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Der Unfall

Der Unfall

Ich saß gerade auf einem Motorrad, als wir mit hundertachtzig über die Autobahn fuhren.
Die Maschine wurde immer schneller und ich schlang meine Arme fester um meinen Freund Julien. Je schneller wir fuhren um so mehr Angst bekam ich, normalerweise machte es mir Spaß, doch in diesem Augenblick jedoch nicht, denn es war dunkel und die Autobahn war nur schlecht beleuchtet.
„Fahr langsamer!“, schrie ich ihn an. „Bitte fahr langsamer!“
„Hab keine Angst Cassandra. Halt dich gut an mir fest und geh hinter meinem Rücken in Deckung.“
Ich machte, was er sagte und wollte gerade fragen, warum ich das tun sollte, als es plötzlich einen lauten Knall gab und dann stürzte das Motorrad zu Boden.
Wir schliffen auf dem Fahrstreifen entlang, doch mir war kaum etwas passiert, denn Julien hielt mich fest umschlungen und ich lag auf ihm.
Sein Helm war durch den Aufprall zerbrochen und ich sah seine heftige Kopfwunde.
Sie blutete stark und strömte an seiner Wange herab.
Ich blieb erschrocken und leicht verletzt in seiner Umarmung liegen.
Julien unter mir rührte sich nicht und ich merkte wie sein Atem unregelmäßiger wurde.
„Julien?“, schrie ich. Julien? Was hast du?“
„Es tut mir leid Cassie“, brachte er mühsam heraus und Blut lief aus seinem Mund. „Ich wollte es nicht, aber wenigsten hast du den Unfall einigermaßen überstanden.“
„Sag so etwas nicht“, flehte ich ihn an. „Bitte bleib bei mir. Ich bitte dich.“
Mir liefen Tränen die Wangen herab. „Bitte.“
Ich merkte, wie Julien immer mehr das Bewusstsein verlor.
Vorsichtig wand ich mich aus seiner Umarmung, versuchte aufzustehen und merkte den stechenden Schmerz in meinem linken Bein.
Juliens Arme fielen schlaf zu Boden.
Ich sah ihn mit angstgeweiteten Augen an.
„Bleib wach“, bat ich ihn und kniete mich zu ihm nieder, um sein Kopf auf mein Schoß zu nehmen. „Du darfst nicht sterben, hörst du?“
Ich ignorierte den Schmerz in meinem linken Bein, als das Gewicht von ihm es wieder schmerzen ließ.
Mit einer schnellen Bewegung nahm ich den Motorradhelm ab und warf ihn zur Seite.
Einige Autofahrer blieben knapp vor uns stehen und versuchten zu helfen.
Sie riefen den Krankenwagen.
„Julien“, rief ich immer wieder. „Bleib bei mir. Ich bitte dich. Bleib bei mir.“
„Der Krankenwagen ist schon unterwegs“, hörte ich eine ältere Frau sagen.
„Hörst du Julien? Hilfe ist schon unterwegs!“
Er hob seinen linken Arm und strich mir über die Wange.
Ich merkte, dass es ihm große Anstrengung bereitete.
Blut tropfte an seinem Kinn runter.
„Alles wird gut Julien!“, versuchte ich mich selber zu beruhigen. „Du darfst jetzt nur nicht einschlafen!“
„Ich...ich kann nicht mehr Cass...“
Seine Augen schlossen sich und ich merkte wie sein Körper leblos wurde.
„Nein!“, schrie ich ängstlich. „Du musst bei mir bleiben! Verlass mich nicht!“
„Cassie“, flüsterte er leise. „Ich bleibe bei dir. Hab keine Angst.“
Ich nickte tapfer und wischte mir mit einer Hand die Tränen aus dem Gesicht.
In der Ferne hörte ich die Sirenen des Krankenwagens.
„Es wird alles wieder gut. Hörst du?“
Doch Julien gab keine Antwort von sich.
Leblos lag sein Kopf auf meinem Schoss.
Sein Herz schlug nur noch schwach und viel zu langsam.
„Es wird alles gut“, flüsterte ich wieder.
Aber ich glaubte nicht an diese Worte.
Das Ende war schon nahe, doch so richtig begriff ich es nicht.
Ich hoffte verzweifelt Julien würde es schaffen.
Was sollte ich sonst ohne ihn machen?
Er war das wichtigste in meinem Leben!
Niemals könnte ich einen anderen Lieben, als ihn.
Wir waren jetzt schon drei lange Jahre glücklich zusammen, aber kennen tun wir uns schon seit klein auf.
Julien durfte mich jetzt nicht verlassen. Ich brauchte ihn doch!
Es war als wäre das alles nur ein böser Traum aus dem ich jeden Moment wieder aufwache.
Julien war doch erst neunzehn.
Sein ganzes Leben lag noch vor ihm.
Er musste einfach überleben.
Sein Ende wäre auch mein Ende, denn ich wollte ohne ihn nicht mehr sein.
Der Krankenwagen kam und vorsichtig lud man Julien auf eine Trage.
Es schmerzte mich sehr, ihn so zu sehen. So leblos und dem Ende nahe.
Ich rappelte mich vom Boden auf und ging auf dem Krankenwagen zu.
„Sie dürfen nicht mit, wenn sie keine Angehörige sind!“, hielt mich ein Sanitäter zurück.
„Bitte lassen sie mich durch! Er ist mein Freund.“
Tränen liefen mir die Wangen runter. „Bitte!“
„Cassie“, kam die Stimme leise von Julien.
Überrascht sah ich auf.
Er war noch bei Bewusstsein!
Wie war das nur möglich? Wie konnte er nach den schweren Wunden noch immer ansprechbar sein?
Ich verstand es nicht, doch Hoffnung flammte in mir auf.
„Bitte bleib bei mir“, sagte er so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte.
„Also gut“, erwiderte der Sanitäter. „Sie können mit. Aber jetzt müssen wir uns beeilen.“
Ich nickte schnell, humpelte weiter zum Krankenwagen und kletterte umständlich hinein.
„Wir werden sie im Krankenhaus wohl auch noch mal untersuchen müssen“, erwiderte der Sanitäter. „Sie waren also ebenfalls an dem Unfall beteiligt oder?“
„Ja“, sagte ich mit erstickter stimme.
Er nickte nur wissend und schlug dann hinter mir die Tür zu.
Mit Blaulicht fuhren wir davon.
Vorsichtig setzte ich mich neben Julien auf einen Stuhl und sah ihn besorgt an.
Seine Augen waren geschlossen und an seinem ganzen Körper hingen Kabel, die an Monitoren angeschlossen waren.
Ich hatte es überhaupt nicht mitbekommen, wie die Sanitäter ihn versorgt hatten.
Viel zu sehr war ich noch geschockt.
Es dauerte nicht lange, da erreichten wir auch schon das Krankenhaus.
Schnell wurde Julien aus dem Wagen geladen und auf dem direkten Weg in den OP gebracht.
Ängstlich starrte ich ihm nach und wollte gerade hinterher laufen, als mich einer der Sanitäter zurück hielt.
„Sie Miss kommen mit mir. Wir müssen sie untersuchen.“
„Aber ich muss zu Julien...“, protestierte ich. „Er braucht mich doch...“
„Ihr Freund wird gerade operiert. Sie können ihm jetzt nicht helfen!“
„Operiert?“, fragte ich geschockt.
„Er hat innere Verletzungen und auch eine Schädelfraktur. Sein Kopf hat großen Schaden genommen, trotz des Motorradhelms.“
Fassungslos starrte ich den Sanitäter an und folgte ihm ohne weitere Gegenwehr.

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Texte: Copyright by Cassedy
Tag der Veröffentlichung: 10.06.2010

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