber eins war mir klar. Es gab da eine Verbindung zwischen uns. Nur wusste ich noch nicht welche. Alles lag dicht beieinander. Diese Träume sollten mir etwas sagen. Etwas so Entscheidendes, dass ich sie nicht einfach ignorieren konnte. Das alles war ein einziges Rätsel. Ein zusammen gesetztes Puzzel, das nicht vollständig war. Das fehlende Teil zu finden, würde verdammt schwer werden. Schließlich schwieg er noch immer zu diesem Thema. Er weigerte sich mir etwas zu sagen, nur weil er mich damit in Gefahr brachte? Das war doch lächerlich, wie ich fand. Was sollte schon passieren, wenn er mir einfach die Wahrheit sagte? Verwirrt zog ich die Augenbraue zusammen. Irgendwas stimmte hier gewaltig nicht. Und ich würde herausfinden was es war. Auch wenn ich noch nicht wusste wie. Der Fremde durfte nicht einfach mein Leben durcheinander bringen, nur weil es ihm gerade so passte. Da hatte ich gefälligst noch ein Wörtchen mitzureden. Angestrengt kniff ich die Augen zusammen, denn sein Bild schob sich schon wieder vor mir her und ich würde aufpassen müssen, dass ich nicht sehnsüchtig zu seufzen anfing.

„Nora?“, rief jemand meinen Namen und riss mich aus den Gedanken. Aufgeschreckt blickte ich mich etwas verwirrt um, als ein leichter Schatten über mich hinweg huschte. Da stand sie, meine beste Freundin Milli. Ihre feuerroten Haare standen ihr in kleinen Locken wir vom Kopf ab und baumeln ihr über die Schultern, trotzdem sah sie atemberaubend aus. Eine Augenweide für jeden Kerl. Sie war schlank, sportlich und zudem auch noch gutaussehend. Da wunderte es mich nicht, dass man ihr hinterher pfiff egal wo sie hinging. Zudem hatte sie es faustdick hinter den Ohren. Sie nahm kein Blatt vor den Mund. Schon immer hatte sie freche Sprüche auf Lager. Da war ich eher ein unscheinbares Mauerblümchen. Mich beachtete kaum jemand. Ich hielt mich eher im Hintergrund. Nicht dass ich hässlich war oder so. Aber ich mochte es nicht im Mittelpunkt zu stehen. Das hieß aber nicht, dass ich schüchtern war. Im Gegenteil. Ich war stark und selbstbewusst, wie meine Mutter. Sie hatte mir immer eingeredet, an mich selbst zu glauben und mich zu akzeptieren. Nur wenn ich selbst gut über mich dachte, konnte es mir egal sein, was andere über mich dachten. Grimmig und mit in die Hüfte gestemmten Händen  blickte sie mich von oben herunter an. Es hatte gerade zur Pause geklingelt und die meisten meiner Mitschüler hatten regelrecht fluchtartig das Zimmer verlassen. Nur wenige hielten sich noch hier auf. Der Hunger trieb sie in die Schulkantine. Auch mir knurrte der Magen, aber für mich war es gerade einfach nur Nebensache. Scheu zog ich den Kopf ein. Ich schluckte schwer unter dem strengen Blick von Milli und senkte leicht das Gesicht. Stur starrten meine Augen auf die Tischplatte vor mir. Seit Tagen ging es schon so, dass ich abwesend wirkte. Total unkonzentriert.  Langsam packte ich meine Sachen zusammen, um auch endlich in die Pause entschwinden zu können.

„Erde an Nora!“, hörte ich sie erneut anklagend sagen.

„Mm“, machte ich zur Antwort, als sie mich weiterhin abwartend anblickte. Mir war gerade nicht nach reden zu mute. Ich wusste selbst, dass es aufhören musste, ehe es mich noch um den Verstand brachte.

„Hast du mir überhaupt zugehört?“, wollte sie nun verärgert wissen.

„Nein!“, gab ich kleinlaut wieder. Dabei bedachte ich sie mit einem entschuldigenden Blick.

„Ich hab dich gefragt, ob…“, fing sie gerade an ihre Worte zu wiederholen, doch ab da hörte ich ihr erneut nicht zu. Es fiel mir schwer mich auf ihre Stimme und die dazu gehörigen Worte zu konzentrieren. Meine Gedanken drifteten ab. Wieder dachte ich an vergangene Nacht. Dass er mich da nicht zum ersten Mal in der letzten Zeit besucht hatte, verschwieg ich. Ich hatte meiner Freundin nichts davon gesagt. Es war irgendwie unser persönliches Geheimnis gewesen. Doch nun schien es anders zu sein. Er hatte gesagt, ich dürfte gar nicht mehr leben. Ich verstand es nicht. Wieso hatte er es nur gesagt? Würde ich durch seine Hand sterben? ‚NEIN!‘, schrie alles in mir. Heftig schüttelte ich meinen Kopf. Das konnte nicht sein. Wie er mich angesehen hatte. Seine Augen. Dieser liebevolle Blick. Das Grün seiner Iris war so intensiv. Seine Stimme war so sanft und vertraut. Er hatte mich fast mein gesamtes Leben begleitet. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er mich nun um die Ecke bringen würde. Zehn verdammte Jahre hatte er dafür Zeit gehabt. Er mochte für eine geraume Zeit weg gewesen sein, doch egal warum, er kam nicht zurück um es zu beenden. Sein Blick war gequält, als er diesen Abschied aussprach, als müsse er sich zwingen einfach zu gehen. Das war kein Mörder. Oder doch? Erneut schüttelte ich heftig den Kopf. Niemals!

„Hey, hörst du mir überhaupt zu?“, kam es genervt.

Jemand pikste mich auffordernd in die Seite, sodass ich erschrocken zusammen zuckte und sofort wieder aufblickte.

„Aua“, entkam es mir belämmert. „Was soll denn das?“

Böse blickte ich meine beste Freundin an, die jedoch verdrehte nur genervt die Augen. Sie war jedoch nicht die einzige, die mich genervt anblickte. Auch Klara und Sophia sahen nicht gerade erfreut aus, dass ich ihnen so wenig zuhörte. Na ja genau genommen, hatte ich ihnen kein bisschen zugehört. Ich konnte aber auch nichts dafür. Meine Nächte waren kurz gewesen. Es mangelte mir an Schlaf.

„Was ist nur in letzter Zeit los mit dir?“, wollten die drei anklagend von mir wissen. Ernst mustern sie mich und ich wusste, es gab kein Entkommen aus diesem Verhör. Sie durchbohrten mich regelrecht mit ihren Blicken. Ich konnte diesem Thema nicht länger ausweichen. Nun musste ich es ihnen wohl oder übel sagen. Es war nur einmal dazu gekommen. Das ist aber schon Monate her. Da hatte ich ihnen von meinen Träumen erzählt. Jedoch gelogen. Ich hatte ihnen nicht die Wahrheit gesagt. Weder wie alles ablief, noch dass sie nie aufgehört hatten. Sie waren mit der Zeit intensiver geworden. Die Handlungen wurden schlimmer. Es waren regelrechte Alpträume die mich zerfraßen.

„Es ist wegen meinen Träumen!“, schluckte ich schwer. Meine Stimme war kaum mehr als ein leises Flüstern. Daher beugten sich meine Freundinnen noch ein Stückchen mehr über mich, um besser verstehen zu können.

Es war mir unangenehm. Ich wusste nicht wie viel ich Preis geben sollte. Sie würden mich für verrückt abstempeln, wenn ich ihnen die komplette Wahrheit erzählte. Also würde ich nur das nötigste zusammen fassen. Ich wartete noch einen kurzen Moment, bis auch die letzten Schüler den Klassenraum verlassen hatten, damit wir in Ruhe reden konnten.

„Jetzt können wir reden“, murmelte ich erleichtert. Müde lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und blickte dabei weit in die Ferne. Ich versuchte mich zu entspannen, jedoch zerrte es stark an meinen Nerven.

„Wieso hast du uns nicht erzählt? Wir dachten die Alpträume hatten aufgehört. Aber ich sehe, wie du Tag für Tag müde und mit großen Augenringen in die Schule kommst. Du machst in der Nacht kein Auge zu. Deine Konzentration leidet darunter. Was ist bloß los mit dir? Rede mit uns!“, redete Milli ernst auf mich ein und beugte sich so dich vor, dass ihr Gesicht direkt vor meinem war. Die Augen sahen mich eindringlich an. Versuchten in meiner Seele etwas lesen zu können. Ich zuckte nur mit den Schultern. Sie machten sich einfach zu viele Sorgen.

„Mensch Nora, diese Alpträume müssen wirklich aufhören. So kann das doch nicht weiter gehen!“

„Ich weiß!“, murmelte ich träge und fuhr mir mit der Hand übers Gesicht. „Ich hab wirklich gedacht, dass es irgendwann von selbst aufhören würde. Aber jetzt wo es meiner Mutter so schlecht geht, scheinen die Träume noch intensiver zu sein. Aber dieses Mal ist es irgendwie anders!“

Verwirrt sahen mich meine Freundinnen nacheinander an. Schienen nun komplett auf der Leitung zu stehen. Sie konnten nicht begreifen, nicht verstehen, was ich ihnen zu erklären versuchte.

„Es ist kein stummes Schauspiel. Nun ist da nicht mehr das Mädchen, sondern nur noch er und ich.“

Noch immer schwiegen die drei, als erwarteten sie von mir, dass ich weiter sprach.

„Ich… ich bin immer dieses Mädchen gewesen, wenn ich einmal groß sein würde. Damals hab ich es nicht begriffen, doch nun verstehe ich alles.“

Meine Stimme zitterte, denn ich erinnerte mich nun wieder an alles. Erinnere mich an seine Worte.

„Aber das Schlimmste an allem ist, dass er meinen Namen kannte“, wisperte ich ängstlich und kniff die Augen fest zusammen, da sich nun zum ersten Mal Tränen ihren Weg über meine Wangen bannen wollten. „Seine Worte sprach er ruhig und mit Bedacht. Die Augen waren dabei so liebevoll. Es war als würde er mir etwas sagen wollen. Alles schrie nach mir!“

„Beruhige dich erst einmal El“, erwiderte Milli mitfühlend und nahm neben mir auf dem freien Stuhl platz. Sanft fuhr sie über meine Schultern und wollte mich auf diese Weise beruhigen, doch ich war so aufgewühlt.

„Es macht mich seelisch fertig. Ich will einfach nur davon laufen und doch kann ich es nicht. Starr blickte ich die ganze Zeit auf den Unbekannten. –Sah wie er immer weiter auf mich zukam. Ich will laut schreien, kann es aber nicht. Mein Mund öffnet sich, aber kein Ton entweicht meinen Lippen. Nicht einmal mehr das Aufwachen scheint mich davor retten zu können!“

Nun kam auch Regung in Klara.

„Wie fühlst du dich jetzt?“ Mitfühlend nahm sie mich fest in den Arm. Tröstend klammerte ich mich an ihr fest. Vorsichtig nahm auch Sophi meine Hand und drückte sie leicht, nur um mir zu zeigen, dass ich nicht alleine war.

„Schrecklich“, kommt die Antwort brüchig. „Ich bekomme diese Sache einfach nicht mehr aus dem Kopf!“ Ich machte eine kurze Pause. „ Noch immer höre ich seine Worte, sehe die dunkle Gasse. Einfach alles fühlt sich so verdammt echt an. Seine Stimme. Sein Atem. Es war, als würde ich es nicht nur träumen, sondern wirklich miterleben!“

Mit geweiteten Augen sahen die drei mich sprachlos an. Ich konnte ihren Unglauben sehen. Nun scheinen sie mich endgültig für verrückt abgestempelt zu haben.

„Ich weiß, ihr haltet mich jetzt sicher für verrückt, aber genau so hat es sich für mich angefühlt.“

„Vielleicht solltest du wirklich mal mit der Schulpsychologin sprechen. Die kann dir da sicher weiter helfen und das Problem mit dir gemeinsam bekämpfen“, schlug Sophia vor.

Ich schüttelte darauf hin nur heftig mit dem Kopf.

„Spinnst du?“, begehrte ich auf. „Ich muss mich um meine Mutter kümmern. Mir bleibt gar keine Zeit um meine Seele zu erleichtern, indem ich ein Kaffekränzchen mit der Psychologin halte. Sie kann mir dabei sowieso nicht helfen. Die Träume hören auf, sobald es meiner Mutter wieder besser geht!“

Meine Worte sollten mich selber beruhigen. Ich wollte so gerne glauben, dass es bald vorbei sein würde. So sehr wünschte ich es mir, dass alles bald ein Ende hatte.

Milli nickte verständnisvoll und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. Dann ergriff sie mich bei der Hand, zog mich den Stuhl hoch und zerrte mich anschließend aus dem Klassenraum, den Korridor entlang. Überrascht stolperte ich hinter ihr her. Warum hatte sie es auf einmal so eilig. Fragend blickte ich sie an.

„Ich hab nun mal Hunger. Das ganze schlägt ziemlich auf die Nerven. Und was hilft da mehr als Essen?“, rechtfertigte sie sich.

„Ich hab doch gar nichts gesagt“, wunder ich mich über ihren kleinen Ausbruch.

„Ja, aber du hast mich eben so komisch angesehen!“

Verständnislos blickte ich ihr in die grüngrauen Augen, die mich tadelnd anblickten. Doch noch bevor ich etwas sagen konnte, hellte sich ihr Gesicht wieder auf. Nun lächelte sie auch wieder strahlend über das ganze Gesicht. Von ihren Gefühlsschwankungen konnte man echt Kopfschmerzen bekommen. Aber was sollte ich machen? Sie war eben meine beste Freundin. Natürlich waren auch Sophia und Klara meine Freundinnen, doch niemand verstand mich so gut wie Milli. Ohne Widerstand folgte ich ihr in die Cafeteria, wo sich alle Schülerinnen und Schüler der Nightmare eingefunden hatten, um eine kleine Mahlzeit zu sich zu nehmen. Aber nach sechs Stunden Unterricht war das auch nicht weiter verwunderlich.
Ich war froh wenn ich die letzten beiden Stunden nach der Mittagspause auch noch herum bekam. Aufmerksam sah ich mich im Saal um, doch weit und breit war kein freier Tisch zu finden. Unzufrieden knirschte ich mit den Zähnen. Das tat ich immer, wenn mir etwas nicht passte. Wir stellten uns alle brav in die Reihe vor der Essensausgabe, als plötzlich ein Rauschen aus der Sprechanlage ertönte und kurz darauf eine Mitteilung verlautet wurde. Sofort versteifte ich mich. Es hieß nie etwas Gutes wenn man ins Sekretariat gerufen wurde. Bei mir passierte es in letzter Zeit ziemlich oft. Da es meiner Mutter schlecht ging und ich noch minderjährig war, wurde die Schule darüber aufgeklärt. Meine Mom litt seit einigen Jahren an Leukämie. –Blutkrebs. Die Ärzte taten alles, doch es half alles nichts mehr. Der Krebs war zu weit heran geschritten und würde bald sein übriges tun. Ich wusste, mir blieb nicht mehr viel Zeit.

„Elenora Bentlins“, erklang eine raue, weibliche Stimme aus dem Mikrofone und hallte im Raum wieder, „kommen sie unverzüglich ins Büro des Schulleiters!“

Ein Raunen ging durch die Reihen und alle Augenpaare sahen mich aufmerksam an. Hier und dort wurden die Köpfe zusammen gesteckt und getuschelt. Blicke folgten mir, als ich die Kantine mit zügigen Schritten verließ. Den Kopf hielt ich gesenkt. Doch ich hielt es nicht lange durch. Eilig rannte ich auf den Ausgang zu. Ich wollte einfach nur weg. Irgendetwas schien nicht in Ordnung zu sein. Noch nie hatte man mich ins Büro des Direktors geschickt. Nicht einmal, als der Zustand meiner Mutter sich verschlimmert hatte. Für mich war mit der Krankheit meiner Mom eine Welt zusammen gebrochen. Sie sagte zwar immer, dass ich stark sein soll. Aber wie sollte das gehen, wenn mir auch der letzte verbliebene Mensch genommen wird? Mein Vater lebte seit drei Jahren nicht mehr. Er war damals Polizist und bei einem Einsatz ums Leben gekommen. Doch wie das geschehen ist, weiß man bis heute nicht. Angeblich wurde er erschossen. Die Leiche fand man aber nie. Dann war da noch meine Schwester, die gute neun Jahre älter war, aber die lebte nicht mehr hier. Sie war damals mit ihrem Freund ausgewandert, heiratete ihn und gründete ein kleines Unternehmen in Jerusa. Es scheint auch super zu laufen. Nur einmal im Jahr kam sie uns besuchen. Und das war immer zu Weihnachten. Irgendwie vermisste ich sie, aber man gewöhnte sich schnell an die Abwesenheit. Mom und ich kamen auch so ganz gut klar. Trotzdem schickte sie uns regelmäßig Geld nach Hause. Es war nicht gerade wenig. Das meiste davon wurde auf einem extra Konto für mich angelegt, welches ich mit einundzwanzig selber verwalten konnte. Mein Leben lief vor meinen Augen ab. Ich schwelgte in der Vergangenheit, als hinter mir plötzlich leise Schritte erklangen. Leicht wandte ich den Kopf um hinter mich zu schauen. Milli folgte mir in einem großen Abstand. Doch anstatt stehen zu bleiben rannte ich weiter. Ich stürmte den Flur regelrecht entlang. Die Flure flogen nur so an mir vorbei während ich mehrmals abbog. Ein kleiner Stich durchzog meine Brust. Ein Stich der mich in Panik versetzte. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, als würde es mir jeden Moment heraus springen.

Es war wie eine Ewigkeit, bevor die Tür des Schulbüros langsam in mein Sichtfeld trat. Ich zögerte. Blieb einen kurzen Augenblick einfach nur davor stehen. Mich verließ der Mut um eintreten zu können. Wahrscheinlich wollte ich nicht hören, was mir der Direktor zu sagen hatte. Meine Hände zitterten, als ich zur Türklinge griff. Tief atmete ich durch, ehe ich sie herunter drückte und in den Raum dahinter eintrat.

„Hallo Frau Birke“, begrüßte ich die Frau hinter dem Empfangstresen höfflich. Diese nickte nur kurz und deutete auf eine weitere Tür, an der ein goldenes Namensschild prangte. Das Büro des Direktors. Hart schluckte ich den Kloß in meiner Kehle herunter, klopfte schüchtern und wartete darauf, dass man mich herein bitten würde.

„Herein“, erklang es von der anderen Seite. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend kam ich der Aufforderung nur zögerlich nach. Leise schloss ich die Tür hinter mir.

„Bitte setzen Sie sich, Elenora“, bat er mich und schenkte mir ein kleines Lächeln. „Sie wissen, warum ich Sie hergebeten habe?“
Darauf schüttelte ich nur den Kopf. Natürlich wusste ich es. Zumindest hatte ich eine böse Vorahnung.

„Das Hospital Krankenhaus hat angerufen. Ich fürchte ich habe schlechte Nachrichten für Sie. Der Zustand ihrer Mutter hat sich drastisch verschlimmert. Sie wurde heute Morgen eingeliefert. Ihr Befinden ist kritisch. Die Ärzte glauben, dass Ihre Mutter es nicht mehr schaffen wird. Es tut mir sehr leid, Elenora!“

Jegliche Farbe wich aus meinem Gesicht. Starr blickte ich auf die Tischplatte des edlen Schreibtisches. Mein Körper wurde ganz steif. Nichts regte sich und eine unangenehme Stille kam auf. Plötzlich überkam mich eine seltsame Übelkeit. Leicht fing ich an zu zittern. Ich hatte es gewusst. Mein Bauchgefühl ließ mich nie im Stich. Um mich herum verschwamm die Welt. Alles drehte sich. Ich war unfähig aufzustehen oder irgendetwas zu erwidern. In mir sträubte sich einfach alles dagegen diesen Worten zu glauben. Vor wenigen Stunden war es meiner Mutter doch noch gut gegangen. Sie hatte nicht mehr so blass gewirkt. Ich hatte wirklich geglaubt, es würde ihr wieder besser gehen.

„Ich… dürfte ich… macht es Ihnen etwas aus, wenn ich… früher gehen würde. Ich glaube mir geht es nicht so gut!“, presste ich mit brüchiger Stimme hervor.

„Selbstverständlich. Man erwartet Sie bereits im Krankenhaus.“

Ich nickte eifrig.

„Danke Mr. Brown.“

Fluchtartig verließ ich das Büro des Direktors. Keine Minute länger hielt ich es aus. Erst einmal musste ich die neuen Informationen verarbeiten. Im Flur atmete ich erst einmal tief durch und versuchte ruhig zu bleiben. –Bloß nicht durchdrehen. Dennoch konnte ich das Zittern nicht unterdrücken. Noch immer war ich ziemlich blass um die Nase.

„Was ist passiert?“, kam es fragend von der Seite, sodass ich erschrocken zusammen fuhr. Milli stand dicht vor mir. Mein Herz raste wie verrückt und ließ sich nur schwer wieder beruhigen. Ich war aufgeregt und stand unter großer Spannung. Abwartend musterten mich meine rothaarige Freundin. Doch ich konnte und wollte nicht auf ihre Frage antworten. Der Schock saß noch tief und irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass schon bald das Ende kommen würde. -Das Ende der Qualen meiner geliebten Mutter. Aber darüber wollte ich nicht nachdenken. Schweigsam blickte ich Milli an. Mein Blick schien durch sie hindurch zu gehen. Ihre Augen musterten mich voller Besorgnis. Schienen in meinen Augen lesen zu wollen. Doch dieses Mal würde es keinen Hinweis geben, der ihr verriet, was mit mir los war. Ich verschloss meine Gefühle vor ihr. Es tat mir leid, aber ich konnte jetzt darauf verzichten mit ihr über meine Problem zu reden.

„Nora! Sprich bitte mit mir!“, flehte sie mich regelrecht an.
Warme Hände packten mich sanft an den Schultern und schüttelten meinen Körper grob. „Komm schon! Werde wieder du selbst!“

Ein starker Ruck ging durch mich, als ich verwirrt gegen das Licht der Deckenlampe anblinzelte. Es war, als würde ich wieder aus einer Starre erwachen. Langsam klärte sich mein Umfeld und ich blickte in grüngraue Augen.

„Was..“, setzte ich an, ehe sie mich unterbrach.

„Na endlich bist du wieder unter den Lebenden. Was war los? Wieso wollte der Direktor mit dir sprechen?“

Ich schüttelte nur benommen den Kopf.

„Ich muss los“, erwiderte ich knapp und rannte los. „Ich ruf dich heute Abend an!“, rief ich ihr noch entgegen, bevor ich um die nächste Ecke bog und aus dem Schulgebäude flüchtete.

***Abschied mit nächtlichen Folgen***


Es dauerte nicht lange bis ich am Krankenhaus ankam. Von der Schule bis zur Bushaltestelle vor dem Hospital waren es gerade mal zwanzig Minuten Fahrt. Ungeduldig ging ich auf die Drehtür zu, wartete darauf, dass sie so weit herum gefahren war, dass ich ins Innere des Krankenhauses kam. Das alles ging mir viel zu langsam. Jede Minute zählte. Aber das schien außer mir niemand zu wissen. Etwas orientierungslos sah ich mich um. Am besten war, wenn ich eine Krankenschwester nach dem richtigen Weg fragte, ehe ich hier Stunden lang durch die Gegend lief und das richtige Zimmer suchte. Entschlossen steuerte ich auf den Empfang zu. Mir war ganz mulmig zu Mute. Ich hatte Angst, dass sie mir schlechte Neuigkeiten überbringen könnten. Vielleicht hatte es meine Mutter nicht mehr geschafft. Vielleicht war ich wirklich zu spät gekommen. Dabei hatte ich mich extra beeilt. Ich konnte nur betten und hoffen, dass es nicht so war.

„Entschuldigen Sie“, krächzte ich. Mein Hals war so trocken und ein dicker Kloß saß in meiner Kehle. „Könnten Sie mir bitte sagen in welchem Zimmer sich Frau Bentlins befindet?“ Neugierig musterte mich die Krankenschwester. Sie war klein, pummelig und hatte doch ein ziemlich hübsches Gesicht. Ihre Wangen waren rundlich, genauso wie ihr Kinn. Die Augen sahen mich hinter großen runden Gläsern an. Sie trug eine blaue Brille auf der Nase. Beim näheren Betrachten fiel mir ihre Augenfarbe auf, welche mich unheimlich faszinierte. Es war ein kräftiges Braun mit gelben Sprenkeln. Ich kann genau sehen wie ihr Blick über mich glitt, sich alles ganz genau einprägte.

„Und wer sind Sie, junge Frau?“, stellte sie mir eine Gegenfrage. Genervt seufzte ich auf, da mir das einfach zu viel wurde.

„Ich bin die Tochter. Man hat mir gesagt, dass sie bei Ihnen eingeliefert wurde. Wenn es Ihnen also nichts ausmacht, würde ich gerne sehen wie es meiner Mutter geht!“, erwiderte ich so ruhig wie ich konnte. Dennoch zitterte meine Stimme ganz leicht. Angst schien mich nun endgültig zu beherrschen. Angespannt sah ich die kleine Frau hinter dem Tresen an. Sie schürzte die Lippen, schwieg einen Moment, dann nickte sie. Ich atmete etwas auf. Es war noch nicht zu spät.

„Sie gehen den Gang entlang bis zum Ende durch. Auf der rechten Seite befinden sich die Fahrstühle. Fahren Sie damit in den zweiten Stock. Wenn sie dann links abbiegen ist es die fünfte Tür auf der rechten Seite“, gab mir die Krankenschwester freundlich Auskunft.
Ich bedankte mich noch kurz bei ihr, bevor ich mich wieder von ihr entfernte und der Beschreibung folgte. Es dauerte auch nicht lange, da hatte ich die besagte Tür erreicht. Inständig hoffte ich, dass ich mit meiner Mutter alleine war. Fremde Patienten machten mir nur Angst. Die Ansteckungsgefahr war an solchen Orten immer besonders hoch. Leise klopfte ich an die Tür um mein Kommen anzukündigen. Einen kurzen Augenblick wartete ich noch, trat dann aber ein. Leichte Dunkelheit empfing mich. Das Zimmer war abgedunkelt und am Ende des Raumes direkt am Fenster lag sie. Ruhig und friedlich. Die Augen waren geschlossen, der Atem ging ruhig, jedoch unregelmäßig. Immer wieder war ein deutliches Stocken zu sehen, welches mir Tränen in die Augen trieb. Mit leisen Schritten näherte ich mich ihr. Ich versuchte möglichst keine Geräusche zu verursachen. Schließlich wollte ich sie nicht wecken. Lautlos stellte ich mir einen Stuhl an ihr Bett und setzte mich darauf. Genau in dem Moment öffnete sie die Augen und sah mich mit müden Augen an. Sie war blass und so verdammt abgemagert. Dabei hatte ich doch mit ihr unter einem Dach gewohnt. ‚War mir das wirklich nie aufgefallen?‘ Meine Mutter tat mir in diesem Augenblick so verdammt leid. Ich wollte etwas tun und doch konnte ich es nicht. Hilflos musste ich zusehen, wie sie immer mehr dem Ende näher kam.

„Schön das du gekommen bist, Nora“, lächelte sie. Ihre Stimme hörte sich so schwach und zerbrechlich an.
„Natürlich Mama. Ich kann doch nicht zu sehen… du bist doch alles was ich noch habe“, entgegnete ich aufgewühlt. Verzweifelt nahm ich ihre Hand und legte sie in meine. Sie durfte mich nicht verlassen. Das durfte sie mir nicht antun.

„Du bist nicht alleine, mein Schatz“, munterte mich meine Mutter auf. Zärtlich strich sie mir über meine Wange. Ich genoss die Berührung und schmiegte mich leicht in ihre Handfläche.

„Kim wird für dich da sein“, sprach meine Mutter weiter. Ein Hustenanfall überkam sie. Sie krümmte sich. Ihr Körper fing an zu versagen. Krankheiten hatten sie bereits befallen, die sie nicht mehr abwehren konnte. Das Immunsystem versagte seinen Dienst.

„Mama, Kimberly ist nicht hier. Sie lebt in Jerusa. Wie soll sie sich um mich kümmern?“, erklärte ich ruhig und atmete einmal tief durch.

„Deine Schwester wird dich nach Jerusa holen, wenn ich nicht mehr da sein werde. Du wirst dann dort deine Schule zu Ende machen und vielleicht sogar Studieren. Wer weiß. Es ist alles möglich.“ Fassungslos blickte ich meine Mutter an. Das konnte sie nicht wirklich ernst meinen. Ich wollte nicht von hier weg. Meine Freunde waren hier.
„Das kannst du…“, fing ich an zu protestieren, wurde jedoch von ihr unterbrochen.

„Du musst jetzt stark sein, meine Kleine. Versprich mir das!“, flehte sie mich an. Ihre Hände umklammerten meine. „Ich liebe dich, Elenora und werde von oben über dich wachen!“ Tränen liefen ihr aus den Augen und auch ich konnte meine nicht mehr zurück halten. Ein Lächeln erhellt ein letztes Mal ihr Gesicht, dann schloss sie die Augen und sank in das Kissen. Ein lautes Piepen setzte an. Die Geräte spielten verrückt und dann war plötzlich alles vorbei. Ihr Herz versagte. Friedlich schlief sie ein. Meine Mutter war nun endgültig von uns gegangen. In mir breitete sich eine Leere aus. Nur allein mein Herz schlug weiter. Eine ganze Weile saß ich einfach nur so da, genoss den letzten Augenblick mit ihr. Still nahm ich Abschied von meiner geliebten Mutter. Sie würde nie mehr zurück kehren. Das war mir klar. Stumm flossen die Tränen über meine Wangen und tropften leise in meinen Schoss. Starr blickte ich dabei aus dem Fenster, sofern es mir durch das Rollo möglich war. Ich sah, wie sich der Himmel immer mehr verdunkelte, sah die Sonne untergehen. Der Abend brach schnell herein. Und erst da beschloss ich mich auf den Heimweg zu machen. Es würde mich zu Hause nichts erwarten. Ich hatte nun alle Zeit der Welt. Wie in Trance erhob ich mich vom Stuhl und ging träge auf die Zimmertür zu, durch die ich vor wenigen Stunden noch gekommen war. Ein letzter Blick zurück, ehe ich das Zimmer verließ und auf den Ausgang zusteuerte. Draußen regnete es wie in Strömen, was mich aber nicht sonderlich interessierte. Im Moment war mir alles egal. Selbst wenn die Welt untergehen würde, hätte ich nichts dagegen. Für mich war ohnehin eine Welt zusammen gebrochen. Mein ganzes Leben hatte sich auf einen Schlag verändert, doch zu nichts Gutem. Die Welt war voller Ungerechtigkeiten. Das war mir nun schmerzlichst bewusst geworden.


*


Die Nacht hatte schon jetzt die komplette Stadt verschlungen. Nichts schien sie aufhalten zu können. Nur allein die Straßenlaternen spendeten etwas Licht in dieser trostlosen Dunkelheit. Dass es regnete, machte es nicht besser. Es bewies mir nur, dass das Wetter meine Stimmung zu gut kannte. Es war, als würde es genau spüren, wie einsam ich mich nun fühlte. Mit entschlossenen Schritten trat ich hinaus. Sofort trafen mich die ersten Regentropfen. Lächelnd blickte ich hinauf. Es war befreiend, als auch ich mich von all dem Schmerz löste und meine Tränen laufen ließ. Niemand würde sehen, dass ich weinte. Der Regen verschmolz mit mir, benetzte mein Gesicht. Einzelne Tropfen verfingen sich in meinem Haar, durchtränkten es. Doch es störte mich nicht sonderlich. Nicht einmal als der Regen meine Kleidung durchnässte und bis zu meiner nackten Haut durchdrang. Ich genoss die Kälte auf mir. Langsam ging ich einfach weiter die leeren Straßen entlang. Mein Körper fröstelte etwas, da die Wärme der Kälte endgültig Platz gemacht hatte. Immer mehr entfernte ich mich vom Krankenhaus, bis es in der Ferne verschwand. Ruhig atmete ich durch. Ich hatte meiner Mutter etwas versprochen. Sie wollte, dass ich stark blieb und mich nicht unterkriegen ließ. Und sie hatte recht. Nur wenn ich stark war, konnte ich in dieser Welt bestehen. Entschieden wischte ich mir über das Gesicht um die Tränen fort zu tragen. Tränen waren ein Zeichen der Schwäche. Aber ich war nicht schwach. Das war ich noch nie gewesen. Selten hatte man mich weinen sehen. Auch wenn mir oft danach zu Mute war. Bestimmend ging ich weiter den Weg entlang. Meine Schritte waren geschmeidig leicht und nicht das kleinste Zögern war in ihnen zu erahnen. Ich würde den letzten Willen meiner Mutter erfüllen. Aber ich würde niemals nach Jerusa gehen. Schließlich waren doch meine Freund hier. Mein Zuhause. Einfach alles was mir wichtig war. Das konnte ich nicht einfach aufgeben. Egal wie sehr Kimberly mich auch bitten würde. Ich wurde doch schon bald achtzehn. Es waren nur noch wenige Monate bis dahin. Die konnte sie doch warten oder? Gedankenverloren ging ich immer weiter. Meine Beine trugen mich wie von selbst. Sie kannten den Weg zu genau. Plötzlich erklang hinter mir leises Rascheln. Ein Schaben war zu hören, dann war es wieder still. Ich wollte gerade schon aufatmen, da erklang ein ungewöhnliches Geräusch. Kurz darauf waren Schritte zu hören. ‚Jemand verfolgt mich!‘, war mein erster und auch einziger Gedanke in dem Moment. Ich wollte meinen Kopf wenden und nachsehen, doch traute ich mich nicht. Ehrlich gesagt wollte ich nur so schnell wie möglich nach Hause. Es war nicht gerade die beste Gegend, in der ich mich aufhielt. Nicht weit von hier befanden sich Clubs. Viele Schläger und Alkoholiker trieben sich hier herum. Musik drang von weiter Ferne herüber. Ansonsten waren nur noch die leisen Schritte hinter mir zu hören. Angst nahm Besitz von mir, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe, biss mir dabei leicht ins Fleisch. Blut quoll aus der Wunde, aber das nahm ich kaum wahr. Unruhig verknotete ich meine Hände ineinander, dann jedoch steckte ich sie in meine dünne Jackentasche. Es war kühl geworden, obwohl immer noch Sommer war. Zudem regnete es noch immer. Dass ich nass war, machte es mir nicht leichter mich warm zu halten. Ich fröstelte unaufhörlich. Hinter mir erklang lautes Gelächter, welches mich sofort zusammen zucken ließ. Der Gestank von Alkohol wehte zu mir herüber und drang in meine Nase. Angewidert rümpfte ich sie und verzog angewidert das Gesicht. ‚Einfach ekelhaft!‘

„Oh Baby, Baby“, sang eine raue Stimme lallend. Es hörte sich schrecklich an. Die Worte drangen zu mir herüber. Schlichen sich in mein Ohr. Es war ohne jede Zweifel an mich gerichtet. Eine Gänsehaut legte sich auf meinen Körper. Eine Gänsehaut die meine Angst verraten würde. Angstschweiß lief über meinen Körper. Ein heftiges Zittern überfiel mich, trotzdem ging ich weiter. -Versuchte ruhig zu bleiben. Sie sollten nicht merken, welche Panik mich beherrschte. Es waren viele. Ich konnte ihre Blicke auf mir spüren.

„Hey Süße!“, rief mir einer weiterer lallend hinterher. Die anderen lachten daraufhin nur dreckig.

„Warte doch mal!“, brüllte wieder ein anderer von ihnen. Wie von Geisterhand packte mich auf einmal etwas Kühles am Arm und hielt mich zurück. Ein Ruck ging durch meinen Körper. Ich schrie erschrocken auf und blickte fast schwarzen Augen entgegen. Ein bulliger Mann stand mir gegenüber. Dreckig grinste er mich an und seine Augen hatten dabei einen seltsamen Glanz, der nichts Gutes verheißen konnte. Lust schwang in ihnen. Begierig leckte er sich die Lippen. Ein leichter Bartschatten lag über seinem Gesicht. Sein Kopf war dafür kahl rasiert. Die Zähne waren schief und gelblich verfärbt. Er konnte nicht älter als vierzig sein. Schwer schluckte ich. Er stank nach Alkohol und ich musste einen starken Würge reiz unterdrücken. Hilfesuchend sah ich mich um, jedoch konnte ich niemanden finden, der mir aus dieser misslichen Lage heraus helfen könnte. Nicht weit von uns entfernt standen seine Freunde und starrten uns gebannt entgegen. Auch sie sahen nicht gerade so aus, als würden sie mir helfen wollten. Bei dem Gedanken, dass mich noch etwas ganz Schlimmes erwarten würde, wurde ich gleich ganz blass. ‚Ich hätte vielleicht doch nicht so lange im Krankenhaus bleiben sollen!‘, ging es mir reumütig durch den Kopf.

„Du bist ein echt hübsches Ding“, machte mir Mr Widerlich ein schleimiges Kompliment, dabei glitten seine schmierigen Finger über meine Wange, den Hals hinab und direkt zu meinen Brüsten. Angeekelt verzog ich mein Gesicht und versuchte vor ihm zurück zu weichen, aber sein Griff hielt mich davon ab. Er zog mich hingegen meiner Versuche noch näher zu sich.

„Du willst doch nicht etwa abhauen oder?“, lachte er laut los. „Du wirst dich jetzt mit mir und meinen Freunden vergnügen. Ist das klar!“ Ich schüttelte nur fassungslos den Kopf und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien. Immer wieder stemmte ich mich dagegen. Zerrte an seiner Hand. Doch nichts wollte helfen. Nicht einmal als ich ihm kräftig in die Hand biss, wollte er loslassen. Es war, als würde er von all dem nichts spüren. Seine Haut schmeckte salzig, da sie von einer dicken Schicht Schweiß bedeckt war. Tränen traten mir in die Augen, als ich einsehen musste, dass es kein Entkommen mehr gab. Wehrlos ließ ich mich hinter ihm her schleifen bis wir bei seinen vier Freunden angekommen waren. Immer wieder berührte mich eine dreckige Hand von ihnen. Sie sahen sich alle irgendwie ähnlich. Nur einer von ihnen hatte sich den Kopf nicht kahl rasiert, sondern trug einen kurzen Haarschnitt. Seine Haare waren schwarz. Er sah noch recht jung aus. Nicht älter als sechsundzwanzig, schätzte ich. Die Augen waren grün-grau. Es schien ihm etwas unangenehm zu sein mich zu betatschen, doch trotz seines Zögerns ließ er es sich nicht nehmen meine Brust fest in die Hand zu nehmen und sie kräftig zu kneten. Ich stöhnte auf, jedoch nicht aus Lust. Schmerz machte sich an den Stellen breit, die sie rücksichtslos mit ihren Händen ertasteten. Tränen rangen mir über die Wangen. Geschlagen schloss ich meine Augen, hoffte, dass es bald aufhören würde. Ich wollte nicht sehen, welch sexuellen Regungen durch ihre Körper ging, wollte nicht sehen, wie sie einzelne Körperstellen befühlten und sie rücksichtslos plündern wollten. Ein kräftiger Stoß traf mich ohne Vorwarnung. Ich verlor das Gleichgewicht, taumelte und fiel nach hinten.  Hart prallte ich gegen die nächste Wand und wurde da auch noch rücksichtslos gegen gedrückt, als wenn ich noch große Fluchtmöglichkeiten hatte. Unsanft schlug mein Kopf gegen das Gestein. Sterne tanzten vor meinen Augen. Meine Sicht verschwamm leicht, ehe sie sich dann wieder klärte. Etwas Hartes stieß gegen mein Becken, als sich einer der Kerle gegen mich drängte. Eine Hand fuhr zwischen meine Beine, fuhr grob über meine Scham. Erschrocken zuckte ich zusammen. Ein erstickter Laut entwich meinen Lippen.

„Bitte…“, hauchte ich mit zitternder Stimme. Sie sollten aufhören. Ich wollte es nicht. Nie hätte ich gedacht, dass man mich jemals vergewaltigen würde. Bis jetzt war ich eigentlich immer vorsichtig gewesen, aber ich hatte mich um diese Zeit auch nie draußen herum getrieben. Mein Tag war doch auch so schon schlimm genug, musste es denn noch schlimmer werden?

„Na Süße, worum bittest du uns denn?“, raunte mir einer die Worte erregt ins Ohr. Ein feuchter Kuss wurde mir aufs Ohr und dann auf den Hals gedrückt. Doch als sie versuchten meine Lippen zu erreichen, wich ich ihnen aus. Niemals würde ich meinen ersten Kuss von ihnen haben wollen. Sie würden sich meine Unschuld nehmen, doch nicht den ersten Kuss. Der sollte noch immer etwas besonderes sein. Es war zwar kein guter Zeitpunkt um sich darüber Gedanken zu machen, aber er lenkte mich von dem Grauen, welches sich abspielte, ab.

„Bitte hört auf!“, wimmerte ich ängstlich. ‚Ich bin doch noch Jungfrau!‘, schrie ich innerlich, doch sagen würde ich es ihnen niemals. Es würde sie nicht von ihrem Vorhaben abbringen.

„Warum denn? Es gefällt dir doch!“ Erneut fuhr eine Hand zwischen meine Beine und fing an immer und immer wieder über meinen Kitzler zu streichen. Denn trotz der Hose konnte ich die Hand deutlich spüren. Erstickt stöhnte ich gegen meinen eigenen Willen auf. Vorsichtig öffnete ich meine Augen und blickte direkt in Mr. Widerlich´s Gesicht. Ich sah, wie er an seiner Hose nestelte und meine dann ebenfalls öffnete. Verzweifelt versuchte ich ihn  mit meinen Händen fort zu schieben, doch meine Kraft reichte nicht aus. Grob wurden meine Handgelenke gepackt und von den anderen gegen die Steinwand gedrückt, sodass sich der Widerling voll auf mich konzentrieren konnte. Nun war es endgültig vorbei. Schon jetzt sah ich mich gedanklich in einer verlassenen Gasse liegen. Vergewaltigt und dann wie der letzte Dreck weg geworfen. Ich glaubte nicht daran, dass ich lebend aus der ganzen Sache heraus kommen würde. Jetzt wartete ich nur noch darauf, dass er in mich eindringen würde, dass der Schmerz kommen würde, als plötzlich ein lautes Geräusch zu hören war. So als wäre nicht weit von uns etwas zu Bruch gegangen. Die Kerle wurden von diesem Geräusch so sehr abgelenkt, dass ich meine Chance ergriff.

Ich riss mich aus den Griffen, die meine Handgelenke hielten, trat dem Widerling vor mir in die Weichteile, stieß ihn zur Seite und rannte los. Ich rannte so schnell ich konnte, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter mir her. Hinter mir hörte ich die Kerle noch fluchen, bevor ich vernehmen konnte, wie sie die Verfolgung aufnahmen. Sie würden nicht locker lassen, bis sie mich bekommen hatten. Ich saß in der Falle. Schon jetzt konnte ich kaum noch. Keuchend und mit Seitenstichen lief ich um mein Leben. Ohne groß nachzudenken bog ich um die nächste Ecke und rannte die dunkle Gasse entlang. Doch zu spät bemerkte ich, dass es am Ende gar nicht mehr weiter ging. Es war eine Sackgasse. Vielleicht konnte ich jedoch die an der Mauer stehenden Mülltonnen dazu nutzen hinüber zu springen.
Leise fluchte ich. Die fünf Kerle hatten nun wieder aufgeholt. Langsam kamen sie auf mich zu. Ihre Gesichter waren von Wut verzerrt. Bei dem Anblick schluckte ich schwer. Leicht richtete ich mich im Schlamm auf und sah ihnen trotzig entgegen. Ich würde eh nicht mehr lebend hier heraus kommen, also sollte ich mich damit abfinden und meine Angst verdrängen. So würden sie weniger Vergnügen an ihrer Tat haben. Mr. Widerling kam immer näher und näher. Angriffslustig blickte ich ihm entgegen.

„Du bist nicht in der Position uns zu Drohen, Mädchen!“, zischte er böse. Seine Hand griff in mein Haar und riss es schmerzhaft nach hinten. „Ich werde dich schon dafür bestrafen, was du eben abgezogen hast. Wir waren noch nicht fertig gewesen!“ Gewaltsam zwang er mich auf die Knie, dabei legte sich ein dreckiges Grinsen auf seine Lippen. Ich erahnte böses. Das konnte er nicht wirklich ernst meinen!

„Ich rate dir lieber gleich keine Dummheiten mehr zu machen, sonst wird es dir teuer zu stehen kommen!“, warnte mich der Widerling. „Und wenn ich mit dir fertig bin, dann dürfen sich meine Kollegen mit dir Vergnügen.“

„Bitte nicht!“, wimmerte ich und das Grauen lag in meinen Augen. „Bitte!“

„Halts Maul, Schlampe. Du bist nicht mehr, als ein billiges Flittchen! Zuerst macht ihr Weiber uns Kerle geil und dann wollt ihr auf einmal nicht? Das lassen wir uns aber nicht gefallen!“ Ohne Vorwarnung drückte er meinen Kopf in seinen Schoss. Ich spürte seinen Erektion, wie sie sich gegen meine Wange schmiegte. Ich versuchte hilflos zurück zu weichen, jedoch ließ er mir keine Chance.

„Du wirst mich nun verwöhnen oder es knallt. Haben wir uns verstanden?“ Ich schüttelte heftig mit dem Kopf, womit ich mir eine schallende und kräftige Ohrfeige einfing. Meine Wange pochte. Sicher lief sie in diesem Moment rot und blau an. Schmerz zog über meine linke Gesichtshälfte. Erneut wurde ich an meinen Haaren gezogen. Ein schmerzhafter Ruck ging durch mich. Ein Stechen fuhr über meine Kopfhaut und ich schrie laut auf.

„Schnauze!“, zischte der Glatzkopf und erneut fing ich mir eine Ohrfeige ein. Genau auf die selbe Stelle. Es schmerzte, doch blieb ich dieses Mal stumm. Er würde sonst nur wieder und wieder zuschlagen, bis er mich gefügig gemacht hatte.

„So ist es gut. Nun öffne meine Hose und tu was ich dir sage!“, befahl er bissig. Ich zögerte, wollte es nicht tun. Ich hatte doch auch überhaupt keine Ahnung davon. „Mach endlich!“ Trotz seines Tonfalls rührte ich mich nicht. Erneut sauste seine Hand auf mich hinab und traf mich mit Wucht im Gesicht. Durch den Aufprall fiel ich nach hinten und landete unsanft auf dem harten Boden. Langsam beugte sich mein Peiniger zu mir herunter. Seine Hand griff wieder in mein Haar, zog mich leicht hoch.

„Ich verliere mit dir echt die Geduld!“, zischte er verärgert. Ungeduldig zog er mein Kopf wieder in sein Schoss. Wimmernd und zappelnd wandte ich mich in seinem Griff.

„Nein!“, schrie ich aus vollem Hals. „Ich will nicht. Hilfe! So hilf mir doch jemand!“

Tränen liefen unaufhörlich aus meinen Augen. Schluchzend riss ich an seiner Hand, klammerte mich verzweifelt an seinen Armen fest und bohrte ihm meine Fingernägel in die Haut, doch er ließ einfach nicht los. Er zog mich auf die Beine, nur um mir im nächsten Moment noch einmal eine Ohrfeige zu geben. Es war ein so kräftiger Schlag, dass mein Kopf in den Nacken krachte und ich einige Meter weit geschleudert wurde, wo ich dann auf den Boden fiel.

„Ich werde dir schon Respekt bei bringen und dir zeigen wie du dich zu verhalten hast!“, erwiderte er übellaunig. „Hier draußen wird uns auch niemand stören. Keiner würde sich hier her wagen, wenn er auch nur ein bisschen Verstand besitzt. Du bist dumm und naiv unsere Gegend zu betreten und uns dabei begegnet zu sein!“

Vorsichtig betastete ich meine Wange und auch meine Lippe. Ein Stechen ließ mich zusammen zucken. Verschwommen sah ich, wie mein Peiniger auf mich zu kam.

‚Das ist das Ende!‘, dachte ich müde und schloss meine Augen. Ich war so verdammt schwach und die Kraft fehlte mir um mich aufzurichten, geschweige denn aufzustehen. Ich blieb einfach liegen. Aus halb geschlossenen Augenlidern beobachtete ich sein Näherkommen. Gerade hatte mich der Glatzkopf erreicht, als plötzlich ein bestialisches Knurren erklang. Es ließ mich sofort aufhorchen und den Peiniger herumfahren. Ein Windstoß jagte durch die dunkle Gasse und zerrte unaufhaltsam an meinem Haar. Stille erfüllte die Straßen. Nichts war zu hören. Nicht einmal Schritte die näher kamen. Aber da stand er. Ein Fremder in einem grauen Kapuzenpullover. ‚Meine Rettung!‘, atmete ich erleichtert auf. Ich konnte zwar nicht sagen, dass er mir helfen würde. Aber so verrückt es sich jetzt auch anhören mochte. Ich spürte es einfach. Tief in mir drin wusste ich, er war mein Retter.

„An deiner Stelle würde ich das nicht tun“, erklang eine dunkle Stimme. Samtweich und wie flüssiger Honig drang sie in mein Bewusstsein.

„Misch dich nicht ein, oder willst du eine Tracht Prügel, Montero?“, bellte mein Peiniger dem Fremden entgegen. Auch seine Freunde gingen in Angriffsstellung, jedoch wichen sie vor dem Neuankömmling zurück, als würde er gefährlich und unberechenbar sein. Der Kerl war groß und muskulös, wie ich so halb durch den Pulli erkennen konnte. Seine Schultern waren breit und sportliche Kleidung vergrub seinen athletischen Körper. Mehr konnte ich aus der Ferne nicht erkennen. Die Kapuze seines Pullovers war so weit ins Gesicht gezogen, dass dieses problemlos verdeckt wurde. Seine Identität würde mir also verborgen bleiben.

„Lass das Mädchen in Ruhe!“, gab der Junge unbekümmert wieder.

„Lauf, Fremder!“, krächzte ich wie von Sinnen. „Sie werden dich sonst töten!“ Ich wusste nicht warum ich das gesagt hatte, ich wusste nur, dass ich in diesem Augenblick um seine Sicherheit besorgt war. Ihm sollte nichts passieren, nur weil er mir helfen wollte.

„Du hörst es, verschwinde und misch dich nicht in fremde Angelegenheiten, Halbblut!“

„Lass das Mädchen gehen oder ich töte dich!“, ließ er einfach nicht locker. Niemals würde er es mit allen fünf auf einmal aufnehmen können. Das war Wahnsinn.

„Sie gehört mir!“, bellte der Kerl neben mir Besitz ergreifend.

Erneut fegte ein Windzug durch die Gasse und der Platz, da wo eben noch der Kerl mit dem grauen Shirt gestanden hatte, war leer. Ich dachte schon, er wäre gegangen, als mein Peiniger neben mir nach Luft schnappte. Verwundert richtete ich meinen Blick halb auf, da stand der Fremde plötzlich neben mir. Der Glatzkopf brach zusammen und regte sich nicht mehr. Er hatte eine große klaffende Wunde an der Kehle, als hätte man sie ihm mit einem Messer zugefügt. Ich verstand es nicht. Konnte es nicht begreifen. Diese Schnelligkeit. Wie konnte das möglich sein? Mein Gehirn wollte nicht richtig arbeiten. Es verweigerte mir den Dienst. Langsam beugte sich mein Retter zu mir nach unten.  Er schlang seine Arme um mich und zog mich vom Boden hoch, da ich auf seine hin gereichte Hand nicht reagiert hatte. Noch immer war ich ziemlich benommen. Es würde sicher auch noch dauern, bis ich mich wieder so weit gefangen hatte, dass ich klar denken konnte.

„Alles okay mit dir?“, wollte er sanft wissen. Seine Stimme hörte sich dabei so melodisch an, dass ich regelrecht dahin schmolz, ehe ich mich wieder besann und daran dachte, dass er genauso gefährlich sein konnte. Egal ob er mich nun gerettet hatte oder nicht. Fremden durfte man niemals trauen.

„Ja, mir geht es gut!“, gab ich mit brüchiger Stimme zurück. Von meinen Worten noch nicht überzeugt hob er fragend eine Augenbraue und musterte mich aufmerksam. Dann ballte er die Hände zu Fäusten und gab ein leises Knurren von sich, dass einem schlecht gelaunten Hund alle Ehre gemacht hätte.

„Diese Schweine. Das werden sie mir büßen!“

Überrascht über diesen leichten Ausbruch blickte ich ihn aus müden Augen an. Meine Glieder schmerzten. Jedes einzelne von ihnen.

„Es geht mir gut“, versuchte ich ihm klar zu machen. Es stimmte ja auch. Zum Teil. Aber mir war außer den leichten Wunden, Prellungen und blauen Flecken nichts passiert. Er brauchte sich also keine Sorgen um mich zu machen.

„Danke für deine Hilfe. Ohne dich wäre es mir schlimmer ergangen!“ Meine Stimme hörte sich schrecklich an. Mein Hals fühlte sich dafür rau und ziemlich trocken an. Schmerz breitete sich leicht in meiner Kehle aus, als hätte man ein Reibeisen an mir rauf und runter gerieben.

„Gern geschehen. Gott sei Dank hab ich es noch rechtzeitig geschafft. Ich werde dich nun nach Hause bringen.“
„Das ist doch nicht…“, nötig wollte ich gerade sagen, als er mich einfach unterbrach.

„Ich bestehe darauf. Ich will sicher gehen, dass du lebend zuhause ankommst.“
Ich nickte nur widerwillig, da er sich ja nicht abwimmeln ließ. Also ließ ich mich von ihm begleiten.


*














Impressum

Texte: Der gesamte Inhalt aus diesem Buch gehört mir. Kopieren und als sein eigenes ausgeben ist Strafbar und wird dementsprechend bestraft. Also Finger weg!!! ;)
Bildmaterialien: Die Bilder sind aus Google und von mir selbst bearbeitet.
Tag der Veröffentlichung: 26.02.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich lebte für den Moment, in dem ich dich bei mir hatte. Doch ich wusste, unsere Liebe durfte nicht sein! Dieses Buch ist frei entstanden. Einfach weil ich das Schreiben liebe und meinen Lesern eine Freude machen möchte. Diese Idee ist mal was ganz neues!!! Vorsicht keine Vampire in Sicht!!!!

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