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Prolog

Tod und Verderben befielen meine Welt, in der die Dunkelheit auch im Licht wanderte. Wo Schatten hinter jeder Ecke lauerten und Menschen in Verdammnis stürzten. Ich selbst wanderte zwischen Licht und Dunkelheit, nicht sicher, wohin mein Weg mich führen mochte. Ich spürte ein beklemmendes Gefühl in meiner Brust und wie sich eine Faust, gefüllt mit Hass, fest um mein Herz schloss, mich blind für jedes andere Gefühl machte. Ich möchte gerne behaupten, dass ich eine schöne Kindheit hatte und die Welt nicht ganz so düster war, wie ich sie mir ausmalte. Doch die Wahrheit war eine ganz andere. Die Vergangenheit war gepflastert mit verlorenen Seelen und getränkt in Schmerz und Verbitterung. Und lange Zeit hab ich in dem Glauben gelebt, dass es gefährlich war, zu lieben und Menschen in sein Leben zu lassen, aber dann hab ich dich getroffen. Du zeigtest mir, dass es anders sein kann, dass man nicht immer Angst vor der Zukunft haben darf, denn Glück ist vergänglich. Deswegen gebe ich dir hier und jetzt ein Versprechen. Ich bin bereit für dich zu sterben, dir mein Blut zu geben und dich damit am Leben zu erhalten. Meine Welt ist trostlos ohne dich und verliert jede Bedeutung. Früher hätte ich es nie für möglich gehalten, nie geglaubt, dass ich dies jemals für eine Kreatur der Nacht empfinden könnte. Dir verdanke ich so unglaublich viel, dass Worte niemals ausreichen werden, um dir zu sagen, wie tief meine Verbundenheit reicht. Du nahmst mir den Hass, der in meinem Herzen wohnte, und lehrtest mich, nach all den Jahren des Schmerzes, wieder zu lieben. – Dich zu lieben!

 

 

 

7 Jahre zuvor ...

 

 

Sie lauschte den Blättern, die im Wind raschelten, genoss die frische Brise auf ihrer Haut, die sich klamm und eiskalt anfühlte. Ihre Finger zuckten leicht, doch das taube Gefühl in ihrem Körper konnte sie nicht abschütteln. Tief atmete sie die kühle Luft ein und schloss für einen kurzen Moment die Augen, in stummer Hoffnung, der Alptraum würde damit verschwinden. Ein Alptraum, der Wirklichkeit war.
Sie dachte an ihr kleines Mädchen und daran, dass sie niemals die Chance bekam, Sayuri über diese Welt aufzuklären. Es würde kein Morgen mehr geben, dem war sie sich bewusst. Ihr blieb nur noch ein winziger Moment, vielleicht ein letzter verzweifelter Atemzug. Wie sollte sie ihrem Kind jemals von IHM erzählen, von der tiefen Verbindung, an die ihre Tochter sich nach ihrem Unfall nicht mehr erinnerte. Ein harter Schlag auf den Kopf und ausgelöscht war die Erinnerung an ihre Kindheit.
»Hast du tatsächlich geglaubt, deine Sünden würden dich nicht irgendwann heimsuchen?«, vernahm sie seine Stimme, die wie eine kalte Messerklinge ihre Gedanken durchschnitt. Jedes Wort war mit Verachtung und Hass gesprochen. Hass, der sich gegen sie richtete und dem sie nicht entkommen konnte.
»Sieh genau hin, Prinzessin. Du hast das hier zu verantworten.«
Grob packte er sie im Nacken, zwang sie, ihren Kopf zu senken, und den Blick auf ihren Liebsten zu richten. »Deine Entscheidung ist sein Untergang.«
Ergeben öffnete sie die Augen und sah ihren Seelengefährten an. Stumm flehte sie um Verzeihung, denn die Vergangenheit hatte sie beide eingeholt. Ihr Herz blutete bei dem Anblick, wie ihr Mann auf dem Boden kniete und sein Körper in sich gesunken war. Sein weißes Hemd war zerrissen, dreckig und mit seinem eigenen Blut getränkt. Tiefe Wunden zierten seinen Oberkörper, die zwar schmerzhaft, aber für den Vampir noch lange nicht tödlich waren. Mühsam rang er nach Atem, doch nur stockend füllten sich seine Lungen mit Sauerstoff, obwohl er diesen nicht brauchte. Er wollte sich erheben, wollte seine Frau retten, doch die Kraft verließ ihn. Er konnte nichts gegen das Ungetüm ausrichten, dass seine Frau dazu zwang, zu zusehen, wie langsam das Leben in ihm erlosch.
Wütend verzog er das Gesicht und sah hasserfüllt zu seinem Feind auf. In ihm loderte ein Feuer von Dunkelheit, das seine Augen schwarz wie die Nacht schimmern ließ. Der Dämon in ihm erhob sich brüllend, mobilisierte die letzte Kraft und machte sich zum Angriff bereit. Anspannung überfiel seinen Körper und die Schmerzen ließen ihn fast wahnsinnig werden, dennoch musste er einen kühlen Kopf bewahren. Fest grub er die Finger in den Boden. Geduld!
Etwas, das ihm zunehmend schwerer fiel. Ein warnendes Knurren entrang sich seiner Kehle, während sich das Monster, das mit seiner Seele verankert war, in der Iris widerspiegelte. Seine Fänge wurden länger, genau wie seine Klauen, die über den Boden kratzten und die Erde aufwirbelten. Er war längst über den Punkt hinaus, sein Wesen zu verbergen, und es spielte auch keine Rolle mehr. Seine Welt begann bereits unterzugehen und der letzte Rest seines menschlichen Wesens verschwamm, machte immer mehr Platz für das Monster in seinem Inneren.
Ihm war klar, dass er Jasmin nicht mehr retten konnte – die Frau seines Herzens. Ihm fehlte Blut, ihr Blut, denn er hatte es nicht geschafft von ihr zu trinken, bevor der Feind wie eine Gewitterwolke über sie hereinbrach. Verdammt!
Wütend ballte er seine rechte Hand zur Faust und drückte sie auf den Boden. Er hatte versagt. Auf ganzer Linie. Ein Schuh traf ihn im Rücken, drückte seinen Oberkörper auf den Boden, ehe Hände nach seinen Armen griffen und diese schmerzhaft nach hinten bogen, bis sein Körper in einer unnatürlichen Position lag.
»Sieh ihn dir an, Prinzessin!«, sprach der alte Vampir und zeigte verachtend auf ihn. Seine Stimme eine einzige Provokation. »Willst du dein Leben wirklich für ihn geben? Für diesen Abschaum unserer Rasse?«
Stumm blickte die Frau ihren Mann an. Tränen schimmerten in ihren Augen und das Herz blutete für ihn. Sein Anblick war wie eine Qual, die sie peinigte und fast in die Knie zwang. Er hatte ihretwegen so viel Leid ertragen, dennoch kam kein einziger Laut über ihre Lippen. Kein einziges Wort war in der Lage, sie zu retten und das Unheil abzuwenden. Jasmin hatte sich längst entschieden, auch wenn ihre Entscheidung sie beide ins Verderben stürzen würde. Sie war bereit – für Darren.
»Wenn Darren stirbt, dann bist du endlich frei, meine Schöne!«
Kalte Finger strichen zärtlich über ihre Wange, über ihre Kehle und weiter hinab. Sie spürte seine Hände überall auf ihrem Körper, doch ihre Seele blieb davon unberührt. Seine Berührungen widerten sie an, sorgten dafür, dass sich die braunhaarige Schönheit in seinen Armen versteifte und sich ihr Gesicht vor Abscheu verzog.
»Er wird dich niemals besitzen. NIEMALS!«, brüllte eine unbekannte Stimme, als plötzlich das Feuermal auf ihrem Rücken zum Leben erwachte. Ein Sturm tobte in ihrem Inneren, ein kurzes Aufflackern von Widerstand. Die Raubkatze auf ihrer Haut fuhr die Krallen aus und schlug fauchend zu. Reißender Stoff war zu hören und ein Ruck ging durch ihren Körper.
»Verdammte Scheiße!«
Fluchend tastete der alte Vampir nach seiner Wange, an der Blut hinab lief. Ein tiefer Schnitt zog sich queer über sein Gesicht, entstellte ihn und hinterließ bleibenden Schaden. Und obwohl die Raubkatze erneut ihre Pranken nach ihm schlug und ihre Krallen in seiner linken Schulter versenkte, weigerte er sich, die Gefährtin loszulassen.
»Unterlass solche Spielchen, wenn du nicht für den Tod deines Mannes verantwortlich sein willst!«, flüsterte er mit warnender Stimme in ihr Ohr. »Ein einziges Wort und meine Lakaie werden ihm den Rest geben!«
»Ich werde niemals frei sein«, spie sie ihm stattdessen entgegen. »Mein Herz gehört ihm. Wenn Darren stirb, dann sterbe ich mit ihm. Was verbunden ist, kann niemand trennen!«
»Sei keine Närrin, Jasmin. Ist er es wirklich wert, für ihn zu sterben?«
»Er ist alles wert.«
Leicht wandte sie ihren Kopf und sah dem alten Vampir entschlossen in seine rauchgrauen Augen. Er sollte begreifen, dass er nicht gewinnen konnte. Nicht einmal, wenn er ihre beider Leben auslöschte.
»Er ist die Liebe meines Lebens.«
Mit einem Ruck riss sie sich aus seinem Griff und stolperte auf ihren Mann zu, bevor sie vor ihm auf die Knie fiel. Ihre Blicke suchten einander. Liebevoll strich sie Darren über die Wange, betrachtete sein vor Anstrengung verzerrtes Gesicht. Was hat sie nur angerichtet? Der Kummer begann sie zu verschlingen, sich langsam durch ihre Seele zu fressen.
»Ich liebe dich«, hauchte sie erstickt und Tränen liefen über ihre Wangen. Sie wusste, dies war das Ende. Es gab keine Hoffnung mehr, für keinen von beiden.
»Du kleines Miststück!«
Knurrend stürmte der alte Vampir auf die Frau zu, griff in ihr Haar und zerrte sie zurück auf die Füße, fort von ihrem Gefährten. Ein leiser Schmerzlaut entwich ihrem Mund, ächzend folgte sie seinen Bewegungen und versuchte das Ziehen, an ihrer Kopfhaut zu ignorieren.
»Es hätte perfekt sein können, aber du musstest dich ja für diesen Bastard entscheiden!«, fauchte er wütend und stieß seine Fänge in ihre Kehle und den Dolch, den er plötzlich in der Hand hielt, in ihren Leib. Jasmin gab dabei nicht einen Laut von sich, als das glühende Metall ihren Körper durchbohrte und der Vampir gierig von ihr trank. Innerlich sperrte sie sich, sorgte auf diese Weise dafür, dass ihr Blut ungenießbar wurde und den Vampir vergiftete. Es war nicht länger kostbar, sondern eine Sünde, die jeden töte, der davon kostete. Jasmin spürte nur noch am Rande, wie das Leben ihr entglitt und sie die Welt verließ. Nicht einmal den letzten, verzerrten Schrei von Darren hörte sie, als alles in ihr erlosch.

1

»Hab keine Angst vor der Zukunft, meine Kleine. Sie ist nicht so düster, wie du glaubst. Lass dich darauf ein und finde deinen Weg in der Welt, die du so fürchtest«, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf. Hauchzart berührten ihre Worte meinen Verstand und strichen über mich hinweg, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. In letzter Zeit hörte ich sie immer öfters – die Stimme einer Frau. Es verwirrte und ängstigte mich gleichermaßen, so war mir der Klang vertraut, als hätte ich sie schon einmal gehört. Vor Ewigkeiten. Es war meine Mutter, die da zu mir sprach, zumindest bildete ich mir das gerne ein. Doch es war absurd und geradezu unmöglich, denn sie war tot. Du bist vergesslich und eine Träumerin. Deine Eltern sind tot. Sie kommen nicht zurück. Nie wieder. Du bist alleine und du wirst es auch immer bleiben, Dummerchen!, zischte die zynische Stimme in meinem Kopf, die mich immer wieder dazu brachte, an mir selbst zu zweifeln und alles in Frage zu stellen – mein Leben und auch mich selbst. Zähneknirschend ballte ich die Hände zu Fäusten und richtete meinen Blick in den Spiegel. Mit zusammengekniffenen Augen musterte ich mich unzufrieden und stieß ein genervtes Stöhnen aus, bevor ich mir mit den Händen die Haare raufte. Fest krallte ich sie hinein, nur um die Strähnen kurz darauf durch meine Finger gleiten zu lassen.
Ich vergeudete meine Zeit mit so etwas Absurdem, wie die Suche nach dem perfekten Outfit. Dabei wollte ich nicht einmal zu dieser nervtötenden Party, die Solana zu meinen Ehren veranstaltete. Alles in mir sträubt sich bei dem Gedanken daran, doch aus der Nummer kam ich nicht mehr heraus. Meine Freundin kaufte mir meine Ausreden einfach nicht ab. Verdammt!
»Es ist dein Geburtstag, Herrgott nochmal!«, hörte ich ihre Stimme in meinem Kopf. »Man wird nur einmal einundzwanzig. Der Ernst des Lebens beginnt nun für dich!«
Keine Ahnung warum sie so einen Wirbel darum machte. Es war schließlich ein Tag wie jeder andere. Letztes Jahr hatte sie auch nicht so eine große Sache daraus gemacht. Noch immer unschlüssig drehte ich mich vor dem Spiegel hin und her, nicht wissend, was ich von meinem Outfit halten sollte. Ich trug einen schwarzen Rock, der tief auf meiner Hüfte saß und dazu eine weiße Bluse, die bis oben zugeknöpft war. Verflucht! In dieser Aufmachung wirkte ich steif und verklemmt. So konnte ich mich unmöglich im Club blicken lassen. Verärgert zog ich mich wieder aus und warf die Sachen auf den Klamottenberg, der hinter mir auf dem kleinen Sessel thronte.
»Ach verdammt! Ryu, kannst du mir nicht dabei helfen?«
Sanft strich ich mit den Fingern über meine Hüfte, berührte dabei das schlangenartige Tattoo, das sofort zum Leben erwachte. Ein Feuermal, welches mich seit Jahren vor Unheil beschützte, mir das Böse vom Leib hielt und niemals von meiner Seite wich. Nach dem Tod meiner Eltern ist er alles, was mir noch geblieben war.
Sie sind nicht nur gestorben, sie wurden ermordet. Du solltest dir das immer wieder ins Gedächtnis rufen, damit du das niemals vergisst. Die Welt ist nicht nur hell oder dunkel, sie ist voller Monster, die dir nach dem Leben trachten!
Erneut meldete sich die nervige Stimme, die mein Denken und Handeln beeinflusste und meinen Zorn weiter schürte. Ich würde es niemals vergessen, die Tatsache, dass es ein Vampir war, der mir alles genommen hatte, was mir lieb und teuer war. Mein Hass saß tief, doch trotzdem ließ ich Solana in mein Leben. Eine Vampirin, mit der mich eine gemeinsame Vergangenheit verband und die sich in mein Herz gestohlen hatte. Sie war meine beste Freundin und vermutlich die Einzige, die ich nahgenug an mich heranließ, aber gleichzeitig achtete ich penibel darauf, sie nicht zu sehr in mein Inneres blicken zu lassen. In mir brodelte eine Dunkelheit, die ich niemanden zeigen wollte. Ich war verdorben, von Hass zerfressen und nur der Gedanke an den Mörder trieb mich voran. Ich wollte ihn finden und mit eigenen Händen töten, denn das war ich meiner Familie schuldig.
Der Kummer war zurück, genau wie der altbekannte Schmerz, der direkt durch meine Brust fuhr und mein Herz zum Stolpern brachte. Für einen Moment gestattete ich mir die Schwäche, während ich in den Spiegel starrte, aus dem mich eine Frau ansah, die gebrochen und einsam wirkte. Kalte grüne Augen sahen mir aus einem schmalen Gesicht entgegen und das schwarze Haar fiel wellenartig über meine Schultern. Ich sah aus wie eine Mischung von Mom und Dad. Ich hatte ihre Augen und sein rabenschwarzes Haar.
»Ich glaube kaum, dass ich dir in weiblichen Angelegenheiten eine besondere Hilfe bin, Kleines«, brummte der Drache mit kehliger Stimme, während er sich bereits über meinen Körper schlängelte. Das Tattoo begann zu flackern und löste sich von meiner Haut, ehe Ryu in seiner ganzen Pracht über mir aufragte und das Zimmer fast vollständig für sich einnahm. »Ich kann einen Vampir in der Luft zerreißen, aber gewiss habe ich keine Ahnung von Kleidern und Stöckelschuhen.«
Aufmerksam musterte er mich aus seinen dunklen Augen, die im Licht wie kleine grüne Smaragde leuchteten, genau wie die blauen Schuppen auf seinem schlangenartigen Körper. Es war geradezu magisch und zog mich jedes Mal in den Bann. Ryu gehörte zu einer Welt, von der nur wenige etwas wussten, und die um jeden Preis geheim gehalten werden musste. Das Mal des Drachen zog sich von meinem Bauchansatz abwärts, schlängelte sich um mein Becken und kam dort zur Ruhe. Den Kopf hatte er dabei leicht nach oben geneigt, als würde sein Blick wachsam auf mich gerichtet sein.
»Allerdings rate ich dir zu dem blauen Kleid deiner Mutter, es ist elegant und gerade zu passend für den Abend.«
»Meinst du wirkl...«, äußerte ich meine Zweifel, als plötzlich ein lautes Klirren zu hören war, gefolgt von einem dumpfen Geräusch, als wäre etwas zu Boden gefallen. Erschrocken zuckte ich zusammen, ehe ich herum wirbelte und dabei das Gleichgewicht verlor. Stolpernd krachte ich mit dem Rücken gegen den Spiegel, bevor ich zitternd Halt an ihm fand. Keuchend rang ich nach Atem, der Schock saß mir in den Gliedern und sorgte dafür, dass Adrenalin durch meinen Körper pumpe. Der kalte Scheiß stand mir auf der Stirn, während das Herz hart gegen meine Brust klopfte und das Blut in meinen Ohren rauschte, mir für einen kurzen Moment die Orientierung raubte und mich blind für jedes Geräusch machte.
»H-hallo?«, rief ich mit brüchiger Stimme, in der Angst mit schwang, doch es blieb still. Und obwohl alles ruhig blieb, verharrte ich noch einen Augenblick an Ort und Stelle, nicht sicher, was mich in der Dunkelheit der Wohnung erwartete. Ich spürte keine fremde Präsenz, trotzdem hatte ich das Gefühl, nicht länger allein zu sein.
»Ryu?«
Stille. Ich spürte die Anwesenheit des Drachen, spürte, wie er mein Bewusstsein streifte und dann langsam verblasste, bis mir ein Gefühl der Leere entgegenschlug. Fröstelnd stand ich da, starrte in die Dunkelheit des Flurs und schlang schützend die Arme um mich. Ich fühlte mich schutzlos und allein gelassen. Unsicher setzte ich mich in Bewegung, obwohl eine Stimme laut in mir schrie, es nicht zu tun. Ich wollte stark sein, mir die Angst nicht anmerken lassen, doch ich scheiterte kläglich. Leise schlich ich den langen Flur entlang, bewegte mich in Richtung Küche, aus der ich die Geräusche vermutete. Ein kalter Luftzug wehte mir entgegen, lies mich erschauern und bescherte mir Gänsehaut, während der Wind pfeifend durch das Loch drang, das an der unteren Fensterecke aufklaffte. Die Scherben hatten sich großzügig auf der Fensterbank verteilt. Ein kleiner, grauer Stein lag inmitten des Chaos, an dem ein ebenso kleiner Zettel klemmte.

 

 

Ich kriege dich schon bald, kleine Lilie!

2

»Was zum ... ?«
Fluchend sah ich mich in der Küche um und warf einen Blick aus dem Fenster, allerdings konnte ich nichts erkennen. Die Welt war in Finsternis getaucht und wurde nur von den schwachen Laternen an den Straßenecken erhellt. Mir war klar, dass hier ein übernatürliches Wesen am Werk war, nur verstand ich das Warum nicht. Das Herz klopfte noch immer protestierend in meiner Brust, während ich den kleinen Zettel fest umklammerte und zwischen den Fingern zerdrückte. Knirschend biss ich die Zähne zusammen, bevor ich mich vom Fenster abwandte und zurück ins Schlafzimmer ging.
Du kennst das Warum, ertönte die Stimme in meinem Kopf. Die Geschichte beginnt sich zu wiederholen. Stockend blieb ich im Türrahmen stehen und betrachtete stirnrunzelnd das zerknüllte Kärtchen in meiner Hand. Meine Gedanken schweiften ab und ich sah mich in einer kleinen Wohnung, weit weg von der Realität. Ich sah die Frau, die mich großgezogen hatte. Ein Ebenbild meiner Mutter. Doch die Zeit lag lange zurück. Es war eine Vergangenheit, die mich schmerzte und mir einen unangenehmen Stich versetzte. Ich erinnerte mich nicht gerne daran zurück, auch wenn die Momente noch so schön waren. Leicht schüttelte ich den Kopf, um die Erinnerung daran loszuwerden, ehe ich angewidert das Gesicht verzog.
»Ich hab keine Zeit für diesen Blödsinn.«
Vergessen war der Augenblick und die Realität kehrte zurück. Verärgert warf ich das Papier zu Boden und wandte mich meinem Kleiderschrank zu. Ich war bereits spät dran.»Solana wird mich umbringen.«
Aber das spielte keine Rolle. Im Grunde kannte sie mich gar nicht anders. Mit einem schwachen Lächeln nahm ich den Kleiderbügel in die Hand und betrachtete das blaue Abendkleid. Leicht fuhr ich mit den Fingern über die kühle Seide und betrachtete die funkelnden Steine, die am Brustansatz eingenäht waren und im Licht glitzerten. Ich hatte es noch nie zuvor getragen und wollte es eigentlich für einen besonderen Moment aufheben, doch nun war der Zeitpunkt gekommen, es auszuführen. Es würde mich meiner Mutter ein Stück näher bringen. Schwach vernahm ich ihr Parfüm, das an dem Stoff haftete und schöne Erinnerungen weckte. Tief inhalierte ich den Duft, schloss für einen kurzen Wimpernschlag die Augen und gab mich ganz diesem Augenblick hin. Und für einen Moment hatte ich das Gefühl, sie würde neben mir stehen und mir sanft durchs Haar streichen, so wie sie es früher oft getan hatte.
»Du solltest dich beeilen, Sayuri«, riss der Drache mich aus meinen Gedanken und katapultierte mich ins Hier und Jetzt zurück. Verpufft waren die Erinnerungen und das warme Gefühl, das mein Herz berührt hatte. Erneut schüttelte ich den Kopf, um wieder klarer sehen zu können. Ohne noch länger darüber nachzudenken, nahm ich das Kleid vom Bügel, streifte es mir über den Kopf und strich es glatt, bevor ich vor den Spiegel trat und mich ausgiebig betrachtete.
»Sieh dich nur an, Kleines«, schnurrte der Drache anerkennend und unsere Blicke trafen sich im Spiegel. Argwöhnisch musterte ich ihn, verkniff mir aber die Frage, wo er eben gewesen ist. Er war nicht verpflichtet, mir auf Schritt und Tritt zu folgen, doch Ryu bot mir den einzigen Schutz vor der Welt der Untoten und gab mir damit eine gewisse Sicherheit.
»Du bist wunderschön. Deine Eltern wären stolz auf dich, wenn sie sehen könnten, was aus dir geworden ist.«
»Sie sehen mich jeden Tag«, antwortete ich flüsternd und umklammerte die Kette mit den beiden Eheringen, die um meinen Hals baumelte. Eines der wenigen Dinge, die mir von ihnen geblieben war. Das Weißgold fühlte sich kühl zwischen meinen Fingern an und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, es würde meine Handfläche versenken. Eine Hitze überkam mich, sodass ich schwer schluckte und mich zusammen reißen musste, um nicht in Tränen auszubrechen, denn plötzlich überkam mich eine Wehmut, die mich tief ausatmen ließ. Denk nicht so viel an die Vergangenheit, ermahnte ich mich und nahm noch einmal einen tiefen Atemzug, bevor ich mich auf das wesentliche konzentrierte. Ich musste fertig werden. Mit wenigen Handgriffen steckte ich mein rabenschwarzes Haar hoch, sodass nur noch einzelne Haarsträhnen mein Gesicht umschmeichelten. Dann noch ein bisschen Wimperntusche, Lidschatten und Lippenstift und ich war bereit für diesen Abend.
»Die Uhr tickt unaufhörlich«, erinnerte mich der Drache erneut an die Zeit und wies mit einer Kralle auf die Wand.
»Scheiße!«, entfuhr es mir, als ich sah, wie die Zeiger sich immer weiter auf Mitternacht zubewegten. Eilig streifte ich mir die silbernen High Heels über die Füße, griff nach meiner Jacke und der Tasche, ehe ich die Wohnung verließ.

 

 

 

............

 

 

 

Ich ließ den Schlüsselbund um meinen Finger kreisen und ging langsam auf den roten Mustang zu. Das Klackern meiner Absätze auf dem Steinboden klang laut in meinen Ohren wieder, während jedes andere Geräusch verschluckt wurde. Keine Menschenseele war weit und breit zu sehen, was um die Uhrzeit kein Wunder war, dennoch hatte ich das Gefühl nicht allein zu sein. Meine Haut begann zu prickeln und die kleinen Härchen auf meinen Armen richteten sich auf. Ein Windstoß traf mich, wirbelte das Kleid auf, ehe mich etwas im Nacken streifte. Wie kühle Fingerspitzen strich es über meinen Hals und verursachte mir Gänsehaut. Ich erstarrte in meiner Bewegung. Nur für einen kurzen Moment, bevor ich weiter ging. Ich ignorierte das Gefühl und versuchte, nicht die Nerven zu verlieren, obwohl ich in mir den Impuls verspürte, los zulaufen und mich in mein Auto zu flüchten.
»Steig nicht ein!«, erklang eine dunkle Stimme, die wie ein Echo durch meine Gedanken hallte und mich ins Stolpern brachte. Strauchelnd versuchte ich das Gleichgewicht zu halten, was mit den Absätzen gar nicht so einfach war. Mein Herz schlug protestierend gegen meinen Rippenbogen und das Adrenalin jagte durch meine Venen. Alles in meinem Körper war angespannt, weil ich den Drachen nicht wahrnehmen konnte. Er glänzte erneut mit seiner Abwesenheit, ließ mich mit meinen Ängsten alleine. In meinem Kopf malte ich mir bereits die schlimmsten Szenarien aus und überlegte fieberhaft, was ich jetzt tun sollte.
Keuchend entwich der Atem aus meinen Lungen, meine Hände zitterten unaufhörlich, während ich mich langsam im Kreis drehte, mich aufmerksam in der Tiefgarage umsah und meinen Blick über jeden Zentimeter gleiten ließ, doch ich konnte niemanden entdecken. Es war gespenstisch still. Das Einzige, was ich hörte, war das Surren der Neonlampe über meinem Kopf, die flackernd Licht spendete.
Eine unsichtbare Hand legte sich plötzlich auf meine Schulter, hielt mich davon ab, weiter zu gehen, sondern drückte mich stattdessen gegen die Wagentür. Knurrende Laute und dunkle Augen, die mir gedanklich entgegen starrten. Ängstlich erwiderte ich den Blick, von einem Wesen, das zwar nicht vor mir stand, jedoch so präsent wirkte, dass ich wie erstarrt war.
»Zwing mich nicht, dir wehzutun, Sayuri!«, erklang erneut diese Stimme. Dieses Mal noch herrischer. Ein kalter Luftzug traf mich im Gesicht und ich atmete das Aroma nach Wald und Minze ein, das mir seltsam vertraut vorkam. Bevor ich jedoch näher darüber nachdenken konnte, zog ein Schmerz durch meinen Kopf und hinterließ ein unangenehmes Pochen in meinen Schläfen. Wie kleine Nadelstiche attackierte es mich, sodass ich mich Halt suchend am Auto abstütze und halb in die Knie ging. Noch immer spürte ich den Griff der Hand, die fester zudrückte und mich daran erinnerte, dass ein unsichtbares Wesen Besitz von mir ergriff.
Ein leises Wimmern entwich meinen Lippen und die Angst hatte mich fest in ihren Klauen, denn ich musste mich einem unsichtbaren Feind stellen.
»Du irrst. Ich bin nicht dein Feind«, widersprach er sogleich, als hätte er meine Gedanken gehört. »Du weißt, wer ich bin, Kleines.«
Seine Stimme wirkte so vertraut. Ich hatte das Gefühl, sie schon einmal gehört zu haben, nur wusste ich nicht wo. Fieberhaft überlegte ich, was das alles zu bedeuten hatte, doch die Kopfschmerzen hinderten mich daran. Das Blut rauschte mir in den Ohren und das Herz klopfte hart gegen meinen Brustkorb.
»Was ...?«, krächzte ich, bevor meine Stimme brach und nicht mehr als ein Japsen meinen Mund verließ. Das Pochen in meinen Schläfen nahm an Intensität zu und mein Sichtfeld begann zu flackern, ehe schwarze Punkte vor meinen Augen tanzten. Mir wurde ganz heiß und gleichzeitig verspürte ich eine seltsame Kälte in meinem Körper. Ich wollte noch etwas sagen, mich irgendwie gegen den unsichtbaren Griff wehren, doch da sackten mir die Beine weg. Mit dem Kopf schlug ich gegen das Blech der Motorhaube, bevor ich stöhnend zu Boden ging und das Bewusstsein verlor.

 

 

.......

 

 

Ausdruckslos starrte ich ins Nichts, umgeben von Dunkelheit. Die kleine Lampe auf dem Nachttisch war das Einzige, das als Lichtquelle herhielt und gespenstische Schatten an die Wand warf. Ich fühlte mich verloren.
»Du bist nicht alleine, Prinzessin. Ich bin hier, wann immer du mich brauchst, so wie ich es dir versprochen habe«, erklang seine tiefe Stimme in der Stille, sodass ich erschrocken zusammenzuckte und den Kopf in seine Richtung drehte. Diese Momente waren selten, aber immer wenn ich mich besonders einsam fühlte, vernahm ich seinen Klang, das dunkle Timbre, das tief in meinem Körper widerhallte. Seine Worte ließen mein kleines Herz höher schlagen und mich vor Aufregung vibrieren. Ein leichter Windzug streifte mich, gefolgt von einer sanften Liebkosung meiner Wange, die sich wie Finger auf meiner Haut anfühlte.
Seufzend lehnte ich mich der Berührung entgegen. Sie tat so gut und war wie Balsam für meine Seele. Seine Anwesenheit vertrieb die Qualen für einen kurzen Augenblick und schenkte mir Zuversicht. Ich hatte Narben auf meiner Seele, Wunden, die nur schwer zu erkennen waren. Nicht zu wissen, wer ich bin oder was mich als Mensch ausmachte, war etwas, mit dem ich nur schwer klar kam.
Das Bett senkte sich neben mir. Plötzlich hatte ich das Gefühl nicht länger allein zu sein. Zu der Stimme gesellte sich eine Aura, die sich im ganzen Raum ausbreitete. Ich nahm seinen unverkennbaren Duft wahr und die Wärme, die von seinem Körper ausging, obwohl ich noch immer allein auf meinem Bett saß. Da war niemand, zumindest niemand aus Fleisch und Blut. Tief inhalierte ich den Geruch nach Kiefernholz und Minze, schloss dabei die Augen und versuchte, mir vorzustellen, wie er aussehen mochte.
»Du brauchst es dir nicht vorzustellen, denn die Lösung hast du jeden Tag vor Augen«, durchdrang er meine Gedanken und drehte meinen Kopf in Richtung des kleinen Bilderrahmens, der den Nachtschrank zierte.
»Du hast mich vergessen, die gemeinsame Zeit an uns und alles was wir miteinander geteilt haben, aber dass bedeutet nicht, dass ich dich so einfach aufgeben werde, Sayuri. Wir werden uns wiedersehen und neue Erinnerungen schaffen«, prophezeite er mit dunkler Stimme, sodass ein Schauer über meinen Leib lief. Ein letzter, federleichter Druck auf meiner Wange, wie die Berührung einer Handfläche, dann war die Präsenz fort und ich allein.
Nachdenklich starrte ich das Bild an, bevor ich es vorsichtig in die Hand nahm und mit den Fingern zärtlich die Konturen seines Gesichtes nachzeichnete. Ich wünschte, ich könnte mich an ihn erinnern. Seine stahlblauen Augen waren mir so vertraut und ich sah sie fast jede Nacht in meinen Träumen, ohne zu wissen, wer er war und welche Bedeutung er für mich hatte. Sein jungenhaftes Lächeln sorgte dafür, dass mein Herz einen kleinen Hüpfer vollführte. Ich wusste, ich kannte ihn, doch wenn ich mich zu erinnern versuchte, bekam ich höllische Kopfschmerzen und die kleine Narbe an meinem Hinterkopf spannte unangenehm.
»Du siehst dir das Bild oft an«, durchbrach die Stimme meiner Mutter die Stille und riss mich aus meinen Gedanken, ehe sie sich neben mich setzte. Liebevoll strich sie mir vereinzelte Strähnen hinters Ohr und lächelte dabei sanft, doch es erreichte ihre Augen nicht. Ich sah den Schatten in ihrem Gesicht, der unheilvoll über uns schwebte.
»Wirst du mir jemals sagen, wer er ist?«
Es verletzte mich, dass meine Mutter so ein Geheimnis daraus machte und meiner Frage jedes Mal auswich, ehe sie diesen bedauernden Blick bekam, der sich mit Kummer mischte.
»Ja, sobald die Zeit dafür gekommen ist ....«

 

 

.....

 

 

Moms Stimme schwand, genau wie die Wärme, die sich in meinem Herzen ausgebreitet hatte. Ihre sanfte Berührung war eine Erinnerung an das, was ich einmal hatte. Stöhnend blinzelte ich gegen das grelle Licht an. Der Geruch nach Benzin und verbranntem Gummi stieg mir in die Nase und ließ mich vor Ekel würgen. Alles tat weh, fühlte sich träge und schwer an. Scheiße, was ist passiert?
Ich fühlte den rauen Stein unter meinen Fingern, die Kälte, die sich durch meine Haut fraß und mich abkühlte. Mein Körper lag ausgestreckt auf dem Boden und nur langsam kehrte die Erinnerung zurück. Ächzend rappelte ich mich auf, zwang mich auf alle viere. Über mir gab die Neonröhre ein surrendes Geräusch von sich, während der Lichtkegel unruhig flackerte und nur sporadisch Licht spendete. Meine Gedanken waren noch ganz benebelt und nur langsam klärte sich meine Sicht.
Erschöpft lehnte ich meinen Rücken gegen die Autotür und ließ es zu, dass das kalte Metall auf den nackten Rückenausschnitt traf und mir wie ein Schock durch die Glieder jagte. Mein Kopf brummte und ich befühlte die Stelle an meiner Stirn, die Bekanntschaft mit der Motorhaube gemacht hatte. Ich spürte die warme Nässe an meinen Fingerspitzen und vernahm den metallisch süßlichen Geruch von Blut, bevor ich den Beweis auf meinen Fingern sah, die sich rötlich verfärbt hatten.
Verdammt tat das weh. Aber ich hatte keine Zeit, mich auszuruhen. Ich musste los. Ruckartig erhob ich mich vom Boden und schwankte, als sich alles in meinem Kopf drehte. Mit der flachen Hand stützte ich mich am Wagen ab, schloss einen Augenblick die Augen und atmet ruhig ein und aus, bis sich das seltsame Gefühl legte.
»Du solltest nicht fahren!«
Er war noch immer präsent und drückte mit der Silhouette seiner Hand gegen die Wagentür, bevor sein dunkler Blick meinen traf. Mir war klar, dass der Fremde recht hatte, aber ich durfte ihn unmöglich gewinnen lassen. Die Sache mit dem Stolz war etwas Dummes, doch es widerstrebte mir, nachzugeben und mich seinem Wunsch zu fügen.
»Ich warne dich, Sayuri!«, grollte er und seine Stimme war so autoritär und dominant, dass ich fast nachgegeben hätte. Aber nur fast.
»Geh mir aus dem Weg!«, zischte ich. Mit wütendem Blick schlug ich seine Hand zur Seite, riss die Tür auf und schob mich entschlossen hinters Steuer.
»Er hat recht«, vernahm ich nun auch Ryus Stimme, die dem Fremden beipflichtete.
»Das ist mir egal.«
Knurrend startete ich den Wagen, obwohl sich das zittrige Gefühl in meinem Gliedern nicht legen wollte und mich mein benebelter Verstand fast wahnsinnig machte. Alles drehte sich und ließ meine Umgebung verschwimmen. Wütend schlug ich auf das Lenkrad. Ich wollte mir nicht eingestehen, dass es eine bescheuerte Idee war. Tief inhalierte ich die Luft, ließ meinem Körper noch einen Augenblick, um sich zu erholen, bevor ich das Gaspedal durchdrückte und mit quietschenden Reifen die Parkanlage verließ.

3

Seit einigen Minuten stand ich vor dem Club Black Hell und starrte aus dem Fenster, beobachtete die Menge, wie sie wartend vor dem Gebäude stand und hoffte hineingelassen zu werden. Doch heute war geschlossene Gesellschaft. Funkelnde Lichter durchbrachen den Himmel. Alles wirkte luxuriöse und strahlte Glamour aus. Es war keine Welt für mich, trotzdem gehörte ich durch Lana irgendwie dazu. Ich war in etwas hinein gestolpert, das ich zutiefst verabscheute.
»Worauf wartest du?«, hörte ich den Drachen fragen. Seine Ungeduld streifte mein Bewusstsein und versetzte mir einen leichten Ruck. »Du wirst dich nicht ewig hier im Wagen verstecken können.«
Natürlich hatte Ryu recht und ich sollte mich langsam in Bewegung setzen, doch es fiel mir zunehmend schwerer. Irgendetwas sträubte sich in mir und mir kam die Stimme des Fremden in den Sinn. Wird er auch da sein? Diese Frage beschäftigte mich, ließ mich unsicher den Blick über die Menge streifen, obwohl es idiotisch war. Ihn unter den Menschen zu suchen, war wie das pinke Einhorn in eine Pferdeherde zu vermuten. Schwachsinnig!
Tief atmete ich ein und schloss die Augen, in dem Versuch mein Herz zu beruhigen, das hart gegen meine Brust klopfte. Meine Handflächen waren schweißnass und der Atem entwich stoßweise aus meinem Mund. Mir kam es so vor, als stünde ich kurz vor einer Panikattacke.
»Ruhig!«, flüsterte Ryu. »Entspann dich.«
Das sagte sich so leicht. Ich spürte diese Anspannung in mir drin, eine Nervosität, die mich befiel und regelrecht lähmte. Allerdings konnte ich mir nicht erklären, woher diese Gefühle herrührten. Es war schließlich ein Abend wie jeder andere. Scheiß drauf das heute mein Geburtstag war und so ein Wirbel darum gemacht wurde. Keine Ahnung warum einige scharf darauf waren, zu feiern, dass man ein Jahr älter wurde, ich war es jedenfalls nicht. Hinzu kam noch der Vorfall in der Tiefgarage, der mich total durcheinanderbrachte. Der Fremde hätte mich mit Leichtigkeit töten können, aber er tat es nicht. Ich hörte seine Stimme in meinem Kopf, wie sie flüsternd die Worte wiederholte, als wollte er sich auf diese Weise in mein Gedächtnis rufen. Vorsichtig befühlte ich meine Stirn und strich über den kleinen Kratzer, den ich durch den Sturz davon getragen hatte, nur um erschrocken zurückzuzucken. Ein Kribbeln jagte durch meine Fingerspitzen, während ich deutlich fühlte, wie sich die Wunde zu schließen begann. Es brachte mich völlig aus dem Konzept und ließ mich erstarren. Was passiert hier?
Diese Erinnerungen, eine vertraute Stimme, ein unsichtbares Wesen und die Fähigkeiten zu heilen, wie sie normalerweise nur Vampiren vorbehalten war. Etwas Seltsames geschah mit mir. Etwas, das sich mit Worten nicht erklären ließ.
»Du wirst es irgendwann verstehen«, meldete Ryu sich erneut zu Wort. »Es gibt Dinge in dieser Welt, die tiefer reichen, als man mit bloßen Augen sehen kann. So viele Abgründe, die du noch nie betreten hast, Sayuri. Wenn du einen Schritt hineinwagst, dann wird es für dich auch kein Zurück mehr geben. Dem solltest du dir immer bewusst sein.«
»Was meinst du damit?«
»Antworte!«, forderte ich den Drachen auf, als Minuten vergingen und er beharrlich schwieg. Langsam verlor ich die Geduld mit ihm. Erst sprach er in Rätseln und dann lieferte er keine Antworten, wo ich sie doch so dringend brauchte. Wütend schlug ich mit den Handflächen auf das Lenkrad und legte die Stirn auf das kühle Leder. Tief atmete ich ein und aus, bemühte mich, das Chaos in meinem Kopf zu ordnen.
»Ich kann dir darauf keine Antworten geben. Es ist mir verboten. Mein Eid hindert mich, dir noch mehr von dieser Welt zu erzählen, als du ohnehin schon weißt, Kleines.«
Ryus Stimme flutete meinen Verstand und Bedauern schwang in seinen Worten mit. Seine grünen Augen sahen mich direkt an, blickten in meine Seele hinein, wie sie es schon immer getan hatten, doch dieses Mal war der Drache nicht gewillt, mir meine tiefsten Sehnsüchte zu erfüllen. Seine Worte wirbelten noch mehr Fragen auf, aber brachten keine Antworten.
»Na schön«, gab ich mich geschlagen, als die Stille im Auto anhielt und das Schweigen immer unerträglicher wurde. Vielleicht war es besser so, nicht mehr zu wissen, sich nur auf das Wesentliche zu beschränken. Je mehr ich über die andere Welt erfahren würde, desto tiefer wurde ich hinein gezogen. Solana hatte für mich bereits die Regeln ihrer Welt gebrochen. Sie hatte sich zu erkennen gegeben, mich mit Informationen gefüttert und dafür gesorgt, dass ich mich unter ihres Gleichen bewegte, als wäre ich eine von ihnen.
Lässig stieg ich aus dem Wagen, setzte ein gefaktes Lächeln auf und schritt mit erhobenen Kopf auf den Eingang zu. Ich ignorierte dabei die empörten Rufe, die mich beschimpften und mich aufforderten mich hinten anzustellen. Auch die Pfiffe der Männer ignorierte ich, genau wie die gaffenden Blicke, die sich mit Sicherheit an meinen Hintern hefteten. Der Türsteher nickte mir knapp zu, bevor er das rote Sperrband entfernte und mich passieren ließ. Er war groß, breitschultrig und besaß Muskeln, von denen viele Männer nur träumen konnten.
»Danke Dan«, schnurrte ich und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Mit einem, wie ich hoffte, verführerischen Augenaufschlag, sah ich ihn an. »Trinken wir naher einen zusammen?«
»Sorry, aber heute muss ich passen. Du siehst ja selbst, was hier los ist.«
Ja, ich hatte es bereits befürchtet. Heute war wieder die Hölle los. Jeder wollte auf die exklusiven Partys, die von Solana organisiert wurden. Bereits durch die dicke Holztür war die laute Musik zu hören, sodass ich einen Moment wie angewurzelt stehen blieb. Unsicher verharrte ich auf der Stelle, bevor ich mir selbst einen Ruck gab und die Tür zum Club aufstieß, um hinein zu gehen.
Einen Moment blieb ich an der Tür stehen, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt und ließ den Anblick auf mich wirken. Tief atmete ich das süßliche Aroma ein, das in der Luft lag und durch den Nebeldunst erzeugt wurde, der aus den kleinen Düsen im Boden kam. Goldene Lichter schwebten von der Decke und erhellten die Dunkelheit, die fast den ganzen Raum beherrschte und dem Club ein düsteres Flair gab. Genau so, wie es sich für Blutsauger gehörte. Es bot ihnen Schutz, damit sie ungehindert ihrem Trieb nachgehen konnten, ohne von Menschen dabei gesehen zu werden. Ich sollte eindeutig nicht hier sein, weil ich hier nicht hingehörte. Und wieder einmal wurde mir klar, diese Welt war nichts für mich, würde sie niemals sein. Aber Solana zu Liebe tat ich es und sprang über meinen Schatten.
Widerwillig stieß ich mich von der Wand ab, setze mich in Bewegung und steuerte direkt die Bar an, die sich im hinteren Teil des Clubs befand. Wenn ich schon hier sein musste, dann würde ich diese Scharade nicht nüchtern ertragen, das stand fest. Die Bässe schallten laut aus den Boxen, vibrierten in meinem Körper und ließen den Boden unter mir erzittern. Der Beat hatte es in sich und ließ das Herz in meiner Brust heftig wummern, während Kiesza mit kraftvoller Stimme zu singen begann.
Der Geruch von billigem Parfüm und abgestandenen Alkohol stieg mir in die Nase, je näher ich der Tanzfläche kam. Zuckende Leiber, die sich rhythmisch zur Musik bewegten. Sorglos ließen sie sich treiben, genossen ihr Leben und verschwendeten scheinbar keinen Gedanken daran, dass es schon im nächsten Augenblick vorbei sein könnte. Keiner dieser Menschen wusste, in welch tödlicher Gefahr sie sich befanden.
Es sollte mir egal sein, doch stattdessen machte es mich wütend. Dabei gingen mir so viele Fragen durch den Kopf. Fragen, die mich nichts angingen und die ich nicht einmal zu denken wagen sollte, denn ich wollte nicht wissen, warum sie hier waren. Mir war klar, dass die Antwort nichts Gutes verheißen würde. Kopfschüttelnd sah ich dem Schauspiel noch eine Weile zu, bevor ich den Blick abwandte und weiter ging. Sie sollten nicht hier sein, inmitten der Vampire.
»Du auch nicht!«
Diese Stimme. Es durchfuhr mich wie ein Blitz. Ruckartig blieb ich stehen und wirbelte herum, doch hinter mir stand niemand. Natürlich nicht, ächzte die fiese Stimme. Es passiert alles in deinem Kopf. Er spielt mit dir und du lässt dich auch noch darauf ein!
»Du wirst genauso enden wie sie, wenn du nicht sofort verschwindest!«
Seine Worte waren eine klare Warnung an mich. Eindringlich hallten sie in meinem Kopf wieder, wie ein Echo, und füllten meine Gedanken fast vollständig aus. Ich war verwirrt und konnte kaum klar denken, so präsent war der Fremde in meinem Kopf. Ich würde allerdings den Teufel tun, mich diesem Mann zu unterwerfen und seinen Worten folge zu leisten. Es war nicht meine Art, mir Dinge vorschreiben zu lassen. Wüten biss ich die Zähne zusammen und schüttelte mich kaum merklich, in der Hoffnung, das seltsame Gefühl vertreiben zu können.
»Du kannst mich mal!«, zischte ich dem Eindringling entgegen und setzte einen Fuß nach vorne, als mich auch schon ein Ruck nach hinten zog und sich kühle Ketten um meine Handgelenke schlossen. Zumindest fühlte es sich so an, als würden mich unsichtbare Fesseln an Ort und Stelle halten.
»So leicht kommst du mir nicht davon, Engel. Ich schätze es nicht, wenn man meine Warnungen leichtfertig in den Wind schlägt«, konterte er wütend. Sein kalter Atem traf mich im Nacken, während seine Brust sich fest gegen meinen Rücken drückte. Ich konnte ihn zwar nicht sehen, dafür aber deutlich spüren. Federleicht strichen seine Fingerspitzen über meine Wange, liebkosten mich zärtlich und jagten mir einen eisigen Schauer über den Rücken.
»Lass das.«
Fauchend schlug ich seine Hand fort, die mehr einer Silhouette glich, als das sie aus Fleisch und Blut war. Leicht rückte ich von ihm ab, denn ich wollte seine Berührungen nicht, weil sie etwas Seltsames mit mir machten und mein Inneres in Aufruhr versetzten. Langsam kroch die Angst in meine Glieder, während ich mich hektisch umsah, doch keiner nahm Notiz von meiner ansteigenden Panik. Ausgelassen bewegten sich die Menschen weiter zur Musik. Ich wollte mich von der Stelle bewegen, aber er ließ es nicht zu. Ein leises Klirren war zu hören, als würden Ketten rascheln, obwohl es unmöglich sein konnte. Mein Verstand spielte mir einen Streich. Keuchend rang ich nach Atem und mein Puls begann immer schneller zu schlagen. Ich versuchte, mich gegen die Hilflosigkeit zu wehren, doch ich war machtlos.
»Ich habe dir gesagt, ich werde dir wehtun, wenn du dich widersetzt. Das in der Tiefgarage war nur ein kleiner Vorgeschmack von dem, was dich erwarten wird«, vernahm ich wieder die Stimme des Unbekannten, der einfach nicht locker lies. Erneut gingen seine Hände auf Wanderschaft und glitten zärtlich über meinen Körper, umschlangen meine Mitte und drückten mich erneut fest an seine Brust.
»Ich weiß, dass du es insgeheim genießt. Dass du dich nach Nähe und Geborgenheit sehnst. Du willst nicht immer stark sein müssen, sondern dich auch mal fallen lassen können. All das könnte ich dir geben, Sayuri, wenn du es zulässt.«
Seine Worte waren verlockend und rüttelten an der tiefen Sehnsucht und dem Wunsch, der in mir verborgen lag. Ich wollte mich gerne fallen lassen, einfach nur genießen und aufhören zu denken. Aber konnte ich das wirklich tun?
»Lass es zu«, flüsterte er lockend.
Ich konnte nichts gegen die Anziehung tun, die er auf mich ausübte. Ergeben schloss ich die Augen, lehnte mich gegen ihn und genoss den Moment, genoss die Empfindungen, die er mir mit seinen Berührungen schenkte. Es war ein seltsam verwirrender Kontrast zu seinen derben Worten, die mich wie Peitschenhiebe trafen und mir deutlich signalisierten, dass ich mich in einer tödlichen Gefahr befand. Er könnte mich so leicht töten, sein Gesagtes in die Tat umsetzen und ich würde ihm nichts entgegensetzen können.
»Du bist sehr leichtsinnig, Sayuri«, hörte ich ihn dicht an meinem Ohr sagen. »Ich könnte dir zeigen, wozu ich fähig bin, dir meinen Willen aufzwingen und dich zu meiner Marionette machen und du würdest es zulassen!«
Kühl legte sich seine Hand auf meine Kehle, übte leichten Druck aus und drückte meinen Kopf nach hinten, bis ich auf seiner Schulter zur Ruhe kam. Zärtlich liebkosten seine Finger die Haut, strichen über den Kehlkopf und dann über meinen Puls. Die Berührungen fühlten sich kalt an, doch gleichzeitig brannten sie lichterloh und heiß auf meinem Körper, der von Gänsehaut überzogen war.
»W-was willst du?«
Meine Stimme zitterte und klang nicht so kräftig wie gewollt. Leicht wandte ich den Kopf, um ihm in sein Gesicht sehen zu können, obwohl mir durch die Dunkelheit des Clubs nur ein flüchtiger Blick gewährt wurde. Ich wusste nicht, was hier passierte, wie er da sein konnte und doch auch nicht. Alles an seiner Art zog mich an, sodass es mir schwerfiel, mich gegen den Unbekannten zu wehren. Ich lag in seinen Armen, zitterte und hatte leichtes Herzklopfen, weil seine Berührungen so viel tiefer gingen. Er liebkoste nicht nur meinen Körper, sondern auch meine Seele. Dieser Mann löste etwas in mir aus, etwas das noch nie dagewesen war.
»Dich!«
Ein einziges Wort und doch übte es so viel Macht auf mich aus. Mein Puls beschleunigte sich noch weiter und keuchend rang ich nach Atem. Mit großen Augen starrte ich zu dem Fremden auf, blickte in seine dunkle Iris, die silbern zu schimmern begann und für einen kurzen Moment ein kräftiges Blau annahm. Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf erwidern sollte, denn seine Äußerungen waren verdammt unverschämt und provokant.
»Gibt dich mir hin, Engel. Ich weiß, dass du mich willst«, forderte er mich erneut auf und ich hörte das Lächeln heraus – die Provokation, wie er mit mir spielte und glaubte, ich würde es ihm so einfach machen. Seine Worte waren wie eine kalte Dusche und beförderten mich aus meiner Erstarrung. Vergessen waren die schönen Berührungen und Empfindungen, die meinen Körper in Wallung versetzt hatten. Wütend löste ich mich aus seinem Griff und wirbelte zu ihm herum, aber seine Silhouette begann bereits vor meinen Augen zu verschwimmen. Kühle Luft traf mich im Gesicht und verschwunden war der Fremde. Ich hörte sein Lachen in meinem Kopf, wie es durch meine Gedanken hallte, bevor ein stechender Schmerz durch meine Schläfen zog und sich ein unangenehmer Druck aufbaute. Stöhnend hielt ich mir die schmerzende Stelle. Es war wie in der Tiefgarage, nur etwas erträglicher. Dennoch hatte ich das Gefühl, als würde er mit Gewalt in meinen Verstand eindringen und mir sämtliche Sinne rauben.
In mir breitete sich eine Hitze aus, die wie ein Lavakern in meiner Mitte brannte und ein Feuer entfachte, das sich durch jeden Zentimeter fraß und mich was zu versengen drohte. Das Blut in meinen Adern pulsierte, während ich spürte, wie die Kraft durch meinen Körper rauschte und meine Muskeln sich zunehmend anspannten. Meine Fingerspitzen fingen zu kribbeln an und kleine Flammen stiegen unter meiner Haut empor, krochen über meinen Handrücken den Arm hinauf. Mit einem Grollen erwachte Ryu zum Leben, löste sich von mir und bewegte sich Richtung Decke. Seine Augen sprühten Funken und wirkten in dem dämmrigen Licht fast schwarz. Auch die flackernden Scheinwerfer, die über sein Leib huschten, konnten nichts an seiner gefährlichen Ausstrahlung ändern. Er wirkte wie ein tödliches Wesen, das sich bereit machte, seinen Feind mit Haut und Haaren zu verschlingen.
Der Drache war ein Fabelwesen, das von Menschen nicht gesehen werden konnte, dafür aber von Vampiren deutlich wahr genommen wurde. Seine Flammen schadeten den Blutsaugern und hielten sie auf Abstand. Nur törichte Vampire legten sich mit dem Feuerwesen an. Mehrere Blicke gingen in meine Richtung, die mich abfällig musterten, aber die Neugier nicht gänzlich verbergen konnten. Ihre Augen leuchteten in der Dunkelheit und verlieh ihnen etwas Magisches, aber zugleich war es auch beängstigend. So viele Augen, die in verschiedenen Farben schimmerten. In einigen erkannte ich sogar das typische Rot, das immer dann erschien, wenn sie ihrem Durst zu verfallen begannen und Menschen nicht länger nur als Nahrung dienten, sondern auch durch ihre Hand ein Ende fanden.
Angespannt verharrte ich in meiner Position, während meine Augen den Raum abscannten und nach dem Vampir Ausschau hielten. In eine der hinteren Ecken entdeckte ich ihn dann. Seine Gestalt war fast vollständig im Dunkeln verborgen, trotzdem stachen seine eisblauen Augen hervor, die mich unentwegt anstarrten. Und obwohl sein Gesicht zum Großteil im Schatten lag, erkannte ich das arrogante Lächeln auf seinen Lippen. Die muskulösen Arme hatte er vor der Brust verschränkt und seine Beine lässig überkreuzt. Er wirkte, als könnte ihm nichts etwas anhaben. Seine ganze Haltung zeigte mir deutlich, dass er es genoss, mich aus der Reserve zu locken. Doch damit war jetzt Schluss.
»Falsch. Unser Spiel hat gerade erst begonnen, meine Kleine.«
»Hör auf, mit mir zu spielen!«, forderte ich ihn fauchend im Geiste auf. Ich hasste dieses Gefühl, ihm unterlegen zu sein und nicht zu wissen, was als Nächstes passieren würde. In mir brodelte es und ich musste den Impuls nieder kämpfen, zu diesem Mistkerl rüber zu gehen und ihm das Lächeln aus der Visage zu prügeln. Ungeniert betrachtete er mich, ließ seinen Blick über meinen Körper wandern und verzog die Mundwinkel zu einem anzüglichen Grinsen. Seine Augen verdunkelten sich dabei, nahmen einen seltsamen Glanz an und sorgten dafür, dass ich mich unbehaglich fühlte.
Leicht verlagerte ich das Gewicht, ohne mich jedoch von der Stelle zu bewegen, während die Menschen um mich herum noch immer ausgelassen zur Musik tanzten. Gedämpftes Gelächter wehte zu mir herüber, während ich in grinsende Gesichter sah, die sichtlich das Leben genossen. Doch mein Fokus lag die ganze Zeit auf dem geheimnisvollen Unbekannten.
Vielleicht sollte ich zu ihm rüber gehen und den Spieß umdrehen, überlegte ich im Stillen und ging dabei die wenigen Optionen durch, die mir blieben. Im Grunde hatte ich ihm nichts entgegenzusetzen. Was konnte schon ein Mensch gegen dieses Ungeheuer ausrichten? Nichts. Zähneknirschend ballte ich die Hände zu Fäusten und machte bereits einen Schritt in seine Richtung, als Ryus Worte mich zurückhielten.
»Tu es nicht, Sayuri«, vernahm ich seine warnenden Worte. »Er ist ein gefährlicher Vampir und besitzt übernatürliche Kräfte, von denen du nicht einmal weißt. Es ist, als kämpftest du gegen einen unsichtbaren Feind!«
»Aber du bist doch bei mir, was soll mir da schon passieren?«, widersprach ich.
»Du bist nicht sicher!«
Anklagend musterte Ryu mich und schüttelte über meine scheinbare Unwissenheit den Kopf.
»Im Grunde weißt du nichts über diese Welt. Dein Wissen beschränkt sich nur auf einen Bruchteil, was diese Welt betrifft.«
»Geh weiter!«, schob er dann hinterher und versetzte mir einen leichten Stoß, der mir unmissverständlich zu verstehen gab, dass die Diskussion damit beendet war und ich den Weg an die Bar fortsetzen sollte.

4

Genervt stand ich an der Bar und wartete darauf, dass mich der Barkeeper endlich bemerkte. Ungeduldig trommelten meine Finger auf die Theke, während ich die Spirituosen im Regal musterte. Gin, Whiskey, Rum und Weinbrand. Alles in diesen riesigen Flaschen, die verkehrt herum aufgehängt wurden und exakt die richtige Menge für ein Drink ausspuckten. Nur, dass die wenigsten der Gäste dieses Zeug zu sich nahmen. Der rote, edle Verkaufsschlager lagerte in Kühlschränken unter der Theke. Was würde geschehen, wenn er ausging? Ich wollte gar nicht darüber nachdenken.
Meine Laune sank immer weiter auf den Tiefpunkt. Ich musste in diesem Drecksloch verharren, umgeben von Vampiren, weil Solana es sich so wünschte, aber von ihr fehlte jede Spur. Ob ich einfach wieder gehen sollte? Es würde schließlich niemandem auffallen, wenn ich mich aus dem Staub machte.
»Was darf´s sein?«, riss mich eine männliche Stimme aus meinen Gedanken. Ich war etwas überrumpelt. Jetzt hatte ich so lange warten müssen, dass ich erst einmal meine Gedanken sammeln musste. Ich musterte den Kerl hinter der Theke, ließ mir dabei wohl einen Augenblick zu lange Zeit, denn er hob bereits genervt die Augenbrauen.
»Ich hätte gerne ...«, begann ich, als mich plötzlich zwei Hände an der Hüfte packten und auf einen der Barhocker hoben, gefolgt von den Worten »Rutsch rüber, Kätzchen.«
»Einen Bloody Mary!«, bellte der Fremde kurz darauf dem Barkeeper zu und stellte sich dreist an die Bar, genau an den Platz, wo ich zuvor gestanden hatte.
»Sag mal, geht´s noch, du Idiot!«, keifte ich den Kerl neben mir an und griff unsanft nach seinem Handgelenk. Ich wollte ihn zwingen, sich mir zu zuwenden. Der würde sich eine kräftige Standpauke abholen. Ein Stromschlag traf mich und jagte kribbelnd meinen Arm hinauf und dann durch meinen ganzen Körper. Erschrocken zuckte ich zurück und ließ augenblicklich los. Fuck, was war das gerade?
Mit großen Augen starrte ich zu dem Kerl hoch. Blonde Haare, große Statur und eine Menge Muskeln. Doch es war sein Duft, der mich komplett aus der Fassung brachte. Er schaffte es, den Mief des Clubs vollkommen in mir auszublenden. Der Geruch nach Minze, gemischt mit dem von Kiefern, stieg mir in die Nase. Diesen Duft kannte ich und als mein Hirn ihn richtig zuordnete, ließ mich der Schreck nach Luft schnappen.
»Du?«, entwich es mir fassungslos. Er war es, der Fremde aus meinen Gedanken. Die Erkenntnis traf mich mit der Wucht eines Vorschlaghammers und sorgte dafür, dass ich keinen zusammenhängenden Satz mehr Zustande brachte. In dem Moment sahen seine stechendblauen Augen mich direkt an, bevor er das Glas anhob und mir damit zuprostete. Mit einem einzigen Zug stürzte er die dunkelrote Flüssigkeit hinunter und forderte mich damit stumm heraus, als wollte er mich auf die Probe stellen. Angewidert verzog ich den Mund, während es mich bei dem Anblick schüttelte. Ich brauchte nicht fragen, was in dem Glas drin war, der Name und die Farbe reichten aus, um mir alle Antworten zu liefern.
»Überrascht, Kätzchen?«, erwiderte er mit einem tiefen Bariton in der Stimme und stellte das leere Glas zurück auf die Theke. Um seine Mundwinkel spielte ein süffisantes Lächeln und das restliche Blut ließ seine Lippen rötlich im Schein der Lampen schimmern. Ich konnte ihn nur schweigend ansehen, denn es hatte mir noch immer die Sprache verschlagen. Verdammt, ich bin doch sonst auch nicht auf den Mund gefallen.
»Na, Schätzchen, ich warte hier nicht ewig. Was darf es denn nun für ein Drink sein?«
Ich zuckte regelrecht zusammen. Den Barkeeper hatte ich vollkommen vergessen.
»Ähm ...«
»Sie nimmt einen Blue Angel, mit viel Eis und einem Schuss Tonicwater.«
»Kommt sofort.«
Was war das denn? Woher wusste dieser Kerl vor mir, was ich trinken wollte? Und jetzt grinste er mich auch noch an, als hätte er den ersten Sieg eingefahren.
»Das wäre nicht nötig gewesen.«
Verdammt, meine Stimme zitterte. Er lehnte sich gegen die Theke und strich sich mit den Fingern durch die Haare. Ein erstes Zeichen, dass auch er eine gewisse Unsicherheit verspürte? Sicherlich nicht. Sein Lächeln verstärkte seine maskulinen Gesichtszüge noch mehr, aber es zeigte auch seine dolchartigen Fangzähne.
»Wenn du den armen Kerl noch länger hättest warten lassen, wäre er mit Sicherheit festgewachsen. Es war also doch bitternötig. Oder hab ich etwas Falsches für dich bestellt?«
»Nein, hast du nicht«, gab ich zähneknirschend zu. Ich hasste es, ihm Recht geben zu müssen, obwohl ich wusste, dass sich hinter diesem engelsgleichen Gesicht ein Teufel versteckte. Mein Körper tat in seiner Nähe nicht das, was ich von ihm verlangte, wie konnte ich es mir sonst erklären, dass ich diesen Fremden, der mir doch so bekannt war, anstarrte wie eine Verhungernde ein Steak?
Alle Alarmglocken in mir schrillten. Sie schrien mir entgegen, mich nicht von seinem Äußeren täuschen zu lassen. Trotzdem war ich machtlos gegen die Anziehungskraft, sodass meine Augen förmlich an ihm klebten.
Der Barkeeper knallte den Longdrink neben mir auf die Theke.
»Das macht 8 Dollaris.«
Bevor ich reagieren konnte, hielt mein Gegenüber ihm einen Zwanziger hin. »Stimmt so, und jetzt stör uns nicht mehr. Die Lady hat ihre Begutachtung noch nicht beendet.«
Ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Schnell wandte ich den Blick ab und griff nach dem Glas.
»Ich habe selber genügend Geld.«
Er lachte rau und dieses Geräusch jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich schloss die Augen und saugte gierig an dem strohhalb, während sich die Gestalt des Fremden in meine Gedanken zwängte. Langsam ließ ich vor meinem inneren Auge den Blick über sein Gesicht und dann weiter den Hals abwärts gleiten, der in breite Schultern überging. Er besaß kräftige Unterarme, die er lässig auf den Tresen abgestützt hatte und unter seinem weißen Hemd konnte man vage die harten Muskelstränge erahnen. Ob er unter seiner Kleidung genauso zum Anbeißen aussieht, wie es sein Äußeres ist?
Scheiße, was dachte ich da nur über ihn? Diese Gedanken waren völlig fehl am Platz. Ich war von mir selbst geschockt und konnte nichts dagegen tun, dass meine Wangen noch heißer glühten. Ich nahm noch einen Schluck. Mein Verhalten war wirklich beschämend. Ich saß hier, wie ein kleines Schulmädchen und schmachtete einen wildfremden Kerl an, der zudem auch noch genau zu wissen schien, welche Wirkung er auf mich hatte.
»Ein Danke wäre trotzdem passend gewesen. Wo hast du deine Manieren versteckt, Kätzchen? Oder habe ich dir die Sprache verschlagen?«, stieß er lachend aus und fuhr mir neckend mit Daumen und Zeigefinger über das Kinn. »Ich hätte dich für weniger wortkarg gehalten.«
»Lass das!«
Ich ruckte zurück und starrte ihn zornig an. Meine Hand rieb die Stelle, an der er mich gerade noch berührt hatte, weil sie seltsam kribbelte. »Verschwinde einfach zurück in das Loch, aus dem du gekommen bist, Blutsauger!«
Ein kleiner Teil in mir sträubte sich gegen diese Worte. Es fiel mir nicht leicht, sie auszusprechen und es auch so wirken zu lassen, als wollte ich das wirklich. Diese Unterhaltung und der dröhnende Bass des Clubs bereiteten mir Kopfschmerzen. Diese ganze Situation verwirrte mich. Der Fremde verwirrte mich.
»Hat dir den wenigstens gefallen, was du dir in deinem hübschen Köpfchen ausgemalt hast?«, ritt er auf meinem Fauxpas herum und grinste dabei dreckig. Sein dunkler Blick bohrte sich in meinen und sorgte dafür, dass ich mich ein Moment in dem Blau verlor.
»Nein«, stieß ich nach kurzem Zögern aus und schüttelte den Kopf. »Ich denke eher darüber nach, auf wie viele Arten ich dich töten könnte.«
»Interessante Vorstellung, die du da hast, Kätzchen.«
Leicht beugte er sich vor, bis ich seinen kalten Atem auf meiner Wange spürte und die Hitze seines Körpers, die in meine Richtung ausstrahlte. Der seltsame Kontrast von warm und kalt irritierte mich, sodass ich zu spät bemerkte, was er da eigentlich tat.
»Wir beide wissen, dass du lügst«, sprach er dicht an meinem Ohr. »Du kannst nicht leugnen, dass du mich willst.«
»Du bist ganz schön von dir selbst eingenommen, aber du irrst dich«, konterte ich und versuchte, meine Lüge weiterhin aufrecht zu erhalten. »Passt dein großes Ego überhaupt noch durch die Tür?«
Dieser Mistkerl konnte vergessen, dass ich klein bei gab und ihm damit in die Hände spielte. Er wartete nur darauf, dass ich mich verriet und er erneut einen Sieg einstrich, indem er mir Dinge entlockte, die ich tief in meinen Gedanken vergraben hatte. Mit störrischer Miene ging ich erneut auf Abstand, indem ich mich nach hinten lehnte und gleichzeitig mit einer Hand an der Theke festhielt, um nicht vom Hocker zu fallen.
»Willst du wirklich dieses Spiel spielen, Engel?«, stellte er mir eine Frage. »Du weißt, du wirst verlieren. Deine Gedanken sind so laut, dass man sie kaum überhören kann.«
Aber eigentlich wollte er sagen, dass er sie kaum überhören konnte. Dieser miese Kerl hatte sich in mein Verstand geschlichen und mir meine wertvollsten Geheimnisse gestohlen. In mir kochte die Wut über diese Dreistigkeit, doch nach Außen setzte ich eine gleichgültige Miene auf. »Du kannst mich mal, Blutsauger!«
»Mit dem größten Vergnügen. Das ging jetzt doch schneller, als gedacht«, erwiderte er lachend. »Ich komme gerne auf deine Einladung zurück, Kätzchen.«
Was?
»Nein, so war das nicht gemeint.«
Alarmiert richtete ich mich auf dem Hocker auf, hob abwehrend die Hand und drückte sie gegen seine Brust, als er Anstalten machte, näher zu kommen. Der Blutsauger sollte mir bloß vom Leib bleiben. Bist du dir sicher?, flüsterte die Stimme leise in meinem Kopf. Eigentlich willst du es doch. Gesteh es dir endlich ein, dass du vor Verlangen fast zerfließt.

5

Kopfschüttelnd versuchte ich, die Stimme auszublenden und die Worte in meinem Gedanken zu ignorieren, die mir zuflüsterten, dass es ok war, sich seinem Verlangen hinzugeben. Sich zu nehmen, wonach einem der Sinn stand. Meine Handfläche kribbelte seltsam und ich nahm die Wärme wahr, die er ausstrahlte, genau wie den schwachen Herzschlag, der jedoch mehr einem unruhigen Flattern glich. Irritiert runzelte ich die Stirn und schloss die Augen. So viele Dinge glaubte ich über diese Welt zu wissen, doch gerade stellte ich fest, dass nichts davon der Wahrheit entsprach. Vampire waren keine einfühlsamen Wesen. Sie hatten weder Herzschlag, noch verströmten sie Wärme. Das hatte ich zumindest immer angenommen. Wobei das auch nicht ganz stimmte. Solana hatte diese Vorurteile schließlich vor einigen Jahren widerlegt. Wo steckt sie überhaupt?
Leicht drehte ich den Kopf und suchte den Club nach ihr ab. Mein Blick schweifte gehetzt über die Menge und ich wurde immer nervöser, als ich sie nirgends erblickte.
»Sie ist nicht hier!«, beantwortete er meine stille Frage und legte seine Hand auf meine, sodass meine Handfläche noch stärker gegen seinen Körper gedrückt wurde. Zärtlich ließ er seinen Daumen über meinen Handrücken kreisen und versetzte mir damit kleine Stromschläge, die sich durch meinen ganzen Körper bahnten.
»Wie meinst du das, sie ist nicht hier?«
Ruckartig entzog ich ihm meine Hand, bevor ich seinen Blick erwiderte.
»Wie könnte ich es wohl meinen, Kätzchen?«
Seine Augen funkelten belustigt und um seine Mundwinkel spielte ein Lächeln. Der Mistkerl machte sich lustig über mich. Verdammt, ich stellte mich auch wirklich dämlich an. In mir erwachte erneut diese Unsicherheit, die ich in seiner Nähe verspürte. Ich war hin und hergerissen, zwischen dem Wunsch ihm eine zu scheuern und dem Wunsch, herauszufinden, wie das Verbotene schmecken mochte. Erneut griff ich nach dem Glas mit dem Blue Angel und saugte kräftig an dem Strohhalm. Genüsslich schloss ich die Augen und ließ mir den prickelnden Geschmack auf der Zunge zergehen.
»Warum kannscht du nicht einfach gehen und misch in Ruhe lasschen«, nuschelte ich am Strohhalm vorbei, ohne von dem Getränk abzulassen. Ich brauchte den Alkohol jetzt, auch wenn er mir nicht helfen konnte. Ich würde niemals davon besoffen werden, oder lallen, wie es die Menschen üblicherweise taten, wenn sie eine große Menge intus hatten. So viele Dinge waren anders an mir.
»Das liegt daran, dass du nur zu einem Teil menschlich bist«, hörte ich seine maskuline Stimme über die Musik hinweg. Was? Wie meint er das? Ich war doch ein Mensch. Oder etwa nicht? Ganz sicher war ich das.
»Bist du dir da sicher?«
Seine Frage irritierte mich und ergab keinen Sinn. Ich war ein Mensch. Punkt. Und nichts, was er sagte, konnte an dieser Tatsache etwas ändern. Dennoch zweifelte ich. Hat er wohl möglich recht? Bin ich wirklich so anders? Nein, unmöglich. Ich durfte mich von ihm nicht verunsichern lassen.
»Leugne nicht deine Herkunft, sondern akzeptiere, wer du bist!«
»Ich bin ein Mensch«, erwiderte ich bissig und knirschte mit den Zähnen. »Und hör endlich auf meine Gedanken zu lesen!«
»Falsche Antwort!«
Grollend packte er mich im Nacken und drückte zu, bis ich vor Schmerz aufschrie. Mit geweiteten Augen, in denen sicherlich meine Angst zu lesen war, sah ich ihn an. Unfähig mich gegen den Angriff zu wehren. Finster blickte er auf mich hinab. In seinen blauen Iriden loderte etwas Dunkles, das meine Angst noch weiter schürte und mich für einen kurzen Augenblick erstarren ließ, ehe meine Gegenwehr zurückkehrte.
»Ich verliere langsam die Geduld, Sayuri«, ließ er mich mit ruhiger Stimme wissen, die jedoch nicht über die Gefahr hinwegtäuschen konnte, in der ich mich befand.
»Was willst du von mir?«
Zappelnd hing ich in seiner Umklammerung, die unnachgiebig blieb und mich an Ort und Stelle hielt.
»Du weißt, was ich will.«
Knurrend verstärkte er seinen Griff, bog meinen Kopf nach hinten und entblößte meinen Hals. Verzweifelt krallte ich meine Finger in sein Hemd und hielt mich an ihm fest. Die Furcht saß mir in den Gliedern und ließ das Herz heftig in meiner Brust wummern. Ich konnte nichts gegen das Zittern tun, das meinen Körper überfiel und mich regelrecht lähmte. Genauso wenig konnte ich mich gegen ihn wehren, als ich spürte, wie seine Fänge über meinen Hals kratzten und sich brennender Schmerz durch mein Inneres fraß. Ein metallischer Geruch stieg mir in die Nase, ehe ich wahrnahm, wie etwas Warmes meinen Hals hinab lief und meine Haut benetzte. Blut? Etwa mein Blut?
Erschrocken zuckte ich zusammen. Tu etwas! Lass nicht zu, dass er sich nimmt, was dir gehört!, schrie mich meine innere Stimme an und rüttelte mich wach. Mit einem leisen Aufschrei schlug ich nach ihm und traktierte seine Brust mit meinen Fäusten. Ich schlug ihm mehrfach gegen den Arm und auf den Rücken, ohne Erfolg. Mit einem diabolischen Lächeln sah er mich an, bevor er sich erneut über mich beugte und seine Zunge das Blut von meiner Haut leckte und gleichzeitig den Schmerz linderte.
»Ich sag dir jetzt, wie das läuft, meine Kleine«, raunte er dicht an meinem Ohr und umschloss sanft, aber bestimmend mein Kinn. Zwang mich auf diese Weise nicht weg zusehen, sondern mich seinem erbarmungslosen Blick zu stellen. »Wir spielen nach meinen Regeln. Und was ich will, das bekomme ich auch. Immer!«
Langsam ließ er mich los, nur um mit dem Zeigefinger meinen Hals hinab zu fahren und dann mein Schlüsselbein nachzuzeichnen. An der Kette mit den beiden Eheringen blieb er hängen. Leicht strich er darüber und zog fragend eine Augenbraue hoch, doch ich war nicht gewillt, ihm eine Antwort darauf zu geben. Meine Vergangenheit ging ihn nichts an. Zumindest dieses kleine Stück meiner selbst ließ er mir, statt mir auch noch die einzige Erinnerung an meine Eltern zu rauben, die mir geblieben war. Zitternd rang ich nach Atem, während alles in mir angespannt darauf wartete, was er als Nächstes tun würde. Er machte mich nervös. Eine Tatsache, die mir gar nicht gefiel.
»Es ist fast schon zu einfach. Du bietest dich mir regelrecht an, obwohl dein Kopf sich gegen diesen Gedanken wehrt. Du willst das Verbotene kosten, und doch verspürst du eine gewisse Angst davor.«
Obwohl die Musik laut aus den Boxen schallte und der Bass mir in den Ohren dröhnte, konnte ich seine Stimme deutlich hören, als würden die Hintergrundgeräusche gar nicht existieren. Im selben Moment spürte ich, wie etwas meinen Verstand streifte. Die Kopfschmerzen kehrten zurück und zogen durch meine Schläfen, sodass mir ein Schmerzenslaut entwich. Verdammt, was passiert hier mit mir? Diese Schmerzen. Ich ertrage es nicht länger!
»Hör auf!«, stieß ich keuchend hervor, ehe ich meine Hände fest in seine Arme krallte, meine Fingernägel in seine Haut bohrte und den seidenen Stoff zwischen den Fingern fühlte.
»Lass es zu und wehre dich nicht dagegen, denn du kannst nicht verhindern, dass ich in deine Gedanken eintauche und mir nehme, was mir zusteht.«
»Nein. Bitte.«
Ich wusste nicht genau, worum ich ihn eigentlich bat. War es der Wunsch, dass er mich losließ? Oder war es das Bewusstsein, dass er jeden meiner Gedanken hören konnte und sich dreist an meinen Wünschen und Sehnsüchten bediente? Ein ganz kleiner Teil von mir wollte, dass er mich weiterhin festhielt und mir diese Erfahrungen schenkte, von denen ich bisher immer nur gehört hatte. Doch dieser Teil war so winzig, dass ich ihn direkt wieder zum Schweigen brachte. Ich durfte es nicht zulassen. Durfte nicht diesem Verlangen nachgeben und meine selbstauferlegten Regeln brechen. Niemals!
Sanft begann er meinen Nacken zu streicheln und die Spuren seines Übergriffs davon zu massieren, während er mich sicher in seinen Armen hielt. Sein Daumen strich dabei wie beiläufig über meinen rasenden Puls, malte die Stelle nach, an der seine Fänge mich zuvor verletzt hatten. Doch die Wunde hatte sich bereits geschlossen und hinterließ nur noch ein leichtes Ziepen, das sich immer mehr zu einem Kribbeln wandelte.
»Deine Zeit ist abgelaufen, Kätzchen. Wie wirst du dich entscheiden? Wehrst du dich weiter gegen mich, oder beugst du dich meinem Willen?«
Kalt strich sein Atem über meine Wange, als sich sein Gesicht meinem näherte. Seine Lippen waren nur noch wenige Zentimeter von meinem Mund entfernt und ich fragte mich zum wiederholten Mal, wie er wohl schmecken mochte. Wie es sich anfühlte, von ihm geküsst zu werden. Denk nicht einmal daran! Mental verpasste ich mir eine Ohrfeige für diese Gedanken. Er war tabu. Und doch lag ich in seinen Armen und bot mich ihm praktisch an. Stumm sah ich ihn an, unfähig etwas zu erwidern. Es war, als wäre mir die Stimme abhandengekommen. Was stimmt nicht mit mir?
In seiner Gegenwart verhielt ich mich sonderbar. Weniger wie ich selbst. Die Luft zwischen uns begann zu vibrieren und mehrere Lichtfunken tanzten in der Dunkelheit. Gefolgt von einem leisen Knistern, das immer lauter wurde, kurz bevor es in einem Funkenregen explodierte und meine Finger entzündete. Kleine Flammen flackerten auf meinen Fingerspitzen und setzten sein Ärmel in Brand. Glühend heiß fraß sich das Feuer durch den Stoff und hinterließ schwarze Asche, doch keiner von uns schenkte diesem Umstand viel Beachtung. Der Fremde zuckte nicht einmal mit der Wimper, obwohl auch Vampire gegen Feuer nicht immun waren.
Er war mir so nah, dass ich mich ihm nur ein Stück entgegenstrecken musste, und schon würden sich unsere Münder berühren. In mir ließ Ryu ein lautes Knurren erklingen, das seinen Unmut deutlich machte. Der Drache war auf der Hut, bereit jeden Augenblick hervor zu preschen und den Vampir in Stücke zu reißen. Ungeduldig scharrte er mit den Krallen und fletschte die Zähne.
»Wie auch immer du dich entscheidest, ich werde dich in jedem Fall zu der Meinen machen.«
»Nein«, ging Ryu dazwischen, »dass lasse ich nicht zu!«
Seine tiefe Stimme übertönte die Musik, genau wie sein beängstigendes Knurren, das wie ein Donnerschlag in mir widerhallte. Meine Haut begann zu spannen und ein Prickeln breitete sich in meinem Rücken aus. Ich fühlte die Krallen des Drachen, wie sie langsam über meine Wirbelsäule kratzten und den tiefen Rückenausschnitt nachzeichneten. Heißer Atem traf auf nackte Haut, als sich sein Gesicht an meinen Rücken schmiegte. Ich spürte seinen Atem und den Augenaufschlag, wenn sich die Lider senkten und die Wimpern an meiner Haut entlang strichen. Seine Nase drückte sich feucht gegen mich. Einen Augenblick verharrte Ryu so, bevor er sich in Bewegung setzte. Wie eine Schlange umwickelte er meinen Körper und zog mich dann besitzergreifen an sich. Mit seinem Schweif versetzte er dem Vampir fauchend einen Stoß, so das dieser zurücktaumelte. Was zum Teufel geht hier vor sich? Was meint er damit, dass er mich zu der Seinen machen wird? Doch nicht etwa ...?
Überrascht hob ich den Kopf und sah zu dem Drachen auf, dessen Blick jedoch starr auf den Fremden gerichtet war. In seinen dunklen Augen loderte das Feuer, das auch seinen Körper ergriffen hatte und ihn in Flammen setzte. Wie ein Schild umgaben sie unsere Körper und drängten die Vampire zurück. Seine roten Schuppen leuchteten gespenstisch in der Dunkelheit des Clubs.
»Das hast du dir so gedacht, Blutsauger, aber ich muss dir deine Träume zerstören. Sie ist mein Mädchen und ich werde sie dir ganz sicher nicht kampflos überlassen. Ich lasse dich brennen und genieße das Feuerwerk, das meine Flammen auf deinem Körper hinterlassen werden. Dein Schmerz wird mein Genuss sein. Ich werde mich an deinem Leid laben und dir dabei zusehen, wie dich das Feuer verschlingt, bevor ich dir den Rest gebe und deine Gliedmaßen vom Körper trenne.«
»Du kannst mich nicht aufhalten, Drache. Ihr Schicksal ist besiegelt, ganz gleich, was du tun wirst. Sie gehört mir!«
Der blonde Teufel setzte zum Sprung an und Ryu blieb nur der Bruchteil einer Sekunde, um darauf zu reagieren. Fluchend stieß er mich zur Seite, sodass ich mit einem leisen »Uff« auf dem Sitzpolster des Hockers landete. Meine Finger krallten sich dabei Halt suchend am Stoff fest. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie der Blutsauger Ryu hart an der Schnauze traf, bevor sie mit einem lauten Aufschlag zu Boden gingen und er den Kopf des Drachen mit wutverzerrtem Blick hinunterdrückte. Die glatte Oberfläche bekam Risse, die sich wie splitterndes Eis ausbreiteten. Kleine Gesteinsbrocken brachen heraus und verteilten sich um die sich windenden Körper. Ruiniert war der teure Fußboden, der sich wie eine glänzende Spiegeloberfläche durch den ganzen Club zog und nicht eine störende Fuge aufwiese, in der sich der Schmutz festsetzen konnte.
Mein Blick brannte sich regelrecht in diese Szenerie. Es war wie eine schlechte Broadwayinszenierung. Wie zwei Alphas rangen sie miteinander, während ich sprachlos zusah und mich dabei fragte, ob ich im falschen Theater gelandet war. Als wäre das nicht schon die Spitze des Eisbergs, setzte auch noch eine Rockballade ein, die durch die Boxen schallte und die Situation noch weiter anheizte. Das ist doch ein schlechter Scherz.
Wütend sah ich zu den Lärmmachern hinauf und verfluchte sie im Geiste, weil sie nicht gerade dabei halfen, das Testosteron herunterzufahren. Etwas umständlich rappelte ich mich auf, hielt mich an der Theke fest und überlegte fieberhaft, was ich tun konnte, um dem Ganzen ein schnelles Ende zu bereiten. Der Abend lief aus dem Ruder. Eine Schlägerei stand nicht gerade auf meiner To-do-Liste der Dinge, die ich mir an meinem Geburtstag erhoffte. Verdammt. Verloren stand ich an der Bar, fuhr mir mit den Händen durch das Haar, das vermutlich einem Vogelnest glich, und versuchte dabei, nicht die Nerven zu verlieren. Tu etwas!, schrie mich meine innere Stimme an. Was denn?, brüllte ich mindestens genauso laut zurück.
»Du bekommst sie niemals!«, donnerte Ryu mit tödlicher Stimme. Mit seinen Krallen packte er den Vampir an der Kehle und bohrte ihm die Nägel tief in die Haut, sodass Blut aus den Wunden trat. Das Feuer des Drachen schlugen empor und sprangen auf den Fremden über, sodass dieser in Flammen stand, die sich langsam durch seine Kleidung fraßen, Löcher hinein brannten und schwarze Male auf seiner Haut hinterließen. Wie seltsame Schriftzeichen krochen sie über seine Arme und verschwanden dann unter dem Hemd.
»Das ist nicht deine Entscheidung!«, spie der Vampir mit hasserfüllter Stimme. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, die immer wieder auf Ryu einschlugen. Blut spritzte aus seinem Maul, was den Drachen nur noch wütender machte. Knurrend drückte er fester zu, holte aus und schleuderte den Vampir durch den ganzen Raum, ehe er ihm nachsetzte und sich wie ein wildes Tier auf seine Beute stürzte. Ich hatte ihn selten so in Rage gesehen, doch nun spürte ich seine Wut in jeder Faser meines Körpers, als wäre es meine Eigene.
Mehrere Gläser zerbrachen, Scherben flogen durch die Luft und die Spirituosen ergossen sich großzügig auf dem glänzenden Fußboden. Tische und Sitzmöbel wurden umgeworfen, bevor Bewegung in den Club kam. Lautes Geschrei erklang, gefolgt von hektischem Trampeln, als die Menschen in Panik gerieten und sich fast gegenseitig über den Haufen rannten. Wie gehetzte Rehe rannten sie dem Ausgang entgegen, denn keiner von ihnen verstand, was hier gerade geschah. Niemand sah den Drachen, nur einen Mann, der durch den Raum befördert wurde, als wäre er von einer mystischen Macht besessen. Es wirkte selbst für mich unreal. Und für einen klitzekleinen Moment spielte ich mit dem Gedanken, den Menschen nach draußen zu folgen, doch ich konnte nicht. Wie versteinert stand ich da, die Augen auf das Geschehen gerichtet.
Dunkle Nebelschwaden stiegen aus dem Boden und breiteten sich aus, verschleierten alles, bis auch der letzte Rest an Helligkeit verschluckt wurde. Die Temperatur im Club sank, ließ mich frösteln und bescherte mir eine Gänsehaut, die sich langsam über meine Arme schlängelte und dann meinen Körper vollständig bedeckte. Nur noch die Lampen der Bar warfen einen schwachen Lichtkegel in den Raum, ansonsten lag alles in Finsternis.
»Flieh!«, zischte der Drache mir gedanklich zu. »Ich werde ihn nicht ewig aufhalten können. Verschwinde, solange du es noch kannst!«
Fliehen? Wieso?
Verwirrt stand ich da, ohne mich von der Stelle zu bewegen. Ich wusste, ich sollte seiner Aufforderung nachkommen, nur konnte ich es nicht. Was wird geschehen, wenn ich einfach gehe? Wird einer von ihnen dann den Tod finden?
Unsicher griff ich nach dem Cocktail und hielt das kühle Glas zwischen meinen Fingern, die sich klamm anfühlten. Zitternd hob ich das Getränk an meine Lippen und nahm einen Schluck, als könnte mich die Flüssigkeit beruhigen. Bei jedem Krachen zuckte ich zusammen, als auch noch ein knackendes Geräusch hinzukam, pflanzten sich Schreckensbilder in meinen Kopf, bei denen ich am liebsten die Augen fest zusammenkneifen wollte.
»Du solltest dem Ganzen ein Ende setzen, Schätzchen, bevor sie den Club vollständig demolieren«, sprach mich der Barkeeper an, sodass ich vor Schreck zusammenzuckte und in seine Richtung sah. Ich öffnete den Mund bereits für eine Erwiderung, schloss ihn aber kurz darauf, weil mir nichts Gescheites einfallen wollte. Was hätte ich auch sagen sollen?
Ohne ein weiteres Wort nahm mir der Kerl das mittlerweile leere Glas aus der Hand und stellte mir ein neues hin.
»Geht aufs Haus«, erwiderte er knapp, ehe er sich abwandte und die anderen Gäste bediente. Mehrere Bloody Mary´s gingen über die Theke, während mich immer wieder neugierige Blicke trafen, die sich jedoch schnell in Abscheu wandelten. Betonbrocken fielen von der Decke und krachten auf den Boden, sodass sich tiefe Löcher in der glatten Oberfläche bildeten und die Spachtelmaße darunter hervorbrachten. Putz rieselte von den Wänden und zerstörte die kunstvollen Malereien.
»Ein Mensch ist für dieses Chaos verantwortlich!«, vernahm ich eine weibliche Stimme, die vor Abscheu nur so triefte. »Dieses minderwertige Geschöpf hat in unserer Welt nichts zu suchen. Dafür sollte man sie abschlachten.«
»Pscht, Roxane«, mahnte eine weitere Stimme. Ich spürte, wie sich die Blicke regelrecht in meinen Rücken bohrten und mich voller Verachtung betrachteten. »Wenn dich Dashian so reden hört, wird diese Menschenfrau deine kleinste Sorge sein!«
»Pah, als ob sie irgendeinen Richtwert für ihn hätte. Diese Frau ist nicht mehr, als eine Blutbank, von der er ablassen wird, sobald sie seinen Durst gestillt hat.«
Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten, drehte mich aber nicht um. Ich durfte ihre herablassenden Worte nicht an mich heranlassen. Für sie waren wir Menschen nur laufende Blutkonserven, ohne Bedeutung oder Wert. Es wäre töricht, mich auf einen Streit einzulassen, den ich auch noch verlieren würde.
Langsam lichtete sich der Nebel und gab den Blick auf die totale Zerstörung preis. Direkt inmitten des Chaos thronte der Drache. Mit gefletschten Zähnen drückte er den Vampir zu Boden und krümmte seine Krallen, bereit ihm den Rest zu geben. Offene Wunden zierten den Körper des Fremden und ein tiefer Schnitt zog sich über seine Wange, der jedoch zu heilen begann. Das weiße Hemd war mit seinem eigenen Blut getränkt und verfärbte sich bereits in einem dunklen Rot. Mein Herz zog sich bei diesem Anblick schmerzhaft zusammen und das Atmen fiel mir schwer. Keuchend stützte ich mich an der Theke ab und hielt mir die andere Hand vor den Mund, um nicht laut zu schreien. Es sollte mir egal sein, dass der Fremde den Tod fand, aber irgendetwas schrie mich an, dazwischen zu gehen. Ich muss etwas tun.
Wie von selbst trugen meine Beine mich zu den beiden, bevor ich sanft meine Finger um die Pfote des Drachen schlang und ihn ansah.
»Ich flehe dich an, Ryu. Tu es nicht, verschone sein Leben.«
»Warum?«
Grollend sah er auf den Blutsauger hinab. In seinen Augen war kein Erbarmen, nichts, was darauf hindeutete, dass er für dieses Geschöpf so etwas wie Mitgefühl empfand.
»Weil ... weil ich etwas für ihn empfinde«, hörte ich mich selbst sagen. Was? Irritiert ließ ich Ryus Pfote los. Mit geschocktem Blick sah ich zwischen den beiden hin und her, während sich das Gesagte fest in mein Gedächtnis brannte und ich erst jetzt die Tragweite meiner Worte verstand. Triumphierend lächelte der blonde Teufel, als hätte er erneut einen Sieg eingestrichen. In gewisserweise hatte er das. Mein Geständnis war wie eine Beichte und verkündete, dass ich endgültig den Verstand verloren hatte.

6

»Endlich fängst du an, dir nicht selbst im Weg zu stehen.«
»Verwechsel mein Mitgefühl nicht mit Liebe, Blutsauger«, konterte ich und versuchte Schadensbegrenzung zu betreiben. Doch egal was ich sagte, das Lächeln verschwand nicht aus seinem Gesicht. Dieser Mistkerl hatte mich da, wo er mich haben wollte, und ich war blindlings in seine Falle getapt. In mir brodelte die Wut und ich verspürte Abscheu gegenüber diesen Wesen, trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass sich mein Herz für diesen Mann erwärmte. Ein Umstand, der mich durcheinanderbrachte.
Ich empfand etwas dabei, wenn ich ihn ansah. Wenn er mich berührte und mir dabei leise Dinge ins Ohr flüsterte, die mich reizten und gleichzeitig wütend machten. Ich wusste nur nicht, wie tief diese Empfindungen reichten. Es war lange her, dass ich mein Herz für mich sprechen ließ. Der Tod meiner Eltern hatte mich abgestumpft und hart werden lassen. In meinem Leben war keinen Platz für Gefühle. Aber er ist dir wichtig. Wichtig genug, um sein Leben zu verschonen. Du hast dein Herz für ihn geöffnet und dich damit selbst verraten!, fauchte die zynische Stimme in mir und verpasste mir mental einen kräftigen Stoß, der mich innerlich erschütterte.
»Dein Herz gehört mir, meine Kleine. Dein Geständnis ist der Beweis dafür«, vernahm ich erneut seinen tiefen Bariton. Seine Augen sahen mich dabei eindringlich an. Das dunkle Blau seiner Iriden nahm mich gefangen. Ich verlor mich in ihnen, sah hinein in die Tiefen seiner Seele und fühlte die Dunkelheit, die ihn umgab. Aber ich fühlte auch Wärme. In meinem Kopf formten sich Bilder, von einem kleinen Mädchen, das sich lachend in seine Arme warf und von ihm durch die Luft gewirbelt wurde. Ich spürte ihre Fröhlichkeit, als wäre sie ein Teil von mir. Was für ein kranker Scheiß geht hier ab?
Verwirrt blinzelte ich und taumelte ein Schritt zurück. Die Bilder verschwanden, doch sie hinterließen einen bitteren Nachgeschmack in meinen Gedanken und plagten mich, weil ich das Gefühl hatte, sie zu kennen, sie schon einmal gesehen und vielleicht sogar selbst erlebt zu haben. Etwas hämmerte gegen meinen Verstand, rüttelte an dem Schloss, das meine Erinnerungen gefangen hielt und mich daran hinderte, mich zu erinnern. »Was hast du mit mir gemacht? Rede!«
Wütend kniete ich mich neben ihn und zog den Dolch aus seinem Versteck an meinem Oberschenkel, bevor ich ihm das kalte Metall gegen die Kehle drückte. Meine Hand zitterte dabei unkontrolliert und Schweiß benetzte die Handinnenfläche. Ich hatte Mühe, die Klinge festzuhalten. Sie drohte mir aus den Fingern zu gleiten. Verdammt, ich bin keine Mörderin. Ich kann das nicht. Und das wusste er. Sein wissender Blick verriet ihn. Fest biss ich die Zähne aufeinander und gab ein leises Knirschen von mir.
»Du musst dich vollständig erinnern, um es zu verstehen«, war alles, was er mir als Antwort gab. Eine Antwort, mit der ich jedoch nichts anfangen konnte.
»Nenn mir einen guten Grund, warum ich dir nicht auf der Stelle diesen Dolch durchs Herz rammen sollte.«
Seine Mundwinkel zuckten, als würde er sich ein Lachen verkneifen, ehe er mit zwei Fingern die Klinge von seinem Hals wegführte und dann aufstand, als wäre nichts gewesen. Doch ich war nicht gewillt nachzugeben. Zornig folgte ich seinen Bewegungen und drückte ihm erneut das Metall gegen den Kehlkopf.
»Wir beide wissen, dass du dazu nicht in der Lage bist.«
»Ach nein?«
Trotzig drückte ich die Waffe fester gegen seine Haut, sodass sie in sein Fleisch schnitt und sich ein rotes Rinnsal den Weg über die Klinge suchte. Das Lächeln auf seinen Lippen verschwand jedoch nicht, obwohl die Haut sich rötlich unter der Silberklinge verfärbte und ihn verwundbar machte. Seine Augen funkelten amüsiert.
»Du glaubst, du kannst mich töten?«, spottete er belustigt, bevor er sanft meine Hand umschloss und sie zu seinem Herzen führte. Es brauchte nur einen Stich, ein leichter Druck und ich konnte sein Leben hier und jetzt beenden. Wie erstarrt blickte ich auf die Stelle, zögerte den Moment hinaus und ließ, die vermutlich einzige Chance verstreichen, ihn zu töten. Aber ich konnte es nicht. Grimmig kniff ich die Augen fest zusammen und ließ die Waffe sinken, bevor sie mit einem leisen Klirren zu Boden fiel und ich wie versteinert da stand. Das Herz klopfte heftig in meiner Brust und ein Zittern erfasste meinen Körper. Ich war geschockt und konnte nicht glauben, was hier geschah.
»Sieh mich an, Sayuri!«, forderte er mit tiefer Stimme, bevor er eine Hand unter mein Kinn schob und meinen Kopf anhob, bis wir uns in die Augen sahen. »Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit, die uns beide geprägt hat. Jeden auf seine ganz eigene Weise. Du musst dich nur wieder daran erinnern, Prinzessin. Erinnere dich, wer ich bin und wer du warst.«
Tief drangen die Worte in mein Inneres, umwickelten meine Seele und beschworen eine Sintflut an Bildern herauf, die durch meinen Verstand jagten. Höllische Kopfschmerzen waren das Resultat, sich erinnern zu wollen. Bruchstücke meiner Vergangenheit blitzten auf und verschwanden dann wieder. Nichts blieb lange genug, um es greifen zu können. Es war, wie ein Film, der vorgespult wurde und von dem man nur vereinzelte Szenen wahrnahm, bevor sie einem aus dem Gedächtnis fielen und nicht mehr als verschwommene Bilder zurückblieben. Warum ist ihm das so wichtig, was einmal war?
Es gab Dinge in meiner Vergangenheit, die ich für immer hinter Türen verschlossen halten wollte. Ich wusste, dass er nicht davon sprach, sondern von etwas anderem. Als würde die Erinnerung daran die Schmerzen heraufbeschwören, fing die Stelle an meinem Hinterkopf an zu pochen. Die Narbe begann zu ziehen und ich musste den Impuls niederkämpfen, darüber zu streichen, wie ich es normalerweise tat, wenn die Leere mich quälte, weil ich das Gefühl hatte, einen wichtigen Teil meiner selbst zu vermissen. Mein Leben bestand aus jede Menge Leid und großen Schuldgefühlen, an denen meine Taten schuld waren.
»Es ist wichtig, dass du dich besinnst«, ließ er nicht locker und griff sanft nach meinem Arm, als ich einen Schritt vor ihm zurückwich, und folgte meiner Bewegung, so dass wir dicht voreinander standen. Ich konnte seinen Atem spüren, wie er federleicht über mein Haar strich, während mich sein Duft einhüllte und ganz benommen machte.
»Ich bin euch Mördern keine Rechenschaft schuldig. Genau so wenig werde ich mir etwas von euch sagen lassen. Ihr tötet Menschen und glaubt die Welt gehört euch«, zischte ich, hielt mir dann aber erschrocken die Hände vor den Mund. Das hatte ich nicht sagen wollen. Mit großen Augen sah ich ihn unsicher an. Ich hatte mich von meiner Wut leiten lassen.
»Wiederhol das nochmal!«, grollte er gefährlich leise und sein Blick verhieß nichts Gutes. Seine Finger bohrten sich in meinen Rücken, während mich seine Hand vorwärts schob, dichter auf ihn zu, bis sich unsere Körper berührten und ich hart gegen seine Brust gedrückt wurde. Mit den Händen stützte ich mich an ihm ab, versuchte, irgendwie den Abstand zu wahren, obwohl es ein unmögliches Unterfangen war. Ich spürte seine Wärme unter meiner Handfläche und das Flattern seines Herzens. Genau wie das Heben seines Brustkorbs, wenn er einen tiefen Atemzug nahm und die Luft in seine Lungen inhalierte, als wäre sie lebensnotwendig.
»Ihr seid nichts als Mörder«, wiederholte ich meine Worte. Ich konnte sie ohnehin nicht mehr zurücknehmen, also konnte ich ihm genauso gut die schonungslose Wahrheit direkt ins Gesicht sagen und ihm damit deutlich machen, was ich von den Nachtwesen hielt.
»Du irrst dich!«
Wütend knirschte er mit den Zähnen und schob sein Gesicht dicht vor meines. Ich konnte seinen kühlen Atem auf meinen Lippen spüren, während das Blau seiner Iris immer dunkler wurde, bis es einem Schwarz glich. Sein Körper verspannte sich merklich, als müsste er den Impuls niederkämpfen, mich für meine Aussage zu strafen, denn meine Erwiderung machte ihn zornig.
»Offensichtlich kennst du unsere Gesetze nicht.«
»Warum sollte ich auch?«, konterte ich trotzig und schob das Kinn vor. Ich würde mich von ihm nicht einschüchtern lassen.
»Es ist uns verboten, Menschen zu töten. Wir trinken von ihnen, wir rauben ihnen die Erinnerung daran, aber wir nehmen ihnen nicht das Leben. Jeder der die Gesetze bricht, wird von mir mit dem Tod bestraft.«
»Er ist ein Gesetzeshüter«, flüsterte Ryus Stimme mir im selben Moment zu. Der Drache hatte sich nach meinem Eingreifen kommentarlos zurückgezogen und dabei wütend die Zähne gefletscht. »Wie du weißt, muss diese Welt vor Menschen geheimgehalten werden, um sie nicht zu gefährden, und gleichzeitig darf das Gleichgewicht nicht zu Schaden kommen.«
Ich hatte schon mal von ihnen gehört - den Gesetzeshütern. Auch wenn mir noch nie einer begegnet war. Es gab nicht sehr viele von ihnen. Ich wusste auch kaum etwas darüber, nur dass sie in der Unterwelt so etwas wie die Polizei in meiner Welt waren. »Du magst vielleicht nicht mehr töten, aber mit Sicherheit hast du es einmal getan.«
Ich konnte es nicht lassen, mich auf dünnes Eis zu begeben und diesen Vampir zu reizen. Ich musste wirklich verrückt geworden sein, aber ich wollte nicht glauben, dass er eine reine Weste besaß und doch in seiner Welt gefürchtet wurde. Die kurzen Gesprächsfetzen der anderen und die Warnung von meinem Drachen sagten alles, was er selbst vor mir verbergen wollte.
»Es wird verdammt viel Arbeit, dich vom Gegenteil zu überzeugen, Kätzchen.«
Seufzend strich er mit seinem Daumen über meine Unterlippe und sah mich dabei schon fast liebevoll an.
»Du kämpfst so verzweifelt gegen mich an, dabei bin ich nicht dein Feind, Prinzessin. Leugne ruhig deine Herkunft und verdränge die Vergangenheit an uns, aber du kannst nicht davor weglaufen, wer du bist.«
Wie meint er das jetzt schon wieder? Was für ein Spiel spielt der Mistkerl mit mir?
»Und soll ich dir noch ein Geheimnis verraten?«, flüsterte er verschwörerisch an meinem Ohr und strich mit seinem Zeigefinger eine brennende Spur über meine Wange, die sich bis tief in mein Inneres fortsetzte. »Ich teile nicht gerne, Sayuri. Ich rate dir also, den Männern keine schönen Augen zu machen, sonst kann ich für nichts mehr garantieren.« Woher?
»Du vergisst, dass ich all deine schmutzigen Gedanken und Taten kenne, die diese Menschen betrifft, die du zu deinen Schachfiguren machst.«
Heiß schob sich seine Hand in meinen Nacken, bevor er seine Lippen fest auf meine presste und mir einen Kuss raubte, der nichts mit Leidenschaft zu tun hatte. Es war eine reine Machtdemonstration, die mich auf meinen Platz verweisen sollte. Hart und unnachgiebig nahm er mich in Besitz, raubte mir die Sinne und sorgte dafür, dass ich alles um mich herum vergaß. Wie Stromschläge jagten seine Berührungen durch meinen ganzen Körper und hinterließen ein Kribbeln in meinem Unterleib. Ich war so überrumpelt von seinem Übergriff, dass ich nichts weiter tat, als den Kuss zu erwidern und mich gegen ihn zu lehnen.
Langsam lockerte er seinen Griff und ersetzte ihn durch sanfte Liebkosungen seiner Finger, die mich streichelten und in mir kleine Schauer der Lust verursachten. Der Druck seiner Lippen wurde schwächer, der Kuss damit sanfter und die Berührungen noch intensiver.
»Du bist wunderschön«, murmelte er und sein Atem strich über meine erhitzte Haut. Der Moment wirkte so intim, dass mir ganz schwindelig wurde. Zärtlich umfing er mein Gesicht mit seinen Händen. Seine Augen sahen mich dabei einen Moment so an, als würde ich ihm die Welt bedeuten. »Du hast das Temperament deiner Mutter und ihre Schönheit, obwohl du das Ebenbild deines Vaters bist. Nur die grünen Augen hast du von Jasmin.«
Ich hörte seine Worte, verstand auch die Bedeutung, und doch war ich unfähig darauf zu reagieren. Er versetzte mir damit einen Stich des Schmerzes, sodass ich nach Luft schnappte und die Augenlider kurz senkte.
»Das ... das ist unmöglich ...«, flüsterte ich erstickt. »Du ... du ...«
Meine Sätze waren nicht mehr, als ein unverständliches Stammeln, weil ich die Worte kaum auszusprechen vermochte. Irgendwie war mir die Fähigkeit abhandengekommen, mehr als zwei Wörter aneinanderzureihen und verständliche Sätze zu formen.
»Ich sehe so viel Schmerz in deinen Augen. Was zum Teufel ist passiert, seitdem ich weg war?«
Stumm schüttelte ich den Kopf. Er sollte mich nicht danach fragen. Außerdem konnte ich mich ihm unmöglich anvertrauen. Einem fast Fremden, von dem ich nicht einmal den Namen kannte. Dabei spielte es auch keine Rolle, dass er offenbar Dinge von mir wusste, die keinem bekannt waren. Zumindest keinem, der noch am Leben war.
»Vertrau dich mir an, kleine Lilie.«
Vertrauen? So etwas musste man sich erst einmal verdienen. Wo war er mein ganzes Leben gewesen? Wenn er mich wirklich so gut kannte, warum hatte er die schrecklichen Dinge nicht verhindert, die mir den Boden unter den Füßen weggezogen hatten? Was tat er all die Jahre, die mich vor Einsamkeit fast zerbrachen? In mir schürte sich die Wut und bündelte sich zu einem heißen Knäuel, das meinen Unterleib fast verbrannte, während ich zitternd nach Atem rang.
»Wag es ja nicht, mich so zu nennen!«, fauchte ich feindselig und wich einen Schritt vor ihm zurück. Mit den Händen schlug ich dabei seine Finger fort, die noch immer mein Gesicht umfingen und mich zärtlich streichelten. Ich wollte seine Berührungen nicht länger, wollte mir nicht gestatten, es zu genießen.
»Du magst die Bedeutung hinter meinem Namen erkannt haben, aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, mich auch so zu nennen. Du bittest mich um Vertrauen? Das musst du dir erst einmal verdienen!«
»Glaub mir, Liebes, ich besitze dieses Recht. Du bist meine Gefährtin, meine Vertraute, meine bessere Hälfte. Such dir etwas davon aus. Vor unserem Gesetz sind wir so gut wie Mann und Frau.«
Nein! Entsetzt riss ich die Augen auf und der Schock fuhr mir durch den Körper. Unmöglich. Das ist eine verdammte Lüge!
»Du spinnst ja wohl!«, empörte ich mich lautstark und zeigte ihm den Vogel. Ich wusste ja, dass sich die Vampire viel herausnahmen, aber so viel Dreistigkeit hatte ich noch nicht erlebt. »Ich werde niemals zu dir gehören. Mir würde auch nicht im Traum einfallen eine Kreatur der Nacht zu lieben.«
Jetzt belügst du dich selbst, Mäuschen, flötete die nervige Stimme in mir. Fühlst du dich damit besser, wenn du ihm, aber vor allem dir, etwas vormachst? Vor wenigen Minuten hast du schließlich gestanden, dass du etwas empfindest. Und nun leugnest du es? Böses Mädchen.
»Wir beide wissen, es wird so kommen. Sträub dich, fahr die Krallen aus, aber am Ende gehörst du dennoch mir, Wildkatze.«
Dieser elende Mistkerl. Zornig ballte ich die Hände zu Fäusten. Er manipulierte mich, und das auch noch mit voller Absicht, denn er kannte mich, wusste, welche Knöpfe er drücken musste und mit welchen Worten er mich weichklopfte, fast schon rührselig machte. Bevor ich ihm jedoch die passende Erwiderung an den Kopf werfen konnte, flog die Eingangstür auf und krachte gegen die Wand. Kühle Nachtluft wehte herein und eine in schwarz gekleidete Gestalt trat auf die Türschwelle. An ihr haftete etwas Dunkles, das die Bedrohung nur noch deutlicher machte. In mir sträubte sich alles und meine Nackenhaare richteten sich bei dem Anblick auf. Selbst der Fremde verspannte sich und fixierte den Unbekannten mit seinem Blick. Ein warnendes Grollen entrann sich seiner Kehle, während er sich leicht vor mich schob, als würde von der düsteren Gestalt eine ernsthafte Gefahr ausgehen, die für mich jedoch nicht greifbar war.
»Du solltest jetzt gehen«, sprach er zu mir, doch sein Blick war dabei weiterhin auf den Fremden gerichtet. Mit seinem Körper schirmte er mich ab und drängte mich in Richtung Bar, weg von dem düsteren Wesen, dessen rote Augen mich verfolgten.
»Ich kann doch nicht einfach ....«
»Das war keine Bitte!«, fuhr er grollend dazwischen und bedachte mich mit einem verärgerten Blick aus dunklen Augen.
»Ich lass mir von ....«
»SOFORT!«, unterbrach er mich erneut und drückte mich mit seinem stahlharten Körper gegen die Theke. Die Arme stützte er dabei neben mir ab, sodass ich in der Falle saß, während sich sein Gesicht meinem näherte.
»Ich sage es dir nur ein einziges Mal, Sayuri. Verschwinde!«
»Und ich sage dir, du kannst mich mal, Blutsauger. Ich lasse mir nichts von einem dominanten Arsch wie dir sagen. Ich entscheide immer noch selbst«, begehrte ich auf und bot ihm die Stirn, obwohl der Gedanke, von hier zu verschwinden, verdammt verlockend klang. Allerdings würde ich das vor ihm niemals zugeben.
Die Luft zwischen uns begann zu vibrieren. Eine seltsame Spannung erfasste meinen Körper und hinterließ ein Kribbeln auf meiner Haut. Erschrocken sah ich dabei zu, wie etwas Schwarzes meinen Arm hinaufkroch und sich daraus mystische Schriftzeichen formten. Die gleichen Symbole, die auch seinen Körper zeichneten und sich wie ein Lichtkreis um uns bewegten. Dabei hörte ich eine Stimme, die einzelne Worte flüsterte und wie ein Mantra wiederholte. Immer und immer wieder. Liebe. Vertrauen. Hingabe. Zwei Herzen, die zu einem werden.
»Was ...?«
»Es wird dir nicht gefallen, was jetzt kommt«, warnte er mich und ein gewinnendes Lächeln trat auf seine Lippen. »Ich gewinne immer, Liebling. Sieh es als Geburtstagsgeschenk. Von mir für dich.«
Seine Lippen verzogen sich zu einem arroganten Lächeln, das etwas Unheimliches an sich hatte und mir einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Ich wollte gerade fragen, was er meinte, da stahl er sich einen leidenschaftlichen Kuss und brachte mich damit zum Verstummen. Seine starken Arme umschlangen meinen Körper und drückten mich fest an ihn. Ryu erwachte mit einem qualvollen Brüllen und ich konnte seinen Schmerz spüren, der mich bis in den hintersten Winkel erschütterte. Mein Herz krampfte, weil das Leid des Drachen mein eigenes war.
»Es tut mir leid«, vernahm ich seine schwache Stimme, die wie ein Hauch durch meine Gedanken wehte. Schwach und gebrochen. Was geschieht mit ihm?
Langsam erhellte das Feuer den Club, durchbrach die Dunkelheit und umkreiste unsere Gestalten, bevor der Drache es den Flammen nachtat und unsere Körper umwickelte, uns gegeneinanderdrückte. Ich wollte mich von dem Vampir lösen, dem seltsamen Gefühl entkommen, doch eine unsichtbare Macht zerrte an mir und sorgte dafür, dass ich an Ort und Stelle blieb.
»Jetzt gehörst du mir«, flüsterte er dicht an meinem Ohr und bestätigte damit das, was ich nicht wahrhaben wollte.
»Nein!«, hauchte ich entsetzt. Verzweifelt versuchte ich mich aus seinen Armen zu befreien, doch er ließ es nicht zu. Wie Schatten zeichneten die Schriftzüge unsere Haut, zeigten mir das Band, das uns von nun an verbinden würde.
»Es ist zu spät, Kleines. Ich habe dich gezeichnet. Du trägst jetzt meinen Duft auf deiner Haut, sodass jeder Vampir weiß, dass du mir gehörst«, grollte er und packte mich besitzergreifend im Nacken.
»Warum ich?«
»Weil du es schon immer gewesen bist.«

Impressum

Texte: © Cassedy N. K. Morgan
Bildmaterialien: Glaux st. Photographie
Cover: Umschlagsgestaltung: Glaux st.
Korrektorat: Sara Ehrlich
Tag der Veröffentlichung: 13.04.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch witme ich meinen treuen Lesen, die mich mit ihren tollen Kommentaren immer unterstützen. Aber mein Dank geht auch an ganz besondere Menschen. Zum Einen an Hope777, weil du immer an mich geglaubt hast und die Geschichte liebst. Dann an Vampirliebe für deine ehrlichen Worte und die Anfangscover für das Buch. Und ganz besonders danke ich dir Sara, weil du nicht nur eine gute Freundin geworden bist, sondern diese Geschichte genauso sehr liebst wie ich. Danke Euch!

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