Prolog
Seit so vielen Jahren leben die Engel nun schon auf unserer Erde, jedoch ohne das wir sieh sehen oder wahrnehmen können.
Doch es würde einen Menschen geben, der dazu in der Lage sein würde.
Es fing alles damit an, dass ein weiblicher Engel sich in einen Sterblichen verliebte, dessen Schutzengel sie war.
Dies verstieß gegen jede Regel im Himmelsreich.
Kein Engel, vor allem keinem Schutzengel war es erlaubt sich in einen Menschen zu verlieben, denn dann würde das Leben völlig außer Kontrolle laufen.
Doch Sue verstieß gegen genau diese Regel und liebte ihren Schützling Peter.
Sie suchte nach einer Möglichkeit, das Himmelsreich zu verlassen und auf der Erde als Mensch an der Seite von ihm weiter zu leben.
Es war ihr egal, was die anderen davon hielten, denn sie hatte tatsächlich jemanden gefunden den sie über alles liebte.
Auch wenn es ein Mensch war und es für Sue hieß, das unsterbliche Leben als Engel aufzugeben.
Sie war bereit dazu.
Wenn es das einzige Opfer war, das sie bringen musste, dann würde sie es nur zu gerne tun.
Und man erhörte sie sogar, was noch nie zuvor im Himmelsreich passiert war.
Vielleicht lag es daran, dass Sue der aufrichtigste Engel überhaupt war und jedes Menschenleben zu schätzen und zu respektieren wusste.
Also erfüllte man ihr den Wunsch und verwandelte sie in einen Menschen.
So wie sie einst ein wunderschöner Engel mit goldenem Haar war, so wurde sie auch eine wunderschöne Menschenfrau.
Sue jedoch besaß noch immer die Gabe die Engel zu sehen, da sie selbst noch in gewisser Weise dazu gehörte, auch wenn sie inzwischen mehr menschlich als ein Engel war.
Ihr Leben verlief glücklich und die Engel hatten es mittlerweile akzeptiert, wie Sue sich entschieden hat und wünschten ihr alles Glück der Welt, dennoch gab es ein Problem, dass sich nicht lösen lassen würde.
Sue alterte wesendlich langsamer, als die normalen Menschen auf der Erde.
Und ihr war klar, dass es irgendwann auffallen musste
Tag für Tag lebte sie in der Angst, dass jemanden dies auffallen würde.
Jedoch hatte sie so viel Glück, dass die Menschen nichts davon merkten.
Einzig allein Peter wusste von ihrem kleinen Geheimnis.
Sie hatte ihm erzählt, dass sie aus dem Himmelsreich kam, früher sein Schutzengel war und jetzt nur auf der Erde lebte, weil sie sich in ihn verliebt hatte.
Es war ihm gleichgültig, ob sie schon immer ein Mensch war oder es erst kürzlich ist, denn er liebte die wunderschöne Frau.
Peter entschied sich also sein Leben mit ihr zu verbringen und die beiden heirateten schließlich nach einem Jahr.
Sue war überglücklich und was fehlte noch zu ihrem Glück?
Richtig! Ein Kind!
Sie wünschte sich ein Kind aus tiefstem Herzen, doch sie glaubte nicht daran, dass dies jemals geschehen würde.
Es hieß, dass Engel niemals ein Kind von einem Sterblichen erwarten können, da es einfach gegen jede Vernunft und gegen jeden Verstand wäre.
Etwa zehn Jahre vergingen, die sie nun schon auf der Erde lebte und kurz nach ihrem dreißigsten Lebensjahr passierte etwas Unerwartetes, denn sie erwartete ein Kind von Peter!
Die Freude war groß, doch die Engel sahen das eher als Katastrophe.
Nach den Legenden zu urteilen, würde das Kind halb Mensch und halb Engel sein.
Sie würde in der Lage sein, die Himmelswesen zu sehen und davor hatten alle Angst, bis auch Sue selbst.
Jeder fürchtete sich, dass die Menschen von ihr erfahren würden, was sie wirklich ist und dass es Engel gab, die Menschen beschützten.
Selbst wenn die Engel nicht gesehen werden konnten, würde Chaos ausbrechen und die Menschen würden alles versuchen, um die Engel sehen zu können.
Es gab leider eine Möglichkeit, wie sie die Engel aufspüren konnten.
Die Dunkelheit beschützte sie nicht, sondern ließ sie als helle Silhouette leuchten.
Doch als das Kind zur Welt kam, änderte sich schlagartig alles, denn es verzauberte die Herzen aller Engel und ihrer Mitmenschen.
Das Kind war ein wunderschönes Mädchen, genauso wie ihre Mutter, hatte sie schon jetzt Goldenes Haar.
Ihr Name war Hannah.
Sue und Peter wussten sofort, dass sie ein ganz besonderes Kind war.
Sie war das Kind Gottes und verdiente es daher auch zu leben.
Man sagte ihr nach, dass sie freundlich, hilfsbereit und barmherzig sein würde.
An statt das Kind sofort mit ins Himmelsreich zu nehmen und sie zu einem ganzen Engel zu machen, ließ man Hannah auf der Erde.
Sie sollte wie ein ganz normaler Mensch aufwachsen und sich erst an ihrem achtzehnten Lebensjahre entscheiden müssen, ob sie Engel oder für immer ein Mensch bleiben wollte.
Vielleicht würden sie aber auch so gnädig sein und Hannah so lassen wie sie ist.
Ein halber Engel und ein halber Mensch.
Auch ihre Eltern waren für den Vorschlag.
Was hätten sie auch anderes tun können, als zu zustimmen?
Sue und Peter würden ihrer Tochter die Wahrheit über ihre wirkliche Herkunft erst an ihrem achtzehnten Lebensjahr sagen, wenn die Zeit gekommen war, sich zu entscheiden.
So würden sie ihr Kind am besten vor allem beschützen können.
Doch das Schicksal meinte es nicht ganz so gut, wie es zu Beginn war.
An einem bestimmten Punkt endete das Glück und alles brach auseinander.
Sue und Peter stritten sich von Tag zu Tag immer heftiger, bis er sie schließlich verließ und somit auch seine einzige Tochter im stich ließ.
‚Du musst jetzt stark sein mein kleines Mädchen’, hatte Sue ihrer Tochter gesagt. ‚Papa und ich verstehen uns leider nicht mehr. Er ist fort gegangen!’
Die kleine Hannah verstand nicht, warum es so gekommen ist.
Erst mit den Jahren wurde ihr alles klar und sie wusste, dass ihre Eltern nicht anders konnten, als sich zu trennen.
Von da an, war ihre Mutter nun auf sich allein gestellt und musste die Hannah nun alleine groß ziehen.
1. Der Engel
Ich saß auf meinem Bett, die Knie an den Körper gepresst und meinen Kopf zwischen den Knien.
Tränen quollen mir aus den Augen und brachten sie zum brennen.
Es war einfach nicht mehr zu ertragen.
Mein ganzes Leben ist seit jenem Tag aus dem Ruder gelaufen, als meine Eltern sich getrennt haben.
Das war kurz nachdem ich vier Jahre alt geworden war.
Unten hörte ich meine Mutter Sue wieder einmal über das Telefon mit meinem Vater Peter streiten. Und wieder einmal ging es um das Sorgerecht für mich, obwohl klar war, dass ich bei meiner Mutter bleiben würde.
Ich wollte nicht weg von hier, sondern bei meiner Mutter bleiben.
Natürlich liebte ich meinen Vater.
Jedenfalls war es früher so gewesen.
Aber in den letzten Jahren hatte er mir so viele Gründe geliefert ihn zu hassen.
Er hatte ein Alkoholproblem, dass er selber einfach nicht mehr unter Kontrolle bekam.
So oft hatte meine Mutter ihm geraten sich professionelle Hilfe zu holen, doch er hatte nur gelacht und gemeint, dass er keine Hilfe brauche.
Traurig, leider aber wahr!
Das war auch einer der Gründe, warum meine Eltern sich schließlich getrennt haben, aber der andere Grund und damit der entscheidende war, dass mein sogenannter Vater unter dem Alkoholeinfluss von Zeit zu Zeit immer aggressiver und gewalttätiger wurde.
Er hatte mich oft geschlagen nur weil ich mal etwas angestellt hatte oder nicht artig genug war. Hallo, ich war noch ein Kind!
Aber nicht nur ich wurde geschlagen, sondern auch meine Mutter.
Besonders sie.
Und immer ganz besonders, wenn sie sich für mich einsetzte.
Es tat mir weh ansehen zu müssen, wie mein Vater sich schlug ohne etwas ausrichten zu können.
Ich hatte das dringende Bedürfnis gehabt meine Mutter zu beschützen, mich als kleines wehrloses Kind vor sie zu stellen und meinen Vater davon abzuhalten ihr weh zu tun.
Unsere einst glückliche Familie gibt es jetzt nicht mehr.
Auch wenn meine Mutter es mir gegenüber nicht zeigen will, weiß ich nur zu gut, dass sie meinen Vater nach alledem noch immer sehr liebt und ihn vermisst.
Das kann ich nur zu gut verstehen, denn mein Vater war immer ein liebenswürdiger Mensch gewesen, bevor er zum Alkoholiker wurde.
Es ist traurig, aber nun mal nicht mehr zu ändern.
Mein Vater hat sich so entschieden, daher sehe ich diesen Mann auch nicht mehr als meinen Vater an.
Vielleicht ist es ein Fehler den ich mache, indem ich den Menschen den ich einmal geliebt habe verleugne, aber es ist mir letztendlich egal.
Für mich ist er nur noch ein Fremder. Nichts weiter!
Der Alkohol hat mir nämlich meinen Vater genommen.
Er würde nie wieder zurück kommen.
Jedenfalls solange nicht, bis er es wirklich selber wollte!
Ich versuchte die trüben Gedanken abzuschütteln und nicht länger in der Vergangenheit nach dem ‚Warum’ zu suchen.
Also dachte ich lieber an die schöne Zeit, die ich mit Peter, meinem Vater gehabt hatte, doch genau das war das falsche, das ich tun konnte, denn es machte mich nur noch trauriger, weil ich wusste das es vorbei war. Für immer!
Unten war es ruhig geworden.
Nichts war mehr zu hören.
Nicht einmal das aller kleinste Geräusch.
Echt beängstigend, wenn man daran dachte eben noch wütende Schreie gehört zu haben.
Langsam blickte ich auf und bemerkte erst jetzt, dass es schon längst dunkel war.
Draußen schien der Mond und erhellte durch die Balkontür, das Zimmer und auch ganz leicht mein Gesicht.
Ein leises Klopfen an der Tür ließ mich heftig zusammen zucken.
„Hannah, darf ich rein kommen?“, fragte meine Mutter mit sanfter Stimme.
Sie war so ruhig, dass man gar nicht glauben würde, sie eben mit meinem Vater streiten gehört zu haben.
Es war, als wäre nichts ungewöhnliches passiert.
Genau das hatte ich immer an ihr bewundert.
Meine Mutter war immer eine starke Frau.
Egal wie schwer sie es auch im Leben hatte, sie versuchte es sich nicht anmerken zu lassen.
Aber ich spürte auch so, dass sie litt.
Woher das kam, wusste ich nicht.
„Klar“, antwortete ich ihr mit zittriger Stimme und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.
Ich wollte nicht, dass sie sieht, wie sehr mich das ganze mit nahm.
Die Trennung von meinem damaligen Vater und dann auch noch die ständigen Streitereien.
Sie sollte sich nicht Sorgen um mich machen, wie sie es immer tat.
Aber seit einiger Zeit hatte ich manchmal sogar das Gefühl, dass sie etwas vor mir verheimlichte.
Eine art Geheimnis von dem ich nichts wissen durfte oder was ich erst später erfahren würde.
Sicher bildete ich mir da aber nur etwas ein.
Ich wollte genau so stark sein wie meine Mutter es war.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Sue mich.
„Ja. Alles okay.“
„Es tut mir leid, dass du es mitanhören musstest. Ich weiß, dass dir der Streit zwischen deinem Vater und mir sehr zu schaffen macht.“
„Ach nicht so schlimm“, versuchte ich die Starke zu spielen.
Ich zuckte mit den Schultern und ließ es gleichgültig erscheinen.
„Muss ich jetzt eigentlich zu Papa?“
‚Ja, ich nannte ihn noch immer Papa. War reine Gewohnheit, die sich nur schwer abstellen ließ!’
Ich zog es nicht in betracht, dass dieser Mann mir noch etwas bedeuten würde, obwohl ich es tief in meinem Inneren doch spürte.
„Nein Süße. Du bleibst natürlich bei mir. Er bekommt dich niemals. Ein Alkoholiker ist nicht in der Lage ein Kind groß zu ziehen!“
„Mama“, protestierte ich. „Ich bin kein kleines Kind mehr. Ich bin siebzehn. Und nächstes Jahr werde ich achtzehn. Hast du das etwa schon vergessen?“
„Nein. Ich weiß auch, dass du kein kleines Kind mehr bist, aber du weißt wie ich das gemeint habe.“
„Ja Mama.“
„Ich habe das Sorgerecht für dich und ich werde es auch weiterhin behalten. Mach dir also deswegen keine Sorgen. Ich werde es niemals zulassen, dass dich jemand mir weg nimmt!“
Sue kam langsam zu mir, setzte sich auf mein Bett und nahm mich dann fest in den Arm.
Ich erwiderte die Umarmung meiner Mutter und schmiegte mich halte suchend an sie.
Tränen liefen mir wieder aus den Augen und über meine Wangen.
Es war einfach unmöglich so stark wie Sue zu sein.
„Ich bleib bei dir Mama!“
Und ich meinte, was ich sagte.
„Was anderes erwarte ich auch nicht“, sagte Sue und lächelte jetzt unbeschwert. „Ich lass dich jetzt allein. Es ist schon ziemlich spät, also mach nicht zu lange!“
„Ist gut.“
Sue gab mir noch einen flüchtigen Kuss auf die Stirn.
„Schlaf gut und Träum süß Hannah“, erwiderte meine Mutter zum Abschied und stand auf.
„Nacht Mama“, rief ich ihr noch nach, bevor sie die Tür hinter sich schloss.
Ich starrte die Tür noch einen kurzen Augenblick an und erhob mich dann seufzend vom Bett.
Langsam suchte ich meine ganzen Sachen zusammen und tapste dann ins Badezimmer unter die Dusche.
Angenehm und beruhigend prasselte das heiße Wasser auf meinen Körper.
Meine Hände stützte ich an den Fließen ab und schloss für den Moment meine Augen, um endlich mal ganz abzuschalten.
Es war ein anstrengender Tag gewesen, denn man ruhig hätte streichen können, so wie alle Tage, an denen meine Eltern sich in den Haaren hatten.
Egal ob es nur durchs Telefon war.
Warum akzeptierte Peter nicht endlich wie es war.
Ich wollte nicht zu ihm, nach allem was er uns angetan hatte.
Er war ein verdammter Säufer. Ein verfluchter Alkoholiker, der es nicht für nötig hielt auch nur einen Gedanken an seine Familie zu verschwenden und sich helfen zu lassen!
Sauer ballte ich die Fäuste zusammen und löste sie dann wieder.
‚Reg dich bloß nicht über ihn auf Hannah’, sagte ich mir selber. ‚Er ist es nicht wert. Schließlich ist er nicht mehr dein Vater!’
Als ich fertig mit duschen bin, schnappte ich mir meinen Bademantel und ging zurück ins Zimmer.
Erschrocken blieb ich stehen und wich ängstlich einen Schritt zurück, denn vor mir stand ein Engel, so schön, wie man ihn sich nur vorstellen konnte.
Er sah mich mit leicht erhobenen Kopf an.
Seine Flügel waren ausgebreitet und in ihrer ganzen Pracht zu sehen.
‚Ein sehr stolzer Engel’, ging es mir sofort durch den Kopf.
Seine ganze Haltung wies darauf hin.
Die Flügel waren pechschwarz, genauso wie sein Haar.
Und um ihn herum war ein leuchtendes, schwaches Licht zu erkennen, dass ihn umgab und einhüllte.
Er war wunderschön, ohne Zweifel.
Noch nie habe ich einen so schönen Engel gesehen.
Dabei müsst ihr wissen, ich kann Engel sehen!
Unglaublich, nicht wahr? Aber so ist es.
Nicht gerade normal für einen Menschen.
Dennoch wusste ich schon lange, dass etwas nicht mit mir stimmte.
Das alles mit den Engel fing aber erst mit meinem fünfzehnten Lebensjahr an.
Meiner Mutter hatte ich nichts gesagt.
Ich wollte sie schließlich nicht beunruhigen.
Sie hatte ohne hin schon genug Probleme, auch ohne das ich ihr sagen würde, dass ich die Himmelswesen sehen konnte.
Ich war wirklich kein normaler Mensch.
Mittlerweile hatte ich aufgehört mich zu fragen, warum ich diese Wesen sehen konnte, da ich ja doch keine Antwort wusste.
‚Aber was machte jetzt dieser Engel in meinem Zimmer?’, fragte ich mich nachdem ich mich langsam beruhigt hatte.
„Hallo meine Schöne“, sagte der Engel mit sanfter, melodischer Stimme und lächelte mich an.
Etwas Verführerisches lag in seinem Lächeln, dass ich am liebsten sofort zu ihm hingegangen wäre, doch ich blieb wo ich war.
Es war das einzig Vernünftige, das ich tun konnte.
‚Vertraue niemals einem Engel. Nicht alle sind gut. Und bei dem kannst du dir sowieso nicht sicher sein. Er hat schwarze Flügel und das kann schon nichts gutes heißen’, sagte ich mir in Gedanken. ‚Halte dich bloß von ihm fern!’
„Wer bist du und vor allem, was machst du in meinem Zimmer?“, fragte ich mit zittriger Stimme.
Ich konnte den Engel nur anstarren, denn er war so wunderschön, dass ich meine Augen einfach nicht von ihm lösen konnte.
„Hmmm ... Ein paar wirklich gute Fragen. Ich bin aber mal so nett und werde sie dir beantworte. Aber auch nur weil du es bist. Es liegt mir nicht besonders zu anderen nett zu sein. Vielleicht haben sie mich deshalb auf die Erde geschickt, um mich da oben nicht mehr ertragen zu müssen!“
„Aber warum? Du bist doch ein Engel und Engel sind doch immer nett oder etwa nicht? Schließlich retten sie Tag täglich zahlreiche Menschenleben!“
„Nein, nicht immer sind Engel nett Kleines. Auch nicht, wenn sie euch Menschen retten. Es ist ihre Pflicht, da hat es nicht immer etwas mit Nettigkeit oder gar Barmherzigkeit zu tun. Aber da ich dein Schutzengel bin, ist es meine Aufgabe mich um dich zu kümmern und dich zu beschützen!“
„Mein Schutzengel?“, fragte ich mit erstickter Stimme und meine Augen wurden ein klein wenig größer.
„Ja, dein Schutzengel. Hannah, hast du dich nie gefragt, warum einige Menschen einen Unfall unbeschadet überstehen, als wäre nie etwas geschehen?“
„Doch schon. Aber ... na ja ... haben Schutzengel oder auch ganz normale Engel nicht normalerweise weiße Flügel? Ich meine ... eigentlich habe ich es noch nie jemanden gesagt ... aber ich glaube dir kann ich es sagen ... ich kann Engel sehen ... zwar nur die Umrisse und so, aber die hatten eben alle weiße Flügel“, stotterte ich etwas hilflos. „Und Engel retten eigentlich auch nur Menschen mit reinem, aufrichtigem Herzen!“
„So ist es auch. Du hast so ein Herz. Rein und aufrichtig, daher bin ich für dein Leben verantwortlich. Was die weißen Flügeln angeht, siehst du ja, dass es auch Ausnahmen gibt. Ich bin eine Ausnahme!“
Er bewegte seine Flügel und verursachte somit einen leichten Windstoß, der meine Haare nach hinten wehte und den Bademantel ganz leicht öffnete.
Ich zog ihn schnell wieder zu, bevor er irgendetwas merken konnte.
„Ja. Ich weiß nur zu gut, dass du eine Ausnahme bist. Immerhin bis du der erste Engel, den ich richtig wahr nehmen kann. Ich sehe dich nämlich nicht nur, als einen hellen Umriss mit weißen Flügeln, sondern so richtig, als wärst du ein ganz normaler Mensch wie ich, abgesehen von den schwarzen Flügeln!“
Seine Augenbraue hob sich ganz leicht und dann vertiefte sich sein Lächeln.
„Du bist kein normaler Mensch Hannah, sondern etwas ganz besonders. So etwas wie dich wird es kein zweites Mal geben. Glaub mir!“
Fragend blickte ich ihn an, da ich nicht verstand, was er mir damit sagen wollte.
Ich meine wir Menschen sind doch alle verschieden, da ist es doch klar, dass ich nicht zwei Mal existiere!
„Und du kannst wirklich nur mich sehen?“, riss Revenge mich aus meinen Gedanken.
Ich nickte nur etwas verwirrt.
„Erstaunlich“, murmelte er und seine Augen bekamen für einen kurzen Moment ein seltsames Leuchten.
„Hast du eine Erklärung dafür? Weißt du vielleicht warum das so ist?“
„Gewiss“, antwortete er nur. „Ich bin schließlich schon einige Jahre hier auf der Erde. Es ist sehr ungewöhnlich, dass du die Engel nur als Umrisse wahr nimmst und nicht als richtige Gestallten, so wie mich.“
„Ich besitze diese ‚Gabe’ ja nicht mein ganzes Leben lang!“
„Nicht?“
„Nein. Das alles fing erst kurz nach meinem fünfzehnten Lebensjahr an und seitdem geht es auch nicht weg.“
„Gefällt dir die Gabe etwa nicht Hannah?“
„Nicht wirklich. Ich hab es mir nie ausgesucht. Es ist manchmal schrecklich, weil du weißt, dass die Engel dich die ganze Zeit anstarren. Ich hab das Gefühl sie wissen, dass ich sie sehen kann und deshalb fühle ich mich von ihnen beobachtet.“
„Du bist etwas ganz besonderes Hannah. Und du bist zu so viel mehr bestimmt.“
„Ach, wer sagt das bitte. Der liebe Gott?“
„Ist das nicht völlig egal.“
„Wie wäre es, wenn du mir sagst, warum ich dich Engel sehen kann?“
„Ich könnt es dir sagen, aber ich mache es nicht!“
„Und warum nicht?“, fragte ich aufgebracht.
„Es würde gegen die Regeln verstoßen meine Kleine.“
„Gegen welche Regeln verstoßt du, wenn du mir diese Sache erzählst?“
„Sagen wir mal so, ich habe bis eben wirklich vorgehabt es dir zu sagen, aber ich spiele gerne Spielchen und es dir nicht zu sagen ist eine der Spielregeln. Außerdem bist du noch nicht so weit!“
„Das ist jetzt nicht dein ernst!“, knirschte ich mit den Zähnen.
„Und wie es mein ernst ist“, gab Revenge ungerührt zurück und sah mich durch seine silbergrauen Augen an. „Ich wäre dumm, wenn ich dir den Grund erzählen würde, also das du mich als einzigen Engel sehen kannst, ohne eine Gegenleistung von dir zu verlangen, findest du nicht!“
„Du bist doch mein Schutzengel oder etwa nicht?“
„Ja. Warum fragst du?“
Er sah mich aufmerksam an.
„Ist das dann nicht Teil der Aufgabe eines Schutzengels?“
„Nein. Eigentlich wäre ich gar nicht hier. Ich würde dich aus der Ferne beobachten und so über dich wachen, aber ich halte es für besser, dich ein bisschen im Auge zu behalten. Nicht so das du noch Dummheiten anstellst.“
„Du machst doch nur ärger Engel, dann kannst du genauso gut wieder gehen. Ich werde schon heraus finden, warum ich dich sehen kann. Vielleicht liegt es ja einfach daran, dass du mein Schutzengel bist. Mehr wird es schon nicht sein!“
„Du willst mich also tatsächlich rausschmeißen?“
„Ja. Ein Engel hat nichts in meinem Zimmer zu suchen. Vor allem nicht, wenn er einfach so eindringt ohne sich vorher anzukündigen!“, giftete ich ihn an. „Und jetzt mach, dass du raus kommst!“
„Ich kann verstehen, dass du sauer auf mich bist Hannah, aber mich gleich raus zu werfen, findest du das nicht ein bisschen hart?“
„Nein. Nicht im geringsten. Du verdienst es nicht anders. Und jetzt raus!“
„Vergiss es. Ich bleibe. Außerdem willst du doch wissen, warum das alles passiert oder etwa nicht?“
Anmutig kam er auf mich zu.
Ich wich erschrocken vor ihm zurück, sodass ich die Wand in meinem Rücken spürte.
„Was ist Hannah? Wirst du mir die Frage beantworten?“
„Du kennst die Antwort doch schon!“, erwiderte ich mit erstickter Stimme. „Natürlich will ich wissen, warum die ganzen Dinge passieren. Was das alles auf sich hat!“
„Ich werde es dir irgendwann sicher sagen, aber dann musst du auch nach meinen Spielregeln spielen! Ich entscheide, denn ich hab die Karten in der Hand! Verstanden?“
Ich nickte nur unsicher, da ich unfähig war zu sprechen.
‚War das wirklich ein Engel, der vor mir stand?’, fragte ich mich plötzlich.
Noch nie habe ich so einen eingebildeten und arroganten Engel gesehen.
Der schreckte vor überhaupt nichts zurück.
Er machte mir auf eine weise Angst, dass ich am liebsten davon gelaufen wäre, doch ich rührte mich nicht vom Fleck.
Revenge kam mir jetzt noch näher.
„Bleib mir bloß vom Leib!“, drohte ich und funkelte ihn mit bösen Augen an.
Doch er lachte nur auf und kam noch näher, bis er ganz nah vor mir stand und erst da nahm ich wirklich wahr, dass seine Beine den Boden gar nicht berührten, sondern wenige Zentimeter darüber schwebten.
Mein Körper zitterte.
Angst lag in meinen Gliedern.
Noch nie habe ich mich so sehr vor einem Engel gefürchtet, wie vor diesem.
Ich vertraute diesem wunderschönen Engel nicht, denn ich durfte ihm nicht vertrauen und ich würde es auch niemals können!
Er bekam das Vertrauen nicht, das er vielleicht verdiente, obwohl er mir bis jetzt noch nichts getan hatte.
Es könnte ein rissen großer Fehler sein, ihm zu vertrauen.
Mein letzter um genau zu sein.
Langsam streckte er eine Hand nach mir aus und strich mir durch meine glatten, langen blonden Haare, die mir fast bis zur Hüfte reichten und noch etwas feucht vom Duschen waren.
Sacht strich er sie zurück.
Ich wich leicht vor seiner Berührung zurück.
„Hab keine Angst Hannah. Ich werde dir nichts tun!“
„Warum bist du dann hier, wenn du mir nichts böses willst?“, fragte ich ganz leise.
„Das hab ich dir doch schon längst gesagt. Auch wenn du es mir nicht glaubst und es sich so unglaublich anhört, aber ich bin nur hier, weil ich nun mal dein Schutzengel seit so vielen Jahren schon bin! Nur deshalb.“
„Und wer genau bist du? Ich meine ... na ja ... wie ... wie ist dein Name?“, stotterte ich etwas unbeholfen weiter.
Er beugte sich vor, sodass seine Lippen an meinem Ohr waren.
„Revenge ist mein Name, meine kleine Schönheit“; flüsterte er mit verführerischer Stimme in mein Ohr.
Seine Lippen streiften die empfindliche Stelle unterhalb meines Ohres.
Genau da, wo der Puls deutlich zu spüren war.
Sofort schlug mein Herz schneller, mir wurde plötzlich ganz heiß und ich presste mich noch stärker gegen die Wand.
Ich spürte wie Revenge Lippen sich zu einem Lächeln formten.
Er stützte seine Hände jetzt neben meinem Gesicht an der Wand ab und sah mir dann tief in meine himmelblauen Augen.
Wie hypnotisiert starrte ich in seine Silbergrauen.
„Du bist wunderschön“, murmelte dieser gottgleiche Engel zu mir.
‚Wenn ich wunderschön war, was war er dann erst?’
„Deine Augen leuchten wie die schönsten Sterne. Das ist mir bis eben gar nicht aufgefallen. Und dein Haar strahlt, wie die schönste Sonne am Himmelszelt.“
Ich starrte ihn nur irritiert an und konnte darauf nichts sagen.
‚Was machte dieser Engel nur mit mir?’, fragte ich mich soweit ich überhaupt noch in der Lage dazu war.
‚Er musste sofort gehen’, schoss es mir durch den Kopf. ‚Er durfte auf keinen Fall noch länger bleiben, sonst könnte es passieren, dass ich ihm nicht mehr widerstehen kann!’
‚Bitte geh’, presste ich also mühsam hervor und legte ihm die Hände auf die Brust.
Überrascht blickte ich ihn dann an, denn meine Hände gingen nicht durch ihn hindurch, wie ich es immer von Engel gedacht hatte.
Seine Brust war sehr muskulös und männlich, was das T-Shirt so nicht erahnen ließ.
Jeder einzelne Muskel spannte sich an, als ich versuchte ihn von mir zu schieben.
Genauso gut hätte ich versuchen können eine Betonwand weg zu schieben.
Revenge rührte sich keinen Millimeter von der Stelle, sondern kam stattdessen noch einen Schritt näher, sodass ich jetzt zwischen der Wand und ihm gefangen war.
Unsere Körper berührten sich.
Er war nahe – viel zu nahe.
Ich wandte mich, versuchte los zu kommen, doch Revenge ließ mich einfach nicht gehen.
‚Bitte’, flehte ich innerlich. ‚Bitte mach, dass das aufhört. Ich ertrage es nicht mehr lange diesem wunderschönen und attraktiven Engel zu widerstehen. Aber ich darf ihm nicht nachgeben. Ich darf einfach nicht! Er hat viel zu viel Dunkelheit. Er ist nicht der, der er gerade vorzugeben scheint!’
„Ganz ruhig Hannah“, versuchte er mich zu beruhigen. „Ich tue dir doch nichts. Hab bitte keine Angst vor mir!“
Er sah mich flehend an, doch ich ignorierte seinen Blick einfach und versuchte bei klarem verstand zu sein.
Ich musste jetzt einen klaren Kopf bewaren und ihm auf gar keinen Fall nachgeben.
„Verschwinde einfach! Ich brauche keinen Schutzengel. Und schon keinen wie dich Revenge. Du bist nicht der Richtige, um mich beschützen zu wollen, denn du hast mehr Dunkelheit als Licht in dir. Du bist ganz anders als alle anderen Engel, die ich je gesehen habe! Ich hab nun mal Angst vor dir und da helfen auch keine beruhigenden Worte von dir!“
Revenge sah mich entsetzt an, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte.
„Du hast vollkommen recht. Es stimmt alles was du sagst. Ich habe wirklich mehr Böses, als Gutes in mir, deshalb wohl auch die schwarzen Flügel. Bist du jetzt zufrieden Hannah? Du kennst jetzt mein kleines Geheimnis, das ich die ganze Zeit zu verbergen versuchte, aber ich kann es nun mal nicht leugnen. Vielleicht ist es einer der Gründe warum ich wirklich auf der Erde bin, bevor man mir die Aufgabe erteilt hatte auf dich aufzupassen!“
Zornig aber auch irgendwie verletzt blickte er mich an.
Auch wenn ich Revenge nicht wirklich leiden konnte, tat er mir doch in diesem Augenblick leid und ich wollte ihm so gerne helfen, doch ich wusste nicht wie.
Der Zorn und die Trauer verschwand blitzschnell aus seinem Gesicht und seine Augen sahen mich jetzt total ernst an.
„Du solltest jetzt mehr Angst vor mir haben, findest du nicht? Schließlich weißt du ja jetzt, dass ich wohl möglich gefährlich bin!“
„Ich wollte dich nicht kränken Revenge! Es tut mir leid!“
„Schon gut. Es ist nur vernünftig, dass man Angst vor mir hat und es ist auch klüger so! Ich werde nicht ohne Grund ...“, sagte er, doch er unterbrach sich dann selber.
„Was wirst du nicht ohne Grund?“, fragte ich ihn leise.
„Es ist nicht weiter wichtig. Ich habe nur einige schlimme Dinge in der Vergangenheit getan, daher fürchten sich alle vor mir. Du bist also nicht die erste!“
„Warum sagst du mir das alles?“
„Solltest du nicht besser wissen, wer vor dir steht. Ich bin schließlich dein Schutzengel, ob es dir nun passt oder nicht. Du solltest mich vielleicht besser kennen, um zu beurteilen, ob du mir irgendwann vertrauen kannst und deine Angst mir gegenüber verlierst!“
Ich nickte nur schwach.
Er war also mal ehrlich zu mir.
Was auch immer er damals getan hat, es musste etwas schlimmes gewesen sein, wenn jeder sich vor ihm fürchtete.
Daher auch die schwarzen Flügel.
Ich wusste gleich, dass etwas nicht ganz mit ihm Stimmte.
Welches Geheimnis er auch mit sich trägt, ich würde es früher oder später ja doch erfahren.
Aber vielleicht wollte ich es aber gar nicht wissen.
„Du solltest jetzt gehen“, sagte ich schwach.
Zu mehr hatte ich jetzt nicht die Kraft.
„Ja, das sollte ich wohl. Aber gib mir bitte noch ein paar Minuten!“
Revenge näherte sein Gesicht dem meinen.
Seine Lippen streiften vorsichtig meine und für einen Moment dachte ich wirklich, er würde mich küssen.
Und in diesem einen Augenblick wünschte ich es mir sogar.
Ich wusste jedoch nicht warum es so war.
Seine Lippen fühlten sich weich an, sowie sie meine Haut und meine Lippen streiften.
Gespannt blickte ich in seine silbergrauen Augen, die sich leicht verdunkelten und zu glänzen begannen.
Er lächelte mich nur zufrieden und triumphierend an, gab mir einen Kuss auf die Wange und verschwand dann so schnell, wie er aufgetaucht war.
Ein leichter Windzug durchzog das Zimmer und wirbelte mein nasses Haar auf.
„Vertraue und liebe mich Hannah“, halte seine Stimme in der Dunkelheit wieder.
Verwirrt blickte ich mich in dem kleinen Zimmer um und erhoffte mir Revenge irgendwo im Zimmer zu erblicken, doch nichts.
Er war weg und ließ mich ohne irgendeinen Abschied zurück.
Texte: Copyright by Cassedy
Tag der Veröffentlichung: 03.06.2010
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